Gespenster-Krimi 1 - Frederic Collins - E-Book

Gespenster-Krimi 1 E-Book

Frederic Collins

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Beschreibung

Mit einem schmetternden Krachen schlug der Ast gegen die Windschutzscheibe. Der Sturm packte den Kleinwagen, rüttelte ihn durch.
Entsetzt rammte Bud Singleton den Fuß auf das Bremspedal. Der Wagen stellte sich auf der überschwemmten Straße quer. Das Motorengeräusch erstarb. Nur noch das Heulen des Sturms und das Prasseln des Regens erfüllten die Nacht.
Mit einem tiefen Seufzer der Erleichterung stellte Bud fest, dass die Windschutzscheibe noch heil und auch sonst nichts weiter passiert war. Doch der Schock steckte ihm noch tief in den Gliedern. So hatte er sich seine Ankunft auf Sherbrook Manor, dem verrufenen schottischen Geisterschloss, nicht vorgestellt. Der Himmel mochte wissen, wie weit es noch bis zum Schloss war. Er hatte in dem mitternächtlichen Unwetter auf der stockdunklen Landstraße völlig die Orientierung verloren.

Da erblickte er die Frau! Sie geriet für Sekunden in die Scheinwerferkegel, das Haar durch den Regen an den Kopf geklebt, das dünne Kleid durchweicht, den Mund zu einem unhörbaren Schrei des Grauens aufgerissen, die Augen starr und riesengroß in dem bleichen Gesicht.

Im nächsten Moment war sie in der Finsternis wieder verschwunden. Und die Wut des Orkans steigerte sich ...

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Seitenzahl: 150

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Inhalt

Cover

Impressum

Das Tor zum Jenseits

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati/BLITZ-Verlag

eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-7302-8

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Das Tor zum Jenseits

von Frederic Collins

Mit einem schmetternden Krachen schlug der Ast gegen die Windschutzscheibe. Der Sturm packte den Kleinwagen, rüttelte ihn durch.

Entsetzt rammte Bud Singleton den Fuß auf das Bremspedal. Der Wagen stellte sich auf der überschwemmten Straße quer. Das Motorengeräusch erstarb. Nur noch das Heulen des Sturms und das Prasseln des Regens erfüllten die Nacht.

Mit einem tiefen Seufzer der Erleichterung stellte Bud fest, dass die Windschutzscheibe noch heil und auch sonst nichts weiter passiert war. Doch der Schock steckte ihm noch tief in den Gliedern. So hatte er sich seine Ankunft auf Sherbrook Manor, dem verrufenen schottischen Geisterschloss, nicht vorgestellt. Der Himmel mochte wissen, wie weit es noch bis zum Schloss war. Er hatte in dem mitternächtlichen Unwetter auf der stockdunklen Landstraße völlig die Orientierung verloren.

Da erblickte er die Frau! Sie geriet für Sekunden in die Scheinwerferkegel, das Haar durch den Regen an den Kopf geklebt, das dünne Kleid durchweicht, den Mund zu einem unhörbaren Schrei des Grauens aufgerissen, die Augen starr und riesengroß in dem bleichen Gesicht.

Im nächsten Moment war sie in der Finsternis wieder verschwunden. Und die Wut des Orkans steigerte sich …

Bud Singleton saß vor Entsetzen wie zu Stein erstarrt. Die Zigarette, die er sich zur Beruhigung seiner Nerven angesteckt hatte, brannte herunter, versengte seine Finger, sodass er sie mit einem Schmerzensschrei fallen ließ, hastig aufhob und im Aschenbecher zerstieß.

Die Scheibenwischer kämpften erfolglos gegen den niederprasselnden Regen, vermischt mit Hagelkörnern. Durch den dichten Wasserschleier starrte Bud Singleton hinaus auf die Straße, auf der er die Frau gesehen hatte.

War es eine Sinnestäuschung gewesen? Konnte es tatsächlich sein, dass sich ein Mensch in dieses Unwetter wagte? Und wenn ja, weshalb war sie geflohen und nicht zu dem Wagen gekommen, der ihr eine sichere Zuflucht geboten hätte?

Oder befand sich die Frau auf der Flucht, vermutete sie in dem Auto einen Verfolger, der ihr gefährlich werden konnte? Hatte die Frau vielleicht durch einen Schock den Verstand verloren?

Dicht neben dem Kleinwagen zuckte ein mächtiger Blitzstrahl aus den tief hängenden Wolken, erhellte die Hügel, spaltete einen Baum, der in Flammen aufging, die sofort von der niederstürzenden Wasserwand erstickt wurden.

Der Blitz löste die Verkrampfung in Bud Singleton. Er musste dieser Frau helfen, war sein erster impulsiver Gedanke. Wie sollte sie sich in einem solchen Unwetter behaupten, noch dazu so leicht bekleidet!

Dennoch zögerte er, die Hand am Türgriff. Was wusste er über die Frau? Nur, dass sie für Sekunden im Licht der Autoscheinwerfer aufgetaucht war. Er hatte keine Ahnung, woher sie kam und wohin sie gelaufen war. Er kannte die Gegend nicht, hatte keine Taschenlampe bei sich, wusste nicht, ob er sich nahe an einem Abgrund oder einem Moor befand.

Es war eine junge Frau, dachte er verzweifelt. Er hatte ihre schlanke Figur deutlich gesehen, das fein geschnittene Gesicht, das in panischem Schrecken verzerrt war.

»Das fängt ja gut an«, murmelte er, steckte sich mit fahrigen Bewegungen eine neue Zigarette an und streckte die Hand nach dem Zündschlüssel aus. Er zog sie zurück. Das schlechte Gewissen meldete sich.

Wie konnte er weiterfahren, sich in dem Schlosshotel Sherbrook Manor in Sicherheit bringen, während dort draußen eine Frau womöglich um ihr Leben kämpfte – gegen die Naturgewalten und gegen unbekannte Feinde?

Er schloss einen – wie er sich offen eingestand – faulen Kompromiss mit seinem Gewissen. Er startete und drehte den Kleinwagen einmal auf der Stelle im Kreis, indem er geschickt vorwärts und rückwärts manövrierte. Die aufgeblendeten Scheinwerfer bohrten sich durch den Regen, erfassten schwarz schimmernde morastige Wiesen, ansteigende Hänge, vor Nässe glänzende Steinmauern. Keine Spur eines lebenden Wesens.

Mehr konnte er nicht tun, hämmerte sich Bud Singleton ein. Trotzdem setzte er die Fahrt niedergeschlagen und beunruhigt fort.

Eines wusste er jetzt schon. Er würde nicht ruhen, bis er nicht genau wusste, was diese Frau zu ihrer irrwitzigen Flucht durch die Sturmnacht bewegt hatte und was aus ihr geworden war.

Neben der Straße lagen entwurzelte Bäume, über die Fahrbahn floss Lehm. Stellenweise versperrte abgerutschtes Erdreich die Strecke.

Wie er es dennoch bis nach Sherbrook Manor schaffte, war Bud Singleton hinterher ein Rätsel. Völlig erschöpft meinte er bereits, nie lebend an sein Ziel zu kommen, als aus der Dunkelheit ein Lichtfleck auftauchte, sich rasch vergrößerte und zu einer einzelnen Lampe wurde, die über dem Portal eines alten Schlosses brannte.

Bis jetzt hatte Singleton nur Fotos von Sherbrook Manor gesehen. Obwohl die Bilder bei strahlendem Sonnenschein aufgenommen worden waren und die Vorderseiten von Werbeschriften des Schlosshotels Sherbrook Manor geziert wurden, erkannte er das Gebäude auf den ersten Blick. Mit der Aussicht, nach der Fahrt in dem schwankenden, stoßenden Wagen wieder sicheren Boden unter den Füßen zu fühlen, stellte Bud das Auto dicht vor dem Eingang ab, sprintete die kurze Distanz und wurde dennoch gehörig durchnässt.

Keuchend warf er sich gegen die Tür, donnerte mit der Faust dagegen und erschrak, als ihm einfiel, dass er die Gäste nicht wecken durfte, die um ein Uhr nachts bestimmt schliefen – oder auch nicht, angesichts des höllischen Lärms des Unwetters.

Bud blickte sich suchend um, fand einen Klingelzug, zerrte daran und erzeugte drinnen in der Halle ein Scheppern, das bestimmt auch den letzten Schläfer aus dem Bett riss.

Der Erfolg stellte sich bald ein. Nur ein oder zwei Minuten waren vergangen, als ein Paneel der Tür zurückschwang. Ein verwittertes, faltiges Gesicht erschien, grinste Bud entgegen wie ein Totenschädel.

»Ja, wer ist da?«, krächzte eine blecherne Stimme.

Bud Singleton zwang sich zu einem freundlichen Lächeln. »Mein Name ist Singleton«, stellte er sich vor. »Ich werde von Mister Spencer erwartet.«

»Moment!«, schrie der Alte unnötigerweise, denn im Augenblick war es ruhig.

Knarrend glitt die Tür zurück. Jetzt konnte Bud den Mann voll sehen. Der Alte konnte sechzig oder neunzig sein. Die runzelige Haut und die gekrümmte Haltung sprachen für neunzig, die funkelnden, wachen Augen für sechzig.

»Sie müssen lauter sprechen, ich bin schwerhörig!«, schrie der Mann.

»Bud Singleton!«, schrie Bud zurück. »Ich bin der neue Sekretär von Mister Spencer!«

Täuschte er sich, oder musterte ihn der Alte plötzlich mit tückischen, hasserfüllten Augen? Stand blanke Mordlust in seinem Blick?

Nein, wahrscheinlich hatte Bud sich getäuscht, sagte er sich gleich darauf, als der Alte ein schiefes Grinsen zeigte, das er wohl für ein freundliches Lächeln hielt.

»Ich bin Fletcher, seit meiner Kindheit hier im Schloss«, sagte er viel zu laut und überdeutlich. »Ich bin Butler und Diener und Hausknecht.«

»Ein schreckliches Wetter!«, erwiderte Bud, dem der Hals vom Schreien wehtat. Trotzdem legte Fletcher die Hand an das linke Ohr, als könne er noch immer nicht hören. »Ich dachte schon, ich käme nicht mehr hier an.«

»Hergekommen sind alle!« Auf Fletchers faltiges Gesicht legte sich ein verschlagenes Lächeln. »Aber weggegangen … Sie sind sicher müde, Mister Singleton!«

»Ich habe mich durch das Unwetter verspätet.« Unauffällig prüfte Bud die kostbare, leicht verkommene Einrichtung der Halle. Er beschloss, sich um die Pflege des Gebäudes zu kümmern. »Schade, ich hätte nämlich gerne noch mit Mister Spencer gesprochen. Ist das vielleicht möglich?«

»Es ist beinahe zwei Uhr!« Mit einem fast stupiden Gesichtsausdruck deutete Fletcher auf die riesige Pendeluhr. »Mister Spencer hat sich längst in seine Räume zurückgezogen. Kommen Sie, ich zeige Ihnen Ihr Zimmer!«

Bud griff nach seinem Koffer, doch der Alte war schneller. Mit dem schweren Gepäckstück, das Bud nur mit Mühe heben konnte, lief Fletcher so schnell die Treppe nach oben, dass ihm der neue Sekretär kaum folgen konnte.

»Hier hinein, Mister Singleton!« Fletcher stieß eine ungestrichene Holztür auf, griff in die Dunkelheit und drückte einen Lichtschalter. Eine nackte Glühlampe an der Decke flammte auf.

»Nicht sehr komfortabel«, bemerkte Bud, als er sich an dem Hausfaktotum vorbeidrängte und die spärliche Möblierung sah. Er trat an das Dachfenster und warf einen nachdenklichen Blick hinaus in die Dunkelheit.

Irgendwo da draußen – er wusste nicht einmal die genaue Stelle – war er einer jungen Frau begegnet, die in panischer Angst vor etwas floh. Sollte er Fletcher fragen, ob er mehr darüber wusste?

Schon öffnete er den Mund, als er sich umdrehte und den Blick des alten Mannes auffing, der sich unbeobachtet fühlte. Bud fröstelte. Obwohl Fletcher sofort wieder ein dümmliches Grinsen zeigte, glaubte er, nackte Mordgier im Blick des Butlers gesehen zu haben.

»Danke, Fletcher«, sagte er mühsam. »Ich finde mich schon zurecht.«

Einen Moment blieb der Alte noch stehen, dann nickte er, entblößte grinsend seine Zähne und schlug hinter sich die Tür zu.

Bud Singleton schüttelte den Kopf. Entweder bildete er sich nur etwas ein, weil er übermüdet war und seine Nerven unter der Fahrt durch das Unwetter gelitten hatten, oder seine Zeit auf Sherbrook Manor hielt noch einige unangenehme Überraschungen für ihn bereit.

Mit einem sehr merkwürdigen Gefühl in der Magengegend begann er, seinen Koffer auszupacken.

Eine halbe Stunde später hatte Bud Singleton seine Arbeit beendet. Helen hatte so gut für ihn gepackt, dass sogar er mit seiner notorischen Ungeschicklichkeit in häuslichen Dingen sich gut zurechtfand.

Er griff bereits nach dem Pyjama, als ihm einfiel, dass er seit dem vergangenen Mittag keinen Bissen in den Magen bekommen hatte. Kurz hinter Edinburgh hatte das Unwetter eingesetzt, sodass er den Wagen nicht mehr verlassen wollte, um nicht zu spät bei seiner neuen Arbeitsstelle einzutreffen.

Einen Moment schwankte Bud, bis er sich entschied, unten in den Wirtschaftsräumen etwas Essbares zu suchen. Vielleicht war auch noch Fletcher wach, obwohl Bud ihm lieber aus dem Weg gegangen wäre.

Als er den Korridor im ersten Stock erreichte, fuhr er erschrocken zurück. Vor ihm stand wie aus dem Boden gewachsen eine Frau, die ihn ebenso überrascht anstarrte wie er sie.

»Oh, Verzeihung«, murmelte er und trat einen Schritt zurück. »Habe ich Sie erschreckt?«

Er konnte das Gesicht der Frau nicht genau sehen, da sich die einzige Lampe der Nachtbeleuchtung in ihrem Rücken befand und ihn blendete.

Sie zog ihren Hausmantel enger um ihren schlanken Körper und schüttelte den Kopf. »Nicht so schlimm«, sagte sie heiser. »Ich wollte mir nur etwas zu trinken holen. Ich friere so schrecklich. Sind Sie ein neuer Gast?«

»Mein Name ist Singleton, Bud Singleton«, stellte er sich vor. »Ich bin Mister Spencers neuer Sekretär.«

Erst jetzt fiel ihm auf, dass ihre Haare nass am Kopf klebten. Höflich ließ er ihr den Vortritt auf der Treppe. Als sie sich mit einem zaghaften Lächeln umwandte, biss er die Zähne zusammen, um sich nicht zu verraten.

Der Lichtschein fiel auf ihre Züge. Sie war sehr jung, Anfang zwanzig, schätzte Bud, sie war sehr hübsch, auffallend bleich, mit tiefen Ringen unter den Augen, Das Haar war nicht nur nass, sondern auch vollständig zerzaust.

Und er kannte diese Frau!

Er hatte sie schon einmal gesehen. Vor wenigen Stunden – draußen auf der Landstraße im Sturm. Darauf hätte er jeden Eid geschworen.

»Haben Sie keine Angst, dass Sie sich mit ihren nassen Haaren erkälten, Miss?«, fragte Bud mit belegter Stimme.

»Ich weiß nicht, ich glaube, ich habe mich bereits verkühlt«, antwortete sie mit einem gleichgültigen Schulterzucken. »Ich bin Samantha Hoggins … mit meinen Eltern … Urlaub …«

Sie sprach immer leiser, murmelte zuletzt nur noch. Rasch trat Bud einen Schritt vor, um ihr ins Gesicht sehen zu können. Ihre Augen waren starr und blickten durch eine der geöffneten Türen der Halle.

Bud wandte den Kopf und entdeckte Fletcher, der gebückt hinter der Tür in der Küche stand und sie beide lauernd beobachtete. Sobald der Butler sah, dass er bemerkt worden war, drehte er sich um und verschwand hinkend durch eine außerhalb von Buds Blickfeld liegende Tür.

»Wollten Sie nicht etwas trinken?«, fragte Bud Samantha Hoggins.

Sie zuckte zusammen und blinzelte, als erwache sie aus einem intensiven Traum. »Ach ja, danke, gute Nacht«, murmelte sie verwirrt und betrat einen der angrenzenden Räume. Als sie drinnen Licht einschaltete, entpuppte er sich als gemütlich eingerichteter Salon mit einer kleinen Bar.

Bud schwankte, ob er Samantha folgen sollte, entschied sich jedoch dafür, erst einmal in der Küche nachzusehen. Wie vermutet, war Fletcher verschwunden, und zwar hatte er einen Abstellraum für seinen Rückzug gewählt. Kopfschüttelnd schloss Bud die Tür und blickte sich in der Küche um.

Es gab keine Anzeichen dafür, dass Fletcher hier etwas für den nächsten Tag vorbereitet hatte. Weshalb schlich der Alte nachts durch das Schloss, und was hatte er in der Küche gesucht? Was war mit Samantha Hoggins los? In welcher Beziehung stand Fletcher zu ihr?

Rasch ging Bud hinüber in den Salon, doch Samantha war nicht mehr da. Nur das Licht brannte, eine angebrochene Whiskyflasche stand auf einem der Tische, daneben ein benütztes Glas.

Der nächtliche Vorfall auf der Landstraße konnte eine völlig harmlose Erklärung finden. Und doch war Bud überzeugt, dass mehr dahintersteckte, als er im Moment noch erahnte.

Entschlossen kehrte er in die Küche zurück, um seinen Hunger zu befriedigen, damit er endlich schlafen konnte und am nächsten Tag frisch war, wenn er sich Mr. Kendal Spencer präsentierte, seinem neuen Arbeitgeber.

Der Kühlschrank – ein riesiger, altmodischer Apparat, der einen Höllenlärm veranstaltete – bildete die nächste Überraschung für Bud Singleton. Er war praktisch leer!

Soweit Bud wusste, wurden die Gäste auf Sherbrook Manor auch verpflegt. Er konnte sich daher nicht vorstellen, dass es auf dem Schloss nicht mehr Lebensmittel gab. Doch seine Suche nach einer gefüllten Vorratskammer blieb vergeblich, sodass er sich mit einem harten Käse und einer angebissenen Wurst begnügen musste.

Kauend stand er vor dem offenen Kühlschrank, ignorierte den faden Geschmack von Käse und Wurst und versuchte, sich ein Bild von seinem neuen Arbeitsgebiet zu machen. Je länger er nachdachte, desto weniger verstand er.

»Verdammt, was haben Sie hier zu suchen?«, bellte plötzlich eine harte Stimme hinter ihm.

Bud wirbelte herum, ließ den Käse fallen und verschluckte sich fast an der Wurst. Er stand einem Mann gegenüber, der ihm auf den ersten Blick unsympathisch war, ganz abgesehen von seinem unfreundlichen Ton.

Der Mann hatte eng beisammenstehende, fiebrig glänzende Augen. Sein Gesicht zeigte einen hungrigen, fast schon gierigen Ausdruck. Um den Mund waren scharfe Falten eingegraben, die ihm zusammen mit den eingefallenen Wangen etwas Abstoßendes verliehen. Die hohe, schmale Stirn ging in einen fast kahlen Schädel über. Dichte schwarze Augenbrauen wuchsen bis zur Nasenwurzel. Die Nase selbst stach scharf aus dem Gesicht, schmal und mit einem harten Knick.

Bud Singleton sagte sich, dass man nicht nach dem Äußeren eines Menschen urteilen dürfe, konnte aber nicht gegen die in ihm erwachte Abneigung ankämpfen.

»Wer sind Sie überhaupt?«, fragte der Mann mit seiner schrillen Stimme.

»Bud Singleton, ich bin der neue …«

»Weiß schon!«, winkte der Mann mit der schmalen Nase ab und kam um den Küchentisch herum. Zwei Schritte vor Bud blieb er stehen. »Ich bin Kendal Spencer.«

Bud war unangenehm berührt. So hatte er sich seinen Chef nicht vorgestellt. Da Spencer keine Anstalten machte, ihn freundlicher zu begrüßen, verhielt er sich erst einmal abwartend. Nur den Käse hob er auf und warf ihn in den Abfalleimer, und der Kühlschranktür versetzte er einen Stoß.

»Sie waren nicht rechtzeitig zum Abendessen hier«, spielte Spencer auf Buds Kühlschrankplünderung an. »Wir legen Wert auf Pünktlichkeit und halten uns an vereinbarte Zeiten.«

»Ich auch«, erwiderte Bud schärfer als beabsichtigt. »Leider hielt sich das Unwetter nicht daran.«

»Sie haben Humor, junger Mann!«, rief Mr. Spencer krächzend. »Das ist gut, sehr gut sogar. Sie werden Humor bei Ihrer Arbeit brauchen. Immer Ärger mit den Gästen! Immer Ärger mit dem Personal! Morgen Früh – nein, heute Früh werde ich Ihnen Ihre Aufgaben erklären. Jetzt möchte ich schlafen. Verdammter Sturm, weckt mich immer wieder.«

Er raffte seinen Morgenmantel hoch, als wäre die Küche bereits überflutet. Ohne ein weiteres Wort wollte er den Raum verlassen, doch Bud handelte schnell. Er vertrat dem Schlossbesitzer den Weg.

»Was ist noch?«, rief Mr. Spencer und hob ruckartig den Kopf, um dem ihn um Haupteslänge überragenden Singleton ins Gesicht zu sehen. »Wollen Sie mir vielleicht ein Geständnis machen? Dass Sie doch nicht ohne weiblichen Anhang sind, wie ich in meinem Inserat verlangte? Haben Sie eine Freundin, die Sie von der Arbeit abhält? Oder?«

Bud dachte an seine Verlobte Helen, sagte nichts davon und schüttelte den Kopf. »Ich sah eine Frau auf der Straße zum Schloss«, begann er.

»Also doch eine Frau!«, schimpfte Spencer.

»Sie lief wie von Furien gehetzt durch den Regen, Mister Spencer«, fuhr Bud fort, sich nicht um den Zwischenruf kümmernd. »Als würde sie verfolgt. Sie hatte panische Angst.«

»Ach was!« Kendal Spencer reckte seinen schmalen Körper. »Was interessiert mich das?« Unmotiviert erschien auf seinem Gesicht ein abstoßendes Grinsen. »Vielleicht hatte sie Angst vor dem Spukschloss? Sie wissen doch, dass man sich unheimliche Geschichten über Sherbrook Manor erzählt?«, fügte er lauernd hinzu.

»Ich weiß«, Bud nickte, »aber das war es sicher nicht. Sie floh auch vor meinem Wagen – und ich fand sie wieder. Hier im Schloss. Sie gehört zu den Gästen – Miss Hoggins, Samantha Hoggins.«

»Hat sie Ihnen das gesagt? Nein? Sie schütteln den Kopf? Sehen Sie!«

»Ihre Haare waren nass und zerzaust«, führte Bud an. »Und sie wirkte sehr verstört.«

Kendal Spencer senkte den Kopf, blickte Bud schräg von unten her an. »Mister Singleton!«, peitschte seine Stimme durch die leere Küche. »Ihre Aufgabe ist es, sich um die kaufmännische Leitung des Hotelbetriebs zu kümmern. Alles andere hat Sie nicht zu interessieren, verstanden? Die Gäste gehen Sie nur etwas an, soweit es ihre Rechnungen und ihre Bestellung betrifft!«

Er schlurfte zur Tür, als wäre er plötzlich todmüde geworden. Im Türrahmen drehte er sich noch einmal um, musterte Bud mit einem verschleierten Blick.

»Erfüllen Sie Ihre Pflichten, Mister Singleton«, sagte er schleppend. »In Ihrem Interesse.«

Bud blickte hinter dem Schlossbesitzer her. Nein, dachte er und seufzte laut und vernehmlich, so hatte er sich seine neue Arbeit nicht vorgestellt!