Gespensterbuch & Wunderbuch - J. A. Apel - E-Book

Gespensterbuch & Wunderbuch E-Book

J. A. Apel

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Beschreibung

Gespensterbuch & Wunderbuch. Die bekannteste Gruselgeschichtensammlung der deutschen Schauerromantik nach den Originalausgaben von 1810 - 1817 vollständig in einem Band.

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Inhalt.

Gespensterbuch 1. Band

Der Freischütz (J. A. Apel)

Das Ideal (F. Laun)

Der Geist des Verstorbenen (F. Laun)

König Pfau (J. A. Apel)

Die Verwandtschaft mit der Geisterwelt (F. Laun)

Gespensterbuch 2. Band

Die Totenbraut (F. Laun)

Die Bräutigamsvorschau (J. A. Apel)

Der Totenkopf (F. Laun)

Die schwarze Kammer (J. A. Apel)

Das Todesvorzeichen (F. Laun)

Der Brautschmuck (J. A. Apel)

Kleine Sagen und Märchen (J. A. Apel)

Gespensterbuch 3. Band

Die Vorbedeutungen (F. Laun)

Klara Mongomery (J. A. Apel)

Die Gespensterleugner (F. Laun)

Das Geisterschloß (J. A. Apel)

Der Geisterruf (J. A. Apel)

Der Totentanz (J. A. Apel)

Gespensterbuch 4. Band

Zwei Neujahrsnächte (J. A. Apel)

Der verhängnisvolle Abend (F. Laun)

Zauberliebe (J. A. Apel)

Die Braut im Sarge (F. Laun)

Das unterirdische Glück (F. Laun)

Gespensterbuch 5. Band. (Wunderbuch 1. Band)

Der Hecketaler (F. Laun)

Der Liebesschwur (F. Laun)

Die Ruine von Paulinzell (J. A. Apel)

Die Hausehre (F. Laun)

Die Schuhe auf den Stangen. (J. A. Apel)

Legende (F. Laun)

Das silberne Fräulein (J. A. Apel)

Gespensterbuch 6. Band. (Wunderbuch. 2. Band)

Swanehild. (F. Laun)

Der Schutzgeist. (J. A. Apel)

Die Wachsfigur. (F. Laun)

Blendwerke. (F. Laun)

Das Meerfräulein. (F. Laun)

Der Mönch. (F. Laun)

Der rote Faden. (F. Laun)

Der Lügenstein. (F. Laun)

Gespensterbuch 7. Band. (Wunderbuch 3. Band)

Die drei Templer. (F. d. l. Motte Fouqué)

Der Liebesring. (F. Laun)

Die Jungfrau des Pöhlberges. (F. Laun)

Der Bergmönch. (K. B. v. Miltitz)

Die Fräulein vom See. (F. Laun)

Muhme Bleich. (K. B. v. Miltitz)

Friedbert. (K. B. v. Miltitz)

Altmeister Ehrenfried und seine Familie. (F. d. l. Motte Fouqué)

Anhang

Die Bilder der Ahnen. (A. Apel)

Die graue Stube. (H. Clauren)

Gespensterbuch

1. Band.

Vorrede.

DIE Freunde der Aufklärung dürften wohl erwarten, daß hinter dem Titel: Gespensterbuch, recht lebhafte Streiche gegen Glauben und Aberglauben geführt werden würden. Mit gleichem Recht könnte der berühmte Kenner des Geisterreichs sich überreden, unser Buch wolle seiner schwankenden Theorie eine freundliche Handreichung tun. Andere gehen vielleicht noch weiter, und hatten die Schrift für eine neue Ausgabe des bekannten Höllenzwanges.

Ob und inwiefern nun diese und ähnliche Erwartungen Bestätigung erhalten, darüber wird vermutlich das Buch selbst Auskunft geben, und die Nachrede vollends verraten, was die geneigten Leser, nach den Wünschen der Herausgeber, von dem Gespensterbuch hatten erwarten sollen.

F. Laun.

Der Freischütz.

Eine Volkssage.

ALTE Mutter“ – sagte der alte Förster Bertram in Lindenhain – „du weißt, ich tue dir gern alles zu Liebe, aber den Gedanken schlag dir aus dem Kopf, und bestärke mir auch das Mädchen weiter nicht drin. Schlags ihr rund ab, so weint sie ihr Tränchen und ergibt sich drein; mit dem langen Trödeln und Hinhalten, wird nichts gut gemacht.“

„Aber Väterchen“ – wandte die Försterin vorbittend ein – „kann denn unser Käthchen mit dem Amtsschreiber nicht ebenso glücklich leben, als mit dem Jäger Robert? Du kennst den Wilhelm noch gar nicht, er ist so ein braver Mensch, so herzensgut.“

„Aber kein Jäger“ – fiel der Förster ein – „Meine Försterei ist nun seit länger als zweihundert Jahren immer vom Vater zum Sohn vererbt. Hättest du mir einen Jungen gebracht, statt des Mädchens, da möcht' es sein, dem hinterließ ich meine Stelle, und das Mädel, wenn eins dazu gekommen wär, möchte freien, wen es wollte; aber so... nein! Erst hätt' ich Mühe, Angst und Wege gehabt, daß der Herzog meinen Schwiegersohn zum Probeschuß lassen will, wenn er nur sonst ein braver Jäger ist, und nun sollt' ich das Mädel verschleudern? Nein, Mutter Anne, auf den Robert besteh' ich just nicht; wenn er dir nicht gefällt, such' dem Mädel einen anderen flinken Jägerburschen aus, dem ich meine Stelle bei Lebzeiten übergeben kann, da wollen wir in Ruhe bei den Kindern unsere alten Tage verleben, aber mit dem Federschützen bleib mir vom Halse.“

Mutter Anne hätte gern noch ein gut Wort für den Amtsschreiber gesprochen, aber der Förster, der die Kraft der weiblichen Überredungskunst kannte, wollte seinen Entschluß nicht einem wiederholten Angriffe aussetzen; er nahm seine Flinte von der Wand und ging in den Wald.

Kaum war er um die Ecke des Hauses, da steckte Käthchen ihr blondes Lockenköpfchen freundlich zur Türe herein. „Istʼs gut gegangen. Mütterchen? Ja?“ – rief sie, und sprang nun munter in das Zimmer und an den Hals der Försterin.

„Ach, Käthchen, freue dich nicht zu sehr – sagte diese – der Vater ist gut, herzensgut, aber er gibt dich keinem anderen, als einem Jäger, und davon geht er nicht ab, da kenne ich ihn schon.“

Käthchen weinte und wollte lieber sterben als von ihrem Wilhelm lassen. Die Mutter tröstete und schmälte abwechselnd, endlich weinte sie mit der Tochter. Sie versprach eben noch einen Hauptsturm auf das Herz des Försters zu versuchen, da klopfte es an der Türe, und Wilhelm trat herein.

„Ach Wilhelm“ – rief ihm Käthchen mit verweinten Augen entgegen – „wir müssen scheiden! Suche dir ein ander Mädchen, mich sollst du nicht freien und ich dich nicht; der Vater will mich dem Robert geben, weil er ein Jäger ist, und die Mutter kann uns nicht helfen. Aber, muß ich auch von dir lassen, so will ich doch keines anderen sein, und bleibe dein, und dir treu bis zum Tode.“

Mutter Anne suchte den Amtsschreiber, der nicht wußte, was er aus Käthchens Reden machen sollte, zu besänftigen, und erzählte ihm, wie Vater Bertram gegen seine Person gar nichts einzuwenden hatte, aber nur seiner Försterei wegen durchaus darauf beständ einen Jäger zum Eidam zu haben.

„Ist es weiter nichts“ – sagte Wilhelm beruhigt, und drückte das weinende Mädchen an seine Brust – „so sei guten Mutes, liebes Käthchen. Ich bin der Jägerei nicht unkundig, denn ich habe bei meinem Ohm, dem Oberförster Finsterbusch, in Lehre gestanden, und mußte nur meinem Paten, dem Amtmann zu Lieb die Jagdtasche mit dem Schreibpulte vertauschen. Was hilft mir die versprochene Amtmannsstelle, soll ich mein Käthchen nicht als Frau Amtmannin in das Amthaus einführen? Willst du nicht höher hinaus, als deine Mutter, und ist dir der Förster Wilhelm so lieb, wie der Amtmann, so tausch' ich gleich, denn mir ist das lustige Jägerleben immer viel lieber gewesen, als das steife Leben in der Stadt.“

„O, du lieber, goldner Wilhelm“ – rief Käthchen, und alle Wolken waren von ihrer Stirn verschwunden, und nur ein glänzender Sonnenregen der Freude zitterte in ihren Augen – „willst du das, so sprich recht bald mit meinem Vater, eh' er vielleicht gar dem Robert sein Wort gibt.“

„Wart, Käthchen“ – sagte Wilhelm – „ich geh ihm gleich nach in den Wald. Er ist gewiß nach dem Hirsch, der morgen in das Amt geliefert werden soll. Gib mir Flinte und Tasche, ich such' ihn auf, stelle mich ihm mit einem Jägergruß vor, und biete ihm gleich meine Dienste als Jägerbursch an“.

Mutter und Tochter fielen ihm um den Hals, halfen den neuen Jäger, so gut sie konnten, aufputzen, und sahen ihm mit Hoffnung und Bangigkeit in den Wald nach.

2.

„Ein wackerer Bursch, der Wilhelm! – rief der Förster freudig, als die Jäger nach Haus kamen – wer hätt' in dem Federhelden solch einen Schützen gesucht? Nun, morgen sprech' ich selbst mit dem Amtmann, das wär doch Jammerschade, wenn der nicht bei der edlen Jägerei blieb! Aus dem wird ein anderer Kuno. Du weißt doch, wer der Kuno war?“

Wilhelm verneinte.

„Hab' ich dir das noch nicht erzählt“ – fuhr der Förster fort – „Sieh, das war mein Urältervater, der diese Försterei zuerst besessen und erbaut hat. Erst war er armer Reitersbub' und diente bei dem Junker von Wippach, der konnt' ihn wohl leiden, und nahm ihn überall mit sich in Fehden und zu Turnieren und Jagden. Einmal war dieser Junker von Wippach auch bei einer großen Jagd, die der Herzog hier hielt mit vielen Rittern und Edlen. Da jagten die Hunde einen Hirsch heran, auf dem saß ein Mensch, der kläglich die Hände rang und jämmerlich schrie, denn das war damals eine tyrannische Weise unter den Jagdherren, daß sie die armen Menschen, oft wegen geringer Jagdfrevel auf Hirsche schmiedeten, daß sie elendiglich zerstoßen und zerrissen wurden oder vor Hunger und Durst umkommen mußten. Wie der Herzog das ansichtig wurde, ward er über die Maße zornig, stellte gleich das Jagen ein, und verhieß einen großen Lohn, wenn sich jemand getraute den Hirsch zu treffen, dabei aber drohte er mit Ungnade und Bann, wenn der Schütze den Menschen verletzte, denn er wollte diesen lebendig haben, damit er wüßte, wer sich gegen sein Verbot solcher grausamen Tat erkühnt hätte. Da wollte sich nun niemand unter den Edlen finden, der den Schuß auf des Herrn Ungnade und Bann wagte. Endlich trat der Kuno vor, mein Urältervater, eben der, den du dort auf dem Bilde gemalt siehst, der sprach zum Herzog: Gnädigster Herr, wollt ihr mirʼs gestatten, so wag' ichʼs mit Gott, fehl' ich, so mögt ihr, wenn ihr wollt, mein Leben darum zur Buße nehmen, denn Reichtum und Güter hab' ich nicht, aber mich jammert des armen Menschen, würd' ich doch auch mein Leben dran setzen, wär' er unter Feinde oder Räuber gefallen. Das gefiel dem Herzog; er hieß den Kuno sein Glück versuchen, wiederholte ihm auch die Verheißung, doch ohne der Drohung zu gedenken, daß er ihn nicht furchtsam machte. Da nahm Kuno seine Büchse, spannte sie in Gottes Namen, und befahl die Kugel den heiligen Engeln mit einem gläubigen frommen Gebet. So schoß er wohlgemut ohne lang zu zielen in den Wald, und in dem Augenblicke floh der Hirsch heraus, stürzte und endete, aber der Mensch war unverletzt, ohne daß ihm Hände und Gesicht etwas vom Gesträuch zerritzt waren. Der Herzog hielt Wort und gab dem Kuno zum Lohn diese Försterei für sich und seine Nachkommen erblich. Aber von Glück und Geschick ist der Neid niemals weit, das erfuhr auch Kuno. Da waren viele, die seine Försterei auch gern für sich oder einen Vetter von der linken Seite gehabt hätten, die beschwatzten den Herzog, der Schuß wär mit Zauberei und Teufelskünsten geschehn, weil Kuno gar nicht gezielt, sondern einen Freischuß, der allemal treffen muß, ins Blaue hinein getan hätte, da wurde denn beschlossen, daß von Kunos Nachkommen jeder einen Probeschuß tun muß, eh' er die Försterei bekommt; den kann nun freilich der Landjägermeister, der die Probe abnimmt, schwer und leicht aufgeben. Ich mußte damals einem hölzernen Vogel, der an der Stange geschaukelt wurde, den Ring aus dem Schnabel schießen. Nun, bis jetzt hat noch keiner im Meisterschuß gefehlt, und wer einmal als mein Eidam mein Nachfolger wird, muß erst ein braver Jäger sein.“

Wilhelm hatte zu des Försters Freude mit sichtbarer Teilnahme der Erzählung zugehört. Jetzt faßte er lebhaft des Alten Hand, und versprach unter seiner Anleitung ein Jäger zu werden, dessen sich Urvater Kuno nicht schämen sollte.

3.

Noch nicht volle vierzehn Tage war Wilhelm als Jägerbursche in dem Forsterhause, als Vater Bertram, der ihn mit jedem Tag lieber gewann, die Einwilligung zu seiner Verbindung mit Käthchen förmlich erteilte. Nur sollte die Verlobung geheim gehalten werden bis zum Tage des Probeschusses, wo der Förster durch die Gegenwart des fürstlichen Landjägermeisters seinem Familienfeste noch mehr Feierlichkeit zu geben hoffte. Der Bräutigam schwebte in Entzücken und vergaß sich und die ganze Welt in dem offenen Himmel seiner Liebe, so daß ihn Vater Bertram mehrmals neckte, wie er kein Ziel mehr treffe, seit er Käthchen sich erzielt habe.

Wirklich aber hatte Wilhelm von seinem stillen Verlobungstage an ein ganz eignes Mißgeschick auf der Jagd. Bald versagte ihm das Gewehr, bald traf er statt des Wildes einen Baumstamm. Kam er nach Haus und leerte seine Jagdtasche, so fanden sich statt der Rebhühner Dohlen und Krähen, und statt des Hasens eine tote Katze. Der Förster machte ihm endlich ernsthafte Vorwürfe wegen seiner Unachtsamkeit, und Käthchen selbst fing an für den Probeschuß bange zu werden.

Wilhelm verdoppelte seine Aufmerksamkeit und seinen Fleiß; allein je näher der Tag rückte, an welchem er sein Probestück ablegen sollte, desto mehr verfolgte ihn das Unglück. Fast jeder Schuß mißriet; endlich fürchtete er sich beinah ein Gewehr loszudrücken, um nicht Schaden anzustiften, denn er hatte schon eine Kuh auf der Weide angeschossen und den Hirten beinahe verwundet.

„Ich bleibe dabei“, – sagte Rudolf, der Jägerbursch, eines Abends – „es hat jemand dem Wilhelm einen Weidemann gesetzt, denn mit natürlichen Dingen geht das nicht zu, und den muß er erst losen.“

„Rede nicht so albern“ – versetzte der Förster verweisend – „das ist abergläubisches Zeug, davon muß ein frommer Jäger gar nicht sprechen. Weißt du nicht mehr lieber Weidmann mein, welches die drei Stücke sein, die ein geschickter Weidemann haben soll und haben kann? Ho, ho, ho! sag,' an!“

Rudolf räusperte sich zum Weidspruch und sprach schnell: „Jo, ho, ho, mein lieber Weidmann, das will ich dir wohl sagen an: Gute Wissenschaft, Gewehr und Hund, der Weidmann braucht zu seinem Grund, wenn er was tüchtiges will verrichten, und sich nicht lassen gar vernichten, drum wird das gar wohl treffen ein…“

„Schon genug“ – fiel ihm der alte Bertram ins Wort – „mit den drei Dingen ist jeder Weidemann zu lösen, denn der heißt allemal entweder Faselhans oder Peter Ungeschick.“

„Mit Gunst, Vater Bertram“ – „entgegnete Wilhelm etwas verdrießlich – „hier ist mein Gewehr, den will ich sehen, der mir etwas daran aussetzen soll, und meine Wissenschaft – ich will mich nicht rühmen, aber jagdgerecht denk' ich zu sein, so gut wie ein anderer, gleichwohl istʼs als gingen meine Kugeln krumm, und als blies sie der Wind mir vor dem Lauf weg. Sagt mir nur, was ich machen soll, ich will ja gern alles tun!“

„Es ist wunderlich“ – murmelte der Förster, der nicht wußte, was er sagen sollte.

„Glaub mir nur Wilhelm“ – wiederholte Rudolf – „es ist nichts anders, als was ich gesagt habe. Geh einmal freitags um Mitternacht auf einen Kreuzweg und mache mit dem Ladestock oder mit einem blutigen Degen einen Kreis um dich, den segnest du dreimal, wie es der Priester macht, aber im Namen Samiel…“

„Schweig!“ – unterbrach ihn der Förster unwillig – „Weißt du, was das für ein Name ist? Das ist einer von des Teufels Heerscharen. Gott bewahre dich und jeden Christen davor!“

Wilhelm kreuzte sich ebenfalls, und wollte nichts weiter davon hören, wiewohl Rudolf auf seiner Meinung blieb. Er putzte die ganze Nacht an seinem Gewehr, untersuchte jede Schraube und jede Feder, und mit anbrechendem Morgen ging er aus, sein Glück von neuem zu versuchen.

4.

Aber alle Mühe war verloren, das Wild drängte sich um ihn und schien fast ihn zu necken. Zehn Schritt weit schoß er auf einen Rehbock, zweimal versagte ihm das Gewehr, das dritte mal geriet zwar der Schuß, aber das Wild floh unverletzt durch die Büsche.

Unmutig warf sich der unglückliche Jäger unter einen Baum, und verwünschte sein Schicksal, da rauschte es im Gebüsch, und ein alter Soldat mit einem Stelzfuß hinkte heraus.

„Holla, lieber Weidmann“ – redete er Wilhelm an – „warum so verdrießlich? Hast du Liebespein, fehltʼs im Beutel, oder hat dir jemand das Gewehr besprochen? Gib mir eine Pfeife Tabak, wir wollen eins zusammen plaudern.“

Wilhelm reichte ihm verdrießlich das Gebetene, und der Stelzfuß warf sich zu ihm ins Gras. Nach einigem Hin- und Herreden kam das Gespräch auf die Jägerei, und Wilhelm erzählte sein Unglück. Der Invalid ließ sich sein Gewehr zeigen.

„Das ist verzaubert“, sagte er, als er es kaum in die Hand genommen hatte, „damit wirst du keinen rechtschaffenen Schuß mehr tun, und ist dir der Weidemann recht nach der Kunst gestellt, so geht dirʼs mit jedem Gewehr so, daß du in die Hand nimmst.“

Wilhelm erschrak etwas, und wollte Einwendungen gegen den Hexenglauben des Fremden machen, allein dieser erbot sich zu einer Probe.

„Uns Kriegsleuten“ – sagte er – „ist das nichts seltenes, und ich wollte dir bis auf den Abend und tief in die Nacht hinein Wunderdinge erzählen. Wie wollten die Scharfschützen zurechtkommen, die sich überall hin wagen, und ihren Mann aus dem Pulverdampf heraus schießen, wo ihn kein Mensch sehen kann, wenn sie nicht andere Künste könnten als zielen und losdrücken. Da, zum Exempel hast du eine Kugel mit der du sicher treffen sollst, weil sie besondere Tugend hat und allem Hexenwerk, widersteht. Versuch' einmal gleich, es wird dir nicht fehlen.“

Wilhelm lud sein Gewehr und sah sich nach einem Ziel um. Ein großer Raubvogel schwebte hoch über dem Wald, wie ein beweglicher Punkt. „Schieß den Stößer da oben“, sagte der Stelzfuß. Wilhelm lachte, denn der Vogel schwebte in einer, kaum dem Aug' erreichbaren Höhe. „Ei, so schieß“ – wiederholte Jener, „ich verwette meinen Stelzfuß, er fällt.“

Wilhelm schoß, der schwarze Punkt senkte sich und ein großer Geier fiel blutend zu Boden.

„Das sollte dich nicht wundern“ – sagte der Invalid zu dem vor Verwunderung sprachlosen Jäger – „wenn du ein rechter Weidmann wärst. Solche Kugeln zu gießen ist noch lange kein Hauptstück in der Kunst und will bloß etwas Geschick und Herzhaftigkeit, weil es in der Nacht geschehen muß. Ich will dirʼs umsonst lernen, wenn wir wieder zusammen kommen, heute muß ich weiter, denn es schlug eben sieben. Versuch indessen noch ein paar von meinen Kugeln, du siehst mir immer noch aus, wie halb ungläubig. Auf Wiedersehn!“

Der Stelzfuß gab bei diesen Worten Wilhelm eine Hand voll Kugeln und hinkte weiter. Voll Verwunderung, versuchte Wilhelm eine zweite von seinen Kugeln, und traf wieder ein fast unerreichbares Ziel; er nahm die gewöhnliche Ladung und fehlte das leichteste. Jetzt wollte er dem Invaliden nach, aber dieser war im Wald nicht mehr zu finden, und Wilhelm mußte sich mit dem versprochenen Wiedersehn trösten.

5.

Im Försterhaus war große Freude, als Wilhelm wieder, wie sonst, mit einem Vorrat Wildbret ankam, und den Vater Bertram durch die Tat überzeugte, daß er noch der vorige brave Schütze sei. Et sollte nun die Ursache erzählen, warum ihn das Unglück bisher so wunderbar verfolgt habe, und was er getan, um sie zu heben; allein er scheute sich, ohne sich eines bestimmten Grundes bewußt zu werden, von den unfehlbaren Kugeln zu sprechen, und schob die Schuld auf einen Fehler am Gewehr, den er erst in voriger Nacht beim Putzen desselben entdeckt haben wollte.

„Siehst du, Mutter Anne“ – sagte nun der Förster lachend – „wie ichʼs gesagt habe: der Weidemann hat im Lauf gesteckt, und dein Kobold, der den Vater Kuno heut früh herunter geworfen hat, steckt in dem verrosteten Nagel.“

„Was ist das mit dem Kobold?“ – fragte Wilhelm.

„Nichts“ – erwiderte der Alte – „das Bild fällt heut Morgen, wie eben die Uhr sieben schlug, von selbst herunter, und da meint denn Mutter Anne gleich, es spukt.“

„Um Sieben!“ – wiederholte Wilhelm und der Stelzfuß fiel ihm ein, der um eben diese Stunde von ihm geschieden war.

„Freilich ist das keine rechte Zeit zum Spuken“ – fuhr der Förster fort, und klopfte Mutter Anne freundlich die Backen. Aber diese schüttelte noch bedenklich den Kopf: „Gott gebe, daß alles natürlich zugegangen ist“, sagte sie bedenklich, und Wilhelm entfärbte sich etwas. Er beschloß seine Kugeln beiseite zu legen, und nur zu seinem Probeschuß eine zu gebrauchen, um sein Glück nicht durch die Bosheit eines Feindes zu verscherzen. Allein der Förster nötigte ihn mit sich auf die Jagd, und wollte er nicht von neuem Mißtrauen gegen seine Geschicklichkeit erregen und den Alten erzürnen, so mußte er schon einige von seinen Zauberkugeln dran wagen.

6.

In wenig Tagen hatte sich Wilhelm an seine Glückskugeln so gewöhnt, daß er in ihrem Gebrauch nichts Bedenkliches mehr ahnete. Er ging täglich durch den Wald in der Hoffnung dem Stelzfuß wieder zu begegnen, denn sein Kugelvorrat hatte sich bis auf zwei vermindert, und wollte er seinen Probeschuß mit Sicherheit bestehen, so war die äußerste Sparsamkeit nötig. Er schlug sogar dem alten Förster heut seine Begleitung auf die Jagd aus; denn morgen wurde der Landjägermeister erwartet, und es konnte möglich sein, daß dieser noch außer dem eigentlichen Probeschuß einen Beweis seiner Geschicklichkeit zu sehen verlangte. Allein am Abend kam statt des Jägermeisters ein Bote, der eine starke Wildbretlieferung für den Hof bestellte, und die Ankunft seines Herrn auf acht Tage später ansagte.

Wilhelm glaubte zu Boden sinken zu müssen, und sein Erschrecken hätte Verdacht erregt, wären nicht alle geneigt gewesen, es der getäuschten Hoffnung des Bräutigams zuzuschreiben. Er mußte nun auf die Jagd, und wenigstens eine seiner Kugeln aufopfern. Von der anderen, schwur er, solle ihn nichts trennen, als der entscheidende Schuß am Verlobungstag.

Der Vater schmälte, als Wilhelm mit einem einzigen Hirsch von der Jagd zurückkam, denn die verlangte Lieferung war beträchtlich. Er zürnte am anderen Mittag noch mehr, als Rudolf mit reicher Beute, und Wilhelm ganz leer nach Haus kam. Am Abend drohte er ihn fortzuschicken, und die Einwilligung zu seiner Verbindung mit Käthchen zurückzunehmen, wenn er nicht den folgenden Morgen wenigstens noch zwei Rehböcke bringen würde. Käthchen war in der größten Angst, und bat ihn bei aller ihrer Liebe, doch ja allen Fleiß anzuwenden und lieber auf der Jagd gar nicht an sie zu denken.

So ging Wilhelm verzweiflungsvoll in den Wald. Käthchen sah er in jedem Fall für sich verloren, es blieb ihm nichts übrig, als die traurige Wahl, auf welche Art er sein Glück zerstören wollte.

Indem er, unfähig zu wählen, sich in Betrachtung seines Schicksals verlor, zeigte sich ihm ganz in der Nähe ein Rudel Rehe. Maschinenmäßig griff er nach seiner letzten Kugel; sie lastete ihm zentnerschwer in der Hand. Schon wollte er sie zurückfallen lassen, entschlossen den Schatz zu bewahren, es koste, was es wolle. Da sah er in der Ferne den Stelzfuß auf sich zukommen; freudig ließ er die Kugel in den Lauf rollen, drückte los, und zwei Rehböcke sanken zu Boden. Wilhelm ließ sie stürzen und eilte nach dem Invaliden, aber dieser mußte einen anderen Weg eingeschlagen sein; er war nicht zu finden.

7.

Vater Bertram war mit Wilhelm zufrieden, aber dieser ging den ganzen Tag in stiller Verzweiflung umher, und selbst Käthchens Liebkosungen vermochten nicht ihn aufzuheitern.

Auch am Abend saß er noch ganz stumm und bemerkte kaum, daß der Förster mit Rudolf in ein ziemlich lebhaftes Gespräch geraten war, bis ihm endlich jener aus seiner Betäubung weckte.

„Das darfst du nun so wenig dulden als ich, Wilhelm“ – rief er dem Träumenden zu – „daß jemand unserem Altvater Kuno solche Dinge nachsagt, wie der Rudolf eben. Haben die Engel damals ihm und dem armen unschuldigen Menschen beigestanden, wie wir von ihrem englischen Schutz im alten Testament mehr Exempel lesen, so wollen wir Gottes wunderbare Güte preisen, aber Teufelskünste laß ich meinem Urvater nicht nachsagen. Er starb sanft und selig auf seinem Bett unter Kindern und Enkeln, aber wer Teufelskünste treibt, mit dem nimmtʼs niemals ein gutes Ende, wie ich selbst angesehen habe, als ich noch bei Prag im Böhmischen lernte.“

„O, erzählt doch, wie das war“, rief Rudolf, und die anderen stimmten bei.

„Schlimm genug war es“ – fuhr der Förster fort – „es graut mir noch, wenn ich daran denke. Da war damals in Prag ein junger Mensch, Georg Schmitz hieß er, ein verwegener, wilder Bursch, sonst aber brav und flink, der war ein starker Liebhaber von der, Jagd, und so oft er konnte, kam er zu uns. Er wär auch ein tüchtiger Jäger geworden, aber er war zu flüchtig und schoß daher oft neben weg. Einmal, wie wir ihn damit aufzogen, vermaß er sich hoch, er wolle bald besser schießen als alle Jäger und es solle ihm kein Wild entgehen, weder in der Luft noch im Gebüsch. Aber er hielt schlecht Wort. Ein paar Tage drauf pocht uns früh ein unbekannter Jäger heraus, und sagt' an, draußen auf der Straße liege ein Mensch halbtot und ohne Hilfe. Wir Burschen machen uns gleich auf und hinaus, da liegt der Georg überall blutig und zerkratzt, als war er unter wilden Katzen gewesen, sprechen konnte er nicht, denn er war ganz besinnungslos und gab kaum ein Lebenszeichen von sich. Wir trugen ihn gleich ins Haus, und einer meldet es in Prag, wo er auch bald abgeholt wurde. Da hat er denn vor seinem Ende ausgesagt, daß er mit einem alten Bergjäger habe Freikugeln gießen wollen, die allezeit treffen, und weil er etwas dabei versehen, habe ihn der Teufel so zugerichtet, daß erʼs mit seinem Leben bezahlen müsse.“

„Was hatte er denn versehen“ – fragte Wilhelm bebend – „ist denn der Teufel bei solchen Künsten allemal im Spiel?“

„Wer sonst?“ – erwiderte der Förster. – „Ich weiß wohl, manche schwatzen von verborgenen Naturkräften und vom Einfluß der Sterne; nun, ich will niemand seinen Glauben nehmen, aber ich bleibe dabei, es ist Teufelsspiel.“

Wilhelm schöpfte etwas freier Atem. „Hat denn der Georg nicht erzählt, was ihn so übel zugerichtet?“ fragte er den Förster.

„Freilich“ – antwortete dieser – „vor Gericht hat erʼs ausgesagt. Er war gegen Mitternacht mit dem Bergjäger auf einen Kreuzweg gegangen; da hatten sie mit einem blutigen Degen einen Kreis gemacht, und den mit Totenschädeln und Knochen kreuzweis belegt. Drauf hatte der Bergjäger Schmidt unterrichtet, was er zu tun habe. Er solle nämlich mit dem Schlag elf Uhr anfangen die Kugeln zu gießen, nicht mehr und nicht weniger als dreiundsechzig, eine über oder unter diese Zahl, wenn die Glocke Mitternacht schlüge, so wär er verloren, auch dürfe er während der Arbeit weder ein Wort sprechen, noch aus dem Kreise treten, es geschehe um ihm, was nur immer wolle. Dafür müßten aber auch sechzig, von seinen Kugeln unfehlbar treffen, und nicht mehr als drei würden fehlen. Schmidt hatte nun wirklich das Gießen angefangen, aber, wie er sagte, so grausame und erschreckliche Erscheinungen gesehen, daß er endlich laut aufgeschrien und aus dem Kreise gesprungen, worauf er denn bewußtlos zu Boden gefallen, und sich nicht eher besonnen, bis er in Prag unter den Händen der Ärzte, und dem Zuspruch der Geistlichen, wie aus einem Traum erwacht sei.“

„Gott bewahre jeden Christen vor solchen Schlingen des Satans“ – sagte die Försterin und bekreuzte sich.

„Der Georg hatte also wohl ordentlich einen Pakt mit dem Satan gemacht?“ – fragte Rudolf weiter.

„Das will ich nicht grade behaupten – versetzte der Förster – „denn es heißt: richtet nicht. Aber das bleibt doch immer ein schwerer Frevel, wenn der Mensch sich in Dinge einläßt, wo der Böse leicht an ihn kommen, und ihm an Leib und Seele verderblich werden kann. Der Feind kommt Wohl von selbst, ohne daß der Mensch ihn ruft, oder ein Pakt mit ihm schließt. Ein frommer Jäger braucht das auch nicht, du hast es nur erst erprobt, Wilhelm, gut Gewehr und gute Wissenschaft, da braucht der Jäger keine Freikugel, und trifft doch wohin er soll. Ich möcht' auch um keinen Preis eine solche Kugel abschießen, denn der Feind ist ein arger Schalk, und könnte mir einmal die Kugel nach seinem Ziel führen, statt nach dem meinen.“

8.

Der Förster ging schlafen und ließ Wilhelm in der peinlichsten Unruhe. Er warf sich vergebens auf sein Lager, der Schlaf floh seine Augen. Der Stelzfuß, Georg, Käthchen, der fürstliche Kommissar, der den Probeschuß verlangte, schwebten abwechselnd seinen Augen vor, und eine fieberhafte Phantasie verwirrte ihre Gestalten zu furchtbaren Gruppen. Bald drohte ihm der unglückliche Geisterbeschwörer warnend als ein blutiges Schreckbild, bald verwandelte sich seine drohende Miene in Käthchens hinsterbendes, totenbleiches Gesicht, und der Stelzfuß stand mit höllischem Hohngelächter daneben. Bald stand er selbst, zum Probeschuß fertig, vor dem fürstlichen Kommissar, er zielte, schoß und – fehlte. Käthchen sank in Ohnmacht, der Vater verstieß ihn, da kam der Stelzfuß und brachte ihm neue Kugeln – zu spät, kein zweiter Schuß war ihm verstattet. So verstrich ihm die Nacht. Mit dem frühesten Morgen ging er in den Wald, und nicht ganz absichtlos nach der Stelle, wo der Invalid ihm begegnet war. Die frische, klare Morgenluft hatte die düsteren Bilder der Nacht in ihm verweht. „Tor“ sprach er zu sich selbst, „weil du das Geheimnisvolle nicht begreifst, muß es darum ein feindliches Geheimnis sein? Und ist es so unnatürlich, was ich suche, daß Geisterhilfe dazu nötig wär? Der Mensch bändigt den mächtigen Trieb des Tieres, daß es nach des Herrn Willen sich bewegt, warum sollt' er nicht durch natürliche Kunst den Lauf

des toten Metalls lenken können, das erst durch ihn Bewegung und Kraft erhält? Die Natur ist so reich an Wirkungen, die wir nicht begreifen, sollt' ich mein Glück um eines Vorurteils willen verscherzen? Geister werd' ich nicht rufen, aber die Natur und ihre verborgenen Kräfte will ich auffordern und gebrauchen, auch wenn ich ihre Geheimnisse zu entziffern nicht vermögend bin. Ja, ich suche den alten Stelzfuß auf, und find' ich ihn nicht, – nun ich werde beherzter sein, als jener Georg“, ihn stachelte Übermut, „mich ruft Lieb' und Ehre.“

Allein der Stelzfuß war nicht zu finden, so angelegentlich auch Wilhelm suchte. Niemand von allen, die er fragte, wollte einen Menschen, wie er ihn beschrieb, gesehen haben.

Der folgende Tag verging unter ebenso fruchtlosen Nachforschungen.

„So sei es denn!“ – beschloß Wilhelm – „die Tage sind mir zugezählt. In dieser Nacht noch geh ich auf den Kreuzweg im Wald. Dort ist es einsam, niemand sieht meine nächtliche Arbeit und den Kreis verlasse ich nicht, bis mein Werk vollendet ist.“

9.

Der Abend dämmerte, und Wilhelm hatte sich mit Blei, Kugelform, Kohlen und allem Nötigen versehen, um nach dem Abendessen unvermerkt das Haus verlassen zu können. Er wollte sich eben entfernen und wünschte dem alten Förster eine ruhige Nacht, als dieser seine Hand faßte.

„Wilhelm“ – sprach er – „ich weiß nicht, wie mir so sonderbar zu Mut ist, ich fühle mich beklommen, daß ich mich vor dieser Nacht fürchte, wer weiß, was mir bevorsteht. Willst du mir einen Gefallen tun, so bleib diese Nacht bei mir, du mußt dir darum nicht bange sein lassen, es ist nur für mögliche Fälle.“

Käthchen erbot sich sogleich, bei ihrem Vater zu wachen, und wollte seine Pflege niemand anders, selbst ihrem Wilhelm nicht anvertrauen, aber Vater Bertram wies sie zurück. „Ein andermal kannst du bleiben – sagt er – „heut' ist mirʼs als wär ich ruhiger, wenn ich den Wilhelm bei mir habe.“ Wilhelm hätte gern Einwendungen gemacht, aber Käthchen empfahl ihm die Pflege ihres Vaters so dringend und mit so unwiderstehlichen Bitten, daß er gern blieb und seinen Vorsatz bis zur folgenden Nacht aufschob.

Nach Mitternacht ward Vater Bertram ruhig und schlief fest, so daß er am Morgen selbst über seine Angst lächelte. Er wollte mit Wilhelm in den Wald, allein dieser hoffte auf den unsichtbar gewordenen Unbekannten, und hielt den Förster mit scheinbarer Besorgnis um seine Gesundheit ab. Der Invalid zeigte sich nicht und Wilhelm beschloß zum zweitenmal den Gang auf den Kreuzweg.

Als er am Abend von der Jagd zurückkam, sprang ihm Käthchen freudig entgegen. „Rat' einmal, Wilhelm“ – rief sie – „wen du bei uns findest. Du hast Besuch bekommen, recht lieben Besuch; aber ich sag' es dir nicht, du mußt raten.“

Wilhelm war nicht aufgelegt zum Raten und noch weniger Besuch zu sehen, denn der liebste war ihm heut ein unwillkommener Störer. Er wies Käthchens Freude mit Unmut zurück, und sann auf einen Vorwand umzukehren, da öffnete sich die Tür des Hauses und der Mond beleuchtete einen ehrwürdigen Greis in Jägerkleidung, der heraustretend die Arme gegen Wilhelm ausbreitete.

„Wilhelm!“ rief ihm eine bekannte freundliche Stimme zu, und Wilhelm fühlte sich von den Armen seines Oheims umfangen.

Die ganze Zaubergewalt schöner Erinnerungen von kindlicher Liebe, Freude und Dankbarkeit drang mächtig auf Wilhelm ein, und vergessen war das nächtliche Vorhaben, als mitten im frohen Gespräch die Mitternachtsstunde schlug und Wilhelm schauerlich an das Versäumte erinnerte.

„Noch eine Nacht nur ist mir übrig“ – dacht' er – „morgen oder nie! – Die heftige Bewegung in seinem Innern entging selbst dem Greise nicht, aber gutmütig suchte er den Grund in Wilhelms Ermüdung, und entschuldigte sich des langen Gesprächs wegen mit seiner Abreise, die er nicht länger als bis morgen früh verschieben könne. „Laß dich das Stündchen heut nicht reuen – sagte er beim Auseinandergehen zu Wilhelm – „du schläfst vielleicht nun um so sanfter.“

Für Wilhelm hatten diese Worte einen tieferen Sinn. Er ahnete dunkel, daß die Ausführung seines Vorhabens die Ruhe des Schlafs von ihm scheuchen könnte.

10.

Der dritte Abend kam. Was getan werden sollte, mußte heut geschehen, denn auf morgen war die Probe angesetzt. Den ganzen Tag hatte Mutter Anne mit Käthchen im Hause herumgeschäftert, um den vornehmen Gast anständig zu empfangen. Am Abend war alles auf das Beste geschmückt. Mutter Anne umarmte Wilhelm, als er von der Jagd zurückkehrte, und begrüßte ihn zum erstenmale mit dem liebevollen Sohnesnamen. In Käthchens Augen glühte die zarte Sehnsucht einer jungen liebeglühenden Braut. Der Tisch war festlich mit deutungsvollen Blumen geschmückt, und reicher als sonst mit Wilhelms Lieblingsspeisen von der Mutter, und mit lange gesparten Flaschen von dem Vater besetzt. „Heute ist unser Fest“, sagte der alte Förster, indem er in seinem Bräutigamsschlafrock hereintrat, „morgen sind wir nicht allein und können nicht so traulich und herzlich beieinander sitzen, drum laßt uns froh sein, als wollten wir heute für das ganze Leben uns freuen.“

Er umarmte alle, und war bewegt, daß ihm die Stimme versagte. „Nun, Väterchen“ – sagte die Försterin mit bedeutendem Lächeln – „ich denke doch, die jungen Leute werden morgen noch froher sein, wie heute, verstehst du mich?“

„Ich versteh dich wohl, Mutter“ – erwiderte der Förster – „mögenʼs denn die Kinder auch verstehen, und sich voraus freuen. Kinder, der Pfarrer ist auf morgen miteingeladen, und wenn der Wilhelm gut geschossen hat…“

Ein Geprassel und ein lauter Schrei von Käthchen unterbrach hier den Förster Kunos Bild fiel wieder von der Wand und die Ecke des Rahmens verwundete Käthchen an der Stirn. Der Nagel schien zu locker in der Wand gestanden zu haben, denn er fiel mit der Kalkbekleidung nach.

„Ich weiß auch nicht“ – sagte der Förster verdrießlich – „warum das Bild nicht ordentlich aufgehängt wird, das ist nun das zweitemal, daß es uns erschreckt. Hast du Schmerz, Käthchen?“

„Es ist unbedeutend“ – versetzte sie freundlich und wischte das Blut aus den Locken – „ich bin nur sehr erschrocken.“

Wilhelm war fürchterlich bewegt, als er Käthchens totenbleiches Gesicht und das Blut an ihrer Stirn sah. So hatte sie seine Phantasie in jener entsetzlichen Nacht ihm gezeigt, und alle diese Bilder wurden jetzt aufgeregt und folterten ihn von neuem. Sein Vorsatz diese Nacht das zweideutige Werk zu beginnen, war heftig erschüttert, aber der Wein, den er, um seine innere Qual zu verbergen, schneller und häufiger als gewöhnlich trank, erfüllte ihn mit einem wilden Mut, er beschloß von neuem, kühn das Wagstück zu unternehmen, und sah in seinem Vorhaben nichts als den schönen Kampf der Liebe und des Mutes mit der Gefahr.

Die Glocke schlug jetzt Neun. Wilhelm pochte das Herz gewaltig. Er suchte einen Vorwand sich zu entfernen; vergebens, wie konnte der Bräutigam am Hochzeitvorabend die Braut verlassen? Die Zeit flog ihm pfeilschnell vorüber, er litt namenlose Qualen in den Armen der belohnenden Liebe. Zehn Uhr war nun vorüber, der entscheidende Augenblick war gekommen. Ohne Abschied schlich Wilhelm sich von der Seite der Braut; schon war er mit seinen Werkzeugen vor dem Hause, da kam die Mutter ihm nach. Wohin, Wilhelm? fragte sie ängstlich. Ich habe ein Wild angeschossen, und es im Taumel vergessen, war die Antwort. Vergebens bat sie, vergebens schmeichelte ihm Käthchen, die in seiner verstörten Eile etwas ahnete, was ihr unerklärlich schien. Wilhelm drängte beide zurück und eilte in den Wald.

Der Mond war im Abnehmen und stieg dunkelrot am Horizont herauf.

11.

Graue Wolken flogen vorüber und verdunkelten zuweilen die Gegend, die bald darauf sich wieder plötzlich vom Mondstrahl aufhellte. Die Birken und Espen standen wie Gespenster im Wald und die Silberpappel schien Wilhelm wie eine weiße Schattengestalt zurückzuwinken. Er schauderte und die wunderähnliche Störung seines Vorhabens in den letztvergangenen Nächten, das bedeutende, wiederholte Fallen des Bildes schien ihm die letzte Abmahnung seines weichenden Schutzgeistes von einer bösen Tat zu sein.

Noch einmal schwankt' er im Vorsatz. Schon wollt' er umkehren, da war es, als flüsterte ihm eine Stimme zu: „Tor! Hast du nicht schon den Zauber gebraucht, scheuest du nur die Mühe des Erwerbs?“ – Er stand, der Mond trat glänzend aus der dunklen Wolke und beleuchtete das friedliche Dach der Försterwohnung. Wilhelm sah Käthchens Fenster im Silberglanz flimmern, er breitete seine Arme aus und schritt bewußtlos nach der Heimat zurück! Da flüsterte die Stimme von neuem, ein heftiger Windstoß brachte den Schlag des zweiten Stundenviertels. „Fort, zur Tat!“ rief es um ihn; „Zur Tat“, wiederholte er laut, „feig ist es und kindisch auf halbem Wege umzukehren, töricht das Große aufzugeben, wenn man um kleineres schon vielleicht – sein Heil gewagt hat. Ich will vollenden.“

Er schritt mit großen Schritten vorwärts, der Wind jagte die zerrissenen Wolken wieder vor den Mond, und Wilhelm trat in die dichte Finsternis des Waldes.

Jetzt stand er auf dem Kreuzweg. Der Zauberkreis war gezogen, die Schädel und Totenbeine rings umher gelegt. Der Mond hüllte sich immer dichter in das Gewölk, und ließ die düstern Kohlen, von abwechselnden Windstößen aufgeblasen, allein die nächtliche Tat mit einem trüben rötlichen Scheine beleuchten. In der Ferne schlug eine Turmuhr das dritte Stundenviertel an; Wilhelm legte die Gießkelle auf die Kohlen, und warf das Blei hinein, nebst drei Kugeln, die schon früher einmal getroffen hatten, denn von diesem Gebrauch der Freischützen erinnerte er sich in seiner Lehrzeit gehört zu haben. Im Walde fing es nun an sich zu regen. Zuweilen flatterten Eulen, Fledermäuse, und anderes lichtscheues Nachtgeflügel vom Schein geblendet, auf. Sie fielen von ihren Zweigen und setzten sich um den Zauberkreis, wo sie dumpf krächzend mit den Totenschädeln unverständliche Gespräche zu halten schienen. Ihre Zahlvermehrte sich, und unter ihnen huschten neblichte Gestalten, wie Wolken hin, bald tierähnlich, bald menschlicher gebildet. Der Windstoß spielte mit ihren trüben Dunstkörpern, wie mit abendlichem Taugewölk, nur eine stand schattenähnlich, aber unverändert unfern dem Kreis und blickte starr und wehmütig auf Wilhelm. Zuweilen hob sie die blassen Hände klagend empor, und schien zu seufzen. Die Kohlen brannten düstrer, wenn sie die Hände erhob, aber eine graue Eule schwang die Flügel und fachte die verlöschenden an. Wilhelm wandte sich ab, denn das Angesicht seiner toten Mutter schien aus der düstern Gestalt mit klagender Wehmut ihn anzublicken.

Da schlug die Glocke Elf. Die weiße Gestalt verschwand seufzend. Die Eulen und Nachtraben flatterten krächzend auf, die Schädel und Totenbeine rasselten unter ihren Flügeln. Wilhelm kniete an seinem Kohlenherd, er goß, und mit dem letzten Glockenschlag fiel die erste Kugel aus der Form.

12.

Die Eulen und Totenbeine ruhten. Aber auf dem Wege kam ein altes, gebücktes Mütterchen auf den Zauberkreis los. Sie war ringsum mit hölzernen Löffeln, Rührkellen und anderen, Küchengerät behangen, und machte ein fürchterliches Geklapper, die Eulen krächzten ihr entgegen und streichelten sie mit ihren Flügeln. Am Kreise bückte sie sich nach den Knochen und Schädeln, aber die Kohlen sprühten nach ihr und sie zog die dürren Hände zurück. Da ging sie um den Kreis und hielt Wilhelmen grinsend ihre Ware entgegen. „Gib mir die Knöchelchen“ – gurgelte sie ihm zu – „ich geb dir ein Löffelchen, gib mir die Schädel, was soll dir der Bettel? Kann dir nichts frommen, wirst nicht entkommen, mußt mit zum Hochzeitreihn, lieb Bräutgam mein.“

Wilhelm schauderte, doch blieb er still und eilte mit seiner Arbeit. Das alte Weib war ihm nicht unbekannt. Eine wahnsinnige Bettlerin war sonst öfters in diesem Aufzug in der Nachbarschaft umhergegangen, bis sie endlich im Irrenhaus eine Versorgung gefunden hatte. Er wußte nicht, war es Wirklichkeit oder ein Trugbild, was sich ihm darstellte. Nach einer Weile warf die Alte zornig ihren Vorrat ab, und mit den Worten: „Nimm das zur Polternacht, das Brautbett ist gemacht, morgen, wenn Abend graut, bist du mir angetraut, komm bald, feins Liebchen!“ trippelte sie langsam in den Wald.

Plötzlich rasselte es, wie Räder und Peitschengeknall. Ein Wagen kam mit einem Sechsgespann und Vorreitern. „Was soll das hier auf der Straße?“ rief der vorderste; „Platz da!“ Wilhelm blickte auf, dem Hufschlag der Pferde entsprangen Funken, und um die Wagenräder leuchtete es wie phosphorischer Schein. Wilhelm ahnete ein Zauberwerk und blieb ruhig. „Hinan, hinan, hinüber, darüber, im tollen Lauf hinan, hinauf!“ rief der Vorreiter zurück, und im Augenblick stürmte die ganze Schar auf den Kreis los. Wilhelm stürzte zu Boden, als die Pferde hoch über seinem Kopf bäumten, aber die luftige Reiterei sauste mit dem Wagen in die Luft, drehte sich einigemal über den Zauberkreis und verschwand in einem Sturm, der die Wipfel zerriß und die Zweige weit umher streute.

Es verging einige Zeit, eh sich Wilhelm vom Schreck erholte. Er zwang seine zitternden Hände fest zu halten und goß ungestört einige Kugeln. Da schlug die ferne, ihm wohl' bekannte Turmglocke. Tröstend, wie eine freundliche Stimme schallte ihm der Klang aus der Menschenwelt in den furchtbaren abgesonderten Kreis herüber, aber die Glocke schlug zweimal, dreimal. Er schauderte über den blitzschnellen Verlauf der Zeit, denn noch war nicht der, dritte Teil seiner Arbeit vollendet – Sie schlug zum viertenmal. Wilhelms Kraft war vernichtet, jedes Glied schien gelähmt und die Gießform entsank seiner bebenden Hand. Er horchte mit verzweifelnder Resignation auf den Schlag der vollen Stunde, der Klang säumte, zögerte, blieb aus. Ein Spiel mit dem Schall der ernsten Mitternachtsstunde schien selbst den furchtbaren Mächten der Tiefe zu gewagt. Voll froher Ahnung ergriff Wilhelm seine Uhr, sie zeigte das zweite Viertel der Stunde. Er blickte dankbar zum Himmel, und eine fromme Empfindung mäßigte seinen Jubel, der gegen die Gesetze der dunkeln Welt eben in einem lauten Ausruf sich Luft machen wollte.

Gefaßt und gestärkt gegen neue Täuschung ging er mutig wieder an sein Werk. Tiefe Stille war rings um ihn, nur die Eulen schnarchten und stießen zu Zeiten die Schädel gegen die Totenknochen. Auf einmal knisterten die Büsche. Der Ton war dem kundigen Jäger nicht fremd, er blickte hin, und, wie er vermutete, eine wilde Bache brach durch das Gebüsch und rannte auf den Kreis los. Wilhelm ahnete hier keine Täuschung, er sprang auf, faßte sein Gewehr und drückte es schnell auf das wilde Tier los, aber kein Funken sprang aus dem Stein, er zog den Hirschfänger, aber das borstige Untier fuhr, wie zuvor Wagen und Pferde, über ihn in die Luft und verschwand.

13.

Der geängstete Wilhelm eilte, die verlorene Zeit einzubringen. Sechzig Kugeln waren gegossen, er blickte froh empor, die Wolken öffneten sich und der Mond warf seine hellen Strahlen wieder auf die Gegend. Da rief eine ängstliche Stimme im Walde: „Wilhelm! Wilhelm!“ Es war Käthchens Stimme. Wilhelm sah sie ans dem Gebüsch treten und furchtsam umherblicken. Hinter ihr keuchte das alte Weib und streckte die dürren Arme spinnenartig nach der Fliehenden, deren flatterndes Gewand sie zu erhaschen suchte. Käthchen sammelte die letzten ermattenden Kräfte zur Flucht, da trat ihr der Stelzfuß in den Weg, sie stockte einen Augenblick im Lauf, und jetzt faßte sie die Alte mit den entfleischten Knochenhänden. Wilhelm hielt sich nicht länger, er warf die Form mit der letzten Kugel aus der Hand, und eben wollt' er den Zauberkreis überspringen, da schlug die Glocke Mitternacht, das Zauberbild war verschwunden, die Eulen warfen flatternd Knochen und Schädel untereinander und flogen davon. die Kohlen verloschen, und Wilhelm sank erschöpft zu Boden.

Jetzt kam auf schwarzem Roß langsam ein Reiter heran. Er hielt vor dem zerstörten Zauberkreise. „Du hast deine Probe gut bestanden“, sprach er, „was begehrst du von mir?“

„Nichts von dir“ – antwortete Wilhelm – „was ich brauche, hab' ich mir selbst bereitet.“

„Mit meiner Hilfe“ – fuhr der Fremde fort – „darum gehört mir mein Teil.“

„Mit Nichten“ – rief Wilhelm – „ich habe dich weder gedungen noch dir gerufen.“

Der Reiter lächelte höhnisch. „Du bist kühner“ – sprach er – „als deinesgleichen sonst zu sein pflegen. Nimm die Kugeln, die du bereitet hast. Sechzig für dich, drei für mich; jene treffen, diese äffen, auf Wiedersehn, dann wirst duʼs verstehn.“

Wilhelm wandte sich ab. „Ich will dich nicht wiedersehen“ – rief er – „verlaß mich!“

„Warum wendest du dich von mir?“ – fragte der Fremde mit furchtbarem Lächeln – „kennst du mich?“

„Nein, nein!“ – schrie Wilhelm schaudernd – „ich will dich nicht kennen, ich weiß nichts von dir! Wer du sein magst, verlaß mich!“

Der schwarze Reiter wendete sein Roß. „Dein aufsteigendes Haupthaar“ sagte er mit dumpfem Ernst – „gesteht, daß du mich kennst. Ich bin der, den mit Schauder im Geist du sträubend nennst.“

Mit diesen Worten verschwand er, und die Bäume, unter welchen er gehalten hatte, senkten verdorrte Äste zum Boden.

14.

„Barmherziger Gott, Wilhelm, was ist dir geschehen?“ – riefen Käthchen und Mutter Anne, als Wilhelm nach Mitternacht bleich und verstört nach Haus kam – „du siehst, wie aus dem Grabe gestiegen.“

„Es ist von der Nachtluft“ – antwortete Wilhelm – „mir ist in der Tat etwas fieberhaft.“

„Wilhelm“ – sagte der Förster, der eben hinzutrat – „dir ist etwas im Wald begegnet. Warum ließest du dich nicht halten? Mir machst du keinen blauen Dunst.“

Wilhelm war über den Ernst des Vaters betroffen. „Nun ja“ – erwiderte er – „mir ist wirklich etwas begegnet. Aber geduldet euch neun Tage. Früher, wißt ihr selbst…“

„Gern, lieber Sohn, gern!“ – fiel der Alte ein – „Gottlob, wenn es etwas ist, was neun Tage geheim bleiben muß. Laß ihn ruhig, Mutter, stör' ihn nicht, Käthchen! Ich hatte beinah dir Unrecht getan, guter Wilhelm! Nun gehʼ, erhole dich, die Nacht, sagt das Sprichwort, ist keines Menschen Freund, aber fasse nur Mut, wer in seinem Beruf ist und auf guten Wegen geht, dem schadet auch der Nachtspuk nicht.“

Wilhelm hatte alle Verstellungskunst nötig, um nicht zu verraten, wie sehr des Alten Ahnung mit der Wahrheit übereinkam. Die schonende Liebe des Vaters, sein unerschüttertes Vertrauen, wo alles auf schwere Verschuldung deutete, zerriß sein Herz. Er eilte auf sein Zimmer, entschlossen das Zauberwerk zu vernichten. „Nur eine Kugel“ – „nur eine will ich

Brauchen“ – rief er weinend mit gefalteten Händen zum Himmel – „O die Absicht darf doch einmal das zweideutige Mittel entsündigen. Mit tausend Büßungen will ichʼs ja gern versöhnen, wenn etwas Sündiges an meiner Tat ist! Kann ich denn jetzt noch zurück, ohne mein ganzes Glück, meine Ehre, meine Liebe zu zerstören?“

Sein Vorsatz stillte die Unruh in seiner Brust, und er sah am Morgen der Sonne ruhiger entgegen, als er gehofft hatte.

15.

Der fürstliche Kommissarius kam, und verlangte vor der ernsthaften Probe eine kleine Jagdpartie mit dem jungen Förster zu machen. „Denn“ – sagte er – „es ist ganz gut, daß wir die alte Solennität beibehalten, aber die Kunst des Jägers zeigt sich draußen im Wald am besten. Frisch auf, Herr Expektant, in den Wald!“

Wilhelm erblaßte und wollte Entschuldigungen vorbringen, und als diese bei dem Landjägermeister nichts fruchteten, bat er, seinen Probeschuß wenigstens zuvor tun zu dürfen. Der alte Förster schüttelte bedenklich den Kopf. „Wilhelm, Wilhelm“ – sagte er, mit bebender, tiefer Stimme – „hätte ich gestern doch richtig geahnet?“

„Vater!“ – rief dieser, und Verzweiflung erstickte seine Stimme. Er entfernte sich schnell, und in wenig Augenblicken war er zur Jagd fertig bei dem Vater und folgte dem Jägermeister in den Wald.

Der alte Förster suchte seine Ahnungen zu unterdrücken, doch bemühte er sich vergebens um eine frohe Miene. Auch Käthchen war niedergeschlagen, und ging, wie träumend im Haus umher. Sie fragte den Vater, obʼs nicht möglich sei, die Probe aufzuschieben? „Ich wollt' es auch“, sagte dieser, und umarmte sie schweigend.

Jetzt kam der Pfarrer glückwünschend, und erinnerte die Braut an den Kranz. Mutter Anne hatte ihn verschlossen, und in der Eil' beschädigte sie aufschließend das Schloß. Ein Kind wurde geschwind zu einer Kranzhändlerin geschickt, um einen anderen Kranz für die Braut zu holen. Laß dir den schönsten geben, rief Mutter Anne dem Kinde nach, aber dieses griff in der Unwissenheit nach dem glänzenden, und die mißverstehende Verkäuferin gab ihm einen Totenkranz für eine Braut von Myrte und Rosmarin mit Silber durchwunden. Mutter und Braut erkannten das Deutungsvolle des Zufalls; jede schauderte, und beide suchten, sich umarmend, ihr Grauen in ein Lächeln über den Mißgriff des Kindes umzuwandeln. Das Schloß wurde noch einmal versucht, es öffnete sich leicht, die Kränze wurden gewechselt, und der Brautkranz in Käthchens Locken gewunden.

16.

Die Jäger kamen zurück. Der Kommissarius war unerschöpflich in Wilhelms Lobe. „Es dünkt mich fast lächerlich“ – sprach er – „nach solchen Proben noch einen Probeschuß zu

verlangen. Doch, dem alten Recht zu Ehren, müssen wir schon einmal etwas Unnötiges tun, und so wollen wir denn die Sache so kurz als möglich abtun. Dort auf dem Pfeiler sitzt eine Taube, schießen Sie die herunter.“

„Um Gottes willen“ – schrie Käthchen herzueilend – „Wilhelm, schieß nicht danach. Ach mich träumte diese Nacht, ich war eine weiße Taube, und die Mutter band mir einen Ring um den Hals, da kamst du, und die Mutter ward voll Blut.“

Wilhelm zog das schon angelegte Gewehr zurück, aber der Jägermeister lächelte. „Ei, ei“, – sagte er – „so furchtsam? Das schickt sich nicht für ein Jägermädchen. Mut, Mut, Bräutchen! oder ist das Täubchen vielleicht ihr Favoritchen?“

„Nein“– erwiderte sie – „mir ist nur so bang.“

„Nun dann“ – rief der Kommissar – „Courage, Herr Förster, schießen Sie!“

Der Schuß fiel, und in demselben Augenblick stürzte Käthchen mit einem lauten Schrei zu Boden.

„Wunderliches Mädchen!“ – rief der Landjägermeister – und hob Käthchen auf, aber ein Strom Blut quoll über ihr Gesicht, die Stirn war ihr zerschmettert, eine Büchsenkugel lag in der Wunde.

„Was ist?“ – rief Wilhelm – als lautes Geschrei hinter ihm ertönte. Beim Zurückblicken sah er Käthchen totenbleich in ihrem Blut. Neben ihr stand der Stelzfuß und mit höllischem Hohnlachen grinste er: „Sechzig treffen, drei äffen.“

Wilhelm riß wütend seinen Hirschfänger aus der Scheide, und hieb nach dem Verhaßten. „Verfluchter“ – schrie er verzweifelnd – „so hast du mich getäuscht?“ Mehr konnte er nicht sprechen, denn er sank besinnungslos neben der blutenden Braut zu Boden.

Der Kommissar und der Pfarrer suchten vergebens den verwaisten Eltern Trost zuzusprechen. Mutter Anne hatte kaum der bräutlichen Leiche den prophetischen Totenkranz auf die Brust gelegt, als sie den tiefen Schmerz in der letzten Träne ausweinte. Der einsame Vater folgte ihr bald. Wilhelm beschloß sein Leben im Irrenhaus.

Das Ideal.

LANGE, lange vor der allgemeinen Sündflut gab es einen Prinzen, dem der Hof von Kindesbeinen an vorsagte, daß er in der Folge ganz charmant regieren würde, und der sich das gerne gesagt sein ließ. König Huldibert, sein Vater, hatte aber auch die berühmtesten Professoren der berühmtesten Universitäten in der ganzen Welt zu seiner Bildung zusammen holen lassen, so daß Prinz Heckerling Gelegenheit gehabt hätte, sich über ihre entgegengesetzten Ideen, Begriffe, Systeme, Meinungen und sonnenklaren Beweise totzulachen, wenn er seiner künftigen Bestimmung nicht besser eingedenk gewesen wäre. Schon im zwölften Jahre war er ein Weltwunder, und nun mußten die schönen Künste herhalten. Da währte es denn gar nicht lange, so tanzte er wie der damalige Vestris, komponierte besser als der damalige Haydn, und was Poesie betrifft, so hätte er damalige Goethe bei ihm in die Schule gehen können. Weil er obendrein ein Ausbund von Schönheit war, und das Reich, dessen Erbschaft ihm bevorstand, an Glanz und Größe alle Reiche umher weit übertraf, so müßte ja die Liebe noch viel blinder als gewöhnlich gewesen sein, wenn sie nicht auf ihn Jagd gemacht hätte. Alle benachbarten Prinzessinnen aber hatten keine Ruhe und ließen ihren Vätern keine Ruhe. Immer wollten sie den schönen Prinzen im Auge haben, und es hätte Not getan, daß die guten Väter ihren Thron an den Meistbietenden verkauft und an Huldiberts Hofe privatisiert hätten.

Aber die benachbarten Prinzessinnen alle miteinander waren dem König Huldibert nicht berühmt und vornehm genug für seinen Sohn. Wenigstens nahm man bei der Verheiratung des Prinzen Heckerling auf keine einzige von ihnen Rücksicht. Niemand schien dem Stolz des königlichen Paares zur Schwiegertochter tauglich, als die Thronerbin eines viele hunderttausend Meilen weit entlegenen ungeheuren Reiches, deren Schönheit der Ruf von Stadt zu Stadt, von Land zu Land, bis in König Huldiberts Schloß ausposaunt hatte.

König und Königin entdeckten dem Prinzen, daß es zu einer würdigen Vermählung allmählich Zeit werde, und auf wen ihre Wahl gefallen sei. Wenn nun auch der Prinz des festen Glaubens lebte, daß die Natur ganz expreß für ihn ein Ideal habe aufwachsen lassen, so ward erʼs doch überdrüssig darauf zu warten, und ließ sichʼs nach und nach übel und böse gefallen, daß eine Gesandtschaft an den Hof des Königs Isegrimm geschickt wurde, welche dessen Tochter, die bezaubernde Isola, für ihn zur Gemahlin abholen sollte.

Man hatte schon ein entsetzlich großes Gesandtschaftspersonal ernannt und equipiert, als der Hofnarr die naseweise Frage aufwarf, in wie langer Zeit man denn wohl die Reise von vielen hunderttausend Meilen zweimal machen wolle? Das war bis dahin keinem Menschen eingefallen. Ehe die schwerfällige Gesandtschaft nur beim König Isegrimm anlangte, konnte die Prinzessin Isola längst verheiratet oder gar verstorben sein, und im Fall sie ja noch ledig und lebendig gefunden wurde, so kam sie doch gewiß durch die Jahre schon unscheinbar gemacht und nicht eher an König Huldiberts Hof an, als bis der König und seine Gemahlin längst zu ihren Vätern und Müttern, versammelt waren. Denn der Ruf, der Isolas Schönheit hergebracht hatte, hätte viel Flügel haben müssen, um sie dem ansehnlichen Zuge zu borgen, und an Jakob Degen und seine Flugmaschinen war damals noch mit keinem Atem, gedacht worden.

Diese Frage zerbrach mit einem Mal dem König und seinem Staatsrat die Köpfe, und ein allgemeines Achselzucken war der Erfolg nach mancher qualvollen Nachtwache. Um jedoch wenigstens etwas in der Sache zu tun, wurde eine Preisaufgabe daraus gemacht, wer den Gesandten und seinen Sekretär in Zeit von wenigen Wochen zum König Isegrimm hin, und nach glücklich beendigtem Auftrag, wenigstens die Prinzessin und den Gesandten, wieder zurückschaffen würde. Je unmöglicher die Sache schien, desto höher konnte der Preis gesetzt werden, und wirklich versprach König Huldibert dem glücklichen Spediteur seine reizende Tochter, die Prinzessin Floribella, zur Gemahlin.

An allen Straßenecken und in allen Zeitungen war Floribella auf diese Weise ausgeboten worden, auch hatte man bereits einige unbefugte Schriftsteller, die sich über die Wohlfeilheit einer dergleichen Preisaufgabe vorlaut genug ausgelassen, bei den Ohren genommen, als ein Mann, der unter der vorigen Regierung des Landes verwiesen worden war, und an den keine Seele mehr gedacht hatte, mit dem Versprechen, des Königs Willen auszuführen, um sicheres Geleit ansuchte.

Der Grund zu des Mannes damaliger Landesverweisung lag in ein Paar Siebenmeilenstiefeln und zwei außerordentlich hervorstehenden Höckern, womit seine Brust und sein Rücken, versehen war. Mittelst der Stiefeln betrieb er nämlich nicht nur das Botenlaufen außerordentlich gut, sondern er machte sich obendrein zur lebendigen Postkalesche, indem er seine beiden Höcker also zu satteln verstand, daß vorn und hinten ein Passagier darauf reiten konnte.

So schlecht nun auch die Reisemaschine aussah, so gewährte sie doch jedem Reisenden, der bald an Ort und Stelle sein wollte, den unleugbarsten Vorteil, daher denn der Mann, welcher nur unter dem Namen Höckerlein bekannt war, soviel Kunden hatte, daß um alle zu fördern, hundert Höcker mehr kaum hingereicht haben würden.

Was aber das gesamte Publikum dabei gewann, das verloren einzelne Innungen und Gewerbe. So litten z. B. die Roßkämme, Wagner, Landkutscher und Schmiede gewaltig darunter, und den Schuhmachern kam ihre Einbuße auch nicht zugute, denn Höckerleins Siebenmeilenstiefel waren so vortrefflich zusammengezaubert, daß sie niemals besohlt oder ausgebessert werden durften. Nicht minder war Höckerlein Schneidern und Sattlern ein Dorn im Auge, weil er Kleider und Sattel durch unzünftige Gesellen machen ließ, die darauf besser als die zünftigen Leute eingerichtet waren. Die Gastwirte murrten laut, daß wegen des so üblich gewordenen Riesenschritte kein Mensch mehr bei ihnen einkehre. Die Weiber wollten nicht mehr schwanger werden, so lange Höckerlein im Lande herumginge. Sie fürchteten nämlich, daß wenn sie sich ja nicht an seinen Höckern versähen, dies doch gewiß an seiner Nase einmal geschehen würde, die in der Tat so unförmlich war, daß es gar nicht aussah, als ob er jemand einen ordentlichen Kuß zu geben vermöchte. Das Murren von einer Menge Gewerbe dauerte eine geraume Zeit fort, als endlich Zollbediente und Postmeister eine Beschwerde einreichten, die Hände und Füße hatte. Da nun Post- und Mietpferde mit ihren Gründen für Höckerlein kein Gehör fanden, so wurde der Mann durch Urteil und Recht des Landes auf ewig verwiesen.

König Huldibert schwankte einen Augenblick, ob er Höckerleins jetziges Erbieten annehmen sollte. Einer solchen Mißgeburt konnte er doch unmöglich seine schöne, sechzehnjährige Prinzessin geben! In der Hoffnung jedoch, daß der Mann, der ohnedies inzwischen alt geworden sein mußte, solche ungereimte Dinge nicht prätendieren, sondern mit Reichtümern und Titeln leicht abzufinden sein würde, ließ der König den Geleitsbrief ausfertigen und abgehen.

Prinzessin Floribella fiel in Ohnmacht, als sich Höckerlein auf dem Schloß einstellte, der König aber redete ihn folgender Maßen an: „Mein lieber Höckerlein, ich denke mich eurer in der bewußten, wichtigen Sache zu bedienen, und verspreche euch, wenn ihr euer Wort erfüllt, und die Prinzessin Isola wirklich auf hiesigem Schloß angekommen ist, ein paar tüchtige Hände voll der edelsten Edelsteine, und ein paar hundert schöne Rittergüter. Auch sollt ihr als mein Oberreisemarschall hinführo, von jedermänniglich angesehen werden, und es dabei in euerm Belieben stehen, ob ihr in dieser Qualität Dienste leisten möget oder nicht. Das seht ihr übrigens wohl ein, daß ihr kein Mann seid für eine bildschöne Prinzessin aus meinem Hause.“

Darauf antwortete die Mißgeburt: „Nein, Herr König, das sehe ich gar nicht ein. Ich glaube vielmehr, daß mir die gerechte Natur eben durch meine enorme Häßlichkeit die nächsten

Ansprüche auf eine Frau von enormer Schönheit gegeben habe. Und wahrlich, ich bin keinesweges gesonnen, meine Rechte selber mit Füßen zu treten.“

„Aber, bedenkt nur“, versetzte der erschrockene König, „meine Tochter ist schon jetzt in Ohnmacht gefallen über euern Anblick, was würde nicht erst geschehen, wenn sie euer Weib werden sollte!“

Auch hiervon aber wurde das Tigertier nicht gerührt, sondern erwiderte ganz kaltblütig, daß sich die Prinzessin allmählich an seine Häßlichkeit gewöhnen, und sie für den Stachel ansehen würde, welcher der schönen Rose zugeteilt worden. „Wie ich über ihrer Schönheit das Unheil meines Spiegels vergessen werde“, fügte er hinzu, „so wird sie über ihrem Spiegel meine Häßlichkeit vergessen, und alles gar bald in die rechte Ordnung kommen.“

Der König, welcher sich über diese so kecken als grausamen Reden gewaltig betrübte, versprach ihm alles Mögliche außer der Prinzessin, und gab ihm obendrein die schönsten guten Worte. Doch Höckerlein blieb dabei, daß er die Prinzessin eben verlange und sonst gar nichts.

Huldibert entließ ihn hierauf mit der Weisung, in zwei Stunden wiederzukommen, und berief seinen Staatsrat.

Daß dieser schon wieder nichts als Achselzucken zu geben hatte, verdroß ihn dermaßen, daß er ihn auf der Stelle abdankte. Aber freilich blieb das königliche Wort, das demjenigen, der die bewußte Sache ausführte, die Prinzessin Floribella versprach, nichtsdestoweniger an allen Straßenecken und in allen Zeitungen stehen. Endlich hatte noch der Gesandte einen Ausweg gefunden. Der König möchte nämlich Höckerlein immerhin die Prinzessin zusagen, er und sein Sekretär, welche vorläufig bestimmt waren, die beiden Sättel des Siebenmeilenstieflers einzunehmen, gedächten schon die Erfüllung des Versprechens zu hintertreiben. Der Sekretär sollte nämlich unterwegs mit Höckerlein Brüderschaft machen, ihm am Ort ihrer Bestimmung kurz vor der Rückreise einen dreitägigen Schlaftrunk beibringen, und während des Schlafes die Siebenmeilenstiefel ausziehen, welche er niemals abzulegen pflegte. Wenn dies geschehen war, so sollte der Sekretär seinem eignen Körper ein paar ähnliche Vorsprünge, wie Höckerlein von der Natur erhalten hatte, durch die Kunst anfertigen lassen, und auf der Rückreise des Schlafenden Platz gänzlich einnehmen.

Zwar mißbilligte der König, daß die Sache auf einem Betrug beruhte, als ihm aber die außerordentliche Wohltätigkeit dieses Betruges recht anschaulich gemacht worden war, da ließ er sichʼs gefallen, drang jedoch darauf, daß eine Menge Kostbarkeiten Höckerlein, als Entschädigung, zurückgelassen würden. Denn daß dieser nach dem Verlust der Siebenmeilenstiefel die weite Rückreise im Leben nicht unternehmen konnte, darüber war der König und seine Familie mit dem Gesandten vollkommen einig.