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Die "Gespräche" des Konfuzius sind ein Grundtext des Konfuzianismus und ein weltweit gelesener Leitfaden der Menschenbildung. Hans van Ess geht mit seiner kommentierten Neuübersetzung weit über die bisherigen Übertragungen hinaus, indem er den Texten ihren historischen Kontext zurückgibt und sie dadurch nur umso klarer und direkter zu uns sprechen lässt. Ein Meilenstein der Konfuzius-Forschung, der für die Lektüre der "Gespräche" neue Maßstäbe setzt. Die "Gespräche" des Konfuzius, eines der berühmtesten Werke der chinesischen Literatur, geben viele Rätsel auf: Wer hat die Sätze zusammengestellt? Stammen sie alle vom Meister Kong Qiu selbst, der um 500 v.Chr. im Staate Lu lebte? Bisher war man sich weitgehend einig, dass es sich um eine eher zufällig entstandene Sammlung von mehr oder weniger verständlichen Sprüchen handelt. Hans van Ess zeigt dagegen, dass sich die Bedeutung am klarsten erschließt, wenn man von einem durchkomponierten Text ausgeht und konsequent den historischen und inhaltlichen Kontext beachtet. Erstmals in deutscher Sprache überwindet er so die christliche und humanistische Rede von "Güte", "Tugend" oder "Riten", die auch noch jüngeren Neuübersetzungen anhaftet, und lässt uns ein Werk neu verstehen, dem es stattdessen um Sensibilität, Persönlichkeit und Höflichkeit ging. Seine instruktiven Kommentare erklären die Übersetzung und lassen die Lehre des Konfuzius in neuem Licht erscheinen.
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KONFUZIUS
GESPRÄCHE
Neu übersetzt und kommentiert von Hans van Ess
C.H.BECK
Die «Gespräche» des Konfuzius sind ein Grundtext des Konfuzianismus und ein weltweit gelesener Leitfaden der Menschenbildung. In Zeiten politischer Wirren und persönlicher Schicksalsschläge lehrte Konfuzius, auch in schwierigen Situationen Haltung zu bewahren und respektvoll mit anderen umzugehen. Er erklärte, was wahre Höflichkeit ist und kritisierte die Mächtigen, denen die notwendige charakterliche Stärke für ihr Amt fehlt.
Der Sinologe Hans van Ess geht mit seiner kommentierten Neuübersetzung weit über die bisherigen Übertragungen hinaus, indem er die Schlüsselbegriffe des Konfuzius neu deutet, den Texten ihren historischen Kontext zurückgibt und sie dadurch nur umso klarer und direkter zu uns sprechen lässt. Seine meisterhafte Übertragung lässt einen Lehrer der Persönlichkeitsbildung und des richtigen Umgangs mit Menschen neu entdecken, der in seiner Geradlinigkeit und Klarheit erstaunlich zeitgemäß ist.
Hans van Ess ist Professor für Sinologie und Vizepräsident der Ludwig-Maximilians-Universität München. Bei C.H.Beck erschienen von ihm die Einführungen «Der Konfuzianismus» (3. Aufl. 2023), «Chinesische Philosophie» (2021) und «Der Daoismus» (2011) sowie «Die 101 wichtigsten Fragen. China» (3. Aufl. 2020).
UMSCHRIFT UND AUSSPRACHE DES CHINESISCHEN
EINLEITUNG
1. WARUM EINE NEUE ÜBERSETZUNG DER GESPRÄCHE DES KONFUZIUS?
2. TEXTGESCHICHTE, KOMMENTIERUNG UND KAPITELEINTEILUNG
Die Genese des Lunyu und die Archäologie
Die Kommentierung des Lunyu
3. DER HISTORISCHE HINTERGRUND
4. DIE SCHÜLER UND DIE UNTERSCHIEDLICHEN SCHULEN
5. DIE ZUSAMMENSTELLUNG DER SPRÜCHE
6. INHALTE UND KAPITELÜBERSCHRIFTEN
7. INTERTEXTUELLE PARALLELEN
8. DIE KANONISCHEN SCHRIFTEN IM UNTERRICHT DER KONFUZIANISCHEN SCHULE
9. BEGRIFFE UND PHILOSOPHISCHE INHALTE
10. ZU DIESER AUSGABE
DIE GESPRÄCHE DES KONFUZIUS – Lunyu
1: DIE SCHULE – Lernen – 學而In 16 Abschnitten
1.1
1.2
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2: IM POLITISCHEN GESCHEHEN – Die Regierung gestalten – 為政In 24 Abschnitten
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Zusammenhänge
3: DIE WELT STEHT AUF DEM KOPF – Die acht Reihen – 八佾In 26 Abschnitten
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4: UBI BENE IBI PATRIA – Ein Wohnort, an dem die Menschen gut miteinander umgehen – 里仁In 26 Abschnitten
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5: DER SCHÖNE SCHEIN – Gongye Chang – 公冶長In 29 Abschnitten
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6: KONFUZIUS-SCHÜLER UND DIE POLITIK – Der Ausgewogene! – 雍也In 30 Abschnitten
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7: DER LEHRER – Ich überliefere nur – 述而In 38 Abschnitten
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8: DIE KUNST DER ZURÜCKHALTUNG – Der älteste Onkel – 泰伯In 21 Abschnitten
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9: KONFUZIUS MACHTE SICH RAR – Worüber der Meister selten sprach – 子罕In 31 Abschnitten
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10: DER WÜRDIGE ALTE – Im Gemeindesprengel – 鄉黨In 25 Abschnitten
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11: ÜBER DIE VORZÜGE DER ERSTEN SCHÜLERGENERATION UND DIE NACHTEILE DER ZWEITEN – Diejenigen, die zuerst voranstrebten – 先進In 24 Abschnitten
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12: DIE SCHÜLER IN DER STAATSVERWALTUNG – Yan Yuan – 顏淵In 24 Abschnitten
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13: EILE MIT WEILE! DENK AN DIE FOLGEN! – Zilu – 子路In 30 Abschnitten
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14: MANCHE MUSS MAN WIRKLICH ANTREIBEN – Yuan Xian fragte – 憲問In 44 Abschnitten
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15: DIE KUNST DES AUFRECHTEN BEAMTEN – Herzog Ling von Wei – 衞靈公In 42 Abschnitten
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16: DIE WURZELN DES ÜBELS – Die Ji-sun-Familie – 季氏In 14 Abschnitten
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17: DIE VERLOCKUNGEN DER REBELLION – Yang Huo – 陽貨In 24 Abschnitten
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18: DIE OPTION DES RÜCKZUGS – Der Freiherr von Wey – 微子In 11 Abschnitten
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Zusammenfassung
19: DIE SCHULE NACH DEM TOD IHRES GRÜNDERS – Zizhang – 子張In 25 Abschnitten
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20: DIE VERANTWORTUNG DES EINZELNEN FÜR DAS WOHL DES GANZEN – Yao sprach – 堯曰In 3 Abschnitten
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Zusammenhänge
ANHANG
SCHAUBILD ZU 14.40
ANMERKUNGEN
1. Warum eine neue Übersetzung der «Gespräche des Konfuzius»?
2. Textgeschichte, Kommentierung und Kapiteleinteilung
3. Der historische Hintergrund
4. Die Schüler und die unterschiedlichen Schulen
5. Die Zusammenstellung der Sprüche
6. Inhalte und Kapitelüberschriften
7. Intertextuelle Parallelen
8. Die kanonischen Schriften im Unterricht der konfuzianischen Schule
9. Begriffe und philosophische Inhalte
10. Zu dieser Ausgabe
1. Die Schule
2. Im politischen Geschehen
3. Die Welt steht auf dem Kopf
4. Ubi bene ibi patria
5. Der schöne Schein
6. Konfuzius-Schüler und die Politik
7.Der Lehrer
8. Die Kunst der Zurückhaltung
9. Konfuzius machte sich rar
10. Der würdige Alte
11. Über die Vorzüge der ersten Schülergeneration und die Nachteile der zweiten
12. Die Schüler in der Staatsverwaltung
13. Eile mit Weile! Denk an die Folgen!
14. Manche muss man wirklich antreiben
15. Die Kunst des aufrechten Beamten
16. Die Wurzeln des Übels
17. Die Verlockungen der Rebellion
18. Die Option des Rückzugs
19. Die Schule nach dem Tod ihres Gründers
20.Die Verantwortung des Einzelnen für das Wohl des Ganzen
WISSENSCHAFTLICHE ÜBERSETZUNGEN DER GESPRÄCHE IN EUROPÄISCHE SPRACHEN (AUSWAHL)
Wissenschaftliche Gesamtübersetzungen ins Deutsche
Für die Sinologie wichtige ältere Übersetzungen ins Englische
Neuere englische Übersetzungen
Wichtige ältere Übersetzungen ins Französische
Neuere französische Übersetzungen
Relevante italienische Übersetzungen
Übersetzung ins Niederländische
Übersetzungen ins Russische
Übersetzungen ins Polnische
Übersetzung ins Tschechische
Übersetzung ins Griechische
LITERATUR
Abkürzungen
Quellen und Klassische Werktitel
Sekundärliteratur und Übersetzungen
REGISTER
Meinen Eltern
Josef van Ess (18. 4. 1934–20. 11. 2021)und Marie Luise van Ess, geborene Bremer (16. 3. 1930–20. 3. 2022)
Die Transkription folgt der mittlerweile weithin akzeptierten Pinyin-Umschrift. Diese führt beim deutschsprachigen Leser fast zwangsläufig zu Fehlartikulationen, weshalb hier einige Leseanweisungen folgen:
Für die Gespräche besonders wichtig ist das Wort zi, das deutsch dse ausgesprochen wird, mit einem kurzen e-Auslaut wie in Reise.
Auslautendes i entspricht auch nach anlautendem c, ch, r, s, z oder zh einem kurzen e.
Ein x spricht sich hs, ein a vor n, wenn i, u oder y vorangehen, als ä, ein o oft als u, während ein u nach j, q, x und y zu einem ü wird.
Kongzi lautet deutsch Kungdse
Yan Hui – Yän Chui
Zh spricht sich wie dsch, Zhu Xi ist also Dschu Hsi, Zizhang ist Dsedschang, Zheng Xuan spricht sich Dscheng Hsüän.
Der Staat Qi spricht sich Tchi, Herzog Jing von Qi ist der Herzog Djing von Tchi.
Konfuzius-Sprüche sind Legion. Sei es im Journalismus, sei es in politischen Sonntagsreden oder in christlichen Predigten: Der chinesische Philosoph wird in der deutschsprachigen Öffentlichkeit gerne zur Bestätigung der Richtigkeit eigener Auffassungen herangezogen. Dabei spielt es zumeist keine Rolle, ob die Sprüche historisch belegbar sind. In der großen Mehrzahl sind sie frei erfunden oder durch freie Wiedergabe bis zur Unkenntlichkeit verunstaltet, so dass man sie in China nicht wiedererkennen würde. Aber auch in der traditionellen chinesischen Literatur sind viel mehr Worte des Konfuzius überliefert, als in den Gesprächen des Konfuzius (Lunyu) zu finden sind. Diese sind allerdings die wichtigste Quelle zu den Gedanken des Konfuzius, und sie sind einer der am häufigsten aus dem Chinesischen übersetzten Texte, die es gibt. Wahrscheinlich wird die Anzahl ihrer Übersetzungen nur noch von denen des Daode jing übertroffen, der dem Laozi zugeschriebenen «Schrift von rechtem Weg und charismatischer Persönlichkeit».[1] Zum ersten Mal in einer europäischen Sprache gedruckt wurde das Lunyu im Jahr 1687, als Philippe Couplet (1623–1693) auf der Grundlage der Arbeiten von Zeitgenossen, vor allem Prospero Intorcetta (1625–1696), in Paris den Band Confucius Sinarum Philosophus, sive Scientia Sinensis latine exposita (Konfuzius, Philosoph der Chinesen, oder die chinesische Wissenschaft, dargestellt in lateinischer Sprache) herausgab, in dem eine vollständige Übersetzung des Lunyu ins Lateinische enthalten war. Den Titel Lunyu übersetzte Couplet als Ratiocinantium Sermones, Gespräche von Philosophen oder «vernünftig Debattierenden». Franciscus Noel ließ im Jahr 1711 in Prag die Sinensis Imperii Libri Classici Sex drucken, in deren drittem Buch eine vollständige Übersetzung des Lunyu unter dem Titel Sententiarum Liber (Buch der Sprüche) enthalten ist.[2]
Was der Titel Lunyu im Chinesischen wirklich bedeutet, ist unklar. Lùn 論 bedeutet «erörtern», es ist jedoch wahrscheinlich, dass eigentlich das etwas anders geschriebene, aber fast gleichlautende Zeichen lún綸 gemeint ist, das «sammeln» bedeutet. Yu (gesprochen: yü) wiederum heißt «sprechen», «diskutieren», «Sprache», «Wort» oder «Spruch». Oft ist wohl auch «Unterweisung» gemeint, doch ginge mit dieser Übersetzung eine zu starke Bedeutungsverengung einher, auch wenn man oft den Eindruck hat, dass Konfuzius an den wenigen Stellen, an denen im Lunyu das Wort yu verwendet wird, eher unterweist, als dass er sich einfach unterhält. Im Lunyu finden sich sowohl Sprüche des Konfuzius als auch Gespräche des Konfuzius mit seinen Schülern, zum Teil auch Sprüche von anderen über ihn. Beide Übersetzungen, «Gesammelte Gespräche» und «Gesammelte Sprüche», sind also von der Wortbedeutung her möglich. Die vorliegende Übersetzung hält an dem im Deutschen seit Richard Wilhelm eingebürgerten Gespräche des Konfuzius als Titel fest, obgleich dieser nicht ganz genau wiedergibt, was das Chinesische bedeutet.
Auch wenn auf der Basis der beiden lateinischen Übersetzungen im achtzehnten Jahrhundert Zusammenfassungen und Übersetzungen in andere Sprachen wie das Französische entstanden, sah doch erst das neunzehnte Jahrhundert die Notwendigkeit, das Lunyu in die europäischen Nationalsprachen zu übertragen. 1809 erschien in der Mission Press zu Serampore in Bengalen unter dem Titel The Works of Confucius, Containing the Original Text with a Translation die erste englische Übersetzung von Joshua Marshman (1768–1837), an die sich auch der Berliner Altaist und Sinologe Wilhelm Schott (1802–1889) anlehnte, als er das Lunyu 1826 erstmals in Halle auf Deutsch veröffentlichte. Beide Übersetzungen waren Voraussetzungen für die wesentlich einflussreicheren Nachfolgewerke von James Legge (1815–1897) im Englischen und Richard Wilhelm (1873–1930) im Deutschen. Legge lebte von 1843 bis 1873 in Hongkong und begann dort, die kanonischen Schriften der Chinesen zu übersetzen. 1861 kam seine Übersetzung des Lunyu heraus, der er den Titel Confucian Analects gab. Er legte also den Schwerpunkt auf die erste der beiden chinesischen Silben, nämlich lún, «sammeln». Darin sind ihm fast alle späteren Übersetzer im angelsächsischen Raum gefolgt. Wilhelm hingegen schloss sich mit seiner im Deutschen klassisch gewordenen Übersetzung der Gespräche dem französischen Jesuiten Séraphin Couvreur (1835–1919) an, der sich für Entretiens de Confucius et de ses disciples und damit für die zweite Silbe yu entschied.[3] Während im englischsprachigen Raum in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts auf Legge mehrere weitere Übersetzungen folgten, die alle den Titel Analects wahrten,[4] blieben in Deutschland und Frankreich diejenigen Wilhelms und Couvreurs bis weit in die zweite Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts Standard.
Seit der Wende von den siebziger zu den achtziger Jahren allerdings ist es zu einer wahren Proliferation neuer Lunyu-Übersetzungen gekommen. Auf Englisch erschienen noch vor der Jahrtausendwende in kurzer Folge nacheinander mindestens sechs neue Übersetzungen, im neuen Jahrtausend mindestens sechs weitere. Auf Französisch kamen beginnend mit dem Jahr 1981 sieben neue sinologische Übersetzungen hinzu, fast alle unter dem Titel Entretiens, eine ähnliche Anzahl auf Italienisch, zumeist unter dem Titel Dialoghi.[5] Ins Deutsche ist das Lunyu mit den 1953 und 1954 erschienenen Übersetzungen von Hans Otto Stange und Haymo Kremsmayer sowie den 1983 und 1985 neu hinzugekommenen Fassungen von Ernst Schwarz und Ralf Moritz insgesamt sechsmal in wissenschaftlicher Form übersetzt worden – und damit gemessen an den europäischen Nachbarsprachen verhältnismäßig selten.[6] In ähnlichem Maß wie die Übersetzungsliteratur ist auch die Forschung zum Lunyu gewachsen. Zahlreiche Aufsätze sind zu seiner Entstehungsgeschichte verfasst worden, jede philosophische Äußerung des Konfuzius scheint mehrfach gedeutet worden zu sein, sogar ein Dao Companion to the Analects[7] verspricht, den Leser an die Hand zu nehmen und sicher durch den Text zu geleiten.[8]
Warum also sollte es notwendig sein, sich an einer neuen Übersetzung zu versuchen? Grund ist, dass die neuen Übersetzungen fast ausnahmslos wissenschaftlich keine wirklich neuen Erkenntnisse liefern. Vielmehr spiegeln sie die persönlichen Vorlieben der Übersetzer bei der Wiedergabe der schwierigen Begrifflichkeiten des Altchinesischen und uneindeutiger Sätze wider, die aber selten durch eine wissenschaftliche Argumentation abgesichert sind. Überdies zeichnen sich die neuen Übersetzungen generell durch Kürze aus. Das ist eigentlich eine Tugend, doch im Fall eines so häufig übersetzten Textes wie des Lunyu wären genauere Begründungen für Übersetzungsentscheidungen eben doch angebracht.
Die Selbstverständlichkeit, mit der viele moderne Übersetzer über die Notwendigkeit hinweggegangen sind darzulegen, warum ihre Neuübersetzung noch erforderlich sein soll, hat manch berechtigten Spott auf sich gezogen.[9] Tatsächlich sind von den vielen Übersetzungen nur sehr wenige hervorzuheben, weil sie über das hinausgehen, was wissenschaftlicher Mindestanspruch ist. Henry Rosemont und Roger Ames heben in ihrer 1999 erschienenen «philosophischen Übersetzung» hervor, dass sie mit Mitteln der Archäologie geborgene Texte berücksichtigt hätten. Diese haben allerdings am Ende nur wenig Einfluss auf den Inhalt der Übersetzung gehabt. Wichtiger ist die Tatsache, dass Rosemont und Ames versucht haben, sich von der traditionellen europäischen Terminologie zu lösen, die subtil davon beeinflusst ist, dass die Übersetzer bis zum Zweiten Weltkrieg fast durchweg christliche Missionare gewesen sind. Ansonsten bleibt ihre Übersetzung jedoch traditionell, einen Versuch, die Schwierigkeiten des Textes sichtbar zu machen, unternehmen sie nicht.[10]
Dasselbe trifft zu auf die Original Analects von Bruce Brooks und Taeko Brooks, die im selben Jahr einen großangelegten Versuch unternommen haben, den Text in seine Einzelteile zu zerlegen, um zu zeigen, dass er aus einem ursprünglich kleinen Kern von frühen Sprüchen hervorgegangen ist, der im Lauf der Jahrhunderte stark angewachsen ist. Die Brooks haben eine fein ziselierte Methodik entwickelt, mithilfe derer sie meinen belegen zu können, dass bestimmte Sprüche nicht vor bestimmten historischen Ereignissen gesagt worden sein können. So wird aus dem Text ein Konglomerat von verschiedenen Traditionen. Konfuzius selbst schreiben die Brooks nur das vierte Kapitel des Lunyu zu und datieren es auf die Zeit bis zum Jahr 479 v. Chr. Danach wirkten ihrer Meinung nach seine frühen Schüler, die bis zum Jahr 460 v. Chr. das fünfte und sechste Kapitel schufen. Dann folgte die Tradition des Schülers Zengzi, der für die Kapitel 7 bis 9 verantwortlich sei, die bis zum Jahr 405 v. Chr. entstanden. So geht es fort bis zum neunzehnten und zwanzigsten Kapitel, die den Brooks zufolge erst Mitte des dritten Jahrhunderts v. Chr. entstanden sein können. Damit die Theorie funktioniert, haben die beiden Autoren aus den Kapiteln zahlreiche Stellen entfernt oder verschoben, die nicht passen und die sie als spätere Interpolationen bezeichnen. Das ist interessant zu lesen und es schließt an frühere Versuche an, doch harte Evidenz für ihr Vorgehen bleiben die Brooks zumeist schuldig. Allzu oft scheinen gute Gründe gegen ihre Datierungen zu sprechen. Den Text selbst übersetzen sie so, wie sie ihn eben verstehen, lassen ihre Leser aber nicht an den Gründen für die Entscheidungen teilhaben, die sie treffen.
Eine Ausnahme stellt in dieser Hinsicht Edward Slingerlands Version aus dem Jahr 2003 dar. Slingerland lässt auf jeden Spruch eine kurze Erörterung folgen, in der er das tut, was in anderen Übersetzungen schmerzlich vermisst wird. Er weist auf die traditionellen Kommentare hin, die viele Aussagen des Konfuzius unterschiedlich gedeutet haben. Das ist für den interessierten Leser eine wohltuende Ergänzung, auch wenn Slingerland im Allgemeinen die verschiedenen Möglichkeiten nur nebeneinanderstellt, aber oft nicht darauf eingeht, warum eine Fassung der anderen vorzuziehen ist. Wie die anderen Übersetzer auch, bleibt er – verständlicherweise – ratlos, wenn Texte sich als schwer zu deuten erweisen. Er unterlässt den Versuch, ein methodisches Instrumentarium zu entwickeln, um Interpretationen aus dem Text selbst heraus plausibel zu machen.
Bisher sind Übersetzer zumeist davon ausgegangen, dass die Gespräche aus weitgehend unzusammenhängenden Sentenzen bestehen. Zwar ist vielfach darauf hingewiesen worden, dass die hinteren Kapitel, besonders das letzte Viertel, später entstanden seien und größere Konsistenz aufwiesen als frühere Kapitel, und einzelne Autoren zeigen, dass manche Kapitel bestimmte Oberthemen zu haben scheinen – doch insgesamt bleibt der Eindruck, dass die Gespräche an vielen Stellen Aphorismen und Gedanken in zusammenhangloser Form präsentieren, ein wenig den Vorsokratikern ähnelnd.[11] Gerne wird die Archäologie herangezogen, um Gründe dafür zu finden. Auf Bambusstreifen, auf denen man im alten China schrieb, hätten jeweils nur wenige Zeichen Platz gehabt, so dass das Material die Länge des Gedankens vorgegeben habe: Mehr als fünfundzwanzig bis dreißig Zeichen seien das selten gewesen. Dies ließe sich an Textfunden der letzten Jahrzehnte belegen.
Das Argument ist vermutlich unsinnig, denn die Schreibgrundlage ist sicherlich von Anfang an ein an Papierseiten erinnerndes Bündel von mit Fäden oder Stricken zusammengehefteten Streifen gewesen – oder mehrere davon –, auf dem oder denen längere Texteinheiten Platz hatten. Natürlich ließen sich die alten Chinesen nicht durch das Schreibmaterial daran hindern, komplexere Sachverhalte zu denken. Die vorliegende Übersetzung verfolgt den umgekehrten Ansatz: Sie geht davon aus, dass die Gespräche des Konfuzius, so wie sie heute vorliegen, ein bis ins kleinste Detail durchkomponierter Text sind. Möglicherweise setzt er sich zusammen aus älteren und früher unverbundenen Aussagen, die aus unterschiedlichen Konfuzius-Traditionen stammten. Doch hat eine Redaktion vermutlich im ersten vorchristlichen Jahrhundert den Text in eine Reihenfolge gebracht, die mit der damals bekannten Biographie des Konfuzius in Einklang steht und die das Ziel verfolgte, die Gespräche des Konfuzius als einen Lehrtext zu verbreiten, anhand dessen zentrale konfuzianische Glaubenssätze in logischer Sequenz zu lernen waren.[12] Im Gegensatz zu früheren Übertragungen ist der Leitgedanke dieser Übersetzung, dass der Text von vorne bis hinten durchkomponiert ist. Den Übersetzungen der einzelnen Kapitel sind deshalb jeweils Einleitungen und Zusammenfassungen beigegeben, die die in den Kapiteln selbst dargelegten Nachweise dieser Zusammenhänge weiter verdeutlichen sollen. Liest man die Gespräche so, dann erschließt sich oft, wie ein Satz zu übersetzen ist und wie nicht. Dass schon die frühesten Kommentare zu den Gesprächen dies oft nicht mehr oder nur teilweise verstanden haben, liegt vermutlich daran, dass einer ursprünglich säkularen konfuzianischen Bewegung ab dem ersten und zweiten Jahrhundert daran gelegen war, Konfuzius hagiographisch zu überhöhen. Der Bruch, den der Wechsel von der Früheren zur Späteren Han-Zeit um die Zeitenwende darstellt, war viel tiefgreifender, als dies die Kontinuität suggerierende Historiographie nahelegt. Deshalb unterscheidet sich die Lesepraxis des ersten nachchristlichen von derjenigen des Jahrhunderts zuvor maßgeblich.
Ein weiterer Punkt, der diese neue Übersetzung der Gespräche von ihren Vorgängern unterscheidet, ist die Tatsache, dass sie in viel stärkerem Maße versucht, die einzelnen Sprüche und Dialoge zu kontextualisieren. Der historische Zusammenhang ist dabei genauso wichtig wie der inhaltliche. Zu fast allen Textstellen liegen Parallelen in anderen Texten vor. Da man traditionell davon ausgegangen ist, dass zumindest im Normalfall die anderen Texte die Gespräche zitierten, ist oft übersehen worden, dass es sich auch umgekehrt verhalten haben kann. Wo Letzteres der Fall ist, wird der Kontext in den Paralleltexten besonders wichtig.[13] Dieser legt wiederum häufig ein Verständnis nahe, das von demjenigen späterer Kommentatoren, auf die sich die Übersetzer oft stützten, abweicht.
Ein Werk mit dem Titel Lunyu ist in China frühestens in der Zeit zwischen der Mitte und dem Ende des zweiten Jahrhunderts erwähnt worden. Wie die Gespräche entstanden sein sollen, wird erst in den Dokumenten der Han, der um 80 n. Chr. von Ban Gu (32–92) verfassten Geschichte der Früheren Han-Dynastie (206 v. Chr.-8 n. Chr.), erzählt, wenn auch möglicherweise unter Rückgriff auf eine etwas frühere Quelle. Dort heißt es, dass die Gespräche die Dialoge seien, die Konfuzius mit seinen Schülern und Zeitgenossen geführt habe, sowie die Gespräche der Schüler untereinander und die Worte, welche sie von ihrem Lehrer gehört hatten. Damals habe jeder Schüler seine eigenen Aufzeichnungen gehabt. Als Konfuzius starb, hätten die Schüler ihre Aufzeichnungen nebeneinandergelegt und eine Sammlung erstellt. Das sei der Grund, warum sie Gesammelte Gespräche als Titel wählten.
Zu Beginn der Han-Zeit, also etwa 200 v. Chr., habe es zwei Überlieferungstraditionen gegeben, die auf die beiden alten Staaten Qi und Lu im heutigen Shandong zurückgingen. Die Spezialisten, die Ban Gu zu nennen weiß, sind allerdings ausnahmslos Männer, die im ersten Jahrhundert v. Chr. lebten. Das passt zu der Tatsache, dass erst seit dieser Zeit Personen bekannt sind, in deren Biographien davon die Rede ist, dass sie die Gespräche studiert hätten. In dieser Zeit nahm das Studium der allgemein mit Konfuzius assoziierten kanonischen Schriften seinen Aufschwung. Geschuldet war das der Tatsache, dass unter Kaiser Wu der Han-Dynastie (reg. 141–87 v. Chr.) eine Kaiserliche Akademie errichtet worden war, an der amtlich bestallte Gelehrte, die auf einzelne kanonische Schriften spezialisiert waren, unterrichteten, und man erstmals in der Geschichte Chinas begann, Beamtenanwärter auf der Basis von besonders guter Textkenntnis zu rekrutieren. Die Gespräche des Konfuzius waren offenbar eine Art Propädeutikum, das man jungen Schülern der vornehmen Familien zukommen ließ, bevor sie sich mit den schwierigeren kanonischen Schriften beschäftigten. Daran lässt sich erkennen, dass die Gespräche ein Schulbuchtext waren. Kaiser Zhao (reg. 87–74 v. Chr.) gestand im Alter von zwölf Jahren – er war damals, im Jahr 82 v. Chr., schon fünf Jahre Kaiser –, dass er verschiedene Texte, unter anderem das Buch der Urkunden (Shangshu), die Schrift der kindlichen Hingabe (Xiaojing) und die Gespräche des Konfuzius (Lunyu) durchdrungen, aber noch nicht verstanden habe, und ein Beamter betonte im Jahr 74 v. Chr., dass des Kaisers Sohn und Nachfolger, Kaiser Xuan (reg. 73–49 v. Chr.), im Alter von achtzehn Jahren das Buch der Lieder (Shijing), die Gespräche des Konfuzius und die Schrift der kindlichen Hingabe bei einem Lehrer gelernt habe. Auch von dessen Sohn Kaiser Yuan (reg. 48–33 v. Chr.) ist überliefert, dass er im Alter von zwölf Jahren die Gespräche und die Schrift der kindlichen Hingabe gelernt hatte.[1] Über einen König heißt es in der Zeit des Jahrs 100 v. Chr., dass er die Wandlungen, die Gespräche und die Schrift der kindlichen Hingabe gelernt habe.[2] Genauso wie die Schrift der kindlichen Hingabe scheinen auch die Gespräche des Konfuzius ein obligatorischer Grundlagentext gewesen zu sein, während die Wahl einer kanonischen Schrift fakultativ war. Das gilt es bei der Lektüre heute zu berücksichtigen. Schulbücher dienen der Einführung in kulturelle Grundlagen und sollen dem Lehrer erlauben, anhand kürzerer Vorlagen über größere Zusammenhänge zu extemporieren. Dazu eignen sich die Gespräche vorzüglich.
Die Fassung der Gespräche aus Qi soll zweiundzwanzig Kapitel umfasst haben, diejenige aus Lu nur zwanzig, wie das im heutigen Lunyu der Fall ist.[3] Darüber hinaus soll den Dokumenten der Han zufolge einer der Verwandten der Han-Kaiser, den man zum König von Lu, dem Heimatstaat des Konfuzius, gemacht hatte, das Haus der Nachfahren des Konfuzius eingerissen haben, um Platz für eine Erweiterung seines Palastes zu schaffen. Da habe er plötzlich die Klänge erhabener Musik vernommen und nicht gewagt, mit den Abrissarbeiten fortzufahren. In dem Gemäuer fand man alte Schriften. Darunter soll es auch ein Lunyu in einundzwanzig Kapiteln gegeben haben.[4] Die Glaubwürdigkeit dieses Berichtes ist natürlich umstritten. Er hat innerhalb der spätkaiserzeitlichen chinesischen Gelehrsamkeit endlose Diskussionen ausgelöst, die für die Zwecke dieses Buches aber nicht von Belang sind.
Durchgesetzt hat sich jedenfalls eine Textfassung in zwanzig Kapiteln. Das belegt schon ein Textfund, der 1975 in einem Grab in der nordchinesischen Stadt Dingzhou gemacht wurde, in dem ein Han-König beerdigt wurde. Um welchen König es sich handelt und wann das Grab, in dem auf einem Bambusstreifen das Jahr 56 v. Chr. erwähnt ist, verschlossen wurde, ist nicht ganz klar. Zwei Könige sind wahrscheinlich. Der eine ist im Jahr 55 v. Chr. verstorben, der andere erst 8 v. Chr. Der Herausgeber des Grabungsberichts glaubte zunächst, dass das spätere Datum wahrscheinlicher sei, änderte dann aber aufgrund eines Vergleichs mit historisch überlieferten Quellen seine Meinung.[5] Die Argumentation ist allerdings nicht zwingend, so dass nach wie vor beide Daten möglich sind. In diesem Textfund sind die zwanzig Kapitel, die den heutigen Text ausmachen, zu großen Teilen enthalten, wobei zusätzlich eine Reihe von weiteren Streifen gefunden wurde, die Lunyu-ähnliches Material enthalten.[6] Hinzugetreten ist im Jahr 2011 ein weiterer Textfund aus einem im Jahr 59 v. Chr. verschlossenen Grab. In diesem ist etwa ein Drittel des Textes der Gespräche in fragmentarischer Form erhalten.[7]
In den Dokumenten der Han ist davon die Rede, dass ein Markgraf namens Zhang Yu (ca. 80–5 v. Chr.) der Letzte in einer Reihe von Experten gewesen sei, die die Fassung aus Lu in zwanzig Kapiteln weitergaben. Seine Fassung, die allerdings einundzwanzig Kapitel umfasste, sei diejenige gewesen, die sich gegenüber früheren Versionen durchgesetzt habe.[8] Verschiedene Lehrer hätten die Gespräche des Konfuzius erläutert, doch folgten sie unterschiedlichen Abfolgen der einzelnen Sprüche oder aber der Kapitel.[9] Der Satz ist wichtig, denn er zeigt, dass man im Unterricht offenbar Wert darauf legte, wie die Gespräche angeordnet waren. Außerdem legt er nahe, dass erst gegen Ende der früheren Han-Zeit, also um die Zeitenwende, eine Art Konsensus gefunden wurde, wie die Gespräche des Konfuzius auszusehen hatten. Das passt recht gut zu der Tatsache, dass Konfuzius-Sprüche in wahrscheinlich etwas früher zu datierenden Quellen der Han-Zeit teilweise anders aussehen als in den Gesprächen.[10] Mehrere Stellen in den Gesprächen deuten darauf hin, dass der Editionsprozess auch am Ende der Früheren Han-Zeit noch nicht abgeschlossen war, sondern dass der Text auch im ersten nachchristlichen Jahrhundert noch verändert wurde.[11]
Von Zhang Yu, der in der Lu-Überlieferungstradition stand, heißt es, er habe eine Erklärung seiner Fassung der Gespräche nach Paragraphen und Absätzen verfasst. Ein ähnlicher Kommentar soll auch innerhalb der Qi-Tradition entstanden sein. Eine Reihe von Einzelpersonen namens Bao Xian (gest. nach 62), Herr Zhou (?),[12] Ma Rong (79–166), Zheng Xuan (127–200), Chen Qun (gest. 237), Wang Su (195–256) und Kong Anguo (ca. 156 -ca. 74 v. Chr.) schrieben des Weiteren in den ersten beiden Jahrhunderten unserer Zeitrechnung Kommentare zu verschiedenen Sprüchen und Dialogen. Diese vereinigte Mitte des dritten Jahrhunderts He Yan (gest. 249) in einem sogenannten Sammelkommentar, in den er die unterschiedlichen Meinungen seiner Vorgänger aufnahm und durch eigene Aussagen ergänzte.[13] Innerhalb dieses Sammelkommentars fallen Kommentare eines Nachfahren des Konfuzius mit Namen Kong Anguo aus der Reihe, der schon um 100 v. Chr. gelebt haben soll. Allerdings ist sich bereits die traditionelle Gelehrsamkeit der Qing-Dynastie (1644–1911) weitgehend einig gewesen, dass die Zuschreibung dieses Kommentars falsch sein muss und dass «Kong Anguo» wohl eher ein Pseudonym eines am Ende des zweiten Jahrhunderts schreibenden Autors ist. Deshalb ist im Zusammenhang mit diesem Namen auch oft vom «Pseudo-Kong-Kommentar» die Rede. In der vorliegenden Ausgabe steht der Einfachheit halber dennoch normalerweise einfach der Name Kong Anguo. Die Auffassungen des He Yan sind in viele der modernen Übersetzungen stillschweigend eingeflossen. Man sollte ihnen dennoch manchmal misstrauen, weil in seiner Zeit hagiographische Lesungen der Gespräche bereits überwogen. Diese waren im Text selbst wahrscheinlich oft noch nicht beabsichtigt.[14] Unter den anderen Kommentatoren, die He Yan berücksichtigt hat, ist Zheng Xuan hervorzuheben, weil von dessen zuvor bereits verfassten Kommentar größere Teile um die Wende des zwanzigsten Jahrhunderts in der Oase Dunhuang wiedergefunden wurden.[15] Seine Kommentierung ist somit die einzige, aus der sich ablesen lässt, wie die Kommentare dieser Zeit vor der Zusammenstellung durch He Yan aussahen.
Auf He Yan folgte ein zweiter wichtiger Kommentar, nämlich derjenige des Huang Kan (488–585), der offenbar über mehrere Jahrhunderte gerne gelesen wurde, dann aber irgendwann während der Südlichen Song-Dynastie (1127–1280) verloren ging, um Ende des siebzehnten Jahrhunderts in einem japanischen Tempel unter alten Manuskripten wiedergefunden zu werden. Der Fund war eine Sensation, er löste aber unter chinesischen Gelehrten sofort Skepsis aus: Konnte es wirklich sein, dass ein solcher Kommentar über viele Jahrhunderte in Japan bewahrt worden war? Eine Mehrzahl von Fachleuten ließ sich von der Echtheit überzeugen, weshalb der Text auch in die große kaiserliche Büchersammlung aus den siebziger Jahren des achtzehnten Jahrhunderts aufgenommen wurde. Ein gewisser Makel haftet ihm dennoch bis heute an. Liu Gongmian, der Sohn des maßgeblichen Kommentators Liu Baonan, hält ihn für unbrauchbar.[16] Der Huang-Kan-Kommentar ist wesentlich ausführlicher als derjenige des He Yan. Das mag dem Geschmack der Zeit geschuldet sein. Allerdings enthält er sprachliche Merkmale, bei denen sich Philologen heute immer noch fragen mögen, ob sie wirklich schon auf das sechste Jahrhundert zurückgehen können oder ob sie nicht doch später sein müssen.[17] Das tut übrigens der Tatsache keinen Abbruch, dass die Lektüre dieses Kommentars interessante Interpretationen eröffnet.
Im siebten Jahrhundert verfasste Lu Deming (ca. 550–630) einen Glossenkommentar zu allen kanonischen Schriften. Das 24. Kapitel seines Jingdian shiwen (Erklärende Texte zu den kanonischen Schriften und Statuten) ist den Gesprächen gewidmet.[18] Es macht zwar wenige inhaltliche Bemerkungen, ist aber auch deshalb wichtig, weil es sich zur Anzahl der Abschnitte des Textes innerhalb einzelner Kapitel äußert, ein Thema, das die chinesische Gelehrsamkeit bis zum Ende des Kaiserreichs beschäftigt hat und das auch heute noch für Verwirrung sorgt, denn die Sprüche sind in den Übersetzungen oft unterschiedlich nummeriert. Von großer Bedeutung für die ersten europäischen Übersetzungen der Gespräche des Konfuzius, wie überhaupt für alle kanonischen Schriften, sind die Kommentare, die Zhu Xi (1130–1200), der wohl wichtigste Philosoph des zweiten Jahrtausends, verfasst hat.[19] An ihnen haben sich die Jesuiten orientiert, weil ihre chinesischen Informanten sie lasen, und die jesuitischen Übersetzungsentscheidungen haben bis heute großen Einfluss gehabt, auch wenn sich die späteren Übersetzer des neunzehnten und beginnenden zwanzigsten Jahrhunderts hier und da von ihnen lösten. Mit dem alten Verständnis des Textes haben sie allerdings oft nichts zu tun, und eine der vordringlichen Aufgaben des modernen Lesers ist, sich ihrer Suggestivkraft zu entziehen. Die Zhu-Xi-Interpretationen finden sich über diesen Umweg auf Schritt und Tritt in modernen Übersetzungen. Meist klingen sie schön und erstaunlich modern. Auch viele Chinesen lesen den Text durch diese Brille. Doch mit dem chinesischen Altertum hat das oft nichts zu tun. Leider waltet beim Übersetzen oft Intuition statt Wissenschaft.
Schon die Gelehrsamkeit der letzten Dynastie des Kaiserreichs hat aber mit Erfolg versucht, sich von Zhu Xi zu lösen. Während in der um 1800 erstellten Sammlung der Dreizehn Kanonischen Schriften, unter denen sich auch die Gespräche des Konfuzius finden, neben dem Kommentar des He Yan auch ein Song-zeitlicher Subkommentar des Xing Bing (932–1010) steht, der an traditionelle Vorgaben anschließt, stammt aus dieser Zeit auch der heute immer noch maßgebliche Kommentar des Liu Baonan (1791–1855), der neben dem He-Yan-Kommentar eine Reihe von späteren, interessanten Qing-zeitlichen Interpretationen zitiert.[20] Er ist die maßgebliche Vorlage für das Lunyu shuzheng des Yang Shuda (1885–1956) gewesen, der neben die einzelnen Lunyu-Sprüche zahlreiche Texte des chinesischen Altertums stellt, die ein moderner Leser kennen sollte, wenn er den Kontext des Gesagten verstehen möchte.[21] Noch ausführlicher ist das Lunyu jishi des Cheng Shude (1877–1944), doch würde eine genauere Vorstellung dieser Sammlung von Kommentaren den Rahmen des hier Notwendigen sprengen. Auch sie zeigt in jedem Fall nur die Spitze eines Eisbergs von Hunderten oder vielleicht eher Tausenden von Lunyu-Kommentaren, welche die chinesische Gelehrsamkeit im Verlauf der letzten beiden Jahrtausende hervorgebracht hat.[22]
Die erste und maßgebliche Biographie des in der westlichen Welt unter seinem lateinischen Namen Konfuzius[1] bekannten Kong Qiu aus Lu steht in den Aufzeichnungen der Chronisten des Sima Qian (ca. 145-ca. 87 v. Chr.). Sie enthält eine große Zahl von Parallelen zu den Gesprächen des Konfuzius. Oft ist die Biographie des Konfuzius in die Lunyu-Interpretation nur mit großer Vorsicht einbezogen worden, weil die Gefahr groß zu sein schien, dass sich Sima Qian Teile dieser Biographie auf der Basis der Gespräche ausgedacht haben könnte. Zudem empfanden manche traditionellen Gelehrten eine Reihe von Details nicht als schmeichelhaft für Konfuzius.[2] Doch ist auch die gegenteilige Ansicht möglich: Erstens könnte das, was späteren Generationen an der Biographie negativ vorkam, eigentlich eine ganz normale Darstellung sein, die erst vor dem Hintergrund späterer Hagiographien merkwürdig anmuten mag. Zweitens, und zum Teil damit zusammenhängend, könnten viele der Zitate aus den Gesprächen in den Aufzeichnungen der Fassung, wie sie in den Gesprächen steht, vorausgehen.[3] Mehrere Hinweise deuten für mich darauf hin, dass Han-zeitliche Kompilatoren der Gespräche des Konfuzius die Konfuzius-Biographie in den Aufzeichnungen – oder deren Vorläufer – genau kannten. Das gilt auch für andere Konfuzius-Überlieferungen wie diejenigen, die in einem wohl noch früheren Geschichtswerk enthalten sind, dem Zuozhuan (Überlieferungen des Zuo), das die Geschichte des Heimatstaates von Konfuzius von 722 bis 468 v. Chr. erzählt.
Viel ist über die Natur der Überlieferungen des Zuo spekuliert worden. Traditionell überliefert sind sie als ein Kommentar zu den Frühlings- und Herbstannalen, dem Chunqiu. Diese annalistische Chronik des im westlichen Teil der heutigen Provinz Shandong gelegenen Staates Lu – des Heimatstaates des Konfuzius – dokumentiert in knappen Sätzen die 242 Jahre von 722 bis 481 v. Chr. Konfuzius soll nach traditioneller Auffassung diese Chronik in eine Form gebracht haben, in der Eingeweihte anhand eines subtilen sprachlichen Codes seine eigenen Urteile, Lob und Tadel, zu den erzählten Ereignissen verstehen konnten. Möglicherweise sind die kurzen Dialoge und Sprüche der Gespräche Material für konfuzianische Lehrer gewesen, anhand dessen sie im Unterricht immer wieder Teile dieser Geschichte, zu der auch die Biographie des Konfuzius selbst gehörte, erzählen konnten. Sollte dies zutreffen, wie in der Übersetzung selbst nahegelegt, dann ist es notwendig, dass auch der heutige Leser mit der Geschichte vertraut ist, denn sonst kann er die Gespräche des Konfuzius nicht verstehen.
Seit der Han-Zeit wird das Zuozhuan einem Mann namens Zuo Qiuming zugeschrieben, der Chronist des Staates Lu gewesen sein soll. Konfuzius soll mit ihm zusammen die historischen Aufzeichnungen von Lu gesichtet und dann mündlich seine Schüler auch über die Dinge unterrichtet haben, die in den Texten nicht standen. Zuo Qiuming fürchtete, dass die Schüler die Geschichte nicht mehr wahrheitsgetreu darstellen könnten, und soll sie deshalb ausführlich aufgeschrieben haben. Indes taucht ein Zuo Qiuming nur im Spruch 5.26 auf, ansonsten ist von einem solchen Mann nichts bekannt, auch nicht in den Listen von Schülern des Konfuzius, die in der Han-Zeit auftauchen. Zudem ist sein Vorname «Qiuming» verdächtig. Er bedeutet nämlich: «Den [Kong] Qiu verständlich machen». «Zuo» heißt «links», und die Annahme liegt nahe, dass der Titel dieses Werkes in Kombination mit dem angenommenen Verfasser eigentlich heißen soll: «Die linke Tradition, die den Konfuzius erklärt». Dann wäre das Zuozhuan eine Quelle, die es sich zum Ziel setzt, die Gedanken des Konfuzius jenseits der orthodoxen Tradition verständlich zu machen. Vielleicht ist Zuo Qiuming also ein Pseudonym.
Als die Zhou-Dynastie im elften Jahrhundert v. Chr. die Macht über die nordchinesische Ebene übernahm, soll sie das Land als Lehen an Verwandte und verdiente Mitstreiter ausgegeben haben. Etwa ein Dutzend besonders wichtiger Staaten entstand auf diese Weise hauptsächlich in Nordost-, aber auch in Südostchina. Der Zhou-König war der chinesischen Tradition zufolge Oberherrscher, die Lehnsherren agierten in ihren Territorien weitgehend unabhängig, waren ihm aber untergeben. Das System, von dem wir nicht wissen, wie sehr es historiographische Realität oder Rückprojektion war, funktionierte, solange der Zhou-König Autorität besaß. Diese verfiel jedoch im Lauf der Jahrhunderte. Ab dem achten Jahrhundert v. Chr. betreten wir historisch sichereren Boden. Dies ist die Zeit, ab der die Zhou-Könige nur noch nominell herrschten, die Lehnsfürsten ihre Macht dafür beträchtlich ausbauten. Einer der in der Hierarchie bedeutendsten Staaten war das Herzogtum Lu, in dem ein Bruder des Dynastiegründers belehnt worden war, der Herzog von Zhou.
Im Jahr 722 v. Chr. kam in Lu Herzog Yin an die Macht. Mit ihm beginnen die Frühlings- und Herbstannalen. Da er nur Sohn einer Konkubine war, sollte er seinem Halbbruder, einem Sohn der Hauptfrau seines Vaters, bei dessen Volljährigkeit Platz machen. Dies soll er auch vorgehabt haben, doch wurde er aufgrund einer Intrige im Jahr 712 v. Chr. umgebracht. Sein Bruder kam auf den Thron. Er heiratete eine Frau aus dem nordöstlichen Staat Qi. Bei einem Staatsbesuch kam er in seinem achtzehnten Herrschaftsjahr in Qi ums Leben. Der Herzog von Qi hatte die Gelegenheit dazu genutzt, mit der Gattin seines Nachbarn aus Lu ein inzestuöses Verhältnis zu beginnen. Als dieser sich dagegen wehrte, brachte man ihn ebenso um, wie dies dem Herzog Yin zuvor in Lu geschehen war. Nach seinem Tod wurde er als Herzog Huan (711–694 v. Chr.) bezeichnet. Sein erster Sohn, Herzog Zhuang (693–662 v. Chr.), der nun auf den Thron von Lu kam, war dem Staat Qi verbunden, da seine Mutter von dort kam. Bei seinem Tod 32 Jahre später kam es erneut zu Thronfolgestreitigkeiten, die für die Geschichte von Lu und für die Gespräche des Konfuzius von Bedeutung sind. Herzog Zhuang hatte drei jüngere Brüder, von denen einer namens Shu Ya den Rat gab, er solle den ältesten dieser Brüder zu seinem Nachfolger machen. Der Herzog jedoch hatte einen seiner eigenen Söhne für die Nachfolge im Auge. Aus Sorge, der ratgebende jüngere Bruder könne nach seinem eigenen Tod seine Absichten wahrmachen, hieß er ihn Gift trinken und setzte dann seine Nachfahren mit dem besonderen Titel der Familie Shu-sun (Enkel des Shu) ein. Der jüngste Bruder Ji You folgte dem Wunsch des Herzogs Zhuang, doch brachte der älteste der drei Brüder, der ein Verhältnis mit der Frau seines Vaters angefangen hatte, den Kandidaten des Zhuang um und setzte einen Sohn der Schwester seiner Liebhaberin als Nachfolger ein (Herzog Min, 661–660 v. Chr.). Ji You jedoch konnte sich gegen seinen älteren Bruder durchsetzen und etablierte einen weiteren Sohn des Herzogs Zhuang. Dies war Herzog Xi (659–627 v. Chr.), der für 33 Jahre regierte. Dies festigte die Machtstellung der Familie des Ji You, dessen Nachfahren als Ji-sun-Familie (Enkel des Ji) bekannt wurden, während diejenigen des ältesten Bruders die Meng-sun waren. Meng-sun, Shu-sun und Ji-sun, die sogenannten San Huan, zu Deutsch die drei auf Herzog Huan zurückgehenden Familien, blieben bis zum Ende der Zeit der Frühlings- und Herbstannalen, und damit bis zum Tod des Konfuzius, die drei tonangebenden Würdenträgerhäuser in Lu. Die Ji-sun hielten die Vormachtstellung, während die Shu-sun immer der schwächste der drei Zweige waren. Nach dieser Vorgeschichte bestand selbstverständlich keine besondere Innigkeit zwischen den drei Häusern. Konfuzius und seine Schüler hatten politisch vor allem mit der Ji-sun-Familie zu tun, doch seine frühesten Schüler kamen aus der Meng-sun-Familie. Diese versuchte immer, Distanz zur großen Hofpolitik zu halten, weil sie Abstand zu den Ji-sun suchte.
Herzog Wen von Lu (626–609 v. Chr.) kam auf friedliche Art an die Macht, doch nach seinem Tod wurden seine älteren Söhne von einem Sohn des Herzogs Zhuang umgebracht, weil dieser einen anderen Favoriten unter den Söhnen hatte. Dies war Herzog Xuan (608–591 v. Chr.), während dessen Zeit die Macht der Ji-sun-Familie weiter wuchs. Er versuchte, gegen die drei starken Familien vorzugehen, starb aber, bevor er zur Tat schreiten konnte. Unter seinem Nachfolger Cheng (590–573 v. Chr.) verhinderte der starke Nachbarstaat Jin, dass man das Oberhaupt der Ji-sun-Familie zur Rechenschaft zog, und als Herzog Cheng starb, kam sein Sohn im Alter von drei oder vier Jahren auf den Thron. Er erhielt später den posthumen Namen Herzog Xiang (572–542 v. Chr.). Die Tatsache, dass ein minderjähriger Herzog nur nominell regieren konnte, führte dazu, dass die drei Familien ihre Macht weiter ausbauen konnten. Dies kulminierte darin, dass sie sich im elften Jahr der Herrschaft des Herzogs Xiang an die Spitze je einer der drei Armeen des Staates Lu stellten und damit die militärische Macht komplett übernehmen konnten.
Im 21. oder 22. Jahr des Herzogs Xiang (552 oder 551 v. Chr.) wurde Konfuzius in eine Familie geboren,[4] die sich auf den Adel des Nachbarstaates Song zurückführte, in dessen Traditionen wiederum das Erbe der Shang-Dynastie gepflegt wurde, so dass Konfuzius mit dieser Dynastie zusammengebracht worden ist.[5] Ein früher Vorfahr soll legitimer Erbe der Herrschaft dort gewesen sein, die er aber an seinen jüngeren Bruder abgab.[6] Einige Generationen später soll ein Vorfahr des Konfuzius mehreren Herzögen von Song loyal gedient haben. Dessen Sohn wiederum wurde zum ersten Träger des Namens Kong. Dieser tritt zum ersten Mal im Jahr 720 v. Chr. in Erscheinung, zwei Jahre nach dem Herrschaftsantritt des Herzogs Yin von Lu, mit dem die Frühlings- und Herbstannalen beginnen. Er hilft, nach dem Tod eines Herzogs in Song dort den legitimen Erben zu etablieren. Dieser Herzog wird einige Jahre später zusammen mit dem Erben der Kong-Familie umgebracht. Ein Mann aus einer konkurrierenden Linie mit dem Namen Hua hatte sich auf der Straße in die Frau dieses Kong verliebt, überfiel die Familie Kong und raubte die Frau.[7] Die Hua-Familie ist hundert Jahre später in Song immer noch tonangebend. Unter ihrem Oberhaupt Hua Yuan wird sie zur dominierenden Familie von Song in der Zeit des Herzogs Cheng von Lu. Im Jahr 576 muss Hua Yuan kurzfristig fliehen, kehrt aber zurück und tötet seine Feinde in Song.[8] Etwa um diese Zeit, vielleicht auch aufgrund eines anderen Ereignisses, über das wir nicht genau Bescheid wissen, dürfte der Urgroßvater des Konfuzius mit seiner Familie nach Lu geflohen sein. Die Familie Kong stammte also aus ursprünglich hohen Verhältnissen, hatte aber in Lu zunächst den Status von Flüchtlingen.[9]
Neben den drei großen Familien wird in Lu mit den Zang oder Zang-sun regelmäßig eine weitere Familie erwähnt. Diese führt sich auf einen der früheren Herzöge zurück. Der Vater des Konfuzius, ein Mann namens Shu-liang He, stand offenbar in ihren Diensten. Direkt auf die Stelle 3.14 im Lunyu folgend, in der Konfuzius seine Loyalität zu den Traditionen von Zhou bekundet, wird in 3.15 auch sein Vater erwähnt, ein Mann aus Zou, das möglicherweise mit Zhulou in Verbindung zu bringen ist, einer in späterer Tradition als «barbarisch» charakterisierten Stadt im Machtbereich von Lu, aus der wahrscheinlich der Yan-Clan der Mutter des Konfuzius stammte. Unter den Schülern des Konfuzius findet sich der Nachname Yan häufig. Auch die Zang oder Zang-sun standen vielleicht mit Zhulou in Verbindung. Konfuzius tadelt den Zang Wenzhong (gest. 617 v. Chr.) in den Gesprächen mehrfach, nimmt aber dessen Enkel Zang Wuzhong (letzte Erwähnung 532 v. Chr.) in Schutz. Konfuzius scheint die Stellung der Zang in Lu als kulturelle Erneuerer übernommen zu haben.[10] Vielleicht hat diese Rolle etwas damit zu tun, dass sowohl die Zang-sun als auch Konfuzius selbst nicht der kulturellen Hauptlinie in Lu entstammten, sondern teilweise fremde Ursprünge hatten.
Die Umstände der Geburt des Konfuzius sind umstritten, sie kam offenbar nicht durch eine reguläre Verbindung zustande. Vielleicht nahm sich sein Vater eine Zweitfrau außerhalb des regulären Familienwohnsitzes, weil er einen männlichen Nachkommen zeugen wollte, der die Dienste im Ahnentempel übernehmen konnte. Ein älterer Halbbruder des Konfuzius war beinbehindert, was ihn für diese Zwecke nach damaligen Sittenstandards ausschloss. Die Eltern gaben ihrem Sohn den Vornamen Qiu, was «Hügel» bedeutet, entweder wegen einer Ausbeulung, die Konfuzius bei der Geburt an der Stirn hatte, oder weil die Mutter an einem Hügel für einen Sohn gebetet hatte. Als sogenannten «Mannesnamen», einen Namen, der in China ab der Volljährigkeit von Vertrauten des Trägers anstelle des Vornamens benutzt wurde,[11] wählten sie Zhongni, wobei zhong für den «Mittleren» in einer Abfolge von Söhnen steht, während ni «Schlamm» bedeutet und offenbar eine Assoziation zum «Hügel» herstellen soll. Der Vater starb nach der Geburt des Konfuzius, so dass dieser als Halbwaise aufwuchs. Offenbar nahm man ihn aufgrund seines Flüchtlingsstatus in Lu nicht ganz ernst. Die Biographie des Konfuzius verweist darauf, dass Yang Hu, ein mächtiger Mann in Diensten der Ji-sun-Familie, der später zum Rebellen wurde, den Konfuzius von Festlichkeiten für die Männer des Staates ausschloss.[12] Seinen Aufstieg nimmt er dadurch, dass ihm Meng Xizi, das Oberhaupt der Meng-sun-Familie, kurz vor seinem Tod (518 v. Chr.) seine beiden Söhne anvertraut, weil er sieht, dass Konfuzius als Nachfahre von Weisen des Altertums die Regeln des sittlichen Umgangs beherrscht.[13] Die Söhne des Meng Xizi sind damit die ersten beiden Schüler des Konfuzius. Zumindest einer dieser Söhne ist in den Gesprächen erwähnt als Schwiegersohn des älteren Bruders von Konfuzius (5.2). Konfuzius dürfte auf diese Weise auch ein finanzielles Auskommen erhalten haben. Durch die Vermittlung eines der Söhne des Meng Xizi konnte Konfuzius die Zhou-Hauptstadt besuchen, wo er Sima Qian zufolge auf den daoistischen Meister Laozi traf, der ihm zum Abschied einige Weisheiten mit auf den Weg gab: Er solle sich in Bescheidenheit üben und nicht zu rechthaberisch sein. Nach Konfuzius’ Rückkehr soll sich die Schar der Schüler deswegen vergrößert haben.[14]
Zum Zeitpunkt, da Konfuzius seine wahrscheinlich ersten beiden Schüler bekam, war Herzog Xiang längst gestorben. An seine Stelle war im Jahr 541 v. Chr. der neunzehnjährige Herzog Zhao getreten, von dem es heißt, dass er noch das Verhalten eines Kindes aufgewiesen habe. Die Ji-sun-Familie hatte ihn offenbar anderen Söhnen vorgezogen, weil sie meinte, mit ihm leichtes Spiel zu haben. Tatsächlich blamierte sich der Herzog wiederholt im diplomatischen Verkehr.[15] Kurz nachdem Meng Xizi 518 v. Chr. gestorben war und seine Söhne zum Studium zu Konfuzius geschickt hatte, kam es zu einem folgenreichen Zwischenfall. Die Ji-sun-Familie hatte mit einer anderen Familie einen Hahnenkampf veranstaltet. Beide hatten die Hähne mit diversen unerlaubten Abwehrmechanismen präpariert und gerieten darüber in Streit. Die schwächere Familie suchte Hilfe bei Herzog Zhao, der den Sitz der Ji-sun-Familie angriff. Er stellte dort das Oberhaupt der Ji-sun, das in seiner Verzweiflung mehrere Vorschläge machte, die darauf hinausliefen, dass die Familie ihre Macht abgeben würde. Der Herzog jedoch ließ sich auf nichts ein, obwohl man ihm riet, er solle den Bogen nicht überspannen. Darauf schlossen sich die drei mächtigen Familien zusammen und vertrieben den Herzog in den nördlich gelegenen Nachbarstaat Qi. Dieser griff Lu an, eroberte eine Grenzstadt und installierte dort den flüchtigen Herzog, der einige Jahre später in den Herrschaftsbezirk der Großmacht Jin weiterzog und dort im 32. Jahr seiner Herrschaft (510 v. Chr.) in seinem 51. Lebensjahr starb. An seiner statt setzte man seinen jüngeren Bruder ein, der posthum unter dem Namen Herzog Ding («derjenige, der die Herrschaft stabilisiert») bekannt wurde.[16]
Im zwanzigsten Jahr des Herzogs Zhao kam Herzog Jing von Qi zu einem Staatsbesuch nach Lu, wobei er Gefallen an Konfuzius fand, weil dieser davon sprach, dass ein kleiner Staat mit dem richtigen Verhalten die Königswürde erlangen könne. Das bezog der Herzog, der einem großen Staat vorstand, offenbar auf sich selbst. Den Zhou-König nahm niemand mehr ernst, und offenbar dachte Herzog Jing daran, dass er ihn vielleicht ablösen könne. Fünf Jahre später verließ Konfuzius seine Heimat aufgrund des Tumultes, der durch die Vertreibung des Herzogs Zhao ausbrach. Er zog nach Qi, wo er, in armen Verhältnissen lebend, versuchte, eine Stellung zu erlangen. Dies wurde jedoch von den Würdenträgern in Qi hintertrieben, so dass Konfuzius nach Lu zurückkehrte.[17] Dort machte er sich durch seine Weisheit einen Namen.
Yang Hu wurde im Staat mächtiger und begann sich immer expliziter gegen die Ji-sun-Familie zu wenden.[18] Im fünften Jahr der Regierung des Herzogs Ding (505 v. Chr.) kam es zur ersten Machtprobe, bei der er auch einen weiteren Beamten namens Gongshan Buniu auf seine Seite ziehen konnte. Beide werden im siebzehnten Kapitel der Gespräche als Rebellen dargestellt, bei denen mitzumachen Konfuzius sich zumindest kurzfristig überlegte. Drei Jahre später kam es tatsächlich zur direkten Konfrontation, nach der Yang Hu zunächst nach Qi und später dann nach Jin fliehen musste. Yang Hu hatte versucht, die Oberhäupter der drei großen Familien abzusetzen und durch unzufriedene Familienmitglieder zu ersetzen.[19] Gongshan Buniu allerdings blieb Majordomus von Bi, wohin er auch den Konfuzius einlud. Dieser überlegte, tatsächlich dort hinzuziehen, doch Zilu, ein Schüler von ihm, von dem wir in der Konfuzius-Biographie an dieser Stelle zum ersten Mal hören, hielt ihn zurück.[20] Die Ziele von Yang Hu und Gongshan Buniu unterschieden sich nicht so sehr von denen des Konfuzius, nur die Wahl der Mittel missfiel seinen Schülern offensichtlich.
Die Konfuzius-Biographie sagt, dass sich Konfuzius aus den Zwistigkeiten heraushielt und sich stattdessen mit den kanonischen Schriften des Altertums, den Regeln des sittlichen Zusammenlebens und der Musik beschäftigt habe. Die Zahl seiner Schüler sei immer zahlreicher geworden. Sie seien aus weit entfernten Gegenden zu ihm gekommen. Liu Baonan meint, dass diese Aussage eine Anspielung auf den Anfang des ersten Kapitels der Gespräche des Konfuzius sei, wo Konfuzius betont, welche Freude es sei, wenn Schulfreunde aus der Ferne kämen.[21] Das würde diesen Satz auch in einen Zusammenhang mit der allgemeinen Unzufriedenheit mit den politischen Verhältnissen in der Heimat des Konfuzius stellen.
Direkt nach den Rebellionen von Yang Hu und Gongshan Buniu, der die Machtzentrale der Ji-sun-Familie beherrschte, soll Herzog Ding, wohl in seinem neunten Regierungsjahr, den Konfuzius zum ersten Mal in ein politisches Amt gehoben haben, zuerst dasjenige des Majordomus einer der Städte. Es folgten zwei Ämter in der Hauptstadtbürokratie. Wenig später durfte der nun über fünfzigjährige Konfuzius im zehnten Jahr des Herzogs Ding 500 v. Chr. bei einem Treffen des Herzogs mit seinem Widerpart aus Qi die Geschäfte des höchsten Staatsbeamten führen, eine Position, die offenbar nicht anderweitig besetzt war, vermutlich aufgrund der Probleme, in denen die drei großen Familien steckten. Das Treffen endete mit einem diplomatischen Triumph und Territorialgewinnen für Lu.[22]
Zwei oder drei Jahre später überredeten Konfuzius und sein militärisch für ihn agierender Schüler Zilu den Herzog dazu, die Metropolen der drei regierenden Familien zu schleifen. Im Grunde setzte er damit das Werk des Yang Hu fort. Die Shu-sun-Familie legte die Mauern ihrer Residenzstadt Hou kampflos nieder, während die Stadt Bi, die ursprünglich den Ji-sun gehörte, nun aber von dem Rebellen Gongshan Buniu geführt wurde, erst nach hartem Kampf aufgab. Die Meng-sun-Familie, der Konfuzius ja verbunden war, ließ sich allerdings nicht beugen und wurde möglicherweise auch verschont, weil ihre Zentrale in Cheng als Schutz der wenig nördlich gelegenen Grenze zum Nachbarstaat Qi strategisch wichtig war.[23]
Verschiedene Quellen sprechen davon, wie Konfuzius als Justizminister auch nicht vor der Hinrichtung einer Person zurückschreckte, die er für einen Haupträdelsführer hielt, der für Unruhe im Staat sorgte.[24] Den Aufzeichnungen der Chronisten zufolge soll sich das 496 v. Chr., im vierzehnten Jahr des Herzogs Ding, zugetragen haben, als Konfuzius 55 Jahre alt war.[25] Ab diesem Punkt beginnen die Aufzeichnungen in den wichtigsten Quellen zu Konfuzius voneinander abzuweichen. Zuozhuan spricht zwar im dritten Jahr des Herzogs Ai von Lu (492 v. Chr.) davon, dass sich Konfuzius in Chen, einem südwestlich von Lu gelegenen Staat aufhielt, doch ansonsten gewinnt man aus diesem Text nicht den Eindruck, dass er sein Heimatland verlassen haben könnte. Die Aufzeichnungen der Chronisten hingegen berichten davon, dass man in Qi begann, sich Sorgen zu machen, man könne die eigene Dominanz verlieren, wenn Konfuzius seine erfolgreiche Politik in Lu fortsetzen würde. Deshalb ersann der Staat eine List: Er schickte achtzig Tänzerinnen vor die Stadtmauern von Lu, die dort sowohl den Herzog als auch Ji Huanzi, das Oberhaupt der Ji-sun-Familie und damit den höchsten Minister, von der Regierung ablenkten. Das eigentliche Ziel aber war Konfuzius, von dem man wusste, dass er moralisch entrüstet sein würde. Sein Schüler Zilu trieb ihn überdies an, Lu zu verlassen. Konfuzius ging, soll aber zögerlich gewesen sein und gehofft haben, man würde ihn zurückrufen. Doch die Attraktion der Frauen war zu stark. Als Konfuzius fortgezogen war, soll Ji Huanzi in einer Mischung aus Ungläubigkeit, Verwunderung und Bedauern ausgerufen haben: «Der Meister macht mir eine Truppe von Mädchen zum Vorwurf!»[26]
Die Geschichte ist zu schön, um wahr zu sein, und dieselbe List findet sich auch in anderen Zusammenhängen, so dass man davon ausgehen kann, dass sie erfunden ist. Für die Chronisten aber markiert sie den Anfang einer langen Wanderschaft, auf die sich Konfuzius begab. Zuerst soll er sich in den Nachbarstaat Wei begeben und dort bei dem Schwager des Zilu, einem Mann aus der Familie Yan, aus der ja auch seine eigene Mutter stammte, Unterschlupf gefunden haben. Der Herzog von Wei soll ihn als Allererstes nach der Höhe seines Gehaltes in Lu gefragt haben, um ihm dann dieselbe Summe bereitzustellen. Doch Verleumder sorgten dafür, dass Konfuzius Wei nach zehn Monaten wieder verlassen musste. Er zog weiter nach Chen, geriet aber auf dem Weg dorthin bei der Grenzstadt Kuang, die offenbar noch zu Wei gehörte, in einen Hinterhalt, weil man ihn dort für Yang Hu hielt. Dieser hatte den Staat Wei Jahre zuvor damit gedemütigt, dass er eine Invasionsarmee aus Lu, die dabei war, einen weiteren Staat zu überfallen, hatte durch Kuang ziehen lassen, ohne in Wei um Erlaubnis zu fragen – in der sicheren Gewissheit, dass die Großmacht Jin ihn stützen würde. Man kann sich vorstellen, was für einen Schaden die Soldaten dabei in Wei angerichtet hatten. Erst als Konfuzius einige seiner Schüler – er muss mittlerweile eine größere Gruppe gehabt haben – in Wei zurückließ, gelang es ihm weiterzuziehen. Diese Situation ist vielfach literarisch verarbeitet worden, wobei die Gestalt des Konfuzius entsprechend überhöht wurde, und sie hat auch in den Gesprächen des Konfuzius ihre Spuren hinterlassen.[27] Die Belagerung in Kuang ist die erste der großen Notlagen, in die Konfuzius auf seinen Wanderungen geriet.
Einige Zeit später kehrte Konfuzius nach Wei zurück. Dort hatten sich in der Zwischenzeit ungeheuerliche Dinge zugetragen. Der Fürst persönlich lud im vierzehnten Jahr des Herzogs Ding von Lu (496 v. Chr.) einen Mann namens Zizhao aus dem Staat Song ein, der ehemals ein Liebhaber seiner eigenen Gattin Nanzi, die aus Song stammte, gewesen war.[28] Nanzi hatte ihn darum gebeten. Als der Kronprinz Kuaikui von Wei, der die Zusammenhänge offenbar nicht kannte, auf einer Gesandtschaftsreise war, die ihn durch das Territorium von Song führte, hörte er dort jemanden singen: «Wo Eure Sau jetzt befriedigt ist, könnt Ihr uns unseren Eber doch zurückschicken!» Der Kronprinz versank vor Scham fast im Erdboden. Er plante, Nanzi, die der Text explizit als seine eigene Mutter bezeichnet, umzubringen. Das Komplott aber missglückte, so dass er fliehen musste. Sein Weg führte ihn nach Jin, wo bereits Yang Hu aus Lu Zuflucht gefunden hatte.[29] Gegen diesen Staat führte eine Koalition ostchinesischer Staaten, darunter Wei, Krieg.
Als Konfuzius kurz nach diesen Geschehnissen im fünfzehnten Jahr des Ding von Lu (495) nach Wei kam, schickte Nanzi einen Boten und verlangte, dass Konfuzius ihr einen Besuch abstatte. Dies war im diplomatischen Austausch zwischen Staaten so üblich,[30] bei einem inoffiziellen Besuch allerdings nicht zwingend. Konfuzius versuchte sich in Ausflüchten, musste schließlich aber doch hingehen. Er hörte nur das Klimpern ihrer Jadegehänge aus der Richtung des Wandschirmes, hinter dem sie die Audienz entgegennahm, und verabschiedete sich dann. Zilu jedoch war unzufrieden, dass sein Lehrer sich auf dieses Abenteuer eingelassen hatte (6.28). Als wenig später der Herzog mit seiner Frau gemeinsam in seinem Wagen über den Markt fuhr und dem Konfuzius auftrug hinterherzufahren, verließ dieser den Staat Wei, genauso wie er zuvor schon Lu wegen der Frauen aus Qi verlassen hatte. Er soll in dem Zusammenhang den berühmten Ausspruch Lunyu 9.18, der in 13.3 wiederholt wird, getätigt haben. Auf den Liebhaber der Fürstin von Wei weist auch Lunyu 6.16 hin. Was Konfuzius als schamloses Verhalten empfand, vertrieb ihn. Gleichzeitig sollten er und seine Schule während der nächsten Jahre im Bann der Vorkommnisse in Wei bleiben.
Von Wei aus zog Konfuzius gen Osten nach Cao, das zwischen Wei und Lu lag, und weiter südlich nach Song. Dort trachtete ihm Huan Tui nach dem Leben, ein Vorfall, von dem Lunyu 7.23 zeugt. Huan Tui gehörte einer einflussreichen Familie in Song an und war Günstling des dortigen Herrschers, gleichzeitig aber offenbar auch mit der Familie des Liebhabers der Nanzi verbunden.[31] Von Song aus soll sich Konfuzius wieder nach Westen gewandt haben und nach Zheng weitergezogen sein, wo er seine Schüler aus den Augen verloren haben soll. Das soll einen Bewohner des Staates zu der etwas despektierlichen Äußerung gegenüber dem Konfuzius-Schüler Zigong, der an dieser Stelle zum ersten Mal auftaucht, veranlasst haben, er habe den Konfuzius gesehen, einen Mann, der den Eindruck eines Hundes gemacht habe, der sein Heim verloren hat.
Konfuzius zog weiter südlich nach Chen, wo er sich für mehr als zwei Jahre aufhielt. Die Situation dort war jedoch instabil. Mit dem Staat Wu erwuchs im Südosten eine neue Großmacht, die Chen angriff. Zudem scheinen einzelne Schüler den Konfuzius verlassen zu haben und nach Lu zurückgekehrt zu sein. Erstmals äußerte er den Wunsch heimzukehren, vorgeblich um darauf aufzupassen, dass sie keine Fehler begingen.[32] Erneut umzingelte man ihn und ließ ihn nur unter der Bedingung ziehen, nicht zurück nach Wei zu gehen, gegen das sich die Stadt, bei der er sich aufhielt, gerade aufgelehnt hatte. Konfuzius schwor einen Eid, dass er dies nicht tun werde, zog dann jedoch stracks nach Wei. Von Zigong dazu befragt, ob es denn zulässig sei, einen Eid zu brechen, antwortete er, dass einen erzwungenen Eidbund selbst die Geister nicht befolgten. Doch der alternde Herzog Ling von Wei fand dennoch keine Verwendung für ihn. In seiner Verzweiflung wollte Konfuzius sich erneut an einer Rebellion beteiligen, diesmal im Osten des Staatsgebietes von Jin, doch hielt ihn wie schon zuvor sein Schüler Zilu zurück. Stattdessen überlegte Konfuzius nun, direkt nach Jin zu ziehen, wo die Zhao-Familie die Fäden der Macht in ihren Händen hielt – und wo er auf den Kronprinzen von Wei sowie den Rebellen Yang Hu aus Lu getroffen wäre. Er schreckte jedoch davor zurück, den Gelben Fluss zu überqueren, als er hörte, dass Zhao Yang, das Oberhaupt der Zhao, zwei Würdenträger hatte hinrichten lassen. In diesem Zusammenhang fielen möglicherweise Aussprüche des Konfuzius über die Bedeutung des dahinziehenden Wassers, die sich in den Gesprächen finden.[33]
Der Entschluss, sich lieber nicht in die Kriegshandlungen zwischen Jin und Wei hineinziehen zu lassen bzw. Partei zu nehmen, dürfte bestärkt worden sein, als im Sommer des Jahres, des zweiten des Herzogs Ai von Lu (493 v. Chr.), Herzog Ling von Wei starb und sich die Frage stellte, wer ihn beerben sollte. Nachdem ein Sohn, der den Beinamen Zinan trug und offenbar ein Konkubinensohn war,[34] abgelehnt hatte, setzte man den Sohn des flüchtigen Kronprinzen ein, der posthum unter dem Namen «der Vertriebene» (Chu gong) bekannt wurde, weil es dem Kronprinzen Jahre später gelang, wieder auf den Thron in Wei zurückzukehren und seinen Sohn zu vertreiben. Zunächst jedoch setzten die im Großstaat Jin ansässigen Zhao Yang und Yang Hu den Kuaikui im Grenzgebiet von Jin zu Wei in der Stadt Qi ein und unterstützten seine Ansprüche. In den Zusammenhang gehört vielleicht die Frage des Ran You in Lunyu 7.15, ob sein Lehrer Konfuzius für den gegenwärtigen Herrscher von Wei, also den Enkel des Herzogs Ling, sei. Zigong findet dann heraus, dass Konfuzius nicht für ihn ist – was jedoch nicht heißt, dass er den Sohn Kuaikui wirklich bevorzugen würde.
Die Sehnsucht des Konfuzius nach seiner Heimat verstärkte sich, und er hoffte offenbar darauf, dass seine mittlerweile in Lu zu Einfluss gekommenen Schüler ihm eine entsprechende Position verschaffen würden. Wichtig war dabei unter anderem der Schüler Ran Qiu, der in Diensten der Ji-sun-Familie stand. Dieser jedoch setzte sich weniger für seinen Lehrer ein, als man das hätte erwarten sollen, obwohl Zigong ihm eingeschärft hatte, dass er sich für Konfuzius starkmachen solle. In diesen Kontext gehört der Ausruf Lunyu