Gesundheitselixier Beziehung -  - E-Book

Gesundheitselixier Beziehung E-Book

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Beschreibung

Wer in sicheren Bindungen lebt, der lebt gesünder und auch länger. Wer einsam ist und wenig soziale Unterstützung erfährt, der wird schneller krank. Soziale Beziehungen gehören zu den mächtigsten Gesundheitsfaktoren, so Christian Schubert, was auch zahlreiche Studien mit großer Eindeutigkeit belegen. Das Immunsystem ist aufs engste mit unseren sozialen Beziehungen verknüpft, ja es besteht eine starke Wechselwirkung. Wie sich diese gestaltet, das beleuchten 14 namhafte Expertinnen und Experten aus verschiedenen Perspektiven. Der Band versammelt Beiträge aus Fachbereichen wie der Psychoneuroimmunologie, der Bindungsforschung, der Biomedizin, der Systemtheorie, der Medizinsoziologie bis hin zur Musikwissenschaft. Und die Botschaft lautet: Es braucht eine neue Medizin, die diesen faszinierenden Zusammenhängen in der Praxis Rechnung trägt.

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In Gedenken an Prof. Dr. Dr. Kurt S. Zänker und Mag. Ina Kähler-Luft, die im Januar 2021 bzw. Juni 2024 verstorben sind. Prof. Zänker begründete mit mir die Kongressreihe »Psycho neuroimmunologie im Lauf des Lebens«, Mag. Kähler-Luft organisierte den zweiten und dritten Kongress. Beiden danke ich von Herzen für ihre freundschaftliche Unterstützung.

CHRISTIAN SCHUBERT

INHALT

Vorwort

CHRISTINE HEIM

Stress in frühen Lebensphasen und das lebenslange Erkrankungsrisiko

ANNA BUCHHEIM

Die Weitergabe von Bindung – Risiko- und Resilienzfaktoren

HEINER KEUPP

Überleben und Weiterleben

Sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen – und ihre biografischen Folgen

DAMIR DEL MONTE

Leben heißt Berührung – Für eine »Berührungsmedizin«

CHRISTIAN HERDER

Depression, Entzündung und Typ-2-Diabetes

Zwei chronische Erkrankungen und deren Wechselwirkungen

HARALD WALACH

Zirkulär statt hierarchisch!

Eine Kritik der methodischen Dogmatik

CHRISTIAN SCHUBERT

Biopsychosoziale Komplexität:

Wie das Immunsystem auf emotional bedeutsame Ereignisse des Alltags reagiert

ELLIS HUBER/BERENICE BERGMANN

PETRA: Ein biopsychosozialer Ansatz in der Therapie von rheumatoider Arthritis

THOMAS STEGEMANN

Lebenselixier Musik – oder: Musiktherapie wirkt!

LUDWIG JANUS

Pränatale Psychologie und Psychosomatik

ELLIS HUBER

Gesunde Menschen in einer gesunden Gesellschaft – die politische Dimension der Psychoneuroimmunologie

GÜNTER SCHIEPEK

Der therapeutische Prozess – und die Selbstorganisation komplexer Systeme

KARL-HEINZ LADWIG/KAROLINE LUKASCHEK

Unentrinnbar allein.

Die immuntoxischen Konsequenzen der Einsamkeit

Literatur

Autorinnen und Autoren

VORWORT

Liebe Leserinnen und Leser,

nichts gegen qualitativ hochwertige Ernährung, ausreichend Bewegung und beruhigende Entspannung. Aber haben Sie gewusst, dass die Qualität Ihrer zwischenmenschlichen Beziehungen noch viel mehr darüber aussagen kann, ob Sie gesund leben?

Würde man die Gesundheitsforschung auf einen Nenner bringen wollen, es wäre unbestreitbar, dass die sozialen Beziehungen zu den mächtigsten Gesundheitsfaktoren gehören. Denn viel zu deutlich zeigen Studien, dass Bindung, Beziehung und soziale Unterstützung, wenn sie ausreichend und hochwertig vorhanden sind, ein langes Leben in hoher Qualität ermöglichen. Umgekehrt gilt dasselbe: Wer wenig sichere Bindung im Leben erfährt und schlecht sozial eingebettet ist, wird schneller krank und lebt kürzer.

Die Psychoneuroimmunologie hat diesen Zusammenhang zwischen Gesundheit und Beziehung wissenschaftlich sehr genau untersucht und dabei Erstaunliches zeigen können: Sind unsere Beziehungen gesund, dann ist auch das Immunsystem fit, wir sind geschützt vor Infektionen, unsere Wunden heilen besser und das Risiko, eine schwere Krankheit zu entwickeln, ist gering – ja, wir altern sogar langsamer. Aber nicht nur das, das Immunsystem kann auch direkt steuernd in unsere Beziehungen eingreifen: Sind wir krank, sorgt es beispielsweise dafür, dass wir Menschen, die wir nicht gut kennen und von denen eine Gefahr für unseren Gesundungsprozess ausgehen könnte, meiden. Wir ziehen uns ins Private zurück. Menschen hingegen, die wir kennen und denen wir vertrauen, dürfen in unserer Nähe bleiben, damit sie uns helfen können, wieder gesund zu werden. Auch das vermittelt unser Immunsystem über zentralnervöse Veränderungen während einer Erkrankung.

Diese spannenden Erkenntnisse der Psychoneuroimmunologie und vieles mehr sind im vorliegenden Buch »Gesundheitselixier Beziehung« zusammengefasst. Das Buch basiert auf Vorträgen, die 2022 auf dem 3. Kongress »Psychoneuroimmunologie im Lauf des Lebens« präsentiert wurden und so unterschiedliche Themenbereiche betreffen wie Bindungsforschung, Psychoanalyse, Systemtheorie, Medizinsoziologie und Musik. Mein besonderer Dank gilt all jenen, die bei der praktischen Umsetzung dieses Buchprojekts beteiligt waren, allen voran Dr. Mathilde Fischer für ihre wie immer sehr verlässliche und akkurate Lektoratstätigkeit sowie Elke Günzel für die Gestaltung des Buches und des Covers.

ANNA BUCHHEIM

DIE WEITERGABE VON BINDUNG – RISIKO- UND RESILIENZFAKTOREN

EINFÜHRUNG

KINDHEITSTRAUMATA GEHÖREN zu den gesicherten Risikofaktoren für die Entwicklung psychischer Störungen – über die ganze Lebensspanne hinweg (Milner et al. 2022, Baldwin et al. 2023). In einer Vielzahl von Modellen zu den Ursachen von Krankheiten wird dieser Befund bestätigt, einerseits bei Borderline- und Persönlichkeitsstörungen, aber auch bei anderen Störungsbildern. Biologische Korrelate dieser traumatischen Erfahrungen betreffen einerseits das zentrale Nervensystem und andererseits die Interaktion des Hormon- und Immunsystems (Baumeister et al. 2016). Studien haben gezeigt, dass ein signifikanter Zusammenhang zum Beispiel zwischen mütterlich erlebter Kindesmisshandlung und einer gesteigerten Aktivität der Hypothalamus-Hypophyse-Nebennierenrinde (HPA) besteht, das heißt eine erhöhte Konzentration des Corticotropin-Releasing-Hormons (CRH) und eine stärkere Cortisolantwort auf psychosozialen Stress (Schury et al. 2017, Köhler-Dauner et al. 2019). Unsere Arbeitsgruppe beschäftigte sich zudem mit der Fragestellung, inwieweit Bindung und die entsprechenden Bindungspersonen in einer solchen Konstellation einen entsprechenden Schutzfaktor oder einen Puffer darstellen könnten (Buchheim et al. 2022).

Eine sichere Bindung zumindest an einen wichtigen Elternteil wurde schon in frühen Jahren von Egle et al. (1997) als ein elementarer Schutzfaktor bezeichnet. Dies wurde in einer Vielzahl an darauffolgenden Studien nachhaltig belegt (Atkinson et al. 2000). Inwieweit kann sich die mütterliche Bindung im Kontext der transgenerationalen Weitergabe protektiv auswirken? Genau diese Frage beschäftigte uns im Rahmen einer Bindungs-, Resilienz- und Risikoforschung auch in unserer Studie (Buchheim et al. 2022): Warum haben einige Eltern mit eigenen traumatisierenden Erfahrungen – und das ist immerhin doch ein relativ hoher Prozentsatz – ihre Traumata nicht an die nächste Generation weitergegeben? Darauf wird später nochmals genauer eingegangen.

Die Bindungsforschung hat eine sehr lange Tradition und beschäftigte sich erst einmal mit der Frage, inwiefern Bindungsmuster bei vorwiegend gesunden Familien über die Generationen hinweg weitergegeben werden. Eine Weiterentwicklung fand insbesondere in Bezug auf die Psychopathologie von Bindung statt, im Fall von beispielsweise Depression, Persönlichkeitsstörung, aber auch bei psychosomatischen Krankheiten (Buchheim & Senf-Beckenbach 2020).

Was die Bindungsforschung so spannend macht, ist unter anderem die Frage nach der Weitergabe von Bindungsmustern an die nächste Generation. Mit ihren Methoden lassen sich geradezu Vorher sagen treffen, wie sich ein Kind mit einem Jahr in Bezug auf die Bindung zur wichtigen Bezugsperson entwickeln wird. Daher spielt die Bindungsforschung in der Entwicklungs-, aber auch in der klinischen Psychologie eine wichtige Rolle. Wir alle sind mit einem Bindungsverhaltenssystem ausgestattet – ob wir nun Kind, Jugendliche oder Erwachsene sind –, das bis ins hohe Alter in spezifischen Situationen (zum Beispiel Gefahr, Trennung, Kummer) aktiviert wird. Ein zentrales Element der Bindungsdiagnostik bei Kindern und Erwachsenen ist allerdings, dass Bindung und Ressourcen nur dann gemessen werden können, wenn eine Aktivierung des Bindungssystems vorhanden ist, also eine stressreiche Situation hergestellt wird.

BEFUNDE AUS DER BINDUNGSFORSCHUNG

Die klassische Fremde-Situation nach Ainsworth et al. (1978) mit jeweils zwei Trennungen und zwei Wiedervereinigungen zwischen Kind und Bindungsperson wird seit Jahrzehnten als ein standardisiertes Verfahren eingesetzt, um durch Verhaltensbeobachtung von Kleinkindern deren Bindungsqualität im ersten Lebensjahr valide zu messen. Im Jugendalter und Erwachsenenalter werden zur Erforschung der Bindungsmuster Bindunginterviews wie das Adult Attachment Interview (AAI) (George et al. 1985) oder Adult Attachment Projective Picture System (AAP) (George & West 2012) eingesetzt. Das Bindungssystem wird in diesem Fall durch bestimmte Fragen zur Biografie, durch Bildergeschichten, die bindungsrelevante Themen enthalten, aktiviert. Die von den Probanden dazu berichteten Narrative werden dann ebenso im Hinblick auf die jeweiligen Bindungsrepräsentationen klassifiziert. Konzeptuell und empirisch sind die kindlichen und die Erwachsenen-Bindungsmuster recht hoch assoziiert, das heißt: Sichere Erwachsene, sichere Eltern haben in der Regel häufiger sichere Kinder, das sind bis zu 60 Prozent aller Bindungsmuster.

Es gibt zwei organisierte unsichere Bindungsmuster, die vermeidende und ambivalente Bindung, die Anpassungsstrategien darstellen, um die Nähe zur Bindungsperson auf Umwegen aufrechtzuerhalten. Das sogenannte desorganisierte Bindungsverhalten ist unter anderem assoziiert mit Familien mit Bindungspersonen, die eigene Traumata erlebt und diese nicht gut verarbeitet haben.

Eine Reihe von Befunden, die über die Lebensspanne der Betroffenen hinweg erstellt wurden, zeigen, dass sichere Bindung dazu beiträgt, Beziehungserfahrungen kohärent einschätzen und negative Erfahrungen durch eine breite Palette von Affekten integrieren zu können. Sichere Bindung ermöglicht einen gewissen Vorteil in Bezug auf weitere Entwicklungen, zum Beispiel im Umgang mit Peers im späteren Jugendalter, sie stellt einen Puffer gegen Störungsbilder dar, zum Beispiel gegen eine Borderline-Störung oder die Gefahr von Drogenmissbrauch. Eine Studie, die wir gerade publiziert haben, belegt, dass jugendliche Erwachsene, also Jugendliche, eben durch ihre Bindungssicherheit in einer Stress-Situation besser mit diesem Stress umgehen konnten, was sich hier in einer höheren Herzratenvariabilität gezeigt hat (Gander et al. 2022). Der Einfluss von Bindung auf den Umgang mit der Covid-Pandemie belegt außerdem, dass Bindungssicherheit einen Schutzfaktor insbesondere bei Jugendlichen darstellte (Coulombe et al. 2022).