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Wyatt ist Einzelgänger und von Beruf Verbrecher. Die Rechtsanwältin Anna Reid erzählt ihm von $ 300.000 Schwarzgeld im Safe ihres Partners. Zusammen schmieden sie einen Plan für einen Raubüberfall. Doch andere kommen ihnen in die Quere: Bauer - der Troubleshooter einer Organisation in Sydney, der sein Handwerk in Südafrika lernte, wo er reihenweise Schwarze umlegte. Ivan Younger - Hehler und Strohmann für alle Arten von windigen Geschäften und sein Brutalo-Bruder Sugarfoot, ein primitiver Cowboy-punk, der die Schnauze voll hat, immer nur den Rausschmeißer und Schuldeneintreiber für seinen Bruder zu mimen. Auch er will jetzt ein größeres Stück vom Kuchen ...
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Seitenzahl: 270
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Eins
Zwei
Drei
Vier
Fünf
Sechs
Sieben
Acht
Neun
Zehn
Elf
Zwölf
Dreizehn
Vierzehn
Fünfzehn
Sechzehn
Siebzehn
Achtzehn
Neunzehn
Zwanzig
Einundzwanzig
Zweiundzwanzig
Dreiundzwanzig
Vierundzwanzig
Fünfundzwanzig
Sechsundzwanzig
Siebenundzwanzig
Achtundzwanzig
Neunundzwanzig
Dreißig
Einunddreißig
Zweiunddreißig
Dreiunddreißig
Vierunddreißig
Fünfunddreißig
Sechsunddreißig
Siebenunddreißig
Achtunddreißig
Neununddreißig
Vierzig
Einundvierzig
Zweiundvierzig
Dreiundvierzig
Vierundvierzig
Impressum
Zum Autor
Zu den Übersetzern
Pulpmaster Backlist
Garry Disher
GIER
Ein Wyatt-Roman
Eins
Ein Ruck ging durch Wyatt. In der Auffahrt der Fromes war ein silberner BMW aufgetaucht. Die Scheinwerfer senkten sich, kamen wieder auf die richtige Höhe, als der Wagen auf die Lansell Road fuhr. Wyatt zählte die Köpfe. Frome am Steuer, seine Frau neben sich, die Kinder hinten. Er überprüfte die Zeit – 20.00 Uhr – und sah den BMW Richtung Toorak Road verschwinden.
»Los geht’s«, sagte Sugarfoot Younger.
Er griff nach dem Schlüssel im Zündschloß, aber bevor er ihn umdrehen konnte, umschlossen Wyatts Finger sein Handgelenk wie eine Stahlklaue. Sugarfoot sah sich um. In Wyatts schmalem Gesicht saßen die Augen eng und entschlossen.
»Wir warten«, sagte Wyatt.
Sugerfoot riß seine Hand los. »Verdammt, worauf denn?«
»Die Leute vergessen Sachen, Sugar. Sie fangen an zu frieren und kommen zurück, um ihre Mäntel zu holen. Wir warten.«
»Aha«, sagte Sugarfoot Younger verächtlich.
Er zündete sich eine Zigarette an. Das Streichholz flammte auf, beleuchtete sein klotziges Gesicht, seinen Ekel vor der Welt, Wyatt und dem ganzen Mist drum herum. Er warf das Streichholz aus dem Fenster und fing an, an seinen Haaren zu zupfen, die zu einem kurzen Pferdeschwanz an seinem Hinterkopf zusammengefaßt waren. »Erste Lektion«, sagte er, und blies einen Rauchring gegen die Windschutzscheibe, um die Reaktion der stillen Gestalt neben ihm auf die Probe zu stellen, »schieße nicht über das Ziel hinaus.«
Wyatt ging nicht darauf ein. Er hatte das nicht gewollt, hatte nicht gewußt, daß Ivan Younger seinen Bruder schicken würde. Er kurbelte sein Fenster herunter. Es war ein kühler Abend, die Luft roch nach Pflanzen und feuchter Erde. Es waren wenig Autos unterwegs, noch weniger Fußgänger. Von einem unauffällig geparkten Taxi aus beobachteten sie das Fromesche Anwesen, niemand beachtete sie.
Ein paar Minuten später, als zwei ältere Frauen aus einem nahegelegenen Haus die Straße betraten, Gesichter und Haar schimmerten schmutzig weiß im Licht der Straßenlaternen, sagte Wyatt: »Schalt die Innenbeleuchtung ein und lies den Stadtplan. Versuch dein Gesicht zu verbergen.«
»Verbergen?«fragte Sugarfoot. »Gibt’s jetzt auch noch Sprachunterricht?«
Die Frauen spazierten am Taxi vorbei. Als Wyatt sich auf seinem Sitz umdrehte, um sie zu beobachten, warf seine knochige Nase einen hakenähnlichen Schatten über sein Gesicht. Er sah, wie die Frauen an einem kleinen Morris Sedan stehenblieben. Nach einigem Hin und Her wegen der Schlüssel und wer fahren würde, stiegen die Frauen in den Wagen und fuhren davon. Sie würden sich nicht an zwei Männer in einem Taxi erinnern, die nach einer Adresse suchten.
Sugarfoot schaltete die Innenbeleuchtung aus und faltete den Stadtplan zusammen. »Mach schon, Wyatt. Wir hätten längst weg sein können.« Er schnippte seine Zigarette weg.
»Noch fünf Minuten«, sagte Wyatt.
Er beobachtete die Straße. Er würde die ganze Nacht warten, wenn ein Job das erfordern würde. Großmäuler wie Sugarfoot Younger wurden leicht nervös. Sie waren nie so stabil, wie man es gern hätte. Sie schluckten Aufputschmittel, pfuschten, machten Fehler. Was okay ist, dachte Wyatt, solange man nur nicht mit ihnen arbeitet.
Im Sitz neben ihm seufzte Sugarfoot und verlagerte seine schweren Glieder. Er trug Levis, eine Jeansjacke, ein rotes Bandana um den Hals geknotet und hohe, beschlagene Lederstiefel. Er hätte seinen Stetson aufgesetzt, wenn Wyatt kein Theater gemacht hätte. Mit dem Handrücken streifte er über die Stoppeln an seinem Kinn. Offenbar erstaunt über das Geräusch und die Empfindung, tat er es noch einmal.
Er wird gleich wieder anfangen zu labern, dachte Wyatt, warf einen flüchtigen Blick auf die glanzlosen, flachen Augen. Er kann sich einfach nicht beherrschen.
Als hätte er auf seinen Einsatz gewartet, sagte Sugarfoot Younger: »Kennst du Jesse James? Den Banditen? Okay, paß auf. Er hatte diese beiden Brüder in der Gang, und ihr Nachname war Younger.« Er legte seinen Kopf in den Nacken und sah Wyatt an. »Ich schätze, das macht mich und Ivan zu den zweiten Younger Brüdern.«
Er beobachtete Wyatt, wartete auf eine Antwort. Wyatt sagte nichts. Er hob nur sein Handgelenk, um die Uhrzeit zu überprüfen. Wie jede seiner Bewegungen war diese flüssig und sparsam.
»Es gibt da diesen Film über sie«, sagte Sugarfoot. »The Long Riders. Wie sie dauernd in Auseinandersetzungen geraten, bis sie zurückschlagen. Sie überfallen Züge, Banken, alles mögliche. Ich habe das Video zu Hause.«
Wyatt hatte von dieser Cowboy-Manie gehört. Die war höchstwahrscheinlich für den Namen Sugarfoot verantwortlich, ein Name aus einer alten Fernsehshow, aber er hoffte, daß der, der ihn Bruno Younger gegeben hatte, das ironisch gemeint hatte. Bruno Younger hatte mit einundzwanzig das richtige Alter für einen Cowboy-Punk, aber er war ein schwergewichtiger, brutaler Typ, und Wyatt konnte sich nicht vorstellen, wie er einen Zug von einem Pferderücken aus überfallen würde.
»Zum Schluß gibt’s diese lange Szene«, sagte Sugarfoot. »Die Gang überfällt eine Bank in Northfield, Minnesota – The Great Northfield, Minnesota Raid –, aber sie sind in eine Falle geraten. Es ist in Zeitlupe gedreht«, sagte er. Er schwieg. »Orchestriert«, sagte er dann und – als würde er das Wort erproben –, wiederholte er: »es ist orchestriert. Sekunde für Sekunde, jeder Schuß in Großaufnahme.« Er beschoß die Windschutzscheibe mit dem Finger. »Puff. Dann dieses phantastische Dunk, wenn die Kugel einschlägt.«
Wyatt schwieg immer noch. Sugarfoot, inzwischen ärgerlich, sagte: »Ivan glaubt, du bist Fachmann für Banken und gepanzerte Wagen und so.«
Wyatt beobachtete weiter den spärlichen Verkehr und das Haus der Fromes, das abgeschirmt hinter kunstvoll beschnittenen Bäumen lag. Sugarfoot gestikulierte plötzlich. »Wenn du wirklich so gut bist, wie kommt es dann, daß du diesen beschissenen Versicherungsjob für ihn machst?«
Gute Frage, dachte Wyatt. Ohne ihn anzusehen, wußte er, daß Sugarfoot den Kopf wie ein Klugscheißer hielt. Er war nicht überrascht, als Sugarfoot sagte: »Ich meine, es ist nicht gerade das, was man ein großes Ding nennen könnte. Hast du deine Nerven verloren?«
Wyatt merkte sich die Uhrzeit.
»Na ja«, sagte Sugarfoot lässig, »Ivan meint, du könntest mir ein paar Tricks aus dem Gewerbe beibringen, ich sollte also besser geduldig sein.«
Wyatt atmete tief durch. Aber er schwieg. Das konnte warten.
»Na klar, du könntest ein großes Ding vorbereiten und dir dazu hier das nötige Kleingeld beschaffen«, sagte Sugarfoot und musterte Wyatts Gesicht. »Vielleicht zusammen mit Hobba?«
»Zieh deine Handschuhe an«, sagte Wyatt.
Sugarfoot zog die Latex-Handschuhe über und startete den Motor. »Komm schon, Wyatt, geht’s um eine Bank? Einen Geldtransporter? Läßt du Ivan und mich mitmachen?«
»Fahr endlich los«, sagte Wyatt und zog Handschuhe aus der Innentasche seiner dünnen, ockerfarbenen Lederjacke.
Sugarfoot steuerte aus der Parklücke, über die Straße, in die Auffahrt des Frome-Hauses. Die Reifen des Taxis rollten knirschend über den Kies. Dicht aneinander gepflanzte Bäume beugten sich über die Auffahrt. Dann tauchte das Taxi aus der Dunkelheit auf, rollte auf eine gepflasterte Fläche vor dem Haus, an dessen Wand Efeu wie ein sich ausbreitender Fleck hochkroch. Über der Tür brannte Licht.
»Park hier«, sagte Wyatt. »Tu das, was Taxis tun, Licht an, Motor laufenlassen.«
»Das hast du mir alles schon mal erzählt.«
»Ich erzähle es dir noch mal.«
Sugarfoot bremste, schob den Schalthebel auf Parken. Beide Männer zogen Strumpfmasken über ihre Gesichter. Sie stiegen aus. Als Wyatt den beleuchteten Summer auf dem Türrahmen betätigte, murmelte er: »Denk dran, sie ist alt. Sie ist nur die Haushälterin.«
»Lektion Nummer zwei«, sagte Sugarfoot. »Hör dir die gleiche Scheiße immer wieder und wieder an.«
Wyatt hob die Hand. An einem Fenster hatte sich ein Vorhang bewegt. Die Haushälterin war da, genau wie Ivan Younger gesagt hatte. Das bedeutete, daß die Alarmanlage ausgeschaltet war. Die Haushälterin würde das Taxi sehen, die Sicherheitskette abnehmen und herauskommen, um nachzusehen.
Sie warteten. Als die Tür sich öffnete, drückte Wyatt sie auf, Sugarfoot drängte sich hinter ihm hinein.
»Oh«, sagte die Haushälterin.
Sie griff sich ans Herz, schnappte nach Luft und wich zurück an die Wand. Ihr Haar schien in graue, unordentliche Büschel aufzuspringen. Puder hatte die Gläser ihrer Brille verschmiert. Sie trug Hausschuhe und roch nach Sherry.
»Wir wollen Sie nicht verletzen«, sagte Wyatt freundlich. »Wir werden in fünf Minuten wieder weg sein. Aber wir müssen Sie zuerst fesseln, verstehen Sie?« Er drehte sich zu Sugarfoot um. »Hast du das Band?«
Sugarfoot klopfte auf seine Jackentasche.
Wyatt wandte sich wieder zur Haushälterin. »Wir werden Paketklebeband benutzen. Es schneidet nicht so ein wie ein Seil.« Er erklärte immer, was er tat. Es beruhigte die Leute, machte sie weniger unberechenbar. »Wir werden Sie in einen Stuhl setzen«, sagte er. »Das ist bequemer für Sie. Unglücklicherweise müssen wir Ihnen den Mund zukleben. Verstehen Sie?«
Die alte Frau schluckte und nickte.
Sugarfoot warf ein: »Bringen Sie mich nicht dazu, das zu benutzen.« Er hatte seine Jeansjacke geöffnet, Wyatt sah den Kolben einer kleinen Automatik im Hosenbund.
Die alte Frau schloß die Augen.
»Wir werden Sie nicht verletzen«, sagte Wyatt. Er schob Sugarfoot zur Seite, umklammerte den Ellenbogen der alten Frau und führte sie zu einem kleinen, antiken Stuhl neben einer antiken Flurgarderobe, auf der ein Telefon stand. »Setzen Sie sich dahin«, sagte Wyatt und drückte sie sanft an ihren Schultern herunter. Zu Sugarfoot sagte er: »Fessele sie«, und zog den Stecker des Telefons heraus.
»Nicht so fest«, sagte er, und behielt Sugarfoot im Auge.
»Und dann warte an der Haustür. Wenn du irgend etwas siehst oder hörst, komm und hol mich. Keine Heldentaten. Ich fange oben an.«
»Ich habe auch zwei Hände. Ich könnte unten anfangen.«
»Ich sagte: Warte.«
Wyatt fühlte sich jetzt befreit. Er konnte mit der Arbeit beginnen. Er war groß und muskulös, aber als er geräuschlos die Treppe hochlief, fühlte er sich leicht, kraftvoll und elastisch. Auf dem Treppenabsatz blieb er stehen, dann steuerte er auf das große Schlafzimmer an der Vorderseite des Hauses zu. Er stand auf der Türschwelle und musterte das Zimmer. Ein King-Size-Bett, Ankleidetisch, Schränke, tibetische Brücken auf dem Teppichboden, die Tür zum angrenzenden Badezimmer stand halb offen. Er lief quer durch das Zimmer und schaltete eine Nachttischlampe an. Das Armband von Carrier lag im Schmuckkasten. Er schob es in seine Jackentasche, ignorierte Ringe und Broschen, fand Frames Rolex und steckte sie zum Armband.
Er ging nach unten. Das Eßzimmer befand sich ebenfalls auf der Vorderseite des Hauses. Laut Ivans Einkaufsliste sollten sich das Meißner Porzellan und die silbernen Becher in der Anrichte unter dem Fenster, die Imari-Vasen und die antike Achtzigtausenddollarstanduhr auf dem Kaminsims befinden. Er fand sie, wickelte jedes Stück in Schaumstoff und packte alles in eine Kunststofftasche.
Frames Krügerrand und andere, seltene Münzen waren in einer Tischschublade im Büro. Die meisten Münzen lagen auf grünem Filz in einer länglichen Holzschachtel. Ein paar Einzelstücke waren in verplombte Plastiktäschchen verpackt. Wyatt kippte alle Münzen in eine zweite Tasche und ging in die Eingangshalle des Hauses zurück.
Irgend etwas stimmte nicht.
Sugarfoot war nicht mehr da, nur die Haushälterin. Sie war im Stuhl zusammengesunken, das Kinn auf der Brust. Wyatt stellte die Taschen auf dem Boden ab. Er trug immer noch seine Handschuhe, als er das Klebeband von ihrem Mund löste und ihr Kinn hob.
Ein roter Striemen lief über ihre Wange. Die Gesichtszüge waren schlaff. Ihre Bluse war aufgeknöpft und ein Strumpf bis zum Knie heruntergerutscht. Er tastete hinter dem Ohr nach ihrem Puls. Als er ihn fand, fühlte er ihn flattern und aussetzen. Er trat zurück mit einem Bild vor Augen: Sugarfoot, auf und ab schreitend, ohne jeden Verstand seinen Groll an der Frau auslassend.
Wyatt schlug mehrmals auf ihre Brust und suchte erneut ihren Puls. Nichts. Er ließ von ihr ab, um sich ein letztes Mal umzusehen. Etwas weiter den Flur entlang stand die Tür zu einem der Zimmer offen. Vorher war sie geschlossen gewesen. Er sah hinein. Es war ein kleines, gemütliches Fernsehzimmer. Abgesehen von einigen teuren Gemälden an der Wand machte es einen bescheidenen Eindruck. Aber die Anordnung der Bilder war irgendwie schief, und Wyatt, der das Zimmer durchquerte, um das näher zu untersuchen, entdeckte einen leeren Haken.
Er ging nach draußen und sagte sanft: »Sugar.«
Sugarfoot Younger schloß den Kofferraum des Taxis. »Yo?«
»Gib’s mir.«
Sugarfoot runzelte die Stirn und sah verdutzt aus.
»Das Bild«, sagte Wyatt geduldig. »Gib’s mir.«
»Machst du Witze? Weißt du, was das ist?«
Wyatt sprach nicht, sein schmales Gesicht verfinsterte sich. Er streckte seine Hand aus.
Mit angewidertem Gesicht öffnete Sugarfoot den Kofferraum und zog ein Gemälde von der Größe eines Taschentuches heraus. Der Rahmen war ziemlich breit, mit Ornamenten versehen, die goldene Farbe schimmerte. Wyatt ging ins Haus zurück und hängte das Bild wieder auf. Der Name auf dem Messingschild interessierte ihn nicht.
Er lief nach draußen zum Taxi, ließ die Taschen und die Leiche, wo sie waren. Kalte Wut überkam ihn. Unter anderen Umständen hätte er Sugarfoots Leiche ebenfalls zurückgelassen.
Zwei
Sugarfoot lehnte an der Tür des Taxis. Er sah Wyatt herauskommen und warf seine Zigarette weg. »Was ist mit dem Schmuck und dem anderen Zeug?« fragte er.
Wyatt ignorierte ihn. Er trat die Zigarette aus, hob sie auf und steckte sie in seine Jackentasche. Er fühlte, daß er kurz vor der Explosion stand. Er sagte eiskalt: »Wir lassen alles hier. Steig ein und fahr.«
Sugarfoot wartete ein paar Herzschläge lang, gab Wyatt zu verstehen, daß er dem Befehl Folge leisten würde, wenn es ihm paßte, und stieg dann hinters Lenkrad. Wyatt setzte sich auf den Beifahrersitz, schloß die Tür und starrte nach vorn durch die Windschutzscheibe.
Sugarfoot fuhr durch Toorak in Richtung Yarra. »Ivan wird angepißt sein«, sagte er und versuchte, es milde auszudrücken.
»Wo ist das Problem?«
Wyatt fühlte ein Pochen in seinem Kopf. Er schloß die Augen, bis es nachließ.
»Was hast du mit ihr gemacht?«
»Mit wem?«
Wyatt wartete, bis sie abgebremst hatten, um in den MacRobertson Bridge Kreisel einzufahren, dann griff er hinüber, zog ruckartig die Pistole unter Sugarfoots Gürtel hervor und bohrte sie in Sugarfoots Magengrube. »Fahr weiter«, sagte er. Als sie den Kreisel passiert hatten und sich auf der Brücke befanden, sagte er: »Wir fangen noch mal an. Was hast du mit der Frau gemacht?«
Sugarfoot jammerte vor Schmerz: »Nichts, was meinst du?«
Wyatt drückte wieder zu. »Sie ist tot. Du hast sie umgebracht.«
Sugarfoot schluckte und schüttelte den Kopf. »Nein, Kumpel. Ich war’s nicht.«
»Du hast ihr Angst eingejagt«, sagte Wyatt. »Das hat sie umgebracht. Jeder, der mit gestohlenem Zeug aus diesem Haus erwischt wird, steht unter Mordverdacht.«
»Ich habe sie kaum angefaßt«, sagte Sugarfoot und zuckte unruhig mit den Achseln. »Es war die Art, wie sie mich angesehen hat. Du weißt schon.«
Wyatt lehnte sich zurück, drehte sein bleiches Gesicht zum Fenster. Sugarfoot bog links ab und folgte der Abfahrt zum South Eastern Freeway. Die Funkstimme der Taxizentrale wurde je nach Lage des Senders schwächer oder stärker. Das Taxameter klickte: Fünfunddreißig Dollar, sechsunddreißig Dollar, siebenunddreißig.
Es war Freitagabend, viel Verkehr. Sugarfoot klopfte Sprüche, als wäre nichts geschehen: »Sieh mal, wie dieses Arschloch fährt … besorg dir ’ne Brille … mach’s mir, Süße.«
Wieder überquerten sie den Fluß und folgten ihm zu den Zufahrtsstraßen des Westgate Freeway. Wyatt sah hinaus in die Nacht. Vor ihnen erhob sich die beleuchtete Brücke in einem Rechtsbogen, in der Dunkelheit wirkte sie fremd auf ihn, wie eine Brücke in einer anderen Stadt.
Während der langen Abfahrt nach Footscray verfiel Sugarfoot in Schweigen. Als er wieder sprach, klang er selbstbewußt, als suchte er nach Anerkennung. »Dieses Bild«, sagte er, »war ein Tom Roberts, ein Vermögen wert. Letztes Jahr hat Ivan einen vertickt.«
Wyatt beachtete ihn nicht. Er hatte Aerobic-Trainer und Klempner getroffen, die jetzt Galerien betrieben, deswegen überraschte ihn nicht, daß die Youngers sich mit Kunst auskannten. Schließlich sagte er: »Es war nicht auf Ivans Liste, das bedeutet, es war nicht versichert. Es wäre sinnlos gewesen, wenn wir es mitgenommen hätten.«
»Dämliche Liste«, sagte Sugarfoot.
Er verringerte die Geschwindigkeit des Taxis. Sie befanden sich jetzt in der Nähe von Bargain City, dem Second-Hand-Trödelladen seines Bruders, in einer flachen, windigen Seitenstraße abseits der Williamstown Road. Auf der einen Seite ein St. Vincent de Paul Geschäft, auf der anderen eine Videothek. Autos parkten in zweiter Reihe auf der Straße, ihre Fahrer brachten Videos zurück oder liehen sich welche aus.
»Fahr von hinten ran«, sagte Wyatt.
Sugarfoot steuerte in eine Gasse und parkte vor der Hintertür von Ivans Lagerraum, hinter einem weißen Statesman. Ein Lichtstreifen schimmerte unter der Tür. »Warte hier«, sagte Wyatt. Er stieg aus, klopfte an die Tür des Lagerraums und wartete.
Eine hohe, gepreßte Stimme sagte: »Ja?«
»Wir sind’s«, sagte Wyatt. Ein Schüssel wurde umgedreht, ein Riegel glitt zurück. Die Tür öffnete sich und Ivan Younger fragte: »Alles gutgegangen?«
Wyatt antwortete nicht. Er machte eine Kopfbewegung Richtung Taxi: »Kümmert sich jemand drum?«
»Der Fahrer der Tagesschicht holt’s morgen früh ab, wie üblich«, sagte Ivan. Er ging zum Wagen und beugte sich in das Fahrerfenster. »Stell ihn vorne ab, Sugar, dann komm von hinten herein.«
Wyatt folgte Ivan durch die Hintertür. Der Lagerraum war groß, grau und düster, Betonblöcke und Stahlträger. Metallregale reihten sich an den Wänden. Neben aufgerissenen Lehnstühlen, verzogenen Tischplatten und verkratzten Hi-FiSchränken waren Kartons auf dem Boden gestapelt. Das einzige Licht kam von einer Neonröhre an der Decke.
»So«, sagte Ivan Younger. »Alles glattgegangen?«
Wyatt betrachtete ihn düster. Er hatte schon mal mit Ivan Younger gearbeitet. Ivan glaubte an die Vielfalt. Für Geld beschaffte er gefälschte Papiere, Sprengstoff, Gewehre, einen Schönheitschirurgen, Grundrisse, Chipkarten für Sicherheitssysteme, einen ›legitimen‹ Satz Reifen. Er hatte Kontakt zur Telekom, die ihm Telefonschaltungen in seine illegalen Clubs beschaffte. Heiße TV-Geräte und PCs kaufte er für zwanzig Cents pro Dollar an. Im Versicherungsbetrug war er eine Art Mittelsmann, handelte mit dem Geschädigten einen Anteil am Finderlohn oder an der Erstattung aus, so wie bei dem Job heute nacht. Er schmierte Versicherungsangestellte und Polizisten und wahrscheinlich auch Richter. Erst kürzlich hatte es Gerüchte gegeben, daß er sich in den Rotlichtbetrieb eines von Sydney aus operierenden Syndikats eingekauft hatte, das seine Basis in Melbourne ausbauen wollte. Nun starrte er auf Wyatt: »Wo ist das Zeug?«
Von seiner Position aus – Ivan gut im Auge behaltend –, konnte Wyatt die Hintertür und die Tür zu den Verkaufsräumen überwachen. Das tat er automatisch, genauso wie er Fahrstühle, Telefonzellen und andere beengte Räume vermied, von Türen, an die er geklopft hatte, zurücktrat, Menschenmengen als Schutz benutzte und unbeleuchteten Gängen auswich. Es war wie Atmen.
Ivan sagte wieder: »Wyatt. Das Zeug?«
Wyatt beobachtete ihn. Ivan Younger war älter als Sugarfoot, über vierzig; klüger, weniger streitlustig, nicht so berechenbar. Sein kahler Kopf schimmerte im spärlichen Licht des Lagerraumes. Die Glatzköpfigkeit glich er mit einem buschigen, graumelierten Schnurrbart aus. Er trug sackartige Leinenhosen mit überflüssigen Taschen und einen schmuddeligen, hellen Pullover. Die mit Quasten versehenen italienischen Schuhe klapperten auf dem Betonboden. Er erinnerte Wyatt an ein geschmeidiges Raubtier.
Ivan verschränkte die Arme vor seiner breiten Brust und lehnte sich gegen eine Werkbank. »Ist etwas nicht in Ordnung?«
Wyatts schmale Züge schienen schärfer zu werden. »Was verdammt noch mal glaubst du?«
»Sag’s.«
»Simple Sache, Routineangelegenheit, stimmt’s?«
»Stimmt.«
»Außer der Tatsache, daß es da noch jemand gibt, der seine eigenen Vorstellungen hat«, sagte Wyatt. »Wir haben da einen jungen Punk, der ein paar Tricks lernen möchte, damit er seinem älteren Bruder nützlich ist, und der ältere Bruder denkt: Warum schicken wir ihn nicht beim nächsten Mal mit einem Profi los?«
Ivan Younger trat unbehaglich von einem Fuß auf den anderen. »Dachte, es würde ihm guttun«, sagte er, seine hohe Stimme wurde eine Oktave höher. »Was hat er getan?«
»Später«, sagte Wyatt: »Gib mir meine Kohle.«
Ivan wies auf einen Safe in der Ecke. »Sie ist da drin. Erst will ich das Zeug haben.«
»Ich hab’s nicht.«
Ivan starrte ihn an. »Seid ihr nicht ins Haus gekommen?«
»Oh, wir sind wunderbar hereingekommen«, sagte Wyatt.
»Red keinen Scheiß. Warum ist das Zeug dann nicht da?«
»Mein Geld!«
»Auf keinen Fall. Du lieferst, wirst bezahlt, das war der Deal. Wenn du das anders siehst, verpiß dich.«
Wyatt stand federnd auf seinen Fußballen, die Fäuste geballt. Er behielt die Hintertür im Auge und sagte: »Wir mußten es da lassen.«
»Warum, verdammt noch mal? Du –?«
Sugarfoot kam durch die Hintertür. Er trug ein kleines Gemälde mit einem flachen Holzrahmen. »Hey, Ive? Er hat dir erzählt, was passiert ist? Hat kalte Füße gekriegt und das Zeug liegenlassen. Aber das habe ich noch gerettet.« Er durchquerte den Lagerraum und ging auf sie zu.
»Wovon redest du?« fragte Ivan. »Auf der Liste waren keine Bilder.«
Wyatt war hinter Sugarfoot getreten und packte ihn brutal am Pferdeschwanz. In der anderen Hand hielt er eine Pistole. Er richtete sie auf Ivan. »Wenn du dich bewegst, blase ich ihm das Hirn weg.«
Sugarfoot zappelte. Er hatte den sperrigen Körper eines Gewichthebers, und seinen großen Gliedmaßen fehlte es an Beweglichkeit, seine Arme bogen sich zur Seite. Er war einen Kopf kleiner als Wyatt. »Greif ihn dir, Ive«, grunzte er.
Wyatt drückte den Pistolenlauf unter Sugarfoots Kinn, schnitt ihm die Stimme ab. Ruckartig zog er am Pferdeschwanz und zwang Sugarfoots Kopf nach hinten. Das Gemälde polterte auf den Boden.
»Du willst, daß er was lernt?« sagte Wyatt. Mehrmals zog er Sugarfoots Kopf kräftig nach hinten. »Hier sind ein paar Grundlektionen. Erstens: Befolge die Anweisungen. Zweitens: Beherrsche deinen Part. Drittens: Keine Waffen, solange der Auftrag es nicht erfordert. Vier –«
Er ließ den Pferdeschwanz los und schlug Sugarfoot mit der Pistole ins Gesicht.
»Halt dich da raus«, sagte er zu Ivan, und richtete die Pistole wieder auf ihn. Dann rammte Wyatt ein Knie in Sugarfoots Leiste. Als er nach vorn kippte, schlug Wyatt ihm den Kolben in den Nacken. Sugarfoot brach zusammen und würgte.
Wyatt stieß ihn mit dem Fuß an. »Viertens: Überschätze dich nicht. Du bist nur ein Cowboy-Punk.«
Er wich zurück und schob die Pistole in die Tasche.
Ivan Younger entspannte sich. »Mit anderen Worten«, sagte er, »er hat’s versaut.«
Es war ein Versuch, witzig zu sein, doch Wyatt zog erneut die Pistole. »Meine Fünftausend.«
»Fick dich.«
Da standen sie und starrten einander an. Wyatt dachte nach. Stillstand. Verschwendete Zeit. Er wollte keine Feindschaft, und je länger er hier herumhing, desto gefährlicher wurde es. Die Pistole noch immer im Anschlag, bückte er sich, nahm das kleine Bild hoch und warf es in ein tiefes Waschbecken.
Ivan rief: »Was machst du denn da, verdammt?«
Wyatt reagierte nicht darauf. Er zerschmetterte das Glas mit dem Pistolenkolben, zerbrach den Holzrahmen und ließ das Bild ins Becken fallen.
»Mein Gott, Wyatt!« Ivan beobachtete dumpf, wie Wyatt das Bild mit Methylalkohol übergoß und es in Brand setzte.
»Es ist ein Whiteley«, sagte Ivan. »Weißt du, was einer von ihnen wert ist?«
Wyatt kannte Whiteleys. Wenn er wollte, konnte er jede Menge Whiteleys in jedem zweiten Haus in Toorak stehlen. Er beobachtete, wie das Bild zu Asche wurde, sagte: »Bleib mir vom Leib« und schlug die Tür hinter sich zu.
Drei
Ivan war froh, daß Wyatt weg war, dennoch war er nicht zufrieden. Zwar hatte er ihn um seine fünftausend Dollar gebracht, aber es war ein hohler Sieg. Denn Wyatt gehörte nicht zu der Sorte, der man mal eben so in die Quere kam. Er redete sich ein, daß er es wegen Wyatts Arroganz getan hatte, wegen der Art, wie er Sugarfoot zusammengefaltet hatte.
Er bückte sich und zog seinem Bruder am Ohr: »Steh auf.«
Sugarfoot kam langsam zu sich.
»Steh auf. Ich will wissen, was heute abend passiert ist.«
Sugarfoot verlagerte sein Gewicht auf die Hände, dann auf die Knie und schließlich stand er. Er schwankte, betastete sein Gesicht und sah seine Hände an. Sie waren blutverschmiert.
»Schau, was die Fotze mir angetan hat.«
»Ich werde noch einen drauflegen, wenn du mir nicht sofort erzählst, was passiert ist.«
Sugarfoot zuckte mit den Achseln, sein schlaffes, aufgedunsenes Gesicht wirkte zunehmend verdrossener. »Die Haushälterin, was wohl sonst? In der einen Minute geht’s ihr gut, in der nächsten macht sie schlapp.«
»Mein Gott.«
»Sie muß was am Herz gehabt haben.«
Ivan starrte seinen Bruder an. »Du hast nicht zufällig etwas nachgeholfen?«
»Nein, ich schwöre –«
»Ach, verpiss dich. Ich will nichts mehr davon hören.«
Ivan lehnte sich gegen die Werkbank und versuchte, sich zu konzentrieren. Wyatt würde nichts ausplaudern. Aber der Sachbearbeiter der Versicherung würde geschmiert werden müssen, sollte er plötzlich eine Art Gewissen entwickeln.
Dieser dämliche Sugar. Ein Superschwachkopf. Dieses Whiteley-Bild hätte sie alle nach Pentridge befördern können.
Er sagte scharf: »Hör zu – hast du irgend etwas anderes mitgehen lassen?«
»Nichts«, sagte Sugarfoot. »Hör zu, es tut mir leid, okay?«
Ivan betrachtete seinen Bruder mürrisch. Sugarfoot: Ein Witz von einem Namen, und dieser Schwachkopf war auch noch stolz darauf. Mit zwölf war er zum ersten Mal verhaftet worden. Darauf folgten zehn Haftstrafen, die von vier Tagen bis zu achtzehn Monaten reichten: Körperverletzung, Erpressung, Sozialhilfebetrug, Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz.
Er packte Sugarfoots Kopf mit einem Klammergriff. Die Augen sahen normal aus. Wann immer Sugar auf Koks, Angel Dust oder sonst was war, verkleinerten sich seine Pupillen.
Sugarfoot schüttelte ihn ab. »Laß mich los.«
»Ich hatte dich gebeten, dein Hirn zu benutzen«, sagte Ivan. »Und was passiert? Ich werde dich wieder zum Schulden eintreiben schicken müssen.«
Sugarfoot betupfte sein Gesicht mit einem Taschentuch. Er fröstelte in der kühlen Luft des Lagerraumes. »Ich werde mich verändern. Ich mache mich selbständig.«
»Ach, tatsächlich. Und womit? Alte Damen überfallen?«
Sugarfoot wurde rot: »Wyatt bereitet irgend etwas vor. Ich werde –«
Ivan packte ihn am Hemd. »Wenn das so ist und er dich herumlungern sieht, wird er dich allemachen, ohne eine Frage zu stellen. Geh ihm aus dem Weg.«
Sugarfoot sah hinunter auf die Hand seines Bruders. Mit einem überheblichen Gesichtsausdruck packte er sie und betrachtete befriedigt, wie Ivans Hand zurückzuckte. »Siehst du mein Gesicht? Vermutlich soll ich ihn damit davonkommen lassen?«
»Er spielt in einer anderen Liga«, sagte Ivan. »Weißt du was? Nimm dir das Wochenende frei. Wir werden sehen, was wir nächste Woche für dich finden.«
Allzuviel ändern würde sich nicht, dachte Ivan. Ihr bestehendes Arrangement funktionierte doch recht nett. Sugar arbeitete mit den Muskeln, er mit dem Kopf. Es wäre ungünstig für ihn, wenn Sugar im Alleingang beispielsweise Geschäfte mit Bauer und dem Syndikat in Sydney machen würde.
»Sugar? Denk darüber nach, okay? Nimm ein paar Tage frei. Geh zu den Mädchen ins Calamity Jane’s, steck dein Ding rein und wir reden Montag weiter.«
Die beste Lösung wäre, dachte er, Sugar die Art von Muskelarbeit zu besorgen, die er auch respektierte. Vielleicht konnte Bauer ihn gebrauchen.
Zusammen mit Sugarfoot ging er aus dem Laden auf die Straße. Sugarfoots Customline stand draußen neben dem Imbiß. Er klopfte seinem Bruder auf den Rücken, kehrte zurück in den Lagerraum, ging durch die Hintertür und stieg in seinen Statesman. Sein Autotelefon war das derzeit Beste auf dem Markt. Er tippte Bauers Nummer in St. Kilda. Placida, oder wie ihr Name auch lauten mochte, antwortete in ihrem Manila-Hurenhaus-Akzent: »Wer spricht bitte?«
»Gib mir Bauer.«
Der Hörer klapperte in seinen Ohren. Bauers krächzende Stimme drang durch die Leitung. »Ja?« Witzig die Art, wie Bauer immer noch ›Ja‹ sagte, obwohl er Südafrika vor vierzehn Jahren verlassen hatte.
»Es geht um Calamity Jane’s«, sagte Ivan, »Wollen Sie die Einnahmen am Montag nach Sidney bringen?«
»Ja.«
»Richten Sie denen aus, daß ich herausgefunden habe, wer den Rahm abgeschöpft hat.«
»Wer?«
»Die Schichtleiterin. Ellie.«
Es entstand eine Pause. Ivan fuhr fort: »Möchten Sie, daß ich die Sache in die Hand nehme?«
»Nein. In Sidney werden sie mir sagen, was zu tun ist. Ich werde mich darum kümmern, wenn ich Montag zurückkehre.«
»Was immer es ist, planen Sie meinen Bruder ein. Ich möchte, daß er ein paar Vorgehensweisen lernt, damit wir Sie nicht andauernd mit Kleinkram belästigen müssen.«
»Ihren Bruder?« sagte Bauer gepreßt.
»Sugarfoot«, sagte Ivan. »Er ist ganz okay. Er braucht nur jemanden, der ihm seinen Spielraum zeigt.«
Vier
Sugarfoot saß in seinem Customline, ließ den Kopf sinken und schluckte. Er wartete darauf, daß sich der bittere Klos in seinem Hals auflöste. Dann sagten ihm Schmerz und Scham und das Bedürfnis nach Ruhe, daß er nicht die ganze Nacht hier draußen bleiben konnte. Er ließ den schweren Motor an und fuhr los, weg von Bargain City, wieder über die Westgate Bridge hinüber nach Collingwood. Er fuhr langsam, eine Hand am Steuer, eine Schulter an der Tür. Wenn er sich bewegte, befürchtete er, würde er auseinanderbrechen.
Er erreichte ein heruntergekommenes Terrassenhaus und fühlte sich, als wäre er eine Woche weg gewesen. Die Lichter brannten. Die anderen waren zu Hause. Scheiße.
Er ging über die hintere Veranda hinein. In der Waschküche ließ er kaltes Wasser ins Becken laufen, beugte sich darüber, spülte seinen Mund aus und wusch das verkrustete Blut von Stirn und Wangen.
Auf dem Weg zur Treppe blieb er in der Küchentür stehen. Der Holzofen brannte, wärmte den Raum und erleuchtete ihn sanft. Tina hatte ihre Astrologiekarten offen auf dem Tisch liegen lassen. Wenn sie nicht darin las oder aus Kristallen Energie gewann, arbeitete sie ehrenamtlich für die Freunde der Erde. Rolfe bastelte an einer Fahrradlampe. Er trug den ganzen Winter über Shorts, und der Höhepunkt seines Tages war, fünfmal um den Viktoria Park zu laufen. Für Sugarfoot waren sie beide von einem anderen Planeten. Glücklicherweise war das Haus groß genug, um zu vermeiden, daß er ihnen andauernd begegnete, und sie waren zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um sich darum zu kümmern, was er für seinen Lebensunterhalt tat.
Tina sah auf, ihr Gesicht wie immer verkniffen, dann senkte sie den Kopf wieder. Für gewöhnlich trug sie Overalls, aber heute abend hatte sie etwas an, was wie ein T-Shirt in Zeltgröße aussah, darunter purpurrote Strumpfhosen und etwa ein Dutzend anderer Kleidungsstücke, so daß Sugarfoot immer noch keine Ahnung hatte, wie ihr Körper wohl beschaffen sein mochte. Sie bemerkte die Rißwunden und Beulen nicht.
Er ging nach oben in sein Zimmer, verschloß die Tür und zog die Vorhänge zu. Er hatte die ganze Nacht vor sich und würde sich entspannen.
Er zog seinen Koffer hervor und schloß ihn auf. Nun, da sich die .32er in Wyatts Händen befand, blieb ihm an Handwaffen nur noch der Nachbau eines .357 Colt Python mit einem fünfzehn Zentimeter langen, belüfteten Lauf. Aber er hatte noch eine Winchester – Magnum Kaliber. Ein Gewehr aus blauem Metall mit solidem Walnuß-Schaft. Ein Sammlerstück. Nur Krach und Größe waren ein Problem, und Munition dafür aufzutreiben. Sugarfoots Traum war eine handliche abgesägte Schrotflinte, eine Remington Elfhundert, die Schrotkörner von der Größe einer .38er Kugel verschoß.
Er hatte ein paar Gramm von dem Kolumbianischen in einer Plastiktüte in seinem Schuhputzkasten versteckt. Mit Strohhalm, Spiegel und Rasierklinge. Er hackte und ordnete das Koks zu zwei Linien und beugte sich – den Strohhalm im Nasenloch – darüber. Zwei schnelle, kurze Sniffs, in jedes Nasenloch einen, und warten, nicht allzu lange, bis sich die Entspannung breitmachte, die er jedesmal fühlte.
Dann das Videogerät einschalten, dieLong Riderseinschieben und zuschauen, wie die Geschichte der Great Northfield, Minnesota Raid ihren Lauf nahm. Er befand sich im falschen Jahrhundert. Er gehörte in die Vergangenheit, nicht in die Gegenwart. Ein Gewehr tragen, es benutzen, ohne Fragen zu stellen. Schnelle Überfälle auf einsame Städte, dann dahin verschwinden, wo sie einen nicht aufspüren konnten.
Keine der sinnlosen Arbeiten, die ihm Ivan auftrug. Ivan nannte ihn den Vollstrecker, damit er sich gut fühlte. Herumfahren und Schulden eintreiben, kleinen Spinnern drohen, die mit den Raten in Verzug kamen. Seine Muskeln sollte er benutzen, nie seinen Verstand.
Ein langer Film. Bis zum Ende saß Sugarfoot vorgebeugt in seinem Sessel, fühlte sich konzentriert und lebendig. Davon wurde er nie müde: Minuten wunderschöner Kameraführung, Action in Zeitlupe, komplizierte Verwicklungen und Soundeffekte, als wäre man mittendrin, hörte jedes Gewehrfeuer, hörte das kaum wahrnehmbare Pfeifen einer heranfliegenden Kugel, hörte den dumpfen Einschlag, das Spritzen von Knochensplittern und Blut.