Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Im 14. Band der Oz-Reihe - Glinda von Oz - versuchen Ozma und Dorothy, den Krieg zwischen zwei verfeindeten Völkern zu verhindern. Doch dabei geraten sie selbst in große Gefahr. Eines Tages stoßen Ozma und Dorothy im Großen Aufzeichnungsbuch auf die Erwähnung eines kommenden Krieges zwischen zwei fern von ihnen lebenden Völkern. Ozma will diesen Krieg um jeden Preis verhindern. Gemeinsam mit Dorothy macht sie sich auf den Weg, um Frieden zu stiften. Doch am Ort des Geschehens angekommen, stellen die beiden Mädchen fest, dass ihre Einmischung nicht erwünscht ist und der Krieg unvermeidbar scheint. Als sie schließlich unter einer riesigen Glaskuppel auf dem Grunde eines Sees gefangen sind, scheint ihr Schicksal besiegelt - denn es scheint, dass nicht einmal Glindas Magie sie aus ihrer Zwangslage befreien kann... Empfohlenes Alter: 5 bis 10 Jahre. Große Schrift, auch für Leseanfänger geeignet.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 195
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Dieses Buch
ist meinem Sohn
Robert Stanton Baum gewidmet
Nach dem Text der amerikanischen Erstausgabe von
„Glinda of Oz” (1920)
übersetzt von Maria Weber.
Kapitel 1: Der Ruf zur Pflicht
Kapitel 2: Ozma und Dorothy
Kapitel 3: Die Nebeljungfern
Kapitel 4: Das magische Zelt
Kapitel 5: Die magische Treppe
Kapitel 6: Der Berg der Flachköpfe
Kapitel 7: Die Magische Insel
Kapitel 8: Königin Coo-ee-oh
Kapitel 9: Lady Aurex
Kapitel 10: Unter Wasser
Kapitel 11: Die Bezwingung der Gebeutelts
Kapitel 12: Der Diamantene Schwan
Kapitel 13: Die Alarmglocke
Kapitel 14: Ozmas Ratgeber
Kapitel 15: Die große Zauberin
Kapitel 16: Die verzauberten Fische
Kapitel 17: Unter der großen Kuppel
Kapitel 18: Ervics Klugheit
Kapitel 19: Die Rote Rira, die Yookoohoo
Kapitel 20: Ein verwirrendes Problem
Kapitel 21: Die drei Zaubermeisterinnen
Kapitel 22: Die versunkene Insel
Kapitel 23: Die Zauberwörter
Kapitel 24: Glindas Triumph
GLINDA, die gute Zauberin von Oz, saß im großen Hof ihres Palastes, umgeben von ihren Kammerzofen – hundert der schönsten Mädchen des Märchenlandes von Oz. Der Palasthof war aus erlesenem, glänzend poliertem Marmor erbaut. Hier und da plätscherten Springbrunnen in süßen Melodien; die riesige, nach Süden offene Säulenhalle gewährte den Zofen, wenn sie den Kopf von ihren Stickereien hoben, einen Ausblick auf rosa überhauchte Felder und Baumhaine, die Früchte trugen oder mit süß duftenden Blumen beladen waren. Zuweilen begann eines der Mädchen ein Lied zu singen, und die anderen fielen in den Chor ein, oder es erhob sich ein anderes und tanzte, indem es sich anmutig zum Harfenspiel einer Kameradin bewegte. Und dann lächelte Glinda, die froh war zu sehen, wie ihre Zofen Spiel und Arbeit miteinander vermischten.
Nun sah man, wie sich zwischen den Feldern ein Objekt bewegte und auf den breiten Weg zum Schloßtor einbog. Einige der Mädchen sahen diesen Gegenstand neidisch an; die Zauberin warf nur einen flüchtigen Blick darauf und nickte mit ihrem schönen Haupt, als ob sie erfreut wäre, denn es bedeutete das Kommen ihrer Freundin und Herrin – der Einzigen im ganzen Land, vor der sich Glinda verneigte.
Dann trottete ein hölzernes Tier, das vor einen roten Wagen gespannt war, den Weg entlang, und als das ungewöhnliche Roß am Tor stehen blieb, stiegen zwei junge Mädchen, Ozma, die Herrscherin von Oz, und ihre Begleiterin, Prinzessin Dorothy, aus dem Wagen. Beide trugen einfache weiße Musselin-Kleider, und als sie die Marmorstufen des Palastes hinaufliefen, lachten und plauderten sie so fröhlich miteinander, als wären sie nicht die wichtigsten Personen im schönsten Märchenland der Welt.
Die Kammerzofen hatten sich erhoben und standen mit geneigten Köpfen da, um die königliche Ozma zu begrüßen, während Glinda mit ausgestreckten Armen nach vorne trat, um ihre Gäste zu begrüßen.
„Wir sind einfach auf einen Besuch vorbeigekommen“, sagte Ozma. „Sowohl Dorothy als auch ich fragten uns, wie wir den Tag verbringen sollten, als uns einfiel, daß wir seit Wochen nicht mehr im Quadling-Land gewesen waren, also nahmen wir das Sägepferd und kamen direkt hierher.“
„Und wir fuhren so schnell“, fügte Dorothy hinzu, „daß unser Haar ganz zerzaust ist, denn das Sägepferd ist schnell wie der Wind. Normalerweise ist es eine Tagesreise von der Smaragdstadt aus, aber ich glaube nicht, daß wir länger als zwei Stunden unterwegs waren.“
„Ihr seid herzlich willkommen“, sagte Glinda die Zauberin und führte sie durch den Hof in ihre prächtige Empfangshalle. Ozma nahm den Arm ihrer Gastgeberin, aber Dorothy blieb zurück, begrüßte einige der Mädchen, die sie am besten kannte, sprach mit anderen und ließ sie alle fühlen, daß sie ihre Freundin war. Als sie sich schließlich zu Glinda und Ozma in die Empfangshalle gesellte, fand sie sie ernsthaft über das Befinden des Volkes sprechen und darüber, wie man es noch glücklicher und zufriedener machen könnte – obwohl es bereits die glücklichsten und zufriedensten Leute auf der ganzen Welt waren.
Dies war natürlich für Ozma von Belang, aber es interessierte Dorothy nicht sehr, und so lief das kleine Mädchen zu einem großen Tisch, auf welchem Glindas Großes Aufzeichnungsbuch aufgeschlagen lag.
Dieses Buch ist einer der größten Schätze in Oz, und die Zauberin schätzt es von all ihren magischen Besitztümern am meisten. Das ist der Grund, warum es mit goldenen Ketten fest an dem großen Marmortisch befestigt ist, und jedes Mal, wenn Glinda das Haus verläßt, verschließt sie das große Buch mit fünf juwelenbesetzten Schlössern und verwahrt die Schlüssel sicher an ihrer Brust.
Ich glaube nicht, daß es in irgendeinem Märchenland etwas Magisches gibt, das mit dem Aufzeichnungsbuch zu vergleichen wäre, auf dessen Seiten ständig jedes Ereignis gedruckt wird, das in irgendeinem Teil der Welt passiert, und zwar genau in dem Moment, in dem es geschieht.
Und die Aufzeichnungen entsprechen stets der Wahrheit, obwohl sie manchmal nicht so viele Einzelheiten enthalten, wie man sich wünschen könnte. Aber andererseits geschehen viele Dinge und die Aufzeichnungen müssen kurz sein, ansonsten könnte selbst Glindas großes Buch sie nicht alle fassen.
Glinda sah mehrmals am Tag in die Aufzeichnungen, und Dorothy warf, wann immer sie die Zauberin besuchte, gern einen Blick in das Buch, um zu sehen, was überall geschah. Es wurde nicht viel über das Land von Oz aufgezeichnet, das normalerweise friedlich und ereignislos ist, aber heute fand Dorothy etwas, das ihr Interesse weckte. Tatsächlich erschienen die gedruckten Buchstaben auf der Seite, während sie sie betrachtete.
„Das ist lustig!“, rief sie aus. „Wußtest du, Ozma, daß es im Land von Oz ein Volk gibt, das man die Gebeutelts nennt?“
„Ja“, antwortete Ozma und kam an ihre Seite. „Ich weiß, daß es auf der Karte von Oz, die Professor Wackelkäfer angefertigt hat, einen Ort gibt, der mit ‚Gebeutelts‘ gekennzeichnet ist, aber wie die Gebeutelts sind, weiß ich nicht. Niemand, den ich kenne, hat sie jemals gesehen oder von ihnen gehört. Das Land der Gebeutelts liegt am oberen Rand des Gillikin-Landes, mit der sandigen, unwegsamen Wüste auf der einen Seite und den Bergen von Oogaboo auf der anderen Seite. Das ist ein Teil des Landes von Oz, von dem ich sehr wenig weiß.“
„Ich denke, auch sonst weiß niemand viel darüber, außer die Gebeutelts selbst“, bemerkte Dorothy. „Aber im Buch steht: ‚Die Gebeutelts von Oz haben den Flachköpfen von Oz den Krieg erklärt, und es wird wahrscheinlich zu Kämpfen und großem Aufruhr kommen.‘“
„Ist das alles, was das Buch sagt?“, fragte Ozma.
„Das ist alles“, sagte Dorothy, und Ozma und Glinda sahen beide auf die Aufzeichnung und wirkten verwundert und ratlos.
„Sagt mir, Glinda“, sagte Ozma, „wer sind diese Flachköpfe?“
„Ich weiß es nicht, Majestät“, gestand die Zauberin. „Bis jetzt habe ich noch nie von ihnen gehört, noch habe ich jemals von diesen Gebeutelts gehört. In den fernen Winkeln von Oz sind viele seltsame Völker verborgen, und diejenigen, die niemals ihre eigenen Länder verlassen und niemals von jemandem aus unserem bevorzugten Teil des Landes von Oz besucht werden, sind mir natürlich unbekannt. Wenn Ihr es jedoch wünscht, kann ich mittels meiner magischen Fähigkeiten etwas über die Gebeutelts und die Flachköpfe in Erfahrung bringen.“
„Ich wünschte wirklich, Ihr tätet es“, antwortete Ozma ernst. „Seht Ihr, Glinda, wenn dies Bewohner von Oz sind, sind sie meine Untertanen und ich kann nicht zulassen, daß es in dem Land, das ich regiere, zu Kriegen oder Streitigkeiten kommt, wenn ich es auf irgendeine Weise verhindern kann.“
„Sehr wohl, Majestät“, sagte die Zauberin. „Ich werde versuchen, ein paar Informationen zu erhalten, um Euch aufzuklären. Bitte entschuldigt mich für eine Weile, während ich mich in mein Zaubereizimmer zurückziehe.“
„Darf ich mit Euch gehen?“, fragte Dorothy eifrig.
„Nein, Prinzessin“, war die Antwort. „Es würde den Zauber verderben, wenn jemand anwesend wäre.“
Also schloß Glinda sich in ihr persönliches Zaubereizimmer ein, und Dorothy und Ozma warteten geduldig darauf, daß sie wieder herauskam.
Nach etwa einer Stunde erschien Glinda mit ernster und nachdenklicher Miene wieder.
„Majestät“, sagte sie zu Ozma, „die Gebeutelts leben auf einer magischen Insel in einem großen See. Aus diesem Grund kann ich, weil die Gebeutelts mit Zauberei zu tun haben, wenig über sie in Erfahrung bringen.“
„Ich wußte nicht, daß es in diesem Teil von Oz einen See gibt“, rief Ozma aus. „Die Karte zeigt einen Fluß, der durch das Gebeutelts-Land fließt, aber keinen See.“
„Das liegt daran, daß die Person, die die Karte erstellt hat, diesen Teil des Landes nie besucht hat“, erklärte die Zauberin. „Der See ist gewiß da, und im See ist eine Insel – eine magische Insel – und auf dieser Insel lebt das Volk, das die Gebeutelts genannt wird.“
„Wie sehen die Leute aus?“, fragte die Herrscherin von Oz.
„Meine Zauberkraft kann mir das nicht sagen“, gestand Glinda, „denn die magischen Kräfte der Gebeutelts verhindern, daß irgend jemand außerhalb ihres Herrschaftsbereiches etwas über sie weiß.“
„Die Flachköpfe müssen etwas wissen, wenn sie gegen die Gebeutelts kämpfen wollen“, wandte Dorothy ein.
„Vermutlich“, antwortete Glinda, „aber ich kann auch über die Flachköpfe nur wenig herausfinden. Sie sind ein Volk, das einen südlich des Sees der Gebeutelts gelegenen Berg bewohnt. Der Berg hat steile Hänge und einen großen eingefallenen Gipfel, der wie ein Becken aussieht, und in diesem Becken haben die Flachköpfe ihre Behausungen erbaut. Sie sind ebenfalls Zauberkünstler und bleiben für gewöhnlich für sich und erlauben keinem von außen, sie zu besuchen. Ich habe erfahren, daß die Flachköpfe etwa hundert Personen zählen – Männer, Frauen und Kinder – während die Gebeutelts hundertundeiner sind.“
„Worüber streiten sie und warum möchten sie miteinander Krieg führen?“, war Ozmas nächste Frage.
„Das kann ich Eurer Majestät nicht sagen“, sagte Glinda.
„Aber seht doch!“, rief Dorothy; „Es ist für jeden außer Glinda und den Zauberer gegen das Gesetz, im Land von Oz Zauberei zu betreiben. Wenn also diese Leute Zauberkünstler sind, verstoßen sie gegen das Gesetz und müssen bestraft werden!“
Ozma lächelte ihrer kleine Freundin zu.
„Von denjenigen, die mich oder meine Gesetze nicht kennen“, sagte sie, „kann nicht erwartet werden, daß sie meine Gesetze befolgen. Wenn wir nichts von den Gebeutelts oder den Flachköpfen wissen, ist es wahrscheinlich, daß sie auch von uns nichts wissen.“
„Aber sie sollten es wissen, Ozma, und wir sollten es wissen. Wer wird es ihnen sagen und wie werden wir sie dazu bringen, sich zu benehmen?“
„Darüber“, erwiderte Ozma, „denke ich gerade nach. Was würdet Ihr mir raten, Glinda?“
Die Zauberin nahm sich etwas Zeit, um über diese Frage nachzudenken, ehe sie antwortete. Dann sagte sie: „Hättet Ihr nicht durch mein Aufzeichnungsbuch von der Existenz der Flachköpfe und der Gebeutelts erfahren, würdet Ihr Euch keine Sorgen um sie oder ihre Streitigkeiten machen. Wenn Ihr also diesen Völkern keine Beachtung schenkt, werdet Ihr vermutlich nie wieder von ihnen sehen oder hören.“
„Aber das wäre nicht richtig“, erklärte Ozma. „Ich bin Herrscherin über das ganze Land von Oz, zu dem das Gillikin-Land, das Quadling-Land, das Winkie-Land und das Munchkin-Land sowie die Smaragdstadt gehören. Und als Prinzessin dieses Märchenlandes ist es meine Pflicht, alle meine Untertanen – wo auch immer sie sein mögen – glücklich und zufrieden zu machen und sie dazu zu bringen, ihre Streitigkeiten beizulegen. Wenngleich also die Gebeutelts und die Flachköpfe mich vielleicht nicht kennen oder nicht wissen, daß ich ihre rechtmäßige Herrscherin bin, weiß ich nun jedoch, daß sie mein Königreich bewohnen und meine Untertanen sind; also würde ich meine Pflicht nicht tun, wenn ich mich von ihnen fernhalten und ihnen zu kämpfen erlauben würde.“
„Das ist wahr, Ozma“, sagte Dorothy. „Du mußt in das Gillikin-Land gehen und diese Leute dazu bringen, sich zu benehmen und ihre Streitigkeiten beizulegen. Aber wie willst du das machen?“
„Das bereitet mir ebenfalls Sorgen, Majestät“, sagte die Zauberin. „Es kann gefährlich sein, in diese fremden Länder zu gehen, in denen die Menschen möglicherweise wild und kriegerisch sind.“
„Ich habe keine Angst“, sagte Ozma mit einem Lächeln.
„Es ist keine Frage von Angst“, sagte Dorothy. „Natürlich wissen wir, daß du eine Fee bist und nicht getötet oder verletzt werden kannst, und wir wissen, daß du über eine Menge Magie verfügst, um dir zu helfen. Aber, liebe Ozma, trotz alledem bist du bereits wegen böser Feinde in Schwierigkeiten geraten, und es ist nicht richtig, daß die Herrscherin von ganz Oz sich selbst in Gefahr bringt.“
„Vielleicht werde ich überhaupt nicht in Gefahr geraten“, erwiderte Ozma mit einem leisen Lachen. „Du solltest dir keine Gefahren ausmalen, Dorothy, denn man sollte sich nur schöne Dinge vorstellen, und wir wissen nicht, ob die Gebeutelts und die Flachköpfe böse Menschen oder meine Feinde sind. Vielleicht sind sie auch freundlich und lassen mit sich reden.“
„Dorothy hat recht, Euer Majestät“, versicherte die Zauberin. „Wir wissen wirklich nichts von diesen fern von uns lebenden Völkern, außer daß sie sich gegenseitig bekämpfen wollen und über gewisse magische Kräfte verfügen. Solche Leute mögen es nicht, wenn man sich einmischt, und sie würden wahrscheinlich eher dazu neigen, sich über Euer Kommen zu ärgern, als Euch freundlich und wohlwollend zu empfangen, wie es Euch gebührt.“
„Wenn du eine Armee hättest, die du mitnehmen könntest“, fügte Dorothy hinzu, „wäre es nicht so schlimm; aber es gibt keine Armee in ganz Oz.“
„Ich habe einen Soldaten“, sagte Ozma.
„Ja, der Soldat mit dem grünen Bart; aber er hat fürchterliche Angst vor seiner Waffe und lädt sie niemals. Ich bin sicher, er würde eher weglaufen als kämpfen. Und ein einzelner Soldat könnte, selbst wenn er tapfer wäre, nicht viel gegen zweihundertundeinen Flachköpfe und Gebeutelts ausrichten.“
„Was würdet ihr denn vorschlagen?“, fragte Ozma.
„Ich rate Euch, den Zauberer von Oz zu ihnen zu schicken, und sie von ihm darüber benachrichtigen zu lassen, daß es gegen die Gesetze von Oz verstößt, zu kämpfen, und daß Ihr ihnen befehlt, ihre Differenzen beizulegen und Freunde zu werden“, schlug Glinda vor. „Laßt den Zauberer ihnen sagen, daß sie bestraft werden, wenn sie sich weigern, den Befehlen der Prinzessin des ganzen Landes von Oz zu gehorchen.“
Ozma schüttelte den Kopf, um anzuzeigen, daß ihr der Rat mißfiel.
„Wenn sie sich weigern, was dann?“, fragte sie. „Ich wäre verpflichtet, meine Drohung wahrzumachen und sie zu bestrafen, und das wäre eine unangenehme und schwierige Angelegenheit. Ich bin sicher, es wäre besser, wenn ich friedlich ohne eine Armee und nur mit meiner Autorität als Herrscherin bewaffnet zu ihnen gehen und sie bitten würde, mir zu gehorchen. Wenn sie sich als hartnäckig erweisen würden, könnte ich andere Mittel ergreifen, um sie gefügig zu machen.“
„Es ist eine heikle Sache, wie man es auch betrachtet“, seufzte Dorothy. „Ich bedauere es jetzt, daß ich die Aufzeichnung im Großen Buch bemerkt habe.“
„Aber siehst du nicht, meine Liebe, daß ich meine Pflicht tun muß, jetzt, da ich mir dieses Problems bewußt bin?“, fragte Ozma. „Ich bin fest entschlossen, sofort zur magischen Insel der Gebeutelts und zum verzauberten Berg der Flachköpfe zu gehen und Krieg und Zwietracht zwischen ihren Einwohnern zu verhindern. Die einzige Frage, die ich zu entscheiden habe, ist, ob es besser ist, wenn ich alleine gehe, oder wenn ich eine Gruppe meiner Freunde und treuen Unterstützer zu meiner Begleitung zusammenstelle.“
„Wenn du gehst, will ich auch gehen“, erklärte Dorothy. „Was auch immer passiert, es wird Spaß machen – weil jede Aufregung Spaß macht – und ich will es mir um nichts in der Welt entgehen lassen!“
Weder Ozma noch Glinda schenkten dieser Aussage Beachtung, denn sie dachten ernsthaft über die Gefahren des vorgeschlagenen Abenteuers nach.
„Es gibt viele Freunde, die gerne mit Euch gehen würden“, sagte die Zauberin, „aber keiner von ihnen könnte Eure Majestät beschützen, falls Ihr in Gefahr wäret. Ihr seid selbst die mächtigste Fee in Oz, obwohl sowohl ich als auch der Zauberer über eine größere Bandbreite an Zauberkunst verfügen. Ihr verfügt jedoch über eine Kunst, die keine andere auf der ganzen Welt übertreffen kann – die Kunst, Herzen zu gewinnen und die Menschen dazu zu bringen, sich in Eurer gnädigen Gegenwart vor Euch zu verneigen. Aus diesem Grunde glaube ich, Ihr könntet alleine mehr Gutes bewirken als mit einer großen Anzahl von Freunden in Eurem Gefolge.“
„Das glaube ich auch“, stimmte die Prinzessin zu. „Ich werde in der Lage sein, auf mich aufzupassen, kann aber andere nicht sehr gut schützen. Ich suche jedoch keinen Streit. Ich werde in freundlichen Worten zu diesen Leuten sprechen und ihren Streit auf gerechte Weise beilegen – worin auch immer er begründet ist.“
„Willst du mich nicht mitnehmen?“, bat Dorothy. „Du wirst eine Gefährtin brauchen, Ozma.“
Die Prinzessin lächelte ihre kleine Freundin an.
„Ich sehe keinen Grund, warum du mich nicht begleiten solltest“, war ihre Antwort. „Zwei Mädchen sind nicht sehr kriegerisch, und sie werden uns nicht verdächtigen, auf einer anderen Mission als einer freundlichen und friedlichen zu sein. Aber um Krieg und Streit zwischen diesen wütenden Völkern zu verhindern, müssen wir sofort zu ihnen gehen. Laß uns jetzt gleich zur Smaragdstadt zurückkehren und Vorbereitungen für unsere Abreise morgen früh treffen.“
Glinda war nicht ganz zufrieden mit diesem Plan, ihr fiel jedoch keine bessere Lösung für das Problem ein. Sie wußte, daß Ozma, trotz aller Sanftmut und ihres freundlichen Wesens, an ihren einmal getroffenen Entscheidungen festhielt und nicht leicht wieder davon abgebracht werden konnte. Davon abgesehen sah sie keine große Gefahr für die Feenherrscherin von Oz bei dem Unternehmen, selbst wenn sich die unbekannten Völker, die sie besuchen sollte, als unfügsam erwiesen. Aber Dorothy war keine Fee; sie war ein kleines Mädchen, das aus Kansas gekommen war, um im Land von Oz zu leben.
Dorothy könnte auf Gefahren stoßen, die für Ozma harmlos wären, aber für ein „Erdenkind“ sehr ernst.
Allein die Tatsache, daß Dorothy in Oz lebte und von ihrer Freundin Ozma zur Prinzessin ernannt worden war, verhinderte, daß sie getötet werden oder große körperliche Schmerzen erleiden konnte, solange sie in diesem Märchenland lebte. Sie konnte auch nicht älter werden und würde immer dasselbe kleine Mädchen bleiben, das nach Oz gekommen war, es sei denn, sie würde das Märchenland auf irgendeine Weise verlassen oder sich davon entfernen. Aber Dorothy war dennoch eine Sterbliche und könnte möglicherweise zerstört oder gefangen gehalten werden, wo keiner ihrer Freunde sie jemals finden könnte. Sie könnte zum Beispiel in Stücke geschnitten werden, und diese, obschon sie noch lebten und keine Schmerzen litten, könnten weit verstreut sein; oder sie könnte tief unter der Erde begraben oder auf andere Weise von bösen Magiern „zerstört“ werden, wenn sie nicht richtig beschützt würde. Über diese Dinge dachte Glinda nach, während sie gemessenen Schrittes ihre Marmorhalle betrat.
Schließlich blieb die gute Zauberin stehen, zog einen Ring von ihrem Finger und reichte ihn Dorothy.
„Trage diesen Ring beständig bis zu deiner Rückkehr“, sagte sie zu dem Mädchen. „Wenn dir ernsthafte Gefahr droht, drehe den Ring an deinem Finger einmal nach rechts und einmal nach links. Dadurch wird die Alarmglocke in meinem Palast ausgelöst und ich komme sofort zu deiner Rettung. Verwende den Ring jedoch nur, wenn du tatsächlich Gefahr läufst, zerstört zu werden. Wenn du bei Prinzessin Ozma bleibst, wird sie, wie ich glaube, in der Lage sein, dich vor allen geringeren Übeln zu schützen.“
„Danke, Glinda“, antwortete Dorothy dankbar, als sie den Ring über ihren Finger streifte. „Ich werde auch meinen Zaubergürtel tragen, den ich dem Gnomenkönig abgenommen habe, und ich schätze, damit werde ich vor allem geschützt sein, was die Gebeutelts und die Flachköpfe mir anzutun versuchen könnten.“
Ozma hatte viele Vorkehrungen zu treffen, bevor sie ihren Thron und ihren Palast in der Smaragdstadt verlassen konnte, selbst wenn es nur für eine Reise von wenigen Tagen war, und so verabschiedete sie sich von Glinda und kletterte mit Dorothy in den Roten Wagen. Auf einen Befehl an das hölzerne Sägepferd hin zog diese erstaunliche Kreatur den Wagen an, und so schnell rannte sie davon, daß Dorothy bis zur Ankunft in der Smaragdstadt weder sprechen noch etwas anderes tun konnte, als sich auf ihrem Sitz festzuhalten.
IN Ozmas Palast lebte zu dieser Zeit eine lebendige Vogelscheuche, eine höchst bemerkenswerte und intelligente Kreatur, die einst das Land von Oz für eine kurze Zeit regiert hatte und von allen Menschen sehr geliebt und respektiert wurde. Einst hatte ein Munchkin-Bauer einen alten Anzug mit Stroh ausgestopft, der Gestalt ausgestopfte Stiefel angezogen und ein Paar ausgestopfte Baumwollhandschuhe als Hände hinzugefügt. Der Kopf der Vogelscheuche war ein ausgestopfter Sack, der am Körper befestigt war. Augen, Nase, Mund und Ohren waren auf den Sack gemalt. Nachdem ein Hut auf den Kopf gesetzt worden war, war das Ding eine gute Nachahmung eines Mannes. Der Bauer stellte die Vogelscheuche auf einer Stange in seinem Maisfeld auf und sie wurde auf merkwürdige Weise lebendig.
Dorothy, die am Feld vorbeigegangen war, war von der Vogelscheuche angesprochen worden und hatte sie von ihrer Stange gehoben. Dann ging sie mit ihr in die Smaragdstadt, wo ihr der Zauberer von Oz ein hervorragendes Gehirn gab und die Vogelscheuche bald zu einer wichtigen Persönlichkeit wurde.
Ozma betrachtete den Strohmann als einen ihrer besten Freunde und treuesten Untertanen. Deshalb bat sie ihn am Morgen nach ihrem Besuch bei Glinda, ihren Platz als Herrscherin des Landes von Oz einzunehmen, während sie auf einer Reise abwesend war. Die Vogelscheuche stimmte, ohne Fragen zu stellen, sofort zu.
Ozma hatte Dorothy empfohlen, ihre Reise geheimzuhalten und bis zu ihrer Rückkehr niemandem etwas über die Gebeutelts und die Flachköpfe zu sagen, und Dorothy versprach zu gehorchen. Sie sehnte sich danach, ihren Freundinnen, der kleinen Trot und Betsy Bobbin, von dem Abenteuer zu erzählen, das sie unternehmen würden, enthielt sich jedoch, ein Wort zu diesem Thema zu sagen, obwohl diese beiden Mädchen mit ihr in Ozmas Palast lebten.
Tatsächlich wußte nur Glinda die Zauberin, daß sie gehen würden, und selbst die Zauberin wußte nicht, was genau sie vorhatten.
Prinzessin Ozma nahm das Sägepferd und den Roten Wagen, obwohl sie nicht sicher war, ob es einen befahrbaren Weg bis zum See der Gebeutelts gab. Das Land von Oz ist ein ziemlich großer Ort, der auf allen Seiten von einer Tödlichen Wüste umgeben ist, die man nicht durchqueren kann, und das Gebiet der Gebeutelts befand sich laut der Karte im äußersten Nordwesten von Oz und grenzte an die nördliche Wüste. Da sich die Smaragdstadt genau im Zentrum von Oz befand, war es ein weiter Weg von dort bis zu den Gebeutelts.
Um die Smaragdstadt herum ist das Land in alle Richtungen dicht besiedelt, aber je weiter man sich von der Stadt entfernt, desto weniger Menschen gibt es, bis die an die Wüste grenzenden Teile nur noch eine geringe Bevölkerungszahl haben. Auch sind diese weit entfernten Bereiche den Bewohnern von Oz wenig bekannt, außer im Süden, wo Glinda lebt und wo Dorothy oft auf Entdeckungsreisen gewandert ist.
Das am wenigsten bekannte von allen ist das Gillikin-Land, das viele seltsame Völker zwischen seinen Bergen, Tälern, Wäldern und Bächen beherbergt, und Ozma war jetzt in Richtung der abgelegensten Teile des Gillikin-Landes unterwegs.
„Es tut mir wirklich leid“, sagte Ozma zu Dorothy, als sie im Roten Wagen dahinfuhren, „daß ich nicht mehr über das wunderbare Land weiß, das ich regiere. Es ist meine Pflicht, jeden Volksstamm und alle fremden und verborgenen Winkel in Oz kennenzulernen, aber ich bin in meinem Palast so sehr damit beschäftigt, Gesetze zu verabschieden und Pläne für die Bequemlichkeit derer zu schmieden, die in der Nähe der Smaragdstadt leben, daß ich nicht oft Zeit finde, lange Reisen zu unternehmen.“