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Ein Killer, der die Herzen seiner Opfer auf Gräbern ablegt: Der rasante Thriller ist Fall Nummer 18 für FBI-Special-Agent Aloysius Pendergast, den Kult-Ermittler aus der Feder der Bestseller-Autoren Douglas Preston und Lincoln Child. Eine äußerst morbide Mordserie wird zu einer ganz besonderen Herausforderung für Special Agent Aloysius Pendergast – denn dem erklärten Einzelgänger wird von seinem neuen Chef beim FBI ein Partner zur Seite gestellt. Den Frischling Agent Coldmoon im Schlepptau, reist Pendergast nach Miami Beach in Florida, wo ein Serienkiller die Herzen ermordeter Frauen zusammen mit kryptischen Briefen auf Gräbern ablegt. Während es zwischen den Opfern des Killers keinerlei Verbindung zu geben scheint, stellt sich schnell heraus, dass in den Gräbern ausnahmslos Selbstmörderinnen beigesetzt sind. Doch was haben diese toten Frauen mit den neuen Morden zu tun? Je tiefer Pendergast und Coldmoon graben, desto klarer wird ihnen, dass die Lösung des Rätsels weit in der Vergangenheit liegen muss – und dass ihr Gegner ihnen näher ist, als ihnen lieb sein kann. »Spannung, Abenteuer, unvorhergesehene Wendungen: Lesefutter mit Suchtpotenzial.« WDR über den Pendergast-Thriller »Demon – Sumpf der Toten«
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Seitenzahl: 481
Douglas Preston / Lincoln Child
Ein neuer Fall für Special Agent Pendergast
Thriller
Aus dem amerikanischen Englisch von Michael Benthack
Knaur eBooks
Eine äußerst morbide Mordserie wird zu einer ganz besonderen Herausforderung für Special Agent Aloysius Pendergast – denn dem erklärten Einzelgänger wird von seinem neuen Chef beim FBI ein Partner zur Seite gestellt.
Mit Agent Coldmoon im Schlepptau, reist Pendergast nach Miami Beach in Florida, wo ein Serienkiller die Herzen ermordeter Frauen zusammen mit kryptischen Briefen auf Gräbern ablegt. Während es zwischen den Opfern des Killers keinerlei Verbindung zu geben scheint, stellt sich schnell heraus, dass in den Gräbern ausnahmslos Selbstmörderinnen beigesetzt sind. Doch was haben diese toten Frauen mit den neuen Morden zu tun?
Je tiefer Pendergast und Coldmoon graben, desto klarer wird ihnen, dass die Lösung des Rätsels weit in der Vergangenheit liegen muss – und dass ihr Gegner ihnen näher ist, als ihnen lieb sein kann.
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
23. Kapitel
24. Kapitel
25. Kapitel
26. Kapitel
27. Kapitel
28. Kapitel
29. Kapitel
30. Kapitel
31. Kapitel
32. Kapitel
33. Kapitel
34. Kapitel
35. Kapitel
36. Kapitel
37. Kapitel
38. Kapitel
39. Kapitel
40. Kapitel
41. Kapitel
42. Kapitel
43. Kapitel
44. Kapitel
45. Kapitel
46. Kapitel
47. Kapitel
48. Kapitel
49. Kapitel
50. Kapitel
Leseprobe »Old Bones - Tote lügen nie«
Lincoln Child widmet dieses Buch seiner Tochter Veronica
Douglas Preston widmet dieses Buch Gussie und Joe Stanislaw
Sittsam spazierte Isabella Guerrero – von ihren Freundinnen und Mitspielerinnen im Bridgeclub Iris genannt – unter den Palmen des Friedhofs Bayside hindurch. Über ihr erstreckte sich ein schier endloser, blassblauer Himmel. Es war halb acht Uhr morgens, die Temperatur betrug um die 25 Grad, und der Tau, der immer noch auf dem breitblättrigen Sankt-Augustin-Gras lag, durchtränkte das Leder ihrer Sandaletten. In der einen Hand trug sie eine Handtasche von Fendi, in der anderen hielt sie die Leine, an der ihr Pekinese Twinkle wirkungslos zerrte. Iris schritt besonders achtsam zwischen den Gräbern und Anpflanzungen mit Buntnessel hindurch – denn erst drei Wochen zuvor hatte Grace Manizetti, beladen mit Einkäufen, auf dem Rückweg vom Publix das Gleichgewicht verloren und sich die Hüfte gebrochen.
Weil der Friedhof erst eine halbe Stunde zuvor seine Tore geöffnet hatte, hatte Iris ihn ganz für sich allein. So gefiel ihr das – Miami Beach wurde mit jedem Jahr voller. Selbst hier in Bal Harbour, am Nordende der Insel, war der Autoverkehr schlimmer, als sie das aus dem übervölkerten New York ihrer Kindheit kannte, als sie am Queens Boulevard aufwuchs. Und dieses scheußliche Einkaufszentrum, das vor einigen Jahren nördlich der Sechsundneunzigsten gebaut worden war, hatte alles nur noch schlimmer gemacht. Und nicht nur das: Von Süden her hatten sich – zusammen mit den Bodegas und casa dies und tienda das – nicht wünschenswerte Elemente ausgebreitet. Gott sei Dank hatte Francis in weiser Voraussicht die Eigentumswohnung im Grande Palms Atlantic gekauft. Das Hochhaus in Surfside grenzte direkt an den Strand, sodass der Blick unverbaubar war.
Francis. Endlich sah sie sein Grab. Die Sonne Floridas hatte den Grabstein ein ganz klein wenig ausgebleicht, aber die Grabstelle wirkte sauber und ordentlich – dafür hatte sie gesorgt. Twinkle, der merkte, dass sie sich ihrem Ziel näherten, hatte aufgehört, an der Leine zu ziehen.
Es gab ja so vieles, wofür sie Francis dankbar sein musste. Drei Jahre zuvor war er von ihr gegangen, und seither war ihr nur noch bewusster geworden, wie dankbar sie ihm war. Denn Francis war so vorausschauend gewesen, das väterliche Fleischerei-Fachgeschäft von New York City an die Küste Floridas zu verlegen, damals, als dieser Abschnitt der Collins Avenue noch verschlafen und preiswert war. Zudem hatte Francis das Geschäft im Laufe der Jahre umsichtig vergrößert und ihr beigebracht, wie man die Waagen und die Registrierkasse bediente, sowie die Bezeichnungen und Eigenschaften der verschiedenen Fleischstücke. Und schließlich hatte Francis für den Verkauf des Ladens genau den richtigen Zeitpunkt getroffen – das Jahr 2007, bevor die Immobilienpreise abstürzten. Der riesige Gewinn, den sie gemacht hatten, hatte ihnen nicht nur erlaubt, die Wohnung im Grande Palms zu kaufen (zu einem Tiefstpreis, im Jahr darauf), sondern auch ermöglicht, dass sie viele Jahre lang einen komfortablen Ruhestand genießen konnten. Wer hätte gedacht, dass Francis so bald an Bauchspeicheldrüsenkrebs sterben würde.
Inzwischen war Iris am Grab angekommen und blieb einen Moment stehen, um über den Friedhof hinauszuschauen und die Aussicht zu bewundern. Trotz des Gedränges der vielen Leute auf der Straße und des starken Autoverkehrs bot sich ihr ein friedliches Bild: der Kane Concourse, der sich über die Harbor Islands in Richtung Festland erstreckte, die weißen Dreiecke der Segelboote, die bis hinauf zur Biscayne Bay kreuzten. Und alles war in freundliche, tropische Pastellfarben getaucht. Der Friedhof war eine Oase der Ruhe, vor allem morgens, wenn Iris sogar im März – dem Höhepunkt der Urlaubssaison – ein wenig Zeit am Grab ihres verstorbenen Ehemanns zubrachte, um zu sinnieren.
Die kleine Vase mit Plastikblumen, die sie neben den Grabstein gestellt hatte, stand irgendwie schief – sicherlich wegen des Tropensturms, der vorgestern über Florida hinweggefegt war. Sie justierte die Vase, zog ein Taschentuch aus der Handtasche, wischte die Blumen ab und begann, sie zu säubern. Plötzlich spürte sie, dass Twinkle wieder an der Leine zog, und das heftiger als zuvor.
»Twinkle!«, schalt sie. »Nein!« Francis hatte den Namen – kurz für Twinkle Toes – gehasst und den Hund immer Tyler genannt, nach der Straße, in der er aufgewachsen war. Aber Iris fand Twinkle schöner, und wenn Francis nun auch von ihr gegangen war, glaubte sie doch nicht, dass er etwas gegen den Namen einzuwenden hätte.
Sie drückte die Vase in den Boden, damit sie fester stand, presste das Gras ringsum an und lehnte sich ein wenig nach hinten, um ihr Werk zu bewundern. Aus dem Augenwinkel nahm sie eine Bewegung wahr – vielleicht der Friedhofsgärtner oder eine andere Trauernde, die einem Toten die Ehre erwies. Es war jetzt kurz vor acht, und der Friedhof Bayside war schließlich der einzige auf der ganzen Insel. Da durfte man nicht erwarten, ihn ganz für sich allein zu haben. Sie würde ein Gebet sprechen, dasjenige, das sie und Francis vor dem Zubettgehen immer gemeinsam aufgesagt hatten, und dann wieder zurück zum Grande Palms fahren. Um zehn fand dort eine Eigentümerversammlung statt, und sie hatte vor, ein paar überaus deutliche Worte zu sprechen, was den Zustand der Bepflanzung in der Nähe des Eingangsbereichs betraf.
Twinkle zog immer noch stark an der Leine, und jetzt kläffte er auch noch. Sie schalt ihn noch einmal. Ein solches Betragen sah ihm gar nicht ähnlich – normalerweise benahm sich der Pekinese relativ brav. Außer als diese furchtbare Russisch Blaue in 7B ihn einmal gejagt hatte. Während Iris sich aufrichtete und sich gedanklich auf ihr Gebet vorbereitete, nutzte Twinkle die Gelegenheit und rannte los, wodurch ihr die Leine aus der Hand glitt. Wie ein Irrer flitzte er über den feuchten Rasen, die Leine hinter sich herziehend und bellend.
»Twinkle!«, rief sie in barschem Tonfall. »Komm sofort zurück!«
Der Hund blieb an einem Grabstein in der nächsten Reihe stehen. Irgendetwas dort fand er wahnsinnig interessant. Selbst aus dieser Entfernung war zu erkennen, dass der Grabstein älter als der von Francis war, aber nicht viel. Vor dem Grabstein lagen ein paar frische Blumen und etwas, das ein von Hand geschriebener Brief zu sein schien. Aber nicht das zog Iris’ Aufmerksamkeit auf sich; Blumen und Briefe ebenso wie eine Vielzahl von Grabbeigaben liebender Angehöriger sah man auf der Hälfte der Gräber auf dem Bayside. Nein, auf Twinkle selbst wurde sie aufmerksam. Offenbar hatte er etwas gefunden, das unten am Grabstein lag, und veranstaltete deswegen ein Riesenspektakel. Weil Twinkle den Gegenstand verdeckte, konnte Iris nicht erkennen, um was es sich dabei handelte, jedenfalls hatte er sich darübergebeugt und schnüffelte und leckte daran.
»Twinkle!« Das gehörte sich einfach nicht. Das Letzte, was Iris wollte, war, an diesem Ort der Ruhe eine Szene zu machen. Hatte ihr Hündchen ein altes Hundespielzeug gefunden? Eine Süßigkeit vielleicht, die einem vorbeigehenden Kind aus der Hand gefallen war?
Das Gebet würde warten müssen, bis sie Twinkle wieder an der Leine hatte.
Iris steckte das Taschentuch zurück in die Handtasche und näherte sich Twinkle mit langen Schritten. Doch während sie schimpfend näher kam, packte er den gerade eben gefundenen Schatz und lief davon. Entsetzt und zugleich verlegen sah Francis ihn in einer Gruppe Palmettopalmen aus dem Blickfeld verschwinden.
Verärgert seufzte sie auf. Francis hätte das gar nicht gern gesehen; er hatte stets darauf bestanden, dass Hunde artig und folgsam zu sein hätten. »Dieser dumme kleine Köter«, hätte er gesagt. Na ja, heute Abend würde Twinkle erleben, was Zucht und Ordnung bedeuteten: keinen leckeren Keks im Futter.
Leise vor sich hin murmelnd, folgte Iris der Richtung, in die der Hund gelaufen war. Als sie bei der Gruppe Palmen ankam, blieb sie stehen und blickte sich um. Twinkle war nirgends zu sehen. Sie wollte ihr Hündchen schon rufen, besann sich jedoch eines Besseren – sie befand sich ja schließlich auf einem Friedhof. Einem Hund hinterherzurennen, der sich losgerissen hatte, war schon schlimm genug. Und jetzt erkannte sie auch, woher die Bewegungen, die sie vorhin bemerkt hatte, rührten: von einer aus drei Personen bestehenden Gruppe – zwei Mädchen und ein Mann in mittleren Jahren, die links von ihr in einem Halbkreis um ein Grab standen.
Just in diesem Moment fiel Iris’ Blick auf eine blitzschnelle Bewegung: Twinkle. Er stand etwa sieben Meter vor ihr, dort, wo der Friedhof ans Wasser grenzte, und wühlte wie verrückt in einem Amaryllis-Beet. Die Erde spritzte nur so auf.
Das war ja schrecklich. So schnell sie konnte, eilte Iris los, die Handtasche eng am Körper haltend. Der Hund war so vertieft in sein Gebuddel, dass er sie gar nicht bemerkte, als sie von hinten an ihn herantrat, die Leine ergriff und kurz daran zog. Überrascht schlug Twinkle einen halben Purzelbaum. Aber obwohl er am Kragen weggezerrt wurde, weigerte er sich, seine Beute loszulassen.
»Böser Hund!«, schalt Iris so laut, wie sie sich traute. »Böser, böser Hund!« Sie wollte sich schnappen, was Twinkle da gefunden hatte, in der Absicht, es ihm wegzunehmen, doch er entwischte ihrem Griff. Der Gegenstand hatte die Größe eines Mini-Spielzeugfußballs, war aber derart dick von Schmutz und Hundespeichel überzogen, dass sie nicht erkennen konnte, worum genau es sich handelte.
»Lass das los, hast du verstanden?« Twinkle knurrte, als Iris erneut die Hand danach ausstreckte, aber diesmal gelang es ihr, ein Ende des Gegenstands zu packen. Sie wusste ja, er würde sie nicht beißen – es ging nur darum, dass sie ihm das Ding aus dem Maul zog. Nur war Twinkles Beute ekelerregend schlüpfrig, und er hielt sie hartnäckig fest. Es kam zu einer Art Zweikampf: Iris zog den Hund zu sich heran, Twinkle wehrte sich und grub die Pfoten in den Sand. Ein wenig ängstlich sah Iris nach hinten, aber die Gruppe an der anderen Grabstätte hatte nichts mitbekommen.
Das heftige Tauziehen dauerte fast eine halbe Minute. Am Ende war der Gegenstand schlicht zu groß, als dass Twinkles kleines Maul ihn festhalten konnte, und mit einem entschlossenen Ruck gelang es Iris, ihm ihn zu entreißen. Nachdem sie sich aufgerichtet und überprüft hatte, dass sie Handtasche und Leine fest in Händen hielt, sah sie, dass es sich bei dem Gegenstand um ein Fleischstück handelte. Während des Gerangels war eine klebrige, rötliche Flüssigkeit herausgetropft, auf ihre Hand und Twinkles Schnauze. Gleichzeitig fiel Iris auf, wie ungewöhnlich das Fleischstück war – zäh und ledrig. Ihre erste Regung war, es angewidert loszulassen, aber dann hätte Twinkle doch nur wieder danach geschnappt.
Während der Hund kläffte und sprang und versuchte, seinen Fund wiederzubekommen, griff Iris in die Handtasche, zog das Taschentuch hervor und wischte das Ding ab. Was um alles in der Welt hatte es auf einem Grab zu suchen?
Als sie die eine Seite säuberte, kam plötzlich eine kurze, dicke karmesinrote Röhre – vergleichbar dem Ende eines Kühlerschlauchs – zum Vorschein. Plötzlich verharrte sie, wie starr vor Schreck. Sie war lange genug die Ehefrau eines Fleischers gewesen, um inzwischen genau zu wissen, was da auf ihrer Hand lag. Das hier musste ein Traum sein, ein Albtraum, es konnte unmöglich wirklich sein.
Das Gefühl der Irrealität hielt nur für einen Sekundenbruchteil an. Dann stieß Iris einen Schrei des Abscheus aus und ließ das Ding fallen, als hätte es ihr die Hand verbrannt. Sofort steckte Twinkle es sich ins blutverschmierte Maul und riss sich erneut los, rannte triumphierend davon, die Leine hinter sich herziehend. Doch Iris nahm nichts mehr davon wahr. Sie hatte so ein merkwürdiges Brausen im Ohr, und auf einmal spürte sie, dass ihr ganz heiß wurde. Schwarze Pünktchen tanzten an den Rändern ihres Gesichtsfelds. Das Brausen wurde lauter, dann noch lauter, und das Letzte, was sie sah, bevor sie bewusstlos zu Boden sank, war, dass die Gruppe am anderen Grab auf sie zulief.
Lediglich mit einem feuchten, um die Taille geschlungenen Badetuch bekleidet, entspannte sich Assistant Director in Charge Walter Pickett in der mit Zedernholz verkleideten Sauna. Die Sauna war groß, ausgestattet mit zwei Reihen von Bänken und leer bis auf einen anderen Mann – jung und groß gewachsen, mit dem Körperbau eines Schwimmers –, der am anderen Ende nahe der Tür saß. Pickett selbst saß hinter dem Aufgusseimer, der dabei half, die Temperatur und die Luftfeuchtigkeit in dem Raum zu regulieren. Pickett zog es vor, jedwede Lage, in der er sich befand, im Griff zu haben.
Neben ihm auf der Bank lag ein einzelnes Blatt Papier, geschützt von einer Klarsichthülle.
Er sah kurz auf das in die Täfelung eingelassene Thermometer. Zwar war es wegen der Luftfeuchtigkeit ein wenig beschlagen, aber die Temperatur ließ sich trotzdem darauf ablesen: angenehme 75 Grad.
Die Sauna grenzte an den Männerumkleideraum und die Duschen tief in einem Nebengebäude des FBI in der Worth Street. Der Komplex beherbergte nicht nur verschiedene Außenstellen, sondern auch eine Schießanlage und derartige Annehmlichkeiten wie Squashplätze, einen Swimmingpool und natürlich diese Sauna. Zudem lag es nur um die Ecke von seinem Büro im FBI-Hauptgebäude an der Federal Plaza 26. Die Räumlichkeiten dort waren gar nicht zu vergleichen mit seinem spartanischen Büro in Denver, wo er bis vor drei Monaten als Special Agent in Charge tätig gewesen war.
Nachdem Pickett die Academy mit Abschluss verlassen hatte, war er schnell aufgestiegen und hatte sich in den Dezernaten Spionageabwehr und Kriminelle Unternehmungen wie auch in der Abteilung für Interne Ermittlungen (OPR) einen Namen gemacht. Auf seine jetzige Stelle, Einsatzleiter in New York City, hatte er schon lange ein Auge geworfen. Sie stellte einen der echten Top-Posten im Bureau und das natürliche Sprungbrett nach Washington dar. Alles hing nun davon ab, dass er den Laden in den Griff bekam und in aufsehenerregenden Fällen große Siege einfuhr … Und Pickett hegte keinerlei Zweifel daran, dass er zu beidem fähig war.
Er lehnte sich mit den nackten Schultern zurück gegen das heiße Holz und spürte, wie sich die Hautporen in der feuchten Hitze öffneten. Ein angenehmes Gefühl. Pickett schloss halb die Augen und dachte nach. Er hatte größtes Vertrauen in seine Fähigkeiten und vermied gewissenhaft alles, was – wie er das bei vielen anderen talentierten Agenten miterlebt hatte – die Karriere gefährden könnte. Dabei war er kein Wichtigtuer, kein offensichtlicher Karrierist oder Leuteschinder. Einen der wertvollsten Posten hatte er in der Abteilung zur Vernehmung hochrangiger Gefangener bekleidet, wo er nach dem Studium an der Academy mehrere prägende Jahre zugebracht hatte. Dies hatte ihm, neben seiner kurzen Zeit in der OPR, ein Maß an psychologischer Einsichtsfähigkeit verschafft, die bei einem FBI-Dienstvorgesetzten selten war. Seither hatte er ausgiebig Gebrauch davon gemacht, was er dort über das menschliche Verhalten und das Wesen der Überredung gelernt hatte.
Als er die Außenstelle in New York City übernahm, hatte er sie in ganz schlechtem Zustand vorgefunden. Moral und Stimmung waren schlecht, die Aufklärungsraten lagen unter dem Durchschnitt. Das Office hatte einen Wasserkopf, es gab zu viele Schreibtischtäter. Letzteres Problem hatte er durch eine Reihe von Versetzungen und Vorruhestandsregelungen gelöst. Er war zwar von Natur aus kein Mikromanager, aber er hatte sich die Zeit genommen, jede Abteilung unter die Lupe zu nehmen, die vielversprechendsten Leute aufzuspüren und ihnen Posten mit größerer Verantwortung anzuvertrauen – selbst wenn das bedeutete, sie jenen Kollegen vor die Nase zu setzen, die schon länger beim FBI waren. Die Umwandlung der Außenstelle in eine echte Leistungsgesellschaft hatte das Problem mit der Arbeitsmoral gelöst. So hatte er trotz seiner Tätigkeit beim OPR – so wie jeder in den Strafverfolgungsbehörden misstrauten auch FBI-Agenten allen, die in der Abteilung Interne Ermittlungen gearbeitet hatten – den Respekt und die Loyalität seiner Untergebenen gewonnen. Jetzt lief es in der New Yorker Außenstelle endlich wieder rund, alle Rädchen griffen ineinander. Selbst die Aufklärungszahlen gingen langsam wieder nach oben. Es war ihm gelungen, eine Wende einzuleiten, und das in einer einzigen Saison. Er hatte seinen Job gut gemacht, aber er achtete sehr darauf, jeden Anflug von Selbstbeglückwünschung zu vermeiden.
Trotz all dieser Erfolge gab es da allerdings immer noch ein Problem, das er angehen musste. Eine heikle Personalangelegenheit, die ihm sein Amtsvorgänger vererbt hatte. Er hatte sich diese ganz besondere Schwierigkeit bis ganz zum Schluss aufgehoben.
Im Laufe der Jahre hatte sich Pickett mit mehr als genug lästigen Agenten herumgeschlagen. Seiner Erfahrung nach waren solche Leute entweder antisoziale Einzelgänger oder komplexbeladene Typen, die mit reichlich viel persönlichen Problemen beim FBI angefangen hatten. Wenn sie nichts brachten, dann zögerte er auch nicht, sie Knall auf Fall zu versetzen – Nebraska benötigte ja schließlich auch Außenagenten. Wenn sie vielversprechend zu sein schienen beziehungsweise beeindruckende Zahlen vorweisen konnten, dann galt es, sie umzuerziehen. Dann stieß er sie unsanft aus ihrer Komfortzone, brachte sie in einem ihnen unbekannten Umfeld unter, übertrug ihnen eine Aufgabe, die ihnen völlig unvertraut war. Und er sorgte dafür, dass sie wussten, dass sie unter Beobachtung standen. Diese Technik hatte bei den Verhören und den internen Ermittlungen über Dienstvergehen funktioniert – und wirkte ebenso gut, wenn es darum ging, einzelgängerische Agenten in die FBI-Familie zurückzuholen.
Falls man der Akte trauen konnte, war dieser Agent so einzelgängerisch, wie man nur sein konnte. Aber Pickett hatte die Personalakte gründlich durchgearbeitet – zumindest ihre nicht klassifizierten Bereiche – und einen Handlungsplan entworfen, mit dem er das Problem angehen wollte.
Er sah zur Wanduhr. Punkt dreizehn Uhr. Wie aufs Stichwort ging die Tür auf, und ein Mann betrat die Sauna. Pickett sah mit geübter Lässigkeit hin und musste sich zusammenreißen, nicht noch einmal hinzuschauen. Der Mann war groß gewachsen und schlank und so blond, dass die sorgfältig gestutzten Haare fast weiß wirkten. Die Augen waren gletscherfarben und so kalt und undurchsichtig wie das Eis, dem sie glichen. Aber anstatt dass er nackt war und ein Saunatuch um die Taille hatte, trug der Mann einen schwarzen Anzug, tadellos geschneidert und zugeknöpft, dazu ein gestärktes weißes Hemd mit perfekt gebundener Krawatte. Die Schuhe waren blank poliert und von der teuren, maßgefertigten Sorte. Pickett war fassungslos. Von allen Gedanken, die sich in seinen Kopf geschlichen hatten, stach einer heraus: Ist er tatsächlich in dieser Kleidung mitten durch die Umkleide, die Duschen und den Poolbereich gegangen? Er mochte sich gar nicht ausmalen, was für einen Wirbel der Agent verursacht haben musste, als er auf seinem Weg in die Sauna sämtliche Regeln gebrochen hatte.
Der andere Mann in der Sauna, der unweit der Tür saß, sah hoch, runzelte kurz überrascht die Stirn und senkte den Blick wieder.
Schnell hatte Pickett seine Fassung wiedergewonnen. Der Agent stand, wie er sehr wohl wusste, in dem Ruf, ein ungeheurer Exzentriker zu sein. Darum hatte er sich auch nicht nur dazu entschlossen, seine Dienstanweisungen zu verschärfen, sondern auch den Ort zu ändern, um das zu besprechen. Seiner Erfahrung nach halfen atypische Situationen – wie zum Beispiel, sich nackt in einer Sauna zu treffen –, schwierige Untergebene aus dem Gleichgewicht zu bringen, wodurch er dann die Oberhand gewann.
Mal abwarten, wie sich die Dinge entwickelten.
Bevor er irgendetwas sagte, hob er die hölzerne Schöpfkelle aus dem Aufgusseimer und füllte sie, dann goss er das Wasser auf die Saunasteine. Eine zufriedenstellend dicke Dampfwolke waberte durch den Raum.
»Agent Pendergast«, sagte er mit tonloser Stimme.
Der Mann in Schwarz nickte.
»Es gibt mehrere Reihen mit Spinden hinter den Duschräumen. Würde es Ihnen etwas ausmachen, die Kleidung abzulegen?«
»Das wird nicht nötig sein. Die Hitze bekommt mir sehr gut.«
Pickett musterte den Mann von oben bis unten. »Dann nehmen Sie bitte Platz.«
Agent Pendergast nahm sich ein Saunatuch von einem Stapel in der Nähe der Tür, kam herüber und wischte die Bank neben Pickett trocken; dann faltete er es penibel und setzte sich.
Pickett achtete darauf, sich nicht anmerken zu lassen, wie verblüfft er war. »Zunächst einmal, darf ich Ihnen mein Beileid zum Tod von Howard Longstreet aussprechen? Er war ein herausragender Nachrichtendienstchef und, wie ich höre, so eine Art Mentor für Sie.«
»Er war der Beste, den ich gekannt habe, bis auf einen.«
Das war zwar nicht die Antwort, mit der Pickett gerechnet hatte, aber er nickte trotzdem und hielt an seiner Agenda fest. »Ich wollte schon seit Längerem mit Ihnen sprechen. Sie haben hoffentlich nichts dagegen, wenn ich ganz offen zu Ihnen bin.«
»Im Gegenteil. Anders als hinterhältige Fragen führen unverblümte Gespräche rasch zum Ziel.«
Pickett suchte in Pendergasts Zügen nach irgendwelchen Anzeichen für Insubordination, aber die Miene des Agenten blieb völlig ausdruckslos. Er fuhr fort: »Sie werden gewiss nicht überrascht sein zu erfahren, dass ich in meinen wenigen Monaten als Leiter der New Yorker Außenstelle viel über Sie gehört habe – offiziell wie auch inoffiziell. Um es freiheraus zu sagen: Sie gelten als einsamer Wolf, wenngleich als einer, der einen außergewöhnlich hohen Prozentsatz an erfolgreichen Ermittlungen vorzuweisen hat.«
Pendergast akzeptierte das Kompliment, indem er kurz nickte, so wie man vielleicht seiner Partnerin zunickt, bevor man sie zum Tanz auffordert. Wie seine Sprechweise wirkten auch seine Bewegungen bedächtig und katzenhaft, als wäre er auf der Pirsch nach Beute.
Jetzt zeigte Pickett ihm die Kehrseite seines Lobs. »Ihre Arbeit hat allerdings auch eine der höchsten Quoten an Tatverdächtigen vorzuweisen, die nicht vor Gericht gestellt werden, da sie – im FBI-Jargon ausgedrückt – im Zuge der Ermittlungen verstorben sind.«
Erneut graziöses Nicken seitens Pendergasts.
»Direktor Longstreet war nicht nur Ihr Mentor, sondern auch Ihr Schutzengel im Bureau. So wie ich das verstehe, scheint er die Aufsichtsorgane von Ihnen ferngehalten zu haben. Er hat Ihre unorthodoxen Methoden verteidigt, Sie vor negativen Konsequenzen bewahrt. Aber jetzt, da er tot ist, steckt die Leitungsebene in einem Dilemma – was den Umgang mit Ihnen angeht, meine ich.«
Inzwischen rechnete Pickett eigentlich damit, eine gewisse Besorgnis im Blick des Agenten aufflackern zu sehen. Aber da war keine. Er griff nach der Schöpfkelle und goss nochmals Wasser auf die Steine. Die Temperatur in der Sauna stieg auf kuschelige 82 Grad.
Pendergast rückte seine Krawatte zurecht und schlug wieder die Beine übereinander. Es hatte nicht einmal den Anschein, als würde er schwitzen.
»Was wir beschlossen haben, ist, kurz gesagt, Ihnen freie Hand zu lassen, weiterhin das zu tun, was Sie am besten können: in psychologischer Hinsicht unorthodoxe Mörder zur Strecke zu bringen, und zwar mittels jener Methoden, mit denen Sie bislang Erfolg hatten. Selbstverständlich gelten gewisse Einschränkungen.«
»Selbstverständlich«, sagte Pendergast.
»Was uns zu Ihrem neuen Auftrag bringt. Just am heutigen Morgen wurde auf einem Grab in Miami Beach ein menschliches Herz gefunden. Bei der in dem Grab Beigesetzten handelt es sich um eine gewisse Elise Baxter, die sich mit einem Bettlaken erdrosselt hat, und zwar vor elf Jahren, in Katahdin, Maine. Auf dem Grab –«
»Warum wurde Ms Baxter in Florida beigesetzt?«, unterbrach Pendergast höflich.
Pickett stutzte. Er ließ sich gar nicht gerne unterbrechen. »Sie wohnte in Miami. In Maine war sie im Urlaub. Die Angehörigen haben ihren Leichnam zur Beisetzung mit dem Flugzeug nach Hause zurückgeholt.« Er machte eine Pause, um sicherzustellen, dass Pendergast keine weiteren Zwischenfragen stellte, und griff nach der Klarsichthülle mit dem einen Blatt Papier darin. »Auf dem Grab fand sich ein Brief. Darin heißt es –«, er sah auf das Blatt, »›Liebe Elise, das, was Dir widerfahren ist, tut mir sehr leid. Der Gedanke, wie sehr Du gelitten haben musst, verfolgt mich schon seit Jahren. Ich hoffe, Du nimmst dieses Geschenk und mein aufrichtiges Beileid an. So lass uns also, Du und ich – aber andere warten ebenfalls auf Geschenke.‹ Unterzeichnet ist der Brief mit ›Mister Brokenhearts‹.«
»Sehr zuvorkommend von Mister Brokenhearts«, sagte Pendergast nach einem Moment, »obschon das Geschenk von einem ziemlich schlechten Geschmack zeugt.«
Pickett runzelte die Stirn. Um seine Augen herum hatten sich kleine Schweißperlen gebildet, aber er konnte noch immer nicht den geringsten Anflug von Unbotmäßigkeit bei diesem Pendergast erkennen. Er saß unbewegt da, die Ruhe selbst, trotz der Hitze.
»Das Herz wurde von einer Besucherin des Friedhofs heute Morgen gegen Viertel vor acht gefunden. Um halb elf wurde die Leiche einer Frau unter einem Gebüsch am Boardwalk in Miami Beach entdeckt, rund fünfzehn Kilometer südlich vom Friedhof. Das Herz war ihr herausgeschnitten worden. Die Polizei Miami Beach bearbeitet noch den Tatort, aber eines wissen wir bereits: Das Herz des Opfers ist dasjenige, das auf dem Grab gefunden wurde.«
Zum ersten Mal sah Pickett etwas in Pendergasts Augen aufblitzen – ein Funkeln, wie wenn man einen Brillanten ins Licht hält.
»Wir wissen zwar nicht, ob eine Verbindung zwischen Elise Baxter und der Frau, die heute ermordet wurde, besteht. Aber es liegt auf der Hand, dass es eine geben muss. Und wenn man dieser Erwähnung von ›anderen‹ in dem Brief trauen kann, könnten weitere Morde bevorstehen. Elise Baxter verstarb in Maine. Auch wenn es sich um einen Suizid handelte, schreibt die Amtshilfe zwischen den Bundesstaaten vor, dass wir uns damit befassen müssen.« Er legte das Blatt Papier auf die Bank und schob es Richtung Pendergast. »Sie fliegen gleich morgen früh nach Miami, um in dem Mord zu ermitteln.«
Das Funkeln war noch immer nicht aus Pendergasts Augen verschwunden. »Ausgezeichnet. Ganz ausgezeichnet.«
Als Pendergast die Hand nach dem Blatt Papier ausstreckte, hielt Pickett es fest. »Nur eines noch. Sie werden mit einem Partner zusammenarbeiten.«
Pendergast saß nach wie vor völlig reglos da.
»Ich erwähnte bereits, dass es ein paar Einschränkungen geben wird. Folgende ist die größte: Howard Longstreet weilt nicht mehr unter uns und kann Ihnen, Agent Pendergast, weder den Rücken frei halten noch Sie nach Hause zurückholen, wenn Sie vom Wege des Gesetzes abkommen. Das Bureau kann Ihre bemerkenswerte Erfolgsbilanz zwar nicht einfach ignorieren, doch es kann auch nicht die hohe Sterblichkeitsrate übersehen, die Sie zu deren Erlangung angehäuft haben. Deshalb stellen wir Ihnen einen Partner an die Seite, was im FBI natürlich ein ganz reguläres Verfahren ist. Ich weise Ihnen hiermit einen unserer intelligentesten jungen Agenten zu. Selbstverständlich werden Sie die Ermittlungen leiten, aber er wird Sie dabei unterstützen, und zwar auf Schritt und Tritt. Er wird Ihnen sowohl als Diskutant dienen … als auch, wenn nötig, als Korrektiv. Und wer weiß? Möglicherweise werden Sie am Ende diese Regelung sogar zu schätzen wissen.«
»Ich glaube, meine Bilanz spricht für sich selbst«, sagte Pendergast in dem ihm eigenen, seidenweichen Südstaatler-Tonfall. »Die besten Ergebnisse erziele ich, wenn ich eigenständig bleibe. Ein Partner könnte meine Ermittlungsarbeit behindern.«
»Aber Sie schienen doch ziemlich gut mit diesem New Yorker Cop zusammenzuarbeiten – wie war noch gleich sein Name? D’Agosta.«
»Er ist außergewöhnlich.«
»Der Mann, den ich Ihnen zuweise, ist auch außergewöhnlich. Wichtiger noch, die Zuweisung ist nicht verhandelbar. Entweder Sie akzeptieren einen Partner, oder wir übertragen den Fall jemand anderem.« Und lassen dich am langen Arm verhungern, bis du einlenkst, dachte Pickett im Stillen.
Während dieser kurzen Rede hatte Pendergasts Mimik eine gewisse Wandlung durchlaufen. Es war ein höchst merkwürdiger Gesichtsausdruck, den Pickett bei all seiner großen Erfahrung in psychologischen Dingen allerdings nicht recht deuten konnte. Einen Moment lang war das Zischen der Saunasteine der einzige Laut im Raum.
»Ich interpretiere Ihr Schweigen als Zustimmung. Und jetzt können Sie genauso gut Ihren neuen Partner kennenlernen. Agent Coldmoon, würden Sie sich uns bitte anschließen?«
Daraufhin stand der schweigsame junge Mann in der gegenüberliegenden Ecke auf, schlang sich das Saunalaken um die Taille und kam – am ganzen Körper vor Schweiß glänzend – herüber und stellte sich vor ihnen hin. Er hatte einen olivbraunen Teint und fein geschnittene und in mancher Hinsicht asiatisch wirkende Gesichtszüge. Er warf einen leidenschaftslosen Blick auf die Männer, die dort vor ihm saßen. Durchtrainiert und kerzengerade, sah er fast aus wie ein mustergültiger Agent. Nur das Haar – rabenschwarz, ziemlich lang, in der Mitte gescheitelt – passte nicht ins Bild. Pickett schmunzelte im Stillen. Dass er diese beiden Männer zusammengebracht hatte, war ein Meisterstück. Pendergast würde noch sein blaues Wunder erleben.
»Das ist Special Agent Coldmoon«, sagte Pickett. »Er arbeitet bereits seit acht Jahren bei uns und hat sich in der Abteilung Cyberkriminalität wie auch in der Abteilung Strafrechtliche Ermittlungen ausgezeichnet. Die Berichte über seinen Fitnesszustand, die seine Vorgesetzten eingereicht haben, waren stets vorbildlich. Vor achtzehn Monaten hat man ihm die Tapferkeitsmedaille des FBI für seinen verdienstvollen Einsatz während einer verdeckten Ermittlung in Philadelphia verliehen. Es würde mich nicht wundern, wenn er eines Tages ebenso viele Auszeichnungen erhielte wie Sie. Ich glaube, Sie werden feststellen, dass er ein Schnelllerner ist.«
Agent Coldmoon hatte diese Lobeshymne über sich ergehen lassen, ohne die Miene zu verziehen. Unterdessen hatte sich Pendergasts seltsamer Gesichtsausdruck verflüchtigt, wie Pickett auffiel, und war einem aufrichtigen Lächeln gewichen.
»Agent Coldmoon«, sagte Pendergast und streckte die Hand aus. »Es freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen.«
»Ebenso.« Coldmoon schüttelte die ausgestreckte Hand.
»Wenn Ihre Befähigungen auch nur entfernt dem entsprechen, was ADC Pickett hier eben geschildert hat«, fuhr Pendergast fort, »werden Sie sich bestimmt als große Bereicherung für das erweisen, was ein höchst interessanter Fall zu werden verspricht.«
»Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um Sie zu unterstützen.«
»Dann werden wir fabelhaft miteinander auskommen«, sagte Pendergast. Er sah wieder zu Pickett. Bis auf eine einzelne Schweißperle auf der Stirn schien ihm die Hitze nicht das Geringste auszumachen. Sein Hemd und der Anzug sahen nach wie vor frisch und sauber aus. »Wir fliegen gleich morgen früh nach Miami, sagten Sie?«
Pickett nickte. »Das Flugticket und eine Kurzfassung Ihrer Anweisungen liegen bereits auf Ihrem Schreibtisch.«
»In dem Fall sollte ich mich wohl schon einmal vorbereiten. Vielen Dank, Sir, dass Sie mir den Fall übertragen. Agent Coldmoon, wir sehen uns morgen früh.« Er nickte den beiden Männern nacheinander zu, stand auf und verließ die Sauna ebenso lässig, wie er den Raum betreten hatte.
Pickett und Coldmoon schauten zu, wie sich die Tür hinter Pendergast schloss. Pickett wartete eine ganze Minute, ehe er sich wieder zu Wort meldete. Dann, als er sich sicher war, dass Pendergast nicht zurückkommen würde, räusperte er sich und sagte zu Coldmoon: »Okay. Sie haben ja eben gehört, wie ich Ihre Legende skizziert habe. Sie werden in diesen Ermittlungen die zweite Geige spielen.«
Coldmoon nickte.
»Haben Sie irgendwelche Fragen zu Ihrem wahren Auftrag, was Pendergast betrifft?«
»Keine.«
»Sehr schön. Ich erwarte regelmäßig Bericht.«
»Ja, Sir.«
»Das wäre alles.«
Wortlos drehte sich Special Agent Coldmoon um und verließ die Sauna. Pickett griff nochmals zur Schöpfkelle und goss Wasser auf die kirschfarbenen Steine, dann lehnte er sich wieder zurück und seufzte zufrieden, während ein weiterer Dampfstoß den mit Zedernholz getäfelten Raum erfüllte.
Behutsam schob Mrs Trask den Teewagen über den dunklen Flur, der aus den Küchenräumen der Villa am Riverside Drive 891, New York City, hinausführte. Es war ungewöhnlich, zu dieser nachmittäglichen Stunde Tee zu servieren, es war noch nicht einmal fünfzehn Uhr – denn normalerweise zog es Pendergast vor, seinen Tee später am Tag zu nehmen. Doch er hatte sie darum gebeten, und die Bestellung war ungewöhnlich ausgefallen. Anstelle des üblichen asketischen Grüntees mit Ingwerkeksen gab es heute Hefeteigbrötchen mit Zitronenaufstrich, Scones, Clotted Cream, Madeleines, ja sogar kleine Battenbergkuchen. Und deshalb musste sie zum ersten Mal seit Ewigkeiten den Afternoon Tea auf einem Teewagen servieren statt auf einem schlichten Silbertablett. Dies alles bedeutete, da war sich Mrs Trask recht sicher, dass Pendergast seinem Mündel Constance eine Freude machen wollte – trotz des Umstands, dass sie aß wie ein Spatz und vermutlich kaum etwas von den Speisen anrühren würde.
Und in der Tat, seit seiner reichlich plötzlichen Rückkehr erst eine Woche zuvor schien es, als widmete Pendergast ihr besonders viel Aufmerksamkeit. Selbst Proctor, Pendergasts stoischer Chauffeur und Bodyguard, hatte das gegenüber Mrs Trask zur Sprache gebracht. Pendergast war gesprächiger als sonst gewesen und hatte sich bis spät in die Nacht mit Constance über ihre Lieblingsthemen unterhalten. Er hatte ihr bei der langfristig angelegten Aufgabe, den Nachforschungen über den komplizierten und oftmals geheimnisvollen Familienstammbaum der Familie Pendergast, geholfen. Dabei hatte er sogar Interesse an Constances neuestem Projekt gezeigt: die Anlage eines Terrariums zur Vermehrung gefährdeter fleischfressender Pflanzen.
Mrs Trask trat vom Flur in die Empfangshalle; leise quietschten die kleinen Räder des Teewagens auf dem Marmorboden. Sie hörte, wie sich Pendergast und Constance in der Bibliothek leise unterhielten. Allein schon dies erfreute ihr Herz. Allerdings wusste sie nicht, warum Constance im vorigen September so plötzlich nach Indien abgereist war, und auch nicht, was Anlass dazu gegeben hatte, dass Pendergast vor Kurzem dorthin gefahren war, um sein Mündel nach Hause zu holen. Diese Angelegenheit ging nur Pendergast und Constance etwas an. Mrs Trask freute sich einfach, dass alle Mitglieder des Haushalts beisammen waren. Und obwohl dies schon bald wieder vorbei sein würde – wegen Pendergasts plötzlicher Ankündigung, er müsse nach Florida aufbrechen –, tröstete sich Mrs Trask damit, dass es sich um eine rein geschäftliche Reise handelte.
Es stimmte, dass sie Pendergasts »Geschäften« recht ablehnend gegenüberstand, aber das war etwas, was sie für sich behielt.
Jetzt schob sie den Teewagen in die Bibliothek mit ihrer Holzvertäfelung aus dunklem Mahagoni, den Schränken voller seltener Fossilien, Mineralien und Exponate und den Wänden mit Leder-Folianten bis unter die Kassettendecke. Im Kamin prasselte ein großes Feuer, zwei Ohrensessel waren nahe daran herangezogen worden. In ihnen saß aber niemand, worauf Mrs Trask suchend den Blick umherschweifen ließ. Als sich ihre Augen an den Flackerschein gewöhnt hatten, sah sie die beiden. Sie standen in einer der hinteren Ecken, hatten die Köpfe zusammengesteckt und beugten sich über etwas, das sie ersichtlich interessierte. Natürlich – das musste das neue Terrarium sein. Mrs Trask hörte bereits, wie Constance davon sprach, wobei ihre Altstimme so eben über dem Knistern der Flammen hörbar war. »Ich finde es paradox, dass Nepenthes campanulata, die fünfzehn Jahre lang als ausgestorben galt, heute lediglich als bedrohte Art gilt, wohingegen Nepenthes aristolochioides, die damals kaum als Spezies anerkannt wurde, aktuell als höchst gefährdet gilt.«
»Paradox, in der Tat«, sagte Pendergast halblaut.
»Man beachte die sonderbare Morphologie der aristolochioides. Das Peristom ist fast senkrecht – selten bei Karnivoren. Ihr Ernährungsmechanismus ist höchst interessant. Ich erwarte noch immer eine Schiffsladung mit Insekten aus Sumatra, aber die hiesigen Riesenkäfer dürften wohl auch eine zufriedenstellende Kost darstellen. Möchtest du sie einmal füttern?« Dabei hielt Constance ihm eine fast dreißig Zentimeter lange Pinzette hin, die im Schein des Kaminfeuers funkelte und an deren Ende sich ein Käfer wand.
Ganz kurz zögerte Pendergast. »Es wäre mir sehr viel lieber, ich könnte dir bei der Arbeit zuschauen. Du hast viel mehr Übung in derlei Dingen.«
Mrs Trask nutzte den Augenblick, räusperte sich und schob den Teewagen weiter vor sich her in den Raum. Beide, Constance und Pendergast, wandten sich zu ihr um.
»Ah, Mrs Trask!«, sagte Pendergast, drehte sich vom gläsernen Terrarium weg und schritt auf sie zu. »Pünktlich wie immer.«
»Geradezu überpünktlich«, sagte Constance, näherte sich von hinten Pendergast und ließ den Blick aus ihren veilchenblauen Augen über den Teewagen schweifen. »Es ist erst kurz nach drei. Aloysius, hast du um dieses wahre Füllhorn von Speisen gebeten?«
»Das habe ich, in der Tat.«
»Haben wir die trojanische Armee zum Tee eingeladen?«
»Ich gebe mir selbst ein kleines Fest vor meiner Abreise.«
Constance runzelte die Stirn.
»Außerdem«, fuhr Pendergast fort, während er sich in den Ohrensessel niederließ und sich eine Madeleine nahm, »wirkst du dünner, seit du dich von dieser mönchischen Kost ernährst.«
»Ich esse sehr gut, vielen Dank.« Constance nahm im gegenüberstehenden Ohrensessel Platz, wobei ihre als Bob geschnittenen Haare hin- und herschwangen. »Weißt du, ich wünschte wirklich, du würdest mich nach Florida mitnehmen. Dieser Fall, der dir da plötzlich in den Schoß gefallen ist – er klingt faszinierend.«
»Und ich wünschte wirklich, man hätte mir nicht einen Partner aufgezwungen. Aber so ist es nun mal. Constance, ich verspreche, dass du mein ›Sparringspartner‹ wie auch mein Orakel sein wirst, wenn auch à la distance.«
Schmunzelnd schenkte Mrs Trask zwei Tassen Tee ein. »Man stelle sich das einmal vor, unser Mr Pendergast mit einem Partner, der ihm auf Schritt und Tritt folgt. Das klappt doch nie. Was die Zusammenarbeit mit anderen betrifft, ist unser Hausherr ein hoffnungsloser Fall – wenn Sie entschuldigen, dass ich das so sage.«
»Ich entschuldige, dass Sie das so sagen«, erwiderte Pendergast. »Wenn Sie bitte so gut wären, ein paar von diesen Madeleines zu meinem Fluggepäck zu legen. Wie ich höre, können gewisse Speisen an Bord gesundheitsgefährdend sein – wenn nicht Schlimmeres.«
»Ist er tatsächlich ein hoffnungsloser Fall?«, sagte Constance und drehte sich zu Mrs Trask. »Aber es besteht doch immer Hoffnung.«
Doch Mrs Trask hatte sich bereits zum Gehen gewandt, und so entging ihr der ganz flüchtige Blick, den Pendergast und die Frau, die ihm gegenübersaß, tauschten.
Um exakt zwanzig vor sieben am selben Abend schlenderte Special Agent Pendergast – nachdem er im Hotel Fontainebleau eingecheckt und sich vergewissert hatte, dass die Präsidentensuite La Mer zu seiner Zufriedenheit ausfiel – durch die hallende Lobby Richtung Atlantik. Mit seinen Wänden und Böden aus Marmor und der »Treppe ins Nichts«, den Grüppchen plaudernder Hotelgäste und den labyrinthischen Ein- und Ausgängen kam ihm der riesige Raum eher vor wie die Erste-Klasse-Lounge in einer Abflughalle. Als er sich einer Glastür näherte, öffnete sich diese flüsterleise, und er trat hinaus in die weitläufigen Grünanlagen. Nachdem er sich einen Weg zwischen mehreren glitzernden Swimmingpools gebahnt hatte, vorbei an Bars, Wellness-Oasen und üppigen Pflanzen, gelangte er schließlich zu der Liegefläche South Tropez. Die Sonnenanbeter, die durch ihre Oakley- oder Tom-Ford-Brillen zu ihm hochschauten, wunderten sich nicht über seinen schwarzen Anzug. Vermutlich hielten sie ihn für einen Hoteldiener auf dem Weg zu einer der privaten Cabanas neben den Pools. Andere Butler in Schwarz waren zu sehen, wie sie zwischen den Hütten umhergingen und den Gästen alles Gewünschte brachten – von Obst-Smoothies bis zu eintausendfünfhundert Dollar teuren Flaschen Dom Pérignon.
Nachdem er den Rasen überquert hatte, schlenderte Pendergast weiter auf einem Weg, der durch gepflegte Grünanlagen mäanderte, bis er schließlich zu einer kleinen Treppe gelangte, die zu einem aus Holzplanken bestehenden Fußweg führte, der von Königspalmen gesäumt war. Dies war der Miami Beach Boardwalk, eine Uferpromenade, die vom Indian Beach Park fast bis hinunter zum Hafen von Miami führte.
Pendergast wandte sich nach Süden, dann hielt er inne. Links verlief ein schmaler Grünstreifen mit Büschen und Ufergras, hinter dem der Strand lag. Rechts erstreckte sich eine durchgehende Reihe von Hotels, Hochhäusern mit Eigentumswohnungen sowie Vergnügungsbauten unterschiedlichen Typs; strahlend weiß reckten sie sich in den kobaltblauen Himmel. Es ging ein ganz leichter Wind, die Temperatur betrug um die 27 Grad, und die Luft war auf angenehme Weise feucht. Eine Siebzigjährige ging an ihm vorbei, sie trug eine riesengroße Sonnenbrille und einen pinkfarbenen Thong-Badeanzug, stöckelte unsicher auf ihren hochhackigen italienischen Sandaletten weiter.
Nachdenklich sah sich Pendergast noch einige Augenblicke länger um. Dann rückte er seinen Krawattenknoten zurecht, zog die Manschetten herunter und schloss sich dem Gedränge spärlich bekleideter Fußgänger auf der Promenade an. Nach einem in langsamem Tempo zurückgelegten halbstündigen Spaziergang nach Süden gelangte er bis zur 23. Straße, von dort an war die Promenade gepflastert. Noch ein paar Häuserblocks weiter, und die Menschenmenge staute sich. Der Grund war offensichtlich: Hundert Meter weiter vorn war die Promenade mit gelbem Tatortband abgesperrt.
Inzwischen hatte sich der Grünstreifen mit Sträuchern links von Pendergast zu einer Reihe von Hecken und gestutzten Formschnitt-Büschen verbreitert – jeder Abschnitt wurde von einem der schicken Hotels auf der anderen Seite der Promenade gepflegt. Jenseits dieser geschmackvollen Anpflanzungen verlief eine lange Böschung. Pendergast bog in eine schmale Gasse und stieg die Betontreppe hinauf, bis er ganz oben auf der Böschung angekommen war, von wo sich ihm ein freier Blick bot. Hier sah man einen weiteren schmalen Fußweg, schmal und sandig. Davor und unterhalb davon erstreckte sich der Strand; zwischen den Reihen der Sonnenschirme und Liegen standen in Abständen die Stationen der Rettungsschwimmer. Jenseits davon erstreckte sich der Atlantik, dessen strahlendes Himmelblau in Küstennähe in ein blasses Aquamarin überging.
Pendergast sah eine Zeit lang aufs Meer, dann wandte er sich nach Westen. Dabei verharrte sein Blick auf dem unfassbaren Reichtum, der sich in diesem Teil von Miami Beach zeigte. Dahinter waren die Biscayne Bay zu sehen und – noch weiter westlich – die Wolkenkratzer der Innenstadt von Miami. Mittlerweile war es halb acht, bald würde die Sonne hinter dem Horizont versinken, etwas, das zu Hause in New York bereits eineinhalb Stunden zuvor geschehen war. In der Ferne schimmerten pinkfarbene Wolken.
Eine Weile blieb Pendergast so stehen, während die sanfte Brise ihm das Haar zerzauste. Schließlich blickte er wieder hinunter zu dem Abschnitt mit den Sträuchern und der Uferpromenade, der mit gelbem Band abgesperrt war. Etliche Schaulustige in den Hotels gegenüber taten das Gleiche. Der Mord war bereits in den Nachrichten gemeldet worden, wobei es der Polizei aber gelungen war, das gestohlene Herz aus der Berichterstattung herauszuhalten.
Jetzt ging er im gleichen Schlendergang die Treppe wieder hinunter und näherte sich dem abgesperrten Bereich. Dieser bestand zum großen Teil aus einem brusthohen Irrgarten aus Hecken, die penibel gestutzt waren und zwischen der Uferpromenade und der Böschung lagen. Pendergast ging weiter, bis der untere Knopf seiner Anzugjacke so eben das Absperrband berührte. Es war unübersehbar, dass das Hauptereignis bereits stattgefunden hatte. Die einzigen Personen, die er innerhalb des abgesperrten Bereichs sah, waren ein Mitarbeiter der Kriminaltechnik – er trug noch Mundschutz und Überschuhe – sowie ein Polizeibeamter, die auf einer Bank in der Nähe saßen und offenbar den Tatort bewachten.
Pendergast hatte sich so leise genähert, dass der Beamte seine Anwesenheit gar nicht bemerkte. Erst als Pendergast sich unter das Absperrband duckte, blickte er herüber. Der leere Gesichtsausdruck des Mannes verwandelte sich in eine Miene der Verärgerung. Er erhob sich von der Bank und eilte herbei, wobei er die Hose ein wenig hochzog und den Dienstgürtel zurechtrückte. Er war Ende vierzig, hatte dünnes kastanienbraunes Haar, weit auseinanderstehende Augen und eine rötliche Gesichtsfarbe. Trotz der relativ dünnen Gliedmaßen spannte sich das Hemd über dem deutlich sich abzeichnenden Bauch.
»Ey!«, rief er in grobem Tonfall. »Sie da! Bleiben Sie stehen!«
Pendergast tat, wie ihm geheißen – doch erst nachdem er unter dem Absperrband hindurchgeschlüpft war und sich wieder aufgerichtet hatte.
Mit wutverzerrter Miene stapfte der Polizist heran. Auf den Wangen zeichneten sich winzige rote Äderchen ab. Unter der Schulterpartie war der blau-gelbe Schriftzug der Polizei Miami Beach aufgestickt. »Was zum Teufel glauben Sie, was Sie hier machen? Hier ist jeder Zutritt verboten. Treten Sie hinter das Absperrband zurück!«
»Entschuldigen Sie, Officer«, erwiderte Pendergast in seinem freundlichsten Ton, »aber ich glaube, ich kann eine Genehmigung für meine Anwesenheit vorweisen.«
Der Polizist musterte ihn abfällig. »Was sind Sie – ein Bestattungsunternehmer? Die Leiche ist schon vor Stunden abtransportiert worden.«
»Ich bin, fürchte ich, kein Bestattungsunternehmer, obschon Ihnen diese irrige Annahme verziehen sei. Ich bin Special Agent des FBI.«
»FBI?«
Die weit auseinanderstehenden Augen des Cops verengten sich. »Zeigen Sie mal Ihren Ausweis.«
»Gewiss.« Pendergast griff in eine der Innentaschen seiner Anzugjacke, zog ein schmales Ledermäppchen hervor und ließ es aufklappen. Der obere Teil enthielt seinen Ausweis mit Dienstgrad und Foto, darunter befand sich die Dienstmarke.
Der Cop schaute sich alles ganz genau an. Dann sah er wieder zu Pendergast, allerdings nicht mehr misstrauisch, sondern mit gesteigerter Neugierde. »FBI«, wiederholte er. »Ich hab tatsächlich davon gehört, dass ihr Jungs hier runterkommen werdet. Dass ihr euch mit uns zusammentun wollt bei den Ermittlungen zu diesem Fall.«
»Ganz recht«, sagte Pendergast. »Wie schön, dass Sie sich erinnern, Officer …«, er warf einen kurzen Blick auf dessen Namensschild, »… Kleinwessel. Also, wenn Sie nichts dagegen haben, schaue ich mich hier einmal kurz allein um.«
Doch gerade als er losgehen wollte, legte ihm der Polizist eine Hand auf die Brust, um ihn aufzuhalten. »Sie gehen nirgendwohin, Freundchen.«
Pendergast mochte es gar nicht, angefasst zu werden. »Ich muss doch sehr bitten.«
»Wie gesagt – ich hab gehört, dass ihr Jungs hierher runterkommt. Mein Sergeant hat mir gesagt, dass das FBI morgen hier sein wird. Nicht heute. Wir haben hier noch keine Papiere bekommen. Ich darf Sie also nicht an den Tatort lassen – es sei denn, Sie können eine Vollmacht vorweisen.«
Pendergast hielt inne. Er erinnerte sich, dass es im FBI ein gewisses Maß an Unzufriedenheit mit den Strafverfolgungsbehörden in Miami gab. Anscheinend hatten die Leute hier kollektiv einen Komplex, was das FBI betraf, der auf die Amtszeit eines übereifrigen Leiters der Außenstelle hier in Miami zurückging. Vor ein paar Jahren hatte es einen besonders unangenehmen Streit gegeben, als FBI-Leute versuchten, einen Fahrrad-Polizisten in Handschellen zu legen und ihn vom Tatort zu entfernen. Jetzt fuhr man offenbar die Retourkutsche.
Pendergast klappte das Ausweismäppchen zu, behielt es jedoch in der Hand. »Ich habe meine Anweisungen, und die schreiben vor, dass ich den Tatort dieses Mordes zu untersuchen habe.«
»Und ich habe auch meine Anweisungen. Und die schreiben vor, dass ich niemanden an diesen Tatort lassen darf – es sei denn, mein Sergeant sagt mir etwas anderes. Und nun gehen Sie zurück auf die andere Seite des Absperrbands … Sir.«
»Officer«, sagte Pendergast in einem Tonfall unendlicher Geduld, »Sie haben meine Ausweise gesehen. Sie selber räumen ein, dass das FBI hier helfen wird. Ich wäre Ihnen also sehr verbunden, wenn Sie freundlicherweise beiseitetreten und mir gestatten würden, investigativ tätig zu werden.«
»Investigativ?« Der Polizist lachte. »Sie halten sich wohl für so eine Art Sherlock Holmes.«
»Officer Kleinwessel, es gibt keinen Grund, beleidigend zu werden.«
»Ich halte mich nur an die Tatsachen. Und Fakt ist, dass Sie und Ihre Deduktionen eben bis morgen warten müssen – außer natürlich, Sie sind im Besitz einer schriftlichen Vollmacht, die anderes besagt.«
Pendergast überlegte. Pickett hatte ihm natürlich seine Anweisungen gegeben – die allerdings, zusammen mit dem Flugticket für den morgigen Tag, auf dem Schreibtisch im Büro lagen, das er seit Tagen nicht mehr aufgesucht hatte. Jetzt beugte er sich vor gegen die Hand, die ihn aufhielt.
»Sie erwähnten Sherlock Holmes«, sagte er in dem ihm eigenen, etwas schleppenden Tonfall. »Ich für meinen Teil habe den Burschen nie sonderlich gemocht – er ist mir immer so unnötig melodramatisch vorgekommen. Wie dem auch sei, wenn Sie Holmes wollen, dann sollen Sie ihn auch bekommen.« Er hielt kurz inne. »Officer Kleinwessel, ich sehe keinerlei Grund, dass wir nicht Freunde sein sollten. Sie?«
Kleinwessel reagierte darauf, indem er Pendergast einen kleinen Schubs Richtung Absperrband versetzte.
»Und als Ihr Freund fühle ich mich außerdem ehrverpflichtet, Sie zu warnen, dass Sie Ihre Karriere, Ihre Ehe und möglicherweise Ihr Leben aufs Spiel setzen.«
»Ich weiß zwar nicht, was Sie da faseln, aber ich erkläre es Ihnen zum letzten Mal: Entfernen Sie sich von diesem Tatort, sonst lege ich Ihnen Handschellen an.«
»Leider ›fasele‹ ich gar nicht. Da Ihr Ruhestand bevorsteht und Sie zweifellos in den Genuss Ihrer dürftigen Pension kommen möchten, sollten Sie vielleicht erwägen, Ihr Alkoholproblem besser zu verbergen. Und auch wenn das möglicherweise eine eher akademische Frage ist – Cuban Hound, die Marke Rum, die Sie bevorzugen, ist nicht nur hochprozentig, sondern auch randvoll mit gesundheitsschädlichen Aldehyden und Estern. Nur wenn Sie auf der Stelle aufhören mit der Trinkerei, lässt sich noch verhindern, dass Ihr Ruhestand durch eine Leberzirrhose erheblich verkürzt wird.«
Pendergast hielt kurz inne. Kleinwessel öffnete den Mund. »Was erlauben Sie sich …?«
»Ihre Frau muss sehr geduldig sein, dass sie Ihre Trinkerei all die Jahre ertragen hat. Aber wenn sie wüsste, dass Sie auch noch eine Freundin haben – und zwar eine ziemlich billige Geliebte aus Opa-Locka –, dann würde das zweifellos das Ende Ihrer Ehe bedeuten. Sie sehen also, Officer Kleinwessel, Sie liegen mir wirklich am Herzen. Denn ich habe Ihnen soeben erläutert, dass Ihre Stelle, Ihre Ehe und Ihr Leben in Gefahr sind – und zwar vorerst in verborgener Gefahr. Natürlich kann es jederzeit passieren, dass Ihre Verfehlungen ans Licht kommen.« Und damit steckte Pendergast sein Ausweismäppchen in die Anzugjacke zurück, während er gleichzeitig mit theatralischer Geste sein Mobiltelefon hervorzog.
Der Polizist war kreidebleich geworden. Er sah sich um, als wollte er unsichtbare Hilfe erbitten. »Wie haben Sie …«, er bekam fast einen Erstickungsanfall, »… wie haben Sie …«, stotterte er mit hochrotem Kopf, außerstande, den Satz zu beenden.
»Fragen Sie mich, Sir, wie ich meine – wie Sie es selbst nannten – ›Deduktionen‹ angestellt habe?« Pendergast wartete, aber Officer Kleinwessel war offenbar unfähig, eine Antwort zu formulieren.
»Nun gut. Der Ring am kleinen Finger Ihrer rechten Hand zeigt mir, dass Sie vor neunzehn Jahren Ihre Ausbildung an der Polizeischule abgeschlossen haben – das Datum ist für alle gut sichtbar eingraviert –, was bedeutet, dass Ihre zwanzig Dienstjahre fast um sind. Aber obwohl Sie schon so lange bei der Polizei sind, tragen Sie weder Winkelstreifen noch Rangabzeichen, und das heißt, dass Sie nach wie vor einen niedrigen Dienstrang bekleiden. Allein der Umstand, dass Sie den Auftrag erhalten haben, einen gesperrten Tatort zu bewachen, spricht Bände. Daher die minimale Pension. Und apropos Ringe – ich sehe, dass Sie Ihren Ehering nicht tragen. Der blasse Hautstreifen an Ihrem Ringfinger legt jedoch nahe, dass Sie den Ring vor Kurzem abgenommen haben – und die Hornhaut an Ihrem Fingerknöchel verweist darauf, dass es immer wieder vorkommt, dass Sie den Ring abnehmen und wieder aufsetzen. Und was Ihre Geliebte betrifft, genügt ein kurzer Blick auf Ihre Kleidung. Das Viertel Opa-Locka nordwestlich von hier wurde im frühen 20. Jahrhundert in die Stadt eingegliedert, wobei sich die Gründer in der Architektur maurischer Motive bedienten. Im Rahmen dieser Grundidee wurde im öffentlichen Raum ein exotischer Bodendecker aus dem Nahen Osten, bekannt als Erodium glandiatum, gepflanzt. Die Samen dieser Spezies haben ein höchst charakteristisches Aussehen: lang und dünn, das eine Ende sieht aus wie ein Korkenzieher und das andere federig, vergleichbar den Kiemen eines Hummers. Opa-Locka ist zufällig das einzige Habitat in den Vereinigten Staaten, in dem diese Pflanze vorkommt – dies sowie der eigenartig aussehende Same hat diese Tatsache in meiner Erinnerung verankert. Derzeit haften mindestens zwei Exemplare des besagten Samens an Ihnen, eines an der rechten Kniekehle und noch eines, das unten aus Ihrem Hosenbein hervorschaut. Ersteres ist frisch, Letzteres ziemlich schmutzig – was nahelegt, dass Sie sich in den letzten Tagen mindestens zweimal, vermutlich sogar öfter, in der Nähe von Opa-Locka aufgehalten haben, während Sie Uniform trugen. Aber leider ist es Opa-Locka im Laufe der Jahre nicht gut ergangen. Und als wenn das nicht schon genügte, die Schichtzugehörigkeit Ihrer Geliebten zu bestimmen, würde dafür allein schon der ganz schwache Duft eines billigen Parfüms reichen – ›Nacht des Begehrens‹, wenn ich nicht irre –, der Sie umweht.«
Der Polizist hatte die Arme gesenkt und war einige Schritte zurückgetreten, dann sah er Pendergast an, als wäre der von irgendeiner ansteckenden Krankheit befallen. »Woher zum Teufel wissen Sie das alles?«, fragte er mit lauter Stimme.
»Elementar, mein lieber Kleinwessel.«
»Ich habe seit zehn Jahren kein Glas mehr angerührt«, sagte Kleinwessel in weinerlichem Tonfall. »Sie können mir nicht das Gegenteil beweisen. Und was soll dieser Quatsch, was den Rum der Marke Cuban Hound angeht?«
»Es hat keinen Sinn, mich anzulügen, Officer. Wie gesagt, ich versuche zu helfen. Der vorstehende Unterleib, sichtbar wegen der straffen Hemdknöpfe, verweist, zusammen mit Ihrem hageren Körperbau, auf eine Aszites in fortgeschrittenem Stadium. Auch das deutlich sichtbare Rhinophym in Ihrem Gesicht ist verräterisch. Was den Alkohol betrifft, so ist Cuban Hound in dieser Gegend nicht nur die billigste, stärkste und am leichtesten erhältliche Spirituose, die charakteristische Flasche eignet sich auch ausgezeichnet zum diskreten Am-Körper-Tragen … und abgesehen davon, wie Sie aus dem Mund riechen, sehe ich, dass Ihre rechte Gesäßtasche in genau dieser Form ziemlich blank gewetzt ist. Also, Officer, darf ich mit meiner Arbeit fortfahren? Oder …?« Er hob sein Mobiltelefon an und lächelte.
Einen Moment lang arbeitete die Kinnpartie des Polizisten, die Gesichtsmuskeln spannten und entspannten sich. Dann aber trat er wortlos beiseite.
»Verbindlichsten Dank.« Als er sich an Kleinwessel vorbeidrängte, legte Pendergast ihm leicht eine Hand auf die Schulter. »Ich spreche mit Ihrem Sergeant und sage ihm, wie außerordentlich nützlich Sie gewesen sind. Vielleicht können wir Ihnen doch noch ein Winkelabzeichen besorgen.« Dann beugte er sich vor, als wollte er dem Polizisten ein Geheimnis verraten. »Im Übrigen«, sagte er leise, »hat der bedauernswerte Conan Doyle das falsch verstanden. Sherlock Holmes hat die Methode der Induktion angewandt – soll heißen, er hat vom besonderen Einzelfall auf das Allgemeine geschlossen – und nicht die der Deduktion, soll heißen, das Schlussfolgern vom Allgemeinen auf den Einzelfall.«
Und so schlenderte Pendergast ungehindert durch den Irrgarten aus Hecken, wobei er hin und wieder stehen blieb und in die Hocke ging, eine Lupe hervorholte und irgendetwas in der lockeren Erde am Wegesrand untersuchte. An einem Punkt holte er eine Pinzette aus der Anzugjacke, pflückte einen winzigen Gegenstand aus dem Unterholz und legte ihn in ein kleines Teströhrchen.
Es dämmerte, als Pendergast schließlich die gegenüberliegende Seite des Irrgartens erreichte, wo der einsame Mitarbeiter der Kriminaltechnik eben seine Sachen packte und den Tatort verlassen wollte. Pendergast zeigte ihm den FBI-Ausweis, worauf sich der Mann als hilfreicher erwies, als der Polizist es gewesen war. Er deutete zu einem Bereich hinter der Hecken-Wand, in dem zahlreiche kleine Markierungsfähnchen zu erkennen waren. Dort war der Mulch fast schwarz und sehr feucht – durchtränkt von einer großen Menge Blut. Wieder ging Pendergast in die Hocke und drückte die Fingerspitzen leicht in den Boden, wobei ihm auffiel, wie schwammig dieser war.
Er zog eine kleine Stift-Taschenlampe hervor und leuchtete damit umher. »Was können Sie mir über die Morde sagen?«
»Wie’s aussieht, hat der Täter dem Opfer als Erstes mit einem Messer eine Verletzung am Hals zugefügt«, sagte der Kriminaltechniker und zog seinen Mundschutz herunter. »Die Frau wurde von dem Weg zu dieser entlegenen Stelle gezerrt, dann wurde ihr mit einem sehr scharfen Messer von hinten die Kehle durchtrennt und anschließend mit irgendeinem großen Instrument – vermutlich einem Hackbeil – der Brustkorb geöffnet und das Herz entfernt. Der Rechtsmediziner glaubt, dass die Frau zur Zeit der Entnahme bereits bewusstlos war – dass sie am Blutverlust gestorben ist. Am Ende wurde sie unter die Hecke hier gerollt und der lockere Mulch mit den Füßen über die Leiche verstreut.«
»Blutspritzer?«
»Was man so erwarten kann. Hauptsächlich Spritzflecken auf der Unterseite der Hecke und auf dem Mulch in der Nähe.«
»Der ungefähre Todeszeitpunkt?«
»Um vier Uhr heute Morgen, plus/minus.«
»Und sie wurde gefunden von –?«
»Einem frisch verheirateten Paar aus Seattle. Sie hatten sich die Stelle ausgesucht, um herumzumachen.« Der Mann deutete mit einem Nicken zu einer Sitzbank in der Nähe.
»Das war so gegen halb elf, richtig?«
»Um Viertel nach zehn, ja.«
Pendergast blieb weiter in der Hocke sitzen und sah sich um. Die Hecke war dicht. Um vier Uhr morgens, in einer mondlosen Nacht, wäre dieser Ort in der Tat sehr dunkel gewesen. Die Uferpromenade und der Strand wären menschenleer gewesen, zumindest fast. Er schaute hoch; die Palmen und die Ziersträucher verdeckten die Sicht auf die nächstgelegenen Hotels. Angesichts der Bevölkerungsdichte auf der Düneninsel eignete sich die Stelle gut, um einen Mord zu begehen.
»Darf ich noch eine Zeit lang bleiben?«, fragte er. »Auch wenn ich keine Schutzkleidung trage?«
»Kein Problem, wir sind hier fertig«, antwortete der Kriminaltechniker.
Sorgfältig durchsuchte Pendergast eine Viertelstunde lang den Bereich. Gelegentlich brachte er dabei seine Lupe, die Pinzette, die Taschenlampe und das Smartphone zum Einsatz. Doch es war so, wie Kleinwessel gesagt hatte – es gab hier wenig zu sehen.
Schließlich stand er auf. »Haben Sie vielen Dank für Ihre Geduld.«
»Keine Ursache.« Der Mann griff nach seinem Koffer und begab sich zum Ausgang des Hecken-Irrgartens.
Pendergast lief ihm hinterher. »Gibt es sonst noch etwas Beachtenswertes an dem Mord?«
»Nichts – außer dass wir ein paar Schuhabdrücke mit Blut gefunden haben, die vom Tatort wegführen.«
»Schuhabdrücke?« Pendergast hob die Brauen. »Das ist doch wohl beachtenswert.«
»Die Abdrücke stammen von einem Paar billiger Männersandalen, große Schuhgröße. Die bekommt man in jedem Geschäft und werden schnell wieder weggeworfen. Ich kann da leider nicht genauer sein. Viel Glück, wenn Sie die ausfindig machen wollen – die trägt hier jeder, Tag und Nacht.«
»Jeder?«
»Alle Touristen und wahrscheinlich die Hälfte der Einheimischen.« Sie näherten sich dem Tatort-Absperrband. »Wir sind hier an der Küste Floridas, richtig? Haben Sie etwa vor, sich mit denen in die Sonne zu legen?« Mit einem Nicken zeigte er auf Pendergasts Budapester-Schuhe, deren Leder selbst im abendlichen Dämmerlicht matt glänzte.
»Ich verstehe, was Sie meinen.« Pendergast hielt inne. »Bei Tag und Nacht, sagten Sie?«
»Ganz recht.« Einen Moment lang blieb Pendergast stehen und schaute in die Ferne. »Was für merkwürdige Bräuche Sie hier doch haben, mein Freund.«
Am darauffolgenden Morgen fuhr ein weißer Nissan-Altima vor einem Haus an der Tigertail Avenue im nordöstlichen Abschnitt des Coconut Grove vor. Der Wagen stand eine Minute lang im Leerlauf am Bordstein, während der Fahrer an diversen Tasten, Knöpfen und Touchscreens fummelte. Schließlich schaltete sich der Motor aus, die Fahrertür ging auf, und Special Agent Pendergast stieg aus. Er staubte seine Kleidung ab und warf dem Fahrzeug einen bösen Blick zu, dann betrat er den Bürgersteig und näherte sich dem Haus.