Gravitation unserer Herzen - Jessica Martin - E-Book

Gravitation unserer Herzen E-Book

Jessica Martin

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Beschreibung

Dr. Erwin Laubenstein lebt für die Wissenschaft. Als Astrophysiker erforscht er das Universum – seine große und, wie er glaubt, einzige Liebe. Mit Menschen hat er es nicht so, doch hin und wieder brauchen auch Genies mal Urlaub, vor allem wenn die Personalabteilung der Uni darauf besteht. Wie passend, dass sein Bruder Hajo ihn zu einem Wanderurlaub in Norwegen einlädt. Severin Biak ist KfZ-Mechatroniker mit eigener Werkstatt und kann die kleine Auszeit in Norwegen kaum erwarten. Doch von Anfang an geht so ziemlich alles schief: Erst sagt sein bester Freund Hajo kurzfristig ab, dann werden ihm auch noch Handy und Bargeld geklaut. Zudem ist sein einziger, verbliebener Reisebegleiter leider nicht gerade von der geselligen Sorte und verwandelt ihren Urlaub obendrein in einen Survival-Trip. Doch je länger sie zusammen unterwegs sind, desto stärker wird die Anziehungskraft zwischen ihren Herzen, während das Datum ihres Rückflugs immer näher kommt... Das Taschenbuch umfasst 287 Seiten.

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Gravitation unserer Herzen

 

Gay Romance

 

Jessica Martin

© Jessica Martin, Juni 2024

 

 

Bildnachweise Cover

pixabay, Noel Bauza

svetikd, iStockphotos-Fotografie-ID: 520801128

 

Die Personen und Begebenheiten in dieser Geschichte sind ausschließlich meiner Fantasie entsprungen. Ähnlichkeiten mit den Covermodels oder anderen realen Personen, Ereignissen oder Orten wären daher reiner Zufall.

 

E-Books sind nicht übertragbar und dürfen weder kopiert noch weiterverkauft werden.

Bitte respektieren Sie dies, denn in jedem Buch stecken viel Liebe, Zeit und Arbeit.

 

Über Feedback jeglicher Art freue ich mich.

Gerne können Sie mich per Post, E-Mail, Instagram, Facebook oder über meine Homepage anschreiben.

 

Jessica Martin

c/o Cursed Verlag

Roggenweg 3

84174 Eching-Weixerau

 

[email protected]

www.jessicamartin.de

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Epilog

Danksagung

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Kapitel 1

 

Erwin

 

Der Geist ist alles. Was du denkst, das wird auch sein.

So oder so ähnlich hat es Siddhartha Gautama, besser bekannt als Buddha, schon vor über zweitausendfünfhundert Jahren formuliert und auch wenn ich kein Buddhist im engeren Sinne bin, hat mir dieser Satz schon durch so manche schwere Zeit geholfen.

Zugegeben, die meisten Menschen würden einen bevorstehenden Urlaub wohl per se nicht als schwere Zeit definieren, aber ich bin eben auch nicht wie die meisten Menschen. Zum einen mag ich es nicht, aus liebgewonnenen Routinen ausbrechen zu müssen oder Zeit mit Menschen zu verbringen, die ich entweder nicht gut kenne oder nicht sonderlich mag.

Zum anderen passt mir der bevorstehende Entschleunigungsurlaub nicht in den Kram, weil ich mit meiner Forschung gerade so gut vorankomme. Das James Webb Space Teleskop hat gerade erst ein neues schwarzes Loch entdeckt und das ist so gigantisch, dass es sogar das Eddington Limit sprengt. Warum das so ist, weiß noch niemand sicher, denn die physikalische Berechnung ist korrekt, aber viele Physiker wollen es natürlich herausfinden. Ich ebenfalls.

Mir ist zwar bewusst, dass meinem Forschungsteam und mir das genauso wenig wie dem Rest der Welt in den nächsten drei Wochen gelingen wird, trotzdem passt mir der Urlaub nicht. Ich fühle mich halt vor meinem Laptop am wohlsten.

Um die kommenden Wochen durchzuhalten, werde ich mich also an Buddhas Aussage klammern und mir einfach ganz fest einreden, dass Urlaub etwas Tolles ist. Eigentlich freue ich mich ja auch darauf, meinen Bruder wiederzusehen, und einen Rückzieher kann ich nicht mehr machen, denn es ist bereits alles gebucht und strenggenommen hat mein Urlaub bereits begonnen. Daher habe ich auch nicht eingestempelt, sondern bin kurz nach sechs wie ein Einbrecher durch das Gebäude in mein Büro geschlichen.

Ich will auch gar nicht lange bleiben und verhalte mich ganz leise, mache nicht mal Licht, trotzdem werde ich erwischt. Gerade als ich dabei bin, meinen Laptop wegzuschließen, geht die Tür auf und mein Kollege Samuel schaut herein. »Erwin!? Das gibt’s doch nicht! Was machst du denn hier? Hast du nicht bereits Urlaub und müsstest auf dem Weg zum Flughafen sein?«

»Ich wollte nur noch mal kurz was checken«, antworte ich kleinlaut. »Bin gleich wieder weg.«

Samuel grinst und blickt sich rasch auf dem Flur um, doch um diese Uhrzeit sind wir hier meistens noch allein, vor allem in den Semesterferien. »Wann geht dein Flieger?«

»In drei Stunden«, stelle ich erschrocken fest, schließe eilig den Stahlschrank ab und hänge mir meine nun viel zu leichte Umhängetasche über die Schulter. Sicherheitshalber klopfe ich mir auf die rechte Hosentasche, in der mein Autoschlüssel steckt. »Ich muss los.«

»Dein Handy?« Samuel deutet zum Tisch zurück, wo es noch einsam auf der leeren Unterlage liegt.

»Oh. Richtig. Danke.« Ich stecke es rasch mit in meine Tasche, schließe die Schnalle und bin endlich startklar. »Wir sehen uns in drei Wochen.«

Mein Kollege nickt. »Ich komme noch mit runter. Bin schon seit um fünf Uhr hier und muss mal eine rauchen.«

Ich schließe mein Büro ab und gemeinsam gehen wir schnellen Schrittes zum Fahrstuhl.

»Ich kann echt nicht fassen, dass du tatsächlich Urlaub nimmst.«

»Ich musste«, erinnere ich Samuel. Die Personalabteilung hatte kein Erbarmen mit mir, sondern hat zuletzt täglich eine E-Mail geschickt und als ich darauf nicht reagiert habe, kam die für mich zuständige Sachbearbeiterin mit einem bereits ausgefüllten Antragsformular in mein Büro. Lediglich der Zeitraum und meine Unterschrift fehlten noch. Als hätten sie es abgesprochen, hat mein Bruder Hajo am gleichen Abend angerufen und mich gefragt, ob ich mit ihm, seiner Frau Viktoria und seinem Kindheitsfreund Severin Urlaub machen will. »Wird schon schön werden«, sage ich in bester Buddha-Manier, doch Samuel glaubt mir kein Wort.

»Sag das mal deinem Gesicht.« Er lacht laut auf, als ich vergeblich an einem Lächeln arbeite. »Es geht nach Norwegen, hattest du gesagt, ja? Schaut ihr euch Oslo an oder wo genau fahrt ihr hin?«

»In Oslo bleibe ich nur einen Tag, weil mein Bruder und seine Frau erst morgen landen«, erkläre ich, als wir den Fahrstuhl betreten. »Sie wohnen doch in München, also konnten wir nicht den gleichen Flieger nehmen. Aber nach ihrer Landung fahren wir alle zusammen in eine Berghütte. Es gibt da drin nur zwei Schlafplätze, daher habe ich mir ein Zelt gekauft. Oh, und es gibt keinen Strom, kein fließend Wasser, kein Internet.«

Samuel starrt mich mit offenem Mund an. »Okay, jetzt verstehe ich deine fehlende Euphorie. Was zum Teufel macht ihr da denn dann drei Wochen lang?«

»Da sind wir nur acht Tage. Mein Bruder und seine Frau fliegen dann wieder nach Hause, aber ich bleibe noch eine Woche länger in Norwegen und will mir Bergen und Trondheim anschauen, bevor ich nach Oslo zurückfahre.«

Wenn ich nun schon nicht ins Büro darf, kann ich die Zeit auch nutzen und will möglichst viel vom Land sehen. Der Mietwagen ist bereits gebucht, Zelt und Schlafsack sind gepackt und auch wenn ich noch nie Campingurlaub gemacht habe, bin ich schon ein bisschen aufgeregt wegen der Tour, auch wenn ich Respekt vor der Distanz und der Kälte in Norwegen habe.

An der Seitentür zum Mitarbeiterparkplatz angekommen, zündet Samuel sich eine Zigarette an und folgt mir zu meinem Auto. Als ich meine Umhängetasche in den Kofferraum schleudere, zuckt er zusammen.

»Woah. Pass auf deinen Laptop auf, Mann!«

»Habe ich im Büro gelassen«, erkläre ich, woraufhin er mich anstarrt, als hätte ich den Verstand verloren. Ich kann es ihm nicht verdenken, schließlich fühle ich mich gerade genau so.

»Was? Warum?«

»Weil ich Urlaub mache«, erinnere ich ihn und mich. Tatsächlich würde ich es keine 24 Stunden durchhalten, den Laptop nicht anzuschalten, wenn ich ihn mitnehmen würde. Also muss ich mich zwingen, mich zu entspannen. Die Widersprüchlichkeit dieser Aussage entgeht mir nicht, aber ich beschließe, sie zu ignorieren.

Samuel nickt langsam, scheint aber immer noch um Worte zu ringen. Schließlich zieht er noch mal an seiner Kippe und atmet dann geräuschvoll aus. »Na gut. Ich schätze, das ist irgendwie sinnvoll.« Er sieht absolut nicht so aus, als würde er seine eigenen Worte glauben, aber ich muss mich beeilen, sonst geht mein Flieger ohne mich, daher muss er damit allein klarkommen.

»Danke, dass du für mich die Stellung hältst«, sage ich ehrlich dankbar, denn er ist ein toller Arbeitskollege, auf den ich mich immer verlassen kann, und drücke seine Schulter.

»Kein Ding«, murmelt er und winkt ab. »So viel sollte nicht los sein. Sind ja kaum Studierende da. Und den Rest schaffen wir schon.«

»Denke ich auch. Und wenn ich zurück bin, sprechen wir die Auswertungen durch, die ihr bis dahin geschafft habt.«

Samuel verzieht das Gesicht. »Versprich dir nicht zu viel davon. Und denk dran, dass Sina und Nicki ab morgen auch Urlaub haben und ich mit dem Hiwi allein bin.«

»Ich weiß. Ihr kriegt das schon hin.« Ich öffne die Fahrertür und werfe noch mal einen sehnsüchtigen Blick hoch zu meinem Bürofenster, dann steige ich ein. »Bis in drei Wochen.«

Er stützt sich über meiner Tür ab und lehnt sich zu mir runter. »Meld dich zwischendurch ruhig mal, damit ich weiß, dass du noch lebst und die Luchse dich nicht zum Abendessen gefuttert haben.«

»In Norwegen gibt es nur wenige hundert Luchse. Die Wahrscheinlichkeit, dass uns einer über den Weg läuft, ist verschwindend gering.«

Samuels Mundwinkel zucken, während er nickt. »Meld dich trotzdem bei Gelegenheit mal.«

»Okay, mache ich«, verspreche ich, dann verabschieden wir uns, denn ich muss wirklich dringend los. Der Weg nach Düsseldorf zum Flughafen ist zwar nicht weit, aber wer weiß, wie der Verkehr um diese Uhrzeit ist.

Ich komme zum Glück sehr gut durch und gehe schon so zeitig durch die Sicherheitskontrolle, dass ich mir noch ganz in Ruhe ein Buch, etwas zu trinken und ein paar völlig überteuerte Naschereien kaufen kann, bevor ich es mir in einem Sessel bequem mache und darauf warte, dass mein Flug bereit fürs Boarding ist.

Nebenbei sehe ich mich immer mal wieder nach dem besten Freund meines Bruders um, der ebenfalls heute schon anreisen wird. Er wohnt immer noch in dem kleinen Kaff in der Nähe von Köln, in dem ich aufgewachsen bin, also gehe ich davon aus, dass wir im gleichen Flieger sitzen werden. Da ich Severin aber seit bestimmt zehn Jahren nicht mehr gesehen habe, weiß ich gar nicht, wie er jetzt aussieht und ob ich ihn erkennen würde. Ich bezweifle allerdings auch, dass er mich unter all den Leuten hier identifizieren kann.

Meine Kindheit und Jugend habe ich in der Bibliothek, dem Planetarium oder meinem Zimmer verbracht und die Kumpels meines Bruders nur am Rande wahrgenommen. Mit sechzehn bin ich schon zur Uni gegangen und mit achtzehn dann nach Cambridge gewechselt. Vermutlich erinnert Severin sich daher auch kaum an mich und wenn dann nur als schlaksigen Bücherwurm.

Gut, ein Bücherwurm werde ich immer bleiben, aber zumindest fühle ich mich mittlerweile in meinem Körper wohl und komme nicht mehr so ungelenk daher. Meine Teenagerjahre waren echt nicht leicht, denn ich habe in kurzer Zeit mehrere Wachstumsschübe gemacht, sodass ich schnell alle in meiner Klasse nicht nur geistig, sondern auch körperlich überragt habe und das, obwohl ich zwei Jahre jünger war. Als Nerd, der eigentlich nur Mathe und Naturwissenschaften, allen voran die Physik, im Kopf hatte und grundsätzlich lieber nicht auffallen wollte, war das echt ätzend.

Bis zum Boarding habe ich Severin noch immer nicht entdeckt und auch im Flugzeug sehe ich ihn nicht. Kurz erwäge ich, Hajo zu schreiben, damit er mir ein aktuelles Bild von seinem Kumpel schickt, entscheide mich dann aber dagegen. Ich werde ihn schon noch früh genug treffen.

Stattdessen packe ich nach dem Start meine Kopfhörer aus und höre mir ein paar Folgen meines Lieblingspodcasts an. In Amsterdam muss ich umsteigen und halte auch beim Zwischenstopp Ausschau nach Severin, doch unter den paar Leuten, die mit mir weiterfliegen und schon am Terminal sind, ist er nicht.

Weil meine Neugierde mir einfach keine Ruhe lässt, schreibe ich während der Wartezeit auf das erneute Boarding Hajo nun doch eine Nachricht. Hey. Ich hoffe, ihr seid fleißig am Packen. Bin schon am AMS und warte auf meinen Anschlussflug. Ich habe Severin bisher noch nicht gesehen. Fliegt er nicht auch schon heute nach Oslo? Woran erkenne ich ihn?

Die Antwort meines Bruders lässt zum Glück nicht lange auf sich warten. Hi, Bro. Koffer stehen bereit. Kann’s kaum erwarten, dich wiederzusehen. Der Urlaub wird mega! Hab Sev grad mal angeschrieben, aber noch keine Antwort. Er müsste aber auch schon unterwegs sein. Habt euch bestimmt nur nicht erkannt. Foto kriegste gleich. Meld dich, wenn du in Oslo angekommen bist.

Ich habe den Text noch nicht ganz zu Ende gelesen, als das versprochene Bild eingeht und ich ein paarmal blinzeln muss. Severin ist definitiv nicht mit mir im Flieger gewesen oder sitzt hier irgendwo und wartet. Der Kerl ist echt heiß und wäre mir ganz gewiss aufgefallen.

Erkannt hätte ich ihn allerdings nicht, denn er hat sich ebenfalls ziemlich verändert. An die kurzen dunklen, gewellten und nach hinten gekämmten Haare kann ich mich zwar noch erinnern, doch er hat eindeutig mehr Muskeln als früher und seine Mimik wirkt trotz des frechen Funkelns in seinen dunklen Augen und dem immer noch spitzbübigen Grinsen reifer. Sein Kinn ist irgendwie markanter, was aber auch an dem ordentlich gestutzten Vollbart liegen kann, der ihm verdammt gut steht. Mein gelegentlicher Drei-Tage-Bart kann da nicht mithalten, zumal ich nach einer Rasur eine gute Woche brauche, bis meine Gesichtsbehaarung nicht mehr lächerlich aussieht.

Sein Kleidungsstil auf dem Bild ist eher sportlich-leger mit Jeans sowie einer schwarzen Lederjacke über einem blauen Oberteil. Ich sehe mich noch mal vor dem Abflugterminal um, doch hier sitzen nur einige Businesstypen und zwei Familien mit kleinen Kindern. Vielleicht holt er sich auch gerade irgendwo einen Kaffee.

Eigentlich kann es mir egal sein, ob er mit im Flieger sein wird oder wie sonst er nach Oslo kommt, immerhin werde ich ihn morgen sowieso treffen und obendrein acht Tage mit ihm in der Wildnis von Südnorwegen verbringen müssen.

Dennoch ertappe ich mich dabei, dass ich jeden Neuankömmling etwas genauer mustere. Einfach um Severin zuerst zu entdecken und somit auf ein Aufeinandertreffen vorbereitet zu sein, denn wie sagte Kong Qiu bereits: In allen Dingen hängt der Erfolg von der Vorbereitung ab. Ob der Mann, der unter dem Namen Konfuzius in die Geschichte eingegangen ist, dies tatsächlich auch in Bezug auf das Wiedersehen mit alten Bekannten gemeint hat, weiß ich zwar nicht, aber das Befolgen dieser Weisheit hat mir bisher mein Leben ungemein erleichtert.

Als mein Flug endlich aufgerufen wird und das Boarding beginnt, lasse ich den beiden Familien den Vortritt, steige dann jedoch ein und eile zu meinem Fensterplatz relativ mittig in der Maschine, um von dort aus zu beobachten, wer noch so im Flieger sitzt. Severin ist nicht dabei, was mich entgegen meiner Vernunft enttäuscht und auch ein bisschen besorgt zurücklässt.

Nachdem die Flugbegleiterin die Tür geschlossen hat, setze ich mich und richte mich bequem ein. Zwar werden wir keine zwei Stunden in der Luft sein, doch um die Zeit zu überbrücken, hole ich mein Tablet aus meiner Tasche, lehne mich auf meinem Sitz zurück und schaue meine aktuelle, koreanische Lieblingsserie. Da ich kein Wort verstehen und daher ohne Ton, aber mit Untertiteln gucke, störe ich zum Glück auch niemanden.

In Oslo angekommen sehe ich Severin auch am Kofferband nicht und so langsam bin ich selbst davon genervt, dass ich ständig nach ihm Ausschau halte. Der Urlaub tut mir eindeutig jetzt schon nicht gut, denn mein Verhalten ist mir äußerst suspekt. In den letzten zehn Jahren habe ich keinen einzigen Gedanken an den Kumpel meines Bruders verschwendet und nun gucke ich mich ständig nach ihm um.

Entschlossen, ihn bis morgen auch wieder aus meinen Gedanken zu verbannen, schnappe ich mein Gepäck und mache mich dann auf den kurzen Weg zum Hotel. Ich habe extra eins ganz in der Nähe gebucht, schließlich muss ich nicht nur das Mietauto, sondern auch Hajo und Viki morgen früh hier abholen.

Meine beste Idee war das trotzdem nicht, stelle ich nach dem Einchecken fest. In welche Richtung ich auch blicke, ich sehe lediglich Hotels und Parkplätze. Kurz erwäge ich, die über 30 Kilometer bis nach Oslo rein mit einem Shuttle zu fahren und die Stadt zu erkunden, doch der Preis schreckt mich ab. Letztlich schaffe ich es nur bis zur Hotelbar, wo ich mir einen Tee und ein Stückchen Kuchen gönne, mit dem ich mich auf die Terrasse setze.

Als Wolken aufziehen und der Kellner mich warnt, dass es gleich zu regnen beginnen wird, beeile ich mich, zurück in mein Hotelzimmer zu kommen, und kuschle mich mit meinem Tablet ins Bett.

Wer weiß, wie viel Schlaf und Komfort ich in den nächsten Tagen im Zelt bekommen werde, und ich will noch ein paar Folgen schauen, bevor ich mehr als eine Woche lang auf die moderne Technik verzichten muss. Das gesparte Geld für den Transfer in die Stadt investiere ich in ein leckeres Abendessen, das ich mir aufs Zimmer bringen lasse und ganz dekadent im Bett genieße.

Kapitel 2

 

Severin

 

Mein erster Urlaub seit viel zu langer Zeit und ich werde noch vor dem Weckerklingeln durch das verdammte Bimmeln meines Handys geweckt. Da, wer auch immer da zu unchristlicher Zeit anruft, sehr hartnäckig ist, öffne ich blinzelnd die Augen. Es ist hell draußen, wenn auch bedeckt. Zumindest scheint es nicht mehr zu regnen.

Schwerfällig setze ich mich auf und blicke mich eilig um, als sich neben mir jemand bewegt. Stimmt ja, der Twink hat es gestern nicht mehr in sein Zimmer geschafft, sondern ist gleich nach seinem zweiten Orgasmus eingepennt und war auch nicht mehr wach zu kriegen.

Um ihn nicht zu wecken, stehe ich auf und fische meine Jeans vom Boden, in der mein Handy noch immer munter bimmelt. »Ja?«, beantworte ich den Anruf, ohne aufs Display zu sehen.

»Sev, hi«, grüßt mich die Stimme meines besten Freundes, doch er klingt nicht so fröhlich, wie er es im Urlaub sein sollte. »Tut mir leid, wenn ich dich geweckt habe.«

»Nicht so wild«, antworte ich leise. »Was geht, Mann?«

»Ähm... also, du bist schon in Norwegen, ja?«

Ich werfe einen Blick zurück auf den niedlichen Norweger und muss grinsen. »Oh, ja.«

»Okay.«

»Wetter könnte besser sein, aber die Typen hier stöhnen echt niedlich.«

»Was?« Kurz herrscht Stille in der Leitung, dann lacht Hajo. »Sag mir nicht, du hast dir am Flughafen einen Kerl aufgerissen.«

Ich gluckse selbstgefällig. »Worauf du dich verlassen kannst.«

Hajo schnaubt. »Du bist unmöglich. Aber nun, da ich weiß, dass du deinen Spaß schon hattest...«

Mein Grinsen vergeht mir und ich muss schlucken. »Was?«

»Ich muss absagen.«

»Was? Spinnst du? Ich bin hier in einem verdammten Flughafenhotel in Oslo, Mann. Sag mir bitte, dass das ein Scherz ist.«

Hajos tiefes Durchatmen lässt mir das Herz in die Hose rutschen. »Ich fürchte nicht. Viki ist im Krankenhaus. Ich kann hier jetzt nicht weg.«

»Fuck. Was hat sie? Geht’s ihr gut?«

»Nicht wirklich. Ihr Blinddarm ist über Nacht geplatzt. Ich schwöre, ich habe sie noch nie so vor Schmerzen schreien gehört. Der Notarzt hat sie sofort mitgenommen und sie wurde heute Nacht noch notoperiert. Ich bin vor zehn Minuten erst wieder zur Tür rein und will auch gleich wieder zurück, muss nur mal kurz was essen und ein paar Sachen für sie packen.«

Erleichtert, dass Hajos Frau zumindest in guten Händen ist, lehne ich die Stirn gegen die Fensterscheibe und atme tief durch. »Mann, da hat sie aber echt Glück gehabt. Wenn das heute Nacht auf der Hütte passiert wäre...«

»Hätte sie keine Chance gehabt«, vervollständigt Hajo meinen Satz leise und ich höre, wie er sich räuspert und die Nase hochzieht. »Ähm... Jedenfalls... Ich habe keine Ahnung, was du jetzt machen willst, aber ich hab Erwin schon Bescheid gesagt und er meint, er will in Norwegen bleiben und mit dir besprechen, ob ihr zu zweit zur Hütte fahrt oder was anderes macht. Zusammen oder getrennt, wie du willst. Ich schicke dir gleich seine Nummer, dann könnt ihr euch kontaktieren.«

»Oh, er ist auch schon hier?«

»Ja, auch im Hotel. Ähm... ich weiß gerade nicht, in welchem. Tut mir leid, ich bin... Verdammt, er hat’s mir doch gerade gesagt.«

»Hey, hey, ganz entspannt. Ich finde deinen Bruder schon«, versichere ich, denn Hajo ist echt durch den Wind. »Du kümmerst dich jetzt erst mal um deine Frau. Weißt du schon, ob sie länger im Krankenhaus bleiben muss?«

»Kommt drauf an, wie schnell das Antibiotikum anschlägt.«

»Okay. Halt mich auf dem Laufenden, ja?«, bitte ich besorgt. »Und mach dir keine Gedanken um uns und den Urlaub. Gesundheit geht immer vor.«

»Ja, du hast recht. Trotzdem tut mir das echt wahnsinnig leid. Wir haben uns so lange nicht gesehen.«

Ich verkneife mir ein Seufzen, aber er hat recht. Seit er vor fünf Jahren der Arbeit wegen nach München gezogen ist, haben wir uns nur ein paarmal für ein verlängertes Wochenende gesehen. Dieser Urlaub sollte das erste ausgiebige Treffen werden und ich hatte mich auch sehr darauf gefreut, wieder ausreichend Zeit mit meinem besten Freund zu verbringen. »Wir finden eine andere Gelegenheit. Vielleicht komme ich bald mal wieder für ein Wochenende zu euch, wenn Viki wieder fit ist.«

»Das wäre echt toll. Ich vermiss dich, Mann.«

Es ist süß, wie sentimental er gerade ist, aber auch ein bisschen zu viel des Guten. »Ich dich auch. Und jetzt iss was und fahr zu deiner Frau zurück. Drück sie von mir und wünsch ihr gute Besserung, ja? Und mach dir keine Gedanken um deinen Bruder und mich. Wir finden schon eine Lösung.«

»Okay. Danke, dass du das so cool siehst.«

Was bleibt mir anderes übrig? Ich verabschiede mich von meinem besten Freund und beschließe, erst mal zu duschen, bevor ich den Twink wecke, damit er in sein Zimmer gehen und ich Erwin ausfindig machen kann.

Frisch geduscht komme ich eine Viertelstunde später in mein Zimmer zurück und stelle fest, dass der kleine Norweger bereits gegangen ist. Im ersten Moment bin ich froh darüber, doch als ich mir Klamotten aus dem Rucksack holen will und sehe, dass er durchwühlt worden ist, wird mir heiß und kalt.

Zwei Minuten lang suche ich vergeblich nach meinem Handy, von dem ich mir sicher bin, dass ich es nach Hajos Anruf auf den Nachtschrank gelegt habe, dann dämmert mir, was hier los ist. Der Twink hat mich beklaut!

»Fuck!«

Okay, ganz ruhig bleiben und nachdenken, Severin. Der Typ kommt aus Trondheim und wohnt hier auch nur für eine Nacht im Hotel, weil er heute nach Deutschland fliegt, also sollten die an der Rezeption mir helfen können. Eilig ziehe ich mich an und schnappe mir die Zimmerkarte. Hoffentlich hat er noch nicht ausgecheckt, denn er meinte, sein Flug geht heute gegen neun Uhr.

Nachdem ich mein Problem an der Rezeption mit Händen und Füßen erklärt habe, denn die Leute hier sprechen kein Deutsch und ich kein Norwegisch und nur mäßiges Schulenglisch, wird irgendwann klar, dass hier niemand aus Trondheim ein Zimmer für die Nacht gebucht hat.

Fuck! Fuck! Fuck!

Der ältere Herr an der Rezeption murmelt irgendwas vor sich hin und greift nach dem Telefonhörer. »Jeg ringer til politiet.« Als ich ihn nur verständnislos anstarre, seufzt er. »Police. I’ll call the police for you.«

»Oh. Okay, ja. Ähm... Yes. Thank you.« Resigniert stütze ich die Unterarme auf dem Tresen ab und lasse den Kopf hängen. »Verdammt.« So langsam aber sicher habe ich keine Lust mehr auf diesen Urlaub.

»Severin?«

Abrupt richte ich mich auf und fahre zu der dunklen Stimme herum, die mich so zögerlich angesprochen hat. »Ja?«

Ein hochgewachsener, hagerer Kerl, der mir irgendwie bekannt vorkommt, starrt mich aus großen grünen Augen an. »Ich bin’s. Erwin. Hajos Bruder. Ist alles okay?«

»Erwin?«, frage ich perplex, denn als ich den Kleinen das letzte Mal gesehen habe, ging er mir grad so bis zur Brust, war spindeldürr und hatte die Nase in einem Buch.

Seitdem hat er echt noch einen Wachstumssprung gemacht, immerhin bin ich nur noch ein paar Zentimeter größer. Aber auch heute noch scheint er Bücher zu mögen, angesichts des dicken Wälzers, den er dabei hat und auf den Rezeptionstresen legt, während er mich weiter neugierig mustert.

»Hi. Schön, dich zu sehen«, sage ich ehrlich erfreut und jetzt da ich weiß, wen ich vor mir habe, erkenne ich die Ähnlichkeit mit seinem Bruder. Hajo hat zwar etwas andere Gesichtszüge und blaue Augen, aber die wilden, blonden Locken haben beide von ihrer Mutter geerbt. »Ich wusste nicht, dass du hier im Hotel bist. Das ist ja ein Zufall.«

Der Rezeptionist räuspert sich, sodass ich zu ihm rüberblicke. »The police is on the way.« Er deutet auf Erwin. »Is this the man who robbed you?«

Erwin schnappt nach Luft. »Du wurdest ausgeraubt? Von wem? Wann?«

»Heute Morgen, in meinem Zimmer. Ist eine längere Geschichte, fürchte ich«, antworte ich seufzend, bevor mir auffällt, dass er den Hotelangestellten verstanden hat. »Du sprichst Englisch, ja?«

»Fließend«, antwortet er irritiert und mit einem knappen Nicken.

Erleichtert atme ich auf. »Kannst du für mich übersetzen? Was hat er eben gefragt?«

»Er sagt, die Polizei ist auf dem Weg, und will wissen, ob ich dich ausgeraubt habe.«

»Was? Nein!« Ich sehe den Rezeptionisten an. »No. No, no, no. Not he! He is a friend. It was...« Verdammt, wann habe ich das letzte Mal Englisch sprechen müssen? »Ähm...«

»Wie sah er aus?«, will Erwin wissen, sodass ich ihm den Twink und wie ich ihn kennengelernt habe, so genau wie möglich beschreibe.

Er gibt es auf Englisch an den Rezeptionisten weiter und eine Weile unterhalten sich beide, wobei ich nur Bruchstücke verstehe, die keinen Sinn ergeben. Schließlich bläst Erwin die Wangen auf und dreht sich zu mir um.

»Ich fürchte, du bist einem Betrüger aufgesessen.«

Ich schlucke schwer. »Was? Was bedeutet das?«

Erwin presst die Lippen aufeinander und blickt mich mitfühlend an. »Es ist eine Masche. Die Männer und Frauen suchen sich ihre Opfer am Flughafen gezielt aus, verwickeln sie in ein Gespräch, fragen sie über ihre Reise aus und geben sich als Gäste des gleichen Hotels aus. Dort laden sie den oder die Auserkorene zum Abendessen oder auf ein paar Drinks ein und hoffen darauf, ins Zimmer mitgenommen zu werden. Wenn ihr Opfer eingeschlafen ist, schnappen sie sich Wertsachen und Bargeld und verschwinden.«

»Fuck, echt jetzt?« Von mir selbst enttäuscht, dass ich das nicht durchschaut habe, lehne ich mich gegen den Rezeptionstresen und atme tief durch. »Und nun?«

»Du kannst Anzeige erstatten, aber der Herr hier macht dir wenig Hoffnung. Vermutlich hat dein Handy und was er sonst noch alles mitgenommen hat, schon den Besitzer gewechselt.«

»Ich habe gar nicht nachgesehen, ob noch was fehlt.«

Erwin sieht aus, als würde er an meinem Verstand zweifeln. »Dann hol das nach! Ich warte hier, falls die Polizei bis dahin da ist.« Ehe ich etwas erwidern kann, hat er sich wieder zu dem Rezeptionisten umgedreht und spricht mit ihm.

Kurz zögere ich, doch als er mich auffordernd anblickt, beschließe ich, dass er recht hat, und eile in mein Zimmer. In meinem Rucksack herrscht das pure Chaos, daher packe ich alles auf dem Bett aus. Zu meiner Erleichterung hat der diebische Twink das Geheimfach auf die Schnelle wohl nicht gefunden, daher sind meine Geldbörse und das Rückflugticket noch da. Sämtliche elektronischen Geräte und das Bargeld, das ich am Boden des Rucksacks deponiert hatte, hat der Wichser jedoch eingesteckt.

Bevor ich meine Klamotten wieder einpacken kann, klopft es an der Tür und als ich sie öffne, steht dort Erwin mit zwei Polizistinnen, ihrer Uniform nach zu urteilen.

»God dag«, beginnt die etwas Kleinere der beiden, den Rest verstehe ich nicht.

»Good morning. I not speak Norwegisch. Only English a little bit«, versuche ich unbeholfen zu erklären und sehe Erwin hilfesuchend an. »Kannst du ihnen erklären, was passiert ist?«

Er nickt und übernimmt das Gespräch. Hin und wieder stellt er mir Fragen darüber, wie ich das Arschloch kennengelernt habe, wo wir wann waren und was er geklaut hat, die ich ihm brav alle beantworte, aber so langsam sickert bei mir durch, dass mein Urlaub wohl schneller vorbei ist, als er begonnen hat.

Ohne Handy und GPS-Gerät kann ich nicht zu der Hütte wandern und mit nur noch wenig Bargeld weiß ich nicht, wie ich mir die Zeit bis zum Rückflug leisten soll. Das Hotelzimmer war für die eine Nacht schon teuer genug und mit jeder Zahlung per EC-Karte kommen Gebühren obendrauf. Vielleicht kann ich den Flug umbuchen und heute noch abreisen. Meine Jungs und Mädels in der Werkstatt werden sich zwar bedanken, wenn ich so früh schon wieder auf der Matte stehe, aber tatenlos zu Hause rumzusitzen, wäre ja auch Quatsch.

»Severin?«

»Ja!«

Erwin blickt mich mitfühlend an. »Die Polizistinnen sind hier erst mal fertig, wollen aber wissen, wie sie dich erreichen können.«

»Oh. Ich... habe keine Ahnung. Mein Diensthandy liegt zu Hause, aber ich weiß ja nicht, wann ich wieder zurück bin. Das Hotel kann ich mir allerdings nicht mehr lange leisten, also... puh.« Ich fange an, diesen Urlaub zu hassen.

Der Bruder meines besten Freundes mustert mich, während ich mir durch die Haare fahre und fieberhaft überlege, aber zu keiner Lösung komme, dann dreht er sich wieder zu den Beamtinnen um und nennt ihnen eine mir unbekannte Telefonnummer, bevor er sie zur Tür zurückbringt und wir uns von ihnen verabschieden.

»Ich habe ihnen erst mal meine Handynummer gegeben«, erklärt er, als wir allein sind und ehe ich fragen kann.

»Oh. Okay. Danke.« Seufzend lasse ich mich aufs Bett fallen. »So eine verfluchte Scheiße aber auch.«

Erwin setzt sich auf den einzigen Stuhl im Raum und lehnt sich zurück. »Das kannst du laut sagen. Hast du den Kerl wirklich am Flughafen aufgerissen und sofort die Nacht mit ihm verbracht?«

Das ist sein verdammtes Problem? »Warum nicht?«, frage ich herausfordernd zurück. »Ich mag Sex und er war süß und wollte es. Wir hatten Spaß miteinander.«

»Bis er dich beklaut hat.« Erwin schnaubt. »Und da behaupten die Leute immer, ich sei blauäugig.«

»Das konnte ich vorher wohl kaum wissen!«, halte ich beschämt und daher im Verteidigungsmodus dagegen. »Seine Geschichte war glaubwürdig. Er hat sogar ganz verständliches Deutsch gesprochen, daher habe ich es ihm abgenommen, dass er Freunde in Berlin hat, die er heute besuchen will.«

Erwin setzt zum Sprechen an, klappt dann aber den Mund zu und nickt knapp. Einen Moment lang herrscht Stille, die ich nutze, um über meine Situation nachzudenken, aber wie ich es auch drehe und wende, ich brauche Hajos Bruder, damit er mir hilft, den Flug umzubuchen.

Tief durchatmend richte ich mich schließlich auf und sehe ihn an. »Hey, ähm... danke für deine Hilfe. Und hi erst mal. Es ist wirklich schön, dich wiederzusehen. Ist echt lange her.«

Er lächelt und zeigt dabei ein niedliches Grübchen auf der linken Wange. »Stimmt. Wie geht’s dir? Hajo meinte, du wohnst noch in der Nähe von Köln?«

»Ja, stimmt. Hab mich selbstständig gemacht und na ja, leb so vor mich hin.«

»Als KfZ-Mechatroniker? Das hattest du gelernt, oder?«

»Ja, genau. Mittlerweile habe ich den Meister und meine eigene Werkstatt. Ich hab ein paar Angestellte, tolle Mädels und Jungs, die gerade den Laden schmeißen. Ansonsten... Tja, ist nicht viel los bei mir. Das hier heute war wohl das Aufregendste, was ich seit langer Zeit erlebt habe.« Erbärmlich. »Und du? Dein Bruder hat erzählt, dass du jetzt an der Uni in Köln bist.«

»Ja. Ich habe eine Forschungsstelle bekommen und arbeite mit einem kleinen Team.«

»Oh, dann bist du mit deinem Studium schon fertig oder machst du das nebenbei?«

Er wirkt äußerst irritiert über meine Frage, aber ich weiß, dass er sieben Jahre jünger als sein Bruder und ich ist, und mit Ende zwanzig noch zu studieren, ist doch sicher keine Seltenheit. »Ich bin seit acht Jahren mit dem Studium fertig und habe vor fünf Jahren meinen Doktor gemacht.«

»Was? Quatsch. Da warst du doch erst...?« Ich muss rechnen, doch er kommt mir zuvor.

»23.«

Ich blinzle eilig und rechne sicherheitshalber noch mal nach. »Okay, das stimmt.« Außerdem war er schon immer superschlau, also wird das mit dem Doktortitel wohl nicht gelogen sein. Echt beeindruckend. Hajo hätte das ja ruhig mal erwähnen können. »Wow. Gut für dich. Und was erforschst du jetzt?«

Statt zu antworten, lächelt er nur amüsiert. Dann nimmt er sein Buch vom Tisch und deutet nach draußen. »Wollen wir erst mal frühstücken gehen? Dabei können wir ja überlegen, ob wir nun zur Hütte fahren wollen. Spätestens um 12 Uhr muss ich auschecken.«

Okay, offenbar ist seine Arbeit ein Geheimnis, aber vermutlich würde ich sowieso nichts davon kapieren, also stecke ich meine Geldbörse ein und folge ihm nach draußen.

Kapitel 3

 

Erwin

 

Heilige Scheiße, ich habe keine Ahnung, wie Severin so ruhig bleiben und obendrein auch noch was essen kann. An seiner Stelle würde ich keinen Bissen runterkriegen und wäre wohl bereits am Flughafen, um so schnell wie möglich nach Hause zu kommen. Ich musste lediglich für ihn übersetzen und bin bis aufs Mark erschüttert, auch wenn ich versuche, mir das nicht anmerken zu lassen. Vielleicht überspielt er seine Aufgewühltheit auch nur sehr gut, aber irgendwie bezweifle ich das, so begeistert wie er über seine Spiegeleier und den krossen Bacon ist.

»Mhm. Echt lecker.« Er wirft einen Blick auf mein Essen und schmunzelt. »Meinst du, der Joghurt macht dich lange satt?«

»Ich habe Müsli und Obst reingerührt und hole mir gleich noch was vom Buffet. Damit komme ich dann locker bis heute Abend hin.«

Er zuckt mit den Schultern. »Wenn du meinst.«

»Was hast du denn nun vor? Willst du noch zu der Hütte?«, frage ich und trinke einen Schluck Earl Grey. Normalerweise bevorzuge ich die Sorte Englisch Breakfast Tea, aber die gibt es leider nicht zur Auswahl.

Severin kaut langsam. »Ich weiß nicht«, murmelt er und schneidet bedächtig ein weiteres Stück Bacon ab, das er sich aber nicht gleich in den Mund steckt, sondern innehält und mich stirnrunzelnd anblickt. »Willst du denn zur Hütte?«

Tja, dahingehend bin ich genauso ratlos wie er. »Zumindest bräuchte keiner von uns im Zelt schlafen«, sage ich, um mir etwas Zeit zu verschaffen.

»Das stimmt natürlich«, meint er nickend und mit Blick auf seinen Teller. »Der Idiot hat doch aber auch mein GPS-Gerät geklaut. Ich bin mir nicht sicher, ob wir den Weg auch ohne finden.«

Scheiße. Hajo meinte, wir müssen von dem Museumsparkplatz, von dem aus wir starten, eine Stunde lang zur Hütte wandern. Ohne GPS wird das nichts. »Wir könnten mein Handy benutzen«, werfe ich ein, woraufhin Severin nickt, doch eine echte Zusage ist das nicht. »Ist das ein Ich-habe-dich-verstanden-Nicken oder Zustimmung?«

Er seufzt. »Keine Ahnung. Meine Angestellten können mich im Notfall nicht erreichen. Falls dir im Wald was passiert, kann ich nicht mal Hilfe holen, ohne dich allein lassen zu müssen. Und ich weiß auch nicht, ob ich mir das Essen für die Woche noch leisten kann. Der Typ hat so gut wie mein ganzes Bargeld genommen.«

»Du hast all dein Geld in diesen Urlaub mitgenommen?« Verwirrt runzle ich die Stirn, denn wer macht denn so was? Wenn er sich die Zeit hier nicht wirklich leisten kann, hätte er lieber zu Hause bleiben sollen.

»Natürlich nicht!«, entgegnet Severin derart entrüstet, dass es vermutlich nicht nur eine Schutzbehauptung ist, und räuspert sich. »Aber wenn ich mit EC-Karte zahle, kostet das zusätzliche Gebühren, daher habe ich in Deutschland den Betrag getauscht, den ich für den Urlaub eingeplant habe. Also, ich habe natürlich noch was auf dem Konto, aber das Geld für den Urlaub ist fast alles weg.«

Verdammt, das ist echt beschissen für ihn gelaufen. »Ich kann das Geld für Lebensmittel und so erst mal auslegen und du zahlst es mir später irgendwann zurück. Oder auch nicht. Ist nicht so wild.« Zu zweit werden wir nicht wahnsinnig viel brauchen und da wir keinen Strom haben, können wir eh kaum frisches Fleisch oder Kühlprodukte lagern. Ein paar Pakete Nudeln und Reis und einige Konserven kann mein Konto verschmerzen. Wie auch immer wir das ganze Zeug zu der Hütte bekommen werden.

Severin blickt mich genervt an. »Du brauchst mir kein Essen kaufen.« Mit diesen Worten stopft er sich eine Gabel voll Ei in den Mund, bevor er den armen Bacon malträtiert.

Ich hasse alles an dieser Diskussion, aber ich will auch nicht allein zur Hütte. »Tut mir leid. Ich leg’s aus und du zahlst es mir zu Hause zurück, okay?«

Severin zögert, doch schließlich nickt er. »Okay. Danke. Kann ich dich um noch etwas bitten?«

Jetzt bin ich gespannt. »Klar.«

»Kann ich mit deinem Handy in der Werkstatt anrufen und meinen Leuten deine Nummer geben, für den Fall, dass sie mich erreichen müssen?«

Oh. Na, wenn es weiter nichts ist. »Sicher. Nach dem Frühstück? Ich hab mein Handy im Zimmer gelassen.«

»Ja, na sicher. Danke.« Er lächelt und ich muss sagen, das steht ihm ausgesprochen gut. Es ist nicht ganz so unbeschwert, wie auf dem Foto, das Hajo mir geschickt hat, aber seinen spitzbübischen Charme kann Severin wohl nie so ganz unterdrücken.

Eine Weile essen wir schweigend. Im Prinzip sind wir ja auch Fremde. Das letzte Mal, als wir uns gesehen haben, muss bei der Feier zu Hajos 25. Geburtstag gewesen sein, kurz bevor ich nach England aufgebrochen bin. Ich schätze, eigentlich hätten wir uns eine ganze Menge zu erzählen, aber ich bin leider nicht gut darin, Gespräche anzufangen, und Severin scheint seinen eigenen Gedanken nachzuhängen, daher schweigen wir weiter.

»Also, fahren wir zur Hütte, ja?«

Ich sehe von meiner leeren Schüssel auf. »Ja, sicher. Klar. Ich weiß zwar nicht, was wir da machen wollen, nur wir beide, aber uns wird schon was einfallen.«

Er schmunzelt. »War es Absicht, dass du betont hast, dass wir beide da allein sein werden?«

»Hm?« Verwirrt gehe ich meinen Satz gedanklich noch mal durch. »Na ja, wir werden da nur zu zweit sein.«

Sein Lächeln wird breiter, bis er mich frech angrinst.

---ENDE DER LESEPROBE---