Grete Minde - Theodor Fontane - E-Book + Hörbuch

Grete Minde E-Book

Theodor Fontane

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Beschreibung

Die Novelle Grete Minde von Theodor Fontane handelt von einer jungen Frau, die aus Hass und Enttäuschung die altmärkische Stadt Tangermünde an der Elbe anzündet und viele Menschen mit sich in den Flammen und unter den Trümmern begräbt. Grete Minde spielt zu Beginn des 17. Jahrhunderts - die Novelle endet 1617 mit dem Brand der Stadt. Fontane schrieb sie 1879. (aus wikipedia.de)

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Grete Minde

Theodor Fontane

Inhalt:

Theodor Fontane – Biografie und Bibliografie

Grete Minde

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Siebentes Kapitel

Achtes Kapitel

Neuntes Kapitel

Zehntes Kapitel

Elftes Kapitel

Zwölftes Kapitel

Dreizehntes Kapitel

Vierzehntes Kapitel

Fünfzehntes Kapitel

Sechzehntes Kapitel

Siebzehntes Kapitel

Achtzehntes Kapitel

Neunzehntes Kapitel

Zwanzigstes Kapitel

Grete Minde, T. Fontane

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849612955

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Theodor Fontane – Biografie und Bibliografie

Dichter und Essayist, geb. 30. Dez. 1819 in Neuruppin, gest. 20. Sept. 1898 in Berlin, war, ursprünglich zum Apotheker bestimmt, 1840–43 in der Neubertschen und Struveschen Apotheke in Leipzig und Dresden tätig und machte während dieser Zeit wichtige literarische Bekanntschaften. 1844 bereiste er England, ließ sich dann in Berlin nieder, wo er sich seit 1849 ausschließlich literarischer Tätigkeit widmete. 1852 unternahm er eine zweite Reise nach England, um die altenglische Balladenliteratur an Ort und Stelle zu studieren; es entstand daraus: »Ein Sommer in London« (Dessau 1854). Ein dritter Aufenthalt da selbst (1855–59) war dem Studium der englischen Theater, Kunst und Literatur gewidmet; seine Frucht war: »Aus England. Studien und Briefe« (Stuttg. 1860) und »Jenseits des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland« (Berl. 1860, zusammen mit »Ein Sommer in London« nach Fontanes Tod neu herausgegeben u. d. T.: »Aus England und Schottland«, das. 1899). Von 1860–70 war F. Redakteur des englischen Teiles an der »Neuen Preußischen Zeitung«, daneben durchreiste er seine Heimat, die Mark Brandenburg, durchforschte ihre Städte, Dörfer, Klöster und Schlachtfelder, woraus seine klassischen, in vielen Auflagen erschienenen »Wanderungen durch die Mark Brandenburg« (Berl. 1862–82, 4 Bde.) entstanden. Später beschrieb er die Waffenerfolge des preußischen Heeres in Schleswig und Böhmen: »Der schleswig-holsteinische Krieg im Jahr 1864« (Berl. 1866) und »Der deutsche Krieg von 1866« (das. 1869–71, 2 Bde.; 2. Aufl. 1871), besuchte 1870 den Kriegsschauplatz in Frankreich und wurde Anfang Oktober in Domremy von Franktireurs gefangen genommen und erst nach drei Monaten vieler Leiden wieder freigelassen. Seine Erlebnisse schilderte er mit ergreifender Kunst in dem Werke: »Kriegsgefangen. Erlebtes 1870« (Berl. 1871, 6. Aufl. 1904). Später schrieb er: »Aus den Tagen der Okkupation; eine Osterreise durch Nordfrankreich und Elsaß-Lothringen« (Berl. 1872, 2 Bde.); »Der Krieg gegen Frankreich 1870–1871« (das. 1874–76, 2 Bde.). Auch als origineller Theaterkritiker (für die Vossische Zeitung) genoss F. großes Ansehen (1870–1890). Wegen seiner Verdienste um die deutsche Dichtkunst wurde ihm 1891, da der Schillerpreis nicht verteilt werden konnte, vom deutschen Kaiser eine Prämie von 3000 Mark verliehen. 1894 ernannte ihn die philosophische Fakultät der Berliner Universität zum Ehrendoktor. Als Dichter ist F. schon 1851 mit »Gedichten« (8. Aufl., Stuttg. 1902) hervorgetreten, doch ist er erst im Alter zu größeren Erfolgen als Erzähler gelangt. Seine »Balladen« (Berl. 1861) zeichnen sich durch große Kraft in der knappsten sprachlichen Form aus. Seine lyrische Muse ist spröde und weich zugleich, darum trifft sie den Soldatenton so gut. Sein origineller Prosastil ist von großer Anschaulichkeit, natürlich und farbenreich. F. erzählt realistisch treu bis zur Rücksichtslosigkeit und doch voller Gemüt. Er wird herb, um ja nicht sentimental zu erscheinen, sein Humor ist echt plattdeutsch. In seinen Erzählungen hat er alle Gesellschaftsschichten Norddeutschlands geschildert; die hervorragendsten sind: »Vor dem Sturm«, Roman aus dem Winter 1812–13 (Berl. 1878, 4 Bde., 3. Aufl. 1898); die Novellen: »Grete Miude« (das. 1880), »Ellernklipp« (das. 1881), »L'Adultera« (Bresl. 1882, 4. Aufl. 1903), »Sch ach von Wuthenow« (Leipz. 1883, 4. Aufl. 1901); die Romane: »Graf Petöfy« (4. Aufl., das. 1903), »Unterm Birnbaum« (Berl. 1885), »Cecile« (das. 1887, 3. Aufl. 1900), »Irrungen, Wirrungen« (das. 1888, 8. Aufl. 1902), »Stine« (das. 1890, 4. Aufl. 1901),»Quitt« (das. 1891), »Unwiederbringlich« (das. 1891, 4. Aufl. 1902), »Frau Jenny Treibel« (das. 1892, 7. Aufl. 1903), »Effi Briest« (das. 1895, 11. Aufl. 1902), »Die Poggenbühls« (das. 1896, 6. Aufl. 1902) und »Der Stechlin« (das. 1899, 10. Aufl. 1903), »Von, vor und nach der Reise«, Plaudereien und kleine Geschichten (das. 1893). Ferner schrieb er: »Christ. Friedr. Scherenberg und das literarische Berlin von 1840–1860« (Berl. 1885) und »Meine Kinderjahre«, autobiographischer Roman (das. 1894, 4. Aufl. 1903), dazu als Fortsetzung: »Von Zwanzig bis Dreißig« (das. 1898). Die »Gesammelten Romane und Novellen« Fontanes erschienen in 12 Bänden (Berl. 1890–91). Aus seinem Nachlass gab Schlenther »Causerien über Theatereindrücke« heraus (Berl. 1904). Vgl. Servaes, Theo dor F. (Berl. 1900); Erich Schmidt, Charakteristiken, Bd. 2 (das. 1901).

Grete Minde

Nach einer altmärkischen Chronik

Erstes Kapitel

Das Hänflingnest

»Weißt du, Grete, wir haben ein Nest in unserm Garten, und ganz niedrig, und zwei Junge drin.«

»Das wäre! Wo denn? Ist es ein Fink oder eine Nachtigall?« »Ich sag es nicht. Du mußt es raten.«

Diese Worte waren an einem überwachsenen Zaun, der zwei Nachbargärten voneinander trennte, gesprochen worden. Die Sprechenden, ein Mädchen und ein Knabe, ließen sich nur halb erkennen, denn so hoch sie standen, so waren die Himbeerbüsche hüben und drüben doch noch höher und wuchsen ihnen bis über die Brust.

»Bitte, Valtin«, fuhr das Mädchen fort, »sag es mir.«

»Rate.«

»Ich kann nicht. Und ich will auch nicht.«

»Du könntest schon, wenn du wolltest. Sieh nur«, und dabei wies er mit dem Zeigefinger auf einen kleinen Vogel, der eben über ihre Köpfe hinflog und sich auf eine hohe Hanfstaude niedersetzte.

»Sieh«, wiederholte Valtin.

»Ein Hänfling?«

»Geraten.«

Der Vogel wiegte sich eine Weile, zwitscherte und flog dann wieder in den Garten zurück, in dem er sein Nest hatte. Die beiden Kinder folgten ihm neugierig mit ihren Augen.

»Denke dir«, sagte Grete, »ich habe noch kein Vogelnest gesehen: bloß die zwei Schwalbennester auf unsrem Flur. Und ein Schwalbennest ist eigentlich gar kein Nest.«

»Höre, Grete, ich glaube, da hast du recht.«

»Ein richtiges Nest, ich meine von einem Vogel, nicht ein Krähen- oder Storchennest, das muß so weich sein wie der Flachs von Reginens Wocken.«

»Und so ist es auch. Komm nur. Ich zeig es dir.« Und dabei sprang er vom Zaun in den Garten seines elterlichen Hauses zurück.

»Ich darf nicht«, sagte Grete.

»Du darfst nicht?«

»Nein, ich soll nicht. Trud ist dawider.«

»Ach Trud, Trud. Trud ist deine Schwieger, und eine Schwieger ist nicht mehr als eine Schwester. Wenn ich eine Schwester hätte, die könnte den ganzen Tag verbieten, ich tät es doch. Schwester ist Schwester. Spring. Ich fange dich.«

»Hole die Leiter.«

»Nein, spring.«

Und sie sprang, und er fing sie geschickt in seinen Armen auf.

Jetzt erst sah man ihre Gestalt. Es war ein halbwachsenes Mädchen, sehr zart gebaut, und ihre feinen Linien, noch mehr das Oval und die Farbe ihres Gesichts, deuteten auf eine Fremde.

»Wie du springen kannst«, sagte Valtin, der seinerseits einen echt märkischen Breitkopf und vorspringende Backenknochen hatte. »Du fliegst ja nur so. Und nun komm, nun will ich dir das Nest zeigen.«

Er nahm sie bei der Hand, und zwischen Gartenbeeten hin, auf denen Dill und Pastinak in hohen Dolden standen, führte er sie bis in den Mittelgang, der weiter abwärts vor einer Geißblattlaube endigte.

»Ist es hier?«

»Nein, in dem Holunder.«

Und er bog ein paar Zweige zurück und wies ihr das Nest.

Grete sah neugierig hinein und wollte sich damit zu schaffen machen, aber jetzt umkreiste sie der Vogel, und Valtin sagte: »Laß; er ängstigt sich. Es ist wegen der Jungen; unsere Mütter sind nicht so bang um uns.«

»Ich habe keine Mutter«, erwiderte Grete scharf.

»Ich weiß«, sagte Valtin, »aber ich vergeß es immer wieder. Sieht sie doch aus, als ob sie deine Mutter wäre, versteht sich, deine Stiefmutter. Höre, Grete, sieh dich vor. Hübsch ist sie, aber hübsch und bös. Und du kennst doch das Märchen vom Machandelboom?« 

»Gewiß kenn ich das. Das ist ja mein Lieblingsmärchen. Und Regine muß es mir immer wieder erzählen. Aber nun will ich zurück in unsern Garten.«

»Nein, du mußt noch bleiben. Ich freue mich immer, wenn ich dich habe. Du bist so hübsch. Und ich bin dir so gut.«

»Ach, Narretei. Was soll ich noch bei dir?«

»Ich will dich noch ansehen. Mir ist immer so wohl und so weh, wenn ich dich ansehe. Und weißt du, Grete, wenn du groß bist, da mußt du meine Braut werden.«

»Deine Braut?«

»Ja, meine Braut. Und dann heirat ich dich.«

»Und was machst du dann mit mir?«

»Dann stell ich dich immer auf diesen Himbeerzaun und sage ›spring‹; und dann springst du, und ich fange dich auf, und...«

»Und?«

»Und dann küß ich dich.«

Sie sah ihn schelmisch an und sagte: »Wenn das wer hörte! Emrentz oder Trud...«

»Ach Trud und immer Trud. Ich kann sie nicht leiden. Und nun komm und setz dich.«

Er hatte diese Worte vor dem Laubeneingang gesprochen, an dessen rechter Seite eine Art Gartenbank war, ein kleiner niedriger Sitzplatz, den er sich aus vier Pflöcken und einem darübergelegten Brett selbst zurechtgezimmert hatte. Er liebte den Platz, weil er sein eigen war und nach dem Nachbargarten hinübersah. »Setz dich«, wiederholte er, und sie tat's, und er rückte neben sie. So verging eine Weile. Dann zog er einen Malvenstock aus der Erde und malte Buchstaben in den Sand.

»Lies«, sagte er. »Kannst du's?«

»Nein.«

»Dann muß ich dir sagen, Grete, daß du deinen eignen Namen nicht lesen kannst. Es sind fünf Buchstaben, und es heißt Grete.«

»Ach, griechisch«, lachte diese. »Nun merk ich erst; ich soll dich bewundern. Hatt es ganz vergessen. Du gehörst ja zu den sieben, die seit Ostern zum alten Gigas gehen. Ist er denn so streng?«

»Ja und nein.«

»Er sieht einen so durch und durch. Und seine roten Augen, die keine Wimpern haben...«

»Laß nur«, beruhigte Valtin. »Gigas ist gut. Es muß nur kein Kalvinscher sein oder kein Katholscher. Da wird er gleich bös und Feuer und Flamme.«

»Ja, sieh, das ist es ja eben...«

Valtin malte mit dem Stocke weiter. Endlich sagte er: »Ist es denn wahr, daß deine Mutter eine Katholsche war?«

»Gewiß war sie's.«

»Und wie kam sie denn ins Land und in euer Haus?«

»Das war, als mein Vater in Brügge war, da sind viele Spansche. Kennst du Brügge?«

»Freilich kenn ich's. Das ist ja die Stadt, wo sie die beiden Grafen enthauptet haben.«

»Nein, nein. Das verwechselst du wieder. Du verwechselst auch immer. Weißt du noch... Ananias und Äneas?! Aber das war damals, als du noch nicht bei Gigas warst... Ach, bei Gigas! Und nun soll ich auch hin, denn ich werde ja vierzehn, und Trud ist bei ihm gewesen, wegen Unterricht und Firmung, und hat es alles besprochen... Aber sieh, ihr habt ja noch Kirschen an eurem Baum. Und wie dunkel sie sind! Nur zwei. Die möcht ich haben.«

»Es ist zu hoch oben; da können bloß die Vögel hin. Aber laß sehen, Gret, ich will sie dir doch holen... wenn...«

»Wenn?«

»Wenn du mir einen Kuß geben willst. Eigentlich müßtest du's. Du bist mir noch einen schuldig.«

»Schuldig?«

»Ja. Von Silvester.«

»Ach, das ist lange her. Da war ich noch ein Kind.«

»Lang oder kurz. Schuld ist Schuld.«

»Und bedenke, daß ich morgen zu Gigas komme...«

»Das ist erst morgen.«

Und eh sie weiter antworten konnte, schwang er sich in den Baum und kletterte rasch und geschickt bis in die Spitze, die sofort heftig zu schwanken begann.

»Um Gott, du fällst«, rief sie hinauf; er aber riß den Zweig ab, an dem die zwei Kirschen hingen, und stand im Nu wieder auf dem untersten Hauptast, an dem er sich jetzt, mit beiden Knien einhakend, waagerecht entlangstreckte.

»Nun pflücke«, rief er und hielt ihr den Zweig entgegen. »Nein, nein, nicht so. Mit dem Mund...«

Und sie hob sich auf die Fußspitzen, um nach seinem Willen zu tun. Aber im selben Augenblicke ließ er die Kirschen fallen, bückte sich mit dem Kopf und gab ihr einen herzhaften Kuß.

Das war zuviel. Erschrocken schlug sie nach ihm und lief auf die Gartenleiter zu, die dicht an der Stelle stand, wo sie das Gespräch zwischen den Himbeerbüschen gehabt hatten. Erst als sie die Sprossen hinauf war, hatte sich ihr Zorn wieder gelegt, und sie wandte sich und nickte dem noch immer verdutzt Dastehenden freundlich zu. Dann bog sie die Zweige voneinander und sprang leicht und gefällig in den Garten ihres eigenen Hauses zurück.

Zweites Kapitel

Trud und Emrentz

In den Gärten war alles still, und doch waren sie belauscht worden. Eine schöne, junge Frau, Frau Trud Minde, modisch gekleidet, aber mit strengen Zügen, war, während die beiden noch plauderten, über den Hof gekommen und hatte sich hinter einem Weinspalier versteckt, das den geräumigen, mit Gebäuden umstandenen Mindeschen Hof von dem etwas niedriger gelegenen Garten trennte. Sechs Stufen führten hinunter. Nichts war ihr hier entgangen, und die widerstreitendsten Gefühle, nur keine freundlichen, hatten sich in ihrer Brust gekreuzt. Grete war noch ein Kind, so sagte sie sich, und alles, was sie von ihrem Versteck aus gesehen hatte, war nichts als ein kindisches Spiel. Es war nichts und es bedeutete nichts. Und doch, es war Liebe, die Liebe, nach der sie sich selber sehnte und an der ihr Leben arm war bis diesen Tag. Sie war nun eines reichen Mannes ehelich Weib; aber nie, soweit sie zurückdenken mochte, hatte sie lachend und plaudernd auf einer Gartenbank gesessen, nie war ein frisches, junges Blut um ihretwillen in einen Baumwipfel gestiegen und hatte sie dann kindlich unschuldig umarmt und geküßt. Das Blut stieg ihr zu Kopf, und Neid und Mißgunst zehrten an ihrem Herzen.

Sie wartete, bis Grete wieder diesseits war, und ging dann raschen Schrittes über den Hof auf Flur und Straße zu, um nebenan ihre Muhme Zernitz, des alten Ratsherrn Zernitz zweite Frau und Valtins Stiefmutter, aufzusuchen. In der Tür des Nachbarhauses traf sie Valtin, der beiseite trat, um ihr Platz zu machen. Denn sie war in Staat, in hoher Stehkrause und goldner Kette.

»Guten Tag, Valtin. Ist Emrentz zu Haus? Ich meine deine Mutter.«

»Ich denke, ja. Oben.«

»Dann geh hinauf und sag ihr, daß ich da bin.«

»Geh nur selbst. Sie hat es nicht gern, wenn ich in ihre Stube komme.«

Es klang etwas spöttisch. Aber Trud, erregt wie sie war, hatte dessen nicht acht und ging, an Valtin vorüber, in den ersten Stock hinauf, dessen große Hinterstube der gewöhnliche Aufenthalt der Frau Zernitz war. Das nach vorn zu gelegene Zimmer von gleicher Größe, das keine Sonne, dafür aber viele hohe Lehnstühle und grünverhangene Familienbilder hatte, war ihr zu trist und öde. Zudem war es das Wohn- und Lieblingszimmer der ersten Frau Zernitz gewesen, einer steifen und langweiligen Frau, von der sie lachend als von ihrer »Vorgängerin im Amt« zu sprechen pflegte.

Trud, ohne zu klopfen, trat ein und war überrascht von dem freundlichen Bilde, das sich ihr darbot. Alle drei Flügel des breiten Mittelfensters standen auf, die Sonne schien, und an dem offenen Fenster vorbei schossen die Schwalben. Über die Kissen des Himmelbetts, dessen hellblaue Vorhänge zurückgeschlagen waren, waren Spitzentücher gebreitet, und vom Hof herauf hörte man das Gackern der Hühner und das helle Krähen des Hahns.

»Ei, Trud«, erhob sich Emrentz und schritt von ihrem Fensterplatz auf die Muhme zu, um diese zu begrüßen. »Zu so früher Stunde. Und schon in Staat! Laß doch sehen. Ei, das ist ja das Kleid, das du den Tag nach deiner Hochzeit trugst. Wie lang ist es? Ach, als ich dir damals gegenübersaß, und Zernitz neben mir, und die grauen Augen der guten alten Frau Zernitz immer größer und immer böser wurden, weil er mir seine Geschichten erzählte, die kein Ende hatten, und immer so herzlich lachte, daß ich zuletzt auch lachen mußte, aber über ihn, da dacht ich nicht, daß ich zwei Jahre später an diesem Fenster sitzen und auch eine Frau Zernitz sein würde.«

»Aber eine andre.«

»Gott sei Dank, eine andre... Komm, setz dich... Und ich glaube, Zernitz denkt es auch. Denn Männer in zweiter Ehe, mußt du wissen, das sind die besten. Das erst ist, daß sie die erste Frau vergessen, und das zweit ist, daß sie alles tun, was wir wollen. Und das ist die Hauptsache. Ach Trud, es ist zum Lachen; sie schämen sich ordentlich und entschuldigen sich vor uns, schon eine erste gehabt zu haben. Andre mögen anders sein; aber für meinen alten Zernitz bürg ich, und wäre nicht der Valtin...«

»Um den eben komm ich«, unterbrach Trud, die der Muhme nur mit halbem Ohre gefolgt war, »um eben deinen Valtin. Höre, das hat sich ja mit der Gret, als ob es Braut und Bräutigam wäre. Er muß aus dem Haus. Und ich denke, du wirst ihn missen können.«

»Laß doch. Es sind ja Kinder.«

»Nein; es sind nicht Kinder mehr. Valtin ist sechzehn oder wird's, und Gret ist über ihre Jahre und hat's von der Mutter.«

»Nicht doch. Ich war ebenso.«

»Das ist dein Sach, Emrentz.«

»Und dich verdrießt es«, lachte diese.

»Ja, mich verdrießt es; denn es gibt einen Anstoß im Haus und in der Stadt. Und ich mag's und will's nicht. Du hast einen leichten Sinn, Emrentz, und siehst es nicht, weil du zuviel in den Spiegel siehst. Lache nur; ich weiß es wohl, er will es; alle Alten wollen's, und du sollst dich putzen und seine Puppe sein. Aber ich, ich seh um mich, und was ich eben gesehen hab... Emrentz, mir schlägt noch das Herz. Ich komme von Gigas und suche Greten und will ihr sagen, daß sie sich vorbereitet und ernst wird in ihrem Gemüt, da find ich sie... nun rate, wo? Im Garten zwischen den Himbeerbüschen. Und wen mit ihr? Deinen Valtin...«

»Und er gibt ihr einen Kuß. Ach Trud, ich hab's ja mitangesehn, alles, hier von meinem Fenster, und mußt an alte Zeiten denken, und an den Sommer, wo ich auch dreizehn war und mit Hans Hensen Versteckens spielte und eine geschlagene Glockenstunde hinter dem Rauchfang saß, Hand in Hand und immer nur in Sorge, daß wir zu früh gefunden, zu früh in unserm Glück gestört werden könnten. Laß doch, Trud, und gönn's ihnen. 's ist nichts mit alter Leute Zärtlichkeiten, und ich wollt, ich stünde wieder, wie heute die Grete stand. Es war so hübsch, und ich hatt eine Freude dran. Nun bin ich dreißig, und er ist doppelt so alt. Hätt ich noch vier Jahre gewartet, höre, Trud, ich glaube fast, ich hätte besser zu dem Jungen als zu dem Alten gepaßt. Sieh nicht so bös drein und bedenk, es trifft's nicht jeder so gut wie du. Gleich zu gleich und jung zu jung.«

»Jung zu jung!« sagte diese bitter. »Es geht ins dritte Jahr, und unser Haus ist öd und einsam.«

»Alt oder jung, wir müssen uns eben schicken, Trud«; und dabei nahm Emrentz ihrer Muhme Arm und schritt mit ihr in dem geräumigen Zimmer auf und ab. »Mein Alter ist zu jung, und dein Junger ist zu alt; und so haben wir's gleich, trotzdem uns der Schuh an ganz verschiedenen Stellen drückt. Nimm's leicht, und wenn du das Wort nicht leiden kannst, so sei wenigstens billig und gerecht. Wie liegt's denn? Höre, Trud, ich denke, wir haben nicht viel eingesetzt und dürfen nicht viel fordern. Hineingeheiratet haben wir uns. Und war's denn besser, als wir mit fünfundzwanzig, oder war's noch ein Jahr mehr, auf dem Gardelegner Marktplatz saßen und gähnten und strickten und von unsrem Fenster aus den Bauerfrauen die Eier in der Kiepe zählten? Jetzt kaufen wir sie wenigstens und leben einen guten Tag. Und das Sprichwort sagt, man kann nicht alles haben. Was fehlt, fehlt. Aber dir zehrt's am Herzen, daß dir nichts Kleines in der Wiege schreit, und du versuchst es nun mit Gigas und mit Predigt und Litanei. Aber das hilft zu nichts und hat noch keinem geholfen. Halte dich ans Leben; ich