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Magisterarbeit aus dem Jahr 2003 im Fachbereich Musik - Sonstiges, Note: 2,0, Universität für Musik und darstellende Kunst Wien (Institut für Analyse, Theorie und Geschichte der Musik), Sprache: Deutsch, Abstract: In dieser Diplomarbeit wird die „Große“ C-Dur-Sinfonie D 944 von Franz Schubert sowohl analytisch, als auch unter einem pädagogischen Gesichtspunkt untersucht. Die Diplomarbeit besteht aus zwei Hauptteilen: nach einem kürzen historischen Überblick folgt der analytische Teil dieser Diplomarbeit. Hier wird die Symphonie ganz genau analysiert, und zwar nicht nur in Details, sondern auch in einem größeren Zusammenhang. Natürlich ist ein analytischer Versuch dieser Symphonie nicht neu. Jedoch hielten wir noch eine Analyse von diesem Werk als notwendig, da wir einerseits nur zwei detaillierte Analysen über dieses Werk gefunden haben, andererseits unsere persönliche Meinung über dieses Werk ausdrücken wollten: die meisten Analysen, die über dieses Werk geschrieben worden sind, haben eine starke Tendenz zu einer schematischen Gliederung (Schematismus). In diesem Punkt befindet sich der Hauptunterschied des analytischen Teils dieser Diplomarbeit zu den meisten bereits existierten Analysen über diese Symphonie: gerade dieses Werk wird unserer Meinung nach von einem prozessualen Prinzip geprägt, und zwar nicht nur in seiner gesamten Anlage, sondern auch in jedem Satz, sowie in jedem größeren Satzteil - dadurch werden viele der üblichen Gliederungsversuche fragwürdig. Diese Diplomarbeit schließt mit einem pädagogischen Teil, welcher aus einem Unterrichtsentwurf besteht.
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INHALTSVERZEICHNIS
VORWORT
1. HISTORISCHER TEIL
1. 1 Zur Entstehung des Werkes
2. ANALYTISCHER TEIL
2. 1 ALLGEMEIN ZUR „GROSSEN“ C-DUR-SYMPHONIE
2. 2 ERSTER SATZ: Andante / Allegro ma non troppo / Piu moto – 2 / 2
2. 2. 1 FORMÜBERSICHT DES 1. SATZES
2. 2. 2 ANALYSE DES 1. SATZES
2. 3 ZWEITER SATZ: Andante con moto – 2 / 4
2. 3. 1 FORMÜBERSICHT DES 2. SATZES
2. 3. 2 ANALYSE DES 2. SATZES
2. 4 DRITTER SATZ : Scherzo – Trio / Allegro vivace – 3 / 4
2. 4. 1 FORMÜBERSICHT DES 3. SATZES
2. 4. 2 ANALYSE DES 3. SATZES
2. 5 VIERTER SATZ: Finale / Allegro vivace – 2 / 4
2. 5. 1 FORMÜBERSICHT DES 4. SATZES
2. 5. 2 ANALYSE DES 4. SATZES
3. PÄDAGOGISCHER TEIL
3. 1 ALLGEMEIN
3. 1. 1 Wer wird unterrichtet?
3. 1. 2 Welche Kenntnis wird vorausgesetzt?
3. 1. 3 Das Problem des Schematismus
3. 1. 4 Zur Methodik des Unterrichts
3. 1. 5 Allgemeiner Zeitplan
3. 2 UNTERRICHTSENTWURF DES 1. SATZES
3. 2. 1 Zeitplan
3. 2. 2 1.Vorlesung (2 Wochenstunden)
3. 2. 3 2.Vorlesung (2 Wochenstunden)
3. 3 UNTERRICHTSENTWURF DES 2. SATZES
3. 3. 1 Zeitplan
3. 3. 2 1.Vorlesung (2 Wochenstunden)
3. 4 UNTERRICHTSENTWURF DES 3. SATZES
3. 4. 1 Zeitplan
3. 4. 2 1.Vorlesung (2 Wochenstunden)
3. 5 UNTERRICHTSENTWURF DES 4. SATZES
3. 5. 1 Zeitplan
3. 5. 2 1. Vorlesung (2 Wochenstunden)
3. 5. 3 2. Vorlesung (2 Wochenstunden)
LITERATURVERZEICHNIS
In dieser Diplomarbeit wird die „Große“ C-Dur-Sinfonie D 944 von Franz Schubert sowohl analytisch, als auch unter einem pädagogischen Gesichtspunkt untersucht. Der Grund für die Wahl dieses Themas war hauptsächlich unseres Interesse an Schubert und besonders an dieser Symphonie.
Die Diplomarbeit besteht aus zwei Hauptteilen: nach einem kürzen historischen Überblick folgt der analytische Teil dieser Diplomarbeit. Hier wird die Symphonie ganz genau analysiert, und zwar nicht nur in Details, sondern auch in einem größeren Zusammenhang. Natürlich ist ein analytischer Versuch dieser Symphonie nicht neu: bis jetzt sind zahlreiche Analysen aller Art über dieses Werk geschrieben worden: detaillierte (Bangerter, Steinbeck), mehr zusammenfassende (Brown, Dittrich, Dürr, Laaff, Newbould, Vetter, Wickenhauser), sowie Untersuchungen zu Einzelphänomenen in dieser Symphonie (Eckle, Goldschmidt, Hansen, Hinrichsen, Klinkhammer, Kopiez, Kühn, Oechsle, Therstappen). Jedoch hielten wir noch eine Analyse von diesem Werk als notwendig, da wir einerseits nur zwei detaillierte Analysen über dieses Werk gefunden haben, andererseits unsere persönliche Meinung über dieses Werk ausdrücken wollten: die meisten Analysen, die über dieses Werk geschrieben worden sind (vor allem diejenige von Bangerter und Steinbeck), haben eine starke Tendenz zu einer schematischen Gliederung (Schematismus). Steinbeck gibt dafür oft keine Begründung, während Bangerter prinzipiell harmonische Kriterien dafür verwendet.
In diesem Punkt befindet sich der Hauptunterschied des analytischen Teils dieser Diplomarbeit zu den meisten bereits existierten Analysen über diese Symphonie - vor allem zu den beiden bereits genannten detaillierten Analysen: gerade dieses Werk wird unserer Meinung nach von einem prozessualen Prinzip geprägt, und zwar nicht nur in seiner gesamten Anlage, sondern auch in jedem Satz, sowie in jedem größeren Satzteil - dadurch werden viele der üblichen Gliederungsversuche fragwürdig.
Diese Diplomarbeit schließt mit einem pädagogischen Teil, welcher aus einem Unterrichtsentwurf besteht. Der Anlaß dafür war die Tatsache, daß wir seit Dezember 2002 eine Lehrstelle für Musiktheorie (Tonsatz, Gehörbildung, Formenlehre und Musikgeschichte) in einer Musikschule in Griechenland bekommen haben. Dadurch wollten wir uns auch in der Unterrichtspraxis orientieren: wie könnte dieses Werk zu den SchülerInnen eines Musiklyzeums in Griechenland unterrichtet werden. Gerade dieses Werk finden wir als ein ideales Beispiel dafür: das Musikstudium in Griechenland im Allgemeinen wird nämlich von einer starken Tendenz zum Schematismus geprägt. Der Schematismus ist aber nicht immer gut in der Musik. Gerade die „Große“ C-Dur-Sinfonie von Schubert ist ein ideales Beispiel gegen den musikalischen Schematismus: dadurch lernen die SchülerInnen frei und kritisch zu denken, so daß sie eine a priori schematische Betrachtung der jeweiligen musikalischen Werken vermeiden können.
Die Entstehungsumstände der Grossen C-Dur-Symphonie waren lange Zeit unklar und vor allem die Datierung umstritten. Auf dem Autograph hat Schubert die Angabe „März 1828“ notiert. Lange Zeit glaubte man, dies sei das Datum der ersten Niederschrift. Das Datum auf der Partitur dürfte aber eine nachträgliche Angabe sein (möglicherweise, wie Hilmar meinte[1], auch eine Korektur von „1825“ in „1828“). Bis vor kürzerer Zeit hielt allerdings der Streit an, ob die Grosse C-Dur-Sinfonie mit der „verschollenen“ Gasteiner, an der Schubert im Jahr 1825 in Gmunden und Bad Gastein gearbeitet hat, identisch ist oder nicht. [2] Die allerneueste Literatur [3] weist auf eine mögliche Identität zwischen der Gmunden-Gasteiner und der „Großen“ C-Dur-Sinfonie hin, da beiden Symphonien wahrscheinlich im Jahr 1825 komponiert worden sind.
Die Numerierung der Symphonie ist nicht einheitlich, und dies vor allem aufgrund der Frage, inwieweit die Fragmente Berücksichtigung finden sollten. Zunächst zählte man alle vollständig überlieferten, das heisst Nr. 1-6, dann die Grosse C-Dur-Sinfonie als Nr. 7 und schließlich die Unvollendete als Nr. 8. Eine andere Zählung gab der Chronologie folgend der Unvollendete die Nr. 8 und der Grossen C-Dur-Sinfonie die Nr. 9, wobei Nr. 7 ‚ausgespart’ blieb (Grove zählte noch die mutmäßige Gmunden-Gasteiner Sinfonie dazu). Mit der Vervollständigung von D729 als Nr. 7 war die Lücke geschlossen, was von einigen Schubert-Forschern aber abgelehnt wurde. Man zählte schließlich die Unvollendete als Nr. 7 und die Grosse-C-Dur-Sinfonie als Nr. 8. [4]
Schumann und Mendelssohn waren diejenige, die für eine Aufführung und für die Veröffentlichung dieses Werkes verantwortlich waren. Nachdem Schumann in Wien im Jahr 1839 bei Ferdinand Schubert (dem Bruder Franz Schuberts) die autographe Partitur eingesehen hatte, hatte er schon im gleichen Jahr eine Veröffentlichung des Werkes vom Verlag Breitkopf & Härtel erreicht. Tatsächlich hat auf Schumann selbst Schuberts Große C-Dur Sinfonie „gewirkt wie keine noch“ [5]. Die Uraufführung fand kurz danach statt, am 21. März 1839, im Gewandhaus zu Leipzig unter die Leitung von Mendelssohn.
Die „Grosse“ C-Dur-Symphonie nimmt eine sehr besondere Stellung im Werk Schuberts ein. Ganz auffallend ist zuerst die „himmlische Länge der Symphonie, wie ein dicker Roman in vier Bänden etwa von Jean Paul“ [6] : so eine lange Symphonie hat nicht nur Schubert, sondern sogar auch Beethoven nie geschrieben - die Länge der „Großen“ C-Dur-Symphonie überschreitet sogar diejenige der 9.Symphonie Beethovens (mindestens was die Sätze 1, 3 und 4 betrifft). [7] Eine Tendenz zur Verbreiterung der Anlage hat zwar Schubert bereits in seiner 2.Symphonie [8] , aber auch in seiner 6.Symphonie [9] gezeigt, jedoch findet in der „Großen“ C-Dur-Symphonie eine merkwürdige Breite der Anlage statt: sie ist mit mehr als einer Stunde Spieldauer die längste rein instrumentale Symphonie des 19. Jauhrhunderts bis hin zu Bruckners Fünfter. Das ganze Werk erinnert an eine fast ewige Wanderschaft: zweifellos bezieht sich die Bemerkung Schuberts, er wolle sich „den Weg zur großen Symphonie bahnen“ [10] auf die „Große“ C-Dur-Symphonie.
Ein weiteres charakteristisches Merkmal ist die Orchesterbesetzung: in der „Großen“ C-Dur-Symphonie treten dazu Posaunen auf. Die Hinzufügung der Pos. im Symphonie-Orchester ist ganz neu: weder Beethoven, noch Schubert (in seinen früheren Symphonien) haben Posaunen in seinen Symphonien wiederverwendet. Wie wir weiter sehen werden, übernehmen die Posaunen im Verlauf der Symphonie eine ganz besondere Stellung.
Ganz neuartig wirkt der Einleitung-Beginn: die ganze Symphonie beginnt mit einer unisono Hornmelodie. Was für ein ungewöhnlicher Symphonie-Beginn..! Dieses Einleitungsthema ist von ganz großen Bedeutung: das einleitende Hornthema, sowie der von ihm abgeleitete „Jubilus“, zieht nicht nur den ganzen 1.Satz, sondern sogar die gesamte Symphonie durch: in der thematischen Anlage aller Sätze ist der Jubilus (vor allem seine Terz-Motivik) allgegenwärtig und wird einer Vielzahl von Variantenbildungen unterzogen.[11]
Besonders die Ecksätze sind stark miteinander verkettet: das Finale nimmt das im Kopfsatz Exponierte auf und bringt es zu Ende. In seinen Themen werden die thematischen Momente des Kopfsatzes gewissermaßen auf erhöhtem Niveau und mit abschließender Tendenz wiederaufgegriffen. Und auch hier ist das Ziel des Satzprozesses immer wieder der Jubilus.
Der zyklische Zusammenhang aller Sätze innerhalb einer Symphonie ist ein neuartiges Arbeitsprinzip: Robert Schumann charakterisiert die Grosse C-Dur-Symphonie von Schubert als ein Werk „in neuverschlungener Weise, nirgends zu weit vom Mittelpunkt wegführend, immer wieder zu ihm zurückkehrend“.[12] Schumann empfand, daß dieses neuartige Arbeitsprinzip nicht dem seit Beethoven maßgebenden entsprach; darum betont er „die völlige Unabhängigkeit, in der die Symphonie zu denen Beethovens steht“. [13] Trotzdem wurde die Große C-Dur-Symphonie auch als eine „im Styl Beethovens geschrieben“[14] Symphonie mißverstanden, da sie zahlreiche Motivgemeinschaften mit der siebten und neunten Sinfonie von Beethoven aufweist [15] , die von den damaligen Hörern schon erkannt wurden.[16]
Daher ergibt sich die Frage, ob Schubert derartige Zusammenhänge von Themen und Sätzen bewußt oder unbewußt gestaltete. Schubert schrieb an Leopold Kupelwieser am 31.März 1824 - also nach der Komposition der „Unvollendeten“ - , daß er sich „den Weg zur großen Symphonie bahnen“ wolle. [17] Damit bezeugt er ein konsequentes Wollen mit klarem Blick für die notwendigen Schritte, welches eben die Tatsache beweist, daß Schubert einen - von Beethoven unabhängigen - eigenen kompositorischen Weg im Bereich der Symphonie ‚bahnen’ wollte.
2. 2. 2. 1 EINLEITUNG (T. 1-78 / 1.Viertel)
Die langsame Einleitung des ersten Satzes wurde mit zwei unterschiedlichen Taktarten notiert: im Autograph steht die alla-breve Vorzeichnung, während in der Gesamtausgabe von 1885 wegen eines Druckfehlers ein C-Takt steht. Dieser Druckfehler war der Grund für eine Menge Aufnahmen, die nicht die Absichten des Komponisten entsprachen: in denjenigen Aufnahmen, die den C-Takt als Ausgangspunkt nehmen, ist ein von Komponisten nicht notiertes Accelerando gegen Ende der Einleitung notwendig, damit der Übergang vom Andante (Einleitung) zum Allegro ma non troppo (Hauptsatz) erreicht werden kann.
Die Erscheinung einer langsamen Einleitung am Beginn einer Symphonie ist nicht neu bei Schubert: die Kopfsätze fast aller seinen Symphonien (ausser der 5. und 8.) enthalten schon eine langsame Einleitung. Neu ist jedoch die Länge dieser Einleitung: es geht um eine riesige 77-taktige Einleitung im gesamten 685-taktigen 1.Satz - eine Einleitung, welche sogar länger als der Hauptsatz ist (77 : 56)! So eine lange Einleitung ist wirklich außergewöhnlich: in den restlichen Schubert-Symphonien dauern alle Kopfsatz-Einleitungen von 10 (im gesamten 614-taktigen 1.Satz der 2.Symphonie) bis maximal 30 (im gesamten 392-taktigen 1.Satz der 6.Symphonie) Takten, während die langsamen Einleitungen in den 1.Sätzen von den Symphonien Beethovens 12 (im gesamten 299-taktigen 1.Satz der 1.Symphonie) bis maximal 62 (im gesamten 450-taktigen 1.Satz der 7.Symphonie) Takte lang dauern.
Die Länge dieser Einleitung ist aber nicht der einzige Grund ihrer Wichtigkeit: in dieser Einleitung tritt ein ganz aussergewöhnliches unisono Hornthema auf - ein Thema, welches ganz wichtig ist, da sein motivisches Material (aufsteigende melodische Terz) nicht nur den ganzen 1.Satz, sondern sogar die gesamte Symphonie durchzieht: das achttaktige Einleitungsthema verbindet alle vier Sätze dieser Symphonie zu einer übergeordneten Einheit (im Verlauf der Analyse werden wir ausführlich darüber sprechen).
Ein Hörer könnte wahrscheinlich glauben, daß es um keine Einleitung geht, sondern daß wir schon im Hauptsatz sind – für diesen Eindruck ist einerseits die Thematik, andererseits die schnellere „alla breve“ -Taktierung verantwortlich.
Die ganze Einleitung bildet einen grossen Bogen, einen Prozeß, in dem das Einleitungsthema allmählich ganz verschiedenen Charakteren bekommt: zuerst (ab T.1) erklingt es quasi-volkstümlich und pastoral, danach (ab T.9) bekommt es durch eine subtile kontrapunktische Verarbeitung einen eher charmanten und eleganten Charakter, ab T. 29 tritt es ganz energisch und kraftvoll auf, während es schließlich (ab T.61) einen lyrischen und gesanglichen Ton bekommt. Dazu wird eine Entwicklungstendenz durch eine allmähliche Eroberung der orchestralen Dimension erreicht: das Einleitungsthema tritt zuerst einstimmig auf (T.1-8), dann erscheint das erste harmonische Stadium des Themas (T. 9-16), ab T. 29 taucht das Thema in einem Zwischenzustand auf dem Weg von der Einstimmigkeit zu orchestralen Erschlossenheit auf, während es ab T. 61 fast auf dem ganzen Orchester erscheint.
Die Andante-Einleitung der Grossen-C-Dur-Sinfonie ist von verschiedenen Theoretikern unterschiedlich gegliedert worden: Therstappen [18] und Bangerter [19] verstehen die Einleitung als eine dreiteilige Bogenform (1.Teil: T. 1-29/1.Halbe, 2.Teil: T. 29-61 / 1.Viertel, 3.Teil: T. 61-78 / 1.Viertel). Die Argumentation Therstappens liegt an den unterschiedlichen Charakter jedes Teiles: „geschlossene Bildung [barförmiger Bau] der ersten [Gruppe], motivische und harmonische der zweiten (die Wendung nach As-dur), Zurückkehren der dritten Gruppe zum Ausgangspunkt und Verdichtung zum Allegrothema“. Bangerter versteht die Harmonik als das formbildende Element. Steinbeck [20] sieht die Einleitung ebenfalls dreigteilig an, aber anders gegliedert (A-Teil: T.1 ff, B-Teil: T. 38 ff, A’-Teil: T. 61 ff) - er stellt jedoch keine Begründung für diese Gliederung dar.
Oechsle [21] sieht diese Einleitung auch als einen in einer Sonatensatzform komponierten Satzteil (T.1- 37 „Exposition“; T.1 ff: „Hauptsatz“, T.17 ff: „Seitensatz“, T.29 ff: „Schlußgruppe“; T.38 ff: „Durchführung“; T. 61 ff: „Reprise“; T. 68 ff: „Coda“) an. Wir empfinden diese Einleitung sicher nicht als eine Sonatensatzform. Oechsle[22] sieht prinzipiell die Prinzipien der Entwicklung und der Prozessualität, von denen die Einleitung gekennzeichnet wird, als einen Gesichtspunkt, welcher den Vergleich mit der Sonatenform eher begünstigt. Das ist aber sicher nicht genug: sowohl motivisch, als auch harmonisch stimmt die Einleitung nicht mit einer Sonatensatzform überein: in T.17 ff tritt eindeutig kein seitensatzartiges „Liedthema“ (allerdings muß nicht jeder Seitensatz ein Liedthema haben!), sondern eine Fortspinnung auf - die Tatsache, daß das „Liedthema“ nicht wieder in der „Reprise“ auftaucht ist noch ein Beleg dafür; diese Fortspinnung erscheint zuerst in C-Dur und dann moduliert nach e-Moll - es tritt also keine Dominanttonart in Erscheinung. In der „Schlußgruppe“ (T. 29 ff) taucht dann das Hauptthema ganz großartig in C-Dur (und nicht in G-Dur) auf - das vollständige Erscheinen des Hauptthemas in der Schlußgruppe ist dazu nicht sehr typisch für die Sonatensatzform. Schließlich weist die Motivik (u.a. erregte synkopische- und punktierte-Teimotive) und die Harmonik (ausgedehnte Dominante von C-Dur) in T.68 ff eindeutig einen Übergangs- und nicht einen Coda-Charakter auf: T.68 ff führen eindeutig zum Hauptsatz hin und weisen auf keinen Fall eine besondere Schlußwirkung, welche typisch für eine Coda ist, auf.
Wäre aber eine Gliederung der Einleitung in kleineren Teilen überhaupt sinnvoll? Eindeutig wird sie vom Prinzip der Prozessualität geprägt - diesem Prinzip wiederspricht irgendwelche Gliederungsart. Die Phrasenverschränkung, mit der alle Themenvarianten (mit ihren Fortspinnungen) sich miteinander verknüpfen, spricht zusätzlich für die Einteiligkeit der Einleitung. Die Rolle der Harmonik, welche als Gliederungsargument von Therstappen und Bangerter erwähnt wurde, ist vielleich eher untergeordnet, da die ganze Einleitung prinzipiell in C-Dur steht (einzige Ausnahmen: T. 23-27: e-Moll, T. 48-57: As-Dur).
Die Symphonie beginnt mit einem sehr charakteristischen unisono achttaktigen Hornthema, welches an die Einleitungsmelodie der „Unvollendeten“ erinnert (v.a. im 1.Takt).
Der Beginn einer Symphonie mit einem einstimmigen - und sogar unbegleiteten - Hornthema ist sehr untypisch. Diese Erfindung ist sehr individuell. Die kleine Intervallschritte sind verantwortlich für den kantabilen und natürlichen Charakter des Einleitungsthemas, jedoch droht die Bewegung nahezu nach jedem Takt ins Stocken zu geraten. Der natürliche Charakter wird auch durch die Klangfarbe der unbegleiteten Hörner - welche in p erklingen, wie aus der Ferne - erreicht.
Die T. 1-6 bestehen aus zwei einfachen rhythmischen Teilmotiven: 1) Halbe – Viertel – Viertel, 2) punktiertes Viertel – Achtel – Halbe. In jedem Takt befindet sich strenge Dreitönigkeit (ausser den T. 7-8, welche eigentlich als ein Takt empfunden werden können). Alle Takte weisen enge motivische Beziehungen zueinander: T.2 bildet eine Sequenzierung des 1.Taktes, jedoch wird es rhythmisch leicht variiert, in T.3 stammen die zwei letzte Töne aus den entsprechenden Tönen des 1.Taktes, während T.3 zugleich eine melodische Variante vom T.2 bildet (echoartige Funktion vom T.2); T. 4-6 entsprechen rhythmisch – und teilweise auch melodisch – den T. 1-3: T.4 entspricht teilweise dem T.1 (rhythmisch, teilweise melodisch: 2.- 3. Ton), T. 5 ist eine Wiederholung vom T.2, während T.6 die Töne vom T.1 ‚permutiert’ und zugleich eine (transponierte) ‚Krebsumkehrung’ der Töne vom T. 3 enthält. Den Melodie-Abschluß (T. 7-8) bildet eine Augmentation des 6.Taktes, welche als ein echohaft gedehntes Verklingen in pp wirkt.
Obwohl die Achttaktigkeit den üblichsten Rahmen einer Einheit bildet, ist trotzdem die Gliederung dieses Gebildes asymmetrisch, also unüblich. Wie erfolgt aber die Gliederung dieses Themas ? Geht es um 3 (2 + 1) + 3 (2 + 1) + 2 Takte, um 3 (2 + 1) + 2 + 3 (1 + 2) Takte, oder um 3 (2 + 1) + 5 (2 + 1 + 2) Takte ? Muß aber dieses Thema überhaupt gegliedert werden? Die Vorstellung der Themen- bzw. Melodiengliederung stammt eigentlich aus der Vokal- und Tanzmusik, wo eine solche Gliederung aus praktischen Gründen (Text / Reim, Tanzschritte) erforderlich ist. Hier geht es aber weder um Vokal-, noch um Tanzmusik: das Einleitungsthema ist eigentlich als ein selbständiges, einheitliches Gebilde zu verstehen - allein die Schwierigkeit seiner Gliederung spricht dafür.
Substanzielles Intervall ist die melodisch aufsteigende Terz, die sowohl schritt- als auch sprungweise erreicht wird. Die Behauptung von Laaff [23] und Bangerter [24], die Tonwiederholung sei im fünfmal wiederkehrenden C-Ton das zweite substanzielle melodische Element, scheint etwas übertrieben zu sein. Das Einleitungsthema weist zwar eine kreisende Gestaltung auf, welche praktisch aus einem weiten Umkreisen des Tones C besteht, aber man hört das ‚Beharren’ auf dem Ton C sehr schwer als eine (versteckte) Tonwiederholung. Trotzdem ist die Behauptung von Laaff und Bangerter nachvollziehbar, da beim Auftreten des Einleitungsthemas in Coda ab T. 661 die T.4 und 6 fehlen – die Tonika (und damit der Ton C) treten also noch deutlicher hervor. Schließlich kann man sich an R.Schumann erinnern, welcher behauptet, daß in der Einleitung „noch alles geheimnissvoll verhüllt scheint“. [25]
Das einstimmige Einleitungsthema läßt sich leicht in C-Dur vorstellen: die Markierung der Töne des Grunddreiklangs durch Halbe in T.1-6 dienen einer harmonischen Verdeutlichung. Sogar ihre harmonische Begleitung wird vorstellbar – ein Hörer könnte eventuell folgende Harmonisierung erwarten:
T.1: I, T.2: IV - I, T.3: V7 - I, T.4: V - I, T.5: IV - I, T.6: V -I, T.7: V, T.8: I.
Automatisch ergibt sich folgende Frage: wie wird das einstimmige Hornthema weiter im symphonischen Verlauf behandelt? Unsere Hörerwartungen werden gesteigert..!
In T.9 tritt erneut das Einleitungsthema wieder auf, diesmal kommt aber seine Harmonisierung dazu. Falls man die zuvorliegende Harmonisierung des Einleitungsthemas erwartet hätte, wird man jetzt ganz überrascht: der Tonika-Einsatz, worauf man im 2., 5. und 6. Takt des Einleitungsthemas erwarten könnte, kommt nicht! Anstatt der Tonika tritt die VI Stufe auf! Die Tonika hören wir erst im 3. Takt und - schließlich - im 8.Takt des Einleitungsthemas.
Das Einleitungsthema wird hier von 1.Ob. , 1.Kl. und teilweise auch vom 1.Fg. gespielt (neue Klangfarbe!). In der Bläsergruppe wird das Thema sehr fein verarbeitet: der polyphone bzw. kontrapunktische Charakter ist durch die melodischen Gegenstimmen von 2.Ob.- 2.Kl - 2.Fg. zu bemerken. Laaff [26] meint, die T.2-8 des Einleitungsthemas seien als Kontrapunkt zum anfänglichem Terzanstieg entstanden – als Beleg zitiert er diese satztechnische Fassung des Einleitungsthemas. Unserer Meinung nach geht es hier einfach um motivische Arbeit bzw. Abspaltung der Einleitungsmotivik.
Die Protagonisten sind in dieser Stelle die Holzbläser. Die Streicher dienen hier als eine harmonische Unterstützung (Vc./Kb) bzw. als eine zusätzliche Schmückung (1. u. 2.Vl.: sie begleiten imitatorisch in halbtaktigem Abstand, unisono in zarten pizz.). Diese elegante Verarbeitung ergibt eine neue Dimension zum Einleitungsthema: sein ehemaliger pastoraler, fast volkstümlicher Charakter wird zu einem reizenden, charmanten Charakter umgewandelt.
Ab T. 17 kommt ein Entwicklungsteil (die Charakterisierung von Wickenhauser als „Fortsetzung des Themas“[27] scheint nicht genug zu sein), in dem die bisherige strenge Achttaktigkeit aufgelöst und durch eine motivische Fortspinnung ersetzt wird. Die Melodie wird im 1.Vc. - und teilweise in der 1.Br. - fortgesponnen (T. 17 und 21 sind aus den T. 6-8 abgespalten, jedoch werden sie rhythmisch umgestellt), während eine zweite kontrapunktische Melodie in 2.Vc. und 2.Br. auftritt. Nach einer kurzen Modulation nach e-Moll (T. 23-27) tritt wieder die Ausgangstonart C-Dur auf.
In diesem Entwicklungsteil erfolgt ein neues qualitatives Stadium der motivischen Entwicklung: die Streicher werden diesmal Träger einer quasi-choralhaft-hymnischer Kantabilität, welche durch die Kontrapunktik, die Vorhalts- und Durchgangsbildungen, sowie die phrygischen Wendungen in T. 17 und 21 betont wird. Durch die Satztechnik (Kontrapunktik), die modale Nuancen (Phrygische Wendungen), die Diatonik und das eigentliche Fehlen eines tonales Zentrums (Zwischendominanten, e-Moll-Modulation) wird in diesem Einleitunggsteil eine quasi-historisierende Tendenz angezeigt.