Gut genug genügt - Maria Kurz-Adam - E-Book

Gut genug genügt E-Book

Maria Kurz-Adam

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Beschreibung

Erziehungsfragen sind nie ausdiskutiert. Eltern machen sich Sorgen um die Entwicklung Ihres Kindes oder haben Angst, in der Erziehung zu scheitern - und sie suchen Antworten: Wie kann ich mein Kind trösten? Wie gehe ich mit der Angst / der Wut meines Kindes um? Meist lassen sich solche Fragen nicht allgemeingültig beantworten - die zehn klassischen "Weisheiten" in diesem Buch können aber dabei helfen, die Eltern-Kind-Beziehung besser zu verstehen und einen individuellen Weg zu finden. Sie sollen entlasten und Gelassenheit vermitteln - etwas, das in der heutigen Zeit oft zu kurz kommt. Ein leicht zu lesendes Buch, das Mut macht!

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Seitenzahl: 125

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Dr. Maria Kurz-Adam, Dipl.-Psychologin, über 30 Jahre lang wissenschaftliche und praktische Arbeit in der Kinder- und Jugendhilfe, u. a. als Wissenschaftl. Referentin (DJI), Prof. f. Psychologie, Leiterin des Stadtjugendamtes München, Mitherausgeberin der Zeitschrift „unsere jugend“, Autorin mehrerer Bücher.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

ISBN 978-3-497-03034-7 (Print)

ISBN 978-3-497-61476-9 (PDF-E-Book)

ISBN 978-3-497-61477-6 (EPUB)

© 2021 by Ernst Reinhardt, GmbH & Co KG, Verlag, München

Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne schriftliche Zustimmung der Ernst Reinhardt GmbH & Co KG, München, unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen in andere Sprachen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Printed in EU

Covermotiv: Agenturfoto. Mit Model gestellt ©istock.com/stock_colors

Satz: ew print & medien service GmbH, Würzburg

Ernst Reinhardt Verlag, Kemnatenstr. 46, D-80639 München Net: www.reinhardt-verlag.de E-Mail: [email protected]

Inhalt

Einführung

Was für ein Kind möchten Sie? (Bruno Bettelheim)

Der Zauber im Spiel (Hans Zulliger)

Die innere Kraft finden (Johann Heinrich Pestalozzi)

Zusammen helfen (Leonhard Seif)

Eltern, für immer (Helm Stierlin)

Du darfst alles sein (Alice Miller)

Der Wert des heutigen Tages (Janusz Korczak)

Wohin mit der Wut? (Anna Freud)

Früher Trost (Donald W. Winnicott)

Der Sinn des Lebens (Jerome D. Salinger)

Einführung

Dieses Buch versammelt eine Auswahl von Klassikern, die unser heutiges Verständnis von Erziehung entscheidend mitgeprägt haben. Ihre Ideen wirken weiter fort, sie sind bis in unsere Tage wirksam. Sie alle tragen eine innere Botschaft in sich, einen Kern, der als Weisheit der Erziehung gelten kann.

Was können wir unter dieser Weisheit der Erziehung verstehen? Was unterscheidet sie von den Vorschlägen, den Hilfestellungen und Anleitungen, die wir heute in der Flut der aktuellen Erziehungsratgeber finden?

Die Moderne verlangt viel von Eltern und Kindern. Die Unsicherheiten, wie Eltern ihre Kinder so erziehen können, dass sie in dieser Welt bestehen können, dass sie Anerkennung erhalten, sich binden können, lernen und arbeiten können, zuversichtlich in die Zukunft blicken können, sind groß. Was ist gute Erziehung, was schlechte Erziehung? Woran erkennen wir, dass Erziehung erfolgreich verlaufen ist? Brauchen wir mehr Disziplin, mehr Zuwendung, mehr Zeit, mehr Strenge, mehr Regeln, mehr Ordnung, weniger Struktur? Wie muss das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern justiert werden, zwischen Erzieherinnen und Erziehern, zwischen Lehrerinnen und Lehrern und den Kindern? Was ist richtig, was ist falsch?

In allen gegenwärtigen Fragen der Erziehung gibt es eine Weisheit. Sie besteht – wie viele Weisheiten – darin, die Dinge zu verstehen und nicht darin, etwas zu tun. Viele durch ihr Denken berühmt gewordene Psychologinnen und Psychologen, Ärztinnen und Ärzte, Pädagoginnen und Pädagogen, Schriftstellerinnen und Schriftsteller haben sich diesem Verstehen vollständig gewidmet. Sie haben ihr ganzes Leben darauf verwendet, die Fragen der Erziehung, die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern, zwischen Erwachsenen und jungen Menschen zu ergründen und immer wieder neu zu denken. Sie haben ihr Wissen aufgeschrieben, ein Wissen, das von der Erfahrung lebt, die durch die vielen Jahre ihrer Zusammenarbeit mit Eltern, erziehenden Erwachsenen und Kindern geprägt ist.

Was können Familien aus dem Wissen, das diese berühmten Schriftstellerinnen und Schriftsteller zur Verfügung gestellt haben, für sich gewinnen? Welche Weisheiten können ihnen heute helfen, das Zusammenleben zwischen Kindern und Eltern stressfreier zu gestalten, die Beziehungen geduldiger und voller Liebe zu verstehen?

Allem voran rufen die Klassiker der Erziehungsberatung die Erziehenden zur Gelassenheit auf. Sie lehren uns, dass Erziehung immer in einem Prozess der gemeinsamen Entwicklung geschieht, der vor allem auf Geduld und ruhiger Zuversicht gründet.

Vertrauen ist der zweite Baustein, der die Klassiker der Erziehungsberatung zusammenbindet. Nahezu allen hier ausgewählten Schriften ist gemeinsam, dass sie das Vertrauen in die eigene Kraft und ein Eigenleben der Kinder zum Kern ihres Denkens machen. Die schöpferische Fähigkeit, mit der Kinder ihre Ängste, ihre Trauer, ihren Kampf um Autonomie bewältigen, durchzieht wie ein roter Faden die Themen dieser Auswahl.

Erkenne dich selbst – dies ist die dritte Weisheit, die in den Klassikern zu finden ist. Wer vor der Aufgabe der Erziehung steht, steht vor einem Prozess der Selbsterkenntnis. Jede Erziehung läuft Gefahr, dass die Erziehenden bewusst oder unbewusst die eigene Geschichte wiederholen, indem sie sie nachzuahmen oder ins Gegenteil zu verkehren suchen. Die Klassiker der Erziehungsberatung sind eine unschätzbare Hilfe, die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern, Erwachsenen und jungen Menschen besser zu verstehen und Klarheit sowohl in die Verwirrungen der eigenen Geschichte als auch in die zukünftigen Entwicklung der Kinder zu bringen.

Gut genug genügt – dieser berühmte Satz des englischen Kinderarztes und Psychoanalytikers Donald D. Winnicott ist die Klammer, die diese Auswahl zusammenbindet. Es geht in der Erziehung nicht um Perfektion, um den Ausschluss aller denkbaren Unsicherheiten oder um den Erfolg um jeden Preis. Es geht in diesen Klassikern der Erziehungsberatung darum, dass die erziehenden Erwachsenen sich in Gelassenheit üben können, auf die innere Kraft der Kinder vertrauen, ihre Besonderheit achten, die eigene Geschichte in der Erziehung verstehen und mit den Kindern gemeinsam wachsen können. Eltern werden von Beginn an Fehler machen, Kinder werden sich nicht an alles Vorgegebene anpassen, sie werden zornig sein und traurig, es wird Konflikte geben, nicht alles im täglichen Zusammenleben wird ohne Reibungen und Sorgen geschehen. Rat und Hilfe werden weiterhin nötig sein. Aber die Gelassenheit und der Zuspruch, den wir aus diesen Schriften der Klassiker ziehen können, wird uns dabei helfen, unsere Kinder besser zu verstehen und mit uns und unseren Zukunftsvorstellungen gelassener umzugehen.

Die vorliegende Auswahl stellt zehn Klassiker anhand eines ihrer Schlüsselwerke vor. Mit der Ausnahme des Schriftstellers Jerome D. Salinger und seinem berühmten Buch „Der Fänger im Roggen“ entstammen alle weiteren Werke den Wissenschaftsfeldern der Medizin, der Psychoanalyse, der Psychologie oder der Pädagogik. Jedes Kapitel beginnt mit einer kurzen Biografie der Autorin oder des Autors und einer pointierten Erläuterung ihres Schlüsselwerkes. Im Mittelpunkt steht ein längeres Zitat aus diesem Werk, das zum Ausgangspunkt für die besondere Weisheit dieser Denkerin oder dieses Denkers genommen wird.

Gut genug genügt. Diese Weisheit der Erziehung, die aus dem Wissen dieser Klassiker gezogen werden kann, ist eine liebevolle und zugleich respektvolle Möglichkeit, dem Druck, unter dem Familien heute stehen, etwas mehr Ruhe und Zeit für die Betrachtung und das Erleben der Erziehung entgegenzusetzen.

Was für ein Kind möchten Sie?

(Bruno Bettelheim)

Zwischen den Jahren 1948 und 1952 hat sich an der Universität Chicago zweimal im Monat in den Abendstunden eine Reihe von Müttern zusammengefunden, um sich über Fragen der Erziehung ihrer kleinen Kinder auszutauschen. Es waren moderne Mütter, junge Frauen, deren Männer, aus dem Krieg zurückgekehrt, ihr Studium an der Universität aufnahmen. Die jungen Familien lebten in kleinen Siedlungen in enger Nachbarschaft zusammen. Die Mütter kannten sich zumeist gut, halfen sich gegenseitig aus, sie interessierten sich füreinander und dafür, das Richtige für die Zukunft ihrer Kinder zu tun. Sie wollten nicht mehr den althergebrachten Traditionen ihrer Eltern folgen, sie lasen Fachbücher der Kinderpsychologie und Erziehungsratgeber, sie stellten sich und anderen Fragen, welchen Ratschlägen sie folgen sollten. Das Interesse für die Kinderpsychologie war in den USA das Kennzeichen der aufstrebenden Familien der Mittelschicht.

Die Gesprächsrunden entstanden aus dem Bedürfnis der Mütter und – der wenigen teilnehmenden – Väter, ganz konkrete Erziehungssituationen in ihrem Alltag mit den Theorien, die in den universitären Vorlesungen zur Kinderpsychologie vermittelt wurden, in Beziehung zu bringen. In den Gesprächen ging es um „normale“ Kinder in modernen Familien. Fragen des Alltags wie etwa Eifersucht und Streit zwischen den Geschwistern, der Zeitpunkt und die Methoden der Sauberkeitserziehung, die Dauer des Stillens, Umgang mit Zorn und Wut, die richtige Form der Berührung, das Aufstellen von Verboten und Grenzen wurden zum Gegenstand der Diskussionen. Die Mütter kamen zusammen, um den berühmten Assistenzprofessor, der diese Gesprächsrunden ins Leben gerufen hatte, um Rat zu fragen und die Meinung und die Erfahrungen anderer Frauen, die in ähnlicher Situation waren, zu hören.

Bruno Bettelheim hatte das Konzentrationslager und den Krieg überlebt und war nun Professor an der Universität Chicago. Auch seine Vorlesungen gaben den Anstoß zu den Gesprächsrunden. Bettelheim wurde 1903 in Wien geboren, drei Jahre nach Erscheinen von Sigmund Freuds Traumdeutung. Die Psychoanalyse hatte ihn schon früh fasziniert, in den Vorlesungen des berühmten Professors Freud an der Wiener Universität lernte er, wie das Unbewusste auf die menschliche Zivilisation Einfluss nimmt und wie die andauernde und gewaltsame Unterdrückung der Bedürfnisse schon in früher Kindheit das Ich deformieren und sogar zerstören kann. 1938, im Jahr des faschistischen „Anschlusses“ Österreichs, wurde Bettelheim als Jude im Konzentrationslager der Nazis interniert. 1939 konnte er durch den persönlichen Einsatz von Eleanor Roosevelt in die USA emigrieren und setzte dort als Kinderpsychologe seine Arbeit fort. Er wurde Assistenzprofessor und später ordentlicher Professor an der Universität in Chicago und Leiter der berühmten Orthogenic School, einer an die Universität angegliederten Einrichtung, die Kinder mit schwersten psychischen Erkrankungen stationär behandelt hat.

Berühmtheit erlangte Bettelheim nicht allein als Ratgeber in der Kindererziehung und Autor zahlreicher Bestseller, sondern auch mit seinem Konzept des therapeutischen Milieus, das heute für nahezu jede Einrichtung, die sich der Therapie und Erziehung von Kindern mit schweren psychischen Erkrankungen oder mit traumatischen Erfahrungen annimmt, eine Selbstverständlichkeit ist. Bettelheims Überzeugung war es, dass es nicht allein die Personen oder die einzelnen therapeutischen Interventionen sind, die in der Beziehung zu Kindern eine bedeutsame Wirkung haben, sondern dass die gesamte Gestaltung der Umgebung der Kinder, die Anordnung der Räume, die Abläufe der festen Zeiten, die Zubereitung des Essens, die Zeit des Wachseins und des Schlafens, aber auch die kleinen Geschehnisse in den Zwischenzeiten – die Unterhaltung eines Kindes mit einer Erzieherin zwischen Tür und Angel, die Frage nach einer Süßigkeit in der Küche, die träumerischen Pausen nach der Therapiestunde im Garten – so sensibel geformt sein müssen, dass sie heilend wirken können.

Bruno Bettelheim hat sich 1990 das Leben genommen. Seine Person ist heute nicht unumstritten. Ehemalige Patientinnen und Patienten beschuldigten ihn nach seinem Tod schwer, sie berichteten von Gewalttätigkeiten, seiner Unbeherrschtheit und seiner Unberechenbarkeit als Leiter der Orthogenic School. Die Kluft zwischen dem Anspruch einer schönen und überzeugenden Theorie, wie Kinder aufwachsen sollen und dem zuweilen grauen Alltag von Erziehung hat wohl auch ihm als Person zu schaffen gemacht.

In dem Buch „Gespräche mit Müttern“, das seine Vorgehensweise als Erziehungsberater vielleicht am eindrücklichsten sichtbar macht, ist von den späteren Problemen seiner Leitungsarbeit nichts zu spüren. Die Gespräche wurden mit der Erlaubnis der Teilnehmenden über längere Zeit aufgezeichnet und schriftlich wiedergegeben. Es gibt keine Erläuterungen in den Texten, die Lesenden folgen dem Fluss der Dialoge, den Gedanken, den Pausen, dem Nachfragen, den Antworten, dem Zögern, der Skepsis, der Einsicht und dem Lachen der Teilnehmenden. Jede Frage, die eine Mutter und zuweilen einer der teilnehmenden Väter stellt, wird ernstgenommen, sei sie auch noch so alltäglich und auf den ersten Blick trivial. Ist es schädlich, wenn ich meinem Kind zu früh die Flasche entziehe? Wie gehe ich mit der Eifersucht eines Geschwisterkindes um? Warum braucht mein Kind plötzlich wieder eine Windel?

Die Texte sind in fünf Kapitel gegliedert, deren Überschriften schon ein wenig über die Vorgehensweise und die Ergebnisse der Gespräche verraten. „Warum würde ich das tun?“, fragt etwa das erste Kapitel. Wir erfahren, dass es darum gehen wird, sich in die Welt des Kindes hineinzuversetzen, statt auf das Kind herabzublicken. „Kampfesmüde“ heißt das letzte Kapitel des Buches, das den täglichen Stress, in dem die jungen Eltern, vor allem die Mütter, mit ihren kleinen Kindern stehen, in den Blick nimmt und sich ganz an das Leben der Mütter wendet. „Was für ein Kind möchten Sie?“ ist die Frage, auf die die Gespräche im vierten Kapitel wieder und wieder eine Antwort suchen – eine Frage, die wie ein roter Faden das ganze Buch durchzieht.

Die folgende Textpassage entstammt dem zweiten Kapitel „Ihr Problem – oder unseres?“ und ist überschrieben mit „Freie Wahlen“. An der Diskussion waren Mütter und Väter beteiligt, die sich und Bruno Bettelheim die Frage gestellt haben, wann der richtige Zeitpunkt gekommen sei, ein Kind zu entwöhnen – von der Flasche, von der Windel, letztlich von all den Gewohnheiten und Ritualen eines Kleinkindes – und ob und wann es schädlich sei, diese Entwöhnung zu beginnen.

„Vater: Ich habe eine Frage. Wir haben zwei Söhne, einen von einundzwanzig Monaten und einen Säugling, der gerade vier Monate alt ist. Es ist die Frage entstanden, wann der Größere nicht mehr seine Flasche bekommen sollte. […]

Dr. B.: Damit schneiden Sie ein Problem an, das ich letztes Mal zu erläutern versucht habe, nämlich was für ein Kind Sie haben wollen. Sie haben mir die Frage gestellt, und Sie erwarten, daß ich Ihnen eine Antwort gebe, doch die Antwort wäre weder richtig noch falsch, weil es sie nicht gibt. Es hängt ganz davon ab, was für ein Kind Sie wollen.

Vater: Was soll ich denn tun? Offensichtlich muß ich doch eine Entscheidung treffen?

Dr. B.: Nicht eine Entscheidung, mein Lieber. Mit Kindern wird man, wie überall im Leben, ständig vor Entscheidungen gestellt, und was unter anderem das Erziehen heute so schwer macht, ist der Glaube an die Fachleute. Dadurch ist die Vorstellung entstanden, man könnte Entscheidungen umgehen und die Verantwortung für das, was man tut, vermeiden – nach meiner Ansicht eine vollkommen falsche Vorstellung. Sie sprechen vom Stillen und von der Entwöhnung von der Flasche. Es gibt jedoch, wie Sie wissen, Kulturen, in denen man zwischen vier und sechs Monaten mit dem Stillen aufhört und es gibt andere Kulturen, in denen das Kind bis zu vier Jahren und noch länger gestillt wird. Daran, daß in beiden Kulturen die Kinder aufwachsen und als Erwachsene den Anforderungen ihrer Kultur gerecht werden, sehen Sie, daß beides gleichermaßen möglich ist. […]

Mutter: Aber ich verstehe, was er denkt, weil alle zu mir kommen und zu mir sagen ‚Ihre Tochter ist ja noch nicht sauber!‘ und sie finden es furchtbar, obwohl ich für mich sagen muß, daß ich mir nichts daraus gemacht habe, und sie ist noch nicht sauber. Deshalb weiß ich, was er meint. Die Leute finden es ziemlich schrecklich, wenn ein Kind in einem bestimmten Alter nicht mit den Babygewohnheiten aufgehört hat.

Dr. B.: Das meine ich, wenn ich sage, daß man sich entscheiden muß, wofür oder für wen man sein Kind erzieht. Habe ich das nicht zu Anfang gesagt?

Vater: Ja, das sagten Sie.

Dr. B.: Denn das ist das Problem. Erziehen Sie Ihr Kind für die Nachbarn? Das ist eine Sache. Wenn Sie Ihr Kind erziehen, damit es in der Schule hervorragende Noten bekommt, selbst auf Kosten des Glücks, dann ist das eine andere Sache. Dann müssen Sie anders vorgehen. Wenn Sie möchten, dass Ihr Kind Sie haßt, dann müssen Sie so verfahren, und wenn Sie möchten, daß Ihr Kind Sie liebt, dann müssen Sie anders verfahren. Eine bestimmte Methode gibt es nicht. Deshalb konnte ich Ihre Frage nicht beantworten; denn ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, welches der richtige Zeitpunkt ist, um dem Kind die Flasche zu entziehen oder das Kind von der Flasche zu entwöhnen oder wie Sie es nennen wollen. Es hängt ganz davon ab, wie Sie Ihr Kind erziehen möchten. […]

Vater: Haben Sie Ihr Kind von der Flasche entwöhnt?

Dr. B.: Nein.

Vater: Sie haben es nie getan?

Dr. B.: Nie.

Vater: Wann haben sie es gelassen?

Dr. B.: Als sie sagten, sie wollten nicht mehr.“

(Bettelheim 1977, 87–96).