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»Wo alles Text ist, da ist auch alles Lesen, da ist auch alles Schreiben.«
Wo alles Text ist, weil alles Code ist, gibt es kein Werk mehr, nur noch Halbzeug, vorgefertigtes Rohmaterial. Bilder, Filme, Töne, Wörter – im Digitalen ist alles offen dafür, wieder und weiterverarbeitet, transcodiert und prozessiert zu werden. Hannes Bajohrs Lyrikband beweist, dass aus recycelten Texten scharfsinnige Gedichte entstehen können. Inspiriert von der Avantgarde der Moderne, bedient er sich der Technik des 21. Jahrhunderts: Mit Hilfe von Algorithmen hat er u. a. die Romane Kafkas, Bundestagsprotokolle oder Klimaschutzberichte fragmentiert, transkribiert und neu geordnet. Seine Gedichte eröffnen so einen ganz anderen Blick auf Rezeption und Autorschaft im Zeitalter der Digitalisierung.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 65
Hannes Bajohr
Halbzeug
Textverarbeitung
Suhrkamp
Schreibzeug I: Malling-Hansen-Schreibkugel (Friedrich Nietzsche)
in corpore
20 OPFER
ES TRUG SICH ZU
WAS MAN MUSS (MANAGEMENTKORPUS)
DRUMHERUM
AUF MEHR ALS EINE WEISE
WENDEKORPUS
ER (KORPUSFABEL I)
SIE (KORPUSFABEL II)
TÖTEN (KORPUSFABEL III)
DER WINTER DER JAHRE
EROTICA
OPEK KAMERA
DIALOG
ÜBER MICH SELBST
Schreibzeug II: Honeywell 200 (Brion Gysin/Ian Sommerville)
automatengedichte
KOMIKER DER ÜBERLASTUNG
ALS MEILER IN DIESEM DEUTSCHLAND
ICH-LAGEN ERSCHLIESSEN
ICH SEHE 1991
DAS WOLLEN DER DRÄHTE 55
AGENTS, COUNTER-ACTION, CHARACTERS
FUCHS DES FUCHSES
GING AUF, VOLLER ALBATROSSE, NACHT
AUF EIN NEUES
IN BANDEN UNTERGEHN
WENN OLIGARCHIEN LEIDEN, HABEN STÄDTE KEINE PFLICHTEN
SICH SCHÄMEN HÖREN FÜR MEDAILLEN
SO ASKANISCH IN DEN SEXUELLEN GRUNDSÄTZEN
REKURSION
Schreibzeug III: Oliver No. 5 (Franz Kafka)
maschinensprache
RECONNAIS-TOI
KALTER HERR WIRD MEINEN / KICK THAT HABIT MAN
FOUR BORINGS
PROFOUND BRAND AT LEAST / POUR FAIRE UN POÈME DADAÏSTE
JA AUF
SCHWEIGEN
Schreibzeug IV: IBM Selectric (George Maciunas)
in den reader für das eleventum
KRANZ
RESTLICHE PERIODEN
RÄUMUNGSVERKAUF
SCHREIBKRAM
NICHT EINER HAT MICH UNBEVÖLKERT
FRÜHFEHDE
EINST ICH VOLLENDE
IN DEN READER FÜR DAS ELEVENTUM
Schreibzeug V: FORTRAN-Script für Siemens 4004 (Alison Knowles/James Tenney)
appendix
HALBZEUG FÜRS ZEUGHAUS
ARSENAL
HINWEISE
NACHWEISE
für Gregor Weichbrodt
Schreibzeug I: Malling-Hansen-Schreibkugel (Friedrich Nietzsche)
»Schreibkugel ist ein Ding gleich mir: von Eisen / Und doch leicht zu verdrehn zumal auf Reisen. / Geduld und Takt muss reichlich man besitzen / Und feine Fingerchen, uns zu benuetzen.« – Nachgelassene Fragmente, Februar-März 1882.
ist dir, liebste, dieses
opfer
nicht zu schwer?
das
opfer
von zwei minuten
kann sehr leicht mein
opfer
werden,
wie der räuber im wald
opfer
zurückhält: die
opfer,
die ich brachte, um
opfer
zu verlangen.
selbst wer ihr
opfer
geworden ist, hat
sein
opfer;
ich will es nicht ausdenken.
auch hast du das
opfer,
das sie dir bringen,
das
opfer,
aus der gasse, in welcher
nur eines der
opfer,
der beiden
opfer,
das ständige
opfer,
ihr
opfer
war,
das vorbestimmte
opfer
jedes die hand ausstreckenden gastes,
wohl gern zum
opfer
gebracht.
leicht ein
opfer
von klatschereien
bringe ich also solche
opfer.
solche
opfer
zu bringen
dieses
opfer
ist zu groß.
[Konkordanzen des Schlüsselworts »Opfer« aus Franz Kafkas Werken (ohne Tagebücher) mit Concord 0.9 erstellt; anschließend manuell arrangiert und rechts und links selektiv geweißt.]
es war einmal ein
in die höhe und
in den wald und
es trug sich zu
hinaus in den wald
trug sich zu daß
in den wald hinein
und fing an zu
sich auf den weg
an zu weinen und
es dauerte nicht lange
nicht lange so kam
bei der hand und
so will ich dir
dauerte nicht lange so
in die hand und
um den hals und
es sich zu daß
es war einmal eine
ging in den wald
sprach er ich will
trug es sich zu
und sprach ich will
und sprach zu dem
und sprach zu ihm
als er fertig war
an der hand und
da sprach der könig
das wasser des lebens
der könig und die
hin und her und
in einen großen wald
sich zu daß er
sprach er zu ihm
als er ein weilchen
am andern morgen als
an den tisch und
auf den kopf und
auf den weg und
aus der hand und
der hand und führte
er in den wald
in der hand und
in die weite welt
in ein seiden tuch
in ihre kammer und
machte sich auf den
mein mutter der mich
mein vater der mich
mutter der mich schlacht
vater der mich aß
wenns mir nur gruselte
[Alle 4-Gramme mit einer Frequenz von 8 oder mehr aus dem Korpus der Grimm’schen Kinder- und Hausmärchen (Fassung von 1819), mit CasualConc 1.9.7. nach der Häufigkeit ihres Auftretens geordnet.]
Sie müssen tough sein.
Sie müssen ehrlich sein.
Sie müssen es nur wollen.
Sie müssen emotional sein.
Sie müssen sich entscheiden!
Sie müssen nur originell sein.
Sie müssen nett und tough sein.
Sie müssen ihr Vertrauen gewinnen.
Sie müssen auswählen und gewichten.
Sie müssen Ihren Rubikon überschreiten.
Sie müssen realistisch erreichbar sein.
Sie müssen sich ihr Geld erst verdienen.
Sie müssen daran arbeiten, damit es anhält.
Sie müssen physisch und psychisch fit sein.
Sie müssen es tun, ob Sie wollen oder nicht.
Sie müssen die Fragesteller konsequent führen.
Sie müssen Ihre Zuhörer zusätzlich motivieren.
Sie müssen sich nicht für eine Absage entschuldigen.
Sie müssen vor Ihrem Vortrag immer auf die Toilette?
Sie müssen Ihre Gedanken während des Sprechens entwickeln.
Sie müssen nicht Krebs heilen können, um Wert zu vermitteln.
Sie müssen kein Wissenschaftler sein, um all das zu verstehen.
Sie müssen nicht lange überlegen, planen oder um die Ecke denken.
Sie müssen am härtesten daran arbeiten, nicht zu hell zu strahlen.
Sie müssen es wollen und Sie müssen daran arbeiten, damit es anhält.
Sie müssen Ihren Vorgesetzten nicht zu einem anderen Menschen machen.
Sie müssen ja niemand anderem gegenüber darüber Rechenschaft ablegen.
Sie müssen Sie spielen, wie ein Schauspieler auf der Bühne Hamlet spielt.
Sie müssen einerseits genau beobachten und andererseits klug kombinieren.
Sie müssen jede Gelegenheit ergreifen, Arbeitgebern den Beweis zu liefern.
Sie müssen ihn davon überzeugen, dass Sie das gesuchte 3G-Mindset besitzen.
Sie müssen im Job ja nicht mit jedem befreundet sein, mit dem Sie arbeiten.
Sie müssen kein Hypernetzwerker sein, um ein Meister des Netzwerks zu werden.
Sie müssen nur noch ausformulieren und nicht mehr von Neuem Inhalte entwickeln.
Sie müssen also von allem, was Sie dort tun und sagen, innerlich überzeugt sein.
Sie müssen kein Sprachkünstler sein, um kräftige sprachliche Bilder zu erzeugen.
Sie müssen noch nicht jedes Argument und jedes Faktum vollständig ausformulieren.
Sie müssen eine quantitativ und qualitativ adäquate dynamische Stabilität aufweisen.
Sie müssen keine Energie aufwenden, um täglich von neuem Ihrer Rolle gerecht zu werden.
Sie müssen auch Ihr Dasein vor sich selbst nicht begründen, geschweige denn rechtfertigen.
Sie müssen fürchten, dass Ihre Mittelmäßigkeit irgendwann durch einen Besseren offenbar wird.
Sie müssen wissen, was von Ihnen erwartet wird und wie Sie diese Erwartungen erfüllen können.
Sie müssen Ihre Mindset-Eigenschaften nutzen, um vom Netzwerker zum Supervernetzer zu werden.
Sie müssen sich von dem Stapel der anderen Lebensläufe abheben – oder das Spiel ist gelaufen.
Sie müssen nicht auf guten Stil, Grammatik, Zeichensetzung, Satzbau und vollständige Sätze achten.
Sie müssen hohe Vorgaben und strategische Richtungswechsel, die von oben kommen, umsetzen und erfüllen.
Sie müssen ja nicht gleich Architekt, Ingenieur, Maler, Mechaniker, Naturforscher und Philosoph werden.
Sie müssen das aufschreiben, was korrekt ist und der Realität entspricht, und nicht das, was Sie sich wünschen.
Sie müssen wissen, wer Ihre Zielgruppe ist, um Ihre Informationen und Argumente möglichst genau darauf abzustimmen.
Sie müssen in einem Meeting oder auf einer Konferenz ein kurzes Statement über sich selbst oder Ihre Tätigkeit abgeben.
Sie müssen Ihr Leben, alles, was Sie bisher getan haben, Ihre kompletten Pläne und Ziele ändern – oder Sie werden sterben.