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Viele verspüren den tiefen Wunsch, anderen zu helfen, und leben ihre Berufung, indem sie auf dem Feld der Heilarbeit tätig sind. Dies ist eine edle und verantwortungsvolle Aufgabe, die aber auch schnell in Überforderung führen kann, für uns selbst und andere.Abdi Assadi beschreibt aus eigener Erfahrung in 35 Jahren Berufspraxis, worauf wir achten sollten und was er über die Jahre auf diesem Feld für sich selbst als hilfreich erfahren hat. So geht es in diesem Leitfaden nicht so sehr um bestimmte Methoden, sondern vielmehr darum, was Menschen in Heilberufen für sich selbst tun können (und tun sollten) in Bezug auf ihre Selbstfürsorge, Selbsterkenntnis und Selbsteinschätzung.Der Autor macht deutlich, wie wichtig es ist zu lernen, klare Grenzen zu setzen, sich selbst und die eigene Fähigkeiten realistisch zu sehen und schließlich die eigene Arbeit auch wertzuschätzen. Genauso gehört dazu, die Praxisräume energetisch zu reinigen, auch sich selbst immer wieder zu klären und sich bei Bedarf Unterstützung zu holen. Diese Reflexion der eigenen Bedürfnisse, der Stärken und auch der Schwächen sieht er als essenziell an, um in diesem Beruf auf Dauer heilsam zu wirken. Dieses Handbuch richtet sich an alle, die sich zur Heilarbeit berufen fühlen und auf dem Feld der Heilung und Beratung tätig sind, in erster Linie an Heilpraktiker*innen und alle, die mit alternativen Heilmethoden, Akupunktur, Taiji und Yoga beruflich zu tun haben, aber darüber hinaus auch an Therapeut*innen und Coaches aller Art.
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Seitenzahl: 100
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ABDI ASSADI
FÜR MENSCHEN IN HEILBERUFEN
Aus dem Amerikanischen von Götz Bühler
Die amerikanische Originalausgabe The Healer’s Handbook ist erschienen bei Abdi Assadi Inc.
Mit freundlicher Genehmigung von Soulkitchen GmbH.
© 2020 by Abdi Assadi
Copyright der deutschen Ausgabe © 2021 Theseus in Kamphausen Media GmbH, Bielefeld
ISBN Printausgabe: 978-3-95883-539-9
ISBN E-Book: 978-3-95883-540-5
Übersetzung: Götz Bühler, Hamburg
Projektleitung und Lektorat: Susanne Klein, Hamburg, kleinebrise.net
Layout/Satz: Jeanette Frieberg, Buchgestaltung | Mediendesign, Leipzig
Umschlaggestaltung: Soulkitchen GmbH, Hamburg
Umschlagfoto: © Katrin Donig
Druck & Verarbeitung: Druckhaus Köthen GmbH & Co. KG, Köthen
www.kamphausen.media
1. Auflage 2021
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar.
Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Funk, Fernsehen und sonstige Kommunikationsmittel, fotomechanische oder vertonte Wiedergabe, sowie des auszugsweisen Nachdrucks vorbehalten.
Für diejenigen, die berufen sind,
anderen durch Heilung
auf dem Weg zur Selbst-Erinnerung
zu assistieren.
Prolog
Warum ich das Wort »Patient*in« benutze
1. Sie möchten also in einem Heilberuf arbeiten?
2. Heiler, heile dich selbst
3. Die Magie, den Raum zu halten
4. Die Abgrenzung zwischen Heilberuf und Privatsphäre
5. Der Unterschied zwischen Heilen und Kurieren
6. Der Schnittpunkt von Körper, Geist und Seele bei der Heilung
7. Die Magie der Überweisung
8. Grenzen sind nicht nur Linien auf einer Landkarte
9. Haben Sie Bedürfnisse? Kümmern Sie sich darum!
10. Rund ums Geld
11. Interaktion mit Patient*innen
12. Vorsicht vor Widerstand
13. Insiderwissen
Epilog
Über den Autor
Wohin ein Teil von dir geht,
Wird auch der Rest von dir folgen – mit der Zeit.
Du nennst dich Lehrer:
Also lerne.
Rābi’a al-’Adawiyya
Als kleiner Junge in Nigeria in den 1960er-Jahren schnüffelte ich in der Aktentasche meines Vaters herum und stieß auf ein paar Fotos. Mein Vater, der für die UNICEF arbeitete, hatte sie während einer Dienstreise aufgenommen, um die Verwüstung nach dem Biafra-Krieg festzuhalten. Sie zeigten kleine Kinder, die an Unterernährung litten. Einige von ihnen waren kurz vor dem Verhungern. Für meinen jungen Verstand war es nicht zu begreifen, dass wir Menschen so viel Brutalität mit so viel Gleichgültigkeit begegnen und sogar zulassen konnten. Schon damals wusste ich, dass ich das Leiden anderer lindern wollte, obwohl es noch fünfzehn Jahre dauern sollte, bis ich mit der eigentlichen Praxisarbeit begann – die Welt hatte mich damals schon mental auf diese Aufgabe vorbereitet.
Direkt nach dem College lebte ich in New York City und wurde geradezu in die Welt des Heilens hineingeworfen. Ich hatte mein Pre-Med-Programm, eine Vorbereitung auf das Medizinstudium in den USA, beendet und ein Praktikum als Akupunkteur in der South Bronx begonnen. Ich behandelte Drogenabhängige, als die AIDS-Epidemie zu wüten begann. Dies führte mich zur Palliativpflege und dem damit einhergehenden Gefühl der Hilflosigkeit. Um den ständigen Seelenschmerz bei der Arbeit mit jungen Männern, die an AIDS sterben, auszugleichen, begann ich, Frauen bei Geburten mit Akupunktur und Atemarbeit zu unterstützen.
Ich habe verschiedene Heilmethoden buchstäblich inhaliert. Zusätzlich zu meiner Begeisterung für Kampfkünste, die ich schon als Teenager erlernte, beschäftigte ich mich mit Qigong sowie inneren chinesischen Kampf- und Meditationskünsten. Außerdem machte ich weiterführende Ausbildungen in Shiatsu, Reflexzonenmassage, Massage, Biofeedback und Akupunktur.
Nach mehreren Jahren des Studiums und der Praxisarbeit stellte ich fest, dass ich Defizite im Bereich der klinischen Psychologie hatte. Um dem Abhilfe zu schaffen, studierte ich Neo-Reichianische Körperarbeit und die Analytische Psychologie nach C. G. Jung. In den folgenden zwanzig Jahren habe ich diese beiden Systeme sowohl bei mir selbst als auch bei meinen Patient*innen zur Anwendung gebracht.
Die Verankerung in somatischen und psychologischen Therapien war ein Anfang, aber die spirituelle Komponente der Heilung, auf die ich immer wieder stieß, insbesondere bei der Palliativpflege am Lebensende, offenbarte eine weitere Lücke in meinem klinischen Werkzeugkasten. Gleichzeitig brauchte mein eigenes psychisches Erwachen ein Gefäß, in dem ich arbeiten konnte. Also begann ich die Heilungswelt des indianischen und südamerikanischen Schamanismus zu erkunden. Ich verbrachte Jahre während meinen Zwanzigern und Dreißigern in schamanischen Kreisen und praktizierte mit zwei Lehrern, die sehr erfahren darin waren, ihre Intuition zu nutzen; damals nannte man sie Hellseher.
Vieles von dem, was ich weiß, lernte ich als Lehrling. Eine Ausbildung zu machen war ein Modell, das mir gefiel, und ich hatte das Glück, bei einigen beeindruckenden Praktikern in die Lehre zu gehen, darunter Energieheiler, Akupunkteure, Biofeedback-Therapeuten, intuitive Heiler, Schamanen, Psychotherapeuten und Psychologen.
Um mein eigenes Verständnis zu vertiefen, wurde ich von meinen Lehrern ermutigt zu unterrichten. Das habe ich getan und habe mittlerweile jahrzehntelange Erfahrung im Unterrichten von Akupunktur, Kampfkunst und Meditation sowie in der Leitung von Workshops und Gruppenmeditationen.
Die Idee, dieses Buch zu schreiben, entstand aus der Beobachtung, dass viele meiner Patient*innen sich selbst zur Arbeit in einem Heilberuf berufen fühlten – alle unterschiedlichen Alters und mit unterschiedlichem Background. Einige ließen alles stehen und liegen und tauchten vollends in die Heilpraxis ein, andere begannen mit einem Abend hier und einem Wochenende dort.
Solche Ausbildungen sind heutzutage viel organisierter und durchdachter. Dem praktischen Anteil wird dabei viel mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Aber unabhängig von der Art und Weise gibt es, soweit ich sehen kann, immer noch Schwachpunkte bei dem, was in solchen Einrichtungen stattfinden kann.
Wir leben in einer unbewussten Kultur; kein Wunder, dass unsere Einstellung zu verschiedenen Heilungspfaden auch Aspekte dieses Mangels an Bewusstheit widerspiegelt. Ich habe Fehler gemacht, weil meine Lehrer in dieser Beziehung kein spezifisches Wissen hatten, um es an mich weiterzugeben, und oft kam mir auch mein eigenes unbewusstes und ungelöstes emotionales und psychologisches Material in die Quere.
Ich habe viel Zeit damit verbracht herauszufinden, was ich aus meinen 35 Jahren Erfahrung in der Praxis teilen kann und soll. Dieses Buch ist ein Versuch, einen konzentrierten Blick darauf zu werfen, wie Selbstprüfung und Reflexion für Menschen in Heilberufen nützlich sein können.
Es ist eine große Verantwortung, dazu berufen zu sein, sich um die Bedürfnisse eines anderen Menschen zu kümmern. Um ein Kanal zu werden, der klar genug ist, um für andere von Nutzen zu sein, muss man sich selbst im Spiegel anschauen. Unabhängig von der Methode ist die Selbstprüfung von entscheidender Bedeutung für den Prozess, wenn man sich in und auf den Heilungsbereich einlässt. Ich lade Sie ein, genau das zu tun, wie ich einst von denen eingeladen wurde, die vor mir kamen.
Jahrzehntelang hatte ich Probleme damit, einen genauen Begriff zu finden, um jemanden zu beschreiben, der zu mir kommt, um geheilt zu werden. Das Wort »Patient*in« erschien mir immer sehr medizinisch. »Patient*in« kann nach jemandem klingen, der oder die passiv einer Gesundheitsdienstleistung ausgeliefert ist. Das Wort legt nahe, dass diese Menschen keinen Anteil an ihrer Genesung oder etwas für ihre eigene Heilung zu bieten hätten. Vielmehr folgen sie nur Befehlen und lassen Behandlungen über sich ergehen.
Viele Menschen in Heilberufen, die im traditionellen Sinne nicht rein medizinisch arbeiten, wie Psychotherapeut*innen oder Akupunkteur*innen, verwenden das Wort »Klient*in«. Obwohl ich den Begriff selbst viele Jahre lang verwendet habe, lässt der geschäftliche Worthintergrund, auch wenn er wahr ist, die Zwischentöne und Intimität der damit verbundenen Arbeit vermissen. Klient bin ich bei meiner Bank. Die Person, die meine Aufmerksamkeit in einer Heilungssitzung bekommt, ist mehr als ein Konsument oder eine Kundin dessen, was ich anbiete.
Als es mir nicht gelang, einen geeigneten Begriff zu finden, schlug ich die Wurzeln des Wortes »Patient*in« nach. Es stammt aus dem lateinischen Wort »pati« (leiden) bzw. »patientem« (jemand, der leidet). Damit hatte die Suche nach dem geeigneten Begriff ein Ende. Vor dem Hintergrund dieser Definition verwende ich seitdem ganz bewusst das Wort »Patient*in«. Denn in Wahrheit sind wir alle Patient*innen, da wir alle leiden.
Ich hatte ein so enormes Verlangen, im Bereich des Heilens tätig zu sein, dass ich es nie wirklich infrage stellte, bis ich schon viele Jahre in die Welt der Heilung eingetaucht war. In unserer Kultur wird dies als eine noble Beschäftigung angesehen, und man wird dafür anerkannt, dass man sich in ihren Dienst stellt. Auch ist es eine sehr intime und erfüllende Tätigkeit. Ein Traumjob – man wird dafür bezahlt, dass man sich um andere sorgt und ihnen liebevoll begegnet. Aber es gibt auch eine Schattenseite: ungeprüfte, unbewusste Motive, die im besten Fall eine unwirksame und im schlimmsten eine höllische Erfahrung für alle Beteiligten lostreten können.
Nach vielen Jahren als Heilpraktiker, als einer, der selbst von Heilpraktiker*innen versorgt wird und der auch Menschen in Heilberufen unterrichtet, bin ich zu einem unumstößlichen Schluss gekommen: Menschen ergreifen den Heilberuf aufgrund ihrer eigenen Verwundung aus der Vergangenheit. Und das muss nicht unbedingt etwas Schlechtes sein, solange man es im Auge behält. Unbewusst begeben wir uns auf dieses Feld, um unsere eigenen verwundeten Aspekte zu heilen. Was die wirklich profunden Praktizierenden von anderen unterscheidet, sind nicht angeborene Gaben, Techniken oder Charisma, sondern das Erkennen ihrer eigenen Verwundung und deren Rolle bei ihrer heilerischen Tätigkeit. Die effektivsten Heilpraktiker*innen sind die verwundeten Heilpraktiker*innen, die sich täglich ihrer eigenen Verwundung bewusst sind, sie anerkennen und sich mit ihr auseinandersetzen. Lassen Sie uns also einen Schritt zurücktreten und die Motive untersuchen, die hier im Spiel sind.
Der von C. G. Jung geprägte Mythos des »verwundeten Heilers« steht im Mittelpunkt des Wunsches, heilend tätig zu sein. Jung verband den Archetyp des »verwundeten Heilers« mit der antiken griechischen Mythologie. Es gibt da den Mythos von Chiron, dem Zentauren, Heiler, Propheten und Lehrer. Wenn Sie diese Geschichte nicht kennen, nehmen Sie sich bitte einen Moment Zeit, um sich mit ihr vertraut zu machen. Sie enthält tiefe Erkenntnisse für all diejenigen von uns, die wir in einem Heilberuf arbeiten.
Chiron wurde bei einem sexuellen Übergriff auf seine Mutter gezeugt und daher bei der Geburt von beiden Elternteilen abgelehnt. Dies war seine erste Wunde, um die sich sein Adoptivvater Apoll, Gott der Sonne, des Lichts, der Poesie, der Musik, der Prophezeiung und der Heilung, kümmerte. Chirons zweite Wunde entstand durch einen Pfeil, der ihm versehentlich vom Bogen seines Freundes Herakles ins Knie geschossen wurde. Dieser Pfeil war mit dem Gift der monströsen Hydra vergiftet, weshalb die Wunde niemals heilen sollte. Als Unsterblicher verbrachte Chiron den Rest seines Lebens unter qualvollen Schmerzen und wurde aufgrund seiner Verwundung zu einem mächtigen Heiler.
Wie die meisten unbewussten Dinge – im Alltag übersehen und nicht weiter untersucht – können sich nicht untersuchte Verwundungen ganz unterschiedlich auf die Praxisarbeit auswirken. Im Allgemeinen können Menschen, die in Heilberufen arbeiten, ihr eigenes unbewusstes Material auf die Patient*innen projizieren und versuchen, sich selbst zu heilen, indem sie sich auf ungesunde und co-abhängige Weise um ihre Patient*innen kümmern. Ein anderer Weg, wie sie sich vor ihrer eigenen inneren Verwundung schützen können, ist ein aufgeplustertes Ego; der daraus resultierende Narzissmus entzieht sowohl den Patient*innen als auch dem Behandlungsraum jegliche Luft. Die einzige Möglichkeit, diese Fallstricke zu vermeiden, ist die Selbstprüfung, die wir im nächsten Kapitel erörtern werden.
Die Quintessenz hier ist: Unsere eigene nicht hinterfragte Verwundung wird unsere Heilungsarbeit unweigerlich zerstören. Eine unbewusste Wunde wird uns immer in die Quere kommen, wenn sie nicht anerkannt und untersucht wird und wir mit ihr in einen Dialog treten. Daher ist es wichtig, unseren verwundeten Aspekt im Auge zu behalten, der die Zügel an sich reißen möchte, anstatt den Raum für die Person in unserer Obhut zu halten. Nur so können wir vermeiden, unsere Patient*innen als Balsam für unsere eigenen Schmerzen zu benutzen. Heilungsarbeit kann erfüllend sein, aber sie darf keine Quelle dafür sein, unsere eigene Leere zu füllen.
Es kann hilfreich sein, unsere Heilungsarbeit mit diesem Bewusstsein zu beginnen, fortzusetzen und zu beenden: