Hans Christian Andersen - Gesammelte Werke - Hans Christian Andersen - E-Book

Hans Christian Andersen - Gesammelte Werke E-Book

Hans Christian Andersen

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Beschreibung

Hans Christian Andersen (* 2. April 1805 in Odense; † 4. August 1875 in Kopenhagen) ist der bekannteste Dichter und Schriftsteller Dänemarks. Berühmt wurde er durch seine zahlreichen Märchen.Inhalt der "Gesammelten Werke":- Sämmtliche Märchen. Einzige vollständige vom Verfasser besorgte Ausgabe- Andersens Märchen. Ergänzungsband- Bilderbuch ohne Bilder- Der Improvisator- Gedichtsammlung: Der Soldat / Märzveilchen / Verratene Liebe / Der Spielman / Muttertraum- Nur ein Geiger- O. Z.- Sein oder Nichtsein

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Inhaltsverzeichnis

Sämmtliche Märchen. Einzige vollständige vom Verfasser besorgte Ausgabe

Der Tannenbaum.

Der Schweinehirt.

Der Rosen-Elf.

Des Kaisers neue Kleider.

Die Störche.

Das Liebespaar.

Die Geschichte des Jahres.

Erlenhügel.

Die lieblichste Rose der Welt.

Der standhafte Zinnsoldat.

Der Buchweizen.

Am letzten Tage.

Eine gute Laune.

Der große Klaus und der Kleine Klaus.

Der unartige Knabe.

Die Nachtigall.

»Ein Unterschied ist da.«

Der Garten des Paradieses.

»Es ist ganz gewiß!«

Das Gänseblümchen.

Die Gallochen des Glücks.

I. Ein Anfang.

II. Wie es dem Justizrathe erging.

III. Des Wächters Abenteuer.

IV. Ein Hauptmoment. Eine höchst ungewöhnliche Reise.

V. Die Verwandlung des Copisten.

VI. Das Beste, was die Gallochen brachten.

Fünfe aus einer Hülse.

Ole Luk-Oie.

Das häßliche, junge Entlein.

Unter dem Weidenbaume.

Die Prinzessin auf der Erbse.

Die Hirtin und der Schornsteinfeger.

Das Feuerzeug.

Ein Herzeleid.

Fliedermütterchen.

Das Schwanennest.

Holger Danske.

In Jahrtausenden.

Däumelinchen.

Alles am rechten Platze.

Die rothen Schuhe.

Das stumme Buch.

Das Kleine Mädchen mit den Schwefelhölzchen.

Der Springer.

Der fliegende Koffer.

Eine Geschichte.

Die alte Straßenlaterne.

Das Metallschwein.

Die Nachbar-Familien.

Eine Rose vom Grabe Homers.

Die Kleine Seejungfer.

Ib und Christinchen.

Der Schatten.

Der Freundschaftsbund.

»Der Freundschaftsbund.«

Das alte Haus.

Das Judenmädchen.

Der Flachs.

Der Wassertropfen.

Zwei Jungfern.

Die glückliche Familie.

Die Geschichte von einer Mutter.

Der Engel.

Ein Bild vom Festungswalle.

Das Schneeglöckchen.

Tölpel-Hans. (Eine alte Geschichte aufs Neue erzählt.)

Die Glockentiefe.

Die Schweine.

Am Spittelfenster.

Der Goldschatz.

Die Windmühle.

Das Geldschwein.

Die Kröte.

Aufgeschoben ist nicht aufgehoben.

Die wilden Schwäne.

Ein Blatt vom Himmel.

Die alte Thurmglocke. (Geschrieben für das Schilleralbum.)

Der silberne Schilling.

Zwei Brüder.

Der alte Grabstein.

Die Schnecke und der Rosenstock.

Der Schneemann.

Sie taugte nichts.

Wie's der Alte macht, ist's immer recht.

Zwölf mit der Post.

Der Dornenpfad der Ehre.

Die Schneekönigin. In sieben Geschichten.

Erste Geschichte.

Zweite Geschichte. Ein kleiner Knabe und ein kleines Mädchen.

Dritte Geschichte. Der Blumengarten bei der Frau, welche zaubern konnte.

Vierte Geschichte. Prinz und Prinzessin.

Fünfte Geschichte. Das kleine Räubermädchen.

Sechste Geschichte. Die Lappin und die Finnin.

Siebente Geschichte. Von dem Schlosse der Schneekönigin, und was sich später darin zutrug.

Der letzte Traum der alten Eiche. (Ein Weihnachtsmärchen.)

Die Eisjungfer.

I. Der kleine Rudy.

II. Die Reise in die neue Heimath.

III. Der Ohm.

IV. Babette.

V. Auf dem Rückwege.

VI. Der Besuch in der Mühle.

VII. Das Adlernest.

VIII. Was die Stubenkatze Neues zu erzählen wußte.

IX. Die Eisjungfer.

X. Die Pathin.

XI. Der Vetter.

XII. Böse Mächte.

XIII. In der Mühle.

XIV. Nächtliche Traumgesichter.

XV. Schluß.

Die letzte Perle.

Im Entenhofe.

Der Flaschenhals.

Kinderschnack.

Hofhahn und Wetterhahn.

Der Mistkäfer.

Die Blumen der kleinen Ida.

Feder und Dintenfaß.

Das Mädchen, welches auf das Brod trat.

Die Großmutter.

Des Schlammkönigs Tochter.

Vogel Phönix.

Der Marionettenspieler.

Das Kind im Grabe.

Der Schmetterling.

Der Kobold und der Höker.

Der böse Fürst.

Der Kleine Tuk.

Die Stopfnadel.

Die Glocke.

Die Psyche.

Suppe auf einem Wurstspeiler.

I.

II. Was die eiste kleine Maus auf Reisen gesehen und gelernt hatte.

III. Was die zweite kleine Maus zu erzählen wußte.

IV. Was die vierte Maus, bevor die dritte gesprochen hatte, zu erzählen wußte.

V. Wie sie zubereitet wurde.

Der Halskragen.

Die Schnellläufer.

Der Reisekamerad.

»Etwas.«

Der Sturm bewegt das Schild.

Am äußersten Meere.

Andersens Märchen. Ergänzungsband

Vorbemerkung.

Der Stein des Weisen.

Des Hagestolzen Nachtmütze.

Das Abcbuch.

Der Wind erzählt von Waldemar Doe und seinen Töchtern.

Turmwächter Ole.

Anne Lisbeth.

Ein Stück Perlenschnur.

I.

II.

»Schön.«

Eine Geschichte aus den Dünen.

Die Muse des neuen Jahrhunderts.

»Die Irrwische sind in der Stadt,« sagt die Moorfrau.

Der Bischof auf Börglum und seine Sippe.

In der Kinderstube.

Der Teetopf.

Die kleinen Grünen.

Der Kobold und die Frau.

Peiter, Peter, Peer.

Der Sohn des Pförtners.

Ziehtag.

Tante.

Des Paten Bilderbuch.

Lumpen.

Wanö und Glanö.

Wer war die Glücklichste?

Die Dryade.

Hühnergretes Familie.

Was die Distel erlebte.

Was man erfinden kann.

Das Glück kann in einem Zweige liegen.

Der Komet.

Die Tage der Woche.

Sonnenscheingeschichten.

Urgroßvater.

Die Lichte.

Das Unglaublichste.

Was die ganze Familie sagte.

»Tanze, tanze, Puppe mein!«

»Frag' die Amagerfrau.«

Die große Seeschlange.

Der Gärtner und die Herrschaft.

Der Floh und der Professor.

Was die alte Johanne erzählte.

Der Hausschlüssel.

Der Krüppel.

Tante Zahnweh.

Bilderbuch ohne Bilder

Erster Abend.

Zweiter Abend.

Dritter Abend.

Vierter Abend.

Fünfter Abend.

Sechster Abend.

Siebenter Abend.

Achter Abend.

Neunter Abend.

Zehnter Abend.

Elfter Abend.

Zwölfter Abend.

Dreizehnter Abend.

Vierzehnter Abend.

Fünfzehnter Abend.

Sechzehnter Abend.

Siebzehnter Abend.

Achtzehnter Abend.

Neunzehnter Abend.

Zwanzigster Abend.

Einundzwanzigster Abend.

Zweiundzwanzigster Abend.

Dreiundzwanzigster Abend

Vierundzwanzigster Abend.

Fünfundzwanzigster Abend.

Sechsundzwanzigster Abend.

Siebenundzwanzigster Abend.

Achtundzwanzigster Abend.

Neunundzwanzigster Abend.

Dreißigster Abend.

Einunddreißigster Abend.

Zweiunddreißigster Abend.

Dreiunddreißigster Abend.

Der Improvisator

Erster Teil.

Meine erste Umgebung.

Der Besuch in den Katakomben. Ich werde Chorknabe. Das niedliche Engelskind.

Das Blumenfest in Genzano.

Onkel Peppo. Die Nacht im Kolosseum. Der Abschied.

Die Campagna.

Der Besuch im Palazzo Borghese. Die Geschichte meiner Kindheit endet.

Das Schulleben. Habbas Dahdah. Divina commédia. Der Neffe des Senators.

Ein angenehmes und ein unangenehmes Zusammentreffen. Die kleine Abbedissa. Der alte Jude.

Das Judenmädchen.

Ein Jahr später. Der römische Karneval. Die Sängerin.

Bernardo als deus ex machina. La pruova d'un Opera seria. Meine erste Improvisation. Der letzte Karnevalstag.

Die Fasten. Allegris Miserere in der sixtinischen Kapelle. Der Besuch bei Bernardo. Annunziata.

Die Bildergalerie. Genauere Erklärung. Das Osterfest. Der Wendepunkt meines Schicksals.

Die Bauern von Rocca del Papa. Die Räuberhöhle. Meines Lebens Parze.

Zweiter Teil.

Die Pontinischen Sümpfe. Terracina. Ein alter Bekannter. Fra Diavolos Geburtsstadt. Der Orangenhain bei Mola di Gaeta. Die neapolitanische Signora. Neapel.

Schmerz und Trost. Nähere Bekanntschaft mit der Signora. Der Professor. Der Brief. Hatte ich sie mißverstanden?

Wanderung durch Herculanum und Pompeji. Der Abend auf dem Vesuv.

Eine unerwartete Begegnung. Mein Auftreten in San Carlo.

Santa. Der Ausbruch. Alte Verhältnisse.

Die Reise nach Pästum. Die griechischen Tempel. Das blinde Mädchen.

Das Abenteuer in Amalfi. Die blaue Grotte auf Capri.

Die Heimreise.

Die Erziehung. Die kleine Abbedisse.

Die alte Domenica. Die Entdeckung. Der Abend in Nepi. Terni. Der Gesang der Schiffer. Venedig.

Der Sturm. Die Soirée bei meinem Bankier. Des Podestas Nichte.

Die Sängerin

Gedichtsammlung

Der Soldat

Märzveilchen

Verratene Liebe

Der Spielman

Muttertraum

Nur ein Geiger

Erster Band.

I.

II.

III.

IV.

V.

VI.

VII.

VIII.

IX.

X.

XI.

XII.

XIII.

XIV.

XV.

XVI.

Zweiter Band.

I.

II.

III.

IV.

V.

VI.

VII.

VIII.

IX.

X.

XI.

XII.

XIII.

Dritter Band.

I.

II.

III.

IV.

V.

VI.

VII.

VIII.

IX.

O. Z.

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Sein oder Nichtsein

Erster Theil.

I. Der alte Pfarrer, der »Bruder des Generals« und mehrere merkwürdige Personen.

II. Der »Runde Thurm«.

III. Der Pfarrhof auf der Haide. Musikanten-Grethe.

IV. Der Flickschneider.

V. Ein Besuch bei Musikanten-Grethe. Niels soll studiren.

VI. Auf der Entenjagd. Niels wird Student.

VII. Frau Jensen. Mutter Börre. »High Life« im zweiten Stock.

VIII. Die Familie Arons. Salon-Diogenes. Die Reise ins Ausland.

IX. Der neue Montanus

X. Das Idiotenkind. »Bareske Alako.«

XI. Unfriede in der Heimat. Silkeborg wird erbaut.

Zweiter Theil

I. Der Brief. Der Hund des Kammerherrn. Herr Schwan.

II. Genie und blinder Lärm.

III. So war nun Niels Bryde.

IV. Göthe's Faust und Esther.

V. Kein Christ.

VI. Julius Arons.

VII. Auf dem Schlachtfelde.

Dritter Theil

I. Die Kriegszeit. Die kleine Karen.

II. Die Heimkehr der Soldaten. Glauben und Wissen.

III. Weiteres von Esther und einem alten Bekannten. Selbstprüfung.

IV. Herr Schwan.

V. Wie es Herrn Schwan, Frau Jensen und Herrn Meibum erging

VI. Die Cholera.

VII. Unsterblichkeit.

VIII. Die letzte Begegnung mit der Zigeunerin.

IX. Der neue Aladdin.

Fußnoten

Sämmtliche Märchen. Einzige vollständige vom Verfasser besorgte Ausgabe

Der Tannenbaum.

Draußen im Walde stand ein niedlicher kleiner Tannenbaum. Er hatte einen guten Platz; Sonne konnte er bekommen, Luft war genug da, und rings umher wuchsen viele größere Kameraden, sowohl Tannen als Fichten. Der kleine Tannenbaum wünschte aber so sehnlich, größer zu werden! Er achtete nicht der warmen Sonne und der frischen Luft, er kümmerte sich nicht um die Bauernkinder, die da umhergingen und plauderten, wenn sie herausgekommen waren, um Erdbeeren und Himbeeren zu sammeln. Oft kamen sie mit einem ganzen Topf voll und hatten Erdbeeren an einen Strohhalm gereiht; dann setzten sie sich neben den kleinen Tannenbaum und sagten: »Nein! wie niedlich klein ist der!« Das mochte der Baum gar nicht hören.

Im folgenden Jahre war er um einen bedeutenden Ansatz größer und das Jahr darauf war er um noch einen länger; denn an den Tannenbäumen kann man immer an den vielen Ansätzen, die sie haben, sehen, wie viele Jahre sie gewachsen sind.

»O, wäre ich doch so ein großer Baum, wie die andern!« seufzte das kleine Bäumchen; »dann könnte ich meine Zweige so weit umher ausbreiten und mit der Krone in die weite Welt hinaus blicken! Die Vögel würden dann Nester in meinen Zweigen bauen, und wenn der Wind wehte, könnte ich so vornehm nicken, gerade wie die andern dort!«

Er hatte gar keine Freude am Sonnenschein, an den Vögeln und an den rothen Wolken, die Morgens und Abends über ihn hin segelten.

War es dann Winter und der Schnee lag weiß und funkelnd rings umher, so kam häufig ein Hase angesprungen und setzte gerade über den kleinen Baum weg – o, das war ihm so ärgerlich! – Aber zwei Winter vergingen, und im dritten war das Bäumchen so groß, daß der Hase um dasselbe herumlaufen mußte. O! wachsen, wachsen, groß und alt werden: das ist doch das einzig Schöne in dieser Welt, dachte der Baum.

Im Herbste kamen immer Holzhauer und fällten einige der größten Bäume; das geschah jedes Jahr, und den jungen Tannenbaum, der nun ganz gut gewachsen war, schauerte dabei, denn die großen, prächtigen Bäume fielen mit Prasseln und Krachen zur Erde, die Zweige wurden ihnen abgehauen, die Bäume sahen ganz nackt, lang und schmal aus; sie waren fast nicht mehr zu erkennen. Aber dann wurden sie auf Wagen gelegt, und Pferde zogen sie davon, aus dem Walde hinaus.

Wo sollten sie hin? Was stand ihnen bevor?

Im Frühjahr, als die Schwalben und Störche kamen, fragte sie der Baum: »Wißt Ihr nicht, wohin sie geführt wurden? Seid Ihr ihnen nicht begegnet?«

Die Schwalben wußten nichts; aber der Storch sah nachdenklich aus, nickte mit dem Kopfe und sagte: »Ja, ich glaube wohl! Mir begegneten viele neue Schiffe, als ich aus Aegypten flog; auf den Schiffen waren prächtige Mastbäume; ich darf annehmen, daß sie es waren; sie hatten Tannen-Geruch; ich kann vielmals grüßen; ja! die prangen, die prangen!«

»O, wäre ich doch auch groß genug, um über das Meer hin fahren zu können! Wie ist denn eigentlich dieses Meer und wie sieht es aus?«

»Ja, das zu erklären, ist zu weitläufig,« sagte der Storch, und damit ging er fort.

»Freue Dich Deiner Jugend!« sagten die Sonnenstrahlen; »freue Dich Deines frischen Wachsthums, des jungen Lebens, das in Dir ist.«

Und der Wind küßte den Baum, und der Thau weinte Thränen über ihn; aber das verstand der Tannenbaum nicht.

Wenn es gegen die Weihnachtszeit ging, wurden ganz junge Bäume gefällt, Bäume, die oft nicht einmal so groß oder gleichen Alters mit diesem Tannenbaum waren, der weder Ruhe noch Rast hatte, sondern immer davon wollte. Diese jungen Bäume, und es waren grade die allerschönsten, behielten immer alle ihre Zweige; sie wurden auf Wagen gelegt, und Pferde zogen sie fort, aus dem Walde hinaus.

»Wohin sollen die?« fragte der Tannenbaum. »Sie sind nicht größer, als ich, vielmehr war einer da, der war viel kleiner! Weshalb behielten sie alle ihre Zweige? Wohin fahren sie?«

»Das wissen wir! das wissen wir!« zwitscherten die Sperlinge. »Unten in der Stadt haben wir in die Fenster gesehen! Wir wissen, wohin sie fahren! O, sie gelangen zur größten Pracht und Herrlichkeit, die man nur denken kann! Wir haben in die Fenster gesehen und haben wahrgenommen, daß sie mitten in der warmen Stube aufgepflanzt und mit den schönsten Sachen: vergoldeten Aepfeln, Honigkuchen, Spielzeug und vielen Hunderten von Lichtern geschmückt werden.«

»Und dann –?« fragte der Tannenbaum und bebte an allen Zweigen. »Und dann? Was geschieht dann?«

»Ja, mehr haben wir nicht gesehen! Das war unvergleichlich.« –

»Ob ich wohl auch bestimmt bin, diesen strahlenden Weg zu betreten?« jubelte der Tannenbaum. »Das ist noch besser, als über das Meer zu ziehen! Wie leide ich an Sehnsucht! Wäre es doch Weihnachten! Nun bin ich groß und ausgewachsen, wie die andern, die im vorigen Jahre weggeführt wurden! – O, wäre ich erst auf dem Wagen! Ware ich doch erst in der warmen Stube mit aller Pracht und Herrlichkeit! Und dann –? Ja, dann kommt noch etwas Besseres, noch weit Schöneres, weshalb würden sie uns sonst so schmücken! Es muß noch etwas Größeres, noch etwas Herrlicheres kommen –! Aber was? O, ich leide! ich sehne mich, ich weiß selbst nicht, wie mir ist!«

»Freue Dich unser!« sagten Luft und Sonnenlicht; »freue Dich Deiner frischen Jugend im Freien!«

Aber er freute sich durchaus nicht und wuchs und wuchs; Winter und Sommer stand er grün; dunkelgrün stand er da; die Leute, die ihn sahen, sagten: »Das ist ein schöner Baum!« Und zur Weihnachtszeit wurde er vor Allen zuerst gefällt. Die Axt hieb tief durch das Mark; der Baum fiel mit einem Seufzer zu Boden; er fühlte einen Schmerz, eine Ohnmacht; er konnte gar nicht an irgend ein Glück denken, er war betrübt, von der Heimath scheiden zu müssen, von dem Flecke, auf dem er emporgeschossen war; er wußte ja, daß er die lieben alten Kameraden, die kleinen Büsche und Blumen ringsumher nie mehr sehen würde, ja vielleicht nicht einmal die Vögel. Die Abreise war durchaus nicht angenehm.

Der Baum kam erst wieder zu sich selbst, als er, im Hofe mit andern Bäumen abgepackt, einen Mann sagen hörte: »Dieser hier ist prächtig Wir brauchen nur diesen!«

Nun kamen zwei Diener in vollem Putz und trugen den Tannenbaum in einen großen, schönen Saal. Ringsumher an den Wänden hingen Bilder, und neben dem Kachelofen standen große, chinesische Vasen mit Löwen auf den Deckeln; da gab es Schaukelstühle, seidene Sophas, große Tische voller Bilderbücher und Spielzeug für hundertmal hundert Thaler – wenigstens sagten das die Kinder. Und der Tannenbaum wurde in ein großes mit Sand gefülltes Gefäß gestellt; aber Niemand konnte sehen, daß es ein Gefäß war, denn es wurde rund herum mit grünem Zeuge behängt und stand auf einem großen bunten Teppich, O, wie der Baum bebte! Was wird nun wohl vorgehen? Sowohl die Diener als die Fräulein schmückten ihn. An seine Zweige hingen sie kleine Netze, ausgeschnitten aus farbigem Papier; jedes Netz war mit Zuckerwerk gefüllt; vergoldete Aepfel und Nüsse hingen herab, als wären sie festgewachsen und über hundert rothe, blaue und weiße Lichterchen wurden in den Zweigen – festgesteckt. Puppen, die leibhaftig wie Menschen aussahen – der Baum hatte früher nie solche gesehen – schwebten im Grünen, und hoch oben auf der Spitze wurde ein Stern von Flitter-Gold befestigt; das war prächtig, ganz außerordentlich prächtig.

»Heut Abend,« sagten Alle, »heut Abend wird es strahlen!«

»O!« dachte der Baum, »wäre es doch Abend! Würden nur die Lichter bald angezündet! Und was dann wohl geschieht? Ob da wohl Bäume aus dem Walde kommen, mich zu sehen? Ob die Sperlinge gegen die Fensterscheiben stiegen? Ob ich hier festwachse und Winter und Sommer geschmückt stehen werde?«

Ja, er rieth nicht übel! aber er hatte ordentlich Borkenschmerzen vor lauter Sehnsucht, und Borkenschmerzen sind für einen Baum ebenso schlimm, wie Kopfschmerzen für uns Andere.

Nun wurden die Lichter angezündet. Welcher Glanz! Welche Pracht! Der Baum bebte dabei an allen Zweigen so, daß eins der Lichter das Grüne anbrannte; es sengte ordentlich.

»Gott bewahre uns!« schrieen die Fräulein und löschten es hastig aus.

Jetzt durfte der Baum nicht einmal mehr beben. O, das war ein Grauen! Ihm war so bange, etwas von seinem Schmuck zu verlieren; er war ganz betäubt von all' dem Glanze. – Und nun gingen beide Flügelthüren auf – und eine Menge Kinder stürzten herein, als wollten sie den ganzen Baum umwerfen; die älteren Leute kamen bedächtig nach. Die Kleinen standen ganz stumm – aber nur einen Augenblick, dann jubelten sie wieder, daß es nur so schallte, sie tanzten um den Baum herum, und ein Geschenk nach dem andern wurde abgepflückt.

»Was machen sie?« dachte der Baum. »Was soll geschehen?« Und die Lichter brannten bis dicht an die Zweige herunter, und je nachdem sie niederbrannten, wurden sie ausgelöscht, und dann erhielten die Kinder Erlaubnis;, den Baum zu plündern. O, sie stürzten auf ihn ein, daß es in allen Zweigen knackte; wäre er nicht mit der Spitze und mit dem Goldsterne an der Decke befestigt gewesen, so wäre er umgestürzt.

Die Kinder tanzten mit ihrem prächtigen Spielzeuge herum. Niemand sah nach dem Baume, ausgenommen das alte Kindermädchen, welches kam und zwischen die Zweige blickte, aber nur, um zu sehen, ob nicht noch eine Feige oder ein Apfel vergessen worden wäre.

»Eine Geschichte! Eine Geschichte!« riefen die Kinder und zogen einen kleinen dicken Mann zu dem Baume hin; und er setzte sich grade unter denselben, »denn da sind wir im Grünen,« sagte er, »und der Baum kann besondern Nutzen davon haben, zuzuhören!« Aber ich erzähle nur Eine Geschichte. Wollt Ihr die von Ivede-Avede oder die von Klumpe-Dumpe hören, der die Treppe hinunterfiel und doch zu Ehren kam und die Prinzessin erhielt?«

» Ivede-Avede!« schrieen Einige, » Klumpe-Dumpe!« schrieen Andere; das war ein Rufen und Schreien! Nur der Tannenbaum schwieg ganz still und dachte: »Komme ich gar nicht mit, werde ich nichts dabei zu thun haben?« Er war ja mit gewesen, hatte ja geleistet, was er sollte.

Und der Mann erzählte von Klumpe-Dumpe, welcher die Treppen herunterfiel und doch zu Ehren kam und die Prinzessin erhielt. Und die Kinder klatschten in die Hände und riefen: »Erzähle! erzähle!« Sie wollten auch die Geschichte von Ivede-Avede hören, aber sie bekamen nur die von Klumpe-Dumpe. Der Tannenbaum stand ganz stumm und gedankenvoll: nie hatten die Vögel im Walde dergleichen erzählt. » Klumpe-Dumpe fiel die Treppen herunter und bekam doch die Prinzessin! Ja, ja, so geht es in der Welt zu!« dachte der Tannenbaum und glaubte, daß es wahr sei, weil es ein so netter Mann war, der es erzählte. »Ja, ja! wer kann es wissen! Vielleicht falle ich auch die Treppe hinunter und bekomme eine Prinzessin.« Und er freute sich darauf, den nächsten Tag wieder mit Lichtern und Spielzeug, Gold und Früchten angeputzt zu werden.

»Morgen werde ich zittern!« dachte er, »Ich will mich recht aller meiner Herrlichkeit freuen. Morgen werde ich wieder die Geschichte von Klumpe-Dumpe und vielleicht auch die von Ivede-Avede hören.« Und der Baum stand die ganze Nacht still und gedankenvoll.

Am Morgen kamen die Diener und das Mädchen herein.

»Nun beginnt das Schmücken aufs Neue!« dachte der Baum. Aber sie schleppten ihn zum Zimmer hinaus, die Treppe hinauf auf den Boden, und hier, in einen dunkeln Winkel, wo kein Tageslicht hinschien, stellten sie ihn hin. »Was soll das bedeuten?« dachte der Baum. »Was soll ich hier wohl machen? Was mag ich hier wohl hören sollen?« Und er lehnte sich an die Mauer und dachte und dachte.– – Und er hatte Zeit genug; denn es vergingen Tage und Nächte: Niemand kam hinauf; und als endlich Jemand kam, so geschah es, um einige große Kasten in den Winkel zu stellen. Nun stand der Baum ganz versteckt; man mußte glauben, daß er völlig vergessen war.

»Jetzt ist es Winter draußen!« dachte der Baum. »Die Erde ist hart und mit Schnee bedeckt, die Menschen können mich jetzt nicht pflanzen! deshalb soll ich wohl bis zum Frühjahr hier im Schutze stehen! Wie wohl bedacht das ist! Wie die Menschen doch so gut sind! – Wäre es hier nur nicht so dunkel und so schrecklich einsam! – Nicht einmal ein kleiner Hase! – Das war doch so niedlich da draußen im Walde, wenn der Schnee lag und der Hase vorübersprang; ja, selbst als er über mich hinwegsprang; aber damals konnte ich es nicht leiden. Hier oben ist es doch schrecklich einsam!

»Pip, pip!« sagte da eine kleine Maus und huschte hervor; und dann kam noch eine kleine. Sie beschnüffelten den Tannenbaum und dann schlüpften sie zwischen seine Zweige.

»Es ist eine gräuliche Kälte!« sagten die kleinen Mäuse. »Sonst ist es hier gut sein! Nicht wahr, Du alter Tannenbaum?«

»Ich bin gar nicht alt!« sagte der Tannenbaum; »es gibt viele, die weit älter sind, als ich!«

»Wo kommst Du her?« fragten die Mäuse, »und was weißt Du?« Sie waren gewaltig neugierig. »Erzähle uns doch von dem schönsten Orte auf Erden! Bist Du dort gewesen? Bist Du in der Speisekammer gewesen, wo Käse auf den Brettern liegen und Schinken unter der Decke hängen, wo man auf Talglicht tanzt, mager hinein geht und fett heraus kommt?«

»Das kenne ich nicht!« sagte der Baum. »Aber den Wald kenne ich, wo die Sonne scheint, und wo die Vögel singen!« Und dann erzählte er Alles aus seiner Jugend, und die kleinen Mäuse hatten früher dergleichen nie gehört und sie horchten auf und sagten: »Nein, wie viel Du gesehen hast! Wie glücklich Du gewesen bist!«

»Ich?« sagte der Tannenbaum und dachte über das, was er selbst erzählte, nach. »Ja, es waren im Grunde ganz fröhliche Zeiten!« – Aber dann erzählte er vom Weihnachtsabend, wo er mit Kuchen und Lichtern geschmückt war.

»O!« sagten die kleinen Mäuse, »wie glücklich Du gewesen bist, Du alter Tannenbaum!«

»Ich bin gar nicht alt!« sagte der Baum. »Erst diesen Winter bin ich vom Walde gekommen! Ich bin nur so im Wachsthum zurückgeblieben.«

»Wie schön Du erzählst!« sagten die kleinen Mäuse. Und in der nächsten Nacht kamen sie mit vier andern kleinen Mäusen, die den Baum erzählen hören sollten, und je mehr er erzählte, desto deutlicher erinnerte er sich selbst an Alles und dachte: »Es waren doch ganz fröhliche Zeiten! Aber sie können wiederkommen; Klumpe-Dumpe fiel die Treppe hinunter und erhielt doch die Prinzessin; vielleicht kann ich auch eine Prinzessin bekommen!« Und dann dachte der Tannenbaum an eine kleine niedliche Birke, die draußen im Walde wuchs; das war für den Tannenbaum eine wirkliche, schöne Prinzessin.

»Wer ist Klumpe-Dumpe?« fragten die kleinen Mäuse. Und dann erzählte der Tannenbaum das ganze Märchen; er konnte sich jedes einzelnen Wortes entsinnen, und die kleinen Mäuse waren nahe daran, aus reiner Freude bis an die Spitze des Baumes zu springen. In der folgenden Nacht kamen weit mehr Mäuse, und am Sonntage sogar zwei Ratten; aber die meinten, die Geschichte sei nicht hübsch, und das betrübte die kleinen Mäuse, denn nun hielten sie auch weniger davon.

»Wissen Sie nur die eine Geschichte?« fragten die Ratten.

»Nur die eine!« sagte der Baum; »die hörte ich an meinem glücklichsten Abend; damals dachte ich nicht daran, wie glücklich ich war.«

»Das ist eine höchst jämmerliche Geschichte! Wissen Sie keine von Speck oder Talglicht? Keine Speisekammer-Geschichte?«

»Nein!« sagte der Baum.

»Dann danken wir dafür!« erwiderten die Ratten und gingen zu den Ihrigen zurück.

Die kleinen Mäuse blieben zuletzt auch weg, und da seufzte der Baum: »Es war doch ganz hübsch, als sie um mich herum saßen, die beweglichen kleinen Mäuse, und zuhörten, wie ich erzählte! Nun ist auch das vorbei! – Aber ich werde daran denken, mich zu freuen, wenn man mich wieder hervorholt!«

Aber wann geschah das? – Ja! es war eines Morgens, da kamen Leute und wirthschafteten auf dem Boden; die Kasten wurden weggesetzt, der Baum wurde hervorgezogen; sie warfen ihn freilich ziemlich hart gegen den Fußboden, aber ein Diener schleppte ihn sogleich nach der Treppe hin, wo der Tag leuchtete.

»Nun beginnt das Leben wieder!« dachte der Baum; er fühlte die frische Luft, die ersten Sonnenstrahlen – und nun war er draußen im Hofe. Alles ging so geschwind; der Baum vergaß völlig, sich selbst zu betrachten; da war so vieles ringsumher zu sehen. Der Hof stieß an einen Garten, und Alles blühte darin; die Rosen hingen so frisch und duftend über das kleine Gitter hinaus, die Lindenbäume blühten, und die Schwalben flogen umher und sagten: »Quirre-virre-vit, mein Mann ist kommen!« aber es war nicht der Tannenbaum, den sie meinten.

»Nun werde ich leben!« jubelte dieser und breitete seine Zweige weit aus: aber ach, sie waren alle vertrocknet und gelb; und er lag da im Winkel zwischen Unkraut und Nesseln. Der Stern von Goldpapier saß noch oben an der Spitze und glänzte im hellen Sonnenschein.

Im Hofe selbst spielten einige von den muntern Kindern, die zur Weihnachtszeit den Baum umtanzt hatten und so fröhlich über ihn gewesen waren. Eins der kleinsten lief hin und riß den Goldstern ab.

»Sieh, was da noch an dem häßlichen, alten Tannenbaum sitzt!« sagte es und trat auf die Zweige, sodaß sie unter seinen Stiefeln knackten. Und der Baum sah auf all' die Blumenpracht und Frische im Garten; er betrachtete sich selbst und wünschte, daß er in seinem dunkeln Winkel auf dem Boden liegen geblieben wäre; er gedachte seiner frischen Jugend im Walde, des lustigen Weihnachtsabends und der kleinen Mäuse, die so munter die Geschichte von Klumpe-Dumpe angehört hatten.

»Vorbei! Vorbei!« sagte der alte Baum. »Hätte ich mich doch gefreut, als ich es noch konnte! Vorbei! Vorbei!«

Und der Knecht kam und hieb den Baum in kleine Stücke; ein ganzes Bündel lag da; hell flackerte es auf unter dem großen Braukessel; und er seufzte tief und jeder Seufzer war einem kleinen Schusse gleich; deshalb liefen die Kinder, die da spielten, herbei und setzten sich vor das Feuer, blickten in dasselbe hinein und riefen: »Pfiff! Pfiff!« Aber bei jedem Knalle, der ein tiefer Seufzer war, dachte der Baum an einen Sommertag im Walde, oder an eine Winternacht da draußen, wenn die Sterne funkelten; er dachte an den Weihnachtsabend und an Klumpe-Dumpe, das einzige Märchen, welches er gehört hatte und zu erzählen wußte, und dann war der Baum verbrannt.

Die Knaben spielten im Garten, und der kleinste hatte den Goldstern auf der Brust, den der Baum an seinem glücklichsten Abend getragen; und nun war der vorbei, und mit dem Baum war es vorbei und mit der Geschichte auch; vorbei, vorbei – und so geht es mit allen Geschichten!

Der Schweinehirt.

Es war einmal ein armer Prinz; er hatte ein Königreich, welches ganz klein war; aber es war immer groß genug, um darauf zu heirathen, und verheirathen wollte er sich.

Nun war es freilich etwas keck von ihm, daß er zur Tochter des Kaisers zu sagen wagte: »Willst Du mich haben?« Aber er wagte es doch, denn sein Name war weit und breit berühmt; es gab Hunderte von Prinzessinnen, die gern ja gesagt hätten, aber ob sie es wohl thun würde?

Nun, wir wollen sehen.

Auf dem Grabe des Vaters des Prinzen war ein Rosenstrauch, ein gar herrlicher Rosenstrauch! Der blühte nur jedes fünfte Jahr, und auch dann trug er nur eine einzige Rose; aber was für eine Rose! Die duftete so süß, daß man alle seine Sorge und seinen Kummer vergaß, wenn man daran roch. Und dann hatte er eine Nachtigall, die konnte singen, als ob alle schönen Melodieen in ihrer kleinen Kehle säßen. Diese Rose und diese Nachtigall sollte die Prinzessin haben; und deshalb wurden sie beide in große Silberbehälter gesetzt und so ihr zugesandt.

Der Kaiser ließ sie vor sich her in den großen Saal tragen, wo die Prinzessin war und »Es kommt Besuch« mit ihren Hofdamen spielte; und als sie die großen Behälter mit den Geschenken darin erblickte, klatschte sie vor Freude in die Hände.

»Wenn es doch eine kleine Mietzekatze wäre!« sagte sie. – Aber da kam der Rosenstrauch mit der herrlichen Rose hervor.

»Nein, wie ist die niedlich gemacht!« sagten alle Hofdamen.

»Sie ist mehr als niedlich,« sagte der Kaiser, »sie ist charmant!«

Aber die Prinzessin befühlte sie, und da war sie nahe daran, zu weinen.

»Pfui, Papa!« sagte sie; »sie ist nicht künstlich, sie ist natürlich!«

»Pfui!« sagten alle Hofdamen, »sie ist natürlich!«

»Laßt uns erst sehen, was in dem andern Behälter ist, ehe wir böse werden,« meinte der Kaiser; und da kam die Nachtigall heraus; die sang so schön, daß man nicht gleich etwas Böses gegen sie vorzubringen wußte.

» Superbe! charmant!« sagten die Hofdamen, denn sie plauderten alle französisch, eine immer ärger, als die andere.

»Wie der Vogel mich an die Spieldose der seligen Kaiserin erinnert,« sagte ein alter Cavalier; »ach, das ist ganz derselbe Ton, derselbe Vortrag!«

»Ja,« sagte der Kaiser, und dann weinte er wie ein kleines Kind.

»Es wird doch hoffentlich kein natürlicher sein?« sagte die Prinzessin.

»Ja, es ist ein natürlicher Vogel,« sagten Die, welche ihn gebracht hatten.

»So laßt den Vogel fliegen,« sagte die Prinzessin, und sie wollte auf keine Weise gestatten, daß der Prinz käme.

Aber der ließ sich nicht einschüchtern: er bemalte sich das Antlitz mit Braun und Schwarz, zog die Mütze tief über den Kopf und klopfte an.

»Guten Tag, Kaiser!« sagte er; »könnte ich nicht hier auf dem Schlosse einen Dienst bekommen?«

»Ja,« sagte der Kaiser, »es sind aber so sehr Viele, die um Anstellung bitten; ich weiß daher nicht, ob es sich machen wird; ich werde aber an Dich denken. Doch, da fällt mir eben ein, ich brauche Jemanden, der die Schweine hüten kann, denn deren haben wir viele, sehr viele.«

Und der Prinz wurde angestellt als kaiserlicher Schweinehirt. Er bekam eine jämmerlich kleine Kammer unten beim Schweinekoben, und hier mußte er bleiben; aber den ganzen Tag saß er und arbeitete, und als es Abend war, hatte er einen niedlichen, kleinen Topf gemacht; rings um denselben waren Schellen, und sobald der Topf kochte, klingelten sie auf's Schönste und spielten die alte Melodie:

»Ach, Du lieber Augustin, Alles ist hin, hin, hin!«

Aber das Allerkünstlichste war doch, daß man, wenn man den Finger in den Dampf des Topfes hielt, sogleich riechen konnte, welche Speisen auf jedem Feuerherd in der Stadt zubereitet wurden. Das war wahrlich etwas ganz Anderes als die Rose.

Nun kam die Prinzessin mit allen ihren Hofdamen daherspaziert, und als sie die Melodie hörte, blieb sie stehen und sah ganz erfreut aus; denn sie konnte auch »Ach, Du lieber Augustin« spielen; es war die einzige Melodie, die sie konnte, aber die spielte sie mit Einem Finger.

»Das ist ja Das, was ich kann!« sagte sie. »Es muß ein gebildeter Schweinehirt sein! Höre, geh hinunter und frage ihn, was das Instrument kosten soll.«

Und da mußte eine der Hofdamen hinuntergehen; aber sie zog Holzpantoffeln an. –

»Was willst Du für den Topf haben?« fragte die Hofdame.

»Ich will zehn Küsse von der Prinzessin haben,« sagte der Schweinehirt.

»Gott bewahre!« sagte die Hofdame.

»Ja, für weniger thue ich es nicht,« antwortete der Schweinehirt.

»Nun, was antwortete er?« sagte die Prinzessin.

»Das kann ich gar nicht sagen,« erwiderte die Hofdame.

»Ei, so kannst Du es mir ins Ohr flüstern.«

»Er ist unartig!« sagte die Prinzessin, und dann ging sie. – Aber als sie ein kleines Stück gegangen war, erklangen die Schellen so lieblich:

»Ach, Du lieber Augustin, Alles ist hin, hin, hin!«

»Höre,« sagte die Prinzessin, »frage ihn, ob er zehn Küsse von meinen Hofdamen haben will!«

»Ich danke schön,« sagte der Schweinehirt: »zehn Küsse von der Prinzessin, oder ich behalte meinen Topf.«

»Das ist doch langweilig!« sagte die Prinzessin, »Aber dann müßt Ihr Euch vor mich stellen, damit es Niemand sieht.«

Und die Hofdamen stellten sich davor, und dann breiteten sie ihre Kleider aus, alsdann bekam der Schweinehirt zehn Küsse, und sie erhielt den Topf.

Nun, das war eine Freude! Den ganzen Abend und den ganzen Tag mußte der Topf kochen; es gab nicht einen Feuerherd in der ganzen Stadt, von dem sie nicht wußten, was darauf gekocht wurde, sowohl beim Kammerherrn, wie beim Schuhmacher. Die Hofdamen tanzten und klatschten in die Hände.

»Wir wissen, wer Suppe und Eierkuchen essen wird; wir wissen, wer Grütze und Carbonade bekommt; wie ist das doch interessant!«

»Sehr interessant!« sagte die Oberhofmeisterin.

»Ja, aber haltet reinen Mund, denn ich bin des Kaisers Tochter.«

»Ja wohl; das versteht sich!« sagten Alle.

Der Schweinehirt, das heißt der Prinz – aber sie wußten es ja nicht anders, als daß er ein wirklicher Schweinehirt sei – ließ keinen Tag verstreichen, ohne etwas zu thun, und so machte er eine Knarre, wenn man die herumschwang, erklangen alle die Walzer, Hopser und Polka's, die man seit Erschaffung der Welt gekannt hat.

»Aber das ist superbe!« sagte die Prinzessin, indem sie vorbeiging. »Ich habe nie eine schönere Komposition gehört. Höre, gehe hinunter und frage ihn, was das Instrument kosten soll; aber ich küsse ihn nicht wieder.«

»Er will hundert Küsse von der Prinzessin haben,« sagte die Hofdame, welche hinunter gegangen war, um zu fragen.

»Ich glaube, er ist verrückt!« sagte die Prinzessin, und dann ging sie; aber als sie ein kleines Stück gegangen war, blieb sie stehen. »Man muß zur Kunst aufmuntern,« sagte sie. »Ich bin des Kaisers Tochter! Sage ihm, er solle, wie neulich, zehn Küsse haben; den Rest kann er von meinen Hofdamen bekommen.«

»Ach, aber wir thun es so ungern!« sagten die Hofdamen.

»Das ist Geschwätz,« sagte die Prinzessin; »und wenn ich ihn küssen kann, so könnt Ihr es auch. Bedenkt, ich gebe Euch Kost und Lohn!« Und nun mußten die Hofdamen wieder zu ihm hinunter.

»Hundert Küsse von der Prinzessin,« sagte er, »oder Jeder behält das Seine.«

»Stellt Euch vor uns,« sagte sie alsdann; und da stellten alle Hofdamen sich davor, und nun küßte er die Prinzessin.

»Was mag das wohl für ein Auflauf beim Schweinekoben sein?« fragte der Kaiser, welcher auf den Balkon hinausgetreten war. Er rieb sich die Augen und setzte die Brille auf. »Das sind ja die Hofdamen, die da ihr Wesen treiben; ich werde wohl zu ihnen hinunter müssen.« – Und so zog er seine Hausschuhe hinten herauf, denn es waren Schuhe, die er zu Pantoffeln niedergetreten hatte.

Potz Wetter, wie er sich sputete!

Sobald er in den Hof hinunter kam, ging er ganz leise, und die Hofdamen hatten so viel damit zu thun, die Küsse zu zählen, damit es ehrlich zugehe, daß sie den Kaiser gar nicht bemerkten. Er erhob sich auf den Zehen.

»Was ist das?« sagte er, als er sah, daß sie sich küßten, und dann schlug er sie mit einem seiner Pantoffeln an die Köpfe, gerade als der Schweinehirt den sechsundachtzigsten Kuß erhielt.

»Packt Euch!« sagte der Kaiser, denn er war böse. Und sowohl die Prinzessin, als der Schweinehirt wurden aus seinem Kaiserreiche hinausgestoßen.

Da stand sie nun und weinte; der Schweinehirt schalt, und der Regen strömte hernieder.

»Ach, ich elendes Geschöpf,« sagte die Prinzessin; »hätte ich doch den schönen Prinzen genommen. Ach, wie unglücklich bin ich!«

Und der Schweinehirt ging hinter einen Baum, wischte das Schwarze und Braune aus seinem Gesicht, warf die schlechten Kleider von sich und trat nun in seiner Prinzentracht hervor, so schön, daß die Prinzessin sich verneigen mußte.

»Ich bin nun dahin gekommen, daß ich Dich verachte,« sagte er. »Du wolltest keinen ehrlichen Prinzen haben; Du verstandest Dich nicht auf die Rose und die Nachtigall; aber den Schweinehirten konntest Du für eine Spielerei küssen; das hast Du nun dafür!«

Und dann ging er in sein Königreich und machte ihr die Thür vor der Nase zu. Da konnte sie draußen stehen und singen:

»Ach, Du lieber Augustin, Alles ist hin, hin, hin!«

Der Rosen-Elf.

Mitten in einem Garten wuchs ein Rosenstock, der war über und über voll Rosen; und in einer derselben, der schönsten von allen, wohnte ein Elf. Der war so winzig klein, daß kein menschliches Auge ihn erblicken konnte. Hinter jedem Blatte in der Rose hatte er eine Schlafkammer. Er war so wohlgebildet und schön, wie nur ein Kind sein konnte, und hatte Flügel von den Schultern bis herunter zu den Füßen. O, welcher Duft war in seinen Zimmern, und wie klar und schön waren die Wände! Es waren ja die blaßrothen Rosenblätter.

Den ganzen Tag freute er sich im warmen Sonnenschein, flog von Blume zu Blume, tanzte auf den Flügeln des fliegenden Schmetterlings und maß, wie viel Schritte er zu gehen habe, um über alle Landstraßen und Stege zu gelangen, welche auf einem einzigen Lindenblatte sind. Das war, was wir die Adern im Blatte nennen, die er für Landstraßen und Stege hielt. Ja, das waren ewige Wege für ihn! Ehe er damit fertig wurde, ging die Sonne unter; er hatte auch zu spät damit angefangen!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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