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Märchen von Hans Christian Andersen mit Illustrationen von William Heath Robinson (1872-1944).
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Hans Christian Andersen
Märchen
Mit Illustrationenvon
Des Schlammkönigs Tochter.
Die Störche erzählen ihren Kleinen gar viele Märchen, alle aus dem Moore und Röhricht; sie sind in der Regel dem Alter und der Befähigung angemessen; die kleinsten Jungen sind zufrieden, wenn »kribbel, krabbel, plurremurre« gesagt wird, das finden sie schon ausgezeichnet; allein die älteren wollen einen tieferen Sinn, oder wenigstens Etwas von der Familie wissen. Von den beiden ältesten und längsten Märchen, welche sich bei den Störchen erhalten haben, ist uns allen das eine, das von Moses bekannt, den seine Mutter in den Nil aussetzte, der von des Königs Tochter aufgefunden wurde, eine gute Erziehung genoß und ein großer Mann ward, von dem man später nicht weiß, wo er begraben liegt. Das ist gewöhnlich!
Das zweite Märchen ist noch unbekannt, vielleicht weil es fast ein inländisches Märchen ist. Es ist von Mund zu Mund, von Storchmama auf Storchmama, Tausende von Jahren hindurch gegangen, und eine jede von ihnen hat es besser und besser erzählt, und wir erzählen es nun am besten.
Das erste Storchpaar, welches dieses brachte und sich in dasselbe hineinlebte, hatte seinen Sommeraufenthalt auf dem Balkenhause des Vikings, welches an dem Wildmoore in Wendsyssel, das heißt, wenn wir aus der Fülle unserer Kenntnisse reden wollen, hart an der großen Moorhaide im Kreise Hjörring, oben am Skagen, der Nordspitze von Jütland liegt. Die Wildniß dort ist noch immer ein ungeheures, weites Moorhaideland, von dem zu lesen steht in der amtlichen Kreisbeschreibung. Ehemals, heißt es, sei hier Meeresgrund gewesen, der sich gehoben habe; jetzt erstreckt sich das Moorland meilenweit nach allen Seiten, umgeben von feuchten Wiesen und schwankendem, gleichsam zitterndem Sumpfgrunde, von Torfmoor mit Blaubeeren und verkrüppelten Bäumen. Fast immer schwebt der Nebel über dieser Landschaft, und vor siebenzig Jahren hausten hier noch die Wölfe. Freilich heißt sie mit Fug und Recht das »Wildmoor«, und man kann sich leicht denken, wie öde und unwegsam es hier sein mag, wie viel Sumpf und See hier vor tausend Jahren gewesen! Ja im Einzelnen erblickte man damals hier gerade, was noch zu sehen ist: das Röhricht hatte dieselbe Höhe, trug dieselbe Art lange Blätter und bläulichbrauner Federbüschel, die es jetzt noch tragt, die Birke stand da mit ihrer weißen Rinde und ihren feinen, lose herabhängenden Blättern, wie jetzt, und was die lebenden Wesen, die hier verkehrten, betrifft, – ja, die Fliege trug ihr Florkleid von demselben Schnitte wie jetzt, die Lieblingsfarbe des Storchs war Weiß mit Schwarz und rothen Strümpfen; dagegen hatten die Menschen damals einen andern Rockschnitt, als heut zu Tage, aber Jeden, mochte er Jäger oder Knappe, Herr oder Knecht sein, Jedweden, der auf das schwankende, schaukelnde Moorland hinaustrat, ereilte vor tausend Jahren, wie heut zu Tage Denjenigen, der es zu betreten wagt, dasselbe Schicksal: er versank und ging hinab zu dem Schlammkönige, wie sie ihn nannten, der unten in dem großen Moorreiche herrschte. Gungelkönig könnte man ihn auch nennen, aber uns gefällt Schlammkönig besser, und so nennen ihn auch die Störche. Gar wenig weiß man von des Schlammkönigs Regierung, allein das ist vielleicht gut.
In der Nähe des Moorlandes, hart an dem großen Meeresarme der Nordsee und des Kattegatt, der Lymfjorden heißt, lag das Balkenhaus des Vikings mit seinen steinernen, wasserdichten Kellern, mit seinem Thurme und seinen drei absätzigen Stockwerken; auf dem Dachfirste hatte der Storch sein Nest gebaut, und Storchmama brütete dort die Eier und war ihrer Sache gewiß, daß ihr Brüten zu Etwas führe.
Eines Abends blieb Storchpapa sehr lange aus, und als er nach Hause kam, sah er merkwürdig aufgebustert und eilfertig aus.
»Ich habe Dir etwas Entsetzliches mitzutheilen!« sagte er zur Storchmama.
»Laß das bleiben!« sagte sie, »bedenke, daß ich Eier ausbrüte, es könnte mir schaden und alsdann wirkt das auf die Eier!«
»Du mußt es wissen!« fuhr er fort, »Sie ist hier angelangt, die Tochter unseres Wirthes in Egypten; sie hat es gewagt, die Reise hier herauf zu machen, – und dahin ist sie!«
»Sie, die dem Geschlechte der Feen entsprungen! So erzähle doch! Weißt Du doch, daß ich es nicht vertrage, lange zu warten in der Zeit, wo ich brüte!«
»Siehst Du, Mütterchen! Sie hat doch an das geglaubt, was der Doctor sagte und was Du mir erzähltest; sie hat daran geglaubt, daß die Moorblumen hier oben ihrem kranken Vater Heilung bringen würden, sie ist im Schwanengefieder, in Begleitung der andern Schwanenprinzessinnen, die jedes Jahr hierher nach dem Norden kommen, um sich zu verjüngen, hergeflogen; sie ist hierhergekommen, und dahin ist sie!«
»Du machst Alles gar zu weitschweifig!« sagte die Storchmama, »die Eier könnten sich erkälten! Ich vertrage nicht, in solcher Spannung zu sein!«
»Ich habe aufgepaßt!« fuhr Storchpapa fort – »und heute Abend, als ich in das Röhricht ging, dort wo der Sumpfgrund mich tragen kann, kamen drei Schwäne an. Ein Etwas an dem Schwunge sagte mir: aufgepaßt, das ist nicht ganz Schwan, das ist nur Schwanengefieder! Ja, Mütterchen, Du hast es am Gefühle, wie ich es habe, Du weißt, ob es der Rechte ist oder nicht!«
»Jawohl!« sagte sie, »aber erzähle von der Prinzessin; ich habe es satt, von dem Schwanengefieder zu hören!«
»Hier, inmitten des Moorgrundes, weißt Du wohl, ist gleichsam ein See« – sprach Storchpapa. »Du kannst einen Zipfel davon sehen, wenn Du Dich ein wenig erhebst; dort, an dem Röhricht und dem grünen Schlicke lag ein großer Erlenstumpf; auf diesen setzten sich die drei Schwäne, schlugen mit den Flügeln und schauten um sich; die Eine warf das Schwanengefieder ab und ich erkannte in ihr sogleich unsere Hausprinzessin aus Egypten. Da saß sie nun ohne irgend ein anderes Gewand als ihr langes, schwarzes Haar; sie bat die beiden andern, das hörte ich, auf das Schwanengefieder wohl Acht zu haben, wenn sie in die Gewässer hinabtauche, um die Blume zu brechen, die sie dort zu erblicken wähnte. Die andern nickten, hoben das leere Federkleid auf und nahmen es an sich. Ei, was die wohl damit beginnen werden, dachte ich, und sie sorgte sich wahrscheinlich um dasselbe. Sie erhielt Antwort, ja, thatsächliche Antwort: – die Beiden erhoben sich und flogen empor mit ihrem Schwanengefieder. »»Tauche Du nur hinab,«« riefen sie. »»Du wirst nimmermehr Egypten wieder schauen: Bleib Du in dem Moore hier sitzen!«« und damit zerrissen sie das Schwanengefieder in tausend Stücke, daß die Federn umherstieben, als sei es ein Schneegestöber, – und dann flogen sie, die beiden treulosen Prinzessinnen davon!«
»Das ist ja entsetzlich!« sagte Storchmama; »ich halte es nicht aus, mehr davon anzuhören! – nun, sage mir noch, was dann Weiteres geschah.«
»Die Prinzessin jammerte laut und weinte, ihre Thränen benetzten den Erlenstumpf und – dieser regte sich dabei, denn er war kein eigentlicher Erlenstumpf, sondern der Schlammkönig, er, der in dem Moorgrunde wohnt und herrscht. Ich selbst sah es, wie sich der Baumstumpf umkehrte, und dann war es kein Baumstumpf mehr; lange, schlammige Zweige ragten aus ihm empor wie Arme. Da erschrak das arme Kind heftig und sprang auf und davon. Sie eilte auf den grünen Schlickboden hinüber, allein der vermag nicht einmal mich zu tragen, viel weniger sie; sie versank sogleich und der Erlenstumpf tauchte gleichfalls unter, – der war es, der sie hinabzog. Große schwarze Blasen stiegen aus dem Moorschlamme empor und – jede Spur der Beiden war verschwunden. Jetzt ist die Prinzessin in dem Wildmoore begraben, nimmermehr wird sie eine Blume nach Egypten bringen. Das Herz wäre Dir zersprungen, Mütterchen, hattest Du das gesehen!«
»So etwas solltest Du mir gar nicht in dieser Zeit erzählen, es könnten die Eier dadurch leiden! Die Prinzessin wird sich schon zu helfen wissen! Es springt ihr schon Jemand bei! Ja, wäre ich, oder wärest Du es gewesen, oder blos Einer von den Unseren, dann wäre es allerdings aus gewesen!«
»Ich werde aber doch jeden Tag nachsehen, ob etwas passirt,« sagte Storchpapa, und so that er auch.
Es verstrich lange Zeit, bis er endlich einen grünen Stengel aus dem tiefen Moorgrunde emporschießen sah. Als derselbe den Wasserspiegel erreichte, sproß ein Blatt hervor und entfaltete sich immer breiter; dicht an demselben setzte eine Knospe an, und als der Storchpapa eines Morgens über den Stengel dahinflog, öffnete die Knospe sich durch die Macht der kräftigen Sonnenstrahlen, und im Kelche der Blume lag ein reizendes Kind, ein kleines Mädchen, anzuschauen, als sei es eben aus dem Bade gestiegen. Die Kleine sah der Prinzessin aus Egypten so sehr ähnlich, daß der Storch im ersten Augenblicke wähnte, es sei wirklich die Prinzessin; als er sich aber besann, fand er es doch wahrscheinlicher, daß es die Tochter derselben mit dem Schlammkönige sein müsse, deshalb ruhe sie denn auch im Kelche der Wasserlilie.
»Aber dort kann sie doch unmöglich liegen bleiben,« dachte Storchpapa, »und in meinem Neste sind wir schon gar zu viel Personen! – doch, mir fällt Etwas ein: Die Gemahlin des Vikings hat keine Kinder und wie oft wünschte sie sich ein Kleines! – Heißt es doch immer: der Storch hat das Kleine gebracht, endlich will ich doch einmal Ernst damit machen! Ich fliege mit dem Kinde zu der Vikingsfrau – welchen Jubel wird Das dort hervorrufen!«
Der Storch hob das kleine Mädchen aus dem Blumenkelche, flog nach dem Balkenhause, hackte dort mit seinem Schnabel ein Loch in das Blasenfenster, legte die reizende Kleine an die Brust der Vikingsfrau, flog darauf zur Storchmama hinauf und erzählte, was er gesehen und gethan, und die Storchjungen hörten das mit an, sie waren groß genug dazu.
»Siehst Du also, die Prinzessin ist nicht todt, sie hat die Kleine hier herauf gesandt, und jetzt ist die auch untergebracht.«
»Das habe ich ja von Anfang an gesagt!« rief Storchmama; – »denke aber jetzt auch ein wenig an Deine eigene Familie; die Reisezeit rückt heran; dann und wann kribbelt es mir schon unter den Flügeln! Der Kuckuk und die Nachtigall sind schon fort, und die Wachteln hörte ich sagen, daß sie auch fort wollten, sobald der Wind sich gut anließe. Unsere Jungen werden sich schon bei dem Manöver brav halten, wenn ich sie sonst recht kenne.«
Die Vikingsfrau war über die Maßen froh, als sie am andern Morgen erwachte und an ihrer Brust das kleine, reizende Kind erblickte; sie küßte und herzte es, allein es schrie entsetzlich und schlug um sich mit Händen und Füßen, es schien gar nicht erfreut zu sein; endlich weinte es sich selbst in Schlaf, und als es nun so still da lag, bot es einen gar wunderlieblichen Anblick dar. Die Vikingsfrau war höchst erfreut, fühlte sich gesund an Leib und Seele, ihr war recht leicht ums Herz, und es schien ihr nun auch, als müsse ihr Gemahl und seine Mannen, die abwesend waren, ebenso unerwartet und plötzlich heimkehren, als die Kleine gekommen war.
Sie und das ganze Haus hatten deshalb vollauf zu thun, Alles recht schön für den Empfang des Herrn vorzubereiten. Die langen farbigen Tapeten, die sie und ihre Mägde selbst gefertigt, und in welche sie Bilder ihrer Götzen, Odin, Thor und Freia, eingewebt hatten, wurden aufgehangen; die Sclaven putzten die alten Schilder, die zur Ausschmückung dienten, Kissen wurden auf die Bänke und trocknes Holz auf die Feuerstelle in der Mitte der Halle gelegt, damit die Flamme sogleich angefacht werden könne. Die Vikingsfrau selbst legte Hand ans Werk, so daß sie gegen Abend sehr ermüdet war und leicht und schnell einschlief.
Als sie gegen Morgen erwachte, erschrak sie heftig, denn das Kindlein war verschwunden. Sie sprang vom Lager auf, zündete einen Kienspan an und schaute sich rings um im Räume, und siehe, an der Stelle des Lagers, wo sie ihre Füße gestreckt, lag, nicht das Kindlein, sondern ein großer häßlicher Frosch. Es wurde ihr schlimm bei diesem Anblicke; sie ergriff eine schwere Stange, um damit den Frosch zu tödten, allein derselbe blickte sie mit so wunderbar betrübten Augen an, daß sie den Schlag nicht zu führen vermochte. Noch einmal spähte sie rings im Zimmer umher, der Frosch ließ ein feines, schmerzliches Quaken hören, sie fuhr dabei zusammen und sprang von der Lagerstätte nach der Luftluke hin und riß dieselbe eiligst auf; – die Sonne trat in diesem Augenblicke hervor, warf ihre Strahlen durch die Luke auf das Lager, auf den großen Frosch, und plötzlich – siehe da, es war, als ziehe sich das breite Maul zusammen, als werde es klein und roth, die Gliedmaßen streckten und reckten sich, und nahmen die schönste Gestalt an, und – es war ihr eigenes kleines, reizendes Kind, welches da lag, es war kein häßlicher Frosch.
»Was ist das!« sagte sie; »habe ich einen bösen Traum geträumt? – Ist es doch mein eigenes, leibliches Ebenbild das dort liegt!« und sie küßte und herzte es, aber das Kind stieß und schlug um sich und biß wie ein wildes Kätzchen.
Nicht an diesem Tage und auch nicht an dem darauf folgenden kehrte der Viking zurück, obgleich er sich freilich unterwegs nach der Heimath befand, aber der Wind stand ihm entgegen, der blies nach Süden für die Störche. Mitwind dem Einen ist Widerwind dem Andern.
Als einige Tage und Nächte verstrichen, war es der Vikingsfrau klar, wie es um ihr Kind stand, sei es doch ein entsetzlicher Zauber, der auf ihm laste. Am Tage war es reizend wie ein Lichtelf, hatte aber eine böse, wilde Natur; Nachts dagegen war es ein häßlicher Frosch, still und klagend, mit kummervollen Augen; hier waren zwei Naturen, die, sowohl nach innen als nach außen, mit dem Sonnenlichte abwechselten; das war aber so der Fall, weil das Mägdlein am Tage die äußere Gestalt seiner wirklichen Mutter, aber die Sinnesart des Vaters besaß; Nachts dagegen trat die Abstammung vom Vater sichtbar in der Körpergestalt hervor, allein dann waltete zugleich im Innern des Kindes Gemüth und Herz der Mutter. Wer vermochte wohl diesen durch bösen Zauber bewirkten Bann zu lösen?
Die Vikingsfrau lebte in Aengsten und Kummer darüber, und doch hing ihr Herz an dem kleinen Geschöpfe, von dessen Zustand sie ihrem Gemahl, wenn er nun bald heimkehrte, nichts zu erzählen sich getraute; denn er würde wahrscheinlich alsdann, wie es Brauch und Sitte war, das arme Kind auf die Heerstraße aussetzen, damit es nehmen könne, wer es wolle. Das geschehen zu lassen konnte die gute Vikingsfrau aber nicht übers Herz bringen. Sie beschloß, daß der Viking das Kind stets nur bei hellem Tageslichte sehen solle.
Eines Morgens brausten Storchflügel über das Dach dahin; mehr denn hundert Storchpaare hatten sich während der Nacht von dem großen Manöver erholt, setzt flogen sie hoch empor, um gen Süden zu ziehen.
»Alle Mannen da, und parat!« hieß es, »Frau und Kinder auch mit!«
»Wie es uns leicht ist!« schrien die Storchjungen im Chore, »es kribbelt und krabbelt uns bis in die Zehen hinab, als wären wir mit lauter lebenden Fröschen angefüllt. Ach, wie schön ist’s, ins Ausland zu reisen!«
»Haltet Euch hübsch im Zuge mit uns,« riefen Papa und Mama. »Braucht das Mundwerk nicht so sehr, das greift die Brust an!«
Und die Störche flogen davon.
Zur selben Zeit tönten die Klänge des Kriegshorns über die Haide dahin, der Viking war gelandet mit seinen Mannen; sie kehrten heim mit Beute reich beladen, von der gallischen Küste, wo das Volk, wie im Britenlande, mit Entsetzen sang:
»Befrei uns von den wilden Normannen!«
Leben und rauschende Lust zog in die Vikingsburg an dem Wildmoore ein. Das große Methfaß wurde in die Halle getragen, der Holzhaufen angezündet, Pferde wurden geschlachtet; es sollte nun tüchtig aufgetischt werden. Der Opferpriester besprengte zur Weihe die Sclaven mit dem warmen Blute, das Feuer knisterte, der Rauch zog dicht unter der Decke hin, der Ruß flockte von den Balken herab, allein das war man gewohnt. Gäste waren eingeladen und sie bekamen gute Geschenke; Ränke und Falschheit waren vergessen. Getrunken wurde derb, und sie warfen sich gegenseitig die Knochen ins Gesicht, das war ein Zeichen guter Laune. Der Barde – so eine Art Spielmann, der aber auch Krieger und mit auf dem Vikingszuge gewesen war, und wußte, was er sang – gab ein Lied zum Besten, in welchem sie von ihren Kriegsthaten singen hörten und von Dem, was an Jedem Besonderes hervorzuheben war; jede Strophe endigte mit dem Refrain: »Gut und Gold, Freude und Freunde sterben, selbst stirbt man auch einmal, allein ein ruhmreicher Name stirbt nimmer aus!« dabei schlugen sie auf die Schilde und hämmerten mit Messern und Knochen auf die Tischplatte, daß es eine Art hatte.
Die Vikingsfrau saß auf der Querbank in der offenen Gildehalle; sie trug ein seidenes Gewand, goldene Armspangen und große Bernsteinperlen. Sie war im schönsten Staate und der Sänger nannte auch sie in seinem Liede und sprach von dem goldenen Schatze, den sie ihrem reichen Gemahl gebracht. Dieser hatte seine herzliche Freude an dem wunderschönen Kinde, er hatte es nur am Tage in seiner Schönheit gesehen und das wilde Wesen des Kindes gefiel ihm. Aus dem Mädchen, sagte er, könne eine kräftige Schildjungfrau werden, die ihren Mann stehe. Sie würde nicht mit dem Auge blinzeln, wenn zum Scherz eine geübte Hand mit scharfem Schwerte ihr die Augenbrauen abschlüge.
Das volle Methfaß wurde geleert und ein frisches aufgefahren, ja, das waren Leute, die Alles vollauf genossen. Zwar kannte man das alte Wort: »Das Vieh weiß, wenn es die Weide verlassen muß, aber ein unkluger Mann weiß das Maß seines Magens nicht;« – ja, das wußte man Alles, aber man weiß das Eine und thut das Andere. Man wußte auch: »daß selbst der Gerngesehene Langeweile erregt, wenn er lange im Hause sitzen bleibt«, aber man blieb doch sitzen, Speck und Meth sind gute Dinge, es ging lustig her, und Nachts schliefen die Leibeigenen in der warmen Asche, tauchten die Finger in den fetten Ruß und leckten sie ab. Es war das eine schöne Zeit!
Noch einmal im Jahre zog der Viking aus, wenn auch schon die herbstlichen Stürme sich zu erheben begannen; er ging mit seinen Mannen nach der Küste des Britenlandes, das sei ja nur eine Spazierfahrt über’s Wasser, sprach er, und seine Hausfrau blieb zurück mit dem kleinen Mädchen. So viel ist gewiß, daß die Pflegemutter bald den armen Frosch mit den frommen Augen und den tiefen Seufzern fast mehr liebte, als die Schönheit, die um sich schlug und biß.
Der rauhe, feuchte Herbstnebel, der an den Blättern des Waldes zehrt, lag schon auf Forst und Haide. »Vogel Federlos« wie sie den Schnee nennen, flog in dichten Schaaren, der Winter war stark im Anzuge; die Sperlinge bemächtigten sich des Nestes der Störche und beredeten in ihrer Weise die abwesende Herrschaft: diese aber, das Storchpaar mit allen Jungen, ja, wo waren die geblieben?
Die Störche befanden sich nun in dem Lande Egypten, wo die Sonne warme Strahlen aussandte, wie bei uns an einem schönen Tage im Hochsommer. Tamarinthen und Akazien blühten ringsum im ganzen Lande, der Mond Mohameds strahlte hell von den Tempelkuppeln herab, auf den schlanken Thürmen saß manches Storchpaar und ruhte aus nach der langen Reise. Große Schaaren theilten sich in die Nester, die eng aneinander lagen auf ehrwürdigen Säulen und eingestürzten Tempelbogen vergessener Stätten. Die Dattelpalme hob ihren Schirm hoch empor, als wollte sie Sonnenschirm sein; die weißgrauen Pyramiden standen wie Schattenrisse in der klaren Luft der fernen Wüste, wo der Strauß seinen schnellen Lauf übte und der Löwe mit großen, klugen Augen die marmorne Sphinx anschaute, die halb im Sande begraben lag. Die Gewässer des Nils waren zurückgetreten, das ganze Flußbett wimmelte von Fröschen, und dieser Anblick war so recht nach dem Geschmacke der Storchfamilien. Die Jungen wähnten, es sei eine Augentäuschung, in dem Grade herrlich fanden sie Alles.
»So ist es hier und so leben wir stets in unserm warmen Lande!« sagte Storchmama, und es krabbelte den Jungen im Magen dabei.
»Ist noch mehr zusehen?« fragten sie, »geht es noch viel weiter ins Land hinein?«
»Dort ist weiter Nichts zu sehen!« erwiderte Storchmama. »Nach der übrigen Gegend hier giebt es nur ungeheure Wälder, deren Gezweig in einander verwächst, während stechende Schlingpflanzen Weg und Steg versperren, dort vermag nur der Elephant mit seinen plumpen Füßen sich einen Weg zu bahnen, und die Schlangen dort sind uns zu groß, die Eidechsen zu lebendig. Wollt Ihr nach der Wüste zu gehen, so werdet Ihr die Augen voll Sand bekommen, d. h. wenn es sein hergeht, spielt aber das grobe Geschütz, dann gerathet Ihr in eine Sandhose hinein. Hier ist es am Besten! Hier sind Frösche und Heuschrecken. Hier werde ich bleiben und Ihr auch!«
Sie blieben dort. Die Aeltern saßen im Neste auf dem schlanken Minaret, ruhten aus und waren doch emsig beschäftigt, das Gefieder zu glätten und zu schniegeln und den Schnabel an den rothen Strümpfen zu wetzen; sie streckten dann und wann den Hals empor, grüßten gravitätisch, und hoben den Kopf mit der hohen Stirn und den seinen glatten Federn, und ihre braunen Augen schauten gar klug darein. Die weiblichen Jungen stolzirten in dem saftigen Röhricht, schielten nach den anderen Storchjungen, machten Bekanntschaften und verschlangen bei jedem dritten Schritt einen Frosch oder schlenkerten eine kleine Schlange hin und her, was ihnen schön stand, wie sie wähnten, und auch gut schmeckte. Die männlichen Jungen fingen Streit an, schlugen einander mit den Flügeln, hauten drein mit den Schnäbeln, ja, sie stachen sich, daß das Blut hervorquoll, und in der Manier wurde bald dieser, bald jener verlobt, die jungen Herrchen und die Dämchen, und das war es ja, was sie wollten, und weshalb sie lebten; sie tragen dann zu Neste und geriethen dann wieder aufs Neue in Streit, denn in den heißen Ländern sind nun einmal Alle heftig und hitzig, aber vergnüglich war es doch und namentlich für die Alten war es eine große Freude: Alles steht ja den Jungen gut! Alle Tage war hier Sonnenschein, alle Tage vollauf zu fressen, man konnte nur an Vergnügen denken. – Allein in dem reichen Schlosse, bei dem egyptischen Hauswirthe, wie sie ihn nannten, war das Vergnügen nicht zu finden.
Der reiche mächtige Herr ruhte auf seinem Lager inmitten des großen Saals mit den buntbemalten Wänden, es war, als läge er in einer Tulipane; allein er war steif und gelähmt an allen Gliedern und lag wie eine Mumie ausgestreckt. Seine Familie und Dienerschaft umstand ihn, todt war er nicht, und daß er lebe, konnte man eigentlich auch nicht sagen. Die rettende Moorblume aus dem Norden, welche von Derjenigen hätte gesucht und heimgeführt werden sollen, die ihn am innigsten liebte, wurde nie gebracht. Seine junge, schöne Tochter, die im Schwanengefieder über Meer und Länder dahin geflogen war, hoch nach dem Norden hinauf, sollte nie wiederkehren. »Sie ist immer todt,« hatten die beiden heimgekehrten Schwanenjungfrauen gemeldet, und sie hatten eine Geschichte zusammengesetzt, die sie erzählten:
»Wir Drei zusammen,« sagten sie, »flogen hoch in der Luft dahin; da erblickte uns ein Jäger und schoß seinen Pfeil nach uns ab; derselbe traf unsere junge Freundin und Schwester, und langsam ihr Lebewohl singend, sank sie hinab, ein sterbender Schwan, in den Waldsee. Am Ufer des See’s unter einer Hängebirke senkten wir sie in die kühle Erde. Doch, Rache haben wir geübt; wir banden Feuer unter die Flügel der Schwalbe, die unter dem Strohdache des Jägers nistete, das Haus ging in hellen Flammen auf, der Jäger verbrannte mit dem Hause; und es leuchtete über die See hinaus, bis zu der Hängebirke hinüber, wo sie jetzt zu Staub geworden. Nimmer kehrt sie in das Land Egypten zurück!«
Und dabei weinten die Beiden, und als Storchpapa die Geschichte vernahm, klapperte er mit dem Schnabel, daß es weit hin schallte.
»Lug und Trug!« rief er, »ich möchte ihnen den Schnabel tief in die Brust stoßen!«
»Und ihn abbrechen!« fügte Storchmama hinzu, »dann würdest Du gut aussehen! Denke zuerst an Dich, und dann an Deine Familie, alles Andere geht uns nichts an.«
»Morgen werde ich mich doch an den Rand der offenen Kuppel setzen, wenn die Gelehrten und Weisen sich versammeln, um von dem Zustande des Kranken zu reden, vielleicht daß sie der Wahrheit ein wenig näher kommen.«
Die Gelehrten und Weisen kamen zusammen und sprachen Vieles, weit und breit, aus dem der Storch Nichts herausbekommen konnte, – es kam denn auch Nichts dabei heraus, weder für den Kranken, noch für die Tochter in der schlammigen Moorhaide. Doch deshalb können wir die Leute gern ein wenig anhören, man muß in der Welt gar Vieles mit anhören.
Dann dürfte es aber auch am richtigsten sein, zu vernehmen, was Dem vorausgegangen ist, wir sind schon besser in der Geschichte bewandert, wissen wenigstens ebenso viel, als Storchpapa.
»Liebe zeugt Leben! die höchste Liebe zeugt das höchste Leben! Nur durch Liebe kann ihm des Lebens Rettung werden!« So hatte man gesprochen, und das sei sehr klug und schön gesprochen, versicherten die Gelehrten.
»Das ist ein schöner Gedanke!« hatte Storchpapa sofort gesagt.
»Ich verstehe ihn nicht recht!« hatte Storchmama erwidert, »und das ist nicht meine Schuld, sondern der Gedanke ist Schuld daran; mag es aber darum sein, ich habe Anderes zu denken!«
Nun hatten die Gelehrten von der Liebe zu Diesem und Jenem, und ihrem Unterschiede von der Liebe geredet, die Liebesleute empfinden, und von derjenigen zwischen Eltern und Kindern, von der Liebe des Lichts zu den Gewächsen, wie der Sonnenstrahl den Erdboden küßt und wie der Keim dadurch hervorsprießt, – es war Alles so weitschweifig und gelehrt aus einander gesetzt, daß es für Storchpapa eine Unmöglichkeit war, Dem zu folgen, geschweige denn es wiederzugeben. – Er wurde gedankenschwer dabei, schloß die Augen halb zu und stand den ganzen folgenden Tag noch immer sinnend auf einem Beine; es wurde ihm gar schwer, all’ die Gelahrtheit zu ertragen.
Doch Eins verstand Storchpapa: Alle, Hoch und Niedrig, hatten aus ihrem innersten Herzen herausgesprochen und gesagt, daß es ein großes Unglück für Tausende von Menschen, ja für das ganze Land sei, daß der Mann erkrankt danieder liege und nicht genesen könne, Freude und Segen würde es verbreiten, wenn er wieder aufkäme. Allein wo blühe die Blume, die ihm Gesundheit bringen könnte? Darnach hatten sie alle geforscht in gelehrten Schriften, in flimmernden Sternen, in Wetter und Wind; darnach geforscht auf allen Umwegen, die sie hatten ersinnen können, und endlich hatten die Gelehrten und Weisen, wie schon erwähnt, herausbekommen: daß »Liebe Leben zeuge, das Leben des Vaters«; dabei hatten sie sich selbst übertroffen und ein Mehreres gesagt, als sie begriffen. Sie wiederholten es dann und schrieben als Recept auf: »Liebe zeugt Leben«, allein wie das Ding nach dem Recepte zuzubereiten sei, – ja, dabei blieb man stehen! Endlich einigte man sich dahin, daß die Hilfe durch die Prinzessin kommen müsse, durch sie, die mit ihrer ganzen Seele an diesem Vater hing, und man ersann sogar endlich, wie diesem Zustande abzuhelfen sei. – Ja, jetzt war es schon über Jahr und Tag her, daß die Prinzessin sich Nachts, wenn des Neumonds kurzer Schein im Sinken begriffen war, hinaus zu der marmornen Sphinx begeben, den Sand von dem Sockel zurückgeworfen hatte und dort durch den langen Gang geschritten war, der mitten hinein in eine der großen Pyramiden führte, woselbst einer der mächtigen Könige des Alterthums, von Pracht und Herrlichkeit umgeben, in der Mumienhülle liege. Dort sollte sie ihren Kopf an die Brust des Todten lehnen, alsdann würde ihr offenbar werden, wo Leben und Erlösung für ihren Vater zu finden sei.
Dieses Alles hatte sie ausgeführt und im Traume erfahren, daß sie aus dem tiefen See in der Moorhaide, hoch oben im dänischen Lande – ihr waren Ort und Stelle genau bezeichnet worden – die Lotusblume heimbringen müsse, die in der Gewässer Tiefe ihre eigene Brust berührt, – alsdann würde der Vater Genesung finden.
Deshalb war sie im Schwanengefieder aus dem Lande Egyptens nach dem Haideland, dem Wildmoore hinaufgeflogen. – Sieh’, dieses Alles wußte Storchpapa und Storchmama, und jetzt wissen auch wir es genauer, wie wir es zuvor gewußt. Wir wissen, daß der Schlammkönig sie zu sich hinabgezogen, wissen auch, daß sie für ihre Lieben in der Heimath todt ist für immer. – Einer der Weisesten unter ihnen sagte noch, wie es auch die Storchmama that, »sie wird sich schon zu helfen wissen«, und damit gaben sie sich endlich zufrieden und wollten der Dinge harren, die da kommen sollten, denn sie wußten nichts Besseres.
»Ich möchte den beiden treulosen Prinzessinnen das Schwanengefieder entwenden!« sprach Storchpapa, »dann werden sie wenigstens nicht wieder bis an den Wildmoor hinauffliegen und Böses anstiften können; die beiden Schwanengefieder verberge ich dort oben, bis Jemand Gebrauch dafür haben wird.«
»Wo aber wirst Du sie verstecken?« fragte Storchmama.
»Oben in unserem Neste am Wildmoor!« antwortete er. »Ich und unsere jüngsten Jungen werden uns auf dem Fluge darein theilen, sie hinauf zu bringen, und sollte uns das zu schwierig sein, so giebt es ja Stellen genug unterwegs, wo wir sie verbergen können, bis zu dem nächsten Wanderzuge. Eigentlich genügte freilich schon ein Schwanengefieder für die Prinzessin; doch zwei sind immerhin besser; in den nördlichen Ländern kann man nicht Reisesachen genug haben.«
»Niemand wird es Dir danken!« sprach Storchmama, – »doch Du bist ja der Herr! Ich habe außer der Brutzeit nichts zu sagen.«
In der Vikingsburg am Wildmoore, wohin die Störche gegen den Frühling ihren Flug richteten, hatte man dem kleinen Mädchen den Namen Helga gegeben; doch dieser Name war gar zu weich für ein Gemüth wie das, welches hier die schönste Gestalt besaß. Mit jedem Monate zeigte sich dieses Gemüth in immer schärferen Umrissen, und mit den Jahren, während die Störche immer dieselbe Reise machten: im Herbste nach dem Nil, im Frühjahre nach dem Moorsee, wuchs das Kind zu einem großen Mädchen heran, und ehe man sich’s versah, war es eine wunderschöne Jungfrau im sechzehnten Jahre. Schön war die Schale, aber hart und barsch der Kern, wild war sie wie die meisten in jener harten, finstern Zeit.
Es war ihr eine Lust, mit ihren weißen Händen das dampfende Blut des geschlachteten Opferpferdes umherzusprengen; sie biß in ihrer Wildheit den Hals des schwarzen Hahnes durch, den der Oberpriester schlachten wollte, und zu ihrem Pflegevater sprach sie in vollem Ernste:
»Und wenn Dein Feind Dir das Dach Deines Hauses einrisse, während Du im sorglosen Schlafe lägest, und ich sähe oder hörte es, ich weckte Dich nicht, auch wenn ich es vermöchte. Ich würde es nimmer thun können, denn es sausen mir noch die Ohren von dem Schlage, den Du mir vor Jahren gegeben! Du! – ich habe ihn nicht vergessen.«
Aber der Viking hielt ihre Worte für Scherz, er war, wie alle Andern, von ihrer Schönheit bethört; er wußte auch nicht, daß und wie Gemüth und Gestalt bei Helga wechselten. Ohne Sattel saß sie auf das Pferd gegossen, das in vollem Laufe dahinjagte; sie sprang nicht vom Pferde, wenn es sich auch mit den anderen Pferden biß. In den Kleidern warf sie sich oft von dem hohen Uferrande in den reißenden Strom der Bucht hinab und schwamm dem Viking entgegen, wenn sein Boot auf die Hütte zusteuerte. Von ihrem schönen Haare schnitt sie die längste Locke ab und flocht sich von derselben eine Sehne für ihren Bogen.
»Selbstgethan ist wohlgethan!« sprach sie.
Die Vikingsfrau war nach der Zeiten Maß und Sitte von starkem Willen und Gemüth, allein gegen die Tochter war sie wie ein weiches ängstliches Weib; wußte sie doch, daß es ein böser Zauber war, der auf dem beklagenswerthen Kinde laste.
Es war als wenn Helga, recht aus böser Lust, gar oft, wenn die Mutter auf dem Söller stand oder in den Hof trat, sich auf das Brunnengeländer setzte, mit Armen und Beinen in der Luft focht und darauf plötzlich in den engen tiefen Brunnen hinabglitt, wo sie mit ihrer Froschnatur nieder- und wieder emportauchte, darauf wie eine Katze umherkletterte und nun, von Wasser triefend, in die Halle trat, daß die grünen Blätter, die dort auf den Fußboden gestreut waren, sich in dem von ihr herabtriefenden Wasser umkehrten. Doch ein Band gab es, das Helga im Zaume hielt, es war die Abenddämmerung; in dieser ward sie still und gleichsam sinnend, ließ sich rathen und führen; dann zog sie ein inneres Gefühl zu der Mutter hin. Und wenn die Sonne sank, und die Verwandlung innerlich und äußerlich stattfand, saß sie still und traurig da, zu der Froschgestalt zusammengeschrumpft, der Körper war jetzt zwar weit größer, als der des Thieres, aber deshalb auch um so entsetzlicher anzuschauen; sie sah aus wie ein jämmerlicher Zwerg mit Froschkopf und Schwimmhäuten zwischen den Fingern. Einen gar traurigen Ausdruck hatten die Augen; Stimme hatte sie nicht, nur ein hohles Quaken, fast wie das Schluchzen eines träumenden Kindes. Dann nahm die Vikingsfrau sie auf den Schoos, vergaß die häßliche Gestalt, blickte nur in die betrübten Augen und sprach oft:
»Fast möchte ich, daß Du immerfort mein stummes Froschkind wärest; Du bist noch entsetzlicher, wenn die Schönheit Dir ihre Gestalt leiht!«
Und die Vikingsfrau schrieb Runen gegen Zauber und Siechthum und warf diese über die Elende, – doch eine Besserung zeigte sich nicht.
»Man glaubt es kaum, daß sie so klein gewesen, daß sie in dem Kelche einer Wasserlilie gelegen!« sprach Storchpapa; »jetzt ist sie ein ganzer Mensch und ihrer egyptischen Mutter wie aus den Augen geschnitten; ja, die sehen wir wohl nie wieder! Sie wußte sich doch nicht zu helfen, wie Du und der Gelehrteste sagten. Bin ich doch Jahr aus Jahr ein, die Kreuz und Quer in dem großen Morgenlande umhergeflogen, allein sie gab nie ein Zeichen, daß sie lebe. Ja, ich will es Dir jetzt erzählen, wie ich jedes Jahr, wenn ich einige Tage vor Dir hierher kam, um das Nest auszubessern und Dieses und Jenes in Stand zu setzen, eine ganze Nacht, als sei ich eine Fledermaus oder eine Eule, über den offenen See immer hin und her geflogen bin, aber vergeblich. Die beiden Schwanengefieder, welche ich und die Jungen hier herauf schleppten aus dem Nillande, wurden deshalb auch nicht gebraucht; mühsam genug war es uns aber, wir trugen sie in drei Reisen hierher und jetzt liegen sie hier unten im Neste, und bricht nun einmal Feuer aus, geschieht es, daß das Balken-Haus abbrennt, dann sind wir verloren.«
»Und unser gutes Nest ist auch verloren!« fiel die Storchmama ein; »an das denkst Du weniger als an Deinen Gefiederkram und Deine Moor-Prinzessin. Gehe doch lieber in den Schlamm hinab und bleibe dort bei ihr! Du bist Deinen eigenen Kindern ein schlechter Vater, das habe ich schon gesagt, als ich zum ersten Male Eier ausbrütete. Wenn nur nicht wir oder unsere Jungen von dem wilden Mädchen einen Pfeil in die Flügel kriegen! Helga weiß ja nicht, was sie thut. Wir sind doch länger hier zu Hause als sie, möchte sie das bedenken; wir vergaßen nie unsere Schuldigkeit, wir gaben alljährlich unsere Abgaben, eine Feder, ein Ei und ein Junges, wie es Recht ist. Denkst Du, ich begebe mich wie in früheren Tagen in den Hof und überall hier herum, so wie ich es noch immer in Egypten thue, wo ich fast der Kamerad der Leute bin, um, wie dort, mich zu vergessen, und in Topf und Kessel hineinzugucken? Nein ich sitze hier oben und ärgere mich über sie, – den Backfisch! – und ich ärgere mich auch über Dich! Du hättest sie ruhig in der Wasserlilie liegen lassen sollen, dann wäre sie längst umgekommen!«
»Du bist weit besser als Deine Rede!« sagte Storchpapa, – »ich kenne Dich besser, als Du Dich selbst kennst!«
Damit that er einen Hops, zwei schwere Flügelschläge, streckte die Beine nach hinten aus und flog, ja, segelte davon, ohne die Flügel zu bewegen. Er war schon eine weite Strecke entfernt, dann that er einen kräftigen Schlag. Die Sonne fiel glänzend auf das große Gefieder, Hals und Kopf senkten sich stolz hervor: darin war Fahrt und Schwung!
»Er ist doch der Schönste von Allen!« sprach Storchmama, »aber das sage ich ihm nicht!«
Frühzeitig in diesem Herbste kehrte der Viking heim, beladen mit Beute und Gefangene mit sich führend. Unter diesen befand sich ein junger christlicher Priester, Einer von denjenigen, die die Götter der nordischen Lande verspotteten.
Gar oft war in der letzten Zeit in Halle und Kammer von dem neuen Glauben die Rede gewesen, der sich weit und breit im Süden ausbreite, ja, durch den heiligen Ansgarius selbst bis nach Hedeby an der Schlei gelangt war. Selbst Helga hatte von dem Glauben an den weißen Christus vernommen, der aus Liebe zu den Menschen für deren Erlösung sein Leben hingegeben hatte; bei ihr war das aber Alles, wie man sagt, zum einen Ohre hinein, zum andern heraus gegangen. Es schien, als habe sie für das Wort Liebe nur dann ein Gefühl, wenn sie in der elenden Froschgestalt in der verschlossenen Kammer zusammenkauerte; allein die Vikingsfrau hatte den Sagen und Kunden von dem Sohne eines einzigen wahren Gottes gelauscht und sich wunderbar dadurch ergriffen gefühlt.
Die Männer, von den Seezügen heimgekehrt, hatten von prächtigen Tempeln aus behauenem, schönen Gesteine, erzählt, Demjenigen errichtet, dessen Gebet Liebe laute. Einige schwere Gefäße, künstlich aus massivem Golde gefertigt, waren erbeutet und heimgebracht, an jedem haftete ein eigener Kräuterduft, es waren Räuchergefäße, welche die christlichen Priester vor dem Altäre schwenkten, auf welchem kein Blut floß, sondern der Wein und das geweihte Brod sich in Dessen Blut verwandelte, der sich für noch ungeborne Geschlechter hingegeben hatte.
In den tiefen, ausgemauerten Keller des Balkenhauses hatte man den jungen Priester Christi hinuntergebracht und ihm Hände und Füße mit Baststricken zusammen geschnürt. Schön wie Baldur sei er anzuschauen, sagte die Vikingsfrau und seine Noth rührte sie, allein Helga meinte, man müsse Stricke durch seine Fersenflechsen ziehen und ihn an die Schweife wilder Rinder anbinden.
»Die Hunde würde ich dann loslassen, halloh! über Moor und Sumpf in die Haide hinüber! Das wäre ein Anblick für Götter! Schöner n [...]