Hansen ermittelt 1+ 2. Fall - Uwe Drewes - E-Book

Hansen ermittelt 1+ 2. Fall E-Book

Uwe Drewes

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Beschreibung

Der Autor eröffnette mit diesen beiden Krimis eine neue Reihe unter dem Titel "Hansen ermittelt". Bisher sind 8 Krimis im BOD Verlag erschienen. Schauplätze sind der Harz ( Quedlinburg und Thale) die Ostsee (Prerow) und die Kreisstadt Itzehoe ( Holstein). Der Autor verfasst seine Bücher in einem spannendem und zugleich humorvollen Stil. Er bietet Spass und Unterhaltung gleichermaßen wie Spannung. Im Mittelpunkt der Darstellungen steht nicht die Ermittlungsarbeit der Polizei, sondern das Denken und Fühlen seiner Protagonisten.

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Diese Romane erzählen fiktive Geschichten, inspiriert durch reale Orte und Ereignisse. Das gilt auch dann, wenn hinter den Personen Urbilder erkennbar sind. Der Autor erhebt keinen Faktizitätsanspruch.

In Erinnerung an Norbert, Hagemann und meine weiteren Thalenser Freunde/innen

Horst/Holstein 2024

Inhaltsverzeichnis

Heimat du Schöne

Erster Roman: Der Maklermord

1. Tatort Reiterhof

2. Brandstifter

3. Unter Verdacht

4. Hausschwamm

5. Köllner Optimismus

6. Konkursgefahr

7. Leiche im Kofferraum

8. Zahnärztin unter Verdacht?

9. Der Nachtclub

10. Bauchgefühle des Kommissars

11. Spekulanten

12. Die Witwe

13. Alibis

14. Der Anschlag

15. Das Geständnis

17. Nachspiel

Zweiter Roman: Die Schredderleiche

1. Die Spedition

2. Hansen ermittelt

3. Unter Verdacht

4. Aufklärung

5. Geständnis

6. Raffgier

7. Der Untergang

8. Flucht

9. Leiche im Schredder

10. Unter Verdacht

11. Unter einer Decke

12. Hinter Glas

Zum Schluss

Im BOD Verlag herausgegebene Bücher von Sabine und Uwe Drewes

Heimat du Schöne

Ein fast glückbringendes Heimatgedicht von Uwe Drewes

Wer das Wort von der Liebe zur Heimat erfand,

Stand glücklich wohl am Bodetalrand.

Keinen andern Ort kenn ich auf der Welt

Der mir besser als die Bode im Hirschgrund gefällt.

Wo fröhlich und kichernd das Wasser singt

Und lustig die Forelle über Felssteine springt.

Dann kamen Männer, die Stahlwerke bauten

Den Stahlhelm erfanden, den Völkern sie grauten.

Doch wissen wir auch vom poetischen Stil

Fontanes in seiner glücklosen Cecile.

Sie lebte hier in jenen Jahren

Als Gäste zum Sommer in Thale waren.

Es folgten Zeiten,

die uns keine Freude bereiten.

Die Fröhlichkeit der Bode erstickte,

Weil Schmutz und Gift man hier verkippte.

Doch die Natur dem widerstand

Sie sandte frische Forellen ins Land.

Die springen nun mit frohem Mut.

Doch nicht immer wird alles gut.

Erster Roman: Der Maklermord

1. Tatort Reiterhof

Hauptkommissar Horst Hansen liebte das hydractive Fahrwerk seines Citroen XM. Der elegante Wagen schwebte damit wie eine Sänfte über die Schlaglöcher der Harzer Landstraßen. Hansen hatte mit diesem Auto einige Pannen erlebt. Zuverlässig und fehlerfrei war es bestimmt nicht. Aber trotz alledem würde Hansen es nicht gegen ein anderes Fahrzeug eintauschen. Denn wenn er lief, dann fuhr er souverän. Der leise summende Sechszylinder leistete 200 PS. Das reichte für Tempo 235 Km/h. Eine Geschwindigkeit, die er gerne mal fuhr. Wozu besaß er diese leistungsstarke Kiste, wenn er deren Potential nicht ausnutze. Mit 120 Sachen in der rechten Spur sollten andere kriechen. Tempolimit war für ihn kein Thema. Und dass sein Wagen gut und gerne 15 Liter auf 100 Kilometer verbrannte, war für ihn okay. Er gönnte sich ja sonst nichts. Mit quietschenden Reifen nahm er eine scharfe Kurve, so dass Polizeimeister Heinz Otto neben ihm laut aufschrie.

Horst Hansen lachte hämisch: „Nur nicht so ängstlich mein Lieber, wo ist denn nun dieser Reiterhof?“ Es war Hansens erster Fall in seiner neuen Dienststelle in Quedlinburg. Er war ein Hamburger Jung, mit Alsterwasser getauft. Geprägt von der harten Realität der Hamburger Polizeiarbeit. Aber er hatte leider den Unwillen seiner Vorgesetzten geweckt. War einmal zu viel ins Fettnäpfchen getreten. Man hatte ihn nicht suspendiert, das nun gerade nicht. Aber ihm war empfohlen worden, sich woanders zu bewerben. Auf Quedlinburg war er durch seinen Tierarzt aufmerksam gemacht worden. Der besaß einige Liegenschaften in dieser alten Fachwerkstadt am Harz und war mit dem Leiter der Polizei - Dienststelle befreundet. Hansens Bewerbung war deshalb ein Selbstläufer. Seit gestern war er Leiter der Mordkommission und hatte heute schon den ersten Fall.

Hansen ging vom Gas und warf einen prüfenden Blick auf Heinz Otto. Nicht dass der ihm das Auto vollbrach. Er musste seinen Assistenten erst noch kennenlernen. Der war für ihn noch ein unbeschriebenes Blatt. Er schätzte sein Alter auf runde 40. Otto war etwa 180 groß, besaß mehr als einen Bauchansatz, hatte dünnes blondes Haar, das er über seine kahlen Stellen kämmte und trug einen schäbigen blauen Anzug. Mit roter Krawatte. Hansen kam zu einem Gesamturteil: Lächerlicher Kerl. Hoffentlich konnte er ihm wenigstens als Navigator dienen.

Als ob er Hansens Gedanken gelesen hätte, wies Heinz Otto mit der rechten Hand nach links: „Sie müssen hier abbiegen und den nächsten Feldweg wieder links. Sie können schon die alte Windmühle sehen. Die gehört zum Reiterhof.“

„Okay“, Hansen wies mit der Hand zur Mühle, „wie alt ist denn das Schmuckstück?“ Heinz Otto, der dem Mühlenverein angehörte, freute sich über das Interesse seines neuen Chefs. Nicht ohne Stolz antwortete er: „Das ist die alte Teufelsmühle. Sie wurde 1855 fertiggestellt und war bis 1941 in Betrieb. Danach war sie dem Verfall preisgegeben. Gleich nach der Wende wurde 1991 mit der Sanierung dieses Denkmals begonnen. Seitdem ist diese alte Holländermühle wieder in einem guten Zustand. Wenn sie wollen, können sie hier eine private Feier veranstalten, zum Beispiel eine Hochzeit.“

Der Feldweg war stark ausgefahren. Hansen musste sich darauf konzentrieren und stellte sicherheitshalber das Fahrwerks seines Citroens höher. Ein unbestreitbarer Vorzug seines Autos. So erreichten sie unbeschädigt das erhöht gelegene Anwesen. Dort wurden sie schon von zwei Polizisten im Streifenwagen erwartet. Hansen ging die letzten 100 Meter zu Fuß. Er stellte sich als neuer Leiter der Mordkommission vor und bat die Beamten um ihren Bericht. Zu seinem Ärger forderten diese ihn jedoch auf, sich mit seinem Dienstausweis zu legitimieren. Das war für das Alphatier Hansen schon zu viel. Er hatte seinen Dienstausweis nicht dabei, wollte sich aber keine Blöße geben. Er ranzte deshalb die Beamten grob an: „Ich habe mich ihnen als neuer Leiter der Quedlinburger Mordkommission vorgestellt. Das muss genügen. Wir sind doch hier nicht im Kindergarten. Wenn sie mir nicht augenblicklich Rapport geben, werde ich sie wegen Befehlsverweigerung rankriegen.“

„Und warum hat ihr Fahrzeug dann kein Quedlinburger Kennzeichen, sondern ein HH?“, gab ihm der ältere Polizist kontra, „was bedeutet eigentlich HH?“

Inzwischen hatte Heinz Otto auch die Anhöhe erreicht und sprang seinem Chef zur Seite: „Der Herr Hauptkommissar kommt zu uns aus Hamburg. Nun macht doch keinen unnötigen Ärger, ihr kennt mich doch. Der Hansen ist wirklich der neue Leiter der Mordkommission.“ Nun wurde es den beiden Polizisten doch zu brenzlig. Sie salutierten artig dem Hauptkommissar und der ältere gab seinen Bericht: „Wir wurden heute gegen 11.00 Uhr von Herrn Balzer angerufen. Er war zum Reiten gekommen, kam aber nicht dazu, weil er hier diese Leiche vorfand.“

Hansen: „Haben sie diesen Balzer schon befragt?“ Polizist: „Nein. Wir haben nur den Tatort abgesichert und auf sie gewartet. Sie können mit Herrn Balzer selber reden. Er wartet auf sie vor dem Reitstall.“

„Gut gemacht“, Hansen nickte wohlwollend. Er näherte sich vorsichtig der Leiche, musste sein Vorhaben aber abbrechen, weil neben dem Toten ein prächtiger Hengst mit tiefschwarzem Fell unruhig tänzelte. Als sich Hansen näherte, wieherte er nervös und schlug den Kopf hin und her. Als ob er sein Herrchen beschützen wollte.

Ingo Balzer hatte das Geschehen verfolgt und kam Hansen zu Hilfe: „Der Hengst wacht nicht von der Sate seines Herren. Der hält ihm noch im Tode die Treue, vermutlich schon die ganze Nacht.“

„Damit könnten sie Recht haben“, stimmte ihm Hansen zu, „die Leiche ist ganz nass. Heute Nacht hat es geregnet, bis heute Morgen gegen 9.00 Uhr. Die Tatzeit muss vor oder während des Regens gewesen sein.“

Hansen bat Ingo Balzer um etwas Geduld. Er ging zu Heinz Otto, um sich nach dem Zeugen zu erkundigen: „Kennen sie diesen Balzer? Der macht so einen merkwürdigen Eindruck. Er muss einen Sprachfehler haben. Statt ei sagt er immer a.“ Otto grinsend: „Das ist ein sehr bekannter Unternehmer aus Thale, der hat keinen Sprachfehler. Die Harzer Mundart kennt kein ei. Statt dessen wird a gesagt. Bekannt ist der Spruch: Bade Bane in anem Schwaneamer und kane Safe, so’ne Schasse.“

„Na, ob ich mich daran gewöhnen kann“, Hansen winkte nur ab, „kennen sie vielleicht den Toten? Lassen sie doch mal den Hengst wegschaffen!“

Heinz Otto rief Ingo Balzer zu: „Kannst du bitte mal den Luzifer in den Stall bringen. Dich kennt er ja.“ Und an Hansen gewandt: „Ja, ich kenne den Toten. Es ist Peter Riedel, Immobilienmakler aus Thale.“

„Das passt“, Hansen betrachtete die Leiche endlich aus der Nähe, „der muss vermögend gewesen sein.“ Und als Otto ihn fragend ansah: „Dass er kein armer Mann sein konnte, erkenne ich schon an seinem Outfit. Von oben bis unten Klamotten von Schockemöhle. Markenartikel vom Feinsten.“

Da sich der Himmel bewölkte, wies er die Polizisten an, den Tatort mit Polizeiband abzusperren und ein Zelt zum Schutz vor dem Regen aufzustellen. Die Beiden sahen ihn ratlos an: „Und wo sollen wir das Zelt herbekommen.“ Hansen sah sie genervt an: „Na von der Feuerwehr oder vom THW. Oder glaubten sie vom Bäcker.“

Otto hatte den Disput verfolgt und sprang den beiden Gescholtenen zur Seite: „Unsere Dienststelle besitzt auch geeignete Zelte. Sie können sich an den Leiter des Lagers wenden.“ „Und wer ist das“, fragte unsicher geworden der jüngere Polizist. „Mein Gott, das werden sie ja wohl noch rauskriegen“, Otto war nun auch genervt.

Mit hängenden Ohren schlichen die Polizisten zu ihrem Streifenwagen. Der ältere ließ den Motor an: „Wir sollten doch besser zur Feuerwehr gehen. Ich kenne da einen aus der Schule. Der wird uns bestimmt helfen. Wäre doch zu blamabel, wenn wir den Leiter des Lagers nicht finden würden.“ Und mit eingeschaltetem Blaulicht düste der alte Opel Streifenwagen Richtung Quedlinburg.

Der Himmel bewölkte sich weiter. Erneut fielen Tropfen. Vom Polizeiopel keine Spur. „Mein Gott Otto, wo bleiben die denn“, Hansen brauste erneut auf, „so blöd kann man doch nicht sein. Los Otto, bringen sie mir in fünf Minuten eine Überdachung des Tatortes, oder ich werde verrückt.“

Otto druckste verlegen: „Ich habe derzeit keinen Führerschein. Aber ich frage mal den Leiter des Reiterhofes, vielleicht kann der uns aushelfen.“ Und der Leiter konnte. Wenig später gewährte ein Bierzelt der Hasseröder Brauerei der Leiche Schutz vor den Unbilden des Aprilwetters.

Hansen nutzte die Trockenheit des Bierzeltes, um das Opfer näher zu untersuchen. Um seinem neuen Mitarbeiter auf den Zahn zu fühlen, fragte er Otto, was ihm an der Leiche auffiel. Heinz Otto blickte unsicher um sich: „Mir fällt auf, dass der Mann tot ist. Er heißt Peter Riedel. Er ist etwa 40 Jahre alt, nass vom Regen und mir persönlich bekannt.“ Horst Hansen bemühte sich, die Fassung zu bewahren: „Ist das alles, mehr fällt ihnen nicht auf?“ Als Otto verneinend den Kopf schüttelte, übernahm Hansen die Einschätzung des Tatortes: „ Der Mann liegt auf dem Gesicht. Die tödliche Kugel hat ihn in die Stirn getroffen. Er muss nach vorn gefallen und sofort tot gewesen sein. Ich schlussfolgere das nicht nur an Hand der Kopfverletzung. Der Mann hatte auch keinen Todeskampf ausgetragen. Er lag so, wie er gefallen war. Er hatte weder mit den Händen noch mit den Füßen um sich geschlagen. Ein sehr präziser Schuss. Da es sich um eine Pistolenkugel zu handeln scheint, muss der Täter ein sehr guter Schütze sein.“ Heinz Otto bemühte sich, sein kriminalistisches Wissen besser zu beweisen: „Der Täter kann ja auch von sehr nah geschossen haben, das würde bedeuten, dass er kein Fremder war.“ „Nein, nein“, Hansen winkte nur ab, „das muss kein guter Bekannter gewesen sein. Sogar ein Raubmord käme bei dem jetzigen Stand der Ermittlungen in Frage. Sehen sie denn nicht, dass die Brieftasche fehlt?“

Sie wurden von den beiden Polizisten unterbrochen, die nach einer Stunde mit einem Zeltsack auftauchten. Sie betrachteten skeptisch das Bierzelt. Der Ältere fragte: „Ich bringe hier das alte Campingzelt meines Schwagers. Es ist schon vierzig Jahre alt aber noch gut in Schuss. Sollen wir es hier aufbauen?“ „Ja wo, um alles in der Welt, wollen sie es denn hinstellen. Sehen sie denn nicht, dass wir schon ein Zelt haben“, Hansen war wütend. Der Ältere trotzig: „Dafür können wir nun wirklich nichts, dass sie jetzt zwei Zelte haben. Wer bezahlt nun die Miete für das gute Zelt meines Schwagers.“

Hansen begriffsstutzig: „Wie jetzt Miete, sollen wir Miete für das alte Teil bezahlen?“

Der Polizist: „Mein Schwager wollte das Zelt nicht rausrücken. Wer will schon, dass in seinem Zelt eine Leiche liegt. Ich musste ihm 100 EURO versprechen…“

Er konnte den Satz nicht beenden. Hansen griff ihm von hinten an den Kragen, gab ihm einen kräftigen Schubs, trat ihn in den Hintern und brüllte: „Hauen sie bloß ab, Mann. Ich will sie bitte, bitte nicht so bald wieder sehen.“ Und als er den vorwurfsvollen Blick Ottos bemerkte, lenkte er doch ein: „Tut mir schon leid, der arme Kerl ist nun mal nicht der Hellste. Los kommen sie, wir müssen ja noch die Ehefrau Riedels informieren. Vorher fahren wir aber noch in dessen Büro längst. Das muss sofort geschlossen und versiegelt werden. Warum? Um eventuell vorhandene Beweisstücke zu sichern.“

Bis Thale waren es nur wenige Autominuten. Die Büroadresse Riedels in der Hubertusstraße erwies sich als liebevoll sanierte Jugendstilvilla. Riedel nutzte das Anwesen auch als Wohnung. Das Maklerbüro befand sich in einem separaten Teil des Erdgeschosses. Es bestand aus drei großen Räumen. Da niemand auf ihr Klopfen reagierte, gingen Hansen und Otto einfach rein. Das erste Zimmer nutzte Frau Goethe, Mitarbeiterin Riedels. Im zweiten, größeren Zimmer war Riedels Büro untergebracht. Daneben war der Besprechungsraum. Die innere Disposition der Räumlichkeiten entsprach nicht dem äußeren Anspruch der Jugendstilvilla. Das Mobiliar war alt und abgenutzt. Die verschlissenen Sprelacart – Platten der Tische zeugten von ihrer früheren Nutzung als Büromöbel der LPG. Heinz Otto schien die Frage Horst Hansens zu ahnen und sagte: „Peter Riedel hat an der Inneneinrichtung nicht nur gespart. Er hatte dafür einfach keinen Geschmack. Ihm war das egal. Als die LPG aufgelöst wurde, hat er diese Büroausstattung umsonst gekriegt. Er gab sein Geld lieber für teure Luxusartikel wie Autos und Uhren aus.“

Horst Hansen nickte anerkennend: „Das kann ich nachvollziehen. Und seine Pferde dürfen wir nicht vergessen. Die waren bestimmt nicht billig. Was hat er denn für ein Auto gefahren?“ Er wurde von einer Frau mittleren Alters unterbrochen, die durch die offene Tür kam: „Darf ich fragen was sie hier machen?“ Und als sie Heinz Otto erkannte: „Um Gottes Willen, Heinz du bist es. Es wird doch nichts passiert sein. Peter Riedel ist heute nicht zur Arbeit gekommen. Er hat mehrere Termine versäumt.“

Horst Hansen ließ sich mit seiner Antwort Zeit. Diese Frau Goethe war für ihn eine zentrale Figur des Falles. Er würde sie als Informantin brauchen. Deshalb war es wichtig, sie nicht zu brüskieren. Aber per se gehörte sie auch zu den potentiell Verdächtigen. Er durfte ihr deshalb nicht zu viele Interna preisgeben. Am besten war, sie mit einigen unverfänglichen Fragen sukzessive an das Geschehen heranzuführen. Er verzichtete deshalb vorerst auf eine korrekte Vorstellung, sondern sagte: „Ich bin Hauptkommissar Hansen vom Revier Quedlinburg. Können sie mir bitte sagen, mit wem ihr Chef gestern Abend einen Termin hatte.“ Sie antwortete: „Ich weiß von keinem Termin. Das ist aber nicht ungewöhnlich. Peter Riedel informiert mich nicht über seine Termine. Mir ist das nur aufgefallen, weil heute Morgen der Direktor der Sparkasse und etwas später der Leiter der Denkmalbehörde hier waren.“

Während sie sprach wurde sie von Hansen taxiert. Er besaß eine erprobte Menschenkenntnis und bildete sich viel darauf ein. Frau Goethe hatte ihre besten Jahre hinter sich. Sie war Mitte vierzig, gern auch älter. Sie trug einen quergestreiften Pullover und viel zu enge Jeans. Warum war diesen opulenten Frauen nicht zu vermitteln, dass quergestreift dicker macht. Im Gegensatz zu ihrer nachlässigen Kleidung stand die Kriegsbemalung ihres Gesichtes. Total übertrieben geschminkt. Die Frau hatte einfach keinen Geschmack. Prima, damit passt sie ja zu ihrem Chef. Ob die beiden was miteinander hatten? Am besten fragt er sie direkt: „Ich muss ihnen leider mitteilen, dass wir ihren Chef tot aufgefunden haben. Vermutlich wurde er ermordet. Wie war ihr Verhältnis zu Peter Riedel. Waren sie seine Geliebte?“

Sylvia Goethe reagierte sehr emotional. Sie schrie laut auf und hielt sich mit beiden Händen am Tisch fest. Trotzdem verlor sie die Balance und musste sich erst einmal setzen. Heinz Otto stützte sie, sonst wäre sie noch hingefallen. Trotz seiner langjährigen Erfahrung mit derartigen Situationen konnte Hansen noch keine Schlüsse aus dieser heftigen Reaktion ziehen. War sie nun überrascht oder nicht? Hatte sie ein intimes Verhältnis mit Riedel oder nicht? Er fragte sie noch einmal danach. Frau Goethe reagierte jetzt erstaunlich kontrolliert: „Wie kommen sie denn darauf? Nein, natürlich nicht! Ich bin seit 18 Jahren glücklich verheiratet. Ich arbeite seit zehn Jahren hier. Herr Riedel war ein guter, freundschaftlicher Chef. Das schon. Aber er war nicht mein Geliebter.“

Hansen gab sich vorerst mit dieser Auskunft zufrieden. Er bat Frau Goethe, sich zu seiner Verfügung zu halten. Er wolle jetzt gerne die Ehefrau informieren. Wo er diese wohl antreffen könnte. Ehe Frau Goethe antworten konnte, stellte Polizeimeister Otto erneut seine Regionalkenntnisse unter Beweis: „Frau Riedel besitzt in Thale einen Friseursalon. Soviel ich weiß in der Brückenstraße. Ist das richtig Frau Goethe?“ Die hatte inzwischen das Weinen angefangen und nickte nur stumm mit dem Kopf.

In der Brückenstraße bestand Parkverbot. Es war eine viel befahrene Durchgangsstraße. Hansen hatte keine Lust, einen Parkplatz zu suchen und stellte seinen Citroen einfach vor dem Friseursalon ab. Sofort bildete sich ein Stau. Die Fahrer reagierten sehr aggressiv auf das parkende Hindernis mit Hamburger Kennzeichen. Es wurde laut gehupt. Einer drehte seine Seitenscheibe runter und blökte Hansen an: „Ihr Westschweine glaubt wohl, ihr könnt euch alles erlauben. Nimm gefälligst deine Bonzenkarre weg!“

Hansen ließ sich davon nicht beeindrucken. Er war von Hamburg ganz andere Sachen gewohnt. Er ging in den Salon und schaute sich um. Der kleine Raum hatte drei Arbeitsplätze. Frau Riedel war aber allein. Sie hatte gerade keine Kundschaft. „Ist wohl nicht viel los“, begann Hansen unverfänglich das Gespräch. Er wollte testen, ob Frau Riedel schon vom Tod ihres Mannes wusste.

Cornelia Riedel war trotz ihrer üppigen Figur eine sehr adrette Person. Unter ihrem weißen Kittel trug sie eine schwarze Hose und eine hellblaue Bluse. Beides saß nicht zu eng und konnte dadurch ihre Körperfülle kaschieren. Hansen schätzte sie auf Mitte Vierzig. Ihm gefiel auf Anhieb ihr Busen, der die blaue Bluse schön ausfüllte. Die Frau hatte blonde Haare, vermutlich gefärbt. Denn der Scheitel verriet ihre natürliche rote Haarfarbe. Sie hatte ein leichtes Makeup aufgelegt. Offenbar hatte sie geweint, denn ihr lief die Wimpertusche über die Wangen. Sie antwortete mit trauriger Stimme: „Ich habe vor kurzem erfahren, dass mein Mann tot sein soll. Deshalb habe ich für heute allen Kunden abgesagt. Ich vermute, dass sie Kommissar Hansen sind.“

Hansen hatte das schon erwartet. Er sprach ihr sein Beileid aus und fragte, wer sie davon in Kenntnis gesetzt hätte. Sie antwortete, dass Ingo Balzer sie angerufen habe. Sie kennen sich schon seit vielen Jahren, seien sogar zusammen in einer Schulklasse gewesen. Hansen reagierte verwundert: „Ich habe Herrn Balzer heute kennengelernt. Der ist mindestens 50, wie können sie da in einer Klasse gewesen sein?“ Cornelia Riedel konnte ein erfreutes Lächeln nicht unterdrücken: „Danke für das Kompliment. Herr Balzer ist 48, ich auch.“

Da es in dem kleinen Raum keine anderen Sitzgelegenheiten gab, nahm Hansen auf einem der Friseurstühle Platz. Er fragte Cornelia Riedel, ob sie sich vorstellen könne, wer ihren Mann umgebracht habe. Sie schüttelte nur mit dem Kopf. Hansen fragte weiter: „Er muss seinem Mörder gestern am späten Nachmittag oder frühen Abend begegnet sein. Wissen sie, ob er einen privaten oder geschäftlichen Termin auf dem Reiterhof hatte?“ Frau Riedel schüttelte wieder ihren Kopf: „Ich kenne den Terminkalender meines Mannes nicht. Wir haben beide Privates und Geschäftliches klar getrennt. Er hat seine Maklergeschäfte, ich meinen Friseursalon. Ich muss ihnen auch sagen, dass mich der Reiterhof überhaupt nicht interessiert. Das ist sein Hobby, nicht meins.“ Hansen war dem Gespräch konzentriert gefolgt. Die Frau beeindruckte ihn. Sie reagierte überaus kontrolliert und souverän. Obwohl sie gerade eben ihren Mann verloren hatte. War das ein Ausdruck ihres starken Willens oder das Zeichen einer erkalteten Liebe zu ihrem Mann? Aber das konnte er nicht sofort klären. Er musste als nächsten Schritt mit Frau Goethe sprechen, um zu erfahren, welche Feinde Riedel hatte. Die wusste vermutlich mehr über Riedels Kontakte als seine Frau.

Vor dem Salon hatte sich eine Menschengruppe versammelt. Hansen musste verärgert feststellen, dass eine Politesse einen Strafbescheid ausfüllte. Sie wurde dabei von den Umstehenden lautstark unterstützt. Um der aufgeheizten Stimmung rasch zu entkommen, verzichtete er darauf, sich als Hauptkommissar auszuweisen. In seiner Hamburger Dienstzeit hatte er noch nie erlebt, dass sich Politessen davon beeindrucken ließen. Bezahlen musste er so oder so, da konnte er sich die Häme sparen. Doch da nahte Hilfe in Gestalt von Heinz Otto. Der kannte die Politesse. Er hakte die junge Frau unter und führte sie ein paar Meter zur Seite. Nach einem kurzen Dialog steckte sie ihren Strafblock ein und erklärte, ausnahmsweise ein Auge zuzudrücken, weil es sich um einen Notfall gehandelt habe. Als die Gaffer empört reagierten, verließ sie rasch den Ort des Geschehens. Im Auto fragte Hansen: „Sie kennen wohl hier jeden. Was haben sie denn der Politesse gesagt?“ Otto nicht ohne Stolz: „Ja wenn man hier seit über zwanzig Jahren seinen Dienst versieht, kennt man schon den einen oder andern. Die Cindy, also ich meine die Ordnungskraft, ist auch im Reitverein. Sie wusste nicht, dass sie der leitende Kommissar sind. Sie wünscht uns viel Erfolg bei der Tätersuche.“

2. Brandstifter

„Yes, das konnte besser gar nicht kommen!“, Henning Reger gab sich keine Mühe, seine Genugtuung zu unterdrücken. Mit Schwung legte er den Telefonhörer auf und wandte sich wieder seinem Gesprächspartner zu: „Ich kann sie nicht verstehen, Herr Bollermann. Ich habe bei ihrer Firma alle Versicherungen abgeschlossen. Und jetzt wollen sie mir wegen lumpigen 500.000 EURO Schwierigkeiten machen. Das war doch ein glasklarer Brandschaden. Ausgelöst durch das Feuerwerk in der Silvesternacht. Ihr Gutachter spinnt doch, wenn er hier einen Versicherungsbetrug erkennen will. Sie sollten nicht so sehr auf das Gequatsche der Leute hören. Das lasse ich mir nicht bieten. Wenn ihr das durchzieht, kündige ich mit sofortiger Wirkung alle Verträge. Immerhin habe ich bei ihnen 21 Gebäudeversicherungen, meine Vermögensschadenshaftpflicht, fünf Autoversicherungen und Immobilienkredite über 5 Millionen.“

Jörg Bollermann wand sich wie ein Aal: „ Das liegt doch nicht an mir. Ich stehe doch zu 100 Prozent an ihrer Seite. Aber mein Chef macht Sperenzchen.“

Reger: „Dann sagen sie ihrem Chef, was ich ihnen gerade angekündigt habe. Darüber hinaus werde ich ihre Gesellschaft auf Vertragserfüllung und Schadensersatz verklagen. Das kommt sie teurer als die lächerlichen 500.000.“

Bollermann warf dem Gutachter einen fragenden Blick zu. Der nickte diskret und verließ den Raum. Bollermann sagte: „Bitte entschuldigen sie uns einen Augenblick“, nahm sein Handy und ging hinterher. Beide kamen Minuten später wieder. Bollmann wirkte erleichtert als er sagte: „Mein Chef bittet sie, die Fragen des Gutachters umfassend zu beantworten. Er will den Sachverhalt dann nochmals gründlich prüfen.“

Henning Reger stand demonstrativ auf und trat an sein Bürofenster. Vor ihm lag der Quedlinburger Marktplatz. Es war Wochenmarkt. Seinen Augen bot sich ein buntes Treiben. Diverse mobile Händler boten ihre Waren feil. Der größte Andrang herrschte am Stand mit den vietnamesischen Textilien. Er konnte nicht verstehen, dass die Leute für diesen Schund Geld ausgaben. War eben billig. Nur das zählte in dieser armen Gegend. Wohin hatte es ihn nur verschlagen. In den ersten Jahren nach der Wende war hier gutes Geld zu verdienen. Bis Ende der 1990er Jahre die Sonderabschreibungen für die Sanierung von Denkmal-Immobilien radikal reduziert wurden. Die Geldleute aus dem Westen hatten vom Gejammer der Ossis genug und steckten ihr Geld lieber in Aktien, Schiffsbeteiligungen und alternative Energien. Und er saß nun mit den alten Häusern da, und keiner wollte seine Eigentumswohnungen kaufen. Seine Liquidität war extrem fragil. Die 500.000 für den Brandschaden kamen ihm gerade recht. Damit konnte er die größten Löcher stopfen. Was solls, soll er doch fragen, dieser Gutachter. Er war sich sicher, dass ihm keiner eine Schuld nachweisen konnte. Jetzt, wo Peter Riedel tot war, umso weniger.

Er setzte sich wieder und fixierte den Gutachter mit seinen kalten Augen: „Na dann fragen sie mal, womit kann ich ihnen helfen.“

Der Gutachter blickte in seine Unterlagen. Obwohl er auch so wusste, welches die wichtigste Frage war: „Sie sprechen davon, der Brandschaden sei durch Silvesterraketen ausgelöst worden. Der Brandherd war aber im Keller. Hätte eine Rakete das Haus in Brand gesteckt, wäre der Dachstuhl als Brandherd zuerst betroffen gewesen, nicht der Keller.“

Henning Reger blieb betont gelassen: „Das ist ihre Auffassung. Ich habe ein eigenes Gutachten in Auftrag gegeben. Bei einem unabhängigen Sachverständigen. Herr Diplomingenieur Meyer kommt hinsichtlich des primären Brandherdes zu einem ganz anderen Ergebnis. In seinem Gutachten beweist er, dass das Feuer im Erdgeschoss ausbrach. Vermutlich durch einen Feuerwerkskörper ausgelöst, den randalierende Jugendliche durch das Fenster warfen, oder durch eine Rakete, die durch das Fenster flog.“

Der Gutachter gab noch nicht nach: „Und warum war dann im Keller ein Stapel verkohlten Brennholzes.“

Reger: „Na, weil es dort lag und verbrannte, als sich das Feuer durch den Holzfußboden gefressen hatte. Das Holz ist dort schon seit Jahren. Das hatten die letzten Mieter dort gelagert. Die zogen vor Monaten aus, ohne das Brennholz mit zunehmen. Das verbrannte Holz beweist doch nichts. Konnten sie denn im Keller Brandbeschleuniger feststellen?“

„Nein, das steht auch in meinem Gutachten.“

„Na also, sie haben keinerlei Beweise für eine Brandstiftung. Und selbst wenn es sich um eine Brandstiftung gehandelt hätte, müssten sie ja erst noch nachweisen, dass ich der Täter respektive der Auftraggeber war. Sie wollen nur ihrer Versicherung den Schadensersatz ersparen. Aber nicht mit mir.“

Zur allgemeinen Überraschung beendete an diesem Punkt Jörg Bollermann das Verhör. Er stand auf, reichte Henning Reger die Hand und verabschiedete sich mit den Worten: „Ich denke, wir haben sie genug befragt. Ich für meinen Teil konnte mir eine Meinung bilden. Ich werde umgehend mit meinem Chef beraten, wie unsere Assekuranz sich das weitere Verfahren vorstellt. Ich denke, sehr geehrter Herr Reger, sie hören bald von uns.“

Nachdem Bollermann und der Gutachter Regers Büro verlassen hatten, riss Reger die Tür auf und brüllte: „Kühne, wo sind sie denn. Sofort in mein Büro.“ Jens Kühne hatte schon auf Regers Aufforderung gewartet. Halb im Laufschritt stürmte der drahtige Mittvierziger die Treppe hinunter und wäre fast gestolpert. Jens Kühne war Regers engster Vertrauter. Beide kannten sich seit zwanzig Jahren. Kühne oblag die Organisation und Kontrolle des Baugeschäftes. Er war kein ausgebildeter Bauingenieur, hatte aber umfangreiche Erfahrungen, so dass er es mit jedem Polier aufnehmen konnte. Er war sich auch nicht zu schade, auf den Baustellen selber mit Hand anzulegen. Er nahm unaufgefordert am Konferenztisch Platz und sah Reger fragend an: „Wie ist es gelaufen? Haben sie den Idioten Beine gemacht?“ Reger holte aus seinem Schreibtisch eine Flasche Cognac, goss sich und Kühne ein Glas ein und prostete Kühne zu: „Das läuft, die kommen noch angekrochen. Einfacher wäre es aber gewesen, wenn das Feuer nicht im Keller ausgebrochen wäre. Der verkohlte Holzstapel hat sie stutzig gemacht. Aber Schwamm drüber. Ich weiß von nichts. Je weniger ich weiß, umso besser. Dann kann ich mich wenigstens nicht verquatschen.“

Kühne kippte sich den guten Cognac stoisch hinter die Binde: „Ist klar, Chef. Nur der Peter Riedel macht mir Sorgen. Hat der tatsächlich belastbare Beweise für unsere Beteiligung am Brand oder pokert der nur clever?“

Henning Reger goss sich einen zweiten Cognac ein, hob sein Glas und sagte: „Trinken wir auf das Gedenken von Peter Riedel. Er war ein feiner Kerl, wir werden ihn alle sehr vermissen.“ Als er das verdutzte Gesicht Kühnes bemerkte, brach er in lautes Lachen aus: „Sie wissen es offenbar noch nicht. Peter Riedel wurde heute Nacht ermordet. Von dieser Seite droht uns keine Gefahr mehr.“ Jens Kühne lief es eiskalt den Rücken runter. Er wagte nicht, nach dem Täter zu fragen. Sein Chef wird doch nicht etwa? Aber nein, nicht wegen 500.000 Euro. Obwohl, zuzutrauen wäre es ihm schon. Bei dessen Verbindungen zur Unterwelt war alles vorstellbar. Von ihm stammte auch der Plan für den heißen Abriss der Bauruine. Kühne hatte in der Silvesternacht die Fenster geöffnet, damit Raketen und Knaller ungehindert in das Haus eindringen konnten. Kühne war noch der Auffassung, dass sie sich darüber hinaus nicht am Ausbruch des Brandes beteiligt hatten. Überzeugt von der Unschuld seines Chefs war er aber nicht.

3. Unter Verdacht

Kommissar Horst Hansen gab viel auf sein Bauchgefühl. Der ganze Schnickschnack mit Psychologie und Täterprofilen war ihm zuwider. Der Hauptweg zum Täter führte über dessen Motive. Also ging es jetzt darum, sich eine Übersicht von den Motiven der potentiellen Tätern zu verschaffen. Das erste Gespräch mit Frau Riedel hatte keine Ergebnisse gebracht. Aber das kannte er schon von anderen Fällen. Die engsten Angehörigen der Opfer benötigten Zeit, um die Situation zu begreifen. Konkrete Hinweise auf Tatverdächtige konnte man im ersten Gespräch kaum erhalten. Hansens nächster Weg sollte ihn zu Sylvia Goethe führen. Die war aber leider nicht mehr im Büro. Hansen schimpfte leise vor sich hin, denn er hatte Frau Goethe ausdrücklich aufgefordert, auf ihn zu warten. Was konnte es für sie Wichtigeres geben, als den Mörder ihres Chefs zu entlarven.

Polizeimeister Otto hatte aus den wütenden Selbstgesprächen seines Vorgesetzten entnommen, dass dieser auch ein persönliches Anliegen hatte, das er mit Frau Goethe besprechen wollte. Hansen brauchte eine Wohnung. Otto sprach ihn darauf an. Er tat das nicht, um sich bei Hansen einzuschmeicheln. Nein, es war einfach sein Naturell, hilfsbereit zu sein. Er fragte Hansen, wo er derzeit wohne. Hansen gab nur widerwillig zur Auskunft, dass er im Bodetal eine Ferienwohnung gemietet habe. „Das ist aber keine Dauerlösung. Erstmal ist das zu teuer. Die Übernachtung kostet mich 60 Euro. Das sind 1800 Euro im Monat. Zu anderen ist es mir dort zu leise. Es ist nachts so ruhig, dass ich nicht schlafen kann. Ich habe in Hamburg in der Arminiusstraße gewohnt. Mein Unterbewusstsein vermisst Puls der Weltmetropole Hamburg. Hier ist so still, dass man glaubt, gestorben zu sein.“

Der gut vernetzte Otto versprach Hilfe. Er kramte aus seiner Jackentasche ein betagtes Handy und führte ein ausführliches Telefonat. Nicht ohne Stolz informierte er Hansen über das Resultat seines Engagements: „Ich kenne einen Anwalt, der mehrere Villen in der Quedlinburger Bahnhofstraße besitzt. Das ist eine der verkehrsreichsten Straßen dieser Stadt. Sie können dort sofort eine Dreizimmer Wohnung mit Balkon mieten. 70 Quadrat-meter für 650 EURO kalt. Wenn sie möchten, können wir sofort hinfahren.“

Und ob Hansen wollte. Das Wohnungsproblem war ihm leid. Er war von der falschen Prämisse ausgegangen, dass der Wohnungsmarkt in Quedlinburg nicht so angespannt war wie der Hamburger. Für ihn war Ottos Angebot ein Glücksfall, den man nicht ausschlagen durfte. Später sollte er diese schnelle Entscheidung noch bereuen. Denn Quedlinburg bot zahlreiche freie Wohnungen, viele davon besser als das Mietobjekt des Anwalts.

Der Anwalt wartete schon, als sich Hansen mit seinem großen Citroen durch die enge Toreinfahrt auf das Grundstück quetschte. Sofort schüttete er einen Wortschwall über Hansen aus. Hansen hörte nur mit einem Ohr hin. Er übersah, dass die Wohnung im Dachgeschoss war. Da der Anwalt bei der Modernisierung seiner Mietobjekte hinten und vorne gegeizt hatte, war das Dachgeschoss unzureichend isoliert. Die schicke Wohnung war im Winter zu kalt und im Sommer zu heiß. Sie lag in der dritten Etage, und sie gefiel Hansen. Von der Küche konnte er den Schlossberg mit der Stiftskirche sehen, vom Wohnzimmer den Bahnhof. Gerade fuhr die Harzer Schmalspurbahn los, dicke Rauchwolken pustend. „Ja, ist gut, wann kann ich einziehen“, unterbrach er den Anwalt. Der war von der schnellen Zusage überrascht, stimmte aber zu, dass Hansen zum nächsten Ersten einziehen durfte. Als ihn Otto im Hinausgehen fragte, ob er denn mit dem neuen Mieter zufrieden sei, kam der stinkreiche Anwalt ins Jammern: „Wie soll ich zufrieden sein bei 650 EURO Miete. Hätten sie mich nicht informieren können, dass der Kommissar so dringend eine Wohnung sucht und das Hamburger Mietenniveau gewohnt ist? Der hätte doch auch 1.000 EURO bezahlt!“

Der Tag war inzwischen 17 Stunden alt. Hansen bat Otto, Frau Goethe anzurufen, ob sie jetzt zu sprechen sei. Hansen dachte nicht an den Feierabend. Die ersten 24 Stunden nach dem Verbrechen waren entscheidend für den Erfolg der Ermittlungen. Da gab es keinen Platz für einen gemütlichen Feierabend. Hansen brauchte schnellen Kontakt mit den potentiellen Tätern. Er konnte deren Angst förmlich riechen. Er besaß einen doppelten Geruchssinn. Wenn er bei guter Laune war, verglich er sich gerne mit einem Spürhund. Und ebenso aufschlussreich waren für Hansen die Augen des Täters. Er konnte darin lesen wie in einem Buch.

Otto hatte inzwischen Frau Goethe erreicht und teilte Hansen mit, er könne sie im Büro sprechen. „Was bedeutet, ich kann sie sprechen“, fragte Hansen verwundert, „sie kommen natürlich mit.“ Otto druckste herum. Hansen bemerkte das: „Geht es ihnen nicht gut, oder weshalb sehen sie laufend auf die Uhr?“ Otto kleinlaut: „Es ist nur, wir haben hier in Quedlinburg immer um 16.30 Uhr Dienstschluss. Ich habe heute meinen monatlichen Skatabend. Den kann ich nicht absagen, denn er findet heute bei mir statt.“ Hansen lachte an diesem ersten Diensttag zum wiederholten Mal laut auf: „Das ist doch ganz einfach zu regulieren. Sie rufen ihre Frau an und sagen ihr, dass sie heute spät oder gar nicht nach Hause kommen. Der Skatabend fällt aus. Punkt!“

Der Citroen hielt mit quietschenden Reifen vor Riedels imposanten Anwesen. Hansen schritt schnell die lange Zuwegung herauf und riss die Haustür auf. Frau Goethe hatte den Mantel an und wollte gerade das Haus verlassen. Hansen verwundert: „Wie das, warum wollen sie gehen. Wir sind doch verabredet?“ „Tut mir leid, das geht nicht“, erwiderte sie, „ich muss nach Hause. Meine Familie braucht mich.“ Hansen schwoll der Kamm: „Sie bleiben jetzt hier. Oder, wenn sie das nicht wollen, nehme ich sie vorläufig als Tatverdächtige fest. Dann können wir uns im Revier unterhalten.“ Er überschritt damit seine Kompetenzen. Aber was solls, er musste diese Frau jetzt befragen.

Frau Goethe ließ sich von Hansens Drohung einschüchtern. Sie schloss die Bürotür auf und ging voran in das Beratungszimmer. Hansen und Otto folgten ihr schweigend. Hansen war klar, dass seine ursprüngliche Absicht, ein gutes Verhältnis zu Frau Goethe herzustellen, gescheitert war. Dann eben nicht im Guten, sagte er sich und zu Frau Goethe: „Wir erwarten von ihnen Hinweise auf mögliche Täter. Also, kennen sie jemanden, der Riedel bedroht hat, oder mit dem er ernsthaften Streit hatte? Hat er in jüngster Zeit jemandemgroßen Schaden zugefügt?“

„Ich fürchte, da kann ich ihnen nicht helfen“, Frau Goethe legte ihre Hand flach auf den Tisch, als wolle sie einen Endpunkt unter das Gespräch setzen. Aber Hansen ließ nicht locker: „Wir bleiben jetzt hier so lange sitzen, bis sie uns helfen. Wenn es sein muss, die ganze Nacht.“ Da Frau Goethe keinen Grund kannte, Hansen nicht zu glauben, begann sie zögerlich zu berichten: „Ich bin über die Kundenbeziehungen Riedels nicht informiert, kann ihnen nur das sagen, was ich so nebenbei mitbekommen habe. Riedel hatte großen Krach mit einem Ehepaar Schneider aus Köln. Denen hat er durch seine schlechte Beratung einen Schaden von 700.000 Euro verholfen.“ Heinz Otto warf ein: „Die Schneiders wohnen in Kölln, damit kommen sie als Täter nicht in Frage.“ Frau Goethe schüttelte den Kopf: „Das ist nicht richtig. Schneiders besitzen hier noch ein Haus mit Ferienwohnungen. Sie halten sich gerade in Quedlinburg auf.“

„Gut“, Hansen freute sich über diese Initiative Frau Goethes, wer hätte noch ein Motiv gehabt?“ Frau Goethe konzentriert nachdenkend: „Das könnte ich mir bei Herrn Reger vorstellen, der mit Riedel einen heftigen Streit in unserem Büro hatte. Dann wäre da noch die Zahnärztin Dr. Heise, die er ins Unglück gestürzt hat und schließlich noch Herr Balzer aus Thale.“

„Balzer?“, Hansen fragte nach, „ist das nicht der Balzer, der die Leiche gefunden hat? Welchen Streit hatte denn der mit Riedel?“

„Balzer hat einen Baubetrieb“, antwortete Frau Goethe, „er hat für Riedel als Generalunternehmer eine Seniorenresidenz gebaut. Wegen angeblicher Baumängel hat Riedel ihm die Bezahlung der beiden letzten Raten verweigert.“

Hansen: „Wissen sie, um welchen Betrag es sich dabei handelt?“

Frau Goethe: „Nein, das weiß ich nicht. Es wird nur in Thale gemunkelt, dass Balzer deswegen vor dem Bankrott stehen soll.“ Und nach einer längeren Pause: „Das wäre dann auch alles, was ich ihnen zu den Verdächtigen sagen kann. Darf ich jetzt nach Hause fahren?“

„Ja, natürlich“, Hansen nickte ihr zu, „vorher suchen sie mir aber bitte noch die Adressen und Telefonnummern der Genannten raus. Außerdem müssen sie mir jetzt ihre Büroschlüssel geben. Das Büro wird ab sofort geschlossen und versiegelt. Wir müssen es gründlich untersuchen.“

Es war 18.00 Uhr als Frau Goethe nach Hause fuhr. Hansen erteilte Otto noch Anweisungen: „Sie fahren jetzt nach Quedlinburg zum Ehepaar Schneider. Teilen sie denen mit, dass sie vorerst Quedlinburg nicht verlassen dürfen. Ich werde sie, sobald ich kann, befragen. Wir haben bis 22.00 Uhr noch vier Stunden Zeit. Bis dahin kann ich die Leute stören. Ich fange mit dem Balzer an, der ist Thalenser. Wir treffen uns in einer Stunde im Büro von Riedel .“

Als Hansen in seinem Citroen saß, zwang er sich inne zu halten. Wie so oft führte er ein Selbstgespräch, um sich zu beruhigen. Das hatte ihm eine Psychotherapeutin empfohlen. Und es tat ihm gut. Erst einmal tief in den Bauch atmen, Luft anhalten und dann langsam ausatmen. Was hatte er bis jetzt schon erreicht? Er konnte nicht alle Spuren mit gleicher Intensität verfolgen. Auf wen sollte er sich konzentrieren? Ingo Balzer hatte er bereits getroffen. Er hatte sich schon einen Eindruck von ihm verschafft. Den musste er heute nicht noch einmal befragen.

Wie so oft während seiner Selbstmeditationen schweiften seine Gedanken ab. Er ließ das zu. Sie führten ihn nach Hamburg in die Albertine-Assor-Straße. Wie es wohl Anja Neumann, seiner ehemaligen Freundin, ging. Er hatte die Trennung noch nicht verarbeitet. Ihre schöne Wohnung am Hamburger Stadtrand war für ihn ein wichtiger Ruhepol seines hektischen Lebens gewesen. Wie sehr hatte er es geliebt, abends auf der kleinen Terrasse ein Bier zu trinken. Nicht, um mit der Seele zu baumeln. Dieser Spruch war ihm zu abgenutzt. Er sagte lieber: Um Ruhe zu atmen. Aber es war ihm immer nur um ihn und um seine Arbeit gegangen. Die stille Anja hat das lange, sehr lange ertragen. Bis sie auf einmal nicht mehr konnte. Dann hat sie ihn aufgefordert, für immer zu gehen. Sie gab ihm keine zweite Chance. Sie sagte, er hätte schon sieben Chancen nicht genutzt. Zuviel sei zu viel.

Es war damals ein nasskalter Novemberabend, als er von Anja wegfuhr. Er war nicht in der Stimmung, um einen Kinderschänder festzunehmen, aber er musste es tun. Der fette und nach altem Schweiß stinkende Anwalt verhöhnte und bedrohte ihn noch. Er hätte die besten Anwälte, und Hansen solle sich vorsehen, sonst könne er zur Müllabfuhr wechseln. Da war Hansen explodiert. Er nahm sich den feisten Pädophilen 12 Stunden vor. Bis der todmüde und durstig alles zugab. Auch hatte Hansen seine Fäuste nicht unter Kontrolle. Nicht zum ersten Mal. Sein Chef konnte ihn danach nicht mehr schützen. Hansen musste gehen. Der Pädophile kam ungeschoren davon. Er widerrief sein Geständnis, da es unter Gewaltanwendung erpresst worden sei.

Und nun ist er Leiter der Mordkommission in diesem öden Provinznest. Immerhin konnte er heute sein Wohnungsproblem lösen. So schnell wäre ihm das in Hamburg nicht gelungen. Aber schön wohnen ist nicht sein wichtigster Wert. Er war sehr gerne Polizist. Und er wurde hier gebraucht. Seine innere Stimme sagte ihm, er solle zunächst mit der Witwe reden. Die weiß mehr als sie gesagt hatte. Hansen drehte die Autoscheibe hinunter, warf die Kippe auf die menschenleere Straße, zog den Zündschlüssel wieder aus dem Schloss und stieg aus dem Wagen.

Als Cornelia Riedel die Tür öffnete, war sie nicht überrascht, dass Hansen geklingelt hatte. Sie trug immer noch die hellblaue Bluse zur schwarzen Hose. Lediglich die Pumps hatte sie gegen bequeme Hausschuhe getauscht. „Herr Kommissar“, sagte sie monoton „noch so spät unterwegs. Ich dachte, sie hätten schon Feierabend.“

Hansen ging auf diese unwirsche Begrüßung nicht weiter ein, sondern entschuldigte sich für die Störung: „Aber ich muss noch mehr über das Opfer wissen. Nur die genaue Kenntnis der Lebensumstände des Opfers führt uns Kriminalisten in der Regel zum Täter.“

Frau Riedel hatte sich schon wieder unter Kontrolle: „Wenn ich ihnen dabei helfen kann, sehr gerne. Schließlich bin ich die Frau des Opfers. Wem kann mehr an der Entlarvung des Mörders gelegen sein als mir?“

„Erlauben sie mir bitte einige sehr persönliche Fragen“, Hansen sah ihr offen ins Gesicht, „wie war der Zustand ihrer Ehe. Hatten sie oder ihr Mann Verhältnisse mit anderen Frauen oder Männern. Ich frage das deshalb, weil die Motive für Verbrechen oftmals aus Eifersucht entstehen.“

Frau Riedel ging zur Hausbar, goss sich Rotwein in ein großes Glas und blickte Hansen fragend an: „Für sie auch ein Glas Rotwein oder lieber was anderes, vielleicht einen Whisky?“ Und als Hansen dankend ablehnte fuhr sie fort: „Sie müssen wissen, dass wir seit zwanzig Jahren verheiratet sind. Wir kennen uns seit dem Sandkasten. Er war meine große Jugendliebe. Aber leider hat die Wende seinem Charakter sehr geschadet. Er wurde zu gierig. Kannte kaum noch Anstand und Moral.“ Ihr kamen die Tränen. Hansen gab nicht nach. Er hatte sie da, wo er sie haben wollte. Er ließ sich nun doch ein Glas Rotwein einschenken und baute gekonnt eine vertrauensvolle Atmosphäre auf. Er war nun nicht mehr der Kripobeamte, der einen Mord aufzuklären hatte, sondern der mitfühlende Zuhörer. „Ja, das liebe Geld“, sagte er seufzend, „das hat schon mancher Ehe geschadet. Hatte denn ihr Mann Beziehungen zu einer anderen Frau?“

Cornelia Riedel verdrehte nur die Augen: „Zu einer Frau, fragen sie lieber, zu wie vielen. Er war hemmungslos. Unsere Ehe bestand nur noch pro forma.“

„Können sie mir Namen sagen?“