12,99 €
Wenn nach dem Happy End der Albtraum beginnt ...
»Ein sensationelles Thrillerdebüt. Bestgen hat mich gepackt, mitgerissen und nicht mehr losgelassen!« Linus Geschke
Gerade noch lag der kleine Ben fröhlich brabbelnd auf seiner Krabbeldecke, kurz darauf ist er nicht mehr da. Isa erlebt ihren dunkelsten Albtraum, als ihr vier Monate alter Sohn spurlos verschwindet. Nach mehr als einem halben Jahr taucht Ben plötzlich wieder auf, doch seine Rückkehr bleibt so rätselhaft wie sein Verschwinden. Während die Polizei nach Antworten sucht, setzt Isa alles daran, die verlorene Zeit mit ihrem Sohn nachzuholen. Dabei werden tief in ihr die Zweifel immer lauter. Hatte Ben schon immer diese klaren blauen Augen? Aufmerksam betrachtet Isa jede Abweichung - und stellt sich weitere Fragen. Fragen, die schon bald vermuten lassen, dass hinter der Fassade einer scheinbar heilen Welt dunkle Abgründe lauern ...
Perfide Manipulation und dunkle Lebenslügen - das atemberaubende Thrillerdebüt einer jungen Psychologin
»Was für ein Debüt! Die Psychologin Sarah Bestgen weiß sehr genau, wozu Menschen in der Lage sind. HAPPY END ist eine emotionale Achterbahnfahrt für die Protagonisten und die Leser. Höhen und Tiefen des menschlichen Lebens wechseln sich gekonnt ab, schleudern einen von einer Vermutung zur nächsten und zerren an den Nerven. Aber kaum ist die Fahrt zu Ende, möchte man vor Begeisterung rufen: Noch mal!«
Mike Altwicker, WDR4
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 601
Wenn nach dem Happy End der Albtraum beginnt … Gerade noch lag der kleine Ben fröhlich brabbelnd auf seiner Krabbeldecke, kurz darauf ist er nicht mehr da. Isa erlebt ihren dunkelsten Albtraum, als ihr vier Monate alter Sohn spurlos verschwindet. Nach mehr als einem halben Jahr taucht Ben plötzlich wieder auf, doch seine Rückkehr bleibt so rätselhaft wie sein Verschwinden. Während die Polizei nach Antworten sucht, setzt Isa alles daran, die verlorene Zeit mit ihrem Sohn nachzuholen. Dabei werden tief in ihr die Zweifel immer lauter. Hatte Ben schon immer diese klaren blauen Augen? Aufmerksam betrachtet Isa jede Abweichung – und stellt sich weitere Fragen. Fragen, die schon bald vermuten lassen, dass hinter der Fassade einer scheinbar heilen Welt dunkle Abgründe lauern … Perfide Manipulation und dunkle Lebenslügen – das atemberaubende Thrillerdebüt einer jungen Psychologin.
Sarah Bestgen, Jahrgang 1990, lebt mit ihrer Familie im Rheinland. Sie studierte Psychologie in Köln und Bonn und arbeitete rechtspsychologisch und klinisch, bevor sie für eine renommierte Personalberatung in der Führungskräfteauswahl und -entwicklung tätig wurde. Neben ihrer Faszination für Menschen, ihre Geschichten und ihre psychischen Abgründe ist Schreiben ihre große Leidenschaft. Verbinden konnte sie beides in ihrem Thrillerdebüt HAPPY END.
Vollständige E-Book-Ausgabe
des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes
Originalausgabe
Dieses Werk wurde vermittelt durch dieAVA international GmbH Autoren- und Verlagsagentur, München.www.ava-international.de
Copyright © 2024 byBastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6–20, 51063 Köln
Vervielfältigungen dieses Werkes für dasText- und Data-Mining bleiben vorbehalten.
Textredaktion: Christiane Branscheid, Bremervörde
Umschlaggestaltung: Kristin Pang
Einband-/Umschlagmotiv: © Magdalena Russocka/Trevillion Images
eBook-Produktion: hanseatenSatz-bremen, Bremen
ISBN 978-3-7517-6119-2
luebbe.de
lesejury.de
Für meine Kinder, die mir alles bedeuten
Sie presste sich gegen die Hauswand und versuchte, eins mit ihr zu werden. Jede einzelne Erhebung des scharfkantigen Fassadenputzes kratzte schmerzhaft über die Haut ihrer Arme. Angestrengt lauschte sie in die Nacht hinein, doch das Hämmern ihres Herzens übertönte alles. Ein Wimmern wartete in ihrer Kehle, kurz davor, herauszubrechen. Sie nahm all ihren Mut zusammen und spähte um die Ecke. Fuhr gleich darauf zurück. Holte Luft. Beugte sich noch einmal nach vorn.
Dunkelheit. Und blasse Schemen. Das Licht der Straßenlaternen versickerte in der Finsternis. Ein Schatten hinter der Bushaltestelle. Eine Silhouette an der gegenüberliegenden Straßenecke. Sie kniff die Augen zusammen. Bewegte sie sich? Ihre Blicke jagten hin und her, scannten die Umgebung in Sekundenschnelle.
Hinter ihr raschelte es. Ohne es verhindern zu können, schrie die junge Frau auf und fuhr herum. Eine Gestalt löste sich aus der Dunkelheit und kam langsam auf sie zu.
Die Erleichterung über das Maunzen der streunenden Katze war nur von kurzer Dauer. Sofort brandete das Gefühl der Bedrohung zurück in ihr Bewusstsein, das sie schon so lange in seinen Klauen hielt. Es hatte Falten der Anspannung in ihr einst hübsches Gesicht gegraben. Es war aussichtslos. Dieser Gedanke war in den letzten Monaten immer lauter und wuchtiger geworden. Aussichtslos, dass sie ewig entkommen konnte. Sie war zum Risiko geworden und der vermeintlich sichere Hafen zur Gefahr.
Sie sah den Ausweg vor sich. Drehte und wendete ihn, betrachtete ihn noch einmal von allen Seiten. So lange hatte sie darüber nachgedacht. Sich irgendwann dazu durchgerungen, alles vorzubereiten. Nun war der Zeitpunkt gekommen und mit ihm der letzte Funken Mut, der noch gefehlt hatte. Sie würde die Jagd beenden.
Als sie sicher war, nicht innerhalb der nächsten Sekunden niedergerissen zu werden, tastete sie sich im Schatten der Hauswand zu einem abgelegenen Hauseingang vor und ließ sich auf dem fleckigen Beton nieder. Dort zog sie alles, was sie benötigte, aus ihrer Umhängetasche. Pulver. Wasser. Löffel. Feuerzeug. Eine Spritze. Sie musterte die Gegenstände, die für sich gesehen so harmlos wirkten. Ihre Hände zitterten unkontrolliert, immer wieder musste sie Pausen machen, immer wieder warf sie gehetzte Blicke in die Dunkelheit der Straße. Irgendwann, endlich, zog sie die klare Flüssigkeit auf und befestigte die Kanüle auf der Spritze. Ein leichter Druck auf den Kolben, ein vibrierender Tropfen auf der Nadelspitze. Geschafft.
Die junge Frau atmete tief durch, das erste Mal seit langem. Wie paradox, dachte sie, als sie ihren Arm abband und eine Vene suchte. Dann schaute sie in den Himmel und sog das Bild des wolkenverhangenen Mondes in sich auf. Tränen lösten sich aus ihren Wimpern. Für einen Moment schloss sie die Augen und versuchte, sich auf ihren Atem zu konzentrieren. Die Luft um sie herum war warm und duftete nach Sommer. Nach Blumen und nach besseren Zeiten. So unschuldig. Sie versuchte, ihren Mut festzuhalten. Oder war es eher die Reinform von Verzweiflung? Schluchzend stieß sie die Luft aus, setzte die Spritze an und injizierte die tödliche Dosis.
Augenblicklich zerriss der Kummer ihr Herz.
»Du bist nun in Sicherheit, mein Schatz«, schluchzte sie, in Gedanken fest bei dem Einzigen, was je für sie gezählt hatte. »Ich werde dort oben bei den Sternen sein und immer auf dich aufpassen. Bitte verzeih mir. Ich habe keine andere Wahl.« Ihre Stimme brach. »Ich liebe dich so sehr. Für immer und ewig.«
Als sie spürte, wie Kälte und Schwere von ihr Besitz ergriffen, versuchte sie, ihr gemeinsames Schlaflied zu summen. Sie konnte ihrer eigenen Stimme anhören, wie die Nacht sie einnahm und mit sich forttrug. Sie wehrte sich nicht. Nicht mehr.
Die zarte Melodie erstarb. Eine kurze Zeit darauf schlug ihr Herz ein letztes Mal. Und schickte, ebenfalls ein letztes Mal, die alles überdauernde Liebe einer Mutter durch die stillen Straßen zu ihrem Kind.
Die grau getigerte Katze blieb noch einen Moment sitzen. Schließlich erhob sie sich, streckte ihren schlanken Körper und verschwand, eine Pfote schüttelnd, leise in der Dunkelheit.
Ben gluckste, als Mark ihm auf den kleinen runden Babybauch pustete.
»Hast du das gehört?« Mark drehte sich zu Isa um, die auf der Bettkante saß und sich gerade eine Socke über den Fuß streifte. »Er hat gelacht! Mit Ton!«
Isa grinste beim Anblick ihres Mannes, dem die braunen Haare wirr vom Kopf abstanden. Sein ganzes Gesicht leuchtete vor Freude.
»Ja, erinnerst du dich nicht? Ich habe dir doch erzählt, dass er das seit ein paar Tagen macht.« Sie schmunzelte und griff nach ihrem Oberteil.
Während sie sich fertig anzog, vergrub Mark sein Gesicht am Hals ihres gemeinsamen Sohnes, der erneut ein entzückendes giggelndes Lachen hören ließ.
Isa stand auf, um ins Badezimmer zu gehen, hielt aber noch einmal an der Türschwelle inne, ganz in die heitere Szene auf dem großen Bett versunken. So lange hatte sie von Momenten wie diesem geträumt. Sie lächelte noch immer, als sie vor dem Badezimmerspiegel stand und Zahnpasta auf die Borsten ihrer Zahnbürste drückte.
Als sie gerade dabei war, ihre dunkelblonden Locken in irgendeine Art von Zopf zu zwängen, erschien Mark hinter ihr und legte Ben in seine Wippe, die vor der Badewanne auf dem Boden stand.
»Ich habe die Zeit total aus den Augen verloren.« Hektisch griff er nach seiner Zahnbürste.
»Ja, wo wir gerade dabei sind«, erwiderte Isa und fluchte, weil sich das Haargummi völlig in ihrer Mähne verfangen hatte. »Kannst du nach der Arbeit noch die Getränke besorgen? Ich schaffe es heute nicht mehr zum Supermarkt.«
Ihr Blick wanderte über das Holzregal neben der Dusche, das mitsamt den Kosmetikprodukten darauf reichlich Staub angesetzt hatte, und blieb an der Wäsche in der Ecke des dunkelgrau gefliesten Raumes hängen, die sich neben, in und auf dem Wäschekorb türmte. Mark folgte ihrem Blick, spuckte die Zahnpasta aus und beugte sich unter den Wasserhahn.
»Du weißt, dass du dir nicht so eine Mühe machen musst, Schatz, oder? Es wissen doch alle, dass wir ein Baby haben«, sagte er, als er wieder auftauchte.
Isa würde seine Gelassenheit gerne teilen, doch im Gegensatz zu ihrem Mann machte sie das bevorstehende Nachbarschaftsfest schon seit Tagen nervös.
Isa und Mark Winterberg lebten bereits seit ein paar Jahren in einem hübschen Reihenhaus am östlichen Stadtrand von Köln, hatten seitdem aber nie Zeit für eine Einweihungsfeier gefunden. Mark war beinahe rund um die Uhr mit dem Aufbau seiner Kinderarztpraxis beschäftigt gewesen, während Isa, die ohnehin kein besonders geselliger Mensch war, auf ihre Schwangerschaft und schließlich den kleinen Ben fokussiert gewesen war. So sehr, dass selbst der Kontakt zu ihrer ältesten Freundin aus Sandkastenzeiten eingeschlafen war, die mit diesem neuen Lebensinhalt von Isa nicht viel hatte anfangen können und noch weniger mit Isas häufigen Absagen.
Isa war ihre zunehmende Isolierung lange gar nicht aufgefallen, hatte sie mit ihrer kleinen Familie doch alles, was sie je vom Leben gewollt hatte. Doch je älter Ben wurde, desto mehr wurde ihr bewusst, dass ihr kleiner Sohn früher oder später auch Kontakt zu Menschen außerhalb seiner Familie brauchte. Und dass auch sie sich langsam wieder nach einem Austausch mit anderen Erwachsenen sehnte.
Also hatten Mark und sie entschieden, mit ihren Nachbarn anzufangen und eine nachträgliche Einweihungsfeier zu veranstalten, um alle etwas besser kennen zu lernen.
Eingeladen hatten sie Linda Rosauer, eine freundliche und mütterliche Frau in den Sechzigern, die direkt neben ihnen wohnte und ihr Haus und ihren Garten bedauerlicherweise perfekt im Griff zu haben schien. Isa musterte die Zahnpastaflecken in den Steinwaschbecken und seufzte.
Weil Linda kommen würde, hatten sie auch ihren Neffen Jakob Sanders einladen müssen, dessen Vorgarten ein paar Häuser weiter ebenfalls der Inbegriff von Akkuratheit war. Isa fühlte sich in seiner Nähe immer etwas unwohl, denn Jakob war irgendwie eigentümlich, auf eine Art, die man schlecht in Worte fassen konnte. Er lebte eher zurückgezogen und verhielt sich höflich, doch sein Blick ruhte stets eine Sekunde zu lang auf Isa, obwohl er einem direkten Augenkontakt ansonsten tunlichst auswich. Mark hatte ihn einmal als das perfekte Klischee des verschrobenen alleinstehenden Mannes beschrieben, über den nach einer Straftat alle sagen würden, dass er sich so angepasst verhalten habe, dass es – im Nachhinein betrachtet – doch wieder auffällig gewesen sei. Außerdem würden noch Michaela und ihr Mann Sven kommen, ein wirklich nettes Pärchen in den Fünfzigern, deren Haus sich auf der anderen Seite an ihres anschloss, und Monika von gegenüber, eine alleinstehende Osteopathin, die immer etwas zu laut und etwas zu herzlich wirkte – vor allem in Gegenwart von Sven.
Isa war fast erleichtert, dass die übrigen Nachbarn abgesagt hatten, immerhin musste sie als gute Gastgeberin mit jedem ihrer Gäste ein Gesprächsthema finden. Nicht zum ersten Mal erschien es ihr wie eine glückliche Fügung, dass sie einen Mann geheiratet hatte, der im Gegensatz zu ihr gerne und ohne jegliche Schwierigkeiten mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen schien. Er würde die Party heute Abend am Laufen halten müssen; Isa sah zu Mark hinüber, der gerade verzweifelt darum bemüht war, seine zerzausten braunen Haare mit Wasser zu bändigen, und schmunzelte.
Zehn Minuten später verabschiedeten Isa und Ben Mark an der Haustür, der in Jeans und lockerem Hemd wie immer außerordentlich gut aussah.
»Bis heute Abend, ihr beiden! Und Isa, stress dich nicht zu sehr!«, rief Mark auf dem Weg zum Auto und winkte.
Isa machte ein unbestimmtes Geräusch, hob Bens Hand und ahmte das Winken nach. »Tschüss, Papa!«
Ben verzog den Mund zu einem Lächeln.
Sie sahen Marks Landrover nach, bis er um die nächste Straßenecke verschwunden war.
»›Stress dich nicht zu sehr.‹ Scherzkeks. Dein Vater hat gut reden, oder, mein Kleiner?« Isa schloss die Haustür. »Jetzt steht nur noch das Frühstück zwischen uns und der Bewältigung dieses Chaos hier.«
Ihr Blick wanderte über die Wäschekörbe am Treppenabgang zum Keller, verstreutes Spielzeug, die Garderobe, an der sich Winter- wie Sommerjacken türmten, und fiel schließlich auf die nachtblaue Fotowand zwischen Gäste-WC und Küche, an der in hellem Holz gerahmte Aufnahmen hingen. Mit Ben auf dem Arm trat Isa näher und strich über das Glas eines ihrer Hochzeitsfotos.
»Schau, Ben. Das sind Mama und Papa noch ohne dauerhafte Augenringe.« Sie unterdrückte ein spontanes Gähnen. Die vergangene Nacht war hart gewesen. »Kaum zu glauben, dass wir mal ohne dich waren.«
Ben sah aufmerksam zu ihr hoch, als könne er genau verstehen, was sie sagte. Sie strich ihm eine Locke aus der Stirn und gab ihm einen Kuss auf den Kopf. Prompt griff er ihr fest in die Haare.
»Autsch!«, rief Isa, löste ihre Haare hastig aus den kleinen Babyfingern und griff gerade noch rechtzeitig nach einem heftig pendelnden Bilderrahmen, den sie während ihrer Befreiungsaktion mit dem Ellbogen angestoßen hatte.
»Du bist mir einer.« Isa rieb sich über ihre Kopfhaut. »Ganz schön viel Kraft für deine vier Monate.« Sie musterte die kleine, unscheinbare Waldhütte, die auf dem Foto abgebildet war. »Gerade nochmal gut gegangen. Wenn das Bild kaputtgegangen wäre, wäre dein Papa traurig gewesen.«
Die Hütte stand auf einer Lichtung, ganz in orangefarbenes Licht getaucht, das durch umliegende Nadelbäume sickerte. Ein friedlicher Ort und doch so einsam. Ein Ort, der Mark während seiner Jugend vermutlich mehr eine Heimat gewesen war, als es sein tatsächliches Zuhause jemals hätte sein können.
Ein trommelfellzerfetzender meckernder Ton riss Isa aus ihren Gedanken.
»Schon gut, schon gut. Ich habe verstanden. Zeit für deine Milch«, erwiderte sie lachend. »Wir wollen ja nicht, dass du verhungerst.«
Wenige Stunden später holte Isa die letzten Kleidungsstücke aus dem Trockner. Zufrieden atmete sie den Geruch sauberer Wäsche ein und belud die Maschine ein weiteres Mal. Kurz darauf ging die zarte Melodie von Bens Spieluhr, die sie ihm im Wohnzimmer angestellt hatte, im Dröhnen von Waschmaschine und Trockner unter. Ein vages, kaum hörbares Brummen mischte sich hinein. Es klang wie das Starten eines Motors vor dem Haus. Bestimmt der Postbote. »Hier unten ist es wie im Bunker«, hatte Mark einmal zu Isa gesagt und auf die dicken Wände gezeigt.
Eilig sortierte Isa die fertige Wäsche zu Ende, um Ben nicht länger als nötig allein zu lassen, sah sich noch einmal um, ob sie auch nichts vergessen hatte und stieg mit dem Wäschekorb unter dem Arm die Kellertreppe hinauf. Eine Weile nestelte sie am Treppenschutzgitter und verlagerte die Wäsche ächzend auf die andere Hüftseite. Endlich, es klickte und das Törchen schwang auf. Sie zwängte sich hindurch und stellte den Korb an der Seite ab. Fröstelnd rieb sie sich über die Arme, warf einen Blick auf den Heizkörper und drehte ihn höher.
»So, mein Kleiner, da bin ich wieder!«, rief sie auf dem Weg ins Wohnzimmer und band sich ihre Haare neu zusammen.
Isas Blick fiel auf Bens Krabbeldecke, auf der nur noch seine Lieblingsrassel und seine inzwischen verstummte Spieluhr lagen. Das Törchen der kleinen Umrandung, auf die Mark bestanden hatte, stand offen. Ihr Herz setzte einen Schlag aus. Sie hätte schwören können, es eben verschlossen zu haben. Seit einigen Tagen konnte Ben nicht nur glucksen, sondern sich auch auf den Bauch drehen und wie ein Kreisel fortbewegen. Ein schaler Geschmack legte sich auf Isas Zunge. Offenbar war er auf Erkundungstour gegangen. Hoffentlich hat er sich nichts getan.
»Ben? Wo steckst du?«
Ihr Blick wanderte über den Boden des Wohnzimmers, über die hellblaue Couch, auf der noch ihre Frühstücksschüssel stand, und am Sideboard vorbei. Sie ging um jedes Möbelstück herum, rückte die Esszimmerstühle weg, spähte auch von der hinteren Seite unter den großen Esstisch und bückte sich mit wachsender Sorge unter das Sofa. Zuletzt hob sie die Vorhänge an, die links und rechts neben der Fensterfront zum Garten hingen. Nichts.
Verwirrt und ratlos drehte sie sich um die eigene Achse und ging zurück in den Flur. Ihr Herz pochte hart gegen ihre Rippen. Konnte er so weit gekommen sein? Hatte sie ihn übersehen, als sie aus dem Keller gekommen war? Doch auch im Flur keine Spur von Ben, ebenso wenig in der Küche und dem kleinen Badezimmer neben der Haustür. Als Isa ins Wohnzimmer zurückkehrte, war ihr der Schweiß ausgebrochen. Unschlüssig blieb sie stehen, stemmte die Hände in die Hüften und versuchte, die Situation zu erfassen.
»Ben? Schatz?« Ihre Stimme zerschnitt die Stille, die sich über das Haus gelegt hatte.
Es war eine lähmende Stille, eine von der gespenstischen Art. Eine, die mit der Existenz eines brabbelnden und lebensfrohen Babys nicht vereinbar war. Panik stieg in Isa auf. Sie trabte die Treppe ins Obergeschoss hinauf, rannte durch Schlafzimmer, Badezimmer und Kinderzimmer und fragte sich währenddessen, was sie hier eigentlich tat. Ben konnte weder krabbeln noch laufen, wie sollte er ins Obergeschoss gelangt sein?
»Ben? Wo bist du? Mama macht sich Sorgen!«
Atemlos lief sie die Treppen wieder hinunter und durchsuchte erneut jeden Winkel des knapp neunzig Quadratmeter großen Erdgeschosses. Dann eilte sie in den Keller, wo nach wie vor Waschmaschine und Trockner surrten, anklagend und zynisch, und wieder nach oben. Wieder und wieder durchkämmte Isa das gesamte Haus, eine verzweifelte Wiederholung mit dem immer gleichen Ergebnis: Ben war nicht mehr da. Ihr wurde schwindelig. Hatte sie vollkommen den Verstand verloren?
Isa versuchte, ihre durcheinanderwirbelnden Gedanken zu sortieren. Eben hatte Ben noch friedlich auf seiner Decke gelegen und seine Rassel begutachtet. Er war satt, gewickelt und gut gelaunt gewesen. Wohin sollte ein Baby in den paar Minuten, in denen sie die Wäsche gemacht hatte, verschwinden? Sie schüttelte den Kopf, als wäre sie tatsächlich verrückt geworden, und schloss die Augen. Denk nach. Reiß dich zusammen. Das kann nicht sein. Fieberhaft suchte sie nach irgendeiner logischen Erklärung für diese bizarre Situation. Doch sie fand keine, so sehr sie sich auch anstrengte.
Keine Spur von ihrem quirligen kleinen Sohn. Keine Spur von seinen Speckärmchen und kleinen kräftigen Fingern, die stets alles in ihrer Nähe erkunden wollten und sich mit Vorliebe in ihren Haaren verfingen. Keine Spur von ihrem kleinen Ben. Ihrem Baby. Abermals lauschte sie in die Stille hinein. Nichts. Eine vernichtende Übelkeit stieg in ihr auf.
Isas Blick blieb an der Terrassentür hängen. Es machte keinen Sinn, dennoch riss sie mangels Alternativen die Glastür auf, hastete über die Veranda und die Stufen in Richtung Garten hinunter und rief auch hier nach ihrem Sohn. Schrill. Ein leichter Regen nieselte auf sie hinab, der Märzwind strich kühl über ihre Arme, irgendwo in den Nachbargärten bellte ein Hund. Isa hörte nichts und alles.
Als die besorgte Stimme ihrer Nachbarin Linda über den Gartenzaun hinüberflog, hatte Isa die Terrasse schon wieder halb hinter sich gelassen. In wenigen Sekunden durchquerte sie das Haus und lief auf der anderen Seite zur Haustür hinaus. Ihr Blick jagte nach links und rechts, bevor sie die Stufen auf den Gehweg hinunterstolperte. Keine Menschen, keine fahrenden Autos. Und vor allem keine Spur von Ben. Nur drückende Gewitterwolken und eine Luft, die nach Regen roch.
Ihr Sohn war weg.
Diese grausame Erkenntnis fiel Isa an wie ein wildes Tier und grub ihr die Zähne in den Nacken. Sie schnappte nach Luft. Das kann nicht sein. Ich muss ihn übersehen haben. Erneut hörte sie Lindas Stimme, diesmal seltsam dumpf, und machte zwei Schritte in Richtung Haustür. Die Welt drehte sich rasend schnell, obwohl sie stehen bleiben sollte. Dann wurde alles schwarz.
Stille.
Dann Schreien.
Ihr Herz schrie und stampfte, ihre Ohren brüllten, ihre Kehle drückte. Ihr war eiskalt. Etwas Schlimmes war passiert, aber im ersten Moment konnte Isa nicht greifen, was. Sie lag auf der Couch, in eine Decke gewickelt. Langsam erweiterte sich ihr Sichtfeld. Linda kam aus der Küche und hielt einen dampfenden Becher in der Hand.
»Oh, du bist wach. Das ist gut!« Sie wirkte zerstreut, als sie sich zu ihr setzte und mit der freien Hand an ihrer regenfeuchten rostroten Strickjacke nestelte. »Hier, Liebes. Trink einen Schluck, bitte. Das wird dir guttun. Ich hatte schon Sorge, dass ich einen Krankenwagen rufen muss. Du warst so plötzlich weg. Ein Wunder, dass ich dich überhaupt ins Haus bekommen habe.«
Sie hielt ihr die Tasse hin, doch Isa schüttelte den Kopf.
»Ben«, stieß sie stattdessen aus und krallte ihre Hände in die Decke. Mit einem Schlag stürmte alles auf sie ein.
Linda sah sie mit aufgerissenen Augen an, das warme Braun übergroß hinter den dicken Brillengläsern. Linda würde ihr nun sagen, dass alles nur ein Missverständnis war. Natürlich war ihr kleiner Sohn wieder aufgetaucht.
Dann zog die ältere Frau die Mundwinkel nach unten. Isa hörte ein Wimmern. Es kam von ihr selbst.
»Ich weiß nicht, wie ich das sagen soll. Er ist nicht hier. Aber ich weiß nicht, was los ist. Was ist denn passiert?«, stammelte Linda.
»Das kann nicht sein. Er muss irgendwo sein.« Isa befreite sich aus der Sofadecke und sprang auf.
»Ich habe Mark angerufen, ich hoffe, das war okay? Er hat gesagt, er macht sich sofort auf den Weg!«, rief Linda ihr hinterher, als Isa nach einem weiteren Blick auf Bens Spielecke schon auf dem Weg zur Haustür war.
Ein Gefühl von Erleichterung überkam sie. Mark wusste immer, was zu tun war. Er würde Ben finden. Kurz darauf kam es ihr erneut so vor, als hätte jemand einen Schraubstock um ihre Lunge gelegt und zugedreht. Sie würde ihm erklären müssen, dass Ben unter ihrer Obhut verschwunden war. Aber er kann nicht verschwunden sein. Das ergibt einfach keinen Sinn.
Isa zog ihr Handy aus der Tasche und wählte die Nummer ihrer Mutter.
»Hallo Isa! Schön, dich zu hören«, nahm Eleonore den Anruf an. Entspannt und fröhlich. Isa konnte ihr Lächeln förmlich durch die Leitung hören. Hatte genau vor Augen, wie ihre Mutter an ihrem kleinen Telefontisch saß, vermutlich eine Tasse ihres heißgeliebten Kräutertees vor sich, gekleidet in eines ihrer knallbunten Blusenkleider.
Isa sog pfeifend die Luft ein. »Ben ist weg!« Ihre Stimme überschlug sich.
Eleonores Tonlage änderte sich schlagartig. »Was? Was meinst du mit ›weg‹?«
Isa schluchzte laut auf. Irgendein hoffnungsvoller irrationaler Teil ihres Verstandes war davon ausgegangen, dass ihre Mutter wissen würde, was hier los war. Eine Erklärung hätte. Wie Mütter immer eine haben.
»Liebes, ich mache mich sofort auf den Weg. Bleib ganz ruhig«, sagte Eleonore mit so viel Panik in der Stimme, dass ihr Ratschlag beinahe skurril wirkte. Im Hintergrund war das Klirren ihres Schlüssels und das Rascheln ihrer Jacke zu hören.
»Bitte beeil dich«, weinte Isa nun ungehindert und legte auf.
»Mach dir keine Sorgen«, stammelte Linda, die neben sie in den Flur getreten war. »Ich frage die Nachbarn, ob irgendjemand etwas gesehen hat.«
Isa nickte, ihr Blickfeld verengte sich erneut. Du musst dich zusammenreißen, sagte sie sich. Ben braucht dich!Reiß dich am Riemen! Sie brauchte ein paar Sekunden, bis sie ihre Atmung, die immer wieder von japsenden Schluchzern unterbrochen wurde, einigermaßen beruhigt hatte.
Dann schaltete sie in einen automatischen Modus und begann zu funktionieren. Als Erstes lief Isa zu Monikas Haus auf der gegenüberliegenden Seite, während Linda bei Michaela und Sven links von den Winterbergs klingelte und sich von dort aus weiter vorarbeitete. Die Gespräche liefen immer nach dem gleichen Muster ab, die schockierten und mitleidigen Gesichtsausdrücke prasselten auf Isa ein wie Sequenzen eines überfordernden Films. Einige der Nachbarn waren unterwegs und auch wenn ihre Autos nicht in den Einfahrten standen, klingelte Isa Sturm, nur um irgendwann aufzugeben und zum nächsten Haus hinüberzurennen.
Das Ende der Straße, die mit dem Königsforst an das größte zusammenhängende Waldgebiet im Kölner Umland grenzte, war erschreckend schnell erreicht. Bebend strich sie sich das inzwischen regennasse Haar aus der Stirn. Nichts. Niemand wusste etwas. Niemand hatte etwas gesehen. Es war ein ganz gewöhnlicher Vormittag gewesen. Auch für Isa. Bis Ben verschwunden war.
Isa schaute sich nach Linda um, die das letzte Haus ihrer Seite ebenfalls gerade hinter sich gelassen hatte und auf sie zukam. Mit versteinerter Miene. Ein paar der Nachbarn standen noch in den Türen.
»Das kann nicht sein, das kann nicht sein«, wisperte Isa.
»Isa!« Mark rannte auf sie zu.
»Er ist weg, Mark! Er ist WEG!«, schrie sie mit schwimmenden Augen, plötzlich unfähig, sich zu bewegen.
Als Mark sie erreichte, fiel sie in seine Arme. Die Verzweiflung brannte in ihrem Brustkorb, drängte sich ihre Kehle hinauf und flutete derart aus ihr heraus, dass sie nicht mehr wusste, ob sie ein- oder ausatmen sollte.
»O Liebling. Schhhh. Alles wird gut. Du wirst sehen. Alles wird gut«, stammelte ihr Mann und strich ihr über den Rücken. »Atme. Atme einfach weiter. Ein und aus. Ein. Und Aus. So ist es gut.« Er atmete mit Isa gemeinsam, bis diese nicht mehr zu hyperventilieren drohte und hielt sie dann von sich weg. Seine Hände gruben sich schmerzhaft in Isas Schultern. »Was ist passiert? Linda sagte ebenfalls, Ben ist … weg?« Ungläubigkeit lag in seinen Augen.
»Ja, er ist weg«, heulte Isa erneut auf. »Er hat auf seiner Decke gespielt, bevor ich in den Keller gegangen bin, und als ich zurückkam, war er fort. Ich weiß einfach nicht, wo er ist!«
Isa konnte sehen, wie ihr Mann um Fassung rang. »Das kann nur ein Missverständnis sein.« Seine Stimme vibrierte. »Habt ihr die Nachbarn schon gefragt? Ob jemand ihn gesehen hat? Oder irgendetwas … Merkwürdiges?«
»Von denen, die da sind, hat niemand etwas gesehen oder gehört.« Linda presste die Lippen zusammen.
»Und du bist dir sicher, dass er nicht im Haus ist? Hast du überall nachgesehen? Er kann doch nicht verschwunden sein!«
»Ich habe das Haus mehrmals abgesucht, sogar den Garten«, weinte Isa. »Er muss irgendwo sein. Ich habe ihn bestimmt übersehen.«
Linda und Mark wechselten einen Blick.
»Und du hast nichts gesehen oder gehört? Niemand war da?«, fragte Mark tonlos.
»Ich … ich habe ein Auto gehört«, stammelte Isa, als sie sich plötzlich an das dumpfe Motorengeräusch erinnerte. »Als ich im Keller war.« Ihr Herz trommelte in ihrer Brust. »Linda, war die Post schon da?«
»Nein, ich glaube nicht. Die Postbotin kommt für gewöhnlich später. Aber ich schaue sofort nach.«
Marks Gesicht hatte einen wächsernen Farbton angenommen.
»Und ich gehe ins Haus und schaue mich um. Du solltest … du solltest in der Zwischenzeit die Polizei rufen, Isa. Einfach nur … sicherheitshalber.« Er verstummte, sichtbar um Kontrolle bemüht. »Das ist garantiert nur ein Missverständnis«, wiederholte er mechanisch.
Isas Ohren dröhnten. Als sie nickte, rannte Mark die Straße hinunter, auf der sich nun immer mehr Nachbarn versammelten.
Wie betäubt zog sie ihr Handy aus der Tasche und hielt inne. Regen tropfte auf das Display. Im ersten Moment fiel ihr nicht ein, unter welcher Nummer sie die Polizei erreichen konnte. Ihre Gedanken waren vollkommen blockiert. Schließlich, nach mehreren Anläufen, wählte sie die 110. Als das Freizeichen ertönte, schnürte sich Isas Hals zu. Sie wusste nicht, wie sie den schlimmsten Albtraum ihres Lebens in Worte fassen sollte.
Es klingelte an der Haustür. Isa sah zwei große dunkle Schemen durch das Milchglas, bevor sie öffnete. Zwei Polizeibeamte standen vor ihr, wiesen sich aus und fragten, ob sie Frau Winterberg sei. Isa nickte und bat die beiden Männer herein. Mit einem Schlag kam ihr der sonst geräumige Flur beengt vor. Die Polizisten folgten ihr mit schweren Schritten ins Wohnzimmer und blieben stehen, während ihre Mutter, die inzwischen auch eingetroffen war, Isa bat, sich wenigstens für ein paar Minuten zu setzen. Zu kraftlos für Widerstand ließ Isa sich auf das Sofa sinken. Sofort eilte Linda herbei und stellte ein Glas Wasser vor ihr auf dem Couchtisch ab. Sie bot auch den übrigen Anwesenden etwas an und verschwand dann wieder in der Küche.
»Dann erzählen Sie uns doch mal, was los ist«, bat der ältere und grauhaarigere Polizist. Prüfend suchte er Isas Blick.
»Mein Sohn ist … er ist … ich kann ihn nicht finden.« Ihre eigenen Worte fühlten sich wie Schläge in ihre Magengrube an. Schmerzerfüllt krümmte sie sich zusammen. Mit der Polizei darüber zu sprechen, machte Bens Abwesenheit brutal real.
Ihre Mutter rückte näher und strich ihr über den Rücken, rote Flecken überzogen ihre Wangen und ihr ausladendes Dekolletee.
»Es war ein ganz normaler Vormittag. Und jetzt ist er weg. Einfach weg. Das kann doch nicht sein. Oder? Wie kann das sein?«
»Wie alt ist Ihr Sohn und seit wann ist er verschwunden, Frau Winterberg?«, fragte der Beamte ruhig, ohne auf ihre Fragen zu antworten.
»Er ist am dritten November geboren. Er ist vier Monate alt. Ich weiß nicht, wann und wie er verschwunden ist. Ich kann mir das alles nicht erklären. Hier stimmt etwas nicht. Ich war im Keller in der Waschküche, und als ich wieder nach oben kam, war Ben weg.«
Erneut kämpfte Isa mit den Tränen. Reiß dich zusammen, schalt sie sich zum hundertsten Mal an diesem Vormittag.
»Wo haben Sie Ihren Sohn zuletzt gesehen?«
»Auf seiner Spieldecke dort drüben.«
Sie wies zu dem Bereich zwischen Sofa und Wohnzimmerregal und atmete erneut gegen die Übelkeit an. Es kam ihr vor, als wäre es Tage her, seit sie Ben dort zurückgelassen hatte. Sie war kurz davor, endgültig vor Panik durchzudrehen.
Der jüngere der beiden Polizisten folgte ihrem Hinweis und begutachtete die bunte Umrandung und die mit fröhlichen Zootieren bedruckte Steppdecke.
»Es waren fünf Minuten, in denen ich im Keller war, vielleicht auch ein paar mehr. Ich habe nicht auf die Uhr gesehen. Aber ich habe mich extra beeilt, er hat so vertieft gespielt und der Musik seiner Spieluhr gelauscht. Ich konnte doch nicht ahnen … er … er kann doch nicht verschwunden sein! Das Törchen der Umrandung stand offen. Ich muss vergessen haben, es zu schließen.« Isa schnappte nach Luft. »Ich … ich habe einen startenden Motor gehört, als ich im Keller war. Ich habe mir nichts dabei gedacht, ich dachte an die Post. Aber die Post war es nicht! O Gott.« Schluchzend hob sie eine Hand zum Mund. »Ich habe alles abgesucht. Einfach alles. Ich weiß nicht, wo er ist. Wir waren bei den Nachbarn, niemandem ist etwas aufgefallen, die Straße war menschenleer. Mein Mann hat ebenfalls alles abgesucht, er ist noch draußen unterwegs. Aber das ergibt doch alles keinen Sinn. Bestimmt habe ich nur nicht gründlich genug nachgesehen.« Sie sah sich erneut im Raum um, als würde Ben plötzlich bäuchlings in der nächsten Ecke liegen und sie angrinsen.
»Wann waren Sie ungefähr im Keller?«
Isas Blick sprang zu der alten Holzuhr an der Wand, einem Erbstück von ihrem Vater. Ihr Ticken dröhnte ihr in den Ohren. »Vielleicht vor ungefähr einer Stunde? Anderthalb? Ich weiß es nicht.« Ich bin eine Versagerin.
»Und zu dieser Zeit haben Sie ein Auto gehört? Vor Ihrem Haus?«
»Ich bin nicht sicher. Da unten hört man kaum etwas. Es war nur ein schwaches Röhren, aber es klang so, als wäre ein Motor gestartet worden.«
Der Polizist notierte sich etwas. »Kann jemand Ihren Sohn abgeholt haben? Wer hat Zugang zum Haus?«
»Ich und mein Mann. Mein Mann war arbeiten, er ist Kinderarzt. Er hat seine Praxis hier im Ort und übernimmt zusätzlich ab und an Dienste im Kinderkrankenhaus in Porz. Ansonsten hat nur Linda einen Schlüssel.«
Ihre Nachbarin betrat in diesem Moment das Wohnzimmer, die Blicke aller Anwesenden richteten sich auf sie. Abrupt blieb die hagere Frau stehen und strich sich ihren krausen Pony aus der Stirn.
»Sie haben einen Haustürschlüssel?« Der Polizist taxierte die ältere Frau.
Linda errötete und zog ihre Strickjacke glatt. »Ja, ich habe einen Schlüssel. Aber …« Ihr Blick huschte zu Isa. »Den habe ich noch nie verwendet. Der ist nur für Notfälle!«
»Linda würde sich niemals einfach so Zutritt zum Haus verschaffen, auf keinen Fall«, stellte Isa ebenfalls klar. Eleonore schüttelte aufgeregt den Kopf.
Linda sah die Beamten mit großen Augen an, woraufhin der ältere Polizist mit ernstem Gesichtsausdruck nickte. »Prüfen Sie bitte, ob der Schlüssel noch dort ist, wo Sie ihn normalerweise aufbewahren. Das gilt auch für die übrigen Schlüssel zu diesem Haus.« Er wandte sich wieder Isa zu. »Wie sieht es mit anderen Türen und Fenstern aus, waren welche geöffnet? Und Ihr Sohn kann sich wirklich nirgendwo versteckt haben?«
Isa dachte krampfhaft nach, versuchte sich erneut zu fokussieren, obwohl ihre Gedanken kaum zur Ruhe kamen. »Alle Fenster und Türen müssten geschlossen gewesen sein. Und Ben ist noch zu klein, um sich zu verstecken. Das kann er noch gar nicht. Er kommt vielleicht ein paar Meter weit, indem er sich um die eigene Achse dreht, aber das war’s. Wir haben überall Treppengitter, die waren verschlossen. Ich habe auch erst gedacht, er muss es irgendwie geschafft haben, sich zu verstecken. Oder irgendwo drunterzukriechen. Aber ich habe ihn einfach nirgendwo finden können. Und … Er ist ja noch ein Baby.« Isas letzte Worte gingen in einem erneuten Schluchzen unter.
Dass sich der angespannte Zug um den Mund des Polizisten verstärkte, machte ihr mehr Angst als alles andere.
»Ist Ihnen heute oder in den letzten Tagen am oder um das Haus oder in der Straße etwas aufgefallen? Kam Ihnen etwas merkwürdig vor oder anders als sonst?«
»Nein, ich glaube nicht. Es war alles wie immer.«
»Was heißt ›wie immer‹? Können Sie uns den heutigen Tag im Detail beschreiben? Bitte lassen Sie nichts aus, egal wie unwichtig es Ihnen erscheint.«
Stotternd beschrieb Isa den Vormittag. Die Feier und ihre Aufregung deshalb erschienen ihr nun wie blanker Hohn. Als sie endete, schüttelte sie den Kopf.
»Es ist nichts Ungewöhnliches passiert. Wir waren ja nicht einmal vor der Tür. Es hat keiner geklingelt, es war keiner am Haus. Das heißt, zumindest ist mir niemand aufgefallen. Außer, außer diesem Motorengeräusch.« Isa hielt inne und versuchte einen Gedanken zu fassen, der sich beinahe sofort wieder verflüchtigte. »Es war kalt. Ungewöhnlich kalt.« Sie riss die Augen auf.
»Kalt?«
»Ja, ich habe die Heizungen hochgedreht. Als ich aus dem Keller kam, war es so frisch im Flur. Als wäre … als wäre …«
»Die Haustür offen gewesen?«, ergänzte der Polizist und warf seinem jüngeren Kollegen einen langen Blick zu.
Isa nickte und begann zu zittern. »O Gott. O mein Gott. Mein Baby«, keuchte sie. »Er ist doch noch so klein. Bitte, Sie müssen uns helfen, Sie müssen ihn finden.«
»Wir werden unser Möglichstes tun, Frau Winterberg. Wir sehen uns jetzt in Ihrem Haus, auf Ihrem Grundstück und in der näheren Umgebung um, bevor wir weitere Maßnahmen einleiten. Mit Ihrem Mann und den beiden Damen hier«, er nickte Eleonore und Linda zu, »möchten wir später noch in Ruhe sprechen und natürlich auch nochmal mit Ihnen. Und es wäre gut, wenn Sie uns schon einmal eine Liste sämtlicher Personen zusammenstellen könnten, die in einem engeren Verhältnis zu Ben stehen.«
Der Beamte wartete Isas gewürgte Zustimmung ab und besprach sich anschließend mit seinem Kollegen. Dann funkte er die Einsatzleitstelle an.
»Wir werden ihn finden, mein Schatz. Es gibt keine andere Option.« Eleonore tätschelte ihrer Tochter mit der freien Hand den Rücken, während sie mit der anderen ein zerknülltes und von Wimperntusche schwarz verfärbtes Taschentuch an ihren Busen drückte. »Du musst stark sein. Für Ben. Er braucht seine Mutter bei Kräften, wenn er wieder da ist!«
Doch Isa fühlte sich, als wäre sie unter einem Berg Felsen begraben.
Die nächsten Stunden zogen an Isa vorbei, als wäre sie selbst nicht mehr Teil dieser Welt. Es traf Verstärkung der Polizeibeamten ein, die systematisch jeden Winkel des Hauses und der näheren Umgebung durchkämmte. Sie durchsuchten Mülltonnen und öffneten Kanaldeckel. Sogar auf dem Speicher, dessen Zugangsleiter an der Decke befestigt war, sahen sie sich um. Isa fiel auf, dass die Beamten bei all ihren Handlungen darauf bedacht waren, möglichst keine eigenen Spuren zu hinterlassen. Ihre Übelkeit kam und ging in Wellen.
Zwischenzeitlich kam Mark nach Hause und sprach mit den Polizisten. Zu sehen, wie hilflos er wirkte, schürte Isas Panik weiter. Ohne ein Wort in ihre Richtung verschwand er wieder durch die Haustür. Isa konnte es ihm nicht verübeln, sie wollte genau das Gleiche tun. Mithelfen, wegrennen, überhaupt irgendetwas tun. Doch es war, als klebte Zement an ihren Füßen.
Irgendwann kam der leitende Polizeibeamte zurück ins Wohnzimmer. Er setzte sich Isa gegenüber und schwieg einige Sekunden.
»Frau Winterberg, wir haben folgendes Problem. Bisher konnten wir Ben nicht finden. Der Vermisstenstatus hat sich spätestens jetzt erhärtet«, sagte er sachlicher, als der Inhalt seiner Worte es eigentlich zuließ. Er machte eine kurze Pause und schien seine nächsten Sätze mit Bedacht zu wählen. »Ich möchte Sie nicht beunruhigen. Aber ich denke, wir sind uns einig, dass Ihr Sohn das Haus nicht selbstständig verlassen haben kann. Wir haben keine Zeit zu verlieren. Ich habe daher das Kölner Kriminalkommissariat hinzugezogen. Die Kollegen treffen gleich ein und werden die weitere Suche nach Ihrem Sohn koordinieren.«
Isa zitterte so stark, dass ihre Zähne aufeinanderschlugen.
»Also denken Sie nicht, dass Ben … dass er wieder auftaucht? Ich meine, wenn die Kriminalpolizei kommt, was soll das bedeuten?« Sie verschluckte sich beim Sprechen. Ein Gefühl des Grauens drückte sie zu Boden.
»Es bedeutet nur, dass die Kollegen auf solche Situationen spezialisiert sind, genau wissen, was in einem Fall wie diesem zu tun ist und den weiteren Einsatz organisieren werden, damit Ihr kleiner Sohn so schnell es geht wohlbehalten nach Hause findet.« Der Polizist lächelte sie an, es sollte wohl beruhigend wirken, aber sein Lächeln erreichte seine Augen nicht. Nicht mehr.
»Wer würde … wer würde meinem Baby etwas antun wollen?«
»Isa, jetzt ist es aber gut«, fuhr Eleonore sie an. »Die Polizei tut alles, um uns zu helfen. Ben wird schon wieder auftauchen. Und dann bekommt er Hausarrest für die nächsten zehn Jahre!« Sie versuchte sich an einem Lachen, doch es schlug in ein Schluchzen um. »Entschuldigung. Ich brauche einen Moment.« Schnellen Schrittes verschwand sie aus dem Raum.
Isa starrte auf die Holzmaserung des Esstisches. Sie wollte sterben, auf der Stelle. Sie ertrug das, was gerade geschah, einfach nicht. Sie ertrug es nicht. Sie schaffte es nicht. Und doch blieb ihr keine Wahl. Natürlich nicht. Sie musste für Ben stark sein. Sie wollte für ihn stark sein, mit jeder Faser ihres Seins. Sie musste ihn finden. Sie würde alles auf dieser Welt dafür geben.
»Frau Winterberg, wir können Ihnen anbieten, die Kollegen der Opferhilfe zu kontaktieren«, unterbrach der jüngere Polizist ihre Gedanken. »Die Kollegen sind darin geschult, Betroffenen, die ein solches Erlebnis verarbeiten müssen, beizustehen.« Seine Stimme war derart mitfühlend, dass Isa zu würgen begann.
Opferhilfe?Nein. Nein, irgendetwas stimmte hier nicht. Sie war kein Opfer. Sie schüttelte den Kopf und umschlang mit beiden Armen ihren Oberkörper.
»Vielleicht später. Ich glaube, meine Tochter muss sich erst einmal etwas sortieren. Wir alle«, erwiderte Eleonore, die wieder in der Wohnzimmertür erschienen war. Mit zitternden Händen strich sie sich über ihre Wangen, ging zu Isa und zog sie in ihre Arme.
Isa sah aus dem Küchenfenster. Zahlreiche Nachbarn standen in Grüppchen herum, sichtlich aufgewühlt angesichts der Tragödie, die sich mitten unter ihnen ereignet hatte. Als ein schwarzer VW Passat in ihre Straße einbog, musste er sich erst einmal einen Weg durch die Menge bahnen, bis eine uniformierte Beamtin ihn durch die Absperrung vor ihrem Grundstück lassen konnte. Hinter Marks Landrover kam er zum Stehen. Zwei großgewachsene Männer stiegen aus, während Isa mit schweißnassen Händen wartete.
Einerseits hatte sie Hoffnung, denn der Polizist hatte ihr erklärt, dass die beiden Kriminalhauptkommissare für die Vermisstenstelle der Kölner Polizei arbeiteten und viel Erfahrung auf ihrem Gebiet hatten. Andererseits ritzte ihre Anwesenheit die Realität von Bens Verschwinden brutal und schonungslos in ihr Herz ein. Nie hätte sie gedacht, einmal mit der Kriminalpolizei zu tun haben zu müssen und schon gar nicht in Bezug auf ihr Baby. Immer wieder fragte sie sich, ob sie bloß in einem grausam realistischen Albtraum gefangen war. Es war zu schlimm, um wahr zu sein. Sie wollte aufwachen. So sehr.
»Hallo, Frau Winterberg.« Eine tiefe, sonore Stimme riss Isa aus ihren Gedanken und ließ sie herumfahren. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass die Ermittler bereits ins Haus getreten waren und nun in der Küchentür standen. Der größere der beiden Beamten hatte kurzes dunkles Haar, den Schatten eines Bartes auf Kinn und Wangen und fast schwarze Augen. Mit seinem athletischen Körperbau und der Konzentriertheit, die ihn umgab, wirkte er, als käme er vom Militär. Isa schätzte ihn auf Anfang vierzig.
»Mein Name ist Florian Simons. Ich bin Kriminalhauptkommissar bei der Vermisstenstelle der Kripo Köln. Das ist mein Kollege Thorsten Schwarz.« Er deutete auf den kleinen, untersetzten und eher väterlich wirkenden Polizisten zu seiner Linken, der höflich lächelnd seine Hand hob. »Wir würden gern mit Ihnen reden.«
In seine letzten Worte mischte sich ein pulsierender Lärm. Durch das Küchenfenster sah Isa zum Himmel. Ein Polizeihubschrauber flog über ihr Haus. Unwillkürlich griff sie nach der Fensterbank, um sich festzuhalten, irgendwie. Ihr Atem ging flach. Das ist nicht wahr. Das passiert nicht wirklich.
»Frau Winterberg?«, meldete sich Simons wieder zu Wort.
Zwei ernste Augenpaare waren auf sie gerichtet. »Wo können wir sprechen?«
Isa atmete gegen den Widerstand in ihrer Kehle an. Sie wollte nicht zusammenbrechen, nicht jetzt und hier, nicht vor diesen beiden Männern. Doch sich aufrecht zu halten, kostete sie alle Kraft. Mehr, als sie hatte. Wortlos deutete sie zur Küchentür.
Sie nahmen gerade im Wohnzimmer Platz, als Mark hereinkam. Er grüßte fahrig, warf seinen Anorak über den nächstbesten Stuhl und ließ sich neben Isa an den Esstisch sinken. Dann ergriff er ihre Hand, seine Haut war eiskalt. Er sah so abgekämpft aus, wie Isa sich fühlte.
»Mit uns zu sprechen, bedeutet für gewöhnlich keinen schönen Anlass«, begann Simons nun, nachdem er sich und seinen Kollegen auch Mark vorgestellt hatte. Seine Augen hatten trotz der Ruhe, die er ausstrahlte, einen so hellwachen Ausdruck, dass Isa Vertrauen zu fassen begann. Vertrauen und Hoffnung. »Mein Kollege und ich sind auf die Fahndung vermisster Personen spezialisiert. Die Kollegen, die die Suchmaßnahmen eingeleitet haben, haben uns bereits über die bisherigen Details informiert. Trotzdem ist es uns wichtig, noch einmal aus Ihrem Mund zu hören, was genau geschehen ist.«
Isa überließ Mark die Antworten auf die ersten Fragen, da sie nicht sicher war, ob sie sich übergeben müsste, sobald sie den Mund öffnete. Ihr entging nicht, wie sie von den beiden Ermittlern gemustert wurden und wie akribisch sie bei jeder kleinsten Ungenauigkeit in Marks Aussagen nachhakten.
Schließlich kam erneut der Ablauf des Vormittages zur Sprache. Isa atmete mehrmals tief durch und berichtete abermals mit stockender Stimme, was geschehen war.
»Ich habe versagt. Ich weiß nicht, wo mein Baby ist. Und ich kann mir niemanden vorstellen, der uns oder ihm etwas antun wollen würde«, presste sie zum Schluss hervor.
»Schatz, hör bitte auf, dich zu entschuldigen«, schaltete Mark sich ein. »Ich bin mir absolut sicher, dass Isa nicht fahrlässig gehandelt hat. Du bist eine wundervolle Mutter, Liebling. Für das, was gerade passiert, kannst du nichts, hörst du?« Eindringlich sah er sie an. »Du kannst nichts dafür!«
Isa schüttelte den Kopf. »Ich hätte ihn nicht allein lassen sollen. Ich habe ihn allein gelassen. Mein armes Baby.«
Erneut quollen Tränen aus ihren erschöpften Augen. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie Mark sich unwirsch, beinahe zornig, ebenfalls eine Träne von der Wange wischte.
»Frau Winterberg, wenn ich das richtig sehe, haben Sie sich mit Ihrem Sohn hier zu Hause aufgehalten. Dass Sie Ben für ein paar Minuten bei seinem Spielzeug gelassen haben, um Haushaltsarbeiten zu erledigen, ist doch normal. Ich würde behaupten, das machen alle Eltern so, oder nicht?« Simons’ Stimme klang ruhig, sein Blick jedoch war prüfend. Irgendwie brennend.
Isa konnte nicht antworten. Grelle Sterne tanzten vor ihren Augen.
»Es ist nun unsere Aufgabe herauszufinden, wie das passieren konnte und womit wir es hier zu tun haben«, meldete sich Schwarz zu Wort. Dann erläuterte er Isa und Mark das weitere Vorgehen, das unter anderem in einer offiziellen Vermisstenmeldung bestand. Auch die Spurensicherung würde in Kürze eintreffen.
Isas Herz raste noch etwas stärker, als der Ermittler ihr Haus als Tatort bezeichnete und sie darauf hinwies, dass die Untersuchung von Haus und Grundstück zwei bis drei Tage in Anspruch nehmen würde und sie besser woanders übernachten sollten. »Nein«, wollte sie schreien. »Nein! Das ist unser Zuhause, hier gehört Ben hin! Ohne ihn gehe ich nirgendwohin!« – doch sie konnte nicht. War nicht einmal in der Lage zu sprechen. Ihr Brustkorb hatte sich derart zusammengezogen, dass selbst das Atmen unerträglich schwerfiel.
»Ich gehe davon aus, dass außerdem zügig eine Sonderkommission eingerichtet werden wird. Die Suche nach Ihrem kleinen Sohn hat für uns oberste Priorität.«
Dann bat der ältere Polizist um Fotos von Ben für den Fahndungsaufruf, die Isa mit zitternden Händen aus einer Schublade nahm. Die Fotos wollte sie längst in sein Album geklebt haben.
Unter Aufbringung all ihrer Kraft gab sie an, wie groß und schwer ihr kleiner Sohn war, was er an diesem Vormittag getragen hatte (einen Bärchen-Pullover und eine kuschelige braune Hose), welche Augenfarbe er hatte (dunkelblau mit wunderschönen goldbraunen Sprenkeln) und wie sein Haar aussah (blond wie Weizen). Sie wollte dazu sagen, dass er nach der Heimat ihres Herzens roch. Dass er neuerdings kicherte, wenn man ihm auf seinen kleinen runden Bauch pustete, die glückliche Szene am Morgen noch schmerzhaft genau vor Augen. Dass er wütend wurde, wenn ihm etwas noch nicht so gelang, wie er sich das mit seinen vier Monaten vorstellte. Sie wollte in die Welt hinausbrüllen, dass er über das ganze Gesicht strahlte, wenn er abends seinen Vater wiedersah. Und wie er sich nachts an sie kuschelte und zufrieden schnaufte, wenn er sich in ihrem Nachthemd vergrub. Wie oft sie seine Finger aus ihren Haaren befreien musste. Dass sie genau aus dem Grund seit seiner Geburt keine Kette mehr getragen hatte. Und wie wunderschön sein stolzes Lächeln war, wenn er etwas Neues gelernt hatte. So vieles gehörte zu ihm. Er war unschuldig und rein, immer neugierig auf die Welt und voller Begeisterung dabei, sie zu entdecken. Er war mehr als seine Maße und seine Kleidung. Er war alles für sie.
In diesem Moment spürte sie ein Ziehen in ihren Brüsten. Erst jetzt fiel ihr auf, wie sehr sie spannten. Daran hatte sie in all ihrer Panik überhaupt nicht mehr gedacht. Es war dieses simple, natürliche Signal, das ihr plötzlich vor Augen führte, wie sehr sie ihr Baby brauchte und wie sehr es sie brauchte. Nicht nur seelisch, sondern auch körperlich. Augenblicklich stürzte all ihre mühsam aufrechterhaltene Beherrschung in sich zusammen.
»Ich muss ihn stillen«, schrie sie los. »Er braucht mich! Ich muss mein Baby stillen! Mein Baby! Wo ist mein Baby?«
Ihre Stimme versagte. Das schrille Heulen, das dann folgte, klang so animalisch und roh, so verzweifelt, dass Isa es nicht als ihr eigenes erkannt hätte, hätte es sie in diesem Moment nicht von innen zerfetzt.
»Die Soko ist eingerichtet«, sagte Schwarz zu Simons und steckte sein Handy zurück in seine Jackentasche. »Wir müssen uns gleich mit dem Team treffen. So wie es aussieht, übernimmt Bode die Kommissionsleitung. Das will schon was heißen. Das werden harte Zeiten.«
Simons nickte. Hermann Bode war seit einigen Jahren Chef des Kölner Kriminalkommissariats elf und mit allen Wassern gewaschen, was Kapitalverbrechen anging. Dass er eingesetzt und vorübergehend von seinen regulären Aufgaben abgezogen wurde, unterstrich die Dringlichkeit und Besonderheit dieses Vermisstenfalles. Bode war gut. Sehr gut sogar. Er galt als streng und unerbittlich, war nicht bei allen Kollegen beliebt. Doch genau diese Strenge und Genauigkeit waren es, die ihm seine Erfolge bescherten. Simons mochte ihn und kam mit seiner sehr klaren Haltung und schmerzhaft direkten Kommunikation gut zurecht. Bode war einer der Polizisten, die für ihre Arbeit lebten. Ebenso wie er selbst.
Ein Polizeihundeführer trabte an den beiden Ermittlern vorbei, sein rehbrauner Malinois hing in der Leine, das ganze drahtige Tier bebte vor Spannung. Es war, als würde es den Boden zu seinen Füßen einsaugen. Die erste Meldung außerhalb des Hauses machte der Hund an der Straße, wenige Meter von der Einfahrt der Winterbergs entfernt.
»Scheint eine sehr frische Spur zu sein«, rief der Hundeführer mit konzentrierter Stimme, die Augen immer auf sein Tier gerichtet. »Möglich, dass das Kind hier in ein Auto gesetzt wurde.«
Simons kniff die Lippen zusammen. Das würde die Verfolgung der Spur nicht einfacher machen. Schließlich begann der belgische Schäferhund, sich einem groß angelegten Zickzackmuster folgend über die Straße zu bewegen. Das sprach für stark verteilte Geruchspartikel und tatsächlich für ein Kraftfahrzeug.
»Unglaublich, was diese Tiere alles können, oder?«, stellte Schwarz fest.
»Ja. Gut, dass die Maintrailer so schnell zur Stelle waren.« Simons hob den Kopf in Richtung Himmel und zog die Brauen zusammen. Es nieselte nach wie vor. »Der Regen wird es ihnen nicht leicht machen. Und bei dem Wetter gehe ich auch nicht davon aus, dass das Fahrzeug während der Fahrt offene Fenster hatte. Keine guten Bedingungen. Ich bezweifle, dass der Hund viele Kilometer macht.«
»Wäre ja schön, wenn er uns zumindest Anhaltspunkte auf Tankstellen liefert«, antwortete sein Partner. »Auch wenn deren Überprüfung viele Überstunden bedeuten wird, neben dem ganzen anderen Kram, der jetzt auf uns zukommt.«
Simons wollte schon den harschen Einwurf machen, dass ihr Arbeitszeitkonto angesichts des verschwundenen Babys wohl das kleinste Problem sei, als das Handy seines Partners klingelte.
»Schwarz hier«, nahm dieser den Anruf entgegen. »In Ordnung, wir machen uns auf den Weg.« Er steckte sein Handy weg. »Wir müssen los«, seufzte er widerwillig und ging zum Dienstwagen, der außerhalb der Absperrung geparkt war. Auf dem Weg dorthin zog er behäbig seine Jeans nach oben.
Simons schüttelte den Kopf. Manchmal nervte ihn die Bequemlichkeit seines Partners, andererseits hatte dieser schon einige Dienstjahre mehr zu verzeichnen als er und im Gegensatz zu Simons ein Privatleben mit Familie, das es zu schützen galt. Simons hatte schon häufiger den Gedanken gehabt, dass die nach außen getragene Gemütlichkeit seines Partners und dessen Pochen auf pünktlichen Dienstschluss und faire Urlaubszeiten viel mehr den Versuch darstellten, eine Grenze zu ziehen. Gegenüber einem Job, der nur allzu leicht alles einnahm. Und vernichtet, dachte Simons und erinnerte sich an seine gescheiterte Beziehung mit Cynthia. Zudem war Schwarz ein guter Ermittler, ein wirklich guter, auch wenn er nicht danach aussah. In dem väterlich wirkenden Polizeibeamten steckten ein wacher Verstand und viel Erfahrung.
Auf dem Weg zum Auto drehte Simons sich noch einmal nach dem Hundeführer um, doch dieser war bereits um die nächste Straßenecke verschwunden.
Die Nacht war angebrochen, doch die Dunkelheit hatte keine Chance gegen das Treiben in und vor dem Haus der Winterbergs. In regelmäßigen Abständen erleuchteten die Scheinwerfer des Polizeihubschraubers die Wohnräume der Häuser in der Nachbarschaft, der Lärm der Rotorblätter hatte inzwischen auch den letzten Unwissenden der sonst so friedlichen Wohnsiedlung über die Tragödie des verschwundenen kleinen Jungen informiert.
Mit Unterstützung einer Hundertschaft der Polizei und weiterer hinzugezogener Streifenteams sowie der örtlichen Feuerwehr durchkämmten Freiwillige den nahe gelegenen Forst. Parallel durchsuchten Mitarbeiter der Spurensicherung das Haus nach Fingerabdrücken, Faserspuren, Fußabdrücken, Sekretspuren und weiteren Hinweisen auf das Eindringen eines Fremden. Als die Polizisten sie darüber informiert hatten, dass Wärmebildkameras und Mantrailer-Hunde eingesetzt wurden, um ihren Sohn zu finden und Isa Bens Schlafanzug einem Hundeführer hatte überreichen müssen, war sie erneut zusammengebrochen.
Mit jedem erfolglos abgesuchten Ort und jeder weiteren Stunde ohne eine Spur von ihrem Baby wuchs Isas Verzweiflung, die ohnehin schon grausame Ausmaße angenommen hatte. Es war fraglich, ob es ein größeres Gefühl von Versagen und Schuld auf dieser Welt geben konnte.
Mit jedem einzelnen Atemzug zwängte sich ihr die Frage auf, was mit Ben geschehen war. Wie es ihm in diesem Moment wohl gehen mochte, ob er Angst hatte, ob er an sie dachte. Ob er weinte. Ob er müde war oder fror. Wer wohl bei ihm war. Ob er Hunger hatte. Jede Sekunde, jeder Augenblick war eine Qual, schien sie zu ersticken, während ihr Mutterinstinkt, ihr Baby schützen zu wollen, von Minute zu Minute lauter wurde, sie förmlich anbrüllte, und damit jegliches andere Gefühl übertönte.
Stundenlang war Isa auf den Beinen gewesen, hatte keine Pause zugelassen. Mittlerweile fühlte sie sich wie versteinert. Unfähig zu weinen. Unfähig zu denken. Unfähig zu sein.
Schließlich sank Isa auf die Bürgersteigkante gegenüber ihrem Grundstück, das die Mitarbeiter der Polizei seit Stunden bevölkerten. Mark war noch immer unterwegs. Eleonore ließ sich neben ihr auf dem Asphalt nieder und legte einen Arm um sie. Zunächst wehrte sich Isa gegen die Nähe. Sie nahm den Duft ihrer Mutter wahr, spürte ihre Wärme und ihren Schutz, die Geborgenheit. Es war unerträglich, weil es genau das war, was sie Ben gerade nicht geben konnte. Sie rückte ein Stück weg. Isa war ebenfalls eine Mutter, die ihren Sohn auf genau die gleiche Art in den Armen halten sollte, die seine Angst auffangen und ihn vor allen Gefahren beschützen sollte. Sie hatte ihm schon während der Schwangerschaft versprochen, dass er immer in Sicherheit sein würde. Dass sie immer für ihn da sein würde, bedingungslos. Sie würde sofort für ihn sterben. Doch sie hatte ihre elementarste und natürlichste Aufgabe nicht erfüllt.
»Mama, er ist weg«, flüsterte sie, noch immer ungläubig. Als würde das gesprochene Wort die Situation greifbarer machen.
Ihre Mutter versteifte sich. »Er wird wieder auftauchen, mein Schatz«, erwiderte sie mit brüchiger Stimme.
Als Isa merkte, wie sehr auch Eleonore darum kämpfte, sich zu beherrschen, verlor sie abermals ihre eigene Fassung. Sie sank in sich zusammen und fing hemmungslos an zu weinen, ihr Körper bebte minutenlang. Als Eleonore sie erneut in eine feste Umarmung zu ziehen versuchte, ließ Isa es zu, sie war schlicht zu kraftlos für Widerstand. Und in all ihrer Verzweiflung spürte sie, wie wohltuend die Nähe ihrer Mutter nun doch war. Sie versprach ein tiefes Gefühl von Sicherheit, als würde alles wieder in Ordnung kommen. Für einen winzigen Augenblick gestattete Isa es sich, sich an diesem Gefühl festzuhalten.
Irgendwann, Isa hatte keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen war, ließ Mark sich schwer neben sie auf die Bordsteinkante sinken.
»Und?«, brachte Isa hervor und sah hoch.
Mit einem kleinen, aber gefährlichen Klirren zersprang die sich aufbäumende Hoffnung in ihrem Inneren, als Mark langsam den Kopf schüttelte. Er fuhr sich mit beiden Händen über das Gesicht und raufte sich die dichten braunen Haare. Eine Geste, die Isa normalerweise an ihm liebte, die ihr jetzt aber einen weiteren unerträglichen Messerstich versetzte. Ihr Mann sah zu Boden, an ihr vorbei, überall hin, aber er sah sie nicht an. Isa bemerkte, wie er seine Fäuste ballte, bis seine Handknöchel weiß hervortraten.
Ihr brannten die Augen.
»Ich verstehe das nicht«, flüsterte sie.
Helga und Dietmar Brandt saßen an ihrem Küchentisch und musterten Simons und Schwarz mit großen Augen. Helga Brandt wischte in einer endlosen Wiederholung mit der flachen Hand über die Tischdecke, während Dietmar Brandts Hals rote Flecken zierten. Simons war sich beinahe sicher, dass die beiden älteren Herrschaften künftig jedem, mit dem sie irgendwie in Kontakt standen, erzählen würden, dass die Kriminalpolizei bei ihnen im Haus gewesen war.
Das Haus der Brandts befand sich in einer Nebenstraße zur Wohnstraße der Winterbergs, entlang der Route, auf der die Mantrailer der Spur des Jungen gefolgt waren. Die Nachricht, dass der Hund auf Höhe der Auffahrt der Autobahn A3 in Richtung Frankfurt am Main eine Negativanzeige gemacht und die Spur verloren hatte, war am Vortag kurz nach der ersten Sitzung der Sonderkommission eingetroffen.
Bode hatte Simons und Schwarz auf die Zeugenbefragung der Brandts angesetzt, nachdem diese der Polizei gemeldet hatten, ein ihnen unbekanntes Fahrzeug gesehen zu haben.
»Also, Herr und Frau Brandt, wann genau haben Sie das Auto gesehen?«, begann Schwarz freundlich, der sich zu dem älteren Ehepaar an den Tisch gesetzt hatte.
Simons blieb auf Höhe des Küchenfensters stehen, das trotz der halbhohen, vermutlich selbstgehäkelten Gardinen einen direkten Blick auf die Straße preisgab. Es roch nach einem deftigen Mittagessen, auf dem Herd stand ein großer Bräter.
»Gestern Vormittag«, antwortete Dietmar Brandt schnell und sah zu seiner Frau hinüber, die ihre Hände knetete. »Helga war am Kochen. Wir wissen die Uhrzeit leider nicht genau.«
»Können Sie sie irgendwie eingrenzen?«
»So gegen zehn Uhr dreißig muss das gewesen sein, vielleicht aber auch etwas später«, antwortete Frau Brandt nicht minder schnell als ihr Mann. Ihre Stimme war heiser. »Entschuldigung, ich kuriere noch einen Husten aus.« Mit zittrigen Fingern wickelte sie ein Kräuterbonbon aus seinem lilafarbigen Papier und schob es sich in den Mund.
»Und das Auto war Ihnen unbekannt? In dieser Siedlung wohnen einige Menschen.«
Dietmar Brandt nickte eifrig. »Ja, doch, das Auto kannten wir nicht. Es ist meiner Frau aufgefallen, weil es so schnell fuhr. Ich war bei ihr in der Küche und habe es auch gesehen, allerdings von hier aus.« Er deutete mit ausgestrecktem Zeigefinger auf den Küchentisch.
»Ich stand gleich beim Fenster«, warf Helga Brandt ein. »Wir haben uns noch darüber unterhalten, dass das kein Nachbar sein kann, die kennen alle die Temporegeln hier und halten sich normalerweise auch daran. Das ist ein verkehrsberuhigter Bereich! Das Auto ist derart gerast, dass das Pfützenwasser zu allen Seiten hochgeschossen ist!« Erbost schnaubte sie und warf Schwarz einen bedeutungsvollen Blick zu, als sei dieses Vergehen gerade sein größtes Anliegen.
»Wie sah das Auto aus?«, schaltete sich Simons ein. »Zuerst Sie, Frau Brandt, Sie konnten den Wagen besser sehen als Ihr Mann.«
»Allerdings kennt Sie sich überhaupt nicht mit Autos aus«, warf Herr Brandt ein und lachte ein wenig, ganz so, als wäre das in Bezug auf ihr Geschlecht ein Naturgesetz. Helga Brandt warf ihrem Mann einen bösen Blick zu.
Simons ließ sich nicht beirren. »Starten wir mal mit der Farbe, Frau Brandt.«
»Dunkel«, erwiderte die ältere Frau und schluckte sichtbar. »Dunkelblau würde ich sagen.« Sie reckte ihr Kinn.
»Schwarz«, warf ihr Mann ein. »Helga, das war doch ganz klar ein schwarzes Auto!«
Seine Frau warf die Hände in die Luft. »Ich stand näher dran, oder nicht? Ich meine, es war dunkelblau. Farben kann ich ja wohl noch erkennen, Dietmar!«
»Okay. Also dunkelblau oder schwarz«, brummte Schwarz und machte sich weitere Notizen. Dann rieb er sich über seine an den Schläfen ergrauten Haare. »Haben Sie das Modell erkennen können? Wie groß war das Fahrzeug?«
Simons ahnte Böses. Leider waren Zeugenaussagen häufig eine schwierige Angelegenheit. Zwar galten Rentner grundsätzlich als aufmerksam, ihre Beobachtungsgabe war jedoch ebenso häufig durch Seh- und Hörschwierigkeiten oder ein nachlassendes Erinnerungsvermögen eingeschränkt.
»Normal groß«, erwiderte Frau Brandt prompt. Simons kniff die Lippen zusammen.
»Habe ich es Ihnen nicht gesagt?«, meldete sich nun wieder Herr Brandt zu Wort und verdrehte die Augen. »Wenn Sie mich fragen, war es eine Limousine. Mit schrägem Heck. Ein Audi vielleicht, oder ein Mercedes. Das habe ich von hier leider nicht erkennen können. Helga, kannst du den Männern denn gar nichts zur Marke sagen?«
»Schritt für Schritt bitte«, warf Schwarz ein. »Was verstehen Sie unter ›normal groß‹, Frau Brandt?«
»Na ja«, antwortete die ältere Frau und schob ihr Hustenbonbon im Mund klackernd hin und her. »Ein Auto für vier Personen. Keines von diesen kleinen. Eher etwas größer, aber auch kein Bus. Ein ganz normales Auto eben. Aber schick sah es aus. Eher teuer. So eines hätten wir uns niemals leisten können. Das Logo …«, sie unterbrach sich und sah zu ihrem Mann hinüber. »Das Logo war silbrig, glaube ich. Aber ich habe es nicht genau erkennen können. Tut mir leid. Ich kenne mich ja wirklich nicht so gut aus. Es könnte ein Mercedes oder ein Audi gewesen sein, wie mein Mann sagt.«
»Irgendwelche Auffälligkeiten? Schäden, Unfallspuren, Aufkleber?«
»Nein, ich glaube nicht. Es ist wirklich sehr schnell gefahren.«
»Habe ich auch nicht erkennen können«, schloss sich Dietmar Brandt seiner Frau an.
»Besondere Geräusche?« Diese Frage richtete Schwarz nun direkt an Herrn Brandt, der prompt zu seinem Hörgerät griff, seine Hand jedoch ebenso schnell wieder sinken ließ.
»Da muss ich leider passen. Hier drinnen hört man nicht so viel. Die Fenster sind gut isoliert, ich habe das Haus selbst gebaut damals.«
Frau Brandt nickte stolz.