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Happy hour Zeit für einen Cocktail? Bei Schmidt dehnen sich die frohen Stunden zu einem verzweifelten, Existenz bedrohenden Besäufnis aus. Erinnerungen aus seinem Leben und Assoziationen aus dem gesellschaftlichen Leben zerren Schmidt in eine Wirklichkeit, die er als zutiefst zerstörerisch empfindet. Die Erzählung ist illustriert mit Graffitis aus der ganzen Welt.
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Seitenzahl: 28
edition lichtblick oldenburg
2023
Happy hour
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Wir haben keine Meinung, wir führen Aufträge aus. Basta, dröhnte der Chef. Davon leben wir, du auch. Schmidt stand wütend neben seiner Druckmaschine, mit dem Andruck einer Broschüre in der Hand. Wie wir belogen werden, stand in leuchtendem Rot auf der Titelseite. Und weiter: Das Virus sei eine Erfindung. Meinungsdiktatur. Lügenpresse. Impfungen wären sinnlos, ja lebensgefährlich. Sie steigerten nur den Profit von Pharmakonzernen. Die gehörten Juden. Die wollten uns abzocken. Überhaupt seien wir alle gesteuert und kontrolliert. Von oben. Oben und unten. Oben ohne. Hüben wie drüben. Hier und da. Ich drucke so einen Schwachsinn nicht! Es reicht, dass wir ihre Scheiß Betheftchen machen müssen, ärgerte sich Schmidt.
Ihn selbst hatte das Virus erwischt. Zweimal. Schwerkrank. Wir leben davon, so was zu machen. Du auch, schimpfte der Chef im Weggehen über die Schulter seinem Drucker zu. Und: Hier herrscht Meinungsvielfalt und Meinungsfreiheit. Wohl vergessen. Er wedelte mit einem Packen Papier durch die Luft und schlug die Tür zu seinem Büro hinter sich zu. Schmidt blieb wütend vor seiner Druckmaschine zurück. Eigentlich hatte er den Chef nach seiner fälligen Lohnerhöhung fragen wollen, die ihm seit Monaten versprochen war. Dabei war er immer mehr in Rage gekommen. Ja, ja, du kriegst schon dein Scheißgeld. Es sei so viel zu tun. Bei nächster Gelegenheit, wenn ich weniger Stress habe. Sofort, morgen bestimmt, gleich würde er der Buchhaltung Bescheid geben, beruhigte der Chef. Der Streit eskalierte. Da kam der Andruck gerade recht. Fass übergelaufen.
Überläufer. Überflieger. Schmidt trat gegen die Druckmaschine.
Er hätte den Chef töten können. Hätte, hätte, hat dat abba nich.
Elende Scheiße. Er knüllte den Flyer zusammen und stopfte ihn in seine Tasche. Er liebte seinen Beruf als Drucker. Sicher würde er ihn in absehbarer Zeit verlieren. Die Automatisierung hatte in seinem Gewerbe schon einige Berufe eliminiert. Den Metteur, den Setzer. Er hatte noch setzen mit Bleibuchstaben gelernt.
Was wäre er ohne seinen Beruf? Überflüssig flüssig. Später, im Auto auf dem Nachhauseweg, brannte ihm der Jägermeister in der Kehle. Schnell schütten. Kuppeln. Gas geben. Rest kippen.
Schmerzen zeigen einem, dass man lebt. Im Magen breitete sich das warme Gefühl ruhiger Gelassenheit aus. Ja, er fühlte eine gewisse Leichtigkeit, eine lockere Gleichmut. Verschmitzt kurbelte er das Seitenfenster herunter und warf das Fläschchen in ein Gebüsch am Straßenrand. Gesetzesbrecher. Alles normal, oder was. Blödes kein Geld. Blöder Gelogenheitsflyer. Blöder Chef. Cool bleiben. Er brauchte einen zweiten Jägermeister. Magenbitter. Bitter aufstoßen. Bitterböse. Böse wird es enden. An allen Enden. Nur die Wurst hat zwei. Ecke und Kante. Kantholz.
Holzkopf. Brett vorm Kopf. Kopf hoch. Kopf ab. Zur Mitte, zur Titte, zum Sack, zack.
Zuhause. Zuhause? Angekommen? Gut, dass du kommst, ich muss gleich weg. Hast du eingekauft? Er hakte gegenüber seiner Frau die to do - Liste ab: Ja, er hatte den Chef nach der Lohnerhöhung gefragt. Nein, nichts dabei rausgekommen, vertröstet worden. (Mensch, du hast versprochen, ihm Druck zu machen.
Wir haben ein Recht auf das Geld.) Eingekauft nein, leider vergessen. (Jetzt muss ich auf den letzten Drücker noch selbst los.
Weißt du wenigstens noch, dass ich gleich meinen Kursus habe?