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Stella steht eigentlich nicht auf One-Night-Stands - schon gar nicht mit dem unausstehlichen Bruder ihrer besten Freundin. Sie und Carter haben dann auch nie wieder darüber gesprochen.
Als Carters Wohnung ausbrennt, bietet Stella ihm an, vorübergehend bei ihr einzuziehen. Zwischen ihnen scheint ja alles geklärt zu sein. Und das Zusammenleben mit Carter verspricht immerhin eine willkommene Ablenkung zu Stellas langweiligem Job.
Doch die neue Situation ist nicht ganz so einfach, wie gedacht. Zumal Stella immer öfter daran denkt, dass eine gemeinsame Nacht nicht genug sein könnte …
Alle Bücher der Dating Serie können unabhängig voneinander gelesen werden.
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Seitenzahl: 380
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Stella steht eigentlich nicht auf One-Night-Stands - schon gar nicht mit dem unausstehlichen Bruder ihrer besten Freundin. Sie und Carter haben dann auch nie wieder darüber gesprochen.
Als Carters Wohnung ausbrennt, bietet Stella ihm an, vorübergehend bei ihr einzuziehen. Zwischen ihnen scheint ja alles geklärt zu sein. Und das Zusammenleben mit Carter verspricht immerhin eine willkommene Ablenkung zu Stellas langweiligem Job.
Doch die neue Situation ist nicht ganz so einfach, wie gedacht. Zumal Stella immer öfter daran denkt, dass eine gemeinsame Nacht nicht genug sein könnte …
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Monica Murphy ist New-York-Times- und USA-Today-Bestsellerautorin. Ihre Bücher wurden in fast ein Dutzend Sprachen übersetzt und haben sich weltweit über eine Million Mal verkauft. Die Autorin lebt mit ihrer Familie, ihrem Hund und vielen Katzen mitten im kalifornischen Nirgendwo. Wenn sie nicht gerade an neuen Büchern schreibt, verbringt sie ihre Zeit am liebsten mit ihrem Mann und ihren drei Kindern. Sie glaubt fest an Happy Ends, auch wenn ihre Romanfiguren viele bange Momente durchleben müssen, bevor sie endlich zusammen glücklich werden dürfen.
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Monica Murphy
Hate to Date
Aus dem Amerikanischen von Lotte Arway
Cover
Titel
Inhaltsverzeichnis
Impressum
Titelinformationen
Grußwort
Informationen zum Buch
Newsletter
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EPILOG — Stella
DANKSAGUNG
Impressum
Lust auf more?
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Stella
Es gibt diese Personen, die einem einfach auf den Geist gehen. Sie machen gar nichts falsch, sie sind in jeglicher Hinsicht normal, und doch willst du immer, wenn du das Gesicht dieser Person siehst, einfach …
… reinschlagen.
So geht es mir mit Carter Abbott.
Versteht mich nicht falsch, er ist nett. Und das meine ich sowohl auf die »Ja, er ist echt nett«-Art als auch auf die »Verdammt, der Typ ist nett«-Art. Vielleicht stört mich auch genau das: dass er so absurd gut aussieht. Ich bin mir sicher, dass er sich dessen bewusst ist.
Bäh.
Da sind außerdem diese Personen, die gar nicht erst auf sich aufmerksam machen müssen, weil du sofort weißt, dass sie sich im selben Raum befinden wie du. Dass sie dieselbe Luft atmen. Als hättest du einen sechsten Sinn.
Es geschieht gerade jetzt in diesem Moment, während einer stressigen Schicht bei der Arbeit. Die Touristensaison geht los (wem versuche ich eigentlich, etwas vorzumachen, hier ist immer Touristensaison), und das Sweet Dreams Café ist ein Hotspot für Touristen und Einheimische. Ich bin die Chef-Barista, und ich mache den besten Kaffee, den man in ganz Carmel-by-the-Sea trinken kann, wenn ich das so sagen darf. Das ist nicht mal Angeberei. Lest einfach mal meine Google-Bewertungen.
Wie auch immer. Ich kümmere mich also um meinen Kram und reinige in einer der seltenen ruhigen Phasen die riesige Espressomaschine, als sich die Haare in meinem Nacken aufstellen. Gänsehaut breitet sich auf meinem gesamten Körper aus, und ich halte in der Bewegung inne.
Jemand beobachtet mich.
Und ich weiß genau, wer es ist.
Als ich hochblicke, sehe ich ihn zunächst nicht. Das habe ich ehrlich gesagt auch nicht erwartet. Vielleicht funktioniert mein Radar doch nicht so gut. Das Café ist voller Menschen. Jeder Tisch ist besetzt, und das leise Gemurmel diverser Stimmen erfüllt meine Ohren. Ich runzele die Stirn und lasse meinen Blick von einer Seite des Raumes zur anderen schweifen, und dann …
O Gott.
Da ist er.
Carter, wie er leibt und lebt.
Er grinst mich an.
Caroline hatte mich vorgewarnt, dass ihr großer Bruder tatsächlich wieder nach Hause kommen wollte. Ich sollte wohl klarstellen, dass sie mich nicht wirklich gewarnt hat. Sie hat es vielmehr ganz beiläufig letzte Woche erwähnt. Es sollte kein großes Ding sein, dass er zurück ist, wisst ihr? Wen interessiert’s?
*leise die Hand heb*
Mich interessiert es. Es ist ein verdammt großes Ding.
Wollt ihr wissen, warum? Niemand sonst weiß darüber Bescheid. Es ist mein … na gut, mein und Carters kleines Geheimnis. Ich habe es keiner Menschenseele erzählt, keinem meiner Freunde. Und ganz sicher nicht meiner Familie, denn mein Vater und meine älteren Brüder würden ihn umbringen.
Meine große italienische Familie wacht mit Argusaugen über mich.
Auch Caroline habe ich es nicht erzählt. Ich wollte nicht, dass sie sich Hoffnungen macht. Und genauso wenig, dass diese zerstört werden. Vielleicht wäre sie enttäuscht von uns gewesen? Ich weiß es nicht. Außerdem ist es seltsam, versteht ihr?
Ich kann förmlich spüren, dass ihr alle denkt: Komm aus dem Knick und verrate uns das große Geheimnis!
Sorry. Ich fasse es mal zusammen.
Vor ungefähr einem Jahr kam Carter übers Wochenende in die Stadt. Er sah sehr, sehr nett aus, aber das war nichts Neues. Wir gingen als große Gruppe zum Abendessen ins Tuscany, das Restaurant, das meiner Familie gehört und von meinen Brüdern geführt wird.
Der (kostenlose) Wein floss in Strömen. Das (ebenfalls kostenlose) Essen war köstlich. Die mysteriösen Blicke, die Carter mir den ganzen Abend über den Tisch hinweg zuwarf, waren glühend.
Und ich glühte zurück.
Niemand hat auf uns geachtet. Vor allem nicht meine Brüder, die zu sehr mit der Arbeit beschäftigt waren. Aber auch Caroline nicht – ich möchte noch mal besonders hervorheben, dass sie Carters Schwester ist –, die selbst glühende Blicke mit Alex austauschte, ihrem Freund/Verlobten/Als-was-auch-immer-ihr-ihn-bezeichnen-wollt.
Irgendwann musste ich die Toilette aufsuchen. Ich stolperte zwar ein wenig durch die Gegend, hatte mich aber noch relativ gut unter Kontrolle. Ich ging allein (was für ein Schock, wo Frauen doch selten allein aufs Klo gehen, jaja), aber ich hatte dieses Gefühl. Ihr wisst schon, wovon ich rede. Ich hatte das Gefühl, dass mir vielleicht jemand dorthin folgen würde.
Leute.
Ich.
Hatte.
Recht.
Ich musste nicht wirklich pinkeln, Gott sei Dank. Wenige Sekunden, nachdem ich in die Toilette gegangen war, schlüpfte Carter zu mir in den Raum, verriegelte die Tür, lehnte sich dagegen und warf mir mehr von diesen glühenden Blicken zu, ohne ein Wort zu sagen.
Wieder glühte ich zurück. Es war ziemlich heiß, dass wir nichts sagten. Wir kommunizierten einzig durch unsere Augen miteinander, unsere Körpersprache. Er wollte mich.
Und ich wollte ihn auch.
Er hob mich auf den Rand des Waschbeckens (keine Sorge, es war sauber, meine Brüder haben den Laden unter Kontrolle) und küsste mich, bis ich außer Atem war.
Noch ein paar andere Dinge passierten in dieser Toilette, aber ich bin nicht diejenige, die sie erzählen wird. Als das Abendessen beendet war und wir alle unserer Wege gingen, kam Carter mit in das Apartment, das ich mir mit seiner Schwester teile. Caroline ging mit zu Alex nach Hause, also konnte ich mir sicher sein, dass die Luft rein war.
Ja. Ich hatte die ganze Nacht Sex mit Carter Abbott. Mehrmals. Was bedeutet, dass ich mehrere Orgasmen hatte. Und, Leute?
Es war der Wahnsinn.
Und dann hat sich dieses Arschloch verdrückt, während ich schlief, seitdem habe ich ihn nicht wiedergesehen. Keine Textnachricht, kein Zettel auf dem Kopfkissen, keine mit Lippenstift geschriebene Nachricht auf dem Spiegel, die besagt: War super, wir hören uns später.
Nichts.
Was für ein Idiot, oder?
Genau diesem Idioten starre ich in genau diesem Moment direkt in die Augen, und Wut steigt in mir auf. Und noch schlimmer, gleichzeitig steigt auch Lust in mir auf. Es nervt mich, dass ich mich noch immer von ihm angezogen fühle.
Und so wie er mich ansieht, bin ich mir sicher, dass das auf Gegenseitigkeit beruht.
Mist.
Ich stecke in Schwierigkeiten.
»STELLA! O mein Gott, ich bin so froh, dass du heute Nachmittag arbeitest!« Carolines Gesicht taucht genau vor mir auf. Ich friere in der Bewegung ein und blinzele sie überrascht an. Ich war so hingerissen von ihrem irrsinnig heißen Bruder, dass ich gar nicht bemerkt habe, dass sie auch da ist.
»Oh, hey, Caroline.« Ich lächle und versuche, mich normal zu verhalten. Mein gesamter Körper bebt, nur weil ich Carter angeschaut habe, was echt gruselig ist. Wie ätzend, dass ich jedes Mal, wenn wir uns im selben Raum befinden, so eine viszerale Reaktion habe. »Was machst du denn heute Nachmittag hier?«
»Mich mit Carter treffen!« Sie wedelt mit der Hand in Richtung ihres Bruders und hört nicht auf zu grinsen. Ich hingegen schon. Möglich, dass ich sogar das Gesicht verziehe. »Er ist wieder da! Ich bin so aufgeregt! Ist es nicht großartig?«
Sie schreit förmlich, was Caroline immer tut, wenn sie wahnsinnig fröhlich ist. Sie ist jetzt schon seit einer ganzen Weile wahnsinnig fröhlich, und ich weiß, dass das hauptsächlich ihrem Verlobten Alex zu verdanken ist. Sie werden diesen Sommer heiraten, es ist gar nicht mehr so lange hin. Ist das nicht wunderbar? Ich freue mich so für die beiden. Natürlich bin ich ihre Trauzeugin. Ich habe auch schon mein Kleid anprobiert, zum Glück ist es keins dieser typischen scheußlichen Brautjungfernkleider. Caroline hat einen ausgezeichneten Geschmack.
Sorge überkommt mich, und nun verziehe ich das Gesicht wirklich. Was, wenn Carter der andere Trauzeuge ist? Um Himmels willen, nein. Ich werde nicht an seinem Arm zum Altar schreiten. Auf keinen Fall. Auf gaaaaar keinen Fall.
»Ich will das eigentlich echt nicht fragen, aber es ist so voll hier … könntest du uns schnell zwei Getränke machen? Damit wir uns nicht anstellen müssen?« Caroline zieht ihre Nase kraus. Legt den Kopf schief. Schaut mich an wie ein trauriger Welpe. »Bitte?«
Ich würde alles für sie tun. Diesem Arschloch, mit dem sie verwandt ist, würde ich hingegen am liebsten eine schöne Tasse Kanalwasser zubereiten.
Kann ich aber nicht. Ich muss für meine beste Freundin so tun, als wäre alles gut, und das bedeutet eben auch, nett zu Carter zu sein.
»Klar.« Ich lächle strahlend und lasse meinen Blick schweifen. Dabei begegne ich dem von Carter, der mich beobachtet. Er lungert ein paar Schritte hinter Caroline herum, als würde er es nicht wagen, zu nah heranzukommen. Vielleicht ist er schlauer, als ich ihm zugetraut hatte. »Was wollt ihr denn trinken?«
»Einen Eiskaramell-Macchiato für mich, bitte. Fettarme Milch, du weißt Bescheid. Carter?« Caroline dreht sich um. »Komm her. Stella möchte wissen, was du trinken willst.«
Sehr langsam kommt er zur Theke. Vorsichtig. Als wäre ich ein wildes Tier, das seinen hübschen Kopf mit einem Bissen verschlingen wird. Ich wünschte, das könnte ich. Es wäre enorm befriedigend. »Ich nehme dasselbe wie du«, sagt er zu Caroline und macht sich nicht mal die Mühe, mich anzusehen, der Idiot.
Seine tiefe Stimme ist genauso herrlich, wie ich sie in Erinnerung habe. Und er ist auch genauso attraktiv, wie ich ihn in Erinnerung habe. Ist aber keine Überraschung, oder? Natürlich ist seine Stimme immer noch sexy. Natürlich ist er immer noch schön.
Ich hasse ihn.
»Ich dachte, du magst Macchiatos nicht.« Caroline sieht Carter stirnrunzelnd an, und er schaut genauso zurück. »Zu viel Milch, erinnerst du dich?«
Soll ich euch was verraten? Als wir jünger waren, haben sich die beiden nicht verstanden. Überhaupt nicht. Erst Alex hat es geschafft, Caroline davon zu überzeugen, dass Familie das Wichtigste ist, und obwohl ich diese Einstellung teile und sich in meiner Familie auch alle sehr nahestehen, habe ich das Gefühl, dass Carter mir gehörig auf den Sack gehen und möglicherweise einen Keil zwischen Caroline und mich treiben wird.
Ja, das denke ich. Verurteilt mich ruhig.
»Bist du laktoseintolerant?«, frage ich Carter mit lässiger Stimme. Als wäre ich eine kleine, süße Barista, die sich sehr um die Mägen ihrer Kunden sorgt.
Er schaut mich gar nicht richtig an. Ich schätze, das kriegt er nicht hin, wenn wir so nah beieinanderstehen. Erinnert er sich an das letzte Mal, als wir uns so nahe waren? Als er seinen Mund auf meinen legte und seine Hand zwischen meine Beine glitt …
»Nein, zufällig liebe ich Macchiatos.« Er klingt wie ein richtiger Rotzlappen. Es ist fast schon lustig. »Ich … bevorzuge sie allerdings heiß. Und definitiv mit fettarmer Milch. Und mit einem Pumpstoß Karamell weniger.«
Seufzend nehme ich einen Pappbecher und meinen Filzstift. Ich weiß, worauf das hinausläuft. Ich glaube, wir haben dieses Gespräch schon mal geführt, Carter und ich. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich ihm in meinem Leben schon ein oder zwei Getränke im Sweet Dreams zubereitet habe. Bevor sich alles veränderte. »Willst du lieber einen halbfetten Vanilla Latte?«
Die Erleichterung in seinem Gesicht hat fast etwas Komisches. »Ja.« Er hält einen Moment inne, und ich hebe den Blick und stelle fest, dass er mich mit dem Hauch eines Glühens in den Augen beobachtet. Verdammt, dieses Glühen! Ich hasse es! »Bitte.«
»Kommt sofort!« Ich kritzele eine besondere Nachricht auf seinen Becher und mache mich an die Arbeit. Carolines Getränk zuerst. Wie üblich ist die Schlange am Tresen lang. Es ist mitten am Nachmittag, deshalb ist jeder auf eine kleine Kaffeepause aus, die einen durch den Rest des Tages bringt. Zusätzlich zum Kaffee haben wir reichlich süßes Gebäck im Angebot, auch das rettet manchen Menschen den Tag.
Caroline macht sich gar nicht erst die Mühe, zur Kasse zu gehen, weil sie genau weiß, dass mein Vater ihr Geld nicht annehmen wird. Carter hingegen … Ich wette, wenn ich meinen Vater darum bäte, ihm den doppelten Betrag abzurechnen, würde er es tun. Vor allem, wenn ich nicht erwähnte, wer Carter ist …
Aber mein Vater kennt Carter, wenn auch nur flüchtig. Meine Brüder kennen Carter mit Sicherheit, und sie würden ihm kostenlosen Wein und sogar kostenloses Essen geben.
So nervig.
Er verdient keine Geschenke. Oder Nettigkeiten. Meine Brüder sollten ihn an seinen Eiern aufhängen. Mein Vater sollte ihm in die Nieren boxen. Ich würde ihm gern mit der flachen Hand in sein obszön gut aussehendes Gesicht schlagen. Vielleicht würde ich es vorher küssen. Seine Lippen küssen, sollte ich wohl hinzufügen. Nur um zu sehen, ob er noch genauso gut damit umgehen kann wie letztes Mal …
»Stella! Wo bleibt mein Chai Latte?«
Ich zucke zusammen und hebe den Blick. Meine Cousine Sabina schaut mich an, Ärger steht ihr in ihr hübsches Gesicht geschrieben. Sie arbeitet für uns an der Theke, hauptsächlich an den Wochenenden, aber manchmal auch nach der Schule. Sie ist erst siebzehn und ziemlich aufmüpfig, deshalb werfe ich ihr nur einen finsteren Blick zu und murmele Schimpfworte auf Italienisch, während ich mich daranmache, Carolines Getränkebestellung zuzubereiten.
»Gib mir eine Minute«, sage ich schließlich zu Sabina, die daraufhin lediglich mit den Augen rollt.
Unser anderer Barista Glenn, der meiner Meinung nach Baristo genannt werden sollte, erscheint wie von Zauberhand neben mir, bindet sich die Schürze um und schaut prüfend auf die Reihe leerer Becher, die sich angesammelt haben, einer für jede Bestellung. »Sieht so aus, als wäre ich genau zum richtigen Zeitpunkt gekommen.«
»Du bist mein Held«, sage ich sarkastisch, aber ich meine es wirklich so. Glenn ist lieb. Er ist fünfundfünfzig Jahre alt und hat einen dicken, ergrauenden Bart und freundliche braune Augen. Er fing vor fast einem Jahr an, im Sweet Dreams zu arbeiten, und ist ein ausgezeichneter Barista.
Er ist außerdem reich, vielleicht sogar reicher als meine Familie, doch nachdem er in Rente ging und seine vielfältigen und erfolgreichen Unternehmen verkauft hatte, wurde ihm langweilig. Seine Frau schenkte ihm eine Espressomaschine zu Weihnachten, und er konnte so geschickt damit umgehen, dass sie ihn damit aufzog, dass er in einem Café arbeiten sollte. So landete er bei uns. Sein Hobby wurde zu einem Job. Ein Job, bei dem er sehr gut bezahlt wird, aber ich glaube nicht, dass Geld für Glenn wichtig ist. Er zieht seine Befriedigung daraus, Spezial-Kaffeebestellungen zuzubereiten, vier Stunden am Tag, vier Tage die Woche.
Was immer einen glücklich macht, hab ich recht?
Als Nächstes mache ich mich an Carters fettarmen Vanilla Latte. Ich wünschte, ich könnte etwas hineintun, um ihm das Leben zur Hölle zu machen (nichts Giftiges natürlich), aber ich habe keine Zeit dafür, deshalb stelle ich beide Getränke auf die Theke und schenke Caroline ein Lächeln. »Bitte sehr.«
»Du bist eine Lebensretterin, Stel.« Sie lehnt sich vor, gibt mir einen schnellen Kuss auf die Wange, und mein Herz wird weich. Ich liebe meine beste Freundin. Das tue ich wirklich. Sie war immer für mich da, in jeder Lebenslage, und ich umgekehrt auch für sie.
Doch ihr Bruder ist eine absolute Arschgeige, und wenn ich könnte, würde ich ihm seinen fettarmen Vanilla Latte über das Hemd schütten und darauf hoffen, dass sich der Kaffee für immer in den makellosen weißen Stoff frisst.
Genauso, wie sich die Erinnerung an unsere eine gemeinsame Nacht für immer in mein Hirn gefressen hat.
Carter
»Es ist immer so viel los hier. Ich frage mich, ob Stella schon eine Pause hatte«, sagt Caroline besorgt und wirft einen nachdenklichen Blick in Richtung ihrer Freundin. Ich schaue gar nicht erst über meine Schulter. Ich weiß auch so ganz genau, wie Stella aussieht.
Ich weiß sogar, wie sie nackt aussieht. Nicht, dass ich das meiner Schwester gegenüber erwähnen würde.
»Ich bin mir sicher, dass sie eine hatte. Schmeißt sie nicht sozusagen den Laden hier? Sie ist bestimmt nur so beschäftigt, wie sie sein möchte.« Das Sweet Dreams ist immer so voll wie heute. Ich bin überrascht, dass Stella mir ein kostenloses Getränk gemacht hat, genau so, wie ich es haben wollte. Ich nehme einen Schluck – es ist auch noch verdammt gut.
Alles an ihr ist verdammt gut, wenn ihr mich fragt, aber ich glaube, dass sie im Moment nicht sehr gut auf mich zu sprechen ist. Hat vielleicht was damit zu tun, dass ich mich in den frühen Morgenstunden nach unserer einzigen – tollen – gemeinsamen Nacht heimlich aus ihrem Zimmer verdrückt und nie wieder mit ihr gesprochen habe. Bis genau heute.
Sie hasst mich bestimmt. Und ich verdiene es auch nicht anders. Deshalb wollte ich ihr auch erst nicht zu nahekommen. Ich hatte Angst, dass sie mir den heißen Kaffee ins Gesicht schüttet und mir eine bleibende Verletzung zufügt.
Caroline schaut nach der Uhrzeit auf ihrem Handy und runzelt die Stirn. »Normalerweise ist ihre Schicht jetzt vorbei. Ich hatte gehofft, dass sie sich ein paar Minuten zu uns setzen kann. Ich wollte einige Details für die Hochzeit mit ihr besprechen.«
Ich hab jetzt schon genug von der Hochzeitsplanung. »Vielleicht ein anderes Mal«, sage ich leichthin, als wäre es kein großes Ding, mich mit meiner Schwester und Stella zu unterhalten. Früher wäre es das auch nicht gewesen. Als wir jünger waren, habe ich Stella gerade so akzeptiert. Sie war nervig. Ich hielt alle Freundinnen meiner Schwester für nervig. Diese Annahme hielt sich bis in unsere frühen Zwanziger.
Und dann änderte sich etwas. Vor allem mit Stella. Mir fiel auf, wie schön sie war. Ich mochte ihre lebhafte Persönlichkeit. Sie scheut sich nicht davor, ihre Meinung zu sagen. Sie steht für die Dinge ein, die sie möchte. Angesichts ihrer Kurven kribbelten mir immer die Hände, als könnten sie es nicht erwarten, Stella zu berühren.
»Hoffentlich«, sagt Caroline und schürzt die Lippen, während sie Stella weiter beobachtet.
»Ich sollte mich bald mal auf den Weg machen.« Jetzt bin ich derjenige, der die Uhrzeit auf seinem Handy checkt, obwohl das eine Lüge ist. Ich muss nirgendwo hingehen und nirgendwo sein. Geistesabwesend kratze ich mir die Handfläche und halte sofort inne. Meine Hände jucken wegen Stella.
Im Sinne von: Sie wollen sie anfassen.
Schlechte Idee, Kumpel. Ganz schlechte Idee.
»Mann, Carter. Kannst du nicht mal eine Sekunde stillsitzen?« Caroline richtet ihre Aufmerksamkeit wieder auf mich und nippt an ihrem Getränk. Der riesige Stein an ihrem Ringfinger reflektiert das Licht, sodass ich fast erblinde.
Alex Wilder hat mit diesem Verlobungsring alle Register gezogen. Ich bin froh, dass er bald mein Schwager sein wird. Damals in der Middle School waren wir beste Freunde, und es ist echt toll, dass wir wieder Kontakt haben. Als ich in Südkalifornien gewohnt habe, waren sie hin und wieder zu Besuch. Und ich habe sie hier besucht, aber ich war immer nur kurz da.
Es gab einen Grund dafür, dass ich die Heimat damals verlassen habe. Als wir aufwuchsen, waren wir immer von reichen Leuten umgeben, hatten selbst aber nicht viel. Diese Stadt, die gesamte Umgebung hat mir immer das Gefühl gegeben … nicht genug zu sein. Bei der ersten Gelegenheit, die sich mir bot, ging ich. Warum sollte ich zurückkommen wollen? Um wie ein Versager dazustehen?
Ich schätze, ich habe versagt, denn hier bin ich. Mit leeren Taschen. Ich brauche unbedingt eine Veränderung. Seit Alex und Caroline ein Paar sind, versuchen sie mich dazu zu überreden, wieder herzuziehen, aber ich habe sie immer abgebügelt.
Bis ich vor ungefähr einem Monat mit der Maklerin der Agentur, in der ich gearbeitet habe, aneinandergeraten bin und sie angeschrien habe. Es war auch nicht sehr hilfreich, dass die Maklerin meine Ex-Freundin ist und mich hasst. Lass dich nie auf eine Beziehung mit einer Frau ein, mit der du zusammenarbeitest. Das habe ich aus der unschönen Trennung von Robyn gelernt.
Der Streit führte dazu, dass ich in einem Moment größter Frustration und Wut gekündigt habe. Ich bereute es bereits, als die Worte meinen Mund kaum verlassen hatten, doch dann erkannte ich:
Ich war ausgebrannt.
Müde.
Sehr erschöpft.
Sobald ich nach Hause kam (nachdem ich ein paar Biere mit Freunden getrunken und meinen neuen Karrierestatus gleichzeitig gefeiert und beklagt hatte), dachte ich in Ruhe über meine Situation nach und stellte fest, dass ich nicht in der besten Position war, um meinen Job zu kündigen. Die letzten fünf Jahre hatte ich zwar hart gearbeitet, aber mein Geld mit gleicher Passion ausgegeben. Ich war ein Workaholic, der gern feierte. Ich war überaus großzügig und zahlte für die Speisen und Getränke meiner Freunde und Kollegen. Was auch immer es war, die Rechnung ging auf mich.
Meine Rücklagen sind nicht so groß, wie ich es mir wünschen würde, aber ich kann eine Weile davon leben, wenn ich mein Geld beisammenhalte. Ich bin kein Fan davon, Schulden zu machen. Ich halte die Beträge auf meiner Kreditkarte gern niedrig oder nutze sie am besten gar nicht. Ich sollte zurechtkommen, dennoch muss ich einen Job finden.
Mehr als alles andere würde ich jetzt aber gern ein Nickerchen machen.
»Ich brauche eine Wohnung«, sage ich zu meiner Schwester. Ich möchte meine eigene Bude. Der Verlobte meiner Schwester hatte angeboten, dass ich eine Weile bei ihm wohnen könnte, bevor ich hergekommen bin, und ich habe es ernsthaft in Erwägung gezogen. In Alex’ großem Haus am Meer zu wohnen wäre ganz schön und so, aber Caroline ist immer dort. Ich würde mich wie das fünfte Rad am Wagen fühlen. Die Mieten in der Gegend sind astronomisch. Am besten wäre es, ein Haus zu kaufen, aber die Anzahlung würde meine gesamten Ersparnisse erfordern, vermutlich sogar mehr, und ich bin mir ja nicht mal sicher, dass ich längerfristig hierbleiben möchte.
»Du könntest bei Alex wohnen«, merkt Caroline an, wie bereits unzählige Male zuvor.
Ich schüttele den Kopf. »Ich glaube nicht.«
Ihr Gesichtsausdruck ist eindeutig. Sie denkt, dass ich stur bin. Und mich lächerlich verhalte. Und vielleicht tue ich das. Aber ich möchte nicht bei Alex wohnen. Und ich will mich auch nicht durch einen Ein-Jahres-Vertrag an irgendein Loch fesseln lassen. Im Moment wohne ich kostenlos im Wilder Hotel in Pebble Beach, aber ich möchte ungern Alex’ Wohltätigkeitsfall sein.
Immerhin habe ich noch meinen Stolz.
»Willst du nicht für ein paar Monate im Hotel wohnen?«, fragt sie.
Ich habe ihr bereits gesagt, dass ich das nicht möchte. »Es wäre ideal, wenn ich was mit einer günstigen Miete finden würde, die man monatsweise zahlt. Aber ich weiß, dass es so was hier in der Gegend eigentlich nicht gibt.« Ich nehme einen Schluck meines Latte und muss an Stella denken. Einfach nur wieder hier zu sein lässt sie ständig in meinen Gedanken herumgeistern. Verdammt, sie ist nur ein paar Meter von mir entfernt, und immer wieder scheinen sich die Härchen an meinen Armen aufzurichten. Als würde ich merken, dass sie mich beobachtet.
Tut sie das wirklich?
Ich werfe einen Blick über meine Schulter und sehe sie sofort. Als hätte sie einen Sensor und könnte mich mit ihr verbinden, ohne mich anstrengen zu müssen. Sie beobachtet mich tatsächlich. Mein Puls beschleunigt sich.
Doch dann wird mir bewusst, dass sie mich mit Wut in den Augen anstarrt, und ich schaue weg und versuche, meine Enttäuschung zu ignorieren.
Der Ausdruck in ihren Augen reicht mir als Bestätigung meiner Befürchtung, sie könnte mich hassen.
»… deshalb habe ich mich gefragt, ob du bei ihr einziehen solltest. Nur für eine Weile. Ich weiß, die Idee klingt erst mal verrückt, aber ich glaube wirklich, dass es funktionieren könnte. Was hältst du davon?«
Ich habe nur die Hälfte von dem verstanden, was Caroline gerade zu mir gesagt hat.
»Kannst du das wiederholen?«, frage ich resigniert.
Caroline rollt mit den Augen. »Ich habe Stella gegenüber schon mehrfach angedeutet, dass ich bei Alex einziehen werde, aber ich habe es ihr noch nicht so deutlich gesagt. Na ja, jetzt muss ich es aber tun, weil Alex möchte, dass ich schon nächste Woche bei ihm einziehe. Du könntest mein Zimmer übernehmen, wenn ich ausgezogen bin. Nur vorübergehend, natürlich, bis du herausgefunden hast, was du machen willst.«
Hat meine Schwester gerade vorgeschlagen, dass ich … bei Stella einziehe?
Um Himmels willen, nein.
»Das würde ihr nicht gefallen.«
»Ach, komm schon! Ihr beide habt euch doch immer gut verstanden.«
Das stimmt nicht. »Nicht wirklich.«
»Ihr habt beide viel zu tun. Ihr werdet euch kaum sehen.« Caroline macht eine wegwerfende Handbewegung.
»Ich arbeite im Moment nicht, also würde ich sie ständig sehen, wenn ich bei ihr einziehen würde.« Nein, danke. Ich fühle mich schon schlecht genug, weil ich sie nach dieser einen Nacht einfach abserviert habe. Was, wenn ich ihr jeden Tag gegenübertreten müsste, in dem Wissen, dass sie mich hasst?
Das würde ich nicht aushalten.
»Du wirst schnell einen Job finden, ich kenne dich doch. Du kannst es nicht leiden, rumzusitzen und nichts zu tun.« Caroline runzelt die Stirn und lässt ihren Blick zum vorderen Bereich des Cafés schweifen, vermutlich zu Stella. »Ich will sie nicht alleine lassen, aber Alex bettelt quasi darum. Wir heiraten in zwei Monaten, also kann ich eigentlich auch jetzt schon zu ihm ziehen …«
»Denkst du echt, dass Stella mich als Mitbewohner haben wollen würde?« Natürlich wollte sie das nicht. Und wenn Caroline den Grund dafür kennen würde, würde sie ihr voll und ganz zustimmen.
»Ich glaube nicht, dass sie was dagegen hätte …« Caroline zuckt mit den Schultern. »Was wäre schon dabei?«
»Ich möchte keine Mitbewohnerin.« Ich blicke sie finster an und zupfe geistesabwesend an dem Papier herum, das um meinen Becher gewickelt ist. Ich bin vor nicht einmal zwei Stunden in der Stadt angekommen. Es ist super, im Hotel von Alex’ Familie zu wohnen, doch ich plane nicht, lange dort zu bleiben.
So, wie ich mich kenne, würde ich bis mittags schlafen, eine Runde Golf spielen und mich dann an der Bar niederlassen und meinen neuen Golfbuddys Getränke ausgeben.
Ich muss meine alten Gewohnheiten hinter mir lassen. In einem Hotel zu wohnen wäre dabei wenig hilfreich.
»Das verstehe ich. Aber wo willst du hier was Günstiges zum Wohnen finden? Ich mag den Gedanken nicht, dass Stella allein wohnt. Aber Alex und ich können es nicht abwarten, unser gemeinsames Leben zu beginnen. Wirklich gemeinsam«, betont Caroline, und ich frage mich, wie sich das wohl anfühlt, jemanden so sehr zu lieben, dass man den Gedanken nicht ertragen kann, diese Person nicht jeden Tag zu sehen.
Woher soll ich das auch wissen? Ich hatte nur lockere Beziehungen bisher. In meinen früheren Zwanzigern habe ich nichts anbrennen lassen. Aber war ich jemals richtig verliebt?
Die Antwort darauf ist ein klares Nein.
»Ich versteh das«, lüge ich. »Und ich bin mir sicher, dass Stella es auch verstehen wird. Aber dass ich bei ihr einziehe? Ich glaube nicht, dass sie sich darauf einlassen wird.«
»Du bist einfach stur«, sagt Caroline genervt. »Wie ich schon sagte: Ihr habt beide so viel um die Ohren, dass ihr gar nicht so viel miteinander zu tun hättet.«
»Ich werde hier aber nicht so beschäftigt sein, Caro. Ich muss erst einen Job finden. Mir etwas aufbauen.« Sie vergisst völlig, dass ich keinen Job und nicht sehr viel zu tun habe. Ich könnte für eine Immobilienagentur arbeiten. Ich könnte einfach in eine hier in der Gegend reinspazieren, und sie würden mich sofort einstellen.
Aber ich bin nicht sicher, ob ich das möchte. Was ich wirklich gern tun würde, wäre, ein Haus zu kaufen, es herzurichten und dann wieder zu verkaufen. Ein Projekt, das nur mir gehört.
»Du bist doch so ein Macher, ich bin mir sicher, dass du sofort einen Job finden wirst. Und dann wirst du dir den Arsch abarbeiten, ohne dass du es merkst, und nie zu Hause sein«, sagt Caroline voller Überzeugung, weil sie mich so gut kennt. »Es wäre perfekt.«
»Vermutlich«, sage ich langsam, obwohl ich mir nicht sicher bin, ob es wirklich so schnell gehen würde, wie sie sagt. Wenn ich ehrlich bin, würde ich mir gern Zeit dabei lassen, mir einen Plan zu überlegen und mein gesamtes bisheriges Leben zu überdenken.
Nur: Will ich all das wirklich tun, während ich mit Stella zusammenlebe? In dem Wissen, dass sie mir übel nimmt, was ich ihr angetan habe? Sie erinnert mich daran, wie ich einmal war. Der Draufgänger, der Sex mit Frauen hatte und sie danach sofort vergaß. Ich will so nicht mehr sein.
Ich will mich ändern.
Carolines Gesicht hellt sich auf. »Also hältst du es für eine gute Idee? Ich tue das nämlich. Du könntest mein Zimmer übernehmen, Miete zahlen, ausloten, was du hier jetzt machen möchtest. Wir wissen beide, dass du letztendlich einen Job und was zum Wohnen finden und hier richtig ankommen wirst. Es ist die perfekte Lösung.«
»Was wird aus Stella, wenn ich wieder ausziehe?« Ich meine das nur rein hypothetisch, natürlich, denn wir wissen alle, dass das nicht passieren wird.
Carolines Augen verdunkeln sich, und sie seufzt. »Ich weiß es nicht. Ich schätze, sie wird irgendwann einen anderen Mitbewohner finden. Oder sie lebt allein. Das wird sie vielleicht wollen, nachdem ihr beide eine Zeit lang zusammengelebt habt.«
»Haha, sehr witzig.«
»Hör zu, das Beste daran, zu Stella zu ziehen, ist, dass die Miete sehr niedrig ist. Nur vierhundert Dollar im Monat, inklusive Nebenkosten«, erklärt Caroline.
Ich habe das Gefühl, dass meine Augen so groß werden, dass sie mir fast aus dem Kopf fallen. »Das ist alles?« Die Mieten für ein Unternehmen auf der Ocean Avenue in Carmel-by-the-Sea sind viel höher als das. Vierhundert Dollar beträgt vermutlich gerade mal die Miete für eine Stunde.
Caroline nickt und macht ein schuldbewusstes Gesicht. »Ich weiß. Es ist so günstig, oder?«
Bei Stella einzuziehen klingt von Minute zu Minute verlockender. Aber ich weiß, dass es niemals funktionieren würde. Erstens: Sie würde niemals zustimmen. Zweitens: Es wäre eine zu große Versuchung, mit Stella in derselben Wohnung zu leben.
Viel zu groß.
Ich kann es nicht riskieren.
Was in dieser einen Nacht zwischen uns gelaufen ist, darf sich nicht wiederholen, ganz egal, wie sehr ich es vielleicht möchte. In letzter Zeit denke ich viel an diese Nacht. Vielleicht, weil ich Stella nicht haben kann und man dazu neigt, genau das zu wollen, was man nicht haben kann?
Aber wer sagt eigentlich, dass ich Stella nicht haben kann? Ich selbst?
Ja. Ich. Ich verdiene sie nicht, vor allem nach dem, was ich getan habe.
»Ich sollte gehen.« Nachdem ich den letzten Rest meines Latte getrunken habe, knalle ich den Becher auf die Tischplatte, wobei die Papierbanderole abfällt und die Schrift freigibt, die bisher darunter verborgen war.
Ich hoffe, du kackst dir nicht in die Hose, steht da, begleitet von einem süßen Smiley.
Lächelnd starre ich auf Stellas geschwungene, feminine Handschrift. Ich sollte mich davon angegriffen fühlen, oder? Vielleicht? Aber das tue ich nicht.
Ich bin irgendwie verzückt.
Wäre es so schrecklich, mit Stella zusammenzuwohnen? Nein. Aber es würde meine Selbstkontrolle wirklich auf den Prüfstand stellen. Sie ist die reinste Versuchung. Sogar jetzt, während sie hier im Sweet Dreams hinter der Theke vor sich hin werkelt und mich bei jeder Gelegenheit, die sich ihr bietet, anschaut, fühle ich mich zu ihr hingezogen.
Es wäre ja nur vorübergehend. Ein kurzer Abschnitt meines Lebens, in dem ich wieder auf die Füße komme, herausfinde, was ich machen will, und meinen nächsten Schritt plane.
»Geh heute Abend mit uns essen«, sagt Caroline, als wir beide aufstehen und zur Eingangstür gehen. »Wir wollen in das Restaurant mit der Terrasse, von der aus man die ganze Straße einsehen kann.«
»Das beim Strand?« Ich habe davon gehört, war aber noch nie dort. Gott sei Dank hat meine Schwester nicht das Tuscany vorgeschlagen. Dieses Restaurant steckt voller Erinnerungen, und in allen spielt Stella die Hauptrolle.
»Ja.« Sie nickt. »Um sieben. Was meinst du?«
»Klar.« Ich zucke mit den Achseln und werfe einen Blick über die Schulter. Stella beobachtet uns. Ich hebe die Hand zum Dank, und sie kratzt sich zur Antwort am Kopf und zeigt mir dabei subtil den Mittelfinger.
Lachend verlasse ich, gefolgt von meiner Schwester, das Café.
»Was ist so lustig?«, will sie wissen.
Mein Lachen erstirbt, nicht jedoch meine plötzliche gute Laune.
»Ach, nichts. Bis heute Abend.«
Stella
Ich erreiche kurz nach sieben das Treehouse Café und fluche gedanklich, weil ich zu spät komme. Ich bin ein pünktlicher Mensch. Es ist schon fast eine Charakterschwäche, wie zeitig ich immer da bin. Der Rest meiner Familie kommt immer zu spät. Meine Mutter, mein Vater, meine Brüder – fast immer sind sie eine halbe Stunde zu spät. Es ist schon so weit gekommen, dass ich ihnen sage, eine Veranstaltung beginne eine halbe Stunde früher, als sie es eigentlich tut, nur um sicherzugehen, dass sie rechtzeitig da sind.
Nach der Arbeit ging ich hoch in mein Apartment, duschte und kuschelte mich dann nur mit Slip und BH bekleidet in mein Bett. Um halb sieben rum wachte ich wieder auf, meine Haare waren immer noch feucht und verknotet, und getrocknete Spucke klebte an meiner Wange. Bis zum Restaurant musste ich zwar nur ein paar Blocks gehen, was höchstens zehn Minuten dauern würde, aber mich vorher präsentabel herzurichten beanspruchte mehr Zeit.
Jetzt betrete ich voller Eile das Restaurant und werde von einer Kellnerin in den Außenbereich geführt. Es ist dunkel, und vom Meer weht eine frische Brise herüber. Zwischen den Tischen stehen Heizpilze, damit niemand friert, doch ich bin trotzdem froh, dass ich ein dünnes Sweatshirt dabeihabe. Während ich der Kellnerin folge, die munter vor sich hinplappert, dass heute niemand drinnen sitzen möchte, lasse ich meinen Blick schweifen. Als mich die Kellnerin über die Schulter hinweg anschaut, nicke und lächle ich, doch als ich Alex und Caroline an einem Tisch entdecke, bleibe ich abrupt stehen. Sie sind nicht allein.
Carter ist auch da. Der Stuhl neben ihm ist leer, und mir dämmert, dass das hier eingefädelt war.
Ich werde meine beste Freundin töten, wenn sie schläft. Sie wird nie erfahren, wer es war.
Doch dann denke ich über die Konsequenzen nach, und da eine Gefängnisstrafe nicht sehr spaßig klingt, schwöre ich mir selbst, dass ich ihr nicht wehtun werde.
Als Caroline mich entdeckt und zu ihnen winkt, setze ich ein gequältes Lächeln auf, sage der Kellnerin, dass ich meine Freunde gefunden habe, und gehe auf die anderen zu. Vor dem Tisch bleibe ich stehen. »Hey, Leute.«
»Hey«, sagt Caroline, und ihr Verlobter erhebt sich und drückt mir einen flüchtigen Kuss auf die Wange. In letzter Zeit zeigt Alex ständig jedem seine Zuneigung. Ich glaube, das liegt daran, dass er so wahnsinnig verliebt in Caroline ist.
»Gut siehst du aus«, sagt er, als er sich wieder hingesetzt hat und ich ihm gegenüber Platz nehme. »Neues Kleid?«
Ich schaue an mir herunter. Das Kleid, das ich trage, ist schlicht und schwarz, aber es ist tatsächlich neu. »Ist es. Danke.« Ich halte den Blick starr nach vorn gerichtet, wende meinen Körper aber leicht Carter zu. »Ich wusste gar nicht, dass du uns Gesellschaft leisten würdest.«
»Ich wusste auch nicht, dass du uns Gesellschaft leisten würdest«, sagt Carter, und ich kann die Überraschung in seiner Stimme hören. Er war genauso wenig eingeweiht. Ich drehe mich zu ihm und könnte schwören, dass er mir auf die Brüste glotzt. Dieser Perversling. Er hebt den Blick und trifft meinen, und ich ertrinke für eine Sekunde oder fünf in seinen hübschen blauen Augen. »Ich freue mich, dass du hier bist.«
Er würgt die Worte förmlich hervor, und ich bin mir sicher, dass es ihn große Anstrengung kostet, sie zu sagen. »Dito.« Ich frage mich, ob er die kleine Nachricht gelesen hat, die ich auf seinen Pappbecher geschrieben habe. Es war kindisch und dumm, aber ich konnte nicht anders. Und ganz ehrlich, ich wollte nicht, dass er sich einkackt. Wenn er wirklich laktoseintolerant ist, ist das eine furchtbare Sache.
Alex und Caroline halten das Gespräch am Laufen, während wir die Speisekarten lesen. Ich war erst einmal hier und weiß noch nicht, was ich bestellen soll. Um Carter nicht anschauen zu müssen, verstecke ich mich hinter der riesigen Karte. So kann er mich auch nicht anschauen.
Irgendwann erscheint der Kellner und nimmt zuerst unsere Bestellungen für Getränke und Vorspeisen auf. Wir alle bestellen Wein. Caroline nimmt Hummus und Alex gegrillte Calamari. Ich kann nur daran denken, dass mein Appetit dank Carters Anwesenheit komplett verschwunden ist. Ich will einfach nur Alkohol trinken.
Aber zu viel Wein ist heute vermutlich nicht gut für mich, also ermahne ich mich, auf die Balance zu achten. Wein, Wasser, Wein, Wasser, Wasser, Wasser – das ist der Plan. Ich muss dann vielleicht ständig aufs Klo, aber das ist besser, als betrunken zu sein.
Als ich mich das letzte Mal in Carters Gegenwart in einem Restaurant betrunken habe, sind furchtbare Dinge passiert. Na ja, furchtbare Dinge, die sich gut angefühlt haben, sollte ich wohl sagen. Furchtbare Dinge, die wahrscheinlich nicht hätten passieren sollen.
Ach, ich kann es nicht so gut erklären, also lasst es uns einfach vergessen.
Das Problem ist nur, dass ich es nicht vergessen kann. Jedes Mal, wenn er sich nach vorn beugt und sein Pitabrot in den Hummus tunkt, muss ich daran denken, wie er mich mit seinen langen Fingern berührt hat. Carter achtet heute Abend offensichtlich nicht auf seinen Weinkonsum, denn seine Wangen sind leicht gerötet, und seine Augen glänzen. Er ist schon gut angetrunken. Als unsere Hauptgerichte vor uns stehen und wir seufzen und uns darüber beschweren, dass wir zu viel essen, hat er bereits zu viel Wein getrunken und steuert direkt auf einen Vollsuff zu.
»Hat dich deine Schwester hergefahren?«, frage ich ihn mit leiser Stimme, sodass nur er mich hören kann. Nicht, dass Alex und Caroline uns beachten würden. Sie sind viel zu sehr damit beschäftigt, sich gegenseitig Luftküsse zuzuwerfen.
»Machst du dir Sorgen um mein Wohlergehen, Stella?« Er hebt eine Augenbraue und hält meinen Blick mit seinem fest. Ich kann nicht anders als zurückzustarren, direkt in seine wunderschönen blauen Augen.
»Du bist betrunken«, sage ich unverblümt. »Du solltest nicht fahren.«
»Ich habe ein Uber genommen«, gibt er zurück, der Unterton in seiner Stimme sagt eindeutig: Ich bitte dich, Stella, natürlich würde ich nicht betrunken Auto fahren. Wie kannst du es wagen, mich als so leichtsinnig hinzustellen?
Er nervt mich a so sehr.
»Gott sei Dank«, murmle ich. »Es wäre sicher der reinste Horror, wenn du das Leben anderer aufs Spiel setzt.«
»Ich bin in meinem ganzen Leben noch nie betrunken Auto gefahren«, sagt er und klingt jetzt entrüstet. »Ich bin ehrlich gesagt schockiert, dass du mir unterstellst, dass ich so etwas tun würde.«
»Also bist du ein rücksichtsvoller Autofahrer«, sage ich.
Er nickt. »Natürlich.«
»Du gehst keine Risiken ein, wenn du betrunken bist.«
Er nickt erneut, doch wird in der Bewegung immer langsamer. »Normalerweise … nicht.«
Wir schweigen beide, und die Stille ist nicht angenehm. Weil wir an diese Nacht denken, in der wir uns betrunken haben und ein Risiko eingegangen sind. Sex hatten.
Ja.
»Ihr zwei seid so still«, zieht Caroline uns auf und reißt uns damit aus unserer tranceartigen Erinnerung. Wir wenden uns ihr zu, komplett synchron, und ich würde am liebsten fluchen und mit dem Fuß aufstampfen, weil wir so verdammt harmonisch wirken.
Aber diese Kompatibilität muss eine Lüge sein, sonst wären wir doch längst zusammen, oder? Glückselig und verliebt wie die zwei Menschen, die uns gegenübersitzen.
Meine Gefühle für Carter haben nichts mit Liebe zu tun, nicht mal im Entferntesten. Eher damit, dass ich meine These überprüfen und ihm einen Latte mit Vollmilch zubereiten und dann schauen möchte, wie lange es dauert, bis er zur Toilette stürmt.