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Córdoba 1587: Der junge Eduardo, Herzog von Monterreal, wird von seiner Vergangenheit eingeholt. Zusammen mit seinem Leibdiener Alfonso muss er sich gegenüber seinem Bruder Hector verantworten, der allerdings eigene Pläne verfolgt. Eine spannende Geschichte über das Leben, die Liebe, Ehre, Pflicht und Schuld in einem von Unruhen geplagten Spanien des 16. Jahrhunderts.
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Seitenzahl: 81
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Marc Zimmermann
© 2016 Marc Zimmermann
Verlag: tredition GmbH, Hamburg
ISBN
Paperback:
978-3-7345-7705-5
Hardcover:
978-3-7345-7706-2
e-Book:
978-3-7345-7707-9
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Hector konnte sich nicht bewegen. Jeder Muskel, jeder Knochen in seinem Körper schmerzte und sein Herzschlag dröhnte ihm in den Ohren. Seine Lunge fühlte sich an, als ob sie plötzlich zu gross für seinen Brustkorb wäre; jeder Atemzug war eine Qual.
Er schlug die Augen auf und spürte unter Schmerzen, dass sein linkes Auge zugeschwollen war. Es war dunkel, er lag seitwärts auf dem harten Pflaster einer Strasse und sein Blickfeld war verschwommen. Sein Schädel dröhnte und er wagte es nicht, irgendwelche Gedanken zu fassen. Ein warmer Windstoss streichelte seine Arme und in der Ferne bellte ein Hund. Hector nahm all seine Kraft zusammen und drehte sich mit einem Stöhnen auf den Rücken. Es tat höllisch weh, doch nun konnte er freier atmen und über sich sah er die Sterne. Hector liebte die Sterne, doch als er merkte, dass sie sich bewegten, schloss er schnell wieder die Augen.
Neben ihm stöhnte es jetzt ebenfalls. Sofort drehte er sich um, doch im selben Moment bereute er diese Entscheidung und krümmte sich vor Schmerz und Übelkeit, die seinen Körper überfielen. Als er, still vor sich hin leidend, versuchte, die Quelle des Geräusches auszumachen, kam ihm die schemenhafte Erinnerung eines vernarbten Gesichtes, das ihn spöttisch anblickte, doch Hector konnte mit diesem Gesicht nichts anfangen, in seinem Kopf schwirrte alles umher, er blieb liegen und rührte sich nicht. Nach einer Weile drehte er langsam wieder den Kopf in Richtung des Stöhnens und sah neben sich den Umriss eines Menschen, auf allen vieren und schwer atmend. Er stiess, in einigem Abstand, leise Flüche aus, die mehr flehend als fluchend klangen, der tiefen Stimme nach zu urteilen war es ein Mann.
Hector beobachtete das erbärmliche kleine Häufchen neben sich lange, ohne irgendetwas zu denken und lauschte seinem Leiden. Einem besonders originellen Schwall Flüchen folgte ein Schwall Erbrochenes. Aus Hectors Kehle kam ein keuchendes Lachen, das sofort in einen Hustenanfall überging und ihn kräftig durchschüttelte. Als er sich wieder beruhigt hatte, war der andere aufgestanden und stützte sich an einer Hausfassade ab. Mit schwacher Stimme stiess er hervor: «Was gibt’s da zu lachen, du Hund?»
Hector lächelte vor sich hin und gab ein abwesendes «Weiss nicht» von sich. Auch er versuchte nun aufzustehen und merkte, wie ihn die Übelkeit zu übermannen drohte, doch er schaffte es, seine Hände auf den Knien abgestützt, das Gleichgewicht zu halten.
«Wo sind wir?», hörte er den Mann brummen, doch Hector war damit beschäftigt, seine Gedanken und Erinnerungen zu ordnen. In seinem Kopf schwirrte alles umher, er konnte nicht klar denken und plötzlich überkam ihn Angst. Er hob den Kopf und versuchte auszumachen, wo er war, doch in der Dunkelheit erkannte er weder die Strasse noch die Häuser. Ausser den beiden Männern war niemand ausser Haus, es musste tief in der Nacht sein.
Als Hector den Mann betrachtete, fiel ihm dessen ungewöhnlich kräftige Statur auf. Er war riesig, jeder Muskel seines Körpers schien durchtrainiert und die Schultern waren breit. Hector erkannte eine grosse Nase, einen beträchtlichen Vollbart und buschige Augenbrauen, der Kiefer war kräftig und die schwarzen Haare reichten ihm bis auf die Schulter. Der Mann weckte eine Erinnerung in ihm. Er kannte ihn. Doch woher? Sicherlich wäre dieses Ungetüm eine beeindruckende und sogar beängstigende Erscheinung gewesen, doch wie er da so stand, eine Hand an der Hausmauer, die andere auf seinem Bauch, die kreidebleiche Farbe seines Gesichts sogar durch die Dunkelheit erkennbar, wirkte er viel mehr wie ein geschlagener Hund.
Hector fasste den Entschluss, sich erst einmal um sich selbst zu kümmern, und begann mit schmerzverzerrtem Gesicht und schwachen Schrittes die Strasse hinab zu tappen, obwohl er nicht wusste, wo sie hinführte. Er kam unendlich langsam voran und alles um ihn herum drehte sich, sein Kopf fühlte sich an, als wäre er aus Blei, und als hinter ihm plötzlich der Mann mit der tiefen Stimme polterte: «Wo willst’n jetzt auf einmal hin, du Hurensohn?», erschrak er so heftig, dass sich sein Magen zu überschlagen schien und er sich auf die Strasse übergab. Hector richtete sich wieder auf und drehte sich um. Der Mann kam ihm schwankend entgegen und brummte: «Du bringst mich zuerst nach Hause, Hector, und dann kannst du gehen, du kleiner Mistkerl.»
Hector fragte sich, woher dieser Mann seinen Namen kannte und wägte ab, ob er nicht einfach wegrennen sollte, doch in seinem momentanen Zustand wäre das wohl absolut unmöglich gewesen. Der Hühne legte seinen Arm um Hectors Schulter und dieser bestaunte gerade dessen riesenhafte Hand, als es ihm langsam dämmerte.
Er begann zu lachen und Gorka stimmte mit ein. Als Hector fragte: «Was war denn heut Nacht los?», verfiel der Baske in ein noch lauteres Gelächter und antwortete: «Oh du hast uns alle mächtig unterhalten, das kann ich dir sagen, mein Junge! Die ganze Schenke stand Kopf! Carlos wollte dich zuerst rausschmeissen, aber als du angefangen hast, dieses Lied zu singen, warst du nicht mehr aufzuhalten!»
«Oh nein», stöhnte Hector schwach und hielt sich die vom Lachen schmerzenden Rippen. «Das Lied von der lustigen Hure?»
«Genau das!», dröhnte Gorka und kriegte sich vor Lachen kaum wieder ein. Hector vergrub sein Gesicht in den Händen und atmete schwer aus.
«Ich habe mir geschworen, ich würde es nie wieder irgendwo singen.»
«Es kommt aber überall gut an, mein Freund. Und falls du dir Sorgen um deinen guten Ruf machst, kann ich dir nur eins sagen: Du hattest noch nie einen. Spätestens nach dem Ding mit der Tochter vom Bäcker», fügte er mit einem breiten Grinsen an und Hector lachte erneut laut auf. «Wie hiess sie nochmal? Raquel? Nein, irgendwas mit einem A ...»
«Maria», sagte Hector lächelnd. «Du hast ja recht, es ist nicht schlimm, Carlos mag es einfach nicht. Er meint, das verscheucht ihm seine Kundschaft.»
Sie bogen links in eine andere Strasse ab. Hector wusste nicht, wo sie waren, sein ganzer Körper schmerzte immer noch und ihm war übel, doch er war glücklich.
«Als ob», meinte Gorka und winkte mit der Hand ab. «Seine Kundschaft besteht aus Säufern und gewöhnlichen Männern wie du und ich. Jeder dort mag dich und wenn nicht, bei Gott, dann sollen sie sich ein anderes Gasthaus suchen.»
Hector war froh, dass er einen Freund wie Gorka hatte. Abgesehen davon, dass sie sich näher als Brüder standen und er der einzige Mensch war, dem er auf dieser Welt vertraute, war es auch recht nützlich, dass der Schmied so stark und angsteinflössend war, denn das war bei ihren nächtlichen Ausflügen schon oft von grossem Wert gewesen.
Ihr allererstes Treffen lag eine ganze Weile zurück, Hector konnte sich nur noch vage daran erinnern. Gorka beharrte darauf, dass Hector betrunken gewesen sei und ihn in Carlos’ Kneipe von hinten gestossen habe, doch Carlos meinte fest überzeugt, Hector sei nur unabsichtlich in den grossen Basken gestolpert. Fest stand jedenfalls, dass sich die beiden eine richtig herbe Prügelei geliefert hatten; Hector war sogar in berauschten Zustand noch um einiges schneller und flinker gewesen als Gorka, doch als dieser ihn schliesslich mit einem schnurgeraden Schlag ins Gesicht erwischt und Hector somit die Nase gebrochen hatte, nahm der Kampf ein jähes Ende. Von jenem Moment an wusste auch Gorka nicht mehr, was an diesem Abend noch passiert war. Er hatte sich von Carlos erzählen lassen müssen, dass er von fremden Männern niedergestreckt und um das wenige Geld, welches er noch nicht für Wein ausgegeben hatte, beraubt worden war, als er das Wirtshaus verlassen hatte.
Von da an war auch Gorka ein Stammkunde in Carlos’ Schenke, da er überzeugt war, eines Tages den Dieben wieder zu begegnen. Doch so genau Carlos ihm die Gauner auch beschrieb, er hatte sie nie wieder gesehen.
Hector hatte ihn schadenfreudig ausgelacht, als er diese Geschichte eines Abends gehört hatte und durch das Wirtshaus gerufen: «Falls du eines Tages erfolgreich bist, dann bestell diesen Helden doch meine Grüsse, ja, du fetter Riese?» Es hatte eine weitere Prügelei gegeben, dieses Mal ohne Verletzungen, und zum Schluss fanden sie sich gemeinsam an einem Tisch wieder, Bier trinkend und lachend. Seither hatten sie nie wieder gestritten.
So torkelten die beiden Männer betrunken durch die nächtlichen Strassen des sommerlichen Córdoba, grölten und johlten vor sich hin und für eine Weile vergass Hector die Welt und ihre Ungerechtigkeit, die er so oft verfluchte.
Eduardo stand aufrecht vor dem Fenster, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Regungslos starrte er auf den weitläufigen Garten, der sich unter ihm erstreckte, ohne dass er etwas für die kunstfertigen, kleinen Statuen, den Springbrunnen oder die seltenen Blumenarten übrighatte. Es herrschte eine erdrückende Hitze und die Sonne brannte erbarmungslos auf Córdoba und die Menschen nieder, die das Pech hatten, draussen zu arbeiten. Der Gärtner gab sich alle Mühe, die Pflanzen vor dem Austrocknen zu bewahren und sich gleichzeitig vor den Sonnenstrahlen zu schützen. Diejenigen, die es sich leisten konnten, blieben zuhause, kühlten sich mit Limonade ab, verbrachten den Tag träge in ihren vier Wänden, und wagten sich erst nach Sonnenuntergang auf die Strassen. Zu diesen Leuten gehörte auch Eduardo.
Wie immer, wenn er Zeit zum Nachdenken brauchte, hatte er Alfonso, seinen schon etwas in die Jahre gekommenen Leibdiener angewiesen, den Weinkrug aufzufüllen, obwohl Eduardo nur gelegentlich trank und wenn, dann abends. Schnell hatte Alfonso begriffen, dass diese Aufgabe eine Aufforderung war, mehrere Minuten wegzubleiben und seinen Herrn in Ruhe zu lassen.