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Diplomarbeit aus dem Jahr 1999 im Fachbereich Medien / Kommunikation - Public Relations, Werbung, Marketing, Social Media, Note: 1,0, Ludwig-Maximilians-Universität München (Betriebswirtschaft), Sprache: Deutsch, Abstract: 1 Einführung Seit meiner Kindheit beschäftige ich mich mit Musik in unterschiedlichster Ausprägung. Während ich in der frühen Kindheit keine Sendung der Top-10 auf Bayern-3 ausließ, interessierte mich diese Art von Musik in der Pubertät ungewöhnlicherweise nicht mehr. Ich hörte ausschließlich noch klassische Musik und dies in einem Umfang, daß mir nahestehende Personen begannen, sich ernstlich Gedanken um mich und meine Sozialisation, Gleichaltrige betreffend zu machen. Besonders beeindruckt war ich in dieser Zeit von den Bayreuther Richard-Wagner-Festspielen. Der Geist und die Intensität, die von jener und anderer klassischer Musik ausging faszinierte mich in einer Form, wie dies später auch Independent-Musik tun sollte. Vielleicht hat der Trendforscher Bolz recht, wenn er schreibt, jedes prägnante Ereignis funktioniere als eine Art Ganzheitsersatz. Das sei schon der Sinn von Richard Wagners Bayreuther Musikdramen gewesen – und das sei auch der Sinn von Woodstock oder der Berliner Love Parade. Wenn also Musik für jemanden wie mich eine solche Rolle spielt, beschäftigt er sich eingehend mit ihr, ihren Hintergründen und ihrem Umfeld. Nahezu jeder Musiker transportiert mit seinem Werk etwas von sich. Dies kann auch für den Hörer eine Bereicherung darstellen, wenn er sich darauf einläßt. Musik mit dem Zweck bloßer Hintergrundsberieselung wird ihrem Charakter nicht gerecht. Bei jeglicher analytischer Betrachtung scheint es mir dennoch wichtig zu betonen, daß immer ein Funken mystischer Unergründbarkeit bleibt und auch bleiben sollte, denn Musik ist nicht zuletzt auch Gefühl. Dies betrifft sowohl die klassische als auch die moderne Musik. Kurz nach meiner Volljährigkeit, nachdem ich mich auch wieder der aktuellen, sog. U-Musik zuwandte, begann ich als Disc Jockey (DJ) zu arbeiten, einer Tätigkeit, der ich nun schon seit neun Jahren regelmäßig nachgehe. Fünf Jahre dieser Zeit arbeitete ich auch in der Musikredaktion von lokalen Radiostationen, wie LoRa München oder M94.5, dem Aus- und Fortbildungsradio in München. [...] _____ (1) Das aufgeführte Werk „Kult-Marketing“ wurde von Bolz und Bosshart gemeinsam verfaßt. Da[...] (2) Bolz, Norbert / Bosshart, David: Kult-Marketing. Die neuen Götter des Marktes. Düsseldorf, ECON Verlag, 1995. S.360. (3) Natürlich wird Musik unter [...] (4) Als Mitglied des Anbietervereins von M94.5 war ich in der Startphase und danach beim Aufbau und der Bestückung des Musikarchivs beteiligt.
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Marc Zimmermann - Diplomarbeit zum Thema „Marketing und kommerzielle Verwertung von subkultureller Jugend - und Popkultur“
Seit meiner Kindheit beschäftige ich mich mit Musik in unterschiedlichster Ausprägung. Während ich in der frühen Kindheit keine Sendung der Top-10 auf Bayern-3 ausließ, interessierte mich diese Art von Musik in der Pubertät ungewöhnlicherweise nicht mehr. Ich hörte ausschließlich noch klassische Musik und dies in einem Umfang, daß mir nahestehende Personen begannen, sich ernstlich Gedanken um mich und meine Sozialisation, Gleichaltrige betreffend zu machen. Besonders beeindruckt war ich in dieser Zeit von den BayreutherRichard-Wagner-Festspielen.Der Geist und die Intensität, die von jener und anderer klassischer Musik ausging faszinierte mich in einer Form, wie dies später auch Independent-Musik tun sollte. Vielleicht hat der Trendforscher Bolz1recht, wenn er schreibt, jedes prägnante Ereignis funktioniere als eine Art Ganzheitsersatz. Das sei schon der Sinn von Richard Wagners Bayreuther Musikdramen gewesen - und das sei auch der Sinn von Woodstock oder der BerlinerLove Parade.2Wenn also Musik für jemanden wie mich eine solche Rolle spielt, beschäftigt er sich eingehend mit ihr, ihren Hintergründen und ihrem Umfeld. Nahezu jeder Musiker transportiert mit seinem Werk etwas von sich. Dies kann auch für den Hörer eine Bereicherung darstellen, wenn er sich darauf einläßt. Musik mit dem Zweck bloßer Hintergrundsberieselung wird ihrem Charakter nicht gerecht.3Bei jeglicher analytischer Betrachtung scheint es mir dennoch wichtig zu betone n, daß immer ein Funken mystischer Unergründbarkeit bleibt und auch bleiben sollte, denn Musik ist nicht zuletzt auchGefühl.Dies betrifft sowohl die klassische als auch die moderne Musik. Kurz nach meiner Volljährigkeit, nachdem ich mich auch wieder der aktuellen, sog. U-Musik zuwandte, begann ich als Disc Jockey (DJ) zu arbeiten, einer Tätigkeit, der ich nun schon seit neun Jahren regelmäßig nachgehe. Fünf Jahre dieser Zeit arbeitete ich auch in der Musikredaktion von lokalen Radiostationen, wie LoRa München oder M94.5, dem Aus- und Fortbildungsradio in München.4
In dieser gesamten Zeit hatte ich direkten Kontakt zu vielen Personen und Entwicklungen in der Musikszene. Nicht zuletzt durch meine Arbeit war es eine besondere Herausforderung,
1Das aufgeführte Werk „Kult-Marketing“ wurde von Bolz und Bosshart gemeinsam verfaßt. Da jedoch bei den
einzelnen Kapiteln der jeweilige Autor mit den Initialen angegeben ist, kann dieser im speziellen Fall immer
auch einzeln genannt werden. (Es handelt sich nicht um einzelne Aufsätze; das Buch ist durchgängig
geschrieben.)
2Bolz, Norbert / Bosshart, David: Kult -Marketing. Die neuen Götter des Marktes. Düsseldorf, ECON Verlag,
1995. S.360.
3Natürlich wird Musik unter diesen Gesichtspunkten produziert, jedoch bewegt sich diese in völlig anderen, für
mich nur bedingt relevanten Bereichen. Dieser sollte im Interesse aller getrennt werden.
4Als Mitglied des Anbietervereins von M94.5 war ich in der Startphase und danach beim Aufbau und der
Bestückung des Musikarchivs beteiligt.
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dort neue Entwicklungen und Trends zu erkennen. Schon sehr früh erkannte ich dabei, daß Innovationen zumeist aus dem Underground oder der Independent-Szene5kamen, und so entwickelte sich diese schließlich zu meinem Spezialgebiet. Mein Studium der Betriebswirtschaftslehr e legt daher nun nahe, das Marketing und die kommerzielle Verwertung von subkultureller Jugend- und Popkultur zu untersuchen. Subkulturen führen seit je her ein Eigenleben neben der Gesellschaft. Wo diese nicht bemüht ist die Subkulturen wieder einzugliedern, wird sie versuchen deren Errungenschaften zu übernehmen. Das kann sowohl Jugendkulturen betreffen, die in den meisten Fällen eine spezielle Form von Subkulturen darstellen, als auch die Popkultur, woUndergrounddie Subkultur darstellt. Da der kulturelle Sektor, trotz der Einbußen der letzten Jahre ein bedeutender Wirtschaftszweig ist6, liegt es auf der Hand, genauer zu untersuchen, wer aus dem Gebiet der Sub-, Jugend- und Popkultur wie, warum und mit welchen Folgen finanzielle Verwertung in irgendeiner Form erfahren hat, bzw. in Marketingkonzepte eingebunden wurde. So wurden beispielsweise die erfolgreichen Arbeitsweisen von unabhängigen oder Independent-Labels wiederholt von den großen Firmen, bei welchen, wie auch in anderen Wirtschaftszweigen ein Trend zur Konzentration auszumachen ist, übernommen. Stilmittel unterschiedlicher Subkulturen wurden vom Mainstream adaptiert, wie beispielsweise Punk-Mode als Haute Couture, und damit ihrer eigentlichen Bedeutung beraubt. Vor allem in den letzten Jahren, in denen eine zunehmende Pluralisierung der Stile eingesetzt hat, scheint der klassische Mainstream selbst zur Minderheit zu werden. Unterstützt wird diese Entwicklung durch eine steigende Popularisierung des Minderheitenimages. Die Aura des Andersartigen wird von Marketingstrategen dazu benutzt, den nach Individualität strebenden Konsumenten zu bedienen. Der Mythos, der von Subkulturen und deren Ikonen ausgeht wird im Marketingkontext sogar letztes Verkaufsargument auf einem bedürfnisgesättigten Markt. Nicht nur Autoren aus dem Umfeld von Subkulturen stehen dieser Entwicklung kritisch gegenüber. Nicht die Tatsache der Vereinnahmung als solche, sondern die Geschwindigkeit dieses allgegenwärtigen Prozesses nähme den Subkulturen die Möglichkeit zur eigenständigen Entwicklung, wird behauptet. Auch der tragische Tod des Musikers Kurt Cobain wird darauf zurückgeführt, daß ihn der Erfolg an genau den Punkt brachte, wo er nie
5Die Begriffe Underground, Independent und teilweise auch Alternative werden hier grundsätzlich synonym
verwendet, obwohl Fachleute feine Unterschiede ausmachen können. Gleichwohl wären diese in der
vorliegenden Arbeit irrelevant.
6„In Westeuropa, den USA und Japan wird heute mit der industriellen Fertigung von Kultur mehr Geld verdient
als mit der von Stahl.“ (Holert, Tom / Terkessidis, Mark: Mainstream der Minderheiten. Pop in der
Kontrollgesellschaft. Berlin, Amsterdam, Edition ID-Archiv, 1996. S.15.)
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hin wollte, mit dem er schon gar nicht zurecht kam und wo seine letzten Ideale ad absurdum ge führt wurden.
In dieser Arbeit soll es jedoch nicht vordringlich darum gehen, diese Entwicklungen zu werten7- sie hat diese Richtung nun einmal eingeschlagen. Die Sub- bzw. Popkulturen müssen vielmehr lernen, sich damit zu arrangieren. Auch die Amerikanistikdozentin Ruth Mayer ist 1996 dieser Ansicht:
„Immer wieder zeigen sich Popkritiker und Kulturtheoretiker durch das Paradox beunruhigt, daß die
Ästhetik der Differenz sich verkauft und die Rhetorik der Andersartigkeit verfügbar geworden ist (...).
Dabei hilft es nichts, diese Eindeutigkeit gewaltsam wiederherstellen zu wollen, um politische
Wertmaßstäbe ‚festzuschreiben‘“8
In der Vorliegenden Arbeit sollen zunächst zum besseren Verständnis die Eigenheiten, die Entwicklung und die Ziele von Sub- Jugend- und Popkulturen dargelegt werden. Bei den Subkulturen werden die unterschiedlichen Ansätze britischer und deutscher Soziologen vorgestellt und auf die Bedeutung von Stil und der Pluralisierung der Stilrichtungen näher eingegangen. Ebenso werden die Jugend- und Popkulturen untersucht. Berücksichtigt wird dabei die zunehmende Idealisierung der Jugendlichkeit in unserer Gesellschaft, und im Rahmen der Popkulturuntersuchung soll eine Unterscheidung von Underground und Mainstream versucht werden. Im zweiten Teil wird ein chronologischer Überblick über ausgewählte Sub-, Jugend- und Popkulturen gegeben, wobei hier den theoretischen Überlegungen aus dem ersten Teil konkrete Beispiele folgen. Diese Aufzählung kann weder vollständig sein, noch die einzelnen Stile erschöpfend behandeln. Vielmehr werden nur die für die Thematik dieser Arbeit interessanten Aspekte dargelegt. Der dritte Teil beschäftigt sich mit den Plattenfirmen, den Verkaufsorganisationen von Musik. In der Gegenüberstellung von unabhängigen bzw. Independent-Labels gegenüber den Major- oder Industrie-Labels wird schon deutlich, inwiefern Themen aus Subkulturen der Popmusik finanzielle Verwertung auf dem Tonträgermarkt finden. Auch hier wird chronologisch berichtet, zunächst von der Nachkriegszeit in den USA9und anschließend über die Entstehung der heutigen Situation auf dem Weltmarkt. Im Mittelpunkt des letzten Abschnitts steht die Vermarktung von subkulturellen Themen in unterschiedlichen Wirtschaftsbereichen. Zunächst werden die unterschiedlichen Ansatzpunkte für Marketing vorgestellt. Anschießend wird die Bedeutung
7Auch wenn dies an einigen Stellen unerläßlich scheint.
8Mayer, Ruth: Schmutzige Fakten. Wie sich Differenz verkauft. In: Mainstream der Minderheiten. A.a.O..
S.162.
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der Vereinnahmung von subkulturellen Elementen soziologisch und ökonomisch von verschiedenen Standpunkten aus untersucht. Die konkrete Manifestation wird im Folgenden wiederum an ausgewählten geschichtlichen Beispielen verdeutlicht. Abschließend wird auf die konkrete Bedeutung von subkultureller Thematik für das Marketing allgemein10eingegangen, das sich in seinen Ausprägungen der gesellschaftlichen Entwicklung zu steigender Bedeutung von Gege nkulturen anpassen muß, bzw. durch Übernahme konkreter Ideale oder Idole neue Märkte im weiteren Sinne erschließen kann. Nicht nur in den letzten beiden Teilen, in welchen das Marketing und der kommerzielle Aspekt im Vordergrund steht, auch bei der Vorstellung der einzelnen Sub-, Jugend- und Popkulturen wird bei der Untersuchung besonderes Gewicht gelegt auf Potentiale zur kommerziellen Verwertung oder auch Tendenzen zur Vereinnahmung. Außerdem sollen Jugend- und Subkulturen in diesem Rahmen hauptsächlich nur insoweit betrachtet werden, als sie Relevanz für die Musikkultur haben. Das bedeutet, daß eine politische Subkulturdiskussion ausbleiben muß, auch kann aus Platzgründen nicht näher auf die schwarze Minderheitenkultur vor allem in den USA, mit welcher durchaus z.B. HipHop als Popkultur zusammenhängen würde, eingegangen werden.11In der Jugendkultur muß auf die Bereiche „Computer“ und „Gewalt“ verzichtet werden, da sie offensichtlich mit der eigentlichen Thematik, die sich auf die Verbindung zu Popkulturen stützt, recht wenig zu tun hat. Die Berichte über konkrete weibliche Jugendkulturen sind allesamt jüngeren Datums12, da Mädchen auch bis lange nach der eigentlichen Emanzipationsbewegung in den Jugendkulturen scheinbar nur eine Anhängselfunktion hatten.13A uch Cremer berichtet, jugendliche Subkulturen scheinten eindeutig maskulin geprägt, besonders dann, wenn sie, wie im englischen Beispiel, sich vornehmlich aus Arbeiterjugendlichen rekrutierten.14In der vorliegenden Arbeit werden sie daher auch nicht weiter untersucht.
9Sie ist daher getrennt zu betrachten, da sich nur dort unabhängige Labels sofort, hierzulande erst ab Mitte der
siebziger Jahre entwickelt haben. Dennoch ist der beobachtbare Prozeß von damals übertragbar auf die heutige
Entwicklung.
10Nicht nur für die Vermarktung der konkreten subkulturellen Inhalte, wie Musik oder Mode.
11Dies ist ein so umfangreiches Feld, zu dem der Verfasser bisher zu wenig Zugang hatte, um eine befriedigende
Untersuchung sicherzustellen.
12Im Zusammenhang mit der Techno-Bewegung machte das „Girlie“-Phänomen Schlagzeilen, und in der
Gitarren-Independent-Szene führten die Riot Grrrls den Punk-Ethos fort.
13Untersuchungen hierüber finden sich in: McDonnell, Evelyn / Powers, Ann (Hrsg.): Rock She Wrote. Women
Write About Rock, Pop, and Rap. London, Plexus, 1995 und in: Gottlieb, Joanne / Wald, Gayle : Smells Like
Teen Spirit. Riot Grrrls, Revolution and Women in Independent Rock. In: Microphone Friends. Youth Music
and Youth Culture. Hrsg. von Ross, Andrew und Rose, Tricia. London, Routledge, 1994. S. 250-273.
14Cremer, Günter: Jugendliche Subkulturen. Eine Literaturdokumentation. München, Verlag Deutsches
Jugendinstitut, 1984.S. 11.
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Die zu meinen Untersuchungen herangezogene Literatur, stützt sich zum einen Teil auf Soziologen, wie den britischen Autor Simon Frith, der sich teilweise gesellschaftskritisch äußert. Auch die Untersuchungen des BirminghamerCenters for Contemporary Cultural Studiessind grundlegend für die Subkulturforschung, nicht nur im englischsprachigen Bereich, und Autoren wie Gary und John Clarke, Stuart Hall und nicht zuletzt Dick Hebdige sind ihm zuzurechnen. Die Subkulturen im deutschsprachigen Bereich wurden insbesondere vom Professor für Devianzforschung Rolf Schwendter untersucht. Er veröffentlicht seit den frühen siebziger Jahren Werke zu diesem Thema. Im Bereich Jugendkulturen hat der Bielefelder Pädagogikprofessor Dieter Baacke seit vielen Jahren eine ähnlich herausragende Stellung. Auf sein Konto gehen unzählige Veröffentlichungen zum Thema Jugend, Kinder, aber auch Popkultur. In seinem Umfeld wirken Ferchhoff, Nolteernsting, Sander, Vollbrecht u.a.. Der herausragendste und wegweisendste Autor zum Thema Popkultur ist zweifelsohne Diedrich Diederichsen. Der Mitherausgeber der ZeitschriftSPEXveröffentlichte mehrere Bücher und Artikel in verschiedenen Zeitungen und hält Gastvorlesungen in Frankfurt und Los Angeles. Die ZeitschriftSPEX,aus deren Umfeld das Buch „Mainstream der Minderheiten“ und „Nichts als Krach“ stammt, vereint außerdem eine Reihe der zitierten Autoren und stellt die einzige deutschsprachige Zeitschrift dar, die sich wissenschaftlich dem Thema Popkultur widmet und nebenbei Frühindikator für Trends ist. Die Veröffentlichungen von Nik Cohn bzw. Steve Chapple und Reebee Garofalo stellen Standardwerke der Popgeschichtsschreibung dar. Ähnlich auch die des amerikanischen Autors Greil Marcus, wenngleich sie jüngeren Datums sind und sich nur konkreten Phänomen zuwenden. Mit dem Buch „DJ Culture“ hat auch der deutsche Journalist Ulf Poschardt einen ziemlich umfassenden und gut recherchierten Beitrag zur Geschichte des DJ abgeliefert. Im Bereich Marketing stütze ich mich im allgemeinen Teil auf die Ausführungen des Professors für Betriebswirtschaftslehre Heribert Meffert, während im aktuelleren Teil die Trendanalytiker Bolz und Bosshart zu Wort kommen.
Anhand dieser Quellen soll nun der Frage nachgegangen werden, in welche Richtung sich Sub-, Jugend- und Popkulturen heutzutage bewegen und wo Ansatzpunkte für kommerzielle Verwertung und Marketing bestehen.
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Die theoretische Beschäftigung mit subkultureller Thematik erlangte in den sechziger Jahren Bedeutung. Grundlegend im deutschsprachigen Bereich sind die Ausführungen des Professors für Devianzforschung Rolf Schwendter von 1970.15Er versteht unter Subkultur den „... Teil einer konkreten Gesellschaft, d er sich in seinen Institutionen, Bräuchen, Werkzeugen, Normen, Wertordnungssystemen, Präferenzen, Bedürfnissen usw. in einem wesentlichen Ausmaß von den herrschenden Institutionen etc. der jeweiligen Gesellschaft unterscheidet.“16Auch 1995 stellt der deutsche Journalist Poschardt rückblickend fest, daß die gesellschaftliche Randlage immer eine entscheidende Rolle bei der Grundlegung einer neuen Subkultur gespielt habe.17Während Schwendter für die sechziger Jahre eine negative Belegung dieser Bezeichnung in der Bevölkerung konstatiert, fordert er eine wertfreie Betrachtung der einzelnen Subkulturen. Darüber hinaus waren Subkulturen als Minoritätengruppen nicht nur ein Phänomen bestimmter historischer Epochen, sondern wie beispielsweise die Sklaven unter Spartakus, die Urchristen oder die Arbeiterbewegung des letzten Jahrhunderts Teil jeder geschichtlichen Epoche.18Zum Umgang der Gesamtgesellschaft stellt Schwendter fest, daß ein Trend in der Behandlung von Subkulturen darin bestünde, diese zu neutralisieren und wiederanzupassen19, nicht zuletzt deshalb, um das etablierte Wertesystem zu erhalten, zudem die Subkulturen in dialektischer Abhängigkeit stünden.20
Schwendter unterscheidet in seinen Untersuchungen von 1970 regressive und progressive Subkulturen. Während die progressiven Subkulturen dazu dienten, den gegenwärtigen Stand der Gesellschaft aufzuheben, weiterzutreiben und einen grundsätzlich neuen Zustand zu erarbeiten, versuchten die regressiven Subkulturen, einen vergangenen Stand der Gesellschaft, Normen, die nicht mehr (...) wirksam seien, wiederherzustellen.21Sie unterscheiden sich sowohl in Funktion, Organisation als auch in Herkunft der Anhänger. Die progressiven Subkulturen werden im Idealfall Avantgarde, die regressiven nur Elite. Sie organisieren sich
15„Theorie der Subkultur“ wurde 1970 geschrieben und 1973 erstmals bei Kiepenheuer & Witsch veröffentlicht.
16Schwendter, Rolf: Theorie der Subkultur. 4.Auflage. Hamburg, Europäische Verlagsanstalt, 1993. S.11.
17Poschardt, Ulf: DJ Culture. Hamburg, Rogner & Bernhard, 1995.S. 340.
18vgl. Schwendter, R.: Theorie der Subkultur. A.a.O.. S.11f.
19Schwendter, R.: Theorie der Subkultur. A.a.O.. S.22f.
20Schwendter, R.: Theorie der Subkultur. A.a.O.. S.28.
21Schwendter, R.: Theorie der Subkultur. A.a.O.. S.37.
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nach dem Führer-Gefolgschafts-Prinzip. Die Mitglieder der Ersteren entstammen überwiegend dem Proletariat und den Intellektuellen, Letztere rekrutieren sich vor allem aus dem Kleinbürgertum und dem Lumpenproletariat.22Obwohl Schwendter im Nachwort zur 4. Auflage von 1993 den regressiven Subkulturen im Zusammenhang mit ausländerfeindlichen Aktionen bestimmter Gruppierungen eine gestiegene Bedeutung bescheinigt23, soll in der vorliegenden Arbeit im Zusammenhang mit Sub- oder Gegenkulturen24von den progressive n und damit auch innovativeren ausgegangen werden.
Zur Bedeutung von Subkulturen stellt der Dozent und Trendforscher Bosshart 1995 fest.
„Es ist wohl die Hauptfunktion einer Demokratie, Subkulturen hervorzubringen. Demokratien ohne
Subkulturen wären pervers. Denn in diesen Sub- und Gegenkulturen wird das Verfemte, Ausgeschiedene
und Verpönte zum Mittelpunkt: Dort wird gedacht, geschrieben und praktiziert, was in der Normwelt der
Öffentlichkeit keinen Platz hat.“25
Das BirminghamerCentre for Contemporary Cultural Studies,welches sich im englischsprachigen Bereich in der Subkulturforschung besonders verdient gemacht hat versteht zunächst unter Kultur an sich 1975 die Ausdrucksformen gesellschaftlicher und materieller Erfahrungen bestimmter Gruppen: „Culture is the way, the forms, in which groups ‚handle‘ the raw material of their social and material existence.“26Subkultur ist somit nur eine anderer Umgang mit diesem Rohmaterial.
Phil Cohen, welcher ebenfalls der Birminghamer Schule zugeordnet werden kann, definiert Subkulturen bereits 1972 als Kompromißlösung zwischen dem Bedürfnis der Unabhängigkeit und der Identifikation mit der Elternkultur27: „a common solution between two contradictory needs: the need to create and express autono my and difference from parents (...) and the need to maintain parental identifications.“28Hebdige, der ebenfalls im Zusammenhang mit dem
22vgl. Schwendter, R.: Theorie der Subkultur. A.a.O.. S. 49f.
23vgl. Schwendter, R.: Theorie der Subkultur. A.a.O.. S.438.
24Diese beiden Begriffe können synonym verwendet werden.
25Bolz, Norbert / Bosshart, David: Kult-Marketing. A.a.O.. S.25.
26Clarke, John / Hall, Stuart / Jefferson, Tony et al.: Subcultures, Cultures and Class: A theoretical overview. In:
Resistance Through Rituals. Youth subcultures in post-war Britain. Hrsg. von Hall, Stuart und Jefferson, Tony
London, Hutchison / The Centre for Contemporary Cultural Studies, University of Birmingham, 1976. S. 10.
27Obwohl hier eigentlich von Jugendkulturen die Rede ist, ist dieser Aspekt an der Stelle zu finden, da sich die
Untersuchungen der Birminghamer CCCS sich prinzipiell auf das Phänomen der Subkulturen beziehen.
28Cohen, Phil: Sub-cultural Conflict and the working-class Community. Working Papers in Cultural Studies
No.2 (University of Birmingham: Centre for Contemporary Cultural Studies, 1972) zit.n. Clarke, Gary:
Defending Ski-Jumpers. A Critique of Theories of Youth Subcultures. In: On Record. Rock, Pop and the written
word. Hrsg. von Frith, Simon und Goodwin, Andrew: London, Routledge, 1994. S. 82.
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BirminghamerCentre for Contemporary Cultural Studiessteht, beschreibt 197929den unterschiedlichen Grad des Engagements Jugendlicher in Subkulturen. Dieser kann von reiner Ablenkung oder Fluchtmittel bis hin zu einem der wichtigsten Momente ihres Lebens reichen.30 31Ähnlich wie sein deutschsprachigen Kollegen schreibt er, daß jede subkulturelle Einrichtung die Lösung für g anz bestimmte (historische) Umstände darstelle, für ganz bestimmte Probleme und Widersprüche.32Diese würden in ihrem Stil verzerrt zur Darstellung kommen.33Wenn nun die richtigen Sachen zur richtigen Zeit ausgedrückt werden und das bestimmte Moment in sich tragen, kann ein Stil wirklich zündend und damit auch sowohl kulturell als auch finanziell erfolgreich sein.34
Clarke sieht 198135den Sinn in Subkulturen auch als symbolischen Widerstand und der Behauptung von kultureller Eigenständigkeit: „Youth subcultures are seen not simply as ‚imaginary solutions‘ but also as symbolic resistance, counter-hegemonic struggle, a defense of cultural space on a ‚relatively autonomous‘ ideological level.“36
In seiner Untersuchung von 1970 stellt Schwendter fest, daß „... so gut wie alle Subkulturen (...) auf einem vage sozialistischen Standpunkt“37stehen. Die Normen der Gesamtgesellschaft erfahren „... zumindest ihre mechanische Negation, wenn nicht ihre Aufhebung“38. Ähnlich äußert sich Cohen schon 195539in einer sogenannten Gang-Studie zur Subkultur, als er schreibt, sie beziehe ihre Normen von der sie umgebenden Gesamtkultur, aber sie verkehre diese Normen in ihr genaues Gegenteil.40Dieses abweichende Verhalten bildet also den subkulturellen Gegenentwurf zu herrschenden Gesellschaft. Diese reagiert
29Das wegweisende Werk wurde 1979 unter dem Titel „Subculture - The Meaning Of Style“ bei Methuen &
Co. London veröffentlicht; die deutsche Übersetzung erschien 1993.
30Vgl. Hebdige, Dick: Subculture. Die Bedeutung von Stil. In: Schocker. Hrsg von Reinbek bei Hamburg,
Rowohlt, 1983. S.111.
31Vor allem in jüngerer Zeit aber scheint eine Tendenz dahin gehend beobachtbar, daß gewisse subkulturelle
Stile eher nach modischen Gesichtspunkten ausgewählt werden und daher nur ein beschränktes Engagement für
eine bestimmte Zeit erfahren. (Vgl auch Abschnitt 2.1.6)
32Hebdige, Dick: Subculture. Die Bedeutung von Stil. In: Schocker. A.a.O.. S.74.
33Hebdige, Dick: Subculture. Die Bedeutung von Stil. In: Schocker. A.a.O.. S.118.
34Vgl. Hebdige, Dick: Subculture. Die Bedeutung von Stil. In: Schocker. A.a.O.. S.111.
35Der Aufsatz von Gary Clarke ist mit der Jahreszahl 1981 gekennzeichnet; das Buch „On Record“ erschien
1990.