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Müntschisberg, ein kleines Dorf in den Voralpen mit viel Wald, einem kleinen See und gut tausend Einwohnern. Wenn das Jahr zur Neige geht und der erste Schnee fällt, könnte es still und besinnlich sein – wäre Müntschisberg nicht Müntschisberg. Immer zur Adventszeit geschehen hier besonders turbulente, kuriose und unheilige Geschichten. Mal liegt das ganze Dorf im Streit und wird erst durch ein veritables Wunder geheilt, mal verzaubert ein magischer Adventskalender die Leute. Ausgerechnet ein Inferno rettet ein neugeborenes Christkind, ein süßes Küsschen wird zum Riesengeschenk, und heilige Bauchschmerzen plagen die Dorfjugend. Eine sture Kläusin will unbedingt Sankt Nikolaus werden, der Dorftrottel erbt Millionen, und schließlich feiert Müntschisberg mitten im heißesten Sommer Weihnachten samt Schaumschnee, Zimtbier und Grillwürsten mit Lebkuchenaroma. Für gewöhnlich sind Weihnachtsgeschichten besinnlich und verzuckert, Marcel Huwyler jedoch garniert sie mit einer Prise Humor und Schalk. Ein charmantes Weihnachtsbuch mit Geschichten, die zu Herzen gehen. Denn Müntschisberg kann überall in der Schweiz sein.
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Seitenzahl: 122
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Marcel Huwyler
Heilige Streiche
Weihnachten in Müntschisberg
atlantis
Über das, was damals geschah, ist viel gesagt und gerätselt worden. Noch heute, über vierzig Jahre später, berichten all jene, die diesen wunderlichen Tag selbst erlebt haben, mit einer Mischung aus Verwirrung und Verzückung. Was sich an jenem Heiligabend in unserem Dorf wirklich zugetragen hat, wie es zu diesem Weihnachtsmirakel kam, hat nie jemand herausgefunden. Kein Mensch kennt die Wahrheit.
Außer mir.
All die Jahre habe ich geschwiegen, heute will ich die ganze Geschichte erzählen.
Ich war elf und das einzige Kind einer Wirtsfamilie. Wir lebten in Müntschisberg, einem pittoresken Dorf in den Voralpen, mit viel Wald, einem hübschen kleinen See, Fachwerkhäusern und gut tausend Einwohnern.
Meine Eltern führten den »Tapferen Gaul«, eine Gastwirtschaft gegenüber der Kirche, direkt am kopfsteingepflasterten Dorfplatz, mit einem separaten Raum für Familienfeste, Vereinsanlässe und Leichenschmause sowie einer Kegelbahn im Keller, die von angeheiterten Feiernden wie weinseligen Trauernden gleichermaßen gern benutzt wurde.
Im ersten Stock boten wir ein paar Gästezimmer an, wenngleich es so gut wie nie vorkam, dass Fremde in unserem Dorf übernachteten. Was insbesondere daran lag, dass unser Dorf einen furchtbar schlechten Ruf hatte.
In Müntschisberg herrschten seit Jahren Zoff, Hader und Hickhack. Wir lebten in einer heillos zerstrittenen Gemeinde. Alle hatten miteinander Krach. Es wurde gezankt, gelästert, betrogen und gelogen. Schadenfreude, Hinterlist und Intrigen prägten den Dorfgeist. Wir fügten einander Spitzbübereien zu, plagten uns gegenseitig mit niederträchtigen Scherzen, und jede spielte jedem boshafte Streiche.
Wann und warum es losgegangen war – das wusste schon lange niemand mehr. Es hatte wohl einst mit normalen kleinen Gehässigkeiten im Alltag begonnen, wie sie in jedem Dorf vorkommen können, mit dem Unterschied, dass in Müntschisberg die Sache eskalierte und immer ätzender geworden war. Die Stimmung im Ort war total vergiftet.
Oft fand man gar nicht heraus, wer einem eine Gemeinheit angetan hatte. Eine mindestens ebenso hundsgemeine Revanche war deshalb nicht möglich. Was also tun mit dem aufgestauten Frust? Man rächte sich halt einfach an der nächstbesten Person, selbst wenn die mit der Sache gar nichts zu tun hatte. Und diese wiederum ließ ihren Ärger am nächsten Unbeteiligten aus. So wurde jedes Opfer auch zum Täter – ein einziger perfider Kreislauf.
Nun verhielt es sich aber so, dass wir Müntschisberger bei unseren fiesen Feldzügen einen erstaunlichen Ideenreichtum entwickelten. Plumpe Gemeinheiten – sich beispielsweise die Autos zu zerkratzen, das Gartenbeet zu zertrampeln oder Briefkästen mit Hundekot zu füllen – waren verpönt, weil zu abgedroschen. So etwas hatte einfach keine Klasse. Es mussten schon richtig schöne Schurkereien sein, ideenreich ausgeklügelt, raffiniert in die maliziöse Tat umgesetzt. Oh ja, wir pflegten eine Kultur der kreativen Boshaftigkeit.
Bauer Notter etwa düngte seine Wiesen immer dann mit Gülle, wenn die Hausfrauen ihre Wäsche im Freien zum Trocknen aufgehängt hatten. Straßenwärter Werder spritzte bei Schnee und Minusgraden – wenn er frühmorgens die Straßen freiräumte und mit Streusalz eindeckte – schon mal heimlich ein paar Liter Wasser in die Hauseinfahrten (glatt war’s für alle, sauglatt fand es nur der Werder). Und irgendein ganz besonders gerissener Grüsel steckte in die stierkopfgroßen Blumentöpfe vor Andermatts Usego-Laden Fischölkapseln, die sich beim Gießen langsam auflösten und wochenlang den bestialischen Gestank nach faulem Fisch verbreiteten. Metzgersfrau Müller fütterte die Katze von Handarbeitslehrerin Bächler mit Würsten, die sie zuvor mit den Borsten eines Strohbesens gespickt hatte, und das Fräulein Handarbeitslehrerin wiederum ließ ihren Ärger über das verstörte, kotzende Büsi an Gemeindeschreiber Nietlispach aus, indem sie dem stolzen Junggesellen (er hatte sie binnen dreier Jahre vier Mal abblitzen lassen) vom Versandhaus Jelmoli dreißig Büstenhalter samt Spitzenhöschen aus dem Dessous-Set »Hot Night« per Post zuschicken ließ.
Alle Einwohner litten unter Streichen, alle heckten neue aus. Nichts war uns heilig – außer der Kirche. Der Herr Pfarrer, Gottesdienste und Friedhofsareal waren absolut tabu. Wir waren schließlich allesamt glaubensstarke Katholiken und fürchteten allfällige höllische Strafen des Himmels.
Ich darf an dieser Stelle erwähnen, dass ich selbst es beim Aushecken von Streichen zu einer gewissen Kunstfertigkeit gebracht hatte. Meine reifste Leistung war, als ich mit einer einzigen Tat den Großteil unserer tausend Dorfbewohner zur Weißglut trieb. Ich hatte mir Zugang zum Hauptverteiler der Genossenschafts-TV-Kabelanlage verschafft und stöpselte während des Jahresfinals von Tell-Star, der damals beliebtesten Quiz-Sendung im Schweizer Fernsehen, den Hauptantennenstecker andauernd raus und wieder rein.
Doch dann kam dieses Weihnachtsfest, das alles veränderte.
Es heißt, in der Adventszeit seien die Leute noch anfälliger für Streitigkeiten. Stress und Hektik, das verzuckerte Zelebrieren von hochheiligen Zeiten und die Erwartungshaltung der ach so lieben Verwandtschaft lassen manche Nerven noch blanker liegen.
In Müntschisberg war das alles noch viel schlimmer. Je besinnlicher die Zeiten, umso niederträchtiger die Streiche.
Oje, du fröhliche.
Nichtsdestoweniger freuten sich die Müntschisberger aufs Fest; gefeiert wurde trotzdem, mit Fondue, Christbaum und Geschenken. Auch im Krieg gab es schließlich Gefechtspausen.
Und als dann, eine Woche vor dem Fest, der große Schnee kam und unser Dorf weiß, still und verträumt dalag, herrschte tatsächlich so etwas wie weihnachtliche Stimmung.
Zwei Tage vor Heiligabend verschwand das Hündchen von Pfarrer Köchli.
Sein Rauhaardackel namens Moses kehrte von einem Streifzug nicht ins Pfarrhaus zurück. Der Mann Gottes suchte seinen Moses bis in die Nacht hinein, konnte ihn aber nirgends finden. Da reifte in ihm der schreckliche Verdacht, dass ihm ein Mitbürger womöglich einen üblen Streich spielte und Moses irgendwo versteckt hielt.
Das Hündchen war Pfarrer Köchlis einzige klerikal-legale Möglichkeit, einem irdischen Wesen Streicheleinheiten zukommen zu lassen. Es waren für ihn jeweils göttliche Momente der Zweisamkeit, wenn er seinem Dackel das Bäuchlein kraulte, worauf das Tierchen seine Knopfaugen schloss und wohlig knurrte.
Und nun hatten sie ihm sein Liebstes entführt.
Da wurde der Herr Pfarrer von solchem Zorn gepackt – er zeterte, wetterte, ja fluchte gar –, dass er beschloss, den Müntschisbergern, diesem frevelhaften Pack, zu zeigen, wo bei Gott der Hammer hing. Sie sollten kein richtiges Weihnachtsfest bekommen. Er würde sie bestrafen, indem er ihnen den feierlichen Höhepunkt an Heiligabend verwehrte – die Christmette um Mitternacht.
Pfarrer Köchli ließ die Dorfgemeinschaft wissen, ein schlimmer Hexenschuss habe ihn ins Bett gezwungen. Er könne unmöglich die Christmette halten, und geistlicher Ersatz sei in so kurzer Zeit nicht zu organisieren. Kurz und nicht gut: Die Feier falle aus.
Ich erinnere mich noch gut an die gedrückte Stimmung im Dorf. Mochten wir Müntschisberger durch das Jahr hindurch ganz üble Gesellen sein, Heiligabend war selbst uns irgendwie … ja eben, heilig. Keine traditionelle Mitternachtsmesse – das traf uns schwer. Da hatte uns der liebe Gott aber einen bösen Streich gespielt.
Am frühen Morgen des 24. Dezembers – ich hackte gerade Eisplatten vom Gehsteig vor dem Tapferen Gaul – stapfte im dichten Schneegestöber ein Mann die Hauptgasse hoch. Ein Fremder. Er blieb vor mir stehen. Der Mann war groß und hager, er trug schwere, genagelte Schuhe, einen alten Schweizer Militärmantel und einen breitkrempigen Hut aus schwarzem Filz. Angesichts der dicken Schneehaube auf Schultern und Hutkrempe musste der Fremde seit Stunden unterwegs sein. Sein scharf geschnittenes, aber nicht unfreundliches Gesicht wurde von einem buschigen Bart samt Schnauz und wild wuchernden Augenbrauen gewärmt.
Sicher so ein Hippie, ein Bartli, dachte ich und grinste. Lehrer Staubli hatte uns erst vor Kurzem das Gemälde eines alten flämischen Meisters gezeigt und uns darüber einen Aufsatz schreiben lassen. Das Bild hatte verhungernde Schiffbrüchige auf einem Floß gezeigt – der Bartli hier erinnerte mich an diese ausgemergelten Elendsgestalten.
Mit unerwartet warmer Stimme fragte mich der Fremde, wo im Dorf er übernachten könne. Ich verwies ihn an meine Eltern, die hätten Gästezimmer, und der Bartli betrat unser Wirtshaus.
Später an diesem Morgen, als ich den Flur mit den Gästezimmern entlangging, standen die klobigen Schuhe des Fremden vor Zimmer Nummer zwei. Da kam mir eine kleine, fiese Idee. Mit Mutters Putzeimer holte ich draußen Neuschnee, eilte zurück zu Zimmer Nummer zwei, kniete vor die Schuhe des Fremden und stopfte sie mit Schnee voll.
Ich kicherte, eine kleine, unbedeutende Neckerei bloß, die den Titel Streich kaum verdiente. Es war schließlich Weihnachten, und an Festtagen wollte ich nicht allzu Schlechtes tun.
Nach getaner Schandtat erhob ich mich wieder – und blickte geradewegs in Bartlis Gesicht.
»Ich, äh …«
Ja, was hätte ich auch sagen sollen? Auf frischer Tat ertappt. Künstlerpech. Der Mann packte mich mit unerwartet festem Griff am Hemdkragen und kam mir ganz nah. Unsere Nasenspitzen berührten sich beinahe.
»Wie ist dein Name?«
»Ähm … Samuel. Aber alle nennen mich Sämi.«
»Sämi, soso. Ein schöner Name. Ich bin der Seppi.«
Was sollte das jetzt? Ein derart kurioses, aufgrund der Situation unangebracht sanftmütiges Verhalten kannte ich sonst nur von unserer Religionslehrerin. Frau Mosimann reagierte, selbst wenn wir Schüler frech waren, stets übertrieben verständnisvoll und wurde deswegen von niemandem ernst genommen.
»Warum tust du anderen Menschen solche Sachen zuleide, Sämi?«
»Ich … ich weiss es nicht.«
Das war’s. Die ganze, einfache, bittere Wahrheit. Ich wusste es tatsächlich nicht. Warum ich solch fiese Streiche ausheckte. Warum ganz Müntschisberg solche Gemeinheiten machte.
»Du weißt, dass ich deinen Eltern von der Sache hier erzählen muss«, sagte der Bartli.
Nicht gut. Ganz und gar nicht gut. Vater und Mutter war Gastfreundschaft heilig, sie waren Wirtsleute mit Leib und Seele. Dass ihr Sohn einen Gast piesackte, konnten sie nie und nimmer gutheißen. Sie würden schimpfen, mich bestrafen – und das an Heiligabend!
Ich bekam Angst, dass sie mir heute Abend unter dem Weihnachtsbaum kein Geschenk überreichen würden. Seit Langem wünschte ich mir nämlich eine Lego-Eisenbahn. So eine hatten sie mir jetzt gekauft. Das wusste ich, weil ich in Mutters Kleiderschrank eine in Geschenkpapier gehüllte Kartonverpackung gefunden, gedrückt, geschüttelt und definitiv als Lego-Bahn identifiziert hatte. Aber nun würden sie mir diese heute nicht überreichen, sondern wohl erst zu meinem Geburtstag im April. Und alles nur, weil dieser Bartli petzte.
»Schau, Sämi, du hast etwas Schlechtes getan, und Strafe muss sein«, urteilte mich dieser jetzt ab.
In dem Moment kam mir die rettende Idee. Ich würde den Fremden bestechen. Mit Schnaps! Solche einsamen Wölfe zwitscherten doch gern mal einen. Ich bot ihm eine Flasche Selbstgebrannten aus dem Keller meines Vaters an.
Er reagierte nicht.
»Dann halt zwei Flaschen.«
Er schaute mich nur mitleidig an.
»Herrgottsterne, dann halt drei!«
»Nein, Sämi, ich will etwas anderes von dir.«
Oha, er ließ also doch mit sich verhandeln, er war bestechlich. Die Lego-Bahn rückte wieder näher.
»Ich will, dass du jemanden im Dorf besuchst, dem du in diesem Jahr einen gemeinen Streich gespielt hast, ihm alles beichtest und dich entschuldigst.«
Das sollte meine Strafe sein? Der Typ war doch naiver, als ich gedacht hatte. Natürlich würde ich ihm demütigst zustimmen, nicken, davonrennen – und einen Dreck tun.
»Du denkst jetzt sicher, du könntest kneifen.«
»Ich? Nein, wie könnte ich auch …«
»Ich werde dich beobachten, Sämi. Erfüllst du meine Strafaufgabe nicht, informiere ich deine Eltern.«
Der Bartli hatte mich in der Hand. Da musste ich durch, Heiligabend und meine Lego-Eisenbahn standen auf dem Spiel. Also nickte ich.
»Sämi, weißt du, was passieren wird, wenn du deine Strafe ausführst?«
Natürlich wusste ich das. Zum Affen machen würde ich mich, mein Gegenüber würde mich beschimpfen, möglicherweise bestrafen, ja bestenfalls auslachen.
»Nein, niemand wird dich auslachen, Sämi.«
Wie jetzt? Konnte der Bartli Gedanken lesen? Der Kerl wurde mir immer unheimlicher.
Er schaute mir tief in die Augen und fragte: »Hast du schon mal Dominosteine in Reih und Glied aufgestellt und dann den ersten Stein angestupst?«
War der Bartli am Ende … irr im Kopf? Womöglich aus der Klapsmühle getürmt? Ein Geistesgestörter auf der Flucht?
»Äh, ja, hab ich«, ging ich achtsam auf seine Domino-Frage ein. Mit Hirnis musste man behutsam umgehen, soviel wusste ich aus TV-Arzt-Serien. »Die Dominosteine stoßen sich gegenseitig um, jeder tippt den nächsten an und so weiter. Am Schluss liegen alle da.«
»Kluger Junge«, sagte der Bartli. Dann ließ er mich laufen.
Bäckermeister Käppeli wurde natürlich furchtbar wütend, als ich ihm von meinem Streich erzählte. Mehrfach hatte ich mit dem Luftgewehr in seine Mehlsäcke geschossen, die er im Schuppen lagerte. So kam es, dass etliche Kunden im Verkaufsladen reklamierten, sie hätten Bleikügelchen in ihrem Brot gefunden. Ich beichtete alles, gab zu, ich sei ein Idiot, ein mieser Schnudderi, und entschuldigte mich.
Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte. Eine Ohrfeige? Zwei? Käppeli bekam einen roten Kopf, schnappte nach Luft und war sichtlich erbost. Doch dann, ganz plötzlich, entspannte er sich, atmete tief durch und setzte sich halb auf den Teigtisch in seiner Backstube. Er sagte nichts, starrte bloß seine Hände an und knübelte mit dem einen Fingernagel den Mehlstaub unter den anderen Nägeln heraus.
Ich stand da wie ein Löli. Nach bleischweren Minuten erhob sich Käppeli endlich, schaute mich an, legte mir die Hand auf die Schulter und sagte: »Sämi, es ist gut. Entschuldigung angenommen.«
Mit so einer Reaktion hatte ich nun am allerwenigsten gerechnet. Und es kam noch toller. Der Bäckermeister holte aus der Backstube eine Schwarzwälder Torte, schenkte sie mir, wünschte mir frohe Weihnachten und entließ mich nach Hause. Einfach so.
Ich rannte heim, hüpfte, stiebte mit den Schuhen den Neuschnee auf vor Freude; es war mir mit einem Male so leicht und friedlich ums Herz.
Und meine Augen bekamen plötzlich diesen weihnachtlichen Glanz.
Bäckermeister Käppeli zog seinen Lodenmantel an, setzte die Fellmütze auf und stiefelte zum Haus von Postauto-Chauffeur Leuthard. Er beichtete ihm die Sache mit den acht Litern Himbeersirup. Er sei es gewesen, der ihm letzten Herbst die klebrige Soße in den Scheibenwischwassertank des Postautos gekippt hatte.
Nach einer Stunde erst marschierte Käppeli wieder heim. Mit einem Strahlen im Gesicht und fünf Schnäpsen im Bauch. Ein zentnerschwerer Stein war ihm vom Herzen gefallen – und er hatte diesen weihnachtlichen Glanz in den Augen.
Postauto-Chauffeur Leuthard seinerseits besuchte Fräulein Nägeli, die Präsidentin des Ornithologischen Vereins im Dorf. Und gestand ihr, dass er es gewesen sei, der vergangenen Sommer die elf Vogelhäuschen in ihrem Garten in Brand gesteckt hatte. Und als er wieder heimwärts schlenderte – erleichtert, glücklich und mit einem Strohstern, den ihm das Fräulein Nägeli geschenkt hatte –, war ihm zum Jauchzen zumute. Und in seinen Augen lag ein weihnachtliches Glänzen.
Währenddessen machte sich Fräulein Nägeli auf den Weg, um Malermeister Niederberger reumütig von dieser Sache mit den vertauschten Farbkübeln zu erzählen.
Hätte an diesem Heiligabend ein Engel hoch über Müntschisberg geschwebt und hinuntergeschaut, als himmlische Drohne gewissermaßen, wäre er Zeuge emsigen Treibens geworden. Es schien, als sei das ganze Dorf auf den Beinen. Alle statteten einander Hausbesuche ab. Es wurden Streiche gebeichtet und Freveltaten gestanden. Man entschuldigte, versöhnte und beschenkte sich. Man schloss nach so vielen Jahren endlich Frieden – mit seinen Opfern und damit auch mit sich selbst.
Am späteren Nachmittag dieses Tages, kurz bevor es dunkel wurde, vernahm Förster Räber bei seinem Rundgang durch den Hasliwald ein herzzerreißendes Wimmern. In einer zwei Meter tiefen Senke entdeckte er Pfarrer Köchlis Hündchen. Moses war wohl beim Herumstreunen in das Erdloch gefallen und hatte an den vereisten Lehmwänden keinen Halt gefunden, um wieder hochzuklettern.