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Der 22jährige Junker Heinrich von Waldstein wird im Jahr 1410 von seinem Verwandten Heinrich von Plauen, dem Komtur von Schwetz, nach Preußen gerufen. Er soll Heinrich von Plauen bei einem Feldzug begleiten. Der Junker von Waldstein begibt sich auf dem Seeweg nach Danzig. In der Danziger Bucht überfallen Piraten das Schiff. Die Schiffsbesatzung einschließlich Heinrich von Waldstein nimmt den Kampf mit den Piraten auf. Der Jurist Ernst Wichert (1831-1902) verfasste neben seiner Karriere als Richter zahlreiche Romane, Novellen, und Bühnenstücke. Im historischen Roman »Heinrich von Plauen« erzeugt Ernst Wichert ein authentisches kulturhistorisches Zeitbild.
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Seitenzahl: 1260
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Ernst Wichert
Mittelalterroman
Es war im Frühling des Jahres 1410, nicht lange vor Pfingsten. Über die Ostsee, die man auch das Baltische Meer nannte, strich ein scharfer Nordwest und legte sich breit und voll in die Segel der »Maria von Danzig«, die ihren Kurs auf die Landspitze von Hela nahm, von der sie nur wenige Meilen entfernt sein konnte.
Die »Maria von Danzig« – der Name stand mit deutlichen Buchstaben am Vordersteven unter der Figur von Holz, die des Deutschordenslandes Schutzpatronin, die Jungfrau Maria mit der Strahlenkrone darstellte – war ein Holzschiff von mittlerer Größe, als Zweimaster getakelt und vor einigen Jahren, als sie zum Seekrieg als »Friedenskogge« ausgerüstet wurde, mit einem Vorderkastell zur Aufnahme von Bombarden versehen. Jetzt stand dort nur eine eiserne Blide, mit Stricken an die Ringe festgebunden; der Kapitän hatte das Geschütz an Bord genommen, weil er in Lübeck erfuhr, daß die See wieder von den Vitalienbrüdern beunruhigt werde, obgleich die Danziger erst im vorigen Jahre, da sie's zu unverschämt trieben und selbst in die Weichsel einzulaufen wagten, einige Schiffe gegen sie ausgeschickt hätten.
Kapitän Johann Halewat hatte längere Zeit Reisen zwischen Frankreich und England gemacht, auch die schottischen Häfen besucht, und war nun kürzlich von den Danziger Reedern zurückgerufen, um Abrechnung zu halten. Er hatte in Lübeck eine Ladung von flandrischen Tuchen, wismarischem Bier, Öl, Wein, Früchten und Gewürzen, die von Gent nach Ypern auf dem Landwege dorthin gelangt waren, eingenommen und führte sie nun nach seiner Vaterstadt Danzig. Da dem Ordenslande ein Krieg mit Polen und Litauen drohte, in den leicht auch die pommerschen Herzöge verwickelt werden konnten, durch deren Land die Straße führte, hatten sich die dortigen Häuser noch zeitig über See mit Waren versehen wollen.
Der Zufall fügte es, daß sich in Lübeck, gerade als das Schiff segelfertig lag, eine kleine Gesellschaft von jüngeren und älteren Männern zusammengefunden hatte, die in sehr verschiedenen Geschäften und Absichten nach Preußen zu gelangen wünschten und sich nun die Gelegenheit einer raschen und bequemen Reise nicht entgehen lassen wollten. Zwar auf den Danziger Ratsherrn Bartholomäus Groß, des Bürgermeisters Schwiegersohn, der auf der hanseatischen Faktorei zu Brügge persönlich wegen der Ausfuhr von hundert Lasten Getreide verhandelt hatte, war der Kapitän durch Briefe aus der Heimat angewiesen zu warten. Die anderen Passagiere aber hatten erst auf dessen Empfehlung Erlaubnis erhalten, an Bord zu kommen, wenn sie ihre Verpflegung selbst übernehmen wollten. Es waren drei Brüder des Deutschen Ordens aus dem westfälischen Konvent mit ihren Knechten, die nach Marienburg berufen waren, um im bevorstehenden Kriege Dienste zu tun, und zwei junge Leute von wenig verschiedenem Alter, die sich einem Warenzuge zugesellt gehabt und bald miteinander gute Freundschaft geschlossen hatten.
Der eine derselben war der Junker Hans von der Buche, ein langgewachsener Mensch von drei oder vierundzwanzig Jahren, mit einem Kopf, dem man's gleich anmerkte, daß er schon über mancherlei nachgedacht hatte, was sonst dieser grünen Jugend fernzuliegen pflegt. Sein Großvater Andreas war vor nun fast fünfzig Jahren mit einem deutschen Fürsten nach Preußen gekommen, um sich zu Ehren Gottes und der Heiligen Jungfrau bei einer Kriegsreise gegen die heidnischen Litauer zu beteiligen, hatte in Samaiten tapfer gekämpft und war im Lande geblieben, da ihm der Orden zur Belohnung für seine Dienste zwanzig Hufen im Gebiete der Komturei Rheden zur Gründung eines deutschen Dorfes zu kulmischen Rechten mit dem Freischulzenamt verlieh. Er nannte es nach der Heimat Buchwalde. Der Sohn, Arnold von der Buche, oder auch von Buchwalde genannt, focht unter dem Hochmeister Konrad von Wallenrod und wurde von demselben zum Ritter geschlagen. Er erwarb neuen Landbesitz in den Nachbardörfern Okonin und Kressau, auch Wald und Wiesen am Melno-See, so daß man ihn zu den Großgrundbesitzern des Bezirks zählte. Der Enkel endlich, unser Hans von der Buche, gewann als Knabe die Neigung eines Priesterbruders des Rhedener Konvents, der seinem Vater befreundet war. Dieser bestimmte den wackeren Landesritter, seinen Sohn aufs Schloß zu geben, damit er ihn in den Anfängen der Wissenschaft unterrichte, in der er selbst vielerfahren war. Hans zeigte gute Anlagen und war bald im Lateinischen so weit, daß er mit Erfolg die gelehrte Schule in der Stadt Kulm besuchen konnte, wo er in dem Hause des Bürgermeisters bereitwillige Aufnahme fand. So tüchtig vorbereitet, wußte er seinen Vater zu bestimmen, ihn zu weiteren Studien ins Reich hinauszuschicken. Galten doch damals gelehrte und weitgewanderte Männer im Hochschlosse der Marienburg schon viel! So brachte er zwei Jahre auf der Universität Prag zu, wo damals Johann Huß und Hieronymus lehrten, und ein drittes jenseits der Alpen, in Bologna, um sich in allen freien Künsten auszubilden, auch ein wenig von der Rechtsgelehrsamkeit zu profitieren, die dort in hohem Ansehen stand. Nun hatte der Vater seine Rückkehr gewünscht, damit er sich als der einzige Sohn der Gutswirtschaft annehme, zugleich aber auch ihm aufgetragen, die Verwandten in Thüringen und Sachsen zu besuchen, daß man einander nicht ganz vergäße und sich auch ferner zusammengehörig wüßte. Von dort kam er jetzt.
Sein Gefährte, vielleicht nur ein oder zwei Jahre jünger als er, nannte sich Heinz von Waldstein. Er war in seiner äußeren Erscheinung ganz das Gegenstück von ihm, mittelgroß, breitschultrig, kräftig, fast ein wenig gedrungen; der Ledergurt schien ihm zu eng zu sein, die Brust kaum Platz zu haben unter dem Wams. Dichtes, krauses Haar von blonder Farbe bedeckte den Kopf und quoll an Stirn und Nacken unter der Kappe vor. Das runde, von der Sonne gebräunte Gesicht glühte gleich hochrot, wenn das Herz rascher zu schlagen anfing, und ein Paar blaue Blitzaugen schauten daraus munter in die Weite, als ob ihnen die ganze Welt gehören müßte. Der muskulöse Arm und die kräftige Hand zeigten an, daß er im Waffenhandwerk wohlgeübt war, und am liebsten sprach er auch von Ritterspiel und Jagd. Gerade sein frisches, naturwüchsiges Wesen hatte Hans von der Buche gefallen, und Heinz wieder fühlte sich seltsam angeregt durch dessen gelehrtes Wissen, das doch gar nicht mit sich prunken wollte, und durch die Mitteilungen aus fernen Ländern, von denen er bisher nicht viel mehr gekannt hatte als die Namen. Wenn er so aufmerksam zuhörte und sich mühte, den klugen Reden zu folgen, die Augenbrauen aufzog und den Blick forschend auf den Sprechenden richtete, konnten seine Gesichtszüge einen recht beschaulichen Ausdruck annehmen, und eine Viertelstunde später wieder, wenn irgendein unbedeutender Anlaß seine Heiterkeit heraustrieb, konnte er mit seinem herzlichen Lachen auch den ernsten Gesellen anstecken und zu ausgelassenen Späßen ermuntern. So waren sie gute Freunde geworden, indem sie treulich gegeneinander austauschten, was jeder seinen besten Besitz nannte.
Hans hatte bald alles erfahren, was Heinz selbst von seinen kleinen Lebensschicksalen wußte. Er hatte früh Vater und Mutter verloren, erinnerte sich nicht einmal, sie je gesehen zu haben. Er war erzogen und aufgewachsen am Hofe des kaiserlichen Vogts zu Plauen, Heinrichs mit dem Beinamen »der Reuße«, weil der Ältervater dieser Linie eine reußische Prinzessin geheiratet hatte. Er durfte ihn Oheim nennen, wußte aber die Verwandtschaft nicht näher anzugeben und meinte, der edle Herr sei eigentlich nur sein Pate gewesen und habe sich seiner von frühester Jugend väterlich angenommen. Fast wie ein Kind des Hauses war er gehalten, und es hatte ihm an nichts gefehlt, solange er denken konnte. Er war in allen ritterlichen Künsten geübt worden und nun, reichlich mit Geld versehen, nach Preußen geschickt zu des Vogts Vetter, der gleichfalls Heinrich hieß, aber der Linie der »Böhmen« angehörte und zur Zeit Komtur von Schwetz war, nachdem er früh schon in den Orden getreten. Vielleicht, daß er seine junge Kraft brauchen könne in dem Kampfe, der im Reiche schon für unvermeidlich galt, und zu dem auch Heinrich Reuß einige Fähnlein Söldner zu stellen gedachte. Er wollte sie sogar selbst dem Hochmeister zuführen und hatte Heinz Briefe mitgegeben an diesen und an seinen Vetter in Schwetz, die ihn melden sollten. Du hast nicht Land und Leute, hatte er ihm beim Abschied gesagt; sieh zu, wie du sie dir gewinnst. In Preußen hat mancher schon mit starkem Arm und tapferem Herzen sein Glück gemacht, und gefällt dir's, in den Orden einzutreten, so kann dir mein Vetter wohl dazu behilflich sein. Land und Leute zu gewinnen, das schien freilich dem Blondkopf eine lockendere Aussicht, als den weißen Ordensmantel mit dem schwarzen Kreuz zu nehmen. Er ließ sich recht umständlich erzählen, wie Andreas von der Buche nur sein Schwert nach Preußen gebracht hatte und unter dem vielgefeierten Meister Winrich von Kniprode Gerichtsherr von Buchwalde geworden war.
Nun hatte die gemeinsame Seefahrt sie noch inniger vereint und noch fester aneinander geschlossen. Gab's doch nach außen tagelang nichts zu schauen als das graue Wasser mit seinen rollenden Wogen, und war doch der Schiffsraum so eng, daß man einander auf Schritt und Tritt begegnen mußte. Sie saßen gern zusammen auf dem hohen Vorderkastell, wo das Ankertau zu einem breiten Stapel aufgerollt war, und plauderten vergnüglich von Vergangenheit und Zukunft, oder sahen dem Zuge der weißgeflügelten Möwen nach, die überall das nicht ferne Ufer verrieten. Mitunter gesellte sich Herr Barthel Groß zu ihnen, hörte eine Weile, sich mit den Ellenbogen auf das Kastell stützend, zu und warf ein kurzes Wort ein; meist aber ging er, geschickt die Schwankungen des Schiffes parierend, rasch das Overlop auf und ab, die Hände in den Taschen wie ein Mann, dem Seereisen eine gewohnte Sache sind und der sich selbst als einen halben Seemann fühlt. Er war sicher wenig über dreißig Jahre alt, zeigte aber die ernste Stirn eines Vierzigers.
Es war während der Fahrt nichts passiert. Diesen Morgen erst hatte es den beiden Freunden geschienen, als ob die zahlreiche Bemannung des Schiffes ungewöhnlich in Bewegung gesetzt sei. Der Steuermann blieb selbst am Steuer, neue Segel wurden aufgehißt, die Matrosen kletterten auf den Masten herum, alle Stricke und Leinen wurden untersucht und straffer angezogen. Kapitän Halewat stand nicht weit vom Steuermann am Rudergat und blickte durch einen Tubus ohne Glas nach Norden auf die See hinaus, wo sich ein fernes Segel bemerkbar machte. Nicht ein Stellchen von Hellergröße auf diesem verwetterten Gesicht war ohne Furchen und Falten, und jetzt zog die gespannte Aufmerksamkeit alle Maschen des Liniennetzes auf der Stirn nach dichter zusammen.
Die Freunde bemerkten, daß der Ratsherr ihn ansprach, aber kurz abgefertigt wurde. Als er sich nun wieder der vorderen Spitze des Schiffes näherte, erkundigten sie sich, was es gäbe. Wahrscheinlich nichts Gutes, antwortete Groß. Das Segel dort – es nähert sich uns sehr verdächtig aus der Richtung von Gotland her. Der Alte hat für so etwas scharfe Augen.
Er meint –?
Pah! Er meint gar nichts; er sagt: es ist so. Vitalienbrüder sind unterwegs. Die Barke dort ist nicht umsonst unter Segeln bis zu den Mastspitzen hinauf. Sie sucht uns von Norden her das Fahrwasser um Hela herum abzuschneiden, und wir dürfen uns nicht näher ans Land heranwagen der Sandbänke wegen. Erreichen wir aber auch ungefährdet die Danziger Bucht, so sind mir doch noch weit vom Ziel und können, wenn sie's unverschämt treiben, leicht noch auf der Reede eingeholt werden.
Mögen sie nur kommen! rief Heinz, indem er aufsprang und den rechten Arm vorstreckte; sie sollen sehen, daß wir uns unserer Haut zu wehren wissen.
Lieber Herr, antwortete der Kaufmann bedächtig, um unsere Haut ist's ihnen wenig zu tun, obgleich sie auch da keinen Spaß verstehen, wenn man sich ihnen zur Wehr setzt. Aber die Güter locken sie, mit denen der Raum gefüllt ist. Die Beute wäre sehr ansehnlich; allein die flandrischen Laken rechnen nach Tausenden von Mark. Es könnte leicht mancher Danziger ein armer Mann werden, wenn das Schiff genommen wird. So wollen wir denn lieber alle Segel beisetzen und in der Flucht unser Heil suchen, die uns in diesem Falle gar nicht gegen die Ehre geht.
Heinz setzte sich wieder auf den Taustapel und drückte den Kopf in die Schultern. Ich habe in meiner Heimat viel von dem frechen Seeräubervolk erzählen gehört, sagte er. Sang man's doch auf allen Straßen, wie vor nun sieben oder acht Jahren die Hamburger den Nikolaus Störtebeker, den Gödeke Michael und alle ihre Gesellen fingen und ihrer hundertundfünfzig hinrichteten vor den Augen des Magisters Wigbold, der einer der blutgierigsten Anführer gewesen sein soll und sie nun alle vor sich sterben sehen mußte bis auf den letzten Mann. Aber warum sie recht eigentlich Vitalienbrüder heißen, das hat niemand zu erklären gewußt. Möcht's aber wohl wissen, ehe ich sie von Angesicht kennenlerne.
Der Ratsherr warf lachend den Kopf zurück. Das hat einen gar unschuldigen Grund, entgegnete er. Es gab eine Zeit, wo die Raubgesellen den Hanseaten gute Freunde waren, weil sie ihnen im Dänischen Kriege halfen. Ihr wißt, daß vor nun mehr als zwanzig Jahren König Olav starb, erst siebzehnjährig, und seine Mutter Margarethe nun Königin von Dänemark und Norwegen wurde. Da aber Olav der letzte männliche Sproß des uralten schwedischen Königsgeschlechts der Folkunger gewesen war, meinte sie nun auch Anspruch auf die schwedische Krone zu haben. Schwedens Thron war aber besetzt. Der darauf saß, war der Mecklenburger Albrecht, Sohn der Schwester des Königs Magnus Erichsson. Der behauptete nun wieder sein Recht auf Dänemark und Norwegen, und so kam es zum Kriege, in dem ihm die Hanseaten Beistand leisteten, denn ihr Handel wurde durch Margarethe schwer gefährdet, und sie durften sie nicht übermächtig werden lassen. Das Glück entschied gegen Albrecht; sein eigener Adel verließ ihn, und in der Schlacht bei Falköping fiel er mit seinem Sohne Erich in die Gefangenschaft der Königin. Sieben Jahre lang saß er gefangen auf Schloß Lindholm in Schonen, fast ganz Schweden unterwarf sich der Königin, nur die Hauptstadt Stockholm blieb in den Händen der Deutschen. Da riefen nun die Städte Wismar und Rostock mit Johann von Mecklenburg die Seeräuber zu Hilfe, nahmen sie in Sold und schickten sie mit Lebensmitteln nach Stockholm, den Belagerten Mut zu machen. Von der Vitalje nun, die sie unter großen Gefahren einschmuggelten, hießen sie Vitalienbrüder, und den Namen behielten sie bei, als man ihnen später wieder das Handwerk legen wollte. Denn man brauchte die ›Gleichteiler‹ nicht mehr, als es zum Frieden kam und Albrecht mit seinem Sohn auf drei Jahre freigelassen wurde, und sieben von den Hansestädten, darunter auch Danzig, Elbing und Thorn, Stockholm in Pfand nahmen, daß er sich mit sechzigtausend Mark lösen werde, und der Danziger Ratmann von Halle Hauptmann war in Stockholm. Seitdem nannten sie sich wieder ›Gottes Freunde und aller Welt Feinde‹. Nun – aller Welt Feinde sind sie; aber ob unser Herrgott sie wird als Freunde gelten lassen, weil ihre Hauptleute von geraubtem Gute in einer Kirche Stockholms eine ewige Messe stifteten, das mag dahingestellt sein.
Indes tauchten rechts die Sanddünen von Hela auf, links aber im Norden wurde das ferne Segel immer deutlicher. Die beiden jungen Leute beobachteten es nun auch selbst mit immer gespannterer Aufmerksamkeit. Dann folgten sie Groß, der wieder an den Kapitän herangetreten war.
Die kecken Burschen haben mehr Leinwand als wir, knurrte der Alte, und der Bauch ihrer Barse ist nicht gefüllt mit Kisten und Tonnen wie meine Holk. Sollen wir auswerfen, Herr Barthel Groß?
Der Ratsherr zog bedenklich den Mund. Es wäre das äußerste Mittel – und ich zweifle noch sehr, daß es hilft, sagte er.
Ganz meine Meinung, rief der Kapitän. Um die Spitze kommen wir vielleicht herum, aber dann haben sie uns doch. Kenne mein Schiff wie mich selbst und hab' schon einmal in solcher Fährlichkeit gesteckt. Anno vier war's, da führte ich die ›Maria‹ mit einer Danziger Ladung nach Lissabon. Habt ihr einmal etwas von dem Seeräuber Henry Pay gehört? Nun, der war mit englischen Söldnern aus Plymouth und Dartmouth unterwegs und hielt mich an der spanischen Küste an. Es war an einem fünfzehnten August, mein Lebtag vergeß ich das Datum nicht. In Lissabon verkauften die Schurken die Ladung, das Schiff aber brachten sie nach Dartmouth, und es war viel Geschreibe deshalb, bis sie es auf Befehl des guten Königs Heinrich IV. loslassen mußten. Er ist dem Orden gut gesinnt, weil er selbst einmal, noch als Herzog von Lancaster, eine Kriegsreise gegen die Litauer gemacht und von daher viel Ruhm heimgebracht
hat.
Gehört Euch das Schiff? fragte Hans von der Buche.
Der Alte schüttelte den Kopf. Nur zwei Parten, antwortete er; und es sind zwölf im ganzen. Vier davon hält Tidemann Huxer, einer der reichsten Danziger Reeder und seit Jahren im Rat. Die andern verteilen sich. Aber es verliert niemand gern das Seinige.
Gebt Ihr die »Maria von Danzig« schon für verloren? mischte der Blondkopf sich ein. Ich denke, wir sind Manns genug, sie zu verteidigen, wenn's soweit kommt. Dabei blitzten ihm die Augen.
Der Kapitän zuckte die Achseln. Man kann nicht wissen, wieviel Burschen da an Bord sind. Zu weniger als dreißig oder vierzig pflegen sie sich nicht auf die hohe See zu wagen, und sie sind bewaffnet bis an die Zähne. Man hat mir auch in Lübeck erzählt, daß sie einen Hauptmann mit Namen Marquard Stenebreeker haben, der unter ihnen gute Mannszucht hält. Sprecht Ihr, Herr Barthel Groß! Ihr seid hier gleichsam der Vertreter der Danziger Kaufherren. Sollen wir uns gutwillig ergeben, wenn sie uns doch anlaufen? Oder setzen wir uns zur Gegenwehr auf die Gefahr hin, daß hinterher von einem Vergleich nicht mehr die Rede ist?
Groß bedachte sich. Es schien ihm eine beschwerliche Sache, hier den Ausschlag geben zu sollen. Ihr führt das Schiff, Kapitän, meinte er dann ausweichend, und habt hier allein zu befehlen. Aber bedenkt Euch wohl, daß Ihr nichts anfangt, das Ihr nicht auch zum Ende führen könnt. Wir wollen sie herankommen lassen und erst zusehen, wieviel ihrer ungefähr sind. Lohnt's dann zu fechten, so hab' ich auch mein Schwert nicht umsonst allezeit bei der Hand.
Der Alte kniff das linke Auge zu. Sie werden uns schwerlich Zeit lassen zur Musterung, sagte er mit einem grinsenden Lachen. Ich denke, wir wollen, oder wir wollen nicht.
Wir wollen! rief Heinz. Und rüsten müssen wir uns doch auf alle Fälle, wenn sie uns nicht überrumpeln sollen. Die Burschen glauben Euch mit der Mannschaft allein auf dem Schiff, da sind sie so keck. Nun trifft sich's, daß Ihr noch mehr als ein Dutzend Arme darüber hinaus zur Verfügung habt. Und darunter recht kräftige Arme! – Er blickte zu den drei Rittern hinüber, die sich gern in vornehmer Entfernung hielten und jetzt in der Nähe des Fockmastes aufs Deck gestreckt hatten.
Pah! Was bekümmert Schiff und Ladung die Passagiere? wandte der Kaufmann ein. Sie werden ihr Leben nicht an ein Abenteuer wagen.
Sie werden's! antwortete der Blondkopf mit aller Entschiedenheit. Laßt mich die Herren befragen.
Er schritt sogleich auf die Gruppe zu und stellte die Sache eindringlich vor. Die Ritter mochten bedenken, daß es ihnen in der Gefangenschaft der Räuber bis zur Lösung auch nicht wohl sein würde, und stimmten für den Kampf. Ihre Knechte sollten auch dabei sein, und an Waffen fehlte es ihnen nicht.
Nun ließ der Kapitän seine Pfeife ertönen. Auf dieses Zeichen sammelten sich sämtliche Schiffskinder um ihn und den Steuermann zur Beratung, der Reffsteuermann, der Zimmermann, der Hauptbootsmann, sechs Bootsleute und einige Knechte und Putken, Jungen von vierzehn oder fünfzehn Jahren, die auf der Reise erst ihren Dienst anfingen.
Achtzehn Köpfe zählte das Schiffsvolk im ganzen; dazu kamen die Fremden: drei Ritter mit drei Knechten, der Kaufherr, Heinz von Waldstern und sein Geselle Hans von der Buche, ein ganz ansehnliches Häuflein.
Die Schiffsleute zeigten guten Mut, da sie sich so kräftig unterstützt sahen. Die Steuerleute, der Zimmermann, der Hauptbootsmann und zwei von den Matrosen hatten ihrer bei der Heuer übernommenen Pflicht gemäß Harnische in ihren Kojen. Die Ritter waren gut mit Waffen versehen, und die anderen Passagiere hatten wenigstens ein Schwert und eine Haube in ihrer Lade. Der Kapitän erinnerte sich nun auch, daß er eine große Kiste mit stählernen Platen für den Komtur von Danzig mitbekommen habe, auch eine andere mit einigen Feuerstöcken für die Marienburg. Man machte sich kein Gewissen daraus, sie in der Not zu erbrechen und die Waffen in Gebrauch zu nehmen. Keine halbe Stunde dauerte es, und aus allen Schiffsluken stiegen die Gewaffneten; selbst der jüngste von den Putken hatte eine Eisenschiene umgeschnallt und die Axt des Zimmermanns in bei Hand. Heinz kannte die Bedienung der Feuerstöcke und instruierte die Leute. Der eine mußte das Gewehr halten, und der andere feuerte es mit einer Lunte ab. Auch die Blide auf dem Vorderkastell wurde instand gesetzt und geladen.
Dann wurde Kriegsrat gehalten. Wir müssen's schlau anfangen, sagte der Kapitän Halewat, damit wir sie vor allen Dingen teilen, denn es sind ihrer jedenfalls mehr als wir. Deshalb dürfen wir unsere Mannschaft nicht gleich sehen lassen, sondern müssen den besten Teil hinter den Luken verstecken, bis sie uns ganz sicher zu haben glauben. Ich und acht oder zehn von unsern Leuten ziehen den Ölrock wieder über den Panzer und setzen den Südwester über den Eisenhut. Sie bilden sich dann ein, daß wir uns friedlich ergeben wollen, und springen in Scharen über, sich des Schiffes zu bemächtigen. Dann brechen die übrigen vor, und der Kampf kann beginnen. Werden wir mit diesen fertig, so dürfen uns die andern wenig Sorge machen; sie werden ihre Barse zu retten suchen und sich eiligst auf die Flucht begeben, zumal, wenn mir mit den Feuerstöcken ihnen eins aufbrennen. Hier an Bord nimmt jeder seinen Mann. Und somit Gott befohlen, Kinder! Den Herren mag ich nichts vorschreiben.
Er machte ein Kreuz über Brust und Stirn, warf seine Ölkleidung über, nahm dem Steuermann die Pinne aus der Hand, damit er sich gleichfalls rüsten könne, und hielt das Schiff scharf auf die Helaer Spitze. Er führte es so knapp an derselben vorbei, daß der Kiel einen Augenblick den Sand streifte, und gewann dadurch einen kleinen Vorsprung. Der wackere Mann wollte bis zuletzt seine Pflicht tun, den Räubern zu entkommen. Aber die Hoffnung schwand bald völlig; die feindliche Barse war ein guter Segler. Schon erkannte er auf dem Verdeck derselben die bewaffneten Männer, schon konnte er die Köpfe überzählen – mehr als dreißig. Vorn im Bug standen einige handfeste Leute und hielten lange Enterhaken bereit.
Auf der Holk war's ganz still, als wüßten die Matrosen von keiner Gefahr.
Nun brauste das Schiff heran. Auf zwei- oder dreihundert Schritte fiel ein Kanonenschuß, der dem Kauffahrteifahrer Halt gebieten sollte. Die Kugel strich seitwärts vorbei und schlug eine Strecke weiter aufs Wasser auf. Es folgte wenige Minuten darauf ein zweiter Schuß. Diesmal traf die Kugel das Holz neben dem Steuer dicht über dem Wasser. Nun wird's Zeit! rief der Kapitän seinen Leuten zu. Er gab ein Zeichen mit der Pfeife: die großen Segel wurden sofort gerefft und die Flagge – rot mit zwei weißen Kreuzen übereinander – von der Spitze des Fockmastes herabgelassen.
Das Holkschiff, das so dem Winde keinen Widerstand mehr bot, verlangsamte sofort seinen Lauf. Der Führer der Barse hatte wahrscheinlich auf so schnellen Gehorsam nicht gerechnet und schoß links mit vollen Segeln dicht vorüber. Zwar warfen einige seiner Leute ihre Enterhaken über das Schanzkleid, mußten sie aber fahren lassen, um nicht bei der schnellen Vorwärtsbewegung über Bord gerissen zu werden. Einer fiel wirklich ins Wasser und ertrank. Die Haken blieben im Holz stecken und legten sich an die Seitenwand des Schiffes. Nun ließ auch die Barse das Großsegel fallen; zugleich machte sie eine Wendung nach rechts, um den Kauffahrer aufzunehmen, konnte aber vor dem Winde nicht schnell genug ausweichen und mußte, da Kapitän Halewat geschickt die Gelegenheit ausnutzte, einen kräftigen Stoß von dem Vordersteven gegen ihre Flanke erleiden, daß die Rippen krachten. Zugleich fuhr das Bugspriet der Holke durch ihre Wanten und verwickelte sich darin, so daß nun ein Teil der Mannschaft vollauf mit dem eigenen Schiffe zu tun hatte. Indes legte doch die Barse herum, so daß Bug gegen Bug stand und der Übergang keine Schwierigkeiten weiter bot. Es sprangen denn auch sofort mehr als zwanzig von den verwegenen Gesellen, voran der Hauptmann, mit wildem Geschrei über das Schanzkleid oder kletterten am Bugspriet entlang auf das Vorderkastell, schwangen Schwerter und Streitkolben durch die Luft und drangen auf die Matrosen ein, die sich auf einen Wink des Kapitäns zurückzogen und auf dem Steuerdeck sammelten.
Ergebt euch! rief der Anführer, ein Mann von wohl sechs Fuß Höhe mit fuchsrotem Bart. Ihr seht, daß jeder Widerstand vergeblich ist. Ergebt euch, wenn euch das Leben lieb ist!
Darüber ließe sich verhandeln, sagte der Kapitän. Das Leben ist jedem lieb. Wer seid Ihr?
Das kümmert Euch nicht, antwortete der Rotbart, näher tretend. Nach Eurer Flagge gehört das Schiff nach Danzig. Wir liegen in Fehde mit den Danzigern um wichtiger Ursachen, die Euch nichts angehen, und nehmen ihr Gut, wo wir's finden. Sagt also, ob ihr uns gutwillig folgen wollt nach Gotland?
Der Kapitän nickte. Wenn Ihr uns eine Verschreibung an unsere Herren in Danzig zu geben versprecht, daß Ihr uns mit Gewalt gezwungen habt –
Der Hauptmann lachte. Die sollt Ihr haben. Also folgt uns auf unser Schiff, wir besetzen die Holke mit unseren Leuten. Vorwärts!
Indessen war die Räuberbande, lauter stämmige Burschen von verwildertem Aussehen, dem Hauptmann nachgerückt und umstand den Raum vor dem erhöhten Steuerdeck. Auf manchem Gesicht spiegelte sich der Verdruß, daß es zu keinem Kampfe kommen sollte. Keiner von ihnen merkte, daß sich in ihrem Rücken die Luke zum Schiffsraum öffnete und zwei Feuerstöcke die eisernen Läufe herausstreckten. Im nächsten Augenblick blitzte das Pulver auf, krachten die Schüsse und fielen zwei von den Räubern getroffen zu Boden. Die Matrosen, die gefeuert hatten, sprangen aus der Luke, kehrten die Gewehre um und drangen damit auf die Bande ein. Ihre Genossen folgten, die Ritter und Junker brachen aus ihren Verstecken vor, und der Kapitän mit seinen Leuten warf sich von vorn den Räubern entgegen.
Verrat! Verrat! schrie der Hauptmann. Hierher, Brüder! Festgeschlossen! Nieder mit der Brut! Werft sie über Bord ins Wasser! Nicht einer bleibt am Leben!
Es entstand nun ein wildes Handgemenge. Die Schwerter blitzten und klirrten, die Eisenpanzer rasselten, dicht fielen die Hiebe auf die Sturmhüte und Blechhauben. Als die Seeräuber der Ritter ansichtig wurden, stutzten sie, aber der Rückzug war unmöglich, und so mußte auch mit ihnen der Kampf aufgenommen werden. Freilich mit ungleichen Waffen. Denn die langen Schwerter derselben waren vom besten Stahl und ihre Rüstung undurchdringlich. Aber von der Barse her eilte noch ein Dutzend Gesellen zu Hilfe, und so wurde diese Ungunst für sie wieder ausgeglichen. Unter den wuchtigen Streichen der Ritter waren schon einige von den Räubern neben den erschossenen zu Boden gesunken, und ihr Blut färbte die Planken des Overlops, aber noch immer griffen zwei und drei zugleich an. Barthel Groß stand mit dem Rücken gegen den Mast gelehnt und verteidigte sich mehr, als er angriff. Die beiden Junker waren hier und dort, wo einer der Matrosen zu hart bedrängt wurde, und zogen immer neue Feinde auf sich. Die Schiffsknechte, wenig geübt im Waffendienst, suchten die Kämpfenden von hinten zu fassen und zu Boden zu ringen oder aufzuheben und über Bord zu werfen. Dem einen und andern gelang's.
Der Hauptmann, der alle an Länge überragte und bereits den Reffssteuermann und einen Bootsmann niedergestreckt hatte, schien nun einzusehen, daß doch die Hauptgefahr von den Rittern drohe. Er warf sich auf den, der in der vordersten Reihe kämpfte, unterlief sein Schwert, umfaßte mit den Armen seinen Leib und suchte ihn hintenüber zu stürzen. Der Ritter wollte seine Waffe, die ihm doch wenig mehr nützte, nicht fallen lassen und wurde dadurch behindert, den rechten Arm zu gebrauchen. Dennoch hätte er vielleicht Widerstand geleistet, wenn er nicht in eine Blutlache getreten und ausgeglitten wäre. Blitzschnell warf sich der Rotbart auf ihn und stieß ihm den langen Dolch zwischen Halsberge und Plate in die Brust.
Die Seeräuber erhoben ein Freudengeschrei und erneuerten mit frischem Mut ihren Angriff. Aber der Jubel dauerte nicht lange. Heinz von Waldstein nahm den Kampf mit dem Hauptmann auf. Fast einen Kopf kleiner als er, meinte er sich doch an Stärke mit ihm messen zu können. Mit einem Streitkolben, den er einem Gefallenen abgenommen hatte, ging er ihm zu Leibe, als er sich eben vom Boden erheben wollte, und traf seinen Eisenhut so sicher, daß der Bügel desselben zersprang und der gewaltige Mann betäubt zurücktaumelte. Aber seine Kraft war nicht gebrochen. Den Schwertangriff parierte er eine Weile geschickt mit dem langen Dolch und brachte auch seinem immer wütender anstürmenden Gegner einige wohlgezielte Stöße bei, die freilich seinem Ringpanzer nur geringen Schaden taten. Endlich aus mehreren Wunden blutend, schlug er mit der Armschiene das Schwert zur Seite und packte Heinz bei der Kehle, mit ihm zu ringen. Bald drängten die Kämpfer einander Brust an Brust gegen das Schanzkleid des Schiffes hin, jeder bemüht, den anderen mit dem Rücken gegen dasselbe zu zwingen und ins Wasser hinabzustürzen. Dabei kam dem Räuber seine Körperlänge zustatten, indem er den kleineren Gegner von Zeit zu Zeit aufzuheben und eine Sekunde lang schwebend zu halten vermochte. Doch verlor er gleich wieder den Vorteil, sobald der Junker im Rücken einen Halt fand. Endlich gelang es dem letzteren doch, ihn mit einer unvorhergesehenen raschen Schwenkung zu Boden zu schleudern. Sie rollten über das Verdeck hin, bis Heinz gegen den Mast festen Fuß faßte, sich mit dem Aufgebot aller Kräfte aufrang und das Knie auf die Brust des keuchenden Feindes setzte. Ergib dich! schrie er ihm zu, indem er mit beiden Händen seinen Hals faßte.
Zwei von den Raubgesellen, die ihren Hauptmann in ernstlicher Gefahr sahen, eilten nun aber zu seiner Hilfe herbei. Einer derselben holte schon mit dem Schwerte aus, Heinz einen Hieb über den Kopf zu versetzen, der leicht hätte tödlich werden können, als Hans von der Buche zusprang und ihn abfing. Der Angreifer mußte sich nun gegen ihn wenden, und Heinz hatte es nur noch mit einem Gegner zu tun. Den Hauptmann durfte er dabei nicht wieder vom Boden aufkommen lassen. Er schnürte deshalb dessen Hals so fest zusammen, daß er blutrot im Gesicht wurde und das Bewußtsein verlor. Sobald Heinz merkte, daß er für die nächsten Minuten zu jedem Widerstande unfähig war, entriß er ihm den Dolch und nahm den Kampf mit frischer Kraft auf. Es wurde ihm nicht schwer, hier Sieger zu bleiben.
Als die Seeräuber ihren Anführer anscheinend tot auf dem Deck liegen sahen, ergriffen sie, so viele ihrer noch aufrecht standen, die Flucht und suchten nach der Barse zu entkommen. Die dort Zurückgebliebenen hatten längst die Gefahr erkannt und inzwischen alle Anstrengungen gemacht, das Bugspriet der Holke aus den Tauen frei zu ziehen, in dem es sich beim Anprall verwickelt hatte. Nun suchten sie, um rascher loszukommen, den Baum mit Beilen zu kappen.
Kapitän Halewat, der sich mit den Räubern tapfer herumgeschlagen hatte, richtete zunächst sein Augenmerk darauf, zu sichern, was man errungen hatte. Er rief den Schiffsknechten und Putken zu, Stricke aus dem Raum heraufzubringen. Damit wurden dann dem Hauptmann und seinen Gesellen, die entweder verwundet am Boden lagen oder von ihren Siegern an der Flucht gehindert wurden, die Hände auf den Rücken gebunden. Vier von den Räubern waren getötet, zwölf andere wurden auf diese Weise dingfest gemacht, einige hatten in der See ihren Tod gefunden. Ich denke, wir können zufrieden sein, sagte der Alte.
Noch nicht ganz, rief Heinz, der aus einer leichten Stirnwunde blutete. Das Gesindel darf uns nicht entkommen. Nun wollen wir ihnen einen Besuch abstatten. Wer folgt mir?
Laßt's genug sein, meinte der Kapitän, unsere Leute sind erschöpft. Die Barse kommt auch schon frei, und wenn sie erst wieder den Wind in den Segeln hat –
In diesem Augenblick krachte das Bugspriet und fiel ins Wasser hinab. Die Matrosen auf dem Räuberschiff stießen sofort ab und gewannen freie Fahrt. Heinz stampfte vor Ärger mit dem Fuß auf. Der Sieg ist nur halb! rief er. Gibt's denn kein Mittel? Er sah mit blitzenden Augen der Barse nach, die schon hundert Schritte weit abgetrieben war. Plötzlich kam ihm ein Gedanke. Die Lunte her! Er riß sie einem der Schiffsjungen aus der Hand und eilte damit auf das Vorderkastell. Dort richtete er die Blide, die ganz vergessen war, und feuerte sie ab. Das Glück war ihm günstig; die Kugel traf den Vordermast und brach ihn mitten durch. Der obere Teil mit den Stangen und Segeln fiel über Bord und blieb in den Tauen hängen. Das Schiff gehorchte dem Steuer nicht mehr und drehte sich um sich selbst, während die Mannschaft bemüht war, die Taue zu kappen.
Nun gab der Kapitän sein Kommando. Die Bootsleute machten die Segel klar; in wenigen Minuten war man hinter dem Feinde her. Barthel Groß gab den guten Rat, die Enterhaken, die noch im Schanzkleide steckten, herauszuziehen und zu benutzen. Bald steckten die spitzen Eisen im Holz der Barse. Ehe die Räuber sie mit den Beilen fortschlagen konnten, lag schon Schiff an Schiff. Die beiden Ritter sprangen über und trieben das schon mutlose Gesindel vor sich her. Nach kurzer Gegenwehr ergab sich die Mannschaft und ließ sich binden.
So war denn ein glänzender Sieg erfochten, freilich aber auch mancher Verlust zu beklagen. Der Hauptbootsmann, zwei von den Knechten und ein Matrose lagen neben dem Ritter tot auf der Kampfstätte; fast keiner der Lebenden war ohne schwere oder leichtere Wunden davongekommen. Doch war man des schönen Erfolges froh.
Der alte Kapitän entblößte das Haupt und sprach ein kurzes Gebet für die Toten. Dann sonderte man sie – auch im Tode noch Freund und Feind –, legte die Zusammengehörigen nahe beieinander und bedeckte sie mit Segeltüchern. Im Raum der Barse waren einige Fäßchen Bier gefunden; die wurden als gute Beute betrachtet und ausgestochen. Darauf ging's wieder an die Arbeit. Die Putken ließen an Stricken kleine Tönnchen an der Schiffswand hinab, zogen sie mit Wasser gefüllt hinauf und reinigten den Overlop von dem reichlich vergossenen Blute. Die Schiffsknechte sammelten die Waffen, die den Seeräubern abgenommen waren, und brachten sie in Sicherheit. Einige von den Bootsleuten, noch im Harnisch, wurden auf die Barse geschickt, die gefangenen Matrosen dort in Dienst zu nehmen. Der zerschossene Mast wurde an Bord gezogen, das Räuberschiff mit einem langen Tau am hinteren Greifen der Holke festgelegt und von dieser unter vollen Segeln mitgeschleppt. Der Esping, die größte Schaluppe des Kauffahrers, war flottgemacht und ins Wasser hinabgelassen, damit man im Notfalle zwischen den beiden Schiffen leicht eine Verbindung herstellen könnte. So wurde die Fahrt fortgesetzt.
Ich hoffe, unseren Gefangenen sind die Hände so fest auf den Rücken geschnürt, sagte Halewat lachend, indem er seine Wunden wusch, daß sie an das Rebellieren nicht denken. Sonst gäb's wohl noch ein Mittel – ha, ha, ha! Wißt ihr, wie's die Stralsunder einmal machten, als eins ihrer Schiffe einen solchen Fang getan hatte? Freilich noch einen besseren! Denn als sie ihre Gefangenen zählten, waren's über hundert, und sie hatten nicht so viel Ketten, Stöcke und Behältnisse, sie alle zu schließen. Da war guter Rat teuer, denn es stand zu befürchten, daß das Gesindel in der Nacht rebellierte. Zum Glück fiel's ihnen ein, daß sie eine große Zahl leerer Tonnen an Bord hatten, denn sie wollten nach Schonen, die Heringe abzuholen. Was taten sie also? Sie schnitten runde Löcher in die Deckel, spundeten die Räuber ein, so daß nur die Köpfe aus den Löchern herausstaken, und stapelten die Tonnen wieder fein säuberlich im Raume auf. So brachten sie die Beute wohlbehalten nach Stralsund, wo der Henker Arbeit bekam. Ha, ha, ha, so unbequem sollen's diese Burschen nicht haben! – Die Geschichte wurde von dem rohen Schiffsvolke weidlich belacht.
Als man so eine Stunde gefahren war, immer die flache Küste im Auge, merkte der Kapitän, daß sein Schiff ein Leck haben mußte. Es fand sich Wasser im Raume. Die Untersuchung ergab, daß die zweite Kugel hinten durchgeschlagen hatte und die Wellen durch die Öffnung spülten. Es war keine sonderliche Gefahr dabei, aber der Zimmermann wurde doch hinabgeschickt, das Loch mit Tüchern zu verstopfen und ein paar Säcke mit Grütze gefüllt vorzulegen, die von der Schiffskost übrig waren und das nachsickernde Wasser einziehen konnten. Dann wurden die Pumpen in Bewegung gesetzt, damit die geladenen Güter nicht Schaden nähmen.
Nachmittags langte man am Ausfluß des Weichselstromes an. – Auf der Landspitze links war vom Ordensschloß aus kürzlich ein festes Blockhaus zum Schutze der Einfahrt gegen die Seeräuber errichtet. Einer von den Brüdern hatte dort mit mehreren bewaffneten Knechten sein Quartier als Mündemeister. Um das Haus war im Viereck ein Wall aufgeworfen, über den nach der Wasserseite hin die Köpfe zweier Bombarden schauten. Das Schiff mußte hier anlegen, um dem Mündemeister Rede zu stehen, der zugleich den Pfundzoll erhob, die Abgabe von den eingehenden Gütern, um die fortwährend Streit war zwischen dem Orden und den Städten, und die man dann gemeinsam zu erheben und zu teilen übereingekommen war. Es fand sich auch der von der Rechtstadt angestellte Pfahlknecht mit seinen Leuten und der Hafenwärter ein, den sonderlichen Fang zu besichtigen. Sie waren städtische Beamte und hatten das Bollwerk bei der Einfahrt instand zu halten und die Hafenanlagen zu beaufsichtigen. Das Pfahlgeld zur Unterhaltung des Hafens zahlten die Schiffer aber nicht an sie, sondern legten es erst in der Stadt in der Pfahlkammer nieder, die sich im unteren Raume des Rathauses befand. Kapitän Halewat wußte auch ohne ihre Weisung Bescheid.
Dann nach der Zollabfertigung ging's weiter mit gutem Winde den mächtigen Weichselstrom hinauf. Die beiden Freunde standen auf dem Vorderkastell und schauten neugierig nach rechts und links um, was sich ihren Augen in der Nähe der großen Handelsstadt neues bieten möchte. Auf beiden Seiten des Flusses breiteten sich anfangs weite Wiesenflächen aus, auf denen hier und dort Pferde und Vieh weideten. Dann wurden rechter Hand Schneidemühlen und kleine Häuser von Holz am Ufer sichtbar. Herr Barthel Groß trat heran und erklärte ihnen, daß sich die Jungstadt Danzig bis hierher hinausziehe. Der Orden hat sie erst vor dreißig Jahren angelegt, sagte er, und tut, was er kann, ihren Handel in Schwung zu bringen, von dem er selbst Vorteil hat. Er übertrug dem Lange Klaus und dem Peter Sandowin die Besetzung, gab ihnen auch vier Freihöfe und den dritten Teil aller Gerichtsbußen. Es wollte mit der neuen Ansiedlung doch nicht ganz nach Wunsch vorwärts, und noch immer sind viele Stellen unbebaut, obgleich die Herrschaft der Stadt zwei Dörfer geschenkt und ihr geholfen hat, das Rathaus und die Kaufhäuser zu bauen. Uns Rechtstädtern ist die Jungstadt kein gefährlicher Nachbar. Sie wird sich niemals ganz frei machen vom Orden, ob sie schon wie wir kulmisch Recht und selbständiges Gericht, auch volle Marktgerechtigkeit hat. Überall reden ihr die Herren in die Verwaltung drein, und jeder Hausbesitzer muß für sich seinen Zins aufs Schloß tragen, während wir aufs Stadthaus zinsen und den Orden durch unseren Kämmerer in runder Summe befriedigen. Das ist ein gar merklicher Unterschied, ob er euch gleich kaum des Redens wert scheinen mag. Denn ein anderes ist's, ob der Bürger sich der Stadt verpflichtet fühlt und nur durch den Rat dem Orden, oder ob die Herrschaft die Hand auf jedes einzelnen Säckel legt.
Die Häuser traten nun dichter zusammen, freilich von Zeit zu Zeit noch immer durch Holzgärten und Weideplätze getrennt. An den zu zwei und drei eingerammten Pfählen lagen Schiffe und dicht am Ufer Holzflöße. Es war da viel reges Leben bemerkbar. Hier beginnt die Straße auf dem Bollwerk, erklärte der Ratsherr, indem er sich hinter die Junker stellte und die Hand mit dem großen Siegelringe zwischen ihren Schultern vorstreckte. Dort weiter hinein ragt das Rathaus über die Häuser des Ringes hinaus. Ein ganz stattlicher Bau, wie auch das Kaufhaus dort. Aber es gehört ihnen doch nur die Hälfte davon, und sie müssen jährlich alle Einnahmen aus den Kaufstellen mit dem Orden teilen, weil er die Hälfte der Kosten getragen hat. Pah! Wer fremden Beistand anruft, muß auch fremden Rat annehmen. Ich lobe mir's, auf eigenen Füßen zu stehen.
Ist die Stadt ganz offen? fragte Hans von der Buche, der sonst überall im Lande auch den kleinsten Ort befestigt kannte.
Barthel Groß stieß den Atem durch die Nase. Die Jungstädter haben die Mauern so gut in ihrem Verschreibungsbrief als wir, antwortete er, aber sie warten, bis der Orden ihnen die Steine anfahren lassen wird. Er wird ihnen dann aber auch die Torwächter stellen – ha, ha, ha!
Nun wurde der mächtige Backsteinbau des Ordensschlosses sichtbar, ein Viereck von Gebäuden, durch Ecktürme überragt und von Mauern mit Zinnen ringsum eingeschlossen. Das Schloß war gerade an der Stelle angelegt, wo rechter Hand die Mottlau in die Weichsel einmündete; es zog sich mit seinen starken Vorwerken bis an die beiden Flüsse heran. Die dritte Seite vorbei floß der Mühlgraben, der damals oberhalb der Mottlau ebenfalls in die Weichsel seinen Abfluß hatte, und ein Teil des Wassers war in den Burggraben geleitet. Nur von wenigen kleinen Fenstern waren die gewaltigen Außenmauern des Burgbaues durchbrochen, der dadurch ein recht düsteres Aussehen gewann.
Die »Maria von Danzig« steuerte in die Mottlau ein und zog die Barse nach sich. Bald glitt sie über eine schwere eiserne Kette hin, die am jenseitigen Ufer angepfählt war und sich rechts über eine große Rolle in die Mauer hineinzog; sie hing schlaff und zu zwei Dritteln unter dem Wasserspiegel.
Was bedeutet das? erkundete Junker Heinz.
Das Gesicht des Ratsherrn verfinsterte sich. Wir können's vorläufig nicht hindern, sagte er, daß die Herren hier eine Kette durch den Fluß legen und sie aufziehen, wann sie wollen. Sie haben hier die Macht, also auch das Recht. Es hat einen gar glimpflichen Namen: der Fluß soll gesperrt werden können im Notfall gegen feindliche Schiffe, etwa gegen die Seeräuber oder gegen die dänischen Orlogs, die der Stadt einen unliebsamen Besuch machen möchten. Nun ja, eine Art von Schutz ist's schon, aber gebeten haben wir nicht darum. Und ich denke, im stillen ist auch noch eine andere Absicht dabei: die Kette kann auf einmal uns Rechtstädtern zum Schimpf aufgezogen werden, unsere Schiffe nicht hinauszulassen. Das Ding ist uns sehr beschwerlich.
Steht ihr so schlecht mit der Herrschaft? fragte Hans. Das war früher nicht so.
Nicht schlecht und nicht gut, antwortete Groß, das Kinn aufwerfend. Wir wachsen zu kräftig, das macht dem Orden Sorge. Er möchte gern wie eine Henne alle seine Küchlein unter den Flügeln haben, und es sind darunter doch einige, die schon gern auf eigene Faust ihr Futter suchen. Thorn, Elbing, Danzig – die kleineren nicht zu nennen –, wir gehören zur Hansa und tagen mit zu Lübeck, innerhalb Landes aber untereinander zu Marienburg, und was unsern Handel angeht, darüber leiden wir nicht gern Einsprache. Das gefällt dem Orden immer wenig, ob er's gleich anfangs ohne Widerspruch gelitten hat. Er möchte auch alljährlich gern dreinreden bei der Ratswahl, um stets seine Freunde im Stadtregiment zu wissen, und seine Freunde sind nicht immer der Stadt gute Männer. So gibt's denn allerhand kleine Häkeleien mit dem Komtur – es wäre zu weitläufig, das des näheren zu erklären. An das Schloß lehnte sich die Vorburg mit großen Speichern nach der Wasserseite. Sie fuhren dicht daran vorüber. Da speichert der Orden sein Korn, fuhr der Ratsherr fort, und er hat noch mehr Magazine weiter am Fluß hinauf. Seht ihr, das ist auch so ein Punkt, über den wir schwerlich jemals einig werden. Der Orden hat überall im Lande großen Besitz und kann das Korn, das er baut und das ihm von den Bauern gezinst wird, nicht verzehren; daß er's verkauft, ist ganz in der Ordnung; aber daß er nun selbst damit Handel ins Ausland treibt und sich allerhand Privilegien beimißt, die den Kaufmann in der Stadt drücken (er blickte nach den beiden Rittern um, die am Mast standen und den Mauerwächtern zuwinkten), das macht viel böses Blut. Es sollte alles durch die Hand des Kaufmanns gehen.
Rechts folgte nun eine Strecke sumpfiges Ufer. In einiger Entfernung landeinwärts dicht unter dem Schloß lag ein Häuflein kleiner und niedriger Häuser um ein größeres herum, das sie mit dem Dach überragte. Das ist das Hakelwerk, erklärte Groß, da wohnen die Fluß- und Seefischer zusammen in einer besonderen Gemeinde. Das Haus in der Mitte ist der Krug und Kramladen. Die Schiffskinder haben durstige Kehlen. Dort aber, an den letzten Häusern, geht's durchs Haustor in die Rechtstadt. Gottlob, ich bin zu Hause!
Die Mauern der Stadt, von Strecke zu Strecke mit vortretenden Türmen bewehrt, zogen sich gegenüber der Insel links bis an das Flußufer heran und dann demselben entlang, von vielen niedrigen Toren durchbrochen. Dach an Dach ragte über dieselben hervor, so weit das Auge blicken konnte, und über alle erhob sich die breite Masse der Marienkirche und der schlank aufstrebende Turm des Rathauses, hinter dem eben die Sonne unterging. Hunderte von metallenen Kreuzen, Kugeln und Fähnchen blitzten und leuchteten auf den hohen Giebeln der Häuser und Türme. Ein prächtiger Anblick!
Schon vom Schlosse ab hatte eine Schar von größeren und kleineren Booten die Schiffe begleitet. Es mußte auffallen, daß die »Maria von Danzig« eine Barse im Schlepptau hatte, der ein Mast heruntergebrochen war. Es wurde hinaufgefragt und von den Schiffsleuten Antwort gegeben. Bald lief das Gerede von Boot zu Boot, daß ein Räuberschiff nach heftigem Kampfe genommen sei, daß es Tote und Gefangene an Bord gebe. Die Nachricht wurde blitzschnell ans Ufer weiterverbreitet. Links an der Speicherinsel lag Schiff an Schiff, Getreide einzunehmen. Die Sackträger hatten eben Feierabend gemacht und standen nun mit den Matrosen auf den Bohlensteigen oder auf den Hinterdecken, das Schauspiel zu betrachten. Dann flatterte eine Flagge zum Top des Mastes hinauf. Das war unverabredet das Zeichen für alle übrigen Schiffe, ihre Flaggentücher zu Ehren der »Maria« zu entfalten. Kapitän Halewat hatte die Blide noch einmal laden lassen und gab nun einen kräftigen Freudenschuß. Gleich darauf legte das Schiff dicht beim Koggentor an.
Vom Fischmarkt an war ihm schon eine sich immer vermehrende Menschenmenge am Bollwerk entlang gefolgt. Nun, durch den Schutz erschreckt und gleichsam herangerufen, strömte sie auch von der Breiten Gasse her durchs Wassertor und aus der Brauergasse durchs Ankerschmiedetor und vom Langen Markt durchs Koggentor und durch alle die anderen kleinen Tore an den Fluß hinaus, so daß bald der Raum unter der Mauer dicht gefüllt war. Ein Seeräuberschiff genommen! lief die Kunde von Mund zu Mund. Wer ist der Kapitän – wem gehört das Schiff – gibt's Tote – wie viele Räuber sind gefangen? fragte einer den andern. Und dann, von Zeit zu Zeit: Hurra – hurra – hurra!
Kapitän Halewat hatte indessen auf Ansuchen der Ritter einen Bootsmann mit ihrem Knecht auf der Jolle nach dem Schloß zurückgeschickt, um am Wassertor desselben ihre Ankunft zu melden und zugleich anzuzeigen, was ihnen begegnet war. Sie ließen den Komtur, Johann von Schönfels, bitten, sie nach dem Schloß einzuholen und zugleich für die Fortschaffung der Leiche des gefallenen Bruders zu sorgen. Von den Schiffsleuten ließ der Alte vorläufig niemand an Land; sie plauderten aber über den Bord hin mit den Neugierigen, rühmten ihre Taten und zeigten ihre Wunden. Nur die Nächsten konnten bei dem allgemeinen Lärm etwas verstehen.
Nun zeigte sich unter dem Koggentor eine rückstauende Bewegung. Die Menge wich rechts und links zur Seite aus und ließ mit ehrerbietiger Rücksicht einige Personen bis ans Schiff durch. Die Herren vom Rat – lief das Gemurmel um –, die Herren Bürgermeister – Platz, Platz da für die Herren Bürgermeister!
Voran schritt ein langer, hagerer Mann mit grauem, kurzgestutztem Bart, in braunem Mantel mit Pelzverbrämung und schlichter Samtkappe. Er führte am Arm eine junge Frau, gleich ihm hochgewachsen und schlank. Es war der Bürgermeister Konrad Letzkau und seine Tochter Anna, des Ratsherrn Bartholomäus Groß Ehefrau. Ihm zur Seite ging Arnold Hecht, zweiter Bürgermeister, ein kleiner, untersetzter Mann. Ihnen folgten auf dem Fuße einige vom Rat, darunter Tidemann Huxer, Johann Krukemann, Peter Vorrat und Johann vom Stein. Auch die Schöppen Gerd von der Beke, Wilm von Ummen und Albert Dodorp hatten sich angeschlossen. Die Bürgerwache geleitete sie und hielt den Platz rund um sie her frei.
Nun erst wurde ein Brett vom Schiff aufs Bollwerk hinabgelassen. Barthel Groß betrat dasselbe und schritt hochaufgerichtet – nicht zu rasch, seiner Amtswürde vor der Menge nicht zu schaden – auf seine Frau zu und umarmte sie. Habe ich dich wieder? sagte sie leise, sich an seine Brust schmiegend. Bist du mir gesund und heil? Ach, du blutest im Gesicht –
Ein paar Schrammen, die bald unter deiner Pflege vernarben werden, tröstete er. Wie steht's zu Hause? Sind unsere kleinen Fräulein wohlauf?
Sie bejahte es und trocknete mit ihrem Tuch die Blutstropfen von seinem Kinn. Er reichte nun seinem Schwiegervater die Hand zum Gruß, dann dessen Kumpan Arnold Hecht und dann den Herren vom Rat und von der Schöppenbank der Reihe nach. Sie schlossen um ihn einen Kreis, und er berichtete kurz, was geschehen war und welchen Fang sie gemacht hätten, unterließ auch nicht, die Namen der edlen Schiffsgäste zu nennen, deren hochherziger Tapferkeit man den Sieg verdankte.
Konrad Letzkau stieg nun aufs Schiff und schüttelte dem braven Kapitän Halewat die Hand, der ihn barhaupt an der Spitze seiner Leute empfing. Er sagte ihm einige freundliche Worte, die dem alten Manne wohl zu gefallen schienen, und wandte sich dann an die Ritter. Euch, hochwürdige Herren, sprach er sie an, kann ich heute nur für meine Person und im Namen derer vom Rat, die sich zufällig zusammenfanden, für eure treue Hilfe danken. Morgen sollt ihr von unserm Rathause aus besseren Dank erfahren. Ich höre, daß einer eurer Brüder im Kampf gefallen ist – uns allen ein schmerzlicher Verlust. Habt ihr doch aber euer Leben Gott gelobt zu guten Werken und mannhafter Tat; hoffen wir also, daß er's am Jüngsten Tage diesem edlen Ritter zu seinen Gunsten anrechnen wird, zum Schutz der Bürger sein Blut willig vergossen zu haben. Ich bitt euch, gebt mir eure Hand.
Nun begrüßte er die beiden Junker, nicht so feierlich, aber mit herzlichen Worten. Euren Vater, Herrn Arnd von der Buche, den wackeren Eidechsenritter, kenne ich gar wohl, sagte er zu Hans, und sein Sohn wäre auch ohnedies meinem Hause allezeit willkommen gewesen. Aber es freut mich, daß ihr euch so noch ein besonderes Recht auf unsere Liebe erworben habt. Und Ihr, Junker, wandte er sich zu Heinz, habt an diesem frohen Siege nicht den kleinsten Teil, wie ich vernehme. Das soll Euch unvergessen sein, solange ich lebe. Ich hoffe, wir werden uns in nächster Zeit noch besser kennenlernen. Folgt mir jetzt in eure Quartiere.
Darauf sprach er mit lauterer Stimme, daß es auf dem ganzen Schiff und auch unten auf dem Bollwerk hörbar war: Die Schiffskinder, die in diesem ehrenhaften Kampf ihr Leben gelassen haben, sollen auf Stadtkosten feierlich zur Erde bestattet werden. Die Leiber der gefallenen Räuber sind dem Nachrichter zu übergeben, daß er sie an der Richtstätte in die Grube werfe. Die Gefangenen werden wir morgen dem Rat vorführen lassen zum ersten Verhör; für diese Nacht sind sie in Ketten zu legen und im Turme aufzubewahren. Sie sind niedergeworfen auf einem Danziger Schiff, das ist also auf Danziger Grund und Boden: die Stadt Danzig hat deshalb das Gericht über sie, und sie sollen ihrer Strafe nicht entgehen.
Damit verließ er das Schiff, während die Menge in ein jubelndes Hoch ausbrach, in das drüben die Schiffsleute und Speicherarbeiter einstimmten.
Die beiden Freunde folgten, nachdem sie sich vom Kapitän verabschiedet hatten. Barthel Groß, Frau Anna am Arm führend, trat sogleich auf sie zu und sagte: Ihr dürft mir's nicht abschlagen, werte Herren, meine Gäste zu sein, solange es euch gefällt, in unserer Stadt zu verweilen. Meine Hausfrau will's nicht leiden, daß ihr fremde Herberge nehmt.
Das bestätigte Frau Anna und fügte auch ihrerseits noch eine freundliche Bitte hinzu. Hans von der Buche ließ sich gern bereden, Heinz aber bat höflich, ihn zu entschuldigen. Er sei von seinem edlen Herrn, dem Vogt zu Plauen, an die Brüder vom Deutschen Orden gewiesen und müsse sich zu ihren Schlössern halten. Morgen in der Frühe aber gedenke er nach der Stadt zu kommen und werde an seines Freundes Herberge nicht vorübergehen. Das mußte man wohl gelten lassen.
Es war inzwischen ganz dunkel geworden. Eben, als man aufbrechen wollte, bewegte sich durch das Koggentor ein feierlicher Zug heran. Sechs Knechte vom Ordenshause trugen eine schwarze Bahre; sechs andere, Fackeln tragend, folgten nach, voran aber schritt der Hauskomtur mit vier Priesterbrüdern in langen, weißen Gewändern. Zu ihnen gesellten sich die beiden Ritter, die Leiche des dritten wurde vom Schiff herabgetragen, auf die Bahre gelegt und mit einem weißen, schwarz bekreuzten Mantel zugedeckt. Der Hauskomtur nahm Schwert und Helm in Empfang. Dann leuchteten die Fackelträger voran in die Stadt hinein. Heinz wechselte einige Worte mit dem Hauskomtur und schloß sich auf sein Geheiß dem Zuge an.
Unter dem Läuten eines Glöckchens, das einer der Priesterbrüder trug, bewegte er sich in langsamem Schritt über den Langen Markt, am Rathause und dann, rechts in enge Gäßchen einbiegend, an der Marienkirche vorbei, dem Damme zu, der geradeaus nach dem Haustor führte. Dieser war durch das Sumpfland geschüttet worden, um eine Verbindung mit dem Schlosse zu haben, jetzt aber längst auf beiden Seiten mit stattlichen Häusern besetzt, aus deren kleinen Fensteröffnungen nun überall Neugierige hinausschauten. Das Haustor in der Stadtmauer wurde vom Wächter geöffnet und gleich wieder geschlossen. Über den Graben hin gelangte man in die zur Altstadt Danzig gehörige Burgstraße, passierte eine Palisadenbefestigung, die sich weiterhin der Mauer der Rechtstadt anschloß, durchschritt das Hakelwerk mit seinen niedrigen Fischerhäuschen und machte vor dem Haupttor der Burg halt. Hier kamen über die Brücke die Konventsbrüder, den Komtur Johann von Schönfels an der Spitze, ihnen entgegen und geleiteten die Leiche über den von Fackeln erhellten, viereckigen Burghof nach der Kapelle. Dort wurde die Leiche, während die Glocken läuteten, am Altar niedergesetzt. Die Priesterbrüder stimmten einen getragenen Gesang an, und jeder sprach kniend ein Gebet.
Der Hauskomtur übergab Heinz einem von den älteren Brüdern. Derselbe führte ihn in eine Schlafzelle hinauf, in der zwei Betten standen, und sagte ihm, daß er für die Nacht sein Gast sei. Er wolle sich beim Kellermeister auch noch um eine Kanne Wein bemühen, aber der Junker versicherte, nur der Ruhe bedürftig zu sein. Seine zum Glück nur leichten Wunden kühlte er selbst mit Wasser. Dann warf er sich auf den Strohsack in der Bettstelle, deckte sich mit dem wollenen Mantel zu, der darübergebreitet war, und schlief bald fest ein.
Er wachte erst auf, als die Sonne schon über die hohen Dächer schien. Auf dem Tische in der Fensternische stand für ihn ein Krug Bier und eine zinnerne Schüssel mit Brot, Butter, Käse und Rauchfleisch. Er ließ sich's gut schmecken.
Bald kam auch sein Wirt, der zur Tertie um neun Uhr in der Kirche gewesen war, wie es die Ordensregel vorschrieb. Es geht nicht allzu streng bei uns zu, versicherte er, sich bei dem Mahl beteiligend. Wir wechseln in den Gezeiten ab, und ein alter Mann wie ich mag die Prime um sechs Uhr früh allenfalls verschlafen. Man hat mir auch, wie Ihr sehet, ein weiches Federbett über dem Strohsack gestattet, und mittags, wenn Ihr bei uns zu Gast bleiben wollt, werdet Ihr an der Firmarietafel manchen sitzen finden, der nicht gerade krank ist. Der Komtur hält selbst nicht viel von klösterlicher Zucht und läßt seinem Leibe nichts abgehen. Da darf er's dann auch nicht zu genau nehmen, wenn die Brüder ein wenig von der Regel abweichen. Das Leben hier im Hause ist doch schon kümmerlich genug, und mit den Jahren trägt sich die Last des Gelübdes immer schwerer. Dafür freilich sind wir die Herren im Lande, ob der einzelne schon kein Eigengut haben soll. Auch das ist allerdings nicht gerade wörtlich zu nehmen, setzte er lächelnd hinzu. Er öffnete einen kleinen Wandschrank und zeigte einige silberne Becher und sonstiges Silberzeug vor. Das habe ich zum Geschenk erhalten, als ich Pfleger in Lauenburg war, und im Marstall steht mein eigen Pferd, das ich von dort mitgebracht habe. Der Futtermeister gibt ihm den Hafer wie den anderen.
Da der alte Herr so redselig war, durfte Heinz sich wohl erlauben, ihn ein wenig über seine jetzige Umgebung auszufragen.
Wir haben hier im Hause zu Danzig drei Konvente, teilte der Alte mit, jeden zu acht Ritter- und vier Priesterbrüdern. Vollzählig sind sie selten, und zur Zeit hat der Herr Hochmeister einen Teil nach der Marienburg einberufen, bei den Kriegsrüstungen zu helfen. Auch sonst wohnen nicht alle im Hause selbst: der eine ist Pfleger zu Lauenburg, der andere Pfleger zu Mirchau; ein Waldmeister hat sein Quartier zu Zulmin, von wo wir auch unsern Honig beziehen, und ein Fischmeister zu Putzig, der sorgt dafür, daß wir in den Fasten wenigstens stets frische Fische zur Kost haben. Viel Vieh, und Ackerwirtschaft gibt's bei diesem Hause auf den Vorwerken nicht zu beaufsichtigen, wenn ich den Hof zu Zippelow ausnehme, der vor einigen Jahren an die Stelle des alten Danziger Viehhofs getreten ist. Doch mögen wohl außer den Konventspferden vierzig oder fünfzig Hauspferde auf den schönen Wiesen an der Weichsel ihre reichliche Nahrung finden. Wichtig ist des Mündemeisters Amt, und wer von den Brüdern sonst zur Aufsicht über Schiffahrt und Handel gesetzt ist, mag sich über zuwenig Arbeit nicht zu beschweren haben. Denn die Danziger – ich meine die von der Rechtstadt – haben krause Köpfe, und es geschieht ihnen selten etwas zu Dank. Am liebsten möchten sie wohl selbst die Herren sein.
Heinz bat, ihn zu rechter Zeit zum Komtur zu führen, damit er ihm nach Gebühr aufwarte. Es sei gerade die günstige Stunde, meinte der Alte, da man bald zum gemeinsamen Essen nach dem Konventsremter gehe. Er führte ihn sogleich die nach dem Burghofe hin offene Galerie entlang bis zu des Komturs Gemach. Der Hauskomtur übernahm es dort, ihn zu melden. Er fand Johann von Schönfels in einem Zimmer, dessen Wände mit bunten Teppichen behängt waren, die ihm ein recht wohnliches Ansehen gaben. Er saß in einem Lehnstuhl mit hoher, zierlich geschnitzter Lehne von braunem Eichenholz, über die ein leichtes Lederkissen für den Rücken befestigt war. Er trug einen Schlafrock von weicher Wolle und warme Halbstiefel an den Füßen, die auf einer kleinen Bank bequem ruhten. Die Finger der schmalen Hand waren mit Ringen besteckt, und er ließ sie langsam durch den schön gelockten Bart gleiten, während er mit dem Ellenbogen das Buch zurückschob, in dem er eben gelesen hatte, und dem Gaste vornehm zuwinkte. Es war nicht das Bild, das Heinz sich in der Ferne von einem Deutschordensritter im Preußenlande gemacht hatte.
Der Komtur erkundigte sich freundlich nach dem edlen Vogt von Plauen, einem entfernten Verwandten, lobte ihn wegen seiner tapferen und erfolgreichen Beteiligung beim Kampfe gegen die Seeräuber, fragte nach einzelnen Umständen desselben und ließ sich namentlich genau beschreiben, wie der Ordensbruder den Tod gefunden hatte. Dieses Blut will gesühnt sein, wandte er sich in demselben, etwas schläfrigen Tone, mit dem er seine Fragen gestellt hatte, an den Hauskomtur, der hinter seinem Stuhle stehengeblieben war. Ich hoffe, der Danziger Rat wird nicht vergessen, daß der Kampf ein gemeinsamer gewesen ist, und daß bei dem Gericht über die Besiegten auch wir mitzusitzen haben. Sie maßen sich in letzter Zeit auch da gern sonderliche Rechte an.
Dann entließ er den Junker mit der gnädigen Versicherung, daß es ihm lieb sein werde, wenn er sich im Hause recht lange von der weiten Reise erhole. Übrigens wolle er ihn, wenn er sich in der Stadt zu vergnügen gedenke, an die Mahlzeiten nicht binden, auch dem Torwächter Weisung geben, daß er ihn nach Sonnenuntergang einlasse. Nur bleibt mir nicht über das Nachtamt hinaus fort, schloß er, indem er lächelnd mit dem Finger drohte, damit wir nicht in üblen Ruf kommen.
An der Tür draußen empfing ihn wieder der alte Ritter, dem es augenscheinlich lieb war, sich in der Gesellschaft des jungen Menschen seiner eintönigen Beschäftigungsweise für ein paar Stunden entziehen zu können. Er führte ihn in den Kapitelsaal neben der Kirche, in das Speisezimmer, in die Rüstkammer, stellte ihn den zufällig begegnenden Brüdern vor, begleitete ihn dann in den Burghof hinab, durch das Tor nach der Vorburg, einem weiten, von Mauern eingefaßten Raume, der die Wirtschaftsgebäude, Ställe und Werkstätten des Ordenshauses in sich aufnahm. Der Marstall mit seinen kräftigen Pferden wurde besichtigt, der Schnitzmeister besucht, der eben mit Anfertigung von Armbrüsten beschäftigt war, die nach der Marienburg abgehen sollten. Eben war ein Boot mit Seefischen, Dorschen und Flundern, angelangt, die der Fischmeister von Putzig zu des Tisches Notdurft vom jüngsten Fange schickte. Sie wurden in Körben vom Flusse nach dem Hofe getragen und dort verteilt; die besten Stücke wählten die Köche für die Rittertafel aus, ein Teil wurde zum Dörren und Räuchern bestimmt. Am großen Speicher hielten mehrere Wagen, jeder mit vier Arbeitspferden bespannt. An der Winde wurden Säcke mit Getreide herabgelassen. Sie fahren zur Mühle, sagte der Führer, und bringen Mehl zurück. Schon seit Wochen ist man geschäftig, große Vorräte anzusammeln und die Weichsel hinaufzubefördern. Der Herr Hochmeister braucht viel zum Unterhalt der Söldner, die zum Kriege gegen Polen geworben sind, dazu müssen alle Häuser steuern. Wenn es Euch Vergnügen macht, zeige ich Euch die großen Mühlenwerke. Wartet eine Weile, ich hole mir den Dispens, den Schloßgraben überschreiten zu dürfen.
Der Alte kam bald wieder und führte seinen jungen Freund durch eine schmale Pforte nach dem Mühlgraben hinaus und auf dem Damm desselben entlang der Stadt zu.
Rechts traten die Häuserreihen der offenen Jungstadt ziemlich nahe heran, boten aber nichts Sehenswertes. Auf einer Insel im Mühlgraben – der Alte nannte sie »das Schild« – trockneten die Fischer vom Hakelwerk ihre Netze an hohen Stangen. Sie schritten auf das St-Brigitten-Kloster zu, das mit seinen verschiedenen Baulichkeiten einen breiten Raum einnahm. »Marienborn« nannte es der Alte und erzählte, daß es aus einem Reuerinnenhospital entstanden sei und daß ihm vor wenigen Jahren erst auch ein Bruderkloster angeschlossen wurde. Es sind noch nicht zwanzig Jahre, sagte er, daß die Stifterin des Ordens kanonisiert wurde. Seitdem ist der Brigittenorden sehr beliebt geworden, und von Watstena, dem Mutterkloster, aus sorgt man für immer neue Gründungen. Es ist einmal etwas Neues, daß Mönche und Nonnen zusammenhausen. Geht's dabei ehrbar zu, so ist's Gott um so wohlgefälliger. Viel Freude hat schwerlich der Herr Hochmeister an diesen kirchlichen Pflanzstätten, die der Weisung fremder Oberen folgen. Wir Deutschordensritter sind selbst halb geistlich und mögen uns gern ohne Rom behelfen, soviel es immer geht. Zuviel Besitz in der Toten Hand tut auch dem Lande nicht gut, und an Kirchen, in denen die Gläubigen beten können, fehlt's ja nicht. Seht dort, fast nur über die Straße hin, St. Katharinen, die Pfarrkirche der Altstadt, ein schöner alter Bau, vielleicht noch aus der Zeit, als die pommerellischen Herzöge hier regierten. Dahinter auf der Insel steht unsere Mühle.
Das Klappern der Räder verriet sie schon in einiger Entfernung. Ein so großes Werk hatte der Junker noch nicht gesehen. Viele Menschen waren dabei beschäftigt, und der Mühlenmeister hielt auf gute Ordnung. Auch sonst gab es in den engen Gassen rundumher, die auf den Mühlengraben ausliefen, viel reges gewerbliches Leben. Gerber, Tuchscherer und Färber wohnten dort, das Wasser zu nützen; auch war hier und dort ein Treibrad angebracht, das dem Inhaber die Kraft eines Pferdes ersetzen mochte. An Reinlichkeit und an frischer Luft ließ aber dieser Stadtteil viel zu wünschen; Heinz, der an Wald und Feld gewöhnt war, fühlte sich recht beklommen darin. Wie kann man nur hier tagaus, tagein leben? fragte er. Erst weiter hinauf trafen sie auf die breitere Pfefferstraße, die zum Heiligenleichnamshospital führte. Sie bogen aber links ab in die Schmiedestraße und näherten sich so dem Graben und der Mauer der Rechtstadt. Am Breiten Tor verabschiedete sich der Ritter. Er möge nur den Mauergang entlang gehen, riet er, am Glockentor vorbei bis zum Langgassentor, von dort sei leicht der Lange Markt zu finden, und dann werde jedes Kind ihm das Haus des Ratsherrn Bartholomäus Groß zeigen können.
Ein Blick seitwärts, bevor er ins Tor eintrat, überzeugte Heinz, daß die Stadt an dieser Stelle eine doppelte Befestigung hatte. Die Danziger haben sich gut vorgesehen, dachte er bei sich.
Die geräumige und mit Sprengsteinen gut gepflasterte Langgasse zeigte auf beiden Seiten ohne Unterbrechung eine Reihe von hochgiebeligen Bürgerhäusern, die meisten bis oben hin von Ziegelsteinen aufgeführt, manche darunter nicht ohne zierlichen Schmuck von schwarz, grün oder blau glasierten Gesimsen und leistenartigen Verzierungen der roten Mauer, mit Erkern und kleinen Türmchen versehen. Eine Türeinfassung von grauem Sandstein mit mancherlei wunderlichen Figuren und Zeichen fehlte den stattlicheren nicht. Fast jedes Haus hatte neben der Tür nach der Straße hinaus einen Windfang, einen Vorbau nämlich, in dem sich der Handwerkerladen oder die kaufmännische Schreibstube befand. Die Fensteröffnungen waren überall sehr klein, nur im ersten Stock etwas geräumiger, nach dem Giebel hin bloße Luftluken für die Vorratsböden. Selbst jetzt, wo die Sonne am blauen Himmel schien und die Straße hell beleuchtete, machten die massiven Mauern keinen freundlichen Eindruck. Der Blick stieg gern an dem schlanken Rathausturm hinauf, der über das Gewirr der Straßen und Gassen und über alle höchsten Spitzdächer hinweg hoch in die freie Luft aufstieg.