Henry und die Sache mit dem Bären - Angelika Glitz - E-Book

Henry und die Sache mit dem Bären E-Book

Angelika Glitz

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Beschreibung

Bären wachsen nicht auf Bäumen … Der neunjährige Henry ist mit seinen Eltern aufs Land gezogen. Hier soll die Luft besser sein, aber das ist Henry egal. Er vermisst seine Freunde und seine Fußballmannschaft. Fußball spielen die hier auch, aber die Mannschaft, die ihm am besten gefällt, will ihn nicht aufnehmen. Irgendwie glaubt Henry, dass alles viel einfacher wäre, wenn er ein Haustier hätte. Und so erfindet er kurzerhand einen Bären. Als alle Ausreden nicht mehr helfen und die Kinder aus seiner Klasse schon vor der Haustür stehen, um endlich den Bären zu sehen, staunt auch Henry nicht schlecht, als in seinem Garten auf einmal ein Bär herumtapst … Ein hinreißendes Buch über einen kleinen Fußballfan, der einen neuen Freund findet.

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Seitenzahl: 57

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Angelika Glitz

Henry und die Sache mit dem Bären

Mit Bildern von Annette Swoboda

FISCHER E-Books

Inhalt

WidmungVon Kuhfladen und Helden(K)ein HaustierWie versteckt man einen Bären, den es nicht gibt?Ein müffelnder BeweisDie Sache wird anstrengendIch werde von Fragen gelöchertLieber ein echter Hund als ein erfundener BärMein Handel mit dem lieben GottIch habe einen super PlanIch kriege Herzrasen beim ApfelkaufBären-Zirkus?Das Spiel ist verlorenGibt es eigentlich Wunder?Ich bin umzingeltMein Bär»Kuhfladen-Helden«

Für Julius, wie immer für immer

Von Kuhfladen und Helden

Ich ging seit sechs Wochen in die dritte Klasse meiner neuen Schule. Sie lag neben einer Weide und war eine Dorfschule mit roten Klinkern und bunt bemalten Fenstern, durch die ab und zu eine Kuh hereinglotzte.

»Eine Schule wie aus dem Bilderbuch«, schwärmte Mama immer. Und ich nickte. Denn auch mir gefiel meine neue Schule eigentlich ganz prima. Auf jeden Fall besser als meine alte in Frankfurt, die ein großer, grauer Klotz gewesen ist. Nur dass ich seit unserem Umzug nicht mehr Fußball gespielt hatte, gefiel mir nicht. Das war eine Katastrophe. Beinahe nicht zu ertragen, wenn man Füße hat, die automatisch gegen alles kicken, was auf dem Boden liegt und rund ist.

Dies war auch der Grund, warum ich eines Morgens meine neue Klassenlehrerin Frau Semmelbach vor dem Lehrerzimmer abfing.

»Ich finde, dass Sie eine sehr nette Lehrerin sind, Frau Semmelbach«, sagte ich.

»Danke«, antwortete sie, »und ich finde, dass du ein sehr netter Junge bist, Henry.«

»Danke«, sagte ich. »Sie haben doch an meinem ersten Schultag zu mir gesagt, dass ich mit all meinen Wünschen zu Ihnen kommen darf.«

»Selbstverständlich«, sagte Frau Semmelbach. »Hast du denn einen Wunsch?«

»Ja«, antwortete ich. »Ich wünsche mir, dass ich in die Fußballmannschaft der Heroes aufgenommen werde und einen Ball nach dem anderen ins Netz knalle.«

Frau Semmelbach lächelte mich an und strich mir mit ihrer Hand über meine Haare. Ich kenne mich nicht so gut aus in der Welt der Erwachsenen. Aber dass Haaretätscheln nicht auf große Hilfe hoffen lässt, hatte ich bereits herausgefunden. Tatsächlich, da flüsterte Frau Semmelbach auch schon in mein Ohr, damit nur wir beide es hören konnten: »Erzähl es bitte nicht weiter, Henry, ich habe leider überhaupt keine Ahnung von Fußball.«

 

In unserer Klasse gab es zwei Fußballmannschaften – falls man sie überhaupt so nennen kann. Den einen gab ich den Namen: »Die Kuhfladen«, da wollte ich nicht mitspielen. Die anderen hießen »Die Heroes«, und für die war ich anscheinend unsichtbar.

 

Hubbi, Winni, David, Anna-Lena und Luisa-Sophia nannte ich deshalb »Die Kuhfladen«, weil sie auf der Weide von Bauer Wolter herumbolzten. Und die ist todsicher voller Kuhkacke, wohin man nur tritt. Ihr Oberkuhfladen hieß Hubbi. Er schaffte es nicht mal, seine Schuhe zuzubinden, ohne dass sie wieder aufgingen. Andauernd flog einer seiner Latschen dem Ball hinterher, und seine Mannschaft musste in Deckung gehen, damit sie keinen Schuh an den Kopf kriegte. Außerdem hatte sich Hubbi an Fasching als Bär verkleidet. Auf dem Klassenfoto vor der Schultafel hockte er mit einem Bärenkopf auf den Schultern zwischen Rittern und Supermännern. Man konnte ihn nur an seinen offenen Schnürsenkeln erkennen. Ich war mir nicht sicher, ob ich das peinlich oder mutig finden sollte.

In einer ganz anderen Liga spielten die Heroes. Das waren Wolf, Arthur, Laslow, Vincent und Hero, ihr Mannschaftskapitän. Sein richtiger Name ist Hieronimus. Aber Hero klingt toller, denn Hero ist Englisch und bedeutet Held. Ich fand, dass das sehr gut zu ihm passte. Stundenlang konnte ich zusehen, wie er mit dem Ball an den Füßen über den Platz fegte. Immer wieder jubelte ich, wenn er in der letzten Minute das entscheidende Tor schoss. Und jeden Abend träumte ich davon, dass er mich fragte, ob ich ein Hero-Spieler werden wollte. Am Rande des Fußballplatzes stand ich mir die Beine in den Bauch und wartete. Auf ein Zeichen. Darauf, dass er mich ansprach. Nur ein Wort. Aber nichts. Hero behandelte mich bloß wie Luft.

(K)ein Haustier

Hero quatschte mich das erste Mal mitten im Sachkundeunterricht an.

Es geschah an jenem Morgen, als Hubbi ein T-Shirt mit einem kleinen runden Bärchen auf dem Rücken trug. Wäre es ein T-Shirt mit einem Vogel oder einem Regenwurm gewesen, wäre mir eine Menge erspart geblieben. Aber auf meinem Platz in der vierten Reihe hatte ich Hubbis Bärchen direkt vor der Nase.

»Heute wollen wir über Haustiere sprechen und wie man für sie sorgt«, verkündete Frau Semmelbach.

Da sank meine Laune in den Keller. Hier auf dem Land schien jedes Kind außer mir Haustiere zu haben. Väter mit Tierhaarallergien gab es wohl nur in der Stadt. Leon hatte fünf Katzen, mit denen er täglich schmuste. Wolf fütterte drei Blindschleichen mit Heuschrecken. In Phillips Garten pickten zwanzig Hühner umher. Hero züchtete Ratten, die andauernd aus dem Käfig entwischten. Und auf Hubbis Füßen schlief jede Nacht ein großer und echter Hund. Er hieß Püppi, hatte viele Haare und konnte Kunststücke.

»Hunde lernen schnell, denn sie sind sehr schlau«, erklärte Hubbi. »Ihr Gehirn hat nämlich die Größe einer Pampelmuse.«

Ich fand die Welt ungerecht. Sogar Hubbi bekam von einem Riesentier die Füße gewärmt. Vielleicht hatte sich der liebe Gott gedacht, dass jemand, der nicht mal sein Unterhemd ordentlich in die Hose stopfen konnte, wenigstens einen anständigen Hund braucht.

Frau Semmelbach bat uns, unser Lieblingstier zu malen, und ich wollte mich bücken, um mein blaues Heft im Ranzen zu suchen – da geschah es. Hero sprach mich an. Ohne sich zu melden, platzte er in den Unterricht hinein.

»Henry Hermann, und was für ein Haustier hast du?«, fragte er. »Wenn man aus der Stadt kommt, hält man Tiere doch bestimmt für Außerirdische.«

Seine Worte trafen mich wie ein Blitz. Augenblicklich war es grabesstill in der Klasse. Ich hörte nur noch das Rauschen der Blätter von der alten Eiche vor unserem Fenster. Mit der Wahrheit würde ich hier niemanden beeindrucken können. Dabei wünschte ich mir nichts sehnlicher, als es Hero zu zeigen. Ihm zu beweisen, dass ich das Zeug zu einem Hero hatte. Ich schaute stumm geradeaus auf Hubbis Rücken. Hätte ich bloß den Kartenständer angestarrt. Oder die Kressetöpfe auf der Fensterbank. Aber nein! Ausgerechnet das Bärchen musste es sein. So kam es, dass ich etwas tat, was ich bis dahin in meinem Leben so gut wie noch nie getan hatte.

Ich log: »Ich habe einen Bären.« Und ich wurde nicht einmal rot dabei. »Ich habe einen echten Bären, ziemlich groß, und der kommt aus Kanada.«

Das Gelächter, das nun losbrach, war so laut, dass selbst Frau Semmelbach Mühe hatte, die Klasse wieder zu beruhigen.

Doch schließlich sagte sie: »Du hättest sicher auch gerne ein Haustier, Henry?«