Herrin der Nordmänner - Peter Heimdall - E-Book

Herrin der Nordmänner E-Book

Peter Heimdall

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Beschreibung

Sie sind die härtesten Männer ihrer Zeit – doch ihre Anführerin ist härter als sie alle.

Im 9. Jahrhundert nach Christus: Frida und ihre Schwester Dagrun sind Schildmaiden und kämpfen Seite an Seite mit den Kriegern ihres Vaters in Britannien. Als sie dort scheitern, begleiten sie ihn auf die Plünderfahrt im Reich der Franken – die schrecklich fehl schlägt! Der Seeweg ist ihnen versperrt, und so bleibt ihnen nur, über Land vor ihren Häschern zurück nach Dänemark zu fliehen. Doch für Frida stellt sich noch eine ganz andere Frage: Kann sie nach dem Tod ihres Vaters die Anführerschaft über die Männer beanspruchen und sie alle sicher zurück in die Heimat führen?

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Buch

Im 9. Jahrhundert nach Christus: Frida und ihre Schwester Dagrun sind Schildmaiden und kämpfen Seite an Seite mit den Kriegern ihres Vaters, dem Jarl Fridleiv Ragnarsson, in Britannien. Doch die Wikingerhorde erleidet eine vernichtende Niederlage. Ragnarsson flieht über den Kanal ins Reich der Franken. Doch dort kommt es zum Verrat. Nach der erfolgreichen Plünderung eines Klosters gibt es Streit um die Beute. Ragnarsson und seine Krieger – unter ihnen seine Töchter – müssen erneut fliehen. Der Seeweg ist ihnen versperrt, und so bleibt ihnen nur, über Land vor ihren Häschern zurück nach Dänemark zu fliehen. Auf der Flucht stirbt Ragnarsson, und für Frida stellt sich nun eine neue Frage: Kann sie nach dem Tod ihres Vaters die Anführerschaft über die Männer beanspruchen und sie alle sicher zurück in die Heimat führen?

Autor

Peter Heimdall, geboren 1949 in der Oberpfalz, veröffentlichte seinen ersten Roman – einen Western – bereits 1974. Seitdem wurden zahlreiche weitere Geschichten von ihm publiziert. Er hat drei Kinder und lebt mit seiner Frau noch immer in seiner Heimat, der Oberpfalz.

Von Peter Heimdall bei Blanvalet:

Schwerter des Nordens

Herrin der Nordmänner

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PETERHEIMDALL

HERRIN

DER

NORDMÄNNER

ROMAN

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Copyright © 2018 by Blanvalet in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Peter Thannisch

Umschlaggestaltung: © Johannes Frick unter Verwendung von Motiven von iStock.com/Lorado und Shutterstock.com (© lassedesignen, © SMA Studio, © Marcin Roszkowski, © Bun Mihail, © Bernatskaya Oxana, © STILLFX)

HK · Herstellung: sam

Satz: Vornehm Mediengestaltung GmbH, MünchenISBN 978-3-641-22690-9V001www.blanvalet.de

Prolog

Ein regnerischer Tag im Mai des Jahres 878 sollte die Entscheidung über die Zukunft des Königreichs Wessex bringen. Wenn die Truppen König Alfreds unterlagen, würde sich die gesamte britannische Insel in der Gewalt der Normannen befinden. Schon zwölf Jahre zuvor hatten die Eindringlinge aus Skandinavien das angelsächsische Königreich Northumbria erobert, im Jahre 870 dann East Anglia, und nachdem die Normannen ein Jahr danach Verstärkung aus Skandinavien erhalten hatten, unterwarfen sie sich 874 auch das Königreich Mercia.

An diesem stürmischen Tag im Frühjahr des Jahres 878 sollte Wessex als die letzte Bastion der freien Angelsachsen in Britannien endgültig fallen. Vor zwei Jahren hatten die Dänen in der Schlacht von Wareham bereits Alfreds Truppen besiegt, und der König hatte nach Athelney fliehen müssen, um wenigstens sein Leben zu retten. Die Nordmänner waren daraufhin bis ins Herzland von Wessex vorgestoßen, was das Königreich regelrecht an den Rand des Abgrundes geführt hatte.

Doch Alfred war ehrgeizig und wollte sich mit dieser Niederlage nicht abfinden. Also ergriff er die Initiative, sammelte von Athelney aus Truppen, und es gelang ihm, eine große, schlagkräftige Streitmacht auszuheben.

In der Nähe von Eddington, einem kleinen Ort in der späteren Grafschaft Wiltonshire, stand dieses christliche Heer den Normannen unter ihrem König Guthrum gegenüber, dem Herrscher über das Danelag, ein Gebiet, das vom Großen heidnischen Heer zwischen 865 und 878 eingenommen worden war. Es lag im Nordosten Britanniens und umfasste Teile der angelsächsischen Königreiche Northumbria, East Anglia sowie Mercia …

Erstes Kapitel

Schon in den frühen Morgenstunden waren dunkle Gewitterwolken aufgezogen, und als sich die Nacht gelichtet hatte, war ein heftiger Sturm losgebrochen. Der Himmel schien sämtliche Schleusen geöffnet zu haben, und ein harter Wind trieb die peitschenden Regenschauer schräg über das Land. Grelle Blitze zerrissen den aufgewühlten Himmel, und die Echos der Donnerschläge, die den Weltuntergang anzukündigen schienen, rollten über die Ebene, auf der die Entscheidung über die Zukunft von Wessex fallen sollte. Der Sturm zerrte an den Büschen, und die Bäume bogen sich ächzend und knarrend im Wüten der Elemente.

Die Normannen hatten sich am frühen Morgen zur Schlacht aufgestellt. Sobald der Angriff begann, sollte das Gros der Krieger in den vorderen Reihen einen Schildwall bilden. Eine einen Keil bildende Truppe, die in das Heer der Feinde stoßen und es aufsplittern sollte, würde der quadratisch formierten Hauptstreitmacht vorangestellt sein. Die hintere Reihe würden die Speerwerfer und Bogenschützen bilden, deren Aufgabe es war, den Gegner schon vor dem Aufeinandertreffen zu dezimieren und zu schwächen, um so bereits eine erste Entscheidung herbeizuführen. Kleine Trupps, die dafür vorgesehen waren, je nach Bedarf, wo es am nötigsten war, in die Schlacht einzugreifen, flankierten die Hauptstreitmacht.

Noch aber stand das Heer der Nordmänner. Die Krieger schlugen mit ihren Äxten krachend gegen die Rundschilder und brüllten unablässig den Namen ihres obersten Gottes Odin. Ihre rauen Stimmen vermischten sich mit dem Heulen des Sturms und wurden von diesem zur Stellung der christlichen Soldaten und Söldner getragen, in deren Ohren das Gebrüll wie ein heidnischer und zugleich unheilvoller Choral klingen musste.

Die treibenden Regenschleier begrenzten das Sichtfeld. Wieder zuckte ein Blitz am Horizont entlang, und der Wind brachte rollenden Donner mit.

Frida Fridleivsdóttir1, die achtzehnjährige Schildmaid, die neben ihrer Zwillingsschwester Dagrun in der vordersten Reihe stand, rief dieser zu: »Die Seherin hat uns einen Sieg prophezeit. Nun schlägt Thor mit seinem Hammer den Amboss! Ein gutes Zeichen. Er ist mit uns, Schwester, und er wird uns helfen, die Angelsachsen zu zerschmettern!«

Der Sturm riss ihr regelrecht die Worte von den Lippen. Dennoch hatte Dagrun sie verstanden und nickte. Ihr hübsches Gesicht, das von langem blondem Haar eingerahmt wurde, verriet Anspannung. Sie trug den grün angestrichenen, mit Eisen beschlagenen Schild am linken Arm, ihre rechte Hand umklammerte den Stiel einer Axt. Wie Frida hatte sie ihr Leben dem Kampf und dem Krieg verschrieben. An ihren Händen klebte das Blut vieler Angelsachsen, und ihr Traum war es, irgendwann mit der Axt in der Hand im Kampf zu sterben, um von den Walküren nach Walhall getragen zu werden, wo sie mit Odin und all den anderen Einherjern an einem Tisch sitzen und mit ihnen ausgelassen feiern würde.

Die Schwestern waren ebenso gekleidet wie die Männer. Über die Schultern hatten sie sich gegerbte Wolfsfelle gehängt, die vorne vor der Brust mit Fibeln aus Eisen zusammengehalten wurden. Sie unterstanden dem Befehl ihres Vaters, des Jarls Fridleiv Ragnarsson. Dieser war einer der Söhne des legendären Ragnar Lodbrok, eines dänischen Königs, den der northumbrische König Aelle in die Schlangengrube hatte werfen lassen, wo er kläglich umgekommen war.

Am Vortag hatten die Priester den Göttern reichlich Opfer dargebracht und sie um ihren Beistand gebeten. Und da Odin, Thor, Loki und all die anderen Asen in den vergangenen Jahren mit ihnen gewesen waren, würden sie sich auch an diesem Tag nicht von ihnen abwenden.

Späher hatten berichtet, dass die Angelsachsen in der Übermacht waren, dass neben den Fußtruppen mehrere Einheiten leichter Kavallerie eingesetzt werden würden und die Flanken des Heeres von Panzerreitern gesichert wurden.

»Odin! Odin! Odin!« Die Rufe wurden lauter, aggressiver, übertönten das Orgeln und Jaulen des Sturmes und wurden vom trockenen Klang der Äxte begleitet, die rhythmisch gegen die Schilder geschlagen wurden.

Schließlich ertönten die Hörner. Es war das Signal zum Angriff, und in das Heer der Normannen geriet Bewegung. Tief sanken die Füße im aufgeweichten Boden ein. Regen peitschte in die Gesichter der Krieger. Schließlich rannten sie, und ihre geradezu frenetischen Odin-Schreie, die durch Mark und Bein gingen, jagten sicher dem einen oder anderen Angelsachsen einen eiskalten Schauer über den Rücken. Obwohl vom Feind noch nichts zu sehen war, lösten sich auf der gegnerischen Seite erste Pfeile und Lanzen aus dem diesigen Grau, und sich überschlagende Stimmen brüllten den Befehl, den Schildwall zu bilden. Und während die Krieger in den vorderen Reihen ihre Schilde hochrissen und damit über sich ein Dach bildeten, schossen die Bodenschützen ihre Pfeile ab, und die Lanzenwerfer schleuderten ihre Waffen.

Ein weiterer Hagel von angelsächsischen Pfeilen prasselte auf die Schilder der Normannen herunter. Die mit Eisenspitzen versehenen Geschosse bohrten sich mit trockenem Klang in das Holz und blieben mit zitternden Schäften stecken. Andere aber fanden ihr Ziel. Erste Schreie Verwundeter und Sterbender erhoben sich über die anderen Geräusche und verschmolzen mit ihnen zu einer verworrenen Kulisse unterschiedlichster Klänge.

Und dann schälte sich die Front des britannischen Kampfverbandes aus dem Grau in Grau. Die Soldaten und Söldner in den vorderen Reihen waren mit Schwertern und Spießen bewaffnet und trugen rechteckige Schilde. Auf ihren Köpfen saßen Lederhelme, und unter den Wämsern waren ihre Körper mit Kettenhemden geschützt.

Unaufhaltsam schritten die beiden Heere aufeinander zu. Nach wie vor brüllten die Normannen den Namen ihres obersten Gottes. Bei den Angelsachsen betete jeder für sich wahrscheinlich zum einzigen wahren Gott, zu dessen Sohn Jesus Christus oder zur Gottesmutter Maria. Doch dies geschah leise, und es handelte sich mehr um Stoßgebete, geboren aus der Furcht vor dem, was sich anbahnte, als um inbrünstige Monologe.

Die Entschlossenheit war auf beiden Seiten unumstößlich.

Schließlich prallten die Heere aufeinander. Die Keilformation der Normannen, der sogenannte Eberkopf, stieß in die Masse der Angelsachsen, sprengte innerhalb kurzer Zeit den Truppenverbund, und das gegenseitige Abschlachten begann. Wütend und verbissen hackten die Nordmänner mit ihren Äxten auf die Gegner ein, wehrten Schwerthiebe und Lanzenstöße ab, und ihre Schilde zersplitterten mehr und mehr. Das Brüllen der Kämpfenden vermischte sich mit dem Klirren der Waffen, dem Wiehern von Pferden, dem gequälten Geschrei der Verwundeten und dem Röcheln und Stöhnen der Sterbenden.

Köpfe wurden gespalten, Leiber aufgeschlitzt, Arme und Hände abgeschlagen. Das Blut spritzte, besudelte Nordmänner und Angelsachsen gleichermaßen und wurde sogleich vom strömenden Regen wieder abgewaschen.

Auch Frida und Dagrun schwangen die Äxte. Von Kindesbeinen an hatten sie das Kriegshandwerk erlernt. Skrupel kannten sie nicht. Der Tod hatte für sie keinen Schrecken. Töten oder getötet werden, das war das Gesetz, dem sie sich unterwarfen, wenn sie auf Beute- oder Eroberungszug waren. Sie kämpften, wenn es die Umstände zuließen, Rücken an Rücken. Jetzt jedoch agierten sie getrennt voneinander.

Ein Reiter stürmte auf Dagrun zu, die Spitze seiner Lanze war auf ihren Leib gerichtet und sein Mund in der Anspannung verzerrt. Geschickt wich sie dem Stoß aus, schlug zu, und die Schneide ihrer Axt fuhr tief in die Brust des Pferdes. Das Tier brach schrill wiehernd vorne ein und rutschte an der jungen Kriegerin vorbei.

Der Soldat – er trug nicht die schwere Rüstung eines Panzerreiters – sprang behände ab, ehe das Tier zur Seite umkippte und ihn unter sich begraben hätte, wandte sich Dagrun zu und wollte sein Schwert ziehen. Doch ehe er es aus der Scheide hatte, zerschmetterte ihm die Schildmaid mit einem wilden Hieb den Kopf. Als hätte ihn Thors Hammer getroffen, brach er zusammen.

Frida sah, dass ihr Vater von mehreren britannischen Soldaten oder Söldnern bedrängt wurde, und erschlug den Gegner, mit dem sie gerade beschäftigt war und der durch ihren ungestümen Angriff ins Straucheln geriet, kurzerhand mit ihrem schweren Schild. Leichtfüßig sprang sie über einige am Boden liegende, reglose Körper hinweg, um sogleich mit ihrer Axt auf die Angelsachsen, die ihrem Vater zusetzten, einzudreschen. Wieder zertrümmerte sie Köpfe und brach Knochen, schlitzte Leiber auf und verspürte nicht die geringste Gemütsregung, wenn aus den schrecklichen Wunden in Fontänen das Blut schoss oder die Gedärme quollen.

Fridleiv Ragnarsson blutete aus einer Schnittwunde an der Wange; Regenwasser schwemmte das Blut über sein Kinn und seinen Hals.

Auch Dagrun kämpfte mit der Besessenheit einer Fanatikerin, warf sich den gegnerischen Kämpfern entgegen, rammte sie mit ihrem Körper oder dem schweren Schild zu Boden, zerschmetterte ihnen kurzerhand mit dem Schild die Häupter oder den Brustkorb oder hieb wie von Sinnen und jeden Schlag mit barbarischem Geschrei begleitend mit der Axt auf sie ein.

Es gab keine Gnade und kein Erbarmen, es gab aber auch niemand, der darum bat oder nach dem Sinn dieses grausamen Blutvergießens fragte. Die verfeindeten Parteien steigerten sich regelrecht in einen Blutrausch hinein, und die Gruppe Berserker, die König Guthrum um sich geschart hatte, massakrierte – in der einen Hand die Axt, in der anderen das Schwert – die Gegner ohne Rücksicht auf das eigene Leben und ohne den Schmerz wahrzunehmen, den ihre eigenen Wunden verursachten.

Die Minuten reihten sich aneinander, wurden zur Viertelstunde, zur Stunde. Brutalität und Grausamkeit eskalierten, und der Tod gönnte sich keine Pause. Er war allgegenwärtig und unersättlich. Der Boden war übersät mit den Körpern kreuz und quer liegender toter und sterbender Kämpfer. Ihr Blut vermischte sich mit dem Regenwasser und versickerte. Weder die Nordmänner noch die Angelsachsen hatten noch die Kraft, ihre Attacken mit wildem Geschrei zu begleiten. Mit von der Anstrengung verdunkelten Gesichtern droschen die verfeindeten Krieger verbissen aufeinander ein, bar jeglichen Gedankens, nur noch von Vernichtungswillen und Selbsterhaltungstrieb geleitet.

Bald hatten die Kämpfenden jeglichen Zeitbegriff verloren. Die Arme, die Äxte oder Schwerter schwangen und die schweren Schilde hielten, wurden müde. Jeder Schlag wurde zu einer Überwindung, einer Anstrengung, die den gesamten Willen erforderte. Mit weichen Knien taumelten die Krieger, Soldaten und Söldner zum nächstbesten Gegner, davon beseelt, ihn zu töten, um dann über seine Leiche hinwegzusteigen und sich dem nächsten Feind zuzuwenden.

Dagrun sah einen britannischen Soldaten hinter Frida mit dem Schwert zum Schlag ausholen. Die junge Schildmaid warf kurzentschlossen ihre Axt. Diese wirbelte durch die Luft, bis sie vom Übergewicht des eisernen Blattes in eine waagrechte Flugbahn gerissen wurde. Ehe der Angelsachse Frida enthaupten konnte, zerschnitt ihm das eiserne, rasiermesserscharfe Blatt das Rückgrat. Er bäumte sich auf, drehte sich halb um die eigene Achse und kippte dann um.

Frida schien zu bemerken, dass ihr von hinten Gefahr drohte, und wirbelte herum, nachdem sie ihrem momentanen Widersacher mit der Axt das Schwert aus der Hand geprellt und ihm mit dem nächsten Schlag eine furchtbare Wunde am Hals zugefügt hatte. Sie sah noch den Briten zusammenbrechen, unter dessen Leben Dagruns Axt einen blutigen Schlusspunkt gesetzt hatte, und registrierte, dass ihre Schwester von drei Feinden gleichzeitig angegriffen wurde.

Sie beeilte sich, Dagrun zu Hilfe zu eilen.

Von der Seite sah sie einen Soldaten mit zum Schlag erhobenem Schwert auf sich zutaumeln. Der Arm sauste nach unten, aber Frida warf sich geistesgegenwärtig zur Seite, schlug gleichzeitig mit der Axt zu und spaltete das Gesicht des Angreifers regelrecht. Sie stieg über ihn hinweg, erreichte Dagrun, die sich mit dem Schild der drei Gegner erwehrte, und fackelte nicht lange. Ehe die gegnerischen Soldaten sich versahen, sanken sie tot oder sterbend zu Boden. Frida war wie rasend, sie wurde nur noch vom Willen zum Töten gelenkt, und ihr einziges Bestreben war, so viele Feinde wie möglich niederzumetzeln. Von der Klinge ihrer Axt und von ihrem ziemlich ramponierten Schild rannen Blut und Regenwasser.

Aber Tapferkeit und Todesverachtung reichten nicht aus, um eine Schlacht für sich zu entscheiden. Die Angelsachsen waren den Normannen zahlenmäßig weit überlegen, und der Reiterei sowie den Panzerreitern hatten die barhäuptig und – abgesehen von den Schildern – ohne jede schützende Rüstung kämpfenden Dänen nichts entgegenzusetzen. Sie wurden mehr und mehr zurückgedrängt. Und irgendwann erklangen wieder die Hörner, die den Rückzug befahlen. Guthrum hatte wohl eingesehen, dass diese Schlacht nicht zu gewinnen war.

Die Normannen zogen sich zurück. Doch es gelang ihnen nicht, sich von den britannischen Kämpfern zu lösen und sich freizukämpfen. Die angelsächsischen Soldaten und Söldner waren ebenso dem Blutrausch verfallen wie die Männer aus dem hohen Norden. Das Sterben ging also weiter. Der Wille, so viele Gegner wie möglich für alle Zeiten unschädlich zu machen, war stärker als Erschöpfung und Kraftlosigkeit.

Das Klirren und Krachen wurde zwar weniger, aber es endete nicht. Und der Druck auf die Normannen wurde von Sekunde zu Sekunde bedrohlicher. Ihnen drohte eine vernichtende Niederlage. Die Ersten erkannten es, warfen die schweren, hinderlichen Schilde fort und wandten sich zur Flucht. Weitere folgten, und schließlich floh auch der letzte der Nordmänner, der noch dazu in der Lage war. Die Angst ließ sie noch einmal alles aufbieten, was an Energie und Kraft in ihnen steckte, und keiner empfand die Flucht angesichts der unausbleiblichen Niederlage als Schande. Sie folgten lediglich der Vernunft. Es war eine letzte, verzweifelt anmutende Anstrengung …

Etwa ein Drittel der Normannen, die am Morgen noch voll Vertrauen auf Odin und die Götter zum Kampf angetreten waren, konnten sich in das Feldlager zurückziehen. Die anderen waren tot oder schwer verletzt auf dem Schlachtfeld zurückgeblieben. Die Walküren hatten an diesem unseligen Tag viel zu tun.

Auch Guthrum und einige seiner Berserker hatten sich retten können, ebenso Fridleiv Ragnarsson und seine Töchter Frida und Dagrun.

Da die Angelsachsen nachrückten, gab Guthrum den Befehl aus, das Lager rundherum zu besetzen und die Zugänge zu sichern. Eilig trugen die Krieger alles zusammen, womit sie verhindern wollten, dass die Briten in ihr Lager eindrangen; Steine und dicke Äste als Wurfgeschosse, Lanzen, die sie zurückgelassen hatten, Äxte zum Fällen von Bäumen und sogar Trinkbecher sowie Teller aus schwerem Zinn oder schwerer Bronze.

Frida und Dagrun hatten sich ihrem Vater hinzugesellt. »Die Götter waren uns heute nicht wohlgesinnt«, keuchte Frida und wischte sich Blut und Wasser aus den Augen. »Wessex können wir abschreiben. Wir dürfen froh sein, wenn wir einigermaßen ungeschoren aus diesem verfluchten Land hinauskommen.«

»Hadere nicht mit den Göttern«, wies Ragnarsson seine Tochter zurecht. »Wir haben diesen Kampf nicht verloren, weil uns Odin und die anderen Asen im Stich gelassen hätten. Und auch nicht, weil der Gott der Christen möglicherweise stärker ist als unsere Götter. Die Angelsachsen waren uns dreifach an Zahl überlegen, allein das war der Grund für unsere Niederlage.«

»Vielleicht hätten wir uns nicht auf diese Schlacht einlassen sollen«, sagte Dagrun, und ihre Stimme klang heiser. »Dass unser Heer in der Vergangenheit große Siege errungen hat, war kein Garant dafür, dass wir auch heute siegreich sein würden. Ich denke, wir waren übermütig, als wir uns Alfred und seiner Armee stellten.«

»Das ist Schelte am König, Tochter«, versetzte Ragnarsson grollend. »Den König zu schelten, seine Entscheidungen anzuzweifeln oder seine Anordnungen in Frage zu stellen – das kann als Rebellion ausgelegt werden, und Rebellion ist ein todeswürdiges Verbrechen. Also hüte deine Zunge, Tochter.«

Es war Zurechtweisung und Warnung zugleich.

»Ich wollte …«

Dagrun brach ab, als einige Hörner ertönten; es waren bei Weitem nicht mehr so viele wie am Morgen. Eine ganze Reihe der Hornisten hatte auf dem Schlachtfeld ihr Leben ausgehaucht. Eine Stimme brüllte: »Die Angelsachsen greifen an! Verteidigt euch! Schützt das Leben des Königs! Odin ist mit uns!«

Ragnarsson und seine Töchter eilten zum Rand des Lagers. »Bevor wir in die Gefangenschaft Alfreds geraten, töten wir uns gegenseitig oder selbst«, stieß der Jarl hervor. »Durch eigene Hand zu sterben ist ehrenvoller, als von den Henkersknechten Alfreds schmählich gevierteilt zu werden.«

Es regnete nach wie vor, und der Wind heulte wie ein hungriges Wildtier um die Zelte und anderen notdürftigen Unterkünfte des Normannenlagers. Doch von Westen her hellte sich der Himmel auf, und es war wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis sich der Sturm legte. Auch zuckten nur noch vereinzelte Blitze aus den brodelnden Wolken, dementsprechend weniger waren auch die Donnerschläge geworden.

Das Feldlager war mit einem Zaun aus zugespitzten Pfählen befestigt, die schräg in die Erde eingegraben waren, sodass die Spitzen etwaigen Angreifern entgegenragten.

Der graue Vorhang aus Regenwänden schien die angelsächsischen Kämpfer auszuspucken. Von Seiten der Normannen flog ihnen alles entgegen, was greifbar war und Wirkung erzielen konnte. An den Zugängen zum Lager kam es zu heftigen Kämpfen, aber den Angreifern gelang es nicht, die Reihen der Verteidiger zu durchbrechen oder sie zu vertreiben. Wieder klirrten die Waffen, krachten Schwert- und Axtschläge gegen die Schilder, Männer starben, und in den infernalischen Lärm mischten sich ihre grässlichen Todesschreie.

Da innerhalb des Zauns normannische Krieger das Lager sicherten und der Zaun selbst eine schlecht zu überwindende Hürde war, beschränkten sich die Attacken der britannischen Soldaten auf die Zugänge zum Lager. Wenn die vordere Reihe derer, die diese Öffnungen im Zaun verteidigten, vor Erschöpfung kaum noch die Axt oder das Schwert heben konnte, trat an ihre Stelle eine etwas ausgeruhtere Gruppe Krieger und leistete den Angelsachsen erbittert Widerstand.

Auch Fridleiv Ragnarsson und seine Töchter sprangen immer wieder ein und töteten viele Angreifer, bis diese sich schließlich zurückzogen.

Die Schlacht war zu Ende, die Normannen hatten eine demütigende Niederlage erlitten, und die Überlebenden, die sich in das Feldlager gerettet hatten, ließen sich dort, wo sie standen, erschöpft zu Boden sinken. Der stundenlange Kampf hatte das Letzte von ihnen gefordert. Wenn die angelsächsischen Soldaten und Söldner in den nächsten Stunden zurückgekehrt wären, hätten sie leichtes Spiel gehabt.

Eine geradezu fatale Gleichgültigkeit schien die völlig ausgepumpten normannischen Krieger befallen zu haben. Vielleicht sehnte der eine oder andere von ihnen sogar den Tod herbei …

Der Sturm flaute ab. Er hatte sich nach Osten verzogen, und nur noch vereinzelte, schwere Regentropfen klatschten auf die Erde. Das Heulen des Windes war verstummt, und durch ein großes Loch in der Wolkendecke brach sogar Sonnenlicht.

Schließlich hörte es völlig zu regnen auf, und aus den Wäldern stieg weißer Dampf. Wabernder Nebel hing über dem Schlachtfeld, über dem der penetrante Geruch des Todes wie ein Leichentuch hing, der jedoch ganze Scharen von Raben nicht daran hinderte, wie eine Invasion auf den Schauplatz brutaler Gewalt einzufallen und mit scharfen Schnäbeln auf die Leichen einzuhacken.

Die Angelsachsen hatten einen weitläufigen Belagerungsring um das Feldlager der Normannen gelegt. Von einem weiteren Angriff sahen die Feldherren der Briten jedoch ab, denn sie waren davon überzeugt, dass Hunger, Kälte und Angst die Normannen sehr bald zur Aufgabe zwingen würden. Die Zeit arbeitete für die Angelsachsen, und daher übten sie sich in Geduld.

Tatsächlich herrschte bei den Normannen Bedrücktheit, Aussichtslosigkeit und Resignation.

König Guthrum ließ drei Tage nach der schmählichen Niederlage seine Jarls zu sich kommen. Es waren nur noch eine Handvoll, die überlebt hatten, unter ihnen Fridleiv Ragnarsson.

»Es lässt sich nicht abstreiten«, begann der bärtige König, dessen dunkles Haar weit auf seinen Rücken und über seine Schultern fiel, »dass wir eine vernichtende Niederlage hinnehmen mussten. Die Briten haben meiner Armee den Todesstoß versetzt.« Er schaute von einem seiner Jarls zum anderen und las in den finsteren Mienen nichts als hilflose Ohnmacht und Hoffnungslosigkeit.

Die Jarls schwiegen.

»Uns bleiben nur zwei Möglichkeiten«, fuhr der König fort, »und zwar aufzugeben und sich den Angelsachsen auf Gedeih und Verderb auszuliefern oder Alfred Verhandlungen anzubieten.«

»Er befindet sich in der Rolle des Siegers«, gab ein Jarl namens Godefried Haraldsson zu verstehen. »Daher wird er die Bedingungen diktieren, unter denen er deine Kapitulation annimmt, mein König. Es werden Bedingungen sein, die uns unseres Stolzes und unserer Würde berauben und die für uns, nehmen wir sie an, nichts anderes als Schmähung und Demütigung sein werden.«

Guthrum presste die Lippen zusammen, und die Backenknochen traten hart in seinem Gesicht hervor. Nach kurzer Überlegung antwortete er grollend: »Nehmen wir sie nicht an, werden wir hier am Hunger zugrunde gehen, oder die Angelsachsen erschlagen uns, wenn wir nicht mehr in der Lage sind, vor Schwäche das Lager zu verteidigen.«

»Wir sind mit unseren Schiffen nach Britannien gesegelt, um die Königreiche zu erobern und um Land für uns zu gewinnen, das wir bebauen und von dessen Erträgen wir leben können«, stieß Fridleiv Ragnarsson in einem Anflug von Verbitterung hervor. »Aber nicht, um hier wie räudige Hunde erschlagen zu werden. Noch verfügen wir über eine gewisse Kampfkraft. Alfred kann also nicht ausschließen, dass es uns nicht gelingt, uns freizukämpfen und uns nach Mercia durchzuschlagen. Im Land sind überall Gruppen dänischer Krieger unterwegs, mit denen wir eine neue, große Armee aufstellen können. Das wissen sicher auch Alfred und seine königlichen Berater. Daher bin ich dafür, dass du Unterhändler zu ihm sendest, mein Herr, die dem König von Wessex in deinem Namen Friedensverhandlungen anbieten.«

»Und du glaubst, dass er darauf eingeht?«, fragte der König zweifelnd und fixierte den neununddreißigjährigen Jarl mit dem rötlichen Haar und dem gleichfarbigen Bart skeptisch.

»Ja, denn er muss – wie ich schon sagte – damit rechnen, dass du ein neues, großes Heer auf die Beine stellst und am Ende vielleicht doch noch Wessex eroberst. Fordere von ihm Land und versprich ihm, ab sofort jegliche kriegerische Handlung in seinem Königreich zu unterlassen. Sicher wird er Bedingungen nennen, die zu erfüllen schwer werden, aber man kann sich gewiss einigen, sodass jede Partei am Ende zufrieden sein wird.«

Die Jarls saßen auf grob zusammengezimmerten Hockern in einem Halbkreis um ihren König. Es war die Zeit kurz nach Sonnenuntergang, die grauen Schatten der Dämmerung krochen aus den Senken, und im Osten blinkten fahl die ersten Sterne über dem Meer. Der Himmel war düster, und von Westen her schoben sich dichte, dunkle Wolkenbänke ins Land, die einen weiteren Sturm anzukündigen schienen. Doch noch war die Luft windstill, regte sich in den Bäumen und Büschen kein Zweig. Der wolkenüberzogene Himmel, das düstere Grau ringsum, die Reglosigkeit der Natur, die Stille um das Lager – das alles wirkte unheimlich und bedrückend. Es entsprach der Stimmung der Eingeschlossenen, die schwer an ihrer Niederlage und der Ungewissheit über ihre Zukunft trugen.

Mit einem Ruck erhob sich Godefried Haraldsson. Er war siebenundvierzig Jahre alt, dunkel und hatte die Narben vieler Kämpfe im faltigen Gesicht. »Ich bin für den Kampf!«, rief er und ließ den flackernden Blick in die Runde schweifen, damit ihm die Reaktion der anderen Jarls nicht entging. »Vielleicht verhandelt Alfred mit uns über einen Frieden. Aber er wird die Voraussetzungen hierfür diktieren. Wir werden Gefangene in seinem Land sein und unter dem Joch der Angelsachsen bis an unser Lebensende zu leiden haben. Unsere Krieger haben sich erholt, sie sind wieder stark und können Schild und Axt führen. Daher bin ich dafür, dass wir einen Ausbruchsversuch unternehmen, und wenn es uns gelingt, den Belagerungsring zu durchbrechen, schlagen wir uns nach Mercia durch, heben ein großes Heer aus und kehren nach Wessex zurück, um dort weiterzumachen, wo wir vor drei Tagen gezwungen wurden aufzuhören. Wir haben uns Northumbria, East Anglia und Mercia unterworfen und werden nicht ruhen, bis auch Wessex zu deinem Reich gehört, König Guthrum.«

Viele der Jarls, die er ansah, senkten den Blick. Es verriet Haraldsson, dass er mit seinem Vorschlag auf keinerlei Zustimmung stieß. Ein Schatten schien über sein Gesicht zu huschen und es noch mehr zu verfinstern, als es sowieso schon war. Er setzte sich wieder.

Ein anderer der Jarls mischte sich ein, indem er sagte: »Ich bin der Meinung, dass wir zunächst einmal abwarten sollten. Vielleicht werden die Briten der Belagerung schneller müde, als wir denken, und ziehen ab. Dann können wir, ohne irgendwelche Zugeständnisse machen zu müssen, nach Mercia ziehen und ein Heer aufstellen, mit dem wir Wessex erobern. Bei einem Ausbruchsversuch würden wir sicherlich weitere unserer Männer verlieren, und jeder Kämpfer, der dabei stirbt, wird uns später fehlen.«

Daraufhin erklang zustimmendes Gemurmel.

Ragnarsson rief: »Das ist ein vernünftiger Vorschlag. Warten wir ab, wie sich die Dinge entwickeln. Denn wären die Briten schlagkräftig genug, hätten sie uns sicher erneut angegriffen. Wir haben ihnen große Verluste zugefügt, und bei einem Angriff muss Alfred mit weiteren Verlusten rechnen. Er ist sich seiner Sache nicht sicher, darum will auch er die Zeit entscheiden lassen.«

Guthrum nickte. »Auch ich bin dafür, dass wir uns ruhig verhalten. Vielleicht tritt Alfred mit einem Angebot an mich heran. Du hast sicher recht, Fridleiv Ragnarsson, wenn du vermutest, dass Alfred den Einfall eines neuen großen Heeres unter meiner Führung befürchtet und deshalb auf Friedensverhandlungen eingehen wird. Aber ihm Unterhändler zu schicken und von uns aus diese Verhandlungen anzubieten, würde er vielleicht als ein Zeichen von Schwäche auslegen und entsprechend seine Bedingungen formulieren. Also warten wir ab.«

Wieder erhob sich Geraune und Geflüster, das Zustimmung signalisierte.

»Wer ist dagegen?«, fragte Guthrum.

Nur Godefried Haraldsson hob die Hand.

Der König heftete den Blick auf ihn und sagte: »Du wirst dich dem Willen der Mehrheit beugen müssen, Jarl Haraldsson.«

Der Angesprochene erhob sich, legte die rechte Hand flach vor den Leib, deutete eine Verneigung an und erwiderte: »Natürlich, mein König.«

»Dann sind wir uns einig«, erklärte Guthrum und gebot den Jarls, zu ihren Leuten zurückzukehren.

Ragnarsson begab sich in das Zelt der Zwillingsschwestern. Sie hatten ein kleines Feuer entfacht, das Holz knisterte und knackte in der Hitze, die Flammen züngelten, und in den Gesichtern der jungen Frauen fand ein Wechselspiel von Licht und Schatten statt. Ehe ihr Vater etwas sagen konnte, platzte es voll Ungeduld aus Frida heraus: »Wie habt ihr euch entschieden?«

»Wir überlassen König Alfred den nächsten Schritt«, antwortete der Jarl und setzte sich zwischen seinen Töchtern auf den Boden. In den Augen der drei spiegelte sich der Feuerschein, und ihre Schatten wurden groß gegen die Zeltwände geworfen.

Enttäuscht starrten ihn die jungen Kämpferinnen an. »Das … das kann ich ja kaum glauben«, entrang es sich Dagrun. »Wir sollen hier untätig herumsitzen und darauf warten, dass die Angelsachsen über uns kommen wie der Adler über die Feldmaus? Ist König Guthrum des Kämpfens müde? Hat seinen Jarls die Niederlage vor drei Tagen jeglichen Mut genommen?«

»Ein weiterer Kampf würde für uns alle den sicheren Tod bedeuten«, stieß Ragnarsson hervor. »Es wäre der Anfang vom Ende der normannischen Herrschaft über jene Königreiche, die wir uns untertan gemacht haben. Denn wenn Guthrum hier stirbt, sind unsere Leute in Britannien führerlos, und Alfred würde nicht zögern, seinerseits einen Eroberungsfeldzug durchzuführen, um am Ende die gesamte Insel seiner Krone zu unterwerfen.«

»Es ist also Angst, die eure Entscheidung diktiert«, entfuhr es Frida, und sie musterte ihren Vater mit einer Mischung aus Ungläubigkeit und Verachtung. »Und ich habe immer gedacht, König Guthrum und seine Jarls wären …«

»Schweig!«, herrschte Ragnarsson seine Tochter an. »Es steht dir nicht zu, die Entscheidung des Königs zu kritisieren oder gar in Frage zu stellen. Es steht dir auch nicht zu, dich deinem Vater gegenüber respektlos zu zeigen. Der Beschluss wurde gefasst. Jarl Haraldsson war dagegen, unterwarf sich aber dem Willen der anderen, und es besteht kein Grund, in irgendeiner Weise daran zu rütteln. Haltet euch daran.«

Frida verzog den Mund, Dagrun zeigte keine Reaktion. Beide waren für den Kampf, und so stieß der Befehl stillzuhalten, bei ihnen auf wenig Begeisterung.

Eine Woche verstrich, ohne dass irgendetwas Nennenswertes geschah. Den Normannen gingen die Nahrungsmittel aus. Vor drei Tagen waren die letzten Regenwolken nach Osten gezogen, und von morgens bis abends schien die Sonne. Die Tageshitze ließ das Land trocknen und sorgte auch dafür, dass im Lager das Wasser knapp wurde. Die Nächte hingegen waren kalt, und da die normannischen Krieger unterernährt waren, froren sie erbärmlich.

Der Unmut unter den nordischen Kämpfern wuchs. Der Ruf nach einem Ausbruchsversuch wurde immer lauter, und Godefried Haraldsson nährte mit Hilfe der ihm ergebenen Krieger das Feuer der Unzufriedenheit, indem sie die Angst unter den Männern schürten. Nach und nach gelang es ihnen, auch den einen oder anderen der Jarls von Godefrieds Meinung zu überzeugen, und nachdem fast zwei Wochen der Belagerung verstrichen waren, begab sich eine Abordnung zum König.

»Wir können nicht länger warten, mein König«, erklärte Haraldsson mit Nachdruck. »Unsere Männer haben nichts mehr zu essen, sie müssen das Wasser rationieren, und wenn wir nicht endlich irgendetwas unternehmen, werden sie zu schwach sein, um sich von ihren Lagern zu erheben. Wir werden Alfreds Soldaten nichts mehr entgegenzusetzen haben, und sie erschlagen uns, oder wir gehen in Gefangenschaft. Das ist es, was uns blüht, mein König, wenn wir noch länger untätig sind.«

Guthrum nahm eine unruhige Wanderung vor seinem Zelt auf. Drei Schritte hin, drei Schritte zurück. Seine Hände lagen auf dem Rücken, seine Finger hatten sich ineinander verkrampft. In seinem kantigen Gesicht arbeitete es, er zog die Unterlippe zwischen die Zähne und kaute darauf herum.

Ihm war klar, dass er gefordert war. Die Krieger waren vom Abwarten, vom Hunger und von der Befürchtung, bald vor Schwäche nicht mehr kämpfen zu können und wie Schlachtvieh von den Briten massakriert zu werden, mürbe geworden. Und die Jarls, die im Verein mit Haraldsson zu ihm gekommen waren, ließen keinen Zweifel daran aufkommen, dass sie eine Entscheidung von ihm erwarteten – eine Entscheidung, die sie bereit waren, mit ihm zu tragen.

Guthrum war unschlüssig. Gefühl und Verstand stritten sich in ihm. Das Gefühl sagte ihm, dass er etwas unternehmen musste, um den Unfrieden in seinen eigenen Reihen in Grenzen zu halten. Der Verstand hingegen riet, König Alfred den ersten Schritt zu überlassen, was in ihm aber sogleich die Frage aufwarf, was sein würde, wenn sich Alfred ebenso aufs Abwarten beschränkte. Tatsache war, dass der Angelsachse in der besseren Position war und die Normannen vor Hunger sterben würden, wenn nicht irgendetwas geschah.

Ein Blick in die düsteren Gesichter seiner Jarls sagte ihm, dass sie mit dem, was er vorhatte, nicht einverstanden sein würden. Vor allem hatte Godefried seine Absicht, den Belagerungsring mit Gewalt zu durchbrechen und sich nach Mercia durchzuschlagen, sicherlich nicht aufgegeben. Und gewiss hatte er die anderen Jarls, die ihn an diesem Tag begleiteten, von seinem Plan überzeugen können.

»Ich werde Unterhändler zu Alfred senden und ihm Verhandlungen über einen Frieden anbieten. Er wird zustimmen, um einem weiteren Einfall skandinavischer Truppen in sein Land vorzubeugen. Und dann werden wir hören, welche Bedingungen er stellt, und wir können darüber beraten, ob wir sie annehmen.«

»Das führt zu nichts!«, blaffte Godefried und schaute verkniffen drein. »Der Seher hat aus den Runen unseren Sieg über die Angelsachsen gelesen. Sicher, es werden Männer sterben, aber sie werden im Kampf fallen und in Walhall zusammen mit Odin und den Einherjern auf Ragnarök warten. Wenn uns die Briten jedoch erschlagen wie räudige Hunde, weil wir vor Hunger zu schwach sind, um uns zu wehren, ist es Hel, die uns holt. Sie bringt uns nach Helheim, wo all diejenigen hinkommen, die auf dem Sterbelager ihr Leben aushauchen. Denn von den Angelsachsen ohne die Möglichkeit der Gegenwehr abgeschlachtet zu werden ist dem Strohtod2 gleichzusetzen. So ein Ende strebt keiner von uns an.«

»Ob Walhall oder Helheim«, wandte der König ein, »diejenigen, die dort landen, sind für uns hier, die wir vielleicht noch auf jeden Mann angewiesen sind, wertlos. Darum werde ich Unterhändler zu Alfred schicken, und ich werde seine Antwort auf mein Vorbringen abwarten. Und ihr, meine Jarls, werdet das akzeptieren.«

Den letzten Satz sprach er im Ton eines Mannes, der es gewohnt war, Befehle zu erteilen, anzuordnen, zu bestimmen, zu loben und zu tadeln, und der keinen Widerspruch duldete.

Godefried zog die Schultern leicht an. Seine Kiefer mahlten, und er vermittelte den Anschein, gegen Guthrums Entscheidung aufbegehren zu wollen. Er kämpfte mit sich, das war deutlich von seinen verkrampften Zügen abzulesen. Plötzlich aber sanken seine Schultern wieder nach unten. »Wie du befiehlst, mein König. Vielleicht belehrt dich die Antwort Alfreds eines Besseren.«

Unwillig runzelte Guthrum die Stirn. Godefrieds Ton gefiel ihm nicht, aber er verkniff sich eine scharfe Zurechtweisung, denn die Stimmung im Lager konnte jederzeit kippen, und er wollte kein Öl ins Feuer gießen. Also sagte er nur: »Lassen wir uns überraschen.«

Als nach zweiwöchiger Belagerung Guthrums Parlamentäre zu König Alfred gebracht wurden, schien sich erfüllt zu haben, was der angelsächsische Herrscher vorausgesagt hatte, nämlich dass Hunger, Verzweiflung und Furcht die Normannen zur Aufgabe zwingen würden. Alfred hörte sich an, was die Unterhändler vorzubringen hatten, dann sagte er: »Bestellt Guthrum von mir, dass ich bereit bin, ihn und seine Krieger am Leben und ziehen zu lassen, unter der Voraussetzung, dass er Christ wird, sich taufen lässt und damit seinen heidnischen Göttern abschwört. Außerdem wird er mir zehn seiner Familienangehörigen als Geiseln überlassen und sich in das Danelag zurückziehen, das er nach seinem eigenen Gutdünken regieren kann. Des Weiteren will ich sein Wort, dass er nie wieder den Versuch unternimmt, Wessex zu erobern.«

»Wollt ihr dem Wort eines Normannen vertrauen, Herr?«, fragte einer der königlichen Berater geradezu entsetzt.

»Wenn er sein Wort nicht hält«, antwortete der König, »werde ich das den Geiseln, die er mir zu stellen hat, vergelten. Und auch bei den Normannen dürfte Blut dicker sein als Wasser.«

Fridleiv Ragnarsson betrat das Zelt seiner Töchter. Sein Gesichtsausdruck war ernst, sein Blick finster. Nur Frida war anwesend. Erwartungsvoll fixierte die junge Schildmaid ihren Vater, dem ins Gesicht geschrieben stand, dass er etwas mit sich herumtrug, das ihm schwer zu schaffen machte.

Frida wusste, dass es mit König Guthrum zusammenhing, denn ihr Vater kam von einer Besprechung mit ihm.

»Wo ist Dagrun?«, fragte er und setzte sich auf eines der Bärenfelle, mit dem der Boden des Zelts ausgelegt war.

»Auf Wache beim Zaun.«

»Der König hat sich entschieden«, sagte Ragnarsson grollend.

»Nimmt er die Bedingungen an, die Alfred stellt?«

»Ja. Er hat sich mit dem angelsächsischen König geeinigt und will sich in drei Wochen mit dreißig unserer wichtigsten Leute nach Aller begeben, wo er getauft und von Alfred adoptiert wird. Er wird den Namen Guthrum ablegen und sich fortan Aethelstan nennen. Danach will er sich aus Wessex zurückziehen, wird aber die Herrschaft über das Danelag beibehalten.«

Fridas Zähne knirschten übereinander, dann brach es über ihre bebenden Lippen: »Er begeht Verrat an seinem Volk, und er verrät die Götter. Das ist frevlerisch.« Die Schildmaid war fassungslos und betroffen; geradezu erschreckt starrte sie ihren Vater an. »Du – du wirst doch nicht als einer der dreißig mit ihm gehen?«, platzte es aus ihr heraus.

»Guthrum hat meinen Namen genannt«, antwortete Ragnarsson. »Ja, er will, dass ich mit ihm ziehe.«

»Und?« Frida stieß das Wort aus und hielt den Atem an. Sie war angespannt bis in die letzte Faser ihres Körpers.

»Godefried hat mich angesprochen, nachdem der König die Versammlung aufgelöst hatte. Auch er ist einer derjenigen, die mit dem König nach Aller gehen sollen. Aber er denkt nicht daran, sich zum christlichen Glauben zu bekehren. Und ich … ebenso wenig.«

Die letzten Worte des Jarls waren wie Hammerschläge gefallen.

»Odin sei Dank!«, entfuhr es Frida. »Ich habe schon befürchtet, dass du dich wegen deines Treueids so sehr an Guthrum gebunden fühlst, dass du dich dem schwachen Christengott zuwendest.«

»Lieber soll mich Thor mit seinem Hammer erschlagen«, brummte Ragnarsson. Seine Stimme senkte sich, als er sogleich weitersprach. »Wir können natürlich nicht abwarten, bis der König nach Aller geht. Er ist in dem Glauben, dass Godefried und ich ihn begleiten. Und wenn wir in drei Wochen noch hier sind, müssen wir uns ihm entweder anschließen, oder es gibt einen Kampf, in dem wir sicherlich unterliegen werden, denn die Anhänger des Königs sind weit in der Überzahl und können außerdem mit der Unterstützung der Angelsachsen rechnen. Diejenigen, die in diesem Kampf nicht fallen, wird Guthrum drakonisch bestrafen.«

»Warum töten wir den König nicht und …«

»Auch das würde Kampf und Untergang bedeuten, denn durch seinen gewaltsamen Tod würden wir seine Anhänger erst recht gegen uns aufbringen.« Ragnarsson schüttelte den Kopf. »Wir müssen uns mit unseren Leuten absetzen. Das heißt, wir werden unsere eigenen Wachen ausschalten müssen, denn sie würden den König alarmieren, und wir müssen den Belagerungsring der Angelsachsen durchbrechen und uns dann nach Westen zu der Bucht durchschlagen, in der die Boote des Königs liegen. Ob wir es schaffen, ist fraglich. Aber lieber wollen wir sterben und in die Burg Odins in Asgard einziehen, als mit dem Verräter nach Aller zu gehen.«

»Der Tod wäre ehrenhafter!«, giftete Frida, die nur noch Verachtung für ihren König empfand. »Mit der verlorenen Schlacht hat Guthrum auch seinen Stolz und seine Ehre verloren. Er ist ein Wurm ohne Rückgrat geworden, ein Feigling, der für seinen Verrat nach seinem Tod als Futter für Nidhöggr, den Drachen, nach Nastrand verbannt werden wird.«

»Ich muss mit Godefried noch die Einzelheiten besprechen«, murmelte Ragnarsson. »Wir dürfen keine Fehler begehen, denn die geringste Unbedachtheit kann unser aller Verderben bedeuten.«

»Ich möchte bei diesen Besprechungen dabei sein«, sagte Frida spontan. »Und Dagrun sicher auch.«

Ragnarsson schüttelte den Kopf. »Nein! Ihr werdet in die Einzelheiten eingeweiht, sobald Godefried und ich unser Vergehen bis in die letzte Einzelheit festgelegt haben.« Die Stimme des Jarls sank erneut herab und nahm einen mahnenden Tonfall an. »Du darfst zu niemand darüber sprechen, Frida. Denn Verrat ist niemals auszuschließen. Allenfalls Dagrun kannst du darüber in Kenntnis setzen, was der König beschlossen hat und was wir vorhaben.«

»Ich will auf keinen Fall diejenige sein, die unsere Sache gefährdet, Vater. Wisst ihr denn schon, wohin wir uns wenden wollen, wenn wir die Boote erreichen?«

»Zunächst einmal auf dem schnellsten Weg nach Osten, zur Westküste des Frankenreichs, und von dort aus nach Norden in Richtung Heimat. Ja, wir haben beschlossen, nach Dänemark zurückzukehren. Dort herrscht Göttrik, der zweite seines Namens. Er wird uns willkommen heißen, denn wir werden ihm reiche Beute bringen.«

»Die wir bei den Franken machen, nicht wahr?«, fragte Frida.

»Es soll an der Westküste des Frankenlandes viele Klöster und Gehöfte reicher Bauern geben, und wir werden die eine oder andere Gelegenheit ergreifen.«

»Ich danke dir, Vater, dass du dich gegen Guthrum und seinen Verrat entschieden hast«, sagte Frida. »Auch unsere Götter werden es dir danken, indem sie uns Mut einflößen und unsere Arme stärken, mit denen wir den Schild halten und die Axt führen. Wir werden bald die Heimat wiedersehen, und ich werde meine Mutter, die sicher sehnsüchtig darauf wartet, dass wir nach Hause zurückkehren, in die Arme schließen können. Dagrun wird sich ebenfalls auf das Wiedersehen mit ihr freuen.«

Eine Woche war verstrichen. Da König Alfred von Wessex dem Wort Guthrums vertraute und vom Friedensschluss mit den Normannen fest überzeugt war, zog er viele seiner Soldaten, die das Lager des normannischen Königs einschlossen, zurück, um mit ihnen als Geleit nach Aller zu reisen und alles für die Taufe Guthrums und die Adoption vorzubereiten.

Die Wachsamkeit der angelsächsischen Belagerer hatte stark nachgelassen, nachdem ein Friedensschluss in Sicht war. Dies wollten Fridleiv Ragnarsson und Godefried Haraldsson für sich ausnutzen. Und was ihrem Plan noch entgegenkam, war die Natur. Denn wie am unseligen Tag der Niederlage schoben sich am westlichen Himmel drohende Gewitterwolken zusammen, türmten sich auf zu dunklen Formationen, aus denen Blitze zuckten, die den Horizont in ihr grelles Licht tauchten.

Die Nacht kam, und da sich der Himmel mit Wolken überzogen hatte, leuchtete kein einziger Stern, und der Mond war nur als verschwommener fahler Fleck hinter dem grauen Wolkenvorhang auszumachen. Die Nacht brachte das Unwetter mit Blitz und Donner. Es goss in Strömen, die Finsternis, die alles einhüllte, war dicht und mutete fast stofflich an.

Frida, Dagrun und ein halbes Dutzend Krieger schlichen durch diese mit den Augen nicht zu durchdringende Finsternis. Jeder von ihnen war nur mit einer Axt und einem Dolch bewaffnet. Sie hatten sich freiwillig gemeldet, als die Aufgaben verteilt wurden, die für einen erfolgreichen Ausbruch aus dem Lager zu erledigen waren. Nun waren sie auf dem Weg, um die Wachen König Guthrums und auch die der Angelsachsen auszuschalten.

Insgesamt wollten über hundertfünfzig normannische Krieger mit den Jarls Ragnarsson und Haraldsson fliehen. Sie waren nicht bereit, einem König zu dienen, der den Gott der Christen anbetete und seinen nordischen Namen dafür ablegte. In ihren Augen war dies ein todeswürdiges Verbrechen.

Der Sturm tobte, als sich die Zwillinge von Ragnarsson verabschiedeten. »Du siehst es selbst, Vater«, sagte Dagrun, »die Götter unterstützen unsere Flucht. Warum sonst sollte uns Thor den Gewittersturm schicken. Schon in wenigen Tagen werden wir die Boote erreichen. Und dann kehren wir Britannien den Rücken. Guthrum aber – oder Aethelstan, wie er sich als Speichellecker des christlichen Königs Alfred nennen wird – soll verflucht sein und in der dunklen Welt von Niflheim enden.«

Wenig später nahm die Finsternis Frida, Dagrun und die Handvoll Krieger auf, die mit den beiden jungen Kämpferinnen die Wachposten ausschalten sollten, ohne dass das eigene Lager oder die Soldaten der Angelsachsen alarmiert wurden.

Von ihrem Erfolg würde es abhängen, ob Ragnarsson und Godefried Haraldsson sowie ihren Anhängern die Flucht ohne große Verluste gelang.

1 Fridleivs Tochter; Söhne des Jarls hätten Fridleivsson geheißen

2 Tod infolge von Krankheit oder Altersschwäche

Zweites Kapitel

Die kleine Gruppe um Frida und Dagrun trennte sich, ehe sie den südlichen Ausgang im Zaun erreichte. Ihnen war bekannt, dass das Tor von zwei Kriegern bewacht wurde. Frida und Dagrun würden sich um sie kümmern. Während ihre Gefährten zurückblieben, schlichen sie geduckt durch den strömenden Regen, dessen Rauschen und Prasseln die ohnehin kaum wahrnehmbaren Geräusche, die sie verursachten, schluckten.

Sie bewegten sich mit der Geschmeidigkeit von Raubkatzen, die Axt in der Hand und die Entschlossenheit im Herzen, der in sie gesetzten Hoffnung gerecht zu werden.

Kurz, bevor die Schwestern das Tor im Zaun erreichten, trennten auch sie sich. Frida schlich nach rechts davon, Dagrun nach links. Frida erreichte den Zaun und glitt an ihm entlang in Richtung des Durchlasses. Ihre schlanke Gestalt verschmolz mit der Nacht.

Ein Schemen schälte sich aus der Dunkelheit. Es waren die schattenhaften Umrisse eines der Wachposten. Er war mit einer Lanze bewaffnet, Frida wusste aber, dass er eine Axt im Gürtel und einen Dolch in der Scheide stecken hatte. Außerdem trug er einen Schild auf dem Rücken.

Wahrscheinlich verfluchte der Krieger diese Nacht, in der er, dem wütenden Element des Gewittersturms ausgesetzt, Wache schieben musste, und er sehnte den Zeitpunkt herbei, in dem er abgelöst wurde. Völlig ahnungslos, dass sich ihm Hel, die Göttin der Unterwelt und des Todes, personifiziert in einer achtzehnjährigen Schildmaid namens Frida, näherte, stand er, bis auf die Haut durchnässt und auf seine lange Lanze gestützt, neben dem Tor am Zaun und starrte in die gähnende Finsternis.

Frida schlich näher, setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen, wischte sich mit dem Handrücken ihrer Linken immer wieder das Regenwasser aus den Augen und umklammerte mit der rechten Hand den Stiel ihrer Axt. Mit jedem Schritt, den sie sich dem Wachposten näherte, wurde seine Kontur deutlicher. Er wandte Frida die rechte Seite zu.

Die junge Schildmaid duckte sich noch mehr und atmete nur noch ganz flach, obwohl im Toben des Sturms selbst rasselnde Atemzüge nicht zu hören gewesen wären. Die Lektionen, die ihr trotz ihres jungen, doch sehr bewegten Lebens schon erteilt worden waren, hatten sie vorsichtig werden lassen.

Einen Augenblick lang zögerte sie, denn sie dachte daran, dass es einer von ihnen war, den sie gleich töten würde. Aber schon im nächsten Moment verdrängte sie diese aufkommenden Skrupel in den hintersten Winkel ihres Bewusstseins. Gefühle irgendwelcher Art zu zeigen wäre nicht nur für sie, sondern für alle, die sich entschlossen hatten, sich von König Guthrum zu lösen, verderblich und mit hoher Wahrscheinlichkeit tödlich gewesen.

Noch zwei schnelle Schritte …

Der Wachposten nahm neben sich eine huschende Bewegung wahr, erschrak und reagierte mehr instinktiv als von einem bewussten Willen geleitet. Er warf sich herum und riss den Schild hoch. Doch der Sekundenbruchteil, den seine Überraschung in Anspruch nahm, fehlte ihm. Fridas Axt fuhr von oben herab und spaltete ihm den Schädel. Er starb noch im Stehen und brach leblos zusammen.

In das Geräusch, das der Aufschlag seines Körpers im Matsch verursachte, mischte sich von der anderen Seite des Tors ein kurzer, erstickter Aufschrei, den der Wind mit sich fortriss, und dann gab die Nacht eine schlanke, mittelgroße Gestalt frei. Die Schwestern trafen sich in der Mitte des Durchlasses und lauschten angespannt. Aber außer dem Heulen des Sturms und dem gleichmäßigen Prasseln des Regens war nichts zu vernehmen.

Die Anspannung löste sich ein wenig. Der erste Schritt war getan, und alles lief nach Plan.

Dagrun schob ihre Axt in den Gürtel, der über ihrer Tunika um ihre Hüften lag, hob beide Hände wie einen Trichter vor den Mund und stieß den Ruf eines Kauzes aus, wiederholte ihn zweimal, dann ließ sie die Hände sinken und wartete zusammen mit Frida, bis ihre Gefährten heran waren.

Die Krieger stellten keine Fragen, und es bedurfte auch keiner Erklärungen durch die Zwillinge. Der dreimalige Ruf des Käuzchens war das Zeichen für ihren Erfolg gewesen.

Sie verließen das Lager. Da sie wussten, dass um Mitternacht ein Wachwechsel stattfinden würde, mussten sie sich beeilen.

Um den Belagerungsring der Angelsachsen zu erreichen, musste die kleine Gruppe gut und gern fünfhundert Klafter3 zurücklegen. Sie mussten sich auf dieser Strecke nicht besonders vorsichtig verhalten, denn es war nicht damit zu rechnen, dass sich ein feindlicher Soldat oder Söldner bei diesem Unwetter in den Bereich zwischen Normannenlager und Belagerungsring verirrte. Dennoch bewegten sie sich geduckt und nutzten geschickt den Schutz der Büsche und Bäume aus, die hier wuchsen.

Immer wieder lichteten Blitze die Nacht, aber die dichten Regenschleier begrenzten das Blickfeld und reduzierten es auf wenige Schritte.

Sie erreichten nach etwa einer Viertelstunde die ersten Stellungen der Angelsachsen. Auch sie hatten zum Schutz gegen Regen, Wind und Sonne Zelte aufgestellt, in die sie sich verkrochen hatten. Nirgends war Lichtschein in einer der Unterkünfte zu sehen.

Frida wandte sich an einen der Krieger und raunte ihm zu: »Lauf zurück und sag den Jarls Bescheid, dass der Weg aus dem Lager frei ist. Wir erledigen das hier.«

Der Krieger bestätigte, dass er verstanden hatte, machte kehrt und huschte davon.

Der kleine Pulk trennte sich wieder. Die Positionen der Wächter wurden erkundet. Es waren drei Wachsoldaten, die es auszuschalten galt. Es geschah lautlos und schnell; bevor die drei Soldaten wussten, wie ihnen geschah, versickerte ihr Blut zusammen mit dem Regenwasser im Boden.

Frida schickte einen weiteren ihrer Gefährten zurück, der ihrem Vater oder Godefried melden sollte, dass auch die gegnerischen Wachen nicht mehr lebten. Die Schwestern und der Rest der Gruppe zogen sich zurück und gingen hinter Strauchwerk in Deckung. Sie mussten warten, bis die Jarls mit ihren Mannen eintrafen.

Der schwierigste Teil der Mission stand noch bevor. Es war kaum anzunehmen, dass mehr als hundertfünfzig Normannen unbemerkt durch die Reihen der Belagerer schleichen konnten. Daher mussten die schlafenden Angelsachsen so schnell und so lautlos wie möglich ausgeschaltet werden, womit die Dänen gewissermaßen eine Bresche schlugen und so durch die feindliche Linie gelangten, ehe Alarm gegeben wurde.

Finsternis und strömender Regen spuckten die Krieger regelrecht aus. Es waren etwa drei Dutzend, und sie sprangen wie Kobolde fast lautlos zu den Zelten der Angelsachsen, rissen die Planen vor den Eingängen zur Seite und droschen mit ihren Äxten auf die Schemen ein, die schlaftrunken von ihren Lagern hochfuhren. Das Töten ging fast lautlos vor sich, das Brechen der Schädelknochen durchdrang nicht die Zeltplanen, und wenn, dann riss es der Sturm mit sich fort. Die bis zum Letzten entschlossenen Normannen huschten von einem Zelt zum nächsten …

Der Belagerungsring war etwa fünfzig Klafter breit, und auf einer Fläche von mehr als zehn Klaftern hinterließen die Nordmänner nur Leichen. Vereinzelte gurgelnde und erstickte Schreie erhoben sich, aber schon wenige Schritte weiter konnte nicht mehr unterschieden werden, ob es sich um menschliche Stimmen handelte oder um das Jaulen des Sturms.

Dann waren sie durch, und der Rest der Horde folgte. Sie rannten in die Nacht und den Regen hinein und verschwanden, als hätte sich hinter ihnen eine Tür geschlossen. Aber kaum, dass sie fünfzig Klafter zurückgelegt hatten, trug der Wind entsetztes und zugleich wütendes Geschrei hinter ihnen her, und jeder, der es vernahm, wusste, dass es sowohl die Briten als auch das Lager Guthrums alarmierte.

»Weiter!«, rief Ragnarsson. »Bis sie begreifen, was geschehen ist, und Maßnahmen treffen, um uns zu folgen, sind wir mindestens tausend Klafter entfernt, und in der Nacht und bei diesem Wetter wird es ihnen kaum möglich sein, uns zu folgen. Bis morgen Früh hat der Regen unsere Spuren ausgelöscht. Vorwärts, Leute, vorwärts! Bringen wir die größtmögliche Entfernung zwischen uns und die Angelsachsen, die Thor vernichten möge.«

Sie hetzten durch die Finsternis. Der Regen peitschte ihre Gesichter, der Sturm zerrte an ihnen, und sie mussten gegen ihn ankämpfen wie gegen einen Feind. Bald rasten die Herzen, pumpten die Lungen, wurden die Füße schwer wie Blei; jeder Schritt wurde zur Tortur und war eine Anstrengung, eine Überwindung, die allen Willen erforderte. Der aufgeweichte Boden, in den sie teilweise bis über die Knöchel einsanken, trug ein Übriges dazu bei, sie sehr schnell an den Rand ihrer Leistungsfähigkeit zu bringen.