Herzklopfen in der Provence - Katharina Herzog - E-Book
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Herzklopfen in der Provence E-Book

Katharina Herzog

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Beschreibung

Die Journalistin Amelie Schneider arbeitet in ihrer Freizeit als Klinikclown und liebt diesen Job über alles. Um ihre kleinen Patienten aufzuheitern, ist ihr keine Mühe zu viel. Deshalb denkt Amelie auch nicht lange nach, als sich ein kranker Junge ein Autogramm des Hollywoodstars Nik von Hohenstein wünscht: Schließlich muss sie sowieso nach Südfrankreich, wo Nik gleich mit seiner ersten Regiearbeit als heißer Anwärter auf die Goldene Palme gilt.
Doch ein paar Tage vor der Preisverleihung wird der ebenso ehrgeizige wie attraktive Nik in einer höchst pikanten Situation erwischt und hat ganz andere Probleme, als den Autogrammwunsch eines kleinen Jungen zu erfüllen. Womit er allerdings nicht gerechnet hat: Amelie ist überaus hartnäckig und bald auch die Einzige, die ihm aus seinem Schlamassel heraushelfen kann.

Länge der Taschenbuchausgabe: 388 Seiten


"Herzklopfen in der Provence" ist der Nachfolgeband des eBook-Bestsellers "Schlaflos in Cornwall". Der Roman ist in sich abgeschlossen. Wer Spaß an wiederkehrenden Figuren hat, darf sich allerdings auf ein Wiedersehen mit alten Bekannten freuen.

Besuchen Sie die Autorin auf ihrer Homepage (katharina-herzog.com), auf Instagram und auf Facebook!

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HERZKLOPFEN IN DER PROVENCE

KATHARINA HERZOG

INHALT

Ohne Titel

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

Werde selbst Stammzellenspender!

Danksagung

Liebe Leserinnen und Leser!

Schlaflos in Cornwall

Über die Autorin

Darin besteht die Liebe:

Dass sich zwei Einsame beschützen und berühren und miteinander reden.

(Rainer Maria Rilke)

1. KAPITEL

Amelie

»Hallo! Ist jemand da?« Vorsichtig blinzelte ich durch den Türspalt.

»Ja, hier«, ertönte es leise aus dem Krankenhauszimmer.

»Oh! Stimmt!« Ich machte erstaunte Augen. »Ich habe dich in diesem riesigen Bett gar nicht gesehen. Darf ich reinkommen?«

Der zehnjährige Junge nickte. Obwohl mich die Schwestern darauf vorbereitet hatten, dass seine Haare weg waren, musste ich beim Anblick seines kahlen Kopfes schlucken, und ich war froh, dass ich meine Gefühle hinter weißer Schminke und einem breiten, immer lachenden Mund verbergen konnte.

Ich holte tief Luft, rückte meine bunte Clown-Perücke zurecht und trat ein. »Hey, Miro!«

»Hey, Dr. Pampelmuse«, antwortete der Junge matt.

»Wie ich sehe, warst du beim Friseur.« Seine Haare waren von Woche zu Woche dünner geworden, und schon bei meinem letzten Besuch war kaum noch etwas davon übrig gewesen. Trotzdem kam es mir falsch vor, über das Fehlen seiner halblangen dunklen Locken kommentarlos hinwegzugehen.

»Nein. Meine Mama hat mir die Haare abrasiert.« Miro presste die Lippen aufeinander. »Ich sehe total doof aus.«

Ich zog einen Stuhl heran und setzte mich an sein Bett. »Ach Quatsch! Du siehst überhaupt nicht doof aus, nur etwas ungewohnt. Habe ich dir eigentlich schon von meiner Schwäche für Männer mit Glatze erzählt? Ich war jahrelang in Vin Diesel verliebt. Kennst du den?«

»Ist das der Schauspieler, der bei The Fast and The Furious mitgespielt hat?«

»Genau.«

»Mein Lieblings-Actionheld ist Union Jack.«

Er zeigte auf eins der vielen Poster an der Wand. Darauf war ein Mann mit beeindruckenden Muskelpaketen zu sehen. Er trug einen knallengen blauen Ganzkörperanzug, und auf seiner Brust prangte die britische Flagge. In der einen Hand hielt er eine Pistole, in der anderen einen Dolch. Sein Gesicht war nicht zu erkennen, da es vollkommen von einer blauen Kapuze bedeckt war.

»Cool, oder?«, sagte Miro.

»Ja. Wie Captain America.«

Miro warf mir einen mitleidigen Blick zu. »Viel cooler. Mein Papa und ich haben ein Fanbuch gebastelt. Soll ich es dir zeigen?«

»Klar.«

Mühsam versuchte er, sich in die Senkrechte zu stemmen. Ich wandte das Gesicht ab.

Endlich hatte Miro es geschafft, sich aufzurichten. Er langte nach seinem Nachttisch, schob eine Familienfotografie beiseite, auf der er – damals noch mit dicken, wirren Locken –, seine Eltern, sein großer Bruder Jeremy und Collie Lina zu sehen waren, und griff nach einem prallgefüllten Heft.

Ich musste an eine Clowns-Praktikantin denken, die mich nach ihrem ersten Besuch auf der Onkologie gefragt hatte: »Wie können Eltern das alles nur aushalten?«

»Was bleibt ihnen anderes übrig?«, hatte ich geantwortet, und: »Man hält viel mehr aus, als man denkt.« Seit ein paar Jahren wusste ich das.

Das Heft war über und über mit Bildern des Action-Heldens beklebt. Miro öffnete es und blätterte es durch. Zeichnungen, Ausschnitte aus Zeitschriften, Ausdrucke aus dem Internet und zusammengefaltete Poster waren hineingeklebt. Sogar Bilder vom Filmset und der Premierenfeier gab es.

»Das ist der Schauspieler, der Union Jack spielt.« Miro zeigte auf einen schlanken dunkelhaarigen Mann im Anzug. »Er heißt Nik von Hohenstein, und er ist gerade in Südfrankreich, weil ein Film, bei dem er Regie geführt hat, für einen Preis nominiert worden ist. Das weiß ich aus logo!.«

Ich betrachtete die Fotos. Auch mir war der Name Nik von Hohenstein ein Begriff. Seit der Hollywoodimport für die Rolle eines KZ-Häftlings nicht nur mit dem Deutschen Filmpreis, sondern auch mit dem Golden Globe belohnt worden war, hatte man ihn mit Auszeichnungen nur so überhäuft. Und nun sah es ganz so aus, als würde dieses Wunderkind gleich mit seiner ersten Regiearbeit die Goldene Palme nach Deutschland holen. Das erste Mal seit über dreißig Jahren. Ich hatte gar nicht gewusst, dass von Hohenstein früher in einer banalen Comicverfilmung mitgespielt hatte.

»Woher hast du diese Fotos, Miro?«, fragte ich.

»Die habe ich vor ein paar Jahren gewonnen.«

»Wow! Ich gewinne nie etwas«, sagte ich ehrlich beeindruckt.

»Der erste Preis wäre ein Treffen mit Union Jack gewesen. Das ist mein allerallergrößter Traum. Aber die Fotos sind auch cool. Jetzt brauche ich nur noch ein Autogramm von ihm. Dann ist meine Sammlung komplett.« Er zeigte auf die letzte Seite des Hefts. Sie war leer. »Ich habe Nik von Hohenstein einen Brief geschrieben und ihn gefragt, ob er mir eins schickt. Und ich habe ihm erzählt, dass ich später ein genauso berühmter Schauspieler werden will wie er.«

»Hat er dir zurückgeschrieben?«, fragte ich. Wundern würde es mich! Stars wie dieser Nik von Hohenstein bekamen Fanpost doch bestimmt körbeweise und ließen sie ungelesen von irgendwelchen Mitarbeitern wegwerfen.

»Nein. Meine Mama meint, er hätte bestimmt viel zu tun.«

Schade, ich hätte mich gerne geirrt!

»Das hat er mit Sicherheit.« Ich knuffte Miro in die Seite. »Aber wenn er erst aus Frankreich zurück ist und seinen Preis gewonnen hat, holt er es nach.«

»Das meint meine Mama auch. Aber ich glaube nicht, dass er dann noch daran denkt.« Miro schlug traurig die Augen nieder, und wie er so schmal und zart und haarlos in seinem Bett saß, erinnerte er mich an einen anderen kleinen Jungen. Er war zwar schon elf gewesen und hatte Fußballprofi werden wollen, nicht Schauspieler, doch auch er hatte diese schreckliche Krankheit gehabt …

»Du, Miro, weißt du was«, sagte ich langsam, denn in meinem Kopf nahm ein Plan Gestalt an.

»Ja?« Der Junge hob neugierig den Kopf.

»Ich glaube, ich habe eine Idee, wie ich dir das Autogramm besorgen kann.«

Seine Augen wurden groß. »Echt! Und welche? Willst du ihm auch einen Brief schreiben?«

»Nein, die Post ist mir zu unsicher. Und diese Woche muss ich sowieso nach Frankreich fliegen. Ich denke, ich werde auf einen Sprung bei ihm vorbeischauen.«

»Weißt du denn, wo er wohnt?«

»Noch nicht, aber ich habe Beziehungen.« Ich zwinkerte ihm zu. Beziehungen hatte ich wirklich, schließlich war ich Journalistin. Doch diese Information verschwieg ich dem kleinen Kerl lieber, denn vermutlich hätte ich viel von meiner Authentizität eingebüßt, hätte er gewusst, dass ich nur einmal in der Woche in die rote Latzhose und den weißen Kittel von Dr. Pampelmuse, Ärztin für Lachtherapie, schlüpfte. An allen anderen Tagen hieß ich Amelie Schneider und verdiente mein Geld, indem ich in einer Zeitschrift über Mode- und Kosmetiktrends berichtete.

»Cool!« Miro griff aufgeregt nach meinem Arm, und seine Augen fingen an zu leuchten. Doch genauso schnell, wie dieses Leuchten gekommen war, erlosch es auch wieder, und seine Miene wurde skeptisch. »Glaubst du wirklich, dass er dir das Autogramm gibt?«

Nicht nur das. Ich hoffte sogar, dass ich Nik von Hohenstein dazu bewegen konnte, sich mit Miro zu treffen!

Ich sah den Jungen streng an. »Natürlich wird er das. Nenn mir einen Grund, warum er das nicht tun sollte! Nik von Hohenstein wird sich riesig freuen, wenn er hört, dass er einen so begeisterten Fan wie dich hat.«

Ein breites, glückliches Kinderlächeln erhellte Miros Gesicht, so breit, dass ich das erste Mal an diesem Tag seine Zahnlücke sehen konnte, und ich nahm mir fest vor, ihn auf gar keinen Fall zu enttäuschen.

* * *

Nik

»Schau mal, Mama! Da ist Union Jack!«, sagte der kleine Junge, der ein paar Meter entfernt von mir am Gepäckband stand und ebenso wie ich auf seinen Koffer wartete. Unverblümt zeigte er mit dem Finger auf mich. Der Blick der Frau schwenkte ebenfalls in meine Richtung. Auf ihr Gesicht schlich sich ein entzückter Ausdruck.

Mann, was ging mir dieser Union Jack auf die Nerven! Sechs Jahre war es her, dass ich diese Rolle gespielt hatte. Seitdem hatte ich so viele Filme gedreht und einen ganzen Schrank voll Auszeichnungen dafür erhalten, und trotzdem wurde ich in der breiten Öffentlichkeit noch immer auf diesen aufgepumpten Superhelden im Ganzkörperanzug reduziert.

Ich stellte den Kragen meiner Jacke hoch, zog den Kopf ein und hoffte, dass dieser Kelch an mir vorüberging. Tat er natürlich nicht. Die Mutter drängte sich mit ihrem Sohn an der Hand durch die Reihen der anderen Wartenden und kam auf mich zu.

»Sind Sie nicht Nik von Hohenstein?«, fragte sie. Ihre großen blauen Augen leuchteten genauso verzückt wie die ihres Sprösslings.

Ich unterdrückte ein Gähnen, während ich überlegte, wie ich die beiden so schnell wie möglich wieder loswerden könnte. Bis gestern Abend um zwölf hatte ich noch an dem Film geschnitten und seit heute Morgen um vier war ich bereits wieder auf den Beinen. Die einzigen Dinge, die ich in diesem Moment in meiner Nähe hätte ertragen können, waren ein schwarzer Kaffee oder ein warmes Bett.

»Er ist ein so großer Fan von Ihnen«, fügte die Frau hinzu und klimperte mit den Wimpern. »Könnten Sie ihm ein Autogramm geben?«

Seufzend tastete ich die Taschen meiner Jacke nach einem Stift ab. Da war keiner. Hilfesuchend blickte ich mich um. Wo zum Henker war Gina, wenn man sie brauchte? Vermutlich hätte die persönliche Assistentin meines Hauptdarstellers mit einem Stift sowieso nicht dienen können. Ganz bestimmt aber mit Puder oder Lippenstift. Bedauernd hob ich die Hände. »Ich habe leider nichts zu schreiben dabei.«

»Das macht nichts – Elias!« Die Mutter stieß ihren Sohn an, und der streckte mir sofort einen Filzstift und sein Handy entgegen.

»Darauf soll ich unterschreiben?«

Der Junge nickte.

»Das ist die Konkurrenz.« Ich zeigte auf den Spiderman auf der Handyhülle.

»Ach so, ähm, also wenn Ihnen das etwas ausmacht …«, stammelte die Mutter. »Wir könnten Ihnen auch einfach …« Hektisch inspizierte sie ihren Sohn nach etwaigen Kleidungsstücken oder freien Hautstellen, auf denen ich meine Unterschrift hinterlassen könnte.

»Das war ein Scherz!«, beruhigte ich sie und griff nach dem Handy. »Für Elias von Union Jack. Ich bin viel cooler als Spiderman«, schrieb ich darauf.

Elias lächelte begeistert, als ich ihm Mobiltelefon und Stift zurückgab.

»Wenn die Union-Jack-Hülle noch lieferbar gewesen wäre, hätten wir natürlich die gekauft«, beeilte sich die Mutter zu versichern.

»Schauen Sie bei eBay, dort könnten Sie fündig werden.«

Das Gepäckband setzte sich in Bewegung, und ich sah Ginas blonde Locken in der Menschenmenge vor mir aufgeregt auf und ab hüpfen. Seit sie vor ein paar Wochen auf dem Londoner Flughafen eine Reisetasche verloren hatte, waren alle Flugzeuge für sie kofferfressende Bestien, denen man seinen Besitz so schnell wie möglich wieder entreißen musste. An ihrem spitzen Schrei erkannte ich, dass der Koffer sich näherte, und einen Moment lang befürchtete ich, sie würde vor lauter Aufregung auf das Gepäckband springen. Doch zum Glück stieß sie lediglich den Zwei-Meter-Riesen vor ihr zur Seite und riss den Koffer vom Band. Wie ein Baby presste sie ihn ein paar Augenblicke an ihre volle Brust, bevor sie ihn absetzte und zu mir herüberrollte.

»Wo ist Francesco?«, fragte sie außer Atem.

»Dort drüben.« Mit finsterem Blick zeigte ich auf den Mann, der mit Sonnenbrille und tief in die Stirn gezogener Kapuze auf einer der Bänke saß und telefonierte. Francesco Rumore, Deutschlands derzeit angesagtester Schauspieler, war schuld an meiner schlechten Laune.

Anders als ich suchte Francesco seine Mitarbeiterinnen nämlich nicht nach Effizienz aus, sondern nach Körbchengröße, weswegen Gina – 85D! – bei der Buchung seines Flugtickets nicht bedacht hatte, dass Francescos gebürtiger Name Franz Huber lautete. Und natürlich hatte der Beamte an der Passkontrolle sich geweigert, ihn durchzuwinken.

Ich dagegen – ich hatte mein Flugticket selbst gebucht – hätte den Sicherheitsbereich problemlos passieren können. Aber da ich nicht vorhatte, Francesco bis zur Preisverleihung auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen, war ich stattdessen zum Schalter gegangen, um mich zu erkundigen, ob es an diesem Tag noch eine andere Maschine nach Nizza gab.

Es gab eine. Acht Stunden später.

Ich hätte im Stehen einschlafen können, wenn ich nicht so viel Angst davor gehabt hätte, dass Francesco irgendeinen Blödsinn machte. Ich hatte sogar eine gemeinsame Suite für Gina, ihn und mich reserviert und den beiden die hanebüchene Geschichte erzählt, ich könne es nach der Scheidung von Helena nicht ertragen, allein zu sein.

Und genau in diese Suite wollte ich jetzt. So schnell wie möglich. Mein Start in Südfrankreich war alles andere als verheißungsvoll gewesen. Von nun an konnte es eigentlich nur noch bergauf gehen.

2. KAPITEL

Amelie

»Ist Betty da?«

Nach meiner Schicht im Krankenhaus war ich so schnell wie möglich zur Redaktion gefahren. Nun öffnete ich die Tür zu Lieselottes und meinem Büro so schwungvoll, dass meine Kollegin erschrocken zusammenfuhr.

Hastig nahm sie ihre Birkenstocks vom Schreibtisch und schwenkte mit ihrem Drehstuhl in Richtung Fenster. Trotzdem konnte ich noch einen Blick auf das Wollknäuel und die Stricknadeln auf ihrem Schoß erhaschen.

»Keine Sorge, ich verpetze dich schon nicht bei Bernd«, sagte ich zu ihr und konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen.

Lieselotte ließ das Strickzeug in einer Schublade verschwinden. Dann erst drehte sie sich wieder zu mir um. »Was machst du eigentlich hier, hast du nicht die nächsten zwei Wochen Urlaub?«, fragte sie.

»Ja, aber ich muss dringend mit Betty sprechen. Wo ist sie?« Seit meine liebste Kollegin Nina ihren Job in der Luisa-Redaktion an den Nagel gehängt hatte, um das Delikatessengeschäft ihrer Mutter zu übernehmen, teilte ich mir das Büro außer mit Lieselotte auch mit Betty, der Redakteurin für Promis und Lifestyle.

»Bernd hat ihr den Marsch geblasen, und jetzt versteckt sie sich, wann immer es möglich ist, im Kopierraum oder auf der Toilette.«

»Was hat sie denn angestellt?«, fragte ich verwundert. Mit ihrem schneewittchenhaften Aussehen war Betty Bernds erklärter Liebling. Was um Himmels willen war nur passiert, wenn unser Chef ihr »den Marsch blies«?

Lieselotte stützte ihr Kinn in die Hände. »Ihr Vater hat heute Morgen angerufen und sie krankgemeldet.«

Dass Betty sich einen Tag vor den Filmfestspielen krankmelden wollte, überraschte mich. Seit vier Jahren reiste sie nun schon jedes Jahr nach Cannes, um darüber zu berichten. Dass ihr Vater die Krankmeldung für sie erledigte, wunderte mich dagegen weniger. Denn obwohl Betty viel tougher war, als ihr zartes Äußeres vermuten ließ, und sie zudem die Dreißig gerade überschritten hatte, räumte der seiner jüngsten Tochter immer noch alle Steine aus dem Weg. Sogar ihre Hochzeit hatte er vor einem Jahr für sie abgesagt. Am Tag der Trauung …

»Und warum ist Betty dann nicht zu Hause?«, hakte ich nach. Ich musste wissen, in welcher Gemütslage sich meine Kollegin befand, bevor ich ihr mein Anliegen schilderte.

Lieselotte bemühte sich um ein angemessen mitleidiges Gesicht. »Ihrem Vater ist bei dem Telefonat rausgerutscht, dass sie nur einen Herpes auf der Oberlippe hat. Und das hat Bernd dermaßen auf die Palme gebracht, dass er Betty hat ausrichten lassen, er würde sie feuern, wenn sie nicht sofort in die Redaktion käme.« Ein kleines Kichern entwich ihr, und sie biss sich hastig auf die Unterlippe.

Obwohl ich mich mit Betty im Allgemeinen gut verstand, konnte ich Lieselottes Schadenfreude nachempfinden. Nur allzu oft war sie Zielscheibe von Bettys spitzer Zunge, und auch mir raubte unsere Kollegin manchmal den letzten Nerv.

Als ich die Damentoilette der Redaktion betrat, stand Betty vor dem Spiegel und tupfte an ihrer Oberlippe herum. Sie schlug sich rasch eine Hand vor den Mund, als sie mich bemerkte.

»Lieselotte hat mir bereits von deinem Herpes erzählt«, sagte ich. »Zeig mal her! Vielleicht kann ich was machen.« Im Überdecken von kleinen Schönheitsfehlern war ich äußerst geschickt. Schließlich hatte ich nach der Schule eine Ausbildung zur Visagistin angefangen. Irgendwann hatte ich aber festgestellt, dass dieser Beruf in meiner Vorstellung weitaus glamouröser war als in der Realität, und mich für einen Journalismus-Studiengang eingeschrieben.

Mit sanfter Gewalt zog ich Bettys Hand weg. Wie immer waren ihre Lippen leuchtend rot geschminkt, und ich musste sehr nah an sie herangehen, um überhaupt eine Veränderung daran zu bemerken. »Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?«

»Man merkt, dass du noch nie Herpes gehabt hast«, protestierte Betty. »Sonst wüsstest du nämlich, dass diese Schwellung und die beiden Bläschen erst der Anfang sind. Spätestens heute Abend wird mein Mund aussehen wie eine Mondlandschaft. Ich habe mich so auf die Filmfestspiele gefreut, aber auf gar keinen Fall kann ich in diesem Zustand nach Cannes fliegen!« Sie schlug sich die Hände vors Gesicht. »Nur Bernd will das nicht einsehen.«

Ich ignorierte ihr Gejammer. »Wegen des Festivals bin ich hier. Es geht um dieses Badge, von dem du mir erzählt hast. Diese Erkennungsmarke, mit der du fast überall hineinkommst, und die eine ganz bestimmte Farbe hat.«

»Sie ist rosa mit einem weißen Punkt«, ertönte es dumpf. »Weil ich im letzten Jahr in Cannes so fleißig war und so viele Artikel geschrieben habe, bin ich aufgestiegen.«

»Könntest du mir auch so eine besorgen?«

»Was willst du denn bei den Filmfestspielen?« Bettys azurblaue Augen blickten mich über ihre Fingerspitzen hinweg groß an. »Ich dachte, du fährst zur Hochzeit deiner Mutter. Hat sie die Feier etwa abgesagt?«

»Nein, nein«, winkte ich ab. »Aber die Hochzeit ist erst am Wochenende, und ich dachte, dass ich mir vorher noch ein paar Festivalfilme anschaue, wenn ich schon mal in Cannes bin. An Karten zu kommen ist allerdings für einen Normalsterblichen gar nicht so einfach.« Ich musterte intensiv meine orangelackierten Fingernägel. »Also, kannst du mir ein solches Badge besorgen?«

Betty nahm die Hände herunter und schüttelte den Kopf. »Dazu ist es jetzt viel zu spät. Du hättest dich bereits vor Monaten für eine Akkreditierung bewerben müssen.«

»Kannst du mir deins ausleihen?«

»Nein! Wie stellst du dir das vor? Darauf steht nicht nur mein Name, es ist auch ein Foto von mir aufgedruckt.«

Ich warf einen Blick in den Spiegel. Eine Ähnlichkeit zwischen Betty und mir konnte ich leider wirklich nicht erkennen. Meine Augen waren braun, mein Gesicht war herzförmig und mein Haar reichte mir leicht gewellt und silberblond gefärbt bis zum Kinn. Betty dagegen hatte ein rundes Kindergesicht, blaue Augen und glatte, fast schwarze Haare, die ihr bis über die Schultern fielen.

»Ich könnte mir eine dunkle Langhaarperücke aufsetzen«, schlug ich vor.

Betty legte den Kopf schief. »Dieser ganze Aufwand nur für ein paar Filme? Das kannst du mir nicht erzählen«, stellte sie spöttisch fest. »Jetzt sag schon, warum bist du auf einmal so erpicht darauf, zu den Filmfestspielen zu fahren?«

»Ich … ich …« Fieberhaft suchte ich nach einer einigermaßen glaubhaften Ausrede. »Ich bin ein riesiger Fan von Nik von Hohenstein, und ich würde ihn wahnsinnig gerne einmal persönlich treffen«, beendete ich den Satz letztendlich lahm.

»Ach so.« Bettys Gesicht nahm einen amüsierten Ausdruck an. »Sag doch gleich, dass du auf den stehst. Nach seiner Scheidung von dieser Bostoner Architektin ist er ja wieder zu haben.«

»Was redest du denn da für einen Blödsinn?« Ich spürte, dass ich rot wurde. »Ich stehe überhaupt nicht auf ihn, sondern auf seine Filme.«

»Natürlich.« Betty zwinkerte mir zu, und ich sah ihr deutlich an, dass sie mir kein Wort glaubte. Aber lieber stand ich vor ihr wie ein liebestoller Trottel da, als dass ich ihr von meiner ehrenamtlichen Tätigkeit als Klinikclown erzählte. Denn wenn ich das tat, würde mit Sicherheit die Frage folgen, warum mir das Schicksal eines kleinen Jungen so an die Nieren ging, dass ich auf die abenteuerliche Idee kam, einem international bekannten Schauspieler nach Cannes hinterher zu reisen. Und auf diese Frage wollte ich auf keinen Fall antworten.

»Du musst mir nichts erklären, es ist ja deine Sache, wen du auf den Filmfestspielen treffen möchtest, und warum«, räumte Betty ein, und ich wunderte mich schon über ihren Großmut. Doch dann drehte sie gespielt nachdenklich eine Haarsträhne um ihren Zeigefinger und sagte: »Ich habe auch eine wunderbare Idee. Wenn du sowieso auf die Filmfestspiele möchtest …«

»Ja?«

»Warum berichtest du dann nicht gleich selbst über die Eröffnungsveranstaltung?«

Verblüfft sah ich sie an. »Das kann ich nicht machen! Ich weiß überhaupt nicht, was genau ich dort tun soll. Du bist diejenige, die seit Jahren nach Cannes fährt. Und du hast selbst gesagt, dass ich mich für dieses Festival-Badge Monate im Voraus anmelden muss.«

»Ach! Das ist alles kein Problem«, sagte Betty leichthin. »Da wir bei derselben Zeitschrift arbeiten, können wir die Akkreditierung garantiert auf deinen Namen umschreiben lassen, und wie das Ganze abläuft, das erkläre ich dir.«

»Aber Bernd …«

»Bernd wird nichts dagegen haben. Lass mich nur machen!« Betty musterte sich kurz im Spiegel und tupfte noch ein wenig Lippenstift auf ihre Oberlippe, dann nahm sie mich am Arm und zog mich nach draußen.

Bernd hatte tatsächlich nichts dagegen, dass ich an Bettys Stelle nach Cannes flog. Netterweise sagte Betty ihm nicht, mein ungewohnter Arbeitseifer sei auf meine angebliche Schwäche für Nik von Hohenstein zurückzuführen, sondern erzählte von meiner großen Liebe zum Film, die ich bisher nur noch nie erwähnt hätte.

»Meinetwegen.« Unser Chef schlug ein Bein über das andere. »Wenn du zwei Tage deines Urlaubs dafür opfern möchtest … Danach ist mein Bedarf an Spontanaktionen für die nächste Zeit gedeckt.«

Ich bemerkte, dass sich Bettys madonnenhafte Züge zu einem Grinsen verzogen.

»Wieso? Was war denn heute sonst noch los?«, fragte ich verwundert.

Bernd lehnte sich erschöpft zurück. Sein Bürostuhl war mit schwarz-weißem Kuhfell überzogen und passte farblich hervorragend zu Bernds Kleidung: Wie immer trug er ein weißes Hemd und eine schwarze Hose. Niemals hätte unser nüchterner Chef sich einen solchen Bürosessel selbst zugelegt. Das Möbelstück war noch ein Relikt von seinem Vorgänger, dem schwulen Ingo. Aber da Bernd seit seiner Bandscheiben-OP in keinem anderen Stuhl sitzen konnte, war der Sessel geblieben. »Es geht um Lieselotte«, sagte er mit einem Stoßseufzer. »Wir hatten ausgemacht, dass sie in der nächsten Reisereportage über Singlereisen im Sauerland berichtet.«

Ich nickte.

»Heute Morgen kam sie auf einmal zu mir ins Büro und sagte, dass das nicht geht.«

»Und warum nicht?« Ich hob die Augenbrauen.

Bernd raufte sich die Haare. Es fiel ihm sichtlich schwer, die folgenden Worte auszusprechen. »Herbert hat etwas dagegen«, stieß er hervor. »Und nun will Lieselotte stattdessen über Kraftorte in Südfrankreich schreiben. Sie fliegt morgen ebenfalls nach Nizza.«

Jemand, der Lieselotte nicht kannte, hätte nun sicherlich vermutet, es handele sich bei Herbert um ihren Mann oder Freund. Tatsächlich war Herbert etwas ganz anderes: eine Wünschelrute. Ein Stab, etwa dreißig Zentimeter lang, mit einem Holzgriff an dem einen und einer silbernen Perle am anderen Ende. Lieselotte befragte Herbert zu all ihren Entscheidungen. Zu ausnahmslos allen! In der Redaktion munkelte man sogar, dass sich Lieselottes Freund nur deshalb von ihr getrennt hatte, weil Herbert auf die Frage, ob sie mit ihm Sex haben sollte, stets kategorisch mit Nein geantwortet hatte.

»Warum lässt du ihr das auch durchgehen?«, fragte Betty so unschuldig, als hätte sie sich niemals geweigert, wegen eines Herpesbläschens an der Oberlippe über die Eröffnungsveranstaltung der Filmfestspiele zu berichten.

Bernd wippte in seinem Kuhfellstuhl ein paar Mal nervös auf und ab. »Meine Frau lässt sich von ihr die Tarotkarten legen«, gab er widerwillig zu. »Sie hält große Stücke auf Lieselotte. Und an sich ist die Idee gar nicht so schlecht«, räumte er ein. Wahrscheinlich hatte er Angst, als Pantoffelheld dazustehen. »Mach ihr bitte morgen auf dem Flug noch einmal unmissverständlich klar, dass Herbert in dieser Reportage auf gar keinen Fall erwähnt werden darf. Sie will nämlich auf Navi und Straßenkarte verzichten und ihre Route ganz dieser bescheuerten Wünschelrute überlassen«, fügte er düster hinzu. »Ich bezweifele, dass sie überhaupt jemals irgendwo ankommt. Bleib also am besten so lange wie möglich in ihrer Nähe. Vielleicht haben wir Glück, und die Kraftorte liegen alle in der Nähe von Cannes.«

Mit gemischten Gefühlen verließ ich das Büro. Nachdem ich das Krankenhaus verlassen hatte, war ich noch so euphorisch gewesen! Kein Wunder, denn da hatte es ja noch so ausgesehen, als wäre die Hochzeit meiner Mutter das Unangenehmste, was mich in den nächsten Tagen erwartete. Nun musste ich nicht nur einen Artikel über die Eröffnungsveranstaltung der Filmfestspiele schreiben, sondern sollte auch noch Kindermädchen für Lieselotte spielen.

Betty dagegen war äußerst positiv gestimmt. »Wunderbar, das war ja ganz unproblematisch«, sagte sie zufrieden. »Ich muss in meinem derangierten Zustand nicht an die Côte d´Azur fliegen, und du bekommst deinen von Hohenstein live zu sehen. Du musst mir unbedingt schreiben, wenn du es geschafft hast, bis zu ihm vorzudringen. Was das wohl für ein Typ ist? Seine Biographie scheint erst anzufangen, als er in Amerika als Schauspieler durchgestartet ist. Aber auch danach hat sich dieser Mensch immer sehr bedeckt gehalten, was sein Privatleben angeht. Man erfährt kaum etwas über ihn. Ein paar Insiderinformationen könnte ich also gut gebrauchen! Ich habe nämlich noch gar keine Ahnung, über was ich in meiner nächsten Klatschkolumne schreiben soll.« Sie betrachtete mich einen Augenblick nachdenklich. »Ein bisschen wundert es mich ja schon, dass du auf Männer im Anzug stehst. Ich hatte deinen Geschmack viel unkonventioneller eingeschätzt. Aber dieses Steife, ein wenig Förmliche macht ja gerade seinen Reiz aus, nicht wahr?« Ihre Augen blitzten, und ihr Mund verzog sich zu einem süffisanten Lächeln. »Man fragt sich zwangsläufig, ob er sich auch dann noch so zugeknöpft gibt, wenn Schlips und Hemd erst einmal aus sind.«

* * *

Nik

»Mensch, Nik! Jetzt mach dich mal locker. Ich gehe doch jetzt noch nicht ins Bett. Der Abend ist schließlich noch jung.« Francesco verschränkte die Arme vor der Brust wie ein trotziges Kind.

Mach dich mal locker! Es fiel mir schwer, nicht laut zu schnauben. Wenn ich jedes Mal, wenn Francesco diesen Satz zu mir gesagt hatte, einen Tausender bekommen hätte, besäße ich jetzt schon eine größere Yacht als die Hiltons.

Egal, ob er gleich am ersten Drehtag völlig verkatert und zwei Stunden zu spät am Set erschien, er sich ein Tattoo des Dalai Lamas auf die Brust tätowieren ließ, oder er darüber nachdachte, zum Islam zu konvertieren und testweise mehrmals täglich einen Teppich ausrollte, um gen Mekka zu beten, stets hieß es: Mach dich mal locker, Nik!

Aber ich war nicht locker, verdammt noch mal. Nicht, wenn es um diesen Film ging … Viereinhalb Jahre hatte ich an Himmel über München gearbeitet!

So geduldig wie möglich erklärte ich Francesco, dass wir nicht zu unserem Vergnügen hier waren, sondern weil wir einen Film promoten wollten. Und morgen Mittag hatten wir bereits unseren ersten Termin: einen Empfang, der von der Auslandsvertretung des deutschen Films ausgerichtet wurde.

Doch natürlich war Widerstand zwecklos.

Francesco wies den Chauffeur an, uns zum Gotha Club zu fahren, einem Nachtclub in Cannes. Es war klar, dass er dorthin wollte, denn an kaum einem anderen Ort an der Côte d´Azur war die Modeldichte am Abend höher. Die Promidichte allerdings auch nicht.

»Kein Mensch beachtet uns«, stellte Francesco betrübt fest, als wir eine halbe Stunde später an der Bar des Gotha Clubs saßen. In Deutschland fiel er mit dem Dutt am Oberkopf, zu dem er seine schulterlangen Haare zusammengefasst hatte, und dem Ledermantel, den er bei allen Temperaturen trug, überall auf, und er war stets von einer Traube von Fans umgeben. In Cannes dagegen musste er sich die Aufmerksamkeit der Schaulustigen mit anderen Prominenten teilen. Mir war es nur recht, einmal nicht im Mittelpunkt zu stehen, doch an Francescos Selbstbewusstsein schien diese Missachtung seiner Person zu nagen.

»In deinem Outfit stichst du einfach nicht genug aus der Masse heraus. Wenn wir das nächste Mal hierherkommen, ziehst du einen schlechtsitzenden Anzug an und hältst den Wachturm hoch«, schlug ich vor.

»Hä!?« Francesco sah mich verständnislos an.

Ich winkte ab. Mir war es immer noch ein Rätsel, wie jemand, der in seinem Privatleben lediglich über drei Gesichtsausdrücke verfügte – gelangweilt, betrunken oder bekifft – und darüber hinaus auch noch die Aufmerksamkeitsspanne eines Grashüpfers hatte, auf den Punkt funktionieren konnte, sobald sich eine Kamera auf ihn richtete. Meine erste Wahl für meinen Film wäre Francesco trotzdem nicht gewesen. Doch Harry Weinstein, der Produzent von Himmel über München, hatte darauf bestanden, ihm die Rolle des Vaters von Luk zu geben, einem Jungen, der aus einem Arbeiterviertel von München kam und der trotz Gewalt, Drogen und Prostitution in seinem Umfeld mit aller Macht seine Träume verfolgte. Harry war mehr an finanziellen als an künstlerischen Aspekten gelegen, und mit Francesco in einer der Hauptrollen war uns der kommerzielle Erfolg sicher. Damit, dass der Film für die Goldene Palme nominiert werden würde, hatte niemand gerechnet. Seit Paris, Texas von Wim Wenders in den 80er Jahren hatte kein deutscher Film mehr diesen Preis gewonnen.

»Prost!« Francesco hielt sein Glas in die Höhe. »Auf deine Scheidung!«

Ich prostete zurück, auch wenn ich den Anlass weitaus weniger erfreulich fand als Francesco. Der hatte das ganze Prozedere allerdings auch schon zweimal hinter sich gebracht. Für mich dagegen war es eine Premiere.

»Bist du froh, dass du Helena los bist?«

»Nein«, antwortete ich wahrheitsgemäß.

»Nein?!«, wiederholte Francesco ungläubig. Er selbst hatte beide Male, nachdem seine Scheidung rechtskräftig geworden war, eine rauschende Party gegeben.

»Es mag dich befremden, aber ich habe sie wirklich gemocht.«

»Ich habe meine Ex-Frauen auch gemocht, aber …«, er zuckte mit den Schultern, »es gibt ja noch genügend andere. Schau dich nur um! Blond, brünett, rothaarig, such dir eine aus! Wenn du endlich mal wieder eine Frau daten würdest, wärst du vielleicht auch entspannter.«

»Ich glaube nicht ans Daten. Ich glaube an Begegnungen.«

»Ach Gottchen, was sind wir heute wieder romantisch.« Francesco stand auf. »Ich muss mal wohin.«

Es fiel mir schwer, ihm nicht auf die Toilette zu folgen. Vielleicht war ich mittlerweile paranoid, aber nach all meinen bisherigen Erfahrungen hatte ich Angst, dass er all das, wofür ich in den letzten Jahren so hart gearbeitet hatte, in letzter Sekunde kaputtmachte, indem er sich auszog und nackt durch den Club flitzte, sich mit einer Minderjährigen einließ oder eine Schlägerei mit jemandem anfing, der völlig zu Recht behauptete, dass ein Dutt bei Männern absolut affig aussah. Düster starrte ich vor mich hin und bemerkte die attraktive Frau im silberfarbenen Kleid mit den hüftlangen blondgesträhnten Haaren erst, als sie schon direkt neben mir stand. Auf ihren High Heels war sie so groß, dass sie selbst die anwesenden Männer fast alle überragte.

»Darf ich mich neben Sie setzen?«, fragte sie. Ihre Stimme war überraschend dunkel. Sie zeigte mit ihrem rotlackierten Finger auf den freien Barhocker.

»Der Stuhl ist leider schon besetzt.« Ich sah mich suchend nach Francesco um und war erleichtert, als ich ihn ein paar Schritte von mir entfernt im Gespräch mit einem britischen Schauspieler sah. Solange er sich nicht mit einem der Jurymitglieder unterhielt und denen bewusst wurde, was für eine Flachpfeife er war, war ich beruhigt.

»Dann bleibe ich eben stehen. Ich habe heute sowieso schon viel zu viel gesessen. Leonie Amberg.« Sie legte ihre Chaneltasche auf den Tresen und reichte mir die Hand.

»Nik von Hohenstein.« Ihr Diamantring grub sich kühl in meine Haut.

»Ich weiß«, sagte sie lächelnd. »Ich habe all Ihre Filme gesehen und bin ein großer Fan von Ihnen. Möchten Sie auch ein Glas Champagner?« Sie legte den Kopf schief.

Eigentlich sollte ich Nein sagen, dachte ich. Aber Leonie Amberg war äußerst attraktiv, meine Scheidung war erst seit ein paar Tagen durch und ich hatte Francesco fest im Blick. Was also sprach dagegen? »Kann ich auch einen Scotch haben?«

Als Francesco sich zehn Minuten später zu uns gesellte und Leonie Amberg sich über den Tresen beugte, um sich einen weiteren Champagner zu bestellen, nahm er mich beiseite.

»Wow, Nik! Eine heiße Schnitte! Da hast du ja schon deine Begegnung.«

Ich zuckte mit den Schultern. »Ich unterhalte mich nur.«

»Mit solchen Frauen unterhält man sich nicht einfach nur«, sagte Francesco mit Kennermiene. Er hob die Hand und rief den Barmann heran. »Noch einen Scotch für meinen Kumpel, und für mich einen Long Island Ice Tea.« Er schlug mir fest auf die Schulter. »Auf der Tanzfläche habe ich ein paar Victoria’s-Secret-Models gesehen. Jetzt lassen wir es krachen, Alter!«

»Ganz bestimmt nicht! Der Empfang …« Ich tippte auf meine Rolex.

»Es ist erst kurz vor elf. Lass uns wenigstens noch bis zwölf bleiben, ja?« Francesco sah mich mit seinen braunen Augen treuherzig an. »Das bist du mir und deiner neuen Freundin schuldig.« Er prostete Leonie Amberg zu, die uns über den Rand ihres Champagnerglases beobachtete.

»Na gut!« Resigniert griff auch ich nach meinem Scotch. »Aber bitte benimm dich. Einen Skandal können wir so kurz vor der Preisverleihung wirklich nicht gebrauchen.«

3. KAPITEL

Amelie

In einer der unzähligen Nächte, in denen ich in den letzten Jahren wach gelegen hatte, weil die Neonreklame der Bar gegenüber hell in mein Zimmer schien und meine Gedanken wie Brummkreisel durch meinen Kopf tobten, war ich aufgestanden und hatte an meinem Laptop das Wort »Heimat« bei Google eingegeben.

Früher hätte ich nicht das Internet gebraucht, um dieses Wort zu erklären. Heimat war für mich Correns, ein winziges Dorf in Südfrankreich, das ziemlich genau zwischen der mondänen Côte d´Azur und dem rauen, ursprünglichen Canyon du Verdon liegt. Ein Dorf, in dem sich vor neunundzwanzig Jahren ein Student aus München in eine junge Frau mit wilden blonden Locken verliebt hatte, die mit ihrem Traktor seinen Ascona rammte. Ein Dorf, in dem es neunzehn verschiedene Brunnen gab und das so winzig war, dass ich dort lange Zeit jedes Huhn beim Namen kannte und zu jedem Klingelschild eine komplette Familiengeschichte herunterrattern konnte.

In Correns hatte ich mit Maman den steinigen Boden im Wald nach Trüffeln durchwühlt, die sie auf dem Wochenmarkt zusammen mit ihrem selbstangebauten Obst und Gemüse für gutes Geld verkaufte. Auf Papas Weinbergen hatte ich süße purpurfarbene Trauben stibitzt und einmal so viele davon gegessen, dass ich am nächsten Tag nicht zur Schule gehen konnte. Im blaugrünen Dorfteich hatte ich meinem kleinen Bruder Felix das Schwimmen beigebracht. Wir waren auch auf Forellenjagd gegangen, und jeden Mittwochabend hatten wir auf den ausgeblichenen Plastikstühlen vor dem Dorfcafé gesessen und auf die Ankunft von Joes Pizzawagen gewartet. Felix und ich liebten die knusprigen Teigräder, die üppig mit Käse, Tomaten, Pilzen und Schinken belegt waren und so herrlich nach Kräutern dufteten. Den Weg nach Hause rannten wir, weil wir es kaum abwarten konnten, bis wir endlich mit unseren Eltern um den runden Küchentisch saßen und die heiße Köstlichkeit aus ihrer Pappschachtel nehmen und essen durften.

Heute würde ich Heimat nicht mehr an einem Ort festmachen, sondern an den Menschen. Denn Orte waren ersetzbar. Menschen waren es nicht.

»Ich kann nicht glauben, dass du freiwillig von hier fortgegangen bist! Es ist so wundervoll hier«, sagte Lieselotte.

Wir hatten eben das Flughafengebäude verlassen, und Nizza begrüßte uns mit einem makellosen blauen Himmel und Temperaturen, die bereits am frühen Morgen über der Zwanzig-Grad-Marke lagen.

Lieselotte streckte ihr Gesicht der Sonne entgegen und seufzte genießerisch. »Die Luft riecht so frisch …«

»Nach Kerosin?!«

»… das Wetter ist viel besser als in Deutschland …«

»Das würdest du nicht sagen, wenn du schon mal einen waschechten Mistral erlebt hättest.«

»… und überall stehen Palmen.«

»Nicht dort, wo ich herkomme. Rund um Correns gibt es nur Krüppeleichen und Weinreben.«

Meine Kollegin sah mich aus ihren grünen, immer ein wenig verschleiert wirkenden Augen überrascht an. »Hast du denn nicht gerne hier gewohnt?« Ihre dicken roten Haare, die sie in der Mitte gescheitelt trug, reichten ihr fast bis zur Hüfte. Ihr langes selbstgebatiktes Kleid wurde von einer Windbö sanft aufgebläht, was sie mehr denn je wie eine verirrte Elfe aussehen ließ. Ich dagegen war, weil es die Veranstalter der Filmfestspiele so verlangten, als Vertreterin der Presse ganz in Schwarz gekleidet – schwarzer, streng geschnittener Hosenanzug, schwarze Ballerinas, schwarze Handtasche. Ich sah aus, als wäre ich auf dem Weg zu einer Beerdigung. Das einzig Leuchtende an mir waren mein silberblonder Bob und der giftgrüne Koffer. Lieselotte und ich mussten ein seltsames Bild abgeben.

»Doch, doch, natürlich habe ich gerne hier gewohnt«, beeilte ich mich zu versichern. »Ich will dir nur vor Augen führen, dass das Leben in Südfrankreich nicht nur Vorteile hat. Nicht, dass du dich erhängst, wenn du wieder im verregneten Deutschland bist …« Ich umarmte Lieselotte. »Ich muss jetzt los zur Autovermietung und den Wagen abholen.«

»Kannst du mich ein Stück mitnehmen?«

Erstaunt hob ich die Augenbrauen. »Willst du deine spirituelle Reise durch die Provence denn nicht gleich hier am Flughafen beginnen?«

Lieselotte schüttelte den Kopf. »Durch die ganzen Strahlungen hier kann ich im Moment überhaupt keine Energien empfangen. Ich sage dir Bescheid, wenn du mich absetzen sollst.«

»Du könntest zur Sicherheit Herbert noch einmal befragen …«

»Er ist der gleichen Meinung.«

»Er ist in deiner Tasche! Wie kannst du wissen, was er will?« Ich zeigte auf Lieselottes Häkelrucksack.

Ich wollte sie so schnell wie möglich loswerden. Dabei war es nicht so, dass ich Lieselotte nicht mochte. Ich mochte sie! Aber ich hatte mich nun schon den ganzen Flug über um sie gekümmert. Zudem hatte ich, wie von Bernd verlangt, versucht ihr klarzumachen, dass sie Herberts Existenz in dem Artikel unbedingt verschweigen sollte. Ich hatte also meine Schuldigkeit getan und musste mich meinen eigentlichen Aufgaben zuwenden.

»Ich weiß es eben«, antwortete Lieselotte und kniff die Lippen zusammen. Die Diskussion war für sie beendet.

»Gut«, seufzte ich schicksalsergeben, »aber ich kann keinen Umweg fahren. Ich habe es eilig.«

Im Gegensatz zu diesem zugeknöpften Regisseur zeigte sich der Hauptdarsteller seines Films, Francesco Rumore, sehr mitteilsam in den sozialen Medien. Auf diese Weise hatte ich in Erfahrung gebracht, dass die gesamte Filmcrew im Martinez in Cannes abgestiegen war. Um zwölf wurde Nik von Hohenstein auf einem Empfang von German Films erwartet. Den Moment, in dem er das Hotel verließ, wollte ich abpassen, um ihm das Porträt von ihm, das ich im Internet gefunden hatte, unter die Nase zu halten. Und das Union-Jack-Kostüm, das ich bei eBay ersteigert hatte – zum Glück war es noch rechtzeitig vor meinem Abflug eingetroffen. Da schon sechs Jahre vergangen waren, seit der Film im Kino gelaufen war, waren diese Anzüge mittlerweile eine echte Rarität, und ich konnte froh sein, noch einen erwischt zu haben. Zwar war er gebraucht und der blaue Stoff an Ellbogen und Knien bereits ein wenig dünn, aber das würde Miro bestimmt nicht auffallen. Hoffentlich blieb der Regisseur lange genug stehen, dass ich ihm von Miros Wunsch, ihn persönlich zu treffen, erzählen und ihm meine Visitenkarte in die Hand drücken konnte.

Ich nahm meinen Koffer und ging auf das würfelförmige, einstöckige Gebäude zu, um meinen Mietwagen abzuholen. Lieselotte folgte mir.

Da meine Mutter mich wegen meines Zwischenstopps in Cannes nicht vom Flughafen abholen konnte, hatte sie darauf bestanden, bei einer Autovermietung in der Nähe der Parkhäuser einen Mietwagen für mich zu buchen.

»Amelie Schneider«, stellte ich mich der jungen Frau hinter dem Schalter vor. »Für mich wurde ein Wagen reserviert.« Die Frau war dünn wie ein Streichholz, hatte kurze schwarze Haare, jede Menge Metall in beiden Ohren – und kam mir vage bekannt vor.

»Amelie!« Plötzlich flog ein breites Lächeln über ihr Gesicht, und sie kam mit ausgebreiteten Armen hinter dem Tisch hervor. Als sie mich umarmte, umhüllte mich ein betäubend intensiver Geruch von Vanille und Sandelholz. Venezia von Laura Biagiotti, kam mir schlagartig in den Sinn, und …

»Cécile?«

Die junge Frau nickte.

Mon dieu! Die Tochter unseres Bürgermeisters hatte sich die Haare abgeschnitten und bestimmt zwanzig Kilo abgenommen. Wusste meine Mutter, dass sie hier arbeitete?

»Wie schön, dich zu sehen!« Cécile umarmte mich noch einmal. »Erzähl! Was machst du im Moment? Es ist so lange her, dass wir uns das letzte Mal gesehen haben.«

»Ich arbeite bei einer deutschen Frauenzeitschrift und werde über die Filmfestspiele berichten. Leider habe ich deswegen überhaupt keine Zeit. Meine Kollegin und ich müssen weiter.« Mit einem Kopfnicken wies ich auf Lieselotte, die mit hochkonzentriertem Gesicht neben dem Getränkeautomaten stand. Sie hielt Herbert in der Hand und hatte ihn garantiert gerade gefragt, ob sie sich eine Flasche Carpe Diem Kombucha classic oder lieber Quitte fresh ziehen sollte.

»Schade, dass ich am Wochenende arbeiten muss. Ansonsten würde ich mir die Hochzeit deiner Mutter nämlich auf gar keinen Fall entgehen lassen. Wann ist in Correns sonst schon mal was los!« Cécile zog ihre sommersprossige Nase kraus. »Sie hat mir ein Foto von dem Kleid gezeigt, dass sie bei der Hochzeit tragen wird. Wunderschön!«

»Wann habt ihr euch denn gesehen?«

»Na, gestern Abend, als sie den Schlüssel vorbeigebracht hat.«

»Von welchem Schlüssel sprichst du?«, fragte ich verwundert.

»Na, von deinem Autoschlüssel.« Cécile ging wieder hinter den Tresen und reichte mir einen Schlüssel, an dem ein kleiner Plüschmarienkäfer baumelte. In meinem Kopf begann es zu brausen. »Ich habe die Ente auf den Mitarbeiterparkplatz gestellt, der ist gleich um die Ecke. Jetzt muss ich aber weitermachen«, sagte sie mit einem Blick auf den Mann im dunklen Businessanzug, der bereits ungeduldig auf seine Uhr schaute. »Bleibst du länger? Vielleicht komme ich Anfang nächster Woche mal nach Hause.«

Ich schüttelte stumm den Kopf und ging, ohne auf Céciles enttäuschte Miene zu achten, hinaus.

»Ihr kanntet euch?«, fragte Lieselotte, die mit einer Flasche Quitte fresh neben mich getreten war.

»Ja, sie ist die Tochter unseres Bürgermeisters.« Ich kniff ein paarmal die Augen zusammen, um das dumpfe Gefühl loszuwerden, das sich in meinem Kopf auszubreiten begann.

Lieselotte und ich gingen zum Parkplatz hinüber, und obwohl ich bereits beim Anblick des Schlüssels gewusst hatte, was mich erwartete, traf es mich unerwartet heftig, das pinkfarbene Auto zu sehen. Ein wenig versteckt parkte es hinter einem Kleinbus.

»Eine Ente! Wie süß!«, rief Lieselotte entzückt. »Ich wusste gar nicht, dass es solche Autos immer noch gibt.«

Ich auch nicht. Zumindest nicht dieses Exemplar. Ich hatte gedacht, Maman hätte es längst verkauft. Meine verschwitzten Finger krampften sich um den abgewetzten Marienkäfer.

Vor vielen Jahren hatten Papa und ich die pinkfarbene Ente bei einer Weinlieferung im Hinterhof eines Kunden entdeckt.

»Lass sie uns kaufen!«, hatte ich gebettelt.

»Diesen Haufen Schrott? Niemals!«, hatte er geantwortet. Doch als ich am Morgen meines achtzehnten Geburtstags mit meinem kleinen Bruder Felix, Maman, Papa und dessen bestem Freund Bruno vor die Tür getreten war, hatte das Auto da gestanden. Der Rost war verschwunden, die zerschlissenen Sitzbezüge waren gegen neue ausgetauscht worden, und eine riesige rote Schleife schmückte die Motorhaube.

»Hast du es restauriert?«, fragte ich Papa. Jetzt wurde mir klar, warum er in den letzten Wochen abends so selten zu Hause gewesen war.

»Ja.« Er grinste vergnügt über die gelungene Überraschung. »Aber Bruno und deine Mutter haben mir ein bisschen geholfen.«

Gerührt drückte ich Papa, Bruno und Maman einen Kuss auf die Wange.

Felix zupfte am Saum meines Sommerkleids. »Ich habe auch ein Geschenk für dich«, sagte er und überreichte mir einen kleinen Stoffmarienkäfer. Er hatte lange Fühler, eine rote Knollennase und schwarze Knopfaugen. Felix zog mich zu sich herunter. »Er heißt Othello, und er soll dir Glück bringen«, flüsterte er mir ins Ohr. Sein Atem kitzelte an meiner Haut.

Ich konnte mich noch so gut an diesen Augenblick erinnern. Felix´ kleine Hand lag warm in meiner, die Sonne schien, Vögel zwitscherten, und in den Lavendelbüschen vor unserem Haus summten Hummeln. Ich war volljährig geworden, hatte gerade ein Auto geschenkt bekommen, und am Abend würde im Garten hinter dem Haus eine große Party stattfinden. Mein ganzes Leben lag vor mir.

Ich trat langsam an die Ente heran. Auch in ihrem Innern hatte sich nichts verändert. Meine CDs lagen noch in der Seitenkonsole, und vom Rückspiegel baumelte noch immer der gelbe Wunderbaum, mit dem ich versucht hatte, den penetranten Ölgeruch zu übertünchen, den das Auto an warmen Tagen ausdünstete. Sogar das Foto von Felix und mir klebte noch am Handschuhfach. Es war am Abend meines achtzehnten Geburtstags aufgenommen worden. Ich blinzelte. In den letzten Jahren war ich nur selten nach Frankreich geflogen. Seit ich von der Beziehung zwischen meiner Mutter und Bruno erfahren hatte, überhaupt nicht mehr. Dachte sie wirklich, ich würde den Weg nach Hause in der Ente leichter finden als in einem Mietwagen?

Aufgewühlt öffnete ich die Fahrertür, warf meinen Koffer und Lieselottes Tasche auf die Rückbank. Lieselotte und ich stiegen ein. Doch bevor ich den Schlüssel ins Zündschloss steckte, löste ich noch den kleinen Plüschmarienkäfer von seinem Ring und steckte ihn ins Handschuhfach. Lieselottes fragenden Blick ignorierte ich.

»Auf nach Cannes!«, rief ich betont munter.