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Eine historische Erzählung aus dem 11. Jahrhundert. Dahns Popularität gründete vor allem auf den historischen Romanen, die sich in den Gründerjahren des Deutschen Reiches außerordentlicher Beliebtheit erfreuten.
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Seitenzahl: 169
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Herzog Ernst von Schwaben
Felix Dahn
Inhalt:
Felix Dahn – Biografie und Bibliografie
Herzog Ernst von Schwaben
Erstes Buch.
I.
II.
III.
IV.
V.
VI.
VII.
VIII.
IX.
Zweites Buch.
I.
II.
III.
IV.
V.
VI.
VII.
Drittes Buch.
I.
II.
III.
IV.
V.
VI.
Viertes Buch.
1.
II
III
IV.
Fünftes Buch.
I.
II.
Sechstes Buch.
I.
II.
III.
Anhang. Herzog Ernst von Schwaben.
Herzog Ernst von Schwaben, Felix Dahn
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
Loschberg 9
86450 Altenmünster
ISBN: 9783849608866
www.jazzybee-verlag.de
Rechtsgelehrter, Geschichtsforscher und Dichter, geb. 9. Febr. 1834 in Hamburg, verstorben am 3. Januar 1912 in Breslau. Studierte 1849 bis 1853 in München und Berlin Rechtswissenschaft, Philosophie und Geschichte und habilitierte sich 1857 in München als Dozent für deutsches Recht, wurde 1862 außerordentlicher Professor daselbst, 1863 ordentlicher Professor in Würzburg, 1869 korrespondierendes Mitglied der Akademie der Wissenschaften in München, 1872 Mitglied des Gelehrtenausschusses des Germanischen Museums in Nürnberg und ordentlicher Professor für deutsches Recht in Königsberg, von wo er 1888 an die Universität Breslau berufen wurde. 1885 ward er zum Geheimen Justizrat ernannt. Als juristischer Schriftsteller hat sich D. bekannt gemacht durch folgende Arbeiten: »Über die Wirkung der Klagverjährung bei Obligationen« (Münch. 1855), »Studien zur Geschichte der germanischen Gottesurteile« (das. 1857), »Das Kriegsrecht« (Würzb. 1870), »Handelsrechtliche Vorträge« (Leipz. 1875), »Deutsches Rechtsbuch« (Nördling. 1877), »Deutsches Privatrecht« (Leipz. 1878,1. Abt.), »Die Vernunft im Recht« (Berl. 1879), »Eine Lanze für Rumänien« (Leipz. 1883), »Die Landnot der Germanen« (das. 1889). Auch besorgte er die 3. Ausgabe von Bluntschlis »Deutschem Privatrecht« mit selbständiger Darstellung des Handels- und Wechselrechts (Münch. 1864). Von seinen geschichtlichen Arbeiten sind hervorzuheben: die Monographie »Prokopius von Cäsarea« (Berl. 1865) und das umfassend angelegte rechtsgeschichtliche Werk »Die Könige der Germanen« (Bd. 1–6, Münch. u. Würzb. 1861–71; Bd. 7–9, Leipz. 1894–1902), ferner: »Westgotische Studien« (Würzb. 1874); »Langobardische Studien« (Bd 1: Paulus Diakonus, 1. Abt., Leipz. 1876); »Die Alamannenschlacht bei Straßburg« (Braunschw. 1880); »Urgeschichte der germanischen und romanischen Völker« (Berl. 1881–90, 4 Bde.); »Geschichte der deutschen Urzeit« (als 1. Band der Deutschen Geschichte in der »Geschichte der europäischen Staaten«, Gotha 1883–88). Von Wietersheims »Geschichte der Völkerwanderung« bearbeitete D. die zweite Auflage (Leipz. 1880–81, 2 Bde.). Seine kleinen Schriften erschienen gesammelt u. d. T.: »Bausteine« (1.–6. Reihe, Berl. 1879–84). Sehr umfangreich ist auch Dahns belletristische Produktion, in der er zumeist altgermanische Stoffe mit modernem Leben verbrämt und eine entschieden nationale Gesinnung zur Schau trägt. Seine gründlichen historischen Studien kamen dem Dichter zu gute. Weitaus das beste dieser Werke war der erste historische Roman »Ein Kampf um Rom« (Leipz. 1876, 4 Bde.; 31. Aufl. 1901). Ihm folgten: »Kämpfende Herzen«, drei Erzählungen (Berl. 1878; 6. Aufl., Leipz. 1900); »Odhins Trost« (1880, 10. Aufl. 1901); »Kleine Romane aus der Völkerwanderung« (1882–1901, 13 Bde., und zwar: 1. »Felicitas«, 2. »Bissula«, 3. »Gelimer«, 4. »Die schlimmen Nonnen von Poitiers«, 5. »Fredigundis«, 6. »Attila«, 7. »Die Bataver«, 8. »Chlodovech«, 9. »Vom Chiemgau«, 10. »Ebroin«, 11. »Am Hofe Herrn Karls«, 12. »Stilicho«, 13. »Der Vater und die Söhne«, von denen die meisten in einer Reihe von Auflagen vorliegen); hierzu kommen: »Die Kreuzfahrer«, Erzählung aus dem 13. Jahrh. (1884, 2 Bde.; 8. Aufl. 1900); »Bis zum Tode getreu«, Erzählung aus der Zeit Karls d. Gr. (1887, 15. Aufl. 1901); »Was ist die Liebe?« (1887,6. Aufl. 1901); »Frigga's Ja« (1888, 2. Aufl. 1896); »Weltuntergang«, geschichtliche Erzählung aus dem Jahre 1000 n. Chr. (1889); »Skirnir« (1889); »Odhins Rache« (1891, 4. Aufl. 1900); »Die Finnin« (1892); »Julian der Abtrünnige« (1894, 3 Bde.); »Sigwalt und Sigridh« (1898); »Herzog Ernst von Schwaben« (1902), sämtlich in Leipzig erschienen. Ferner schrieb D. die epischen Dichtungen: »Harald und Theano« (Berl. 1855; illustrierte Ausg., Leipz. 1885); »Sind Götter?. Die Halfred Sigskaldsaga« (Stuttg. 1874; 7. Aufl., Leipz. 1901); »Die Amalungen« (das. 1876); »Rolandin« (das. 1891). Seine dramatischen Werke sind: »Markgraf Rüdiger von Bechelaren« (Leipz. 1875); »König Roderich« (1875, u. Ausg. 1876); »Deutsche Treue« (1875,3. Aufl. 1899); »Sühne« (1879,2. Ausg. 1894); »Skaldenkunst« (1882), und die Lustspiele: »Die Staatskunst der Frau'n« (1877) und »Der Kurier nach Paris« (1883); endlich das Festspiel »Funfzig Jahre« (1962, sämtlich Leipzig). Auch verschiedene Operntexte hat D. verfaßt: »Harald und Theano« (Leipz. 1880, nach seiner epischen Dichtung); »Armin« (das. 1880, Musik von Heinrich Hofmann); »Der Fremdling« (das. 1880); »Der Schmied von Gretna-Green« (das. 1880). Desgleichen war D. als Lyriker rege tätig: auf seine »Gedichte« (Leipz. 1857; 2. durchgesehene Auflage u. d. T.: »Jugendgedichte«, das. 1892) folgten: »Gedichte, 2. Sammlung« (Stuttg. 1873, 2 Bde.; 3. Aufl., Leipz. 1883); dann: »Zwölf Balladen« (das. 1875); »Balladen und Lieder«, 3. Sammlung der »Gedichte« (das. 1878, 2. Aufl. 1896); 4. Sammlung, mit seiner Gattin Therese (das. 1892); 5. Sammlung (»Vaterland«, das. 1892); endlich eine »Auswahl des Verfassers« (das. 1900). Außerdem sind zu nennen Dahns Schriften: »Moltke als Erzieher« (5. Aufl., Bresl. 1894) und die sehr breiten »Erinnerungen« (Leipz. 1890–1895,4 Bücher in 5 Bänden). Seine »Sämtlichen Werke poetischen Inhalts« erschienen Leipzig 1898–1899 in 21 Bänden; neue Folge 1903ff. Mit seiner Gattin Therese (gebornen Freiin von Droste-Hülshoff, geb. 28. Mai 1845 in Münster) verfaßte er: »Walhall. Germanische Götter- und Heldensagen« (12. Aufl., Leipz. 1898). Von ihr allein erschien noch mit einer Einleitung des Gatten: »Kaiser Karl und seine Paladine. Sagen aus dem Karlingischen Kreise« (Leipz. 1887).
Erzählung aus dem elften Jahrhundert
Motto: –
" Ernestus, dux et decus Alamannorum" Necrologia St. Galli ed. Dümmler et Wartmann p. 50.
Im Jahre eintausendvierundzwanzig vereinte das Pfingstfest ein paar geistliche Große in der Schwarzwald-Villa Eberhof des betagten Herzogs Ernst von Schwaben. In der weiten Halle des Mittelbaus stand in der Nische des einzigen großen offnen Rundbogens am Morgen des Pfingstsonntags ein Mann in reicher bischöflicher Tracht in vertrauter Zwiesprach mit einem erheblich Jüngeren im schwarzen Priestergewand, der ehrerbietig in das kluge, überlegen blickende Auge, in die feinen, scharf geschnittenen Züge des Ältern emporsah.
"Versäume nicht," begann dieser, "die Briefe, die ich dir diktiert, – wenigstens die drei in Geheimschrift – durch verlässige Boten heute noch abzusenden." – "Heute, bischöfliche Gnaden? An so hohem Feiertag? Da sind Botenfronden nicht zu verlangen. Ja, verboten." – "Ich entbinde vom Verbot und bezahle die Ritte: dann sind es nicht Fronden. Es eilt, kann wenigstens eilen. Die Nachrichten von Kaiser Heinrich lassen dessen baldigen Heimgang erwarten. Vorher müssen alle Gutgesinnten sich über die Nachfolge verständigt haben. Das kostet Zeit und Mühe. Drum eile, mein Gozelo."
Der Priester verneigte sich, dann begann er leise, nachdem er vorsichtig zum Fenster hinausgespäht, "mein hoher Hirt, ist eine Frage verstattet?" – "Frage. Ich kann mir denken ..." – "Wohlan: weshalb habt Ihr nicht zum Nachfolger ...?" – "Unsern Hausherrn hier ausersehn, nicht wahr?" – "Allerdings. Denn – nicht mir steht ein Urteil zu in solchen Dingen! – alle, aber auch alle Eure geistlichen Amtsbrüder, Herr Erzbischof, und fast auch alle Fürsten, stimmen überein in dem hohen Lob des alten Ernst, wie sie sagen: ihn loben seine dankbaren Bauern, seine Kirchen und Klöster, tapfer, aber friedfertig, gerecht, aber mild, weise, aber nicht arglistig, treu verlässig! ..." – "Hör' auf," der Erzbischof winkte mit der Hand und eine Falte zog sich zusammen auf der stolzen Stirn. "Man könnte neidisch werden. Du ahnst nicht, Freund Gozelo, wie jedes deiner Worte ihm schadet." – "Schadet!? Sind's doch Worte höchsten Lobes." – "Eben deshalb! Du hast ganz recht: ohne Zweifel einstimmig würde der Schwabenherzog gewählt, würde er aufgestellt oder stellte er sich selbst auf – woran sein schlichter Sinn nicht denkt. Gerade darum ist er nicht der König, den ich – vielmehr die heilige Kirche und zumal das Erzstift von Sankt Bonifacius – brauchen kann." – "Ich verstehe nicht!" – "Merk' auf, aber schweige. Seid klug wie die Schlangen, mahnt der Herr. Wohlan! Ernst würde die Krone nur sich selber danken, keinem zu Vergelt verpflichtet sein. Der künftige König aber soll seine Krone mir verdanken – d. h. der heiligen Kirche. Und teuer, wahrlich – soll er sie bezahlen: nicht mir, nicht dem sündigen Menschen Aribo, sondern der Kirche und dem Erzstift Mainz."
Der Priester staunte ihn an: "Ihr seid ein Meister der Gedanken. Und nicht bloß der geistlichen. – Und Ihr glaubt, er fügt sich Eurem Wahlkandidaten?" – "Ohne Zweifel – der Vater. Anders – vielleicht – der Sohn." – "Der junge Ernst? Ja, ,Herr Hastemut' nennt ihn das Volk. Er ist gar feurig, gar ungestüm." – "Auch ›Herr Hochgemut‹ könnte er heißen. Der Hitzkopf will gar hoch hinaus. Königs- und Kaiserkronen hängen dem Ehrgeizigen nicht zu hoch. Aber es hat gute Wege mit seinem Flug, solange der Vater lebt und ihn bändigt. Er liebt den Alten heiß und folgt ihm blind. So hat es keine Gefahr. Aber still – man kommt. Fort! besorge die Briefe."
Aus dem Innern des Hauses trat nun Hand in Hand ein Paar: eine durch blendende Schönheit mehr noch als durch prachtvolle, sorgfältig gewählte Gewandung auffallende Frau: die erste Jugendblüte war ersetzt durch die Vollentfaltung üppiger Reize: unwillkürlich ruhte auf ihr der Blick des Erzbischofs in langer Prüfung. Da traf ihn der Ruf des stattlichen Gemahls: denn das war offenbar der ältere Mann im grünen Jagdgewand, der sie an der Hand führte. "Eia, hochwürdiger Herr Erzbischof, nicht wahr, Euch gefällt sie auch? – Trotz all Eurer Heiligkeit! – Gisela, meine Frau Herzogin, die man das schönste Weib auf deutscher Erde nennt?" – "Ich kenne auch die welsche und die wendische und füge beide hinzu," sprach Aribo sich leicht verneigend. "Vergebt mein Anstarren, hohe Frau. Aber ich habe Euch ein Jahr nicht mehr erschaut – und Ihr habt es fleißig verwendet, noch schöner zu erblühen."
Mit unschuldigem Lächeln reichte sie ihm die weiche, wohlgepflegte Hand zum Kusse hin: "Ich würde es nicht vergeben, wenn ich Euch nicht gefiele. Ich brauche das Lob aller Männer." – "Sogar noch ihres alten Ehemanns," bekräftigte der. "Und nun, frommer Seelenhirt, entbindet mich von einem kirchlichen Verbot." – "Ich errate: Jagdspeer und Jagdgewand! Ihr wollt am heiligen Pfingstfest das wilde blutige Weidwerk treiben, harmloser, wehrloser Rehe und Hirsche Blut vergießen! Ei ei, das ist den Heiligen leid." – "Nicht doch, Erzbischof. Nicht Hirsch noch Rehlein gilt's. In aller Morgenfrüh kam mein Meier vom Ebergrundhof gelaufen, ließ mich wecken und wehklagte laut. Der grimmige Keiler aus dem Bachensul, der früher nur die Saat der Vorwerke zerbrochen, ist jetzt bis ins Herz der Meierei gedrungen, hat die Knechte und die Saurüden angenommen, drei Hunde geschlitzt und einen Ochsenbuben getötet. Die Leute wagen sich nicht mehr aus ihren Hütten. Meinen Bauern muß ich helfen: – sogleich – nicht erst übermorgen! Die Heiligen müssen schon verzeihen. Warum helfen sie nicht selbst? Reitet nach mit Frau Gisela. Auch der ehrwürdige Herr Burchard, Euer Amtsbruder von Worms, erachtet es nicht als Sünde, hinter dem Jagdzug drein zu traben, hinaus und in den wunderschönen Pfingstsonntagmorgen unsres lieben Herrgotts hinein. Kommt mit! Die Messe habt ihr ja schon gesungen. Hört Ihr die Hörner der Jägerei draußen im Hof? Sie blasen den Ebergruß. Hinaus zum edlen Weidwerk und – vor allem! – zum Bauernschutz. Der ist des Markherrn heilige Pflicht."
Alsbald setzte sich der kleine Jagdzug in Bewegung in dem leuchtenden Morgenschein des Sommertags. Der Frühtau war reichlich gefallen: jeder kleine Halm der Wiese funkelte und glitzerte im Sonnenlicht: die Heidelerche stieg tirilierend in den lichtblauen Himmel, immer höher und höher ihre Kreise ziehend: alles atmete Friede, Freude, heitres Leben der Natur. Ein gut Stück vorauf kam der Herzog mit den berittenen Jägern, den Treibern und den Meutewärtern zu Fuß. Es folgte eine zweite Schar geführt von zwei stattlichen Jünglingen, denen sich auf seinem Maultier ein hoher Geistlicher angeschlossen hatte. In weitem Abstand von diesem trabten langsam die Herzogin, Aribo und beider Gefolge.
"Herr Bischof Burchard, mein lieber Taufvater," rief der jüngste der beiden Ritter – angenehm klang die helle, wohllautreiche Stimme – und warf mit anmutiger Bewegung die hellbraunen Locken zurück, "wie freu' ich mich, wie freut sich alles im Hause, zeigt Ihr wieder einmal das milde, kluge Gesicht unter uns. Von mir ganz zu schweigen: – aber der Vater, die Mutter, auch dieser viel schlimme Werner da, der sonst den frommen Herren nicht gar wohl will."
Der Gescholtene, ein paar Jahre älter, antwortete rasch mit scharfem Ton und furchte die tiefschwarzen Brauen: "Mit Vergunst, Freund Ernst – die Frommen schätz' ich hoch: aber es sind nicht alle fromm, die geschoren sind. Die Tonsur soll dem heiligen Geist das Eindringen in das Gehirn erleichtern: – aber oft gelangt er doch nicht hinein."
Der Bischof, ein Mann von gar ehrwürdigem, aber vor allem freundlich gütevollem Antlitz, erhob strafend den Zeigefinger der Rechten: doch das Scheltwort erstarb ihm unter einem Lächeln, als er den Jüngling in das etwas allzuscharf geschnittene, aber edle und kühne Antlitz, die blitzenden, obwohl tiefschwarzen Augen sah: "Jung Werner, jung Werner! Du lernst nicht Zucht!" mahnte er milde. – "Ah," lachte der bitter, ja grimmig, "von wem sollte jung Werner sie lernen? Der Bastard hat keinen Vater, sagt das scheußliche Recht eures scheußlichen Reichs. Und eine Mutter zwar hat er. Aber die meine," – hier preßte er die seinen Lippen zusammen, und strich über den Anflug des schwarzen Bartes – "die meine macht's dem Vater nach. Sie gebar mich und verschwand, diese zärtliche ..." – "Schweig!" gebot jetzt der Bischof tief ernst. "Lästre sie nicht! Wer weiß, was sie gezwungen hat, zu verschwinden." – "Und mein Vater?" meinte der andre, reicher gewandete Ritter "hat er nicht an dir –?" – "Vaterstelle hat er an mir vertreten," rief der Schwarzlockige jetzt mit weicherer Stimme, ja gerührt. "Schande mir, vergaß' ich's je. Er hat den Säugling, den er, halberstarrt, eines Morgens vor dem Tore seiner Burg liegend fand, aufgehoben, hat ihn in sein Haus aufgenommen, ihn mit dem eignen Knaben, als dieser später zur Welt kam, zusammen erzogen. Er hat mir mit dem Sohn zugleich bei Kaiser Heinrich den Rittergurt erbeten und mir seine alte Feste, die efeugrüne Kiburg, zu Lehen gegeben, so daß ich niemand als ihm zu dienen habe! Also nicht Mangel ist es, was den Bastard, den Bankert ergrimmt gegen dies heilige römisch-deutsche Reich und sein widerrechtlich Recht! Nur der Haß – wider alle Natur! – gegen den eignen Vater, der mir offenbar die Mütter verführt und treulos verlassen hat. Fluch über ihn." Und grimmig ballte er die Faust um den Schwertgriff. "Pfui du Frevler. Weh der Sünde!" schalt nun der Bischof. "Nimm das Wort zurück." – "Nie, solang ich lebe," knirschte der Jüngling und erbleichte vor Erregung. – "Laßt ihn, Vater Burchard," mahnte der Herzogsohn. "Es hilft nichts. Wie oft haben der Vater, die Mutter ..." – "Frau Gisela," lachte Werner. "Wenig liebt sie mich. Hat auch zu viel an die eigne Schönheit und die Kleider aus Burgund zu denken, um für andre Zeit zu haben: kaum für den Gatten und den Sohn."
Verstimmt hob dieser an: "Wohlan, mein Vater sollte dir genügen! Ist's ein Mann!" – "Der beste, den ich kenne unter der Sonne," rief der Bischof. "Das Herz des Kindes und des Weisen Haupt. Jedem Menschen, der ihm naht, muß er was Liebes tun: bevor ist ihm nicht wohl. Seht ihr, Knaben, darin ist er auch überlegen – dem einzigen Mann; den man ihm sonst vergleichen mag." – "Wer ist das?" forschte Ernst eifrig. – "Ich ahne," brummte Werner, wieder die Brauen furchend. "Ihr meint Konrad, den Frankenherzog. Ich haß' ihn." – "Werner, es braucht viel Langmut, all deinen vielen Haß zu ertragen. Wer viel haßt, lebt nicht lang." – "Mag ich gar nicht." – "Ja, ich meine den Frankenherzog. Er ist klug, tapfer und willensstark, wie nur noch Herzog Ernst. Was hast du gegen ihn?" – "Was ich gegen ihn habe?" schrie Werner, vor Zorn erbleichend. "Den tödlichen Haß der Rache für gekränkte Ehre." – "Er? Der gerechteste der Männer!" – "Der üble Höllenwirt hole ihn und seine Gerechtigkeit! Ich rede mit keinem Menschen davon, das verbreitet nur meine Schande. Aber Euch, guter frommer Bischof, will ich's sagen: – 's ist wie Beichte. Denn solcher Rachehaß, wie ich ihn hege, ist Sünde, ich weiß! Aber doch auch nicht Sünde: denn ein, niemals bereu' ich sie, nie leg' ich sie ab. Ah, ich liebe diesen Haß mehr als mein Leben." – "Jung Werner!" mahnte der Bischof, "Was ..., was hat er Euch getan?" – "Den schlimmsten Schimpf: Hört nur!" – "Laßt ihn lieber schweigen," bat Ernst "es macht ihn wütig."
"Nein, ich will's wieder einmal aussprechen – es liegt Wollust in dem Zorn des Wehs. Er hatte – vor Jahren – ein Lanzenstechen – ausgeschrieben, nach Wirzbürg auf Einladung des Bischofs Meinhart, des Rotenburgers, der sein Ohm. Alle seine fränkischen und auch die schwäbischen Ritter waren geladen: – auch ich kam, einen Tag vor dem Erstritt. Er selbst war noch nicht eingetroffen. Aber in seinem Auftrag wies mich der Ehrenherold aus den Schranken – als vaterlos. Mit Schimpf und Schande mußt' ich abreiten – zum Rennwegertor wies mich der Herold hinaus – vor allen Helmen der Lanzengäste. Wütend sandte ich ihm kampflichen Gruß auf Tod und Leben: er ließ mir sagen: des Vaterlosen Kampfgruß sei wie Spreu. Ah, da dacht' ich, sann ich, träumte ich, ihn zu ermorden." – "Unsinniger, Unseliger," schalt der Bischof. – "Beruhigt Euch! Ich hab's ja nicht getan. Und ich hab' es diesem Ernst da versprochen, es nicht zu tun, weil ..." – "Weil der Herr es verbeut." – "Nein, weil's die Ehre verbeut, dieselbe Ehre, die er mir abspricht: diese Ehre, die ich dennoch habe, und halte, rettet sein Leben." – "Beruhige dich!" mahnte Ernst. "Kaiser Heinrich hat dich ja später gegraft, auf meines Vaters Bitten. Dadurch hat er dich ehrlich machen wollen."
Werner zuckte die Achseln. "Ja! Nach dem Recht! Nicht nach gar mancher Männer Achtung. Auf Schritt und Tritt stoß ich auf verachtende Gebärden, wenn auch nicht Worte: – die weiß ich zu rächen! Aber schon ein scheeler Blick, wie dieser Graf Mangold, der Tugendspiegel, sie blickt, läßt mir das Blut siedheiß aufkochen. Auch jetzt noch würde mir der Franke den Zweikampf weigern. Feig ist er nicht, aber eiskalt. Er trägt an des Herzens Stelle einen Eisklumpen. Ich bin gewiß: der kann nichts lieben, nichts auf Erden." – "Doch, kecker Scheltemund, doch! Ich kenne ihn besser! Er liebt so treu das Reich, dies vielbedrohte Reich. Ich weiß, zehnmal würd' er dafür sterben. Das Reich ist des Einsamen Liebe." – "Sonderbarer Geschmack!" höhnte Werner. "Kann ihn nicht teilen. Aber er freilich ist dieses Reiches ein Fürst, ihm strömen dieses Reiches Ehren. Was ist es mir, was gibt es mir, dem Bastard? Nicht einmal mein Recht, mein Recht auf Ehre verschafft es mir. Ich pfeif' auf ..." – "Schweig, Werner!" hemmte ihn Ernst heftig. "Wenn das mein Vater hörte!" – "Ja, der!" bekräftigte der Bischof. "Der und Herr Konrad, sie sind, seit der Kaiser dahinsiecht, des Reiches Stützen. Und hätten wir nicht in deinem Vater, Ernst, den gebornen deutschen König als des kranken Herrn Heinrichs Nachfolger, – wahrlich diesen Konrad müßten wir wählen." – "Nimmermehr!" rief Werner.
Auch Ernst sah verdrossen auf den Bischof. Der ließ lange den prüfenden Blick auf beiden ruhen. "Hütet euch, ihr Voreiligen, maßlos anspruchsvollen, herrschbegierigen Knaben! Ich lese deine Gedanken aus deinen Augen, du feuergeistiger Ernst, und dieser schwarze junge Dämon schürt sie: – er ist dein guter Engel nicht." – "Treu wie Gold ist mir Werner!" rief der Herzogsohn. – "Ich zweifle nicht. Aber es ist keine Himmelsflamme, die in ihm lodert. Beide denkt ihr schon weit hinaus über Herrn Heinrichs letzte Tage: ja ihr denkt schon hinaus über Herzog Ernst –"
Der junge Ernst errötete und wandte das Antlitz zur Seite.
"Du denkst dich," fuhr der Bischof fort, "schon als Königssohn, ja an des Vaters Grab ..." – "Nein, nein!" rief Ernst, aber seine Stimme schwankte. – "Du träumst dich schon als deutschen König, als König von Burgund – kraft des Erbes deiner Mutter – ja als römisch-deutschen Kaiser, der die Krone nahm zu Rom." – "Und recht hat er in alle dem! Und nicht Träume sollen's bleiben, wahr soll alles werden! Bei meinem Schwert!" Und klirrend schlug Werner an die Scheide.