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Dieser Band beinhaltet die folgenden Erzählungen: Odins Rache Friggas Ja. Die Finnin Dahns Popularität gründete vor allem auf den historischen Romanen, die sich in den Gründerjahren des Deutschen Reiches außerordentlicher Beliebtheit erfreuten.
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Seitenzahl: 255
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Nordische Erzählungen
Felix Dahn
Inhalt:
Felix Dahn – Biografie und Bibliografie
Odins Rache
I.
II.
III.
IV.
V.
VI.
VII.
VIII.
IX.
X.
XI.
XII.
XIII.
XIV.
XV.
XVI.
XVII.
Friggas Ja.
I.
II.
III.
IV.
V.
VI.
VII.
VIII.
IX.
X.
XI.
XII.
XIII.
XIV.
XV.
XVI.
Die Finnin
I.
II.
III.
IV.
V.
VI.
VII.
VIII.
IX.
X.
XI.
XII.
XIII.
XIV.
XV.
XVI.
XVII.
XVIII.
XIX.
XX.
XXI.
Nordische Erzählungen, F. Dahn
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
Loschberg 9
86450 Altenmünster
ISBN: 9783849608897
www.jazzybee-verlag.de
Rechtsgelehrter, Geschichtsforscher und Dichter, geb. 9. Febr. 1834 in Hamburg, verstorben am 3. Januar 1912 in Breslau. Studierte 1849 bis 1853 in München und Berlin Rechtswissenschaft, Philosophie und Geschichte und habilitierte sich 1857 in München als Dozent für deutsches Recht, wurde 1862 außerordentlicher Professor daselbst, 1863 ordentlicher Professor in Würzburg, 1869 korrespondierendes Mitglied der Akademie der Wissenschaften in München, 1872 Mitglied des Gelehrtenausschusses des Germanischen Museums in Nürnberg und ordentlicher Professor für deutsches Recht in Königsberg, von wo er 1888 an die Universität Breslau berufen wurde. 1885 ward er zum Geheimen Justizrat ernannt. Als juristischer Schriftsteller hat sich D. bekannt gemacht durch folgende Arbeiten: »Über die Wirkung der Klagverjährung bei Obligationen« (Münch. 1855), »Studien zur Geschichte der germanischen Gottesurteile« (das. 1857), »Das Kriegsrecht« (Würzb. 1870), »Handelsrechtliche Vorträge« (Leipz. 1875), »Deutsches Rechtsbuch« (Nördling. 1877), »Deutsches Privatrecht« (Leipz. 1878,1. Abt.), »Die Vernunft im Recht« (Berl. 1879), »Eine Lanze für Rumänien« (Leipz. 1883), »Die Landnot der Germanen« (das. 1889). Auch besorgte er die 3. Ausgabe von Bluntschlis »Deutschem Privatrecht« mit selbständiger Darstellung des Handels- und Wechselrechts (Münch. 1864). Von seinen geschichtlichen Arbeiten sind hervorzuheben: die Monographie »Prokopius von Cäsarea« (Berl. 1865) und das umfassend angelegte rechtsgeschichtliche Werk »Die Könige der Germanen« (Bd. 1–6, Münch. u. Würzb. 1861–71; Bd. 7–9, Leipz. 1894–1902), ferner: »Westgotische Studien« (Würzb. 1874); »Langobardische Studien« (Bd 1: Paulus Diakonus, 1. Abt., Leipz. 1876); »Die Alamannenschlacht bei Straßburg« (Braunschw. 1880); »Urgeschichte der germanischen und romanischen Völker« (Berl. 1881–90, 4 Bde.); »Geschichte der deutschen Urzeit« (als 1. Band der Deutschen Geschichte in der »Geschichte der europäischen Staaten«, Gotha 1883–88). Von Wietersheims »Geschichte der Völkerwanderung« bearbeitete D. die zweite Auflage (Leipz. 1880–81, 2 Bde.). Seine kleinen Schriften erschienen gesammelt u. d. T.: »Bausteine« (1.–6. Reihe, Berl. 1879–84). Sehr umfangreich ist auch Dahns belletristische Produktion, in der er zumeist altgermanische Stoffe mit modernem Leben verbrämt und eine entschieden nationale Gesinnung zur Schau trägt. Seine gründlichen historischen Studien kamen dem Dichter zu gute. Weitaus das beste dieser Werke war der erste historische Roman »Ein Kampf um Rom« (Leipz. 1876, 4 Bde.; 31. Aufl. 1901). Ihm folgten: »Kämpfende Herzen«, drei Erzählungen (Berl. 1878; 6. Aufl., Leipz. 1900); »Odhins Trost« (1880, 10. Aufl. 1901); »Kleine Romane aus der Völkerwanderung« (1882–1901, 13 Bde., und zwar: 1. »Felicitas«, 2. »Bissula«, 3. »Gelimer«, 4. »Die schlimmen Nonnen von Poitiers«, 5. »Fredigundis«, 6. »Attila«, 7. »Die Bataver«, 8. »Chlodovech«, 9. »Vom Chiemgau«, 10. »Ebroin«, 11. »Am Hofe Herrn Karls«, 12. »Stilicho«, 13. »Der Vater und die Söhne«, von denen die meisten in einer Reihe von Auflagen vorliegen); hierzu kommen: »Die Kreuzfahrer«, Erzählung aus dem 13. Jahrh. (1884, 2 Bde.; 8. Aufl. 1900); »Bis zum Tode getreu«, Erzählung aus der Zeit Karls d. Gr. (1887, 15. Aufl. 1901); »Was ist die Liebe?« (1887,6. Aufl. 1901); »Frigga's Ja« (1888, 2. Aufl. 1896); »Weltuntergang«, geschichtliche Erzählung aus dem Jahre 1000 n. Chr. (1889); »Skirnir« (1889); »Odhins Rache« (1891, 4. Aufl. 1900); »Die Finnin« (1892); »Julian der Abtrünnige« (1894, 3 Bde.); »Sigwalt und Sigridh« (1898); »Herzog Ernst von Schwaben« (1902), sämtlich in Leipzig erschienen. Ferner schrieb D. die epischen Dichtungen: »Harald und Theano« (Berl. 1855; illustrierte Ausg., Leipz. 1885); »Sind Götter?. Die Halfred Sigskaldsaga« (Stuttg. 1874; 7. Aufl., Leipz. 1901); »Die Amalungen« (das. 1876); »Rolandin« (das. 1891). Seine dramatischen Werke sind: »Markgraf Rüdiger von Bechelaren« (Leipz. 1875); »König Roderich« (1875, u. Ausg. 1876); »Deutsche Treue« (1875,3. Aufl. 1899); »Sühne« (1879,2. Ausg. 1894); »Skaldenkunst« (1882), und die Lustspiele: »Die Staatskunst der Frau'n« (1877) und »Der Kurier nach Paris« (1883); endlich das Festspiel »Funfzig Jahre« (1962, sämtlich Leipzig). Auch verschiedene Operntexte hat D. verfaßt: »Harald und Theano« (Leipz. 1880, nach seiner epischen Dichtung); »Armin« (das. 1880, Musik von Heinrich Hofmann); »Der Fremdling« (das. 1880); »Der Schmied von Gretna-Green« (das. 1880). Desgleichen war D. als Lyriker rege tätig: auf seine »Gedichte« (Leipz. 1857; 2. durchgesehene Auflage u. d. T.: »Jugendgedichte«, das. 1892) folgten: »Gedichte, 2. Sammlung« (Stuttg. 1873, 2 Bde.; 3. Aufl., Leipz. 1883); dann: »Zwölf Balladen« (das. 1875); »Balladen und Lieder«, 3. Sammlung der »Gedichte« (das. 1878, 2. Aufl. 1896); 4. Sammlung, mit seiner Gattin Therese (das. 1892); 5. Sammlung (»Vaterland«, das. 1892); endlich eine »Auswahl des Verfassers« (das. 1900). Außerdem sind zu nennen Dahns Schriften: »Moltke als Erzieher« (5. Aufl., Bresl. 1894) und die sehr breiten »Erinnerungen« (Leipz. 1890–1895,4 Bücher in 5 Bänden). Seine »Sämtlichen Werke poetischen Inhalts« erschienen Leipzig 1898–1899 in 21 Bänden; neue Folge 1903ff. Mit seiner Gattin Therese (gebornen Freiin von Droste-Hülshoff, geb. 28. Mai 1845 in Münster) verfaßte er: »Walhall. Germanische Götter- und Heldensagen« (12. Aufl., Leipz. 1898). Von ihr allein erschien noch mit einer Einleitung des Gatten: »Kaiser Karl und seine Paladine. Sagen aus dem Karlingischen Kreise« (Leipz. 1887).
Kann Liebe verraten? Liebe kann nicht verraten
Meiner lieben Schwester Constanze von Bomhard
Still, wie träumend in trauerschwerem Schweigen, lag Gladhsheim, Odins Haus, das doch von der Freude den Namen führt, in Asgard. Kein Laut drang hierher von dem ehernen Schall der Waffenspiele der Einheriar, von dem fröhlichen Lärm ihres Gelages in Walhall: denn ein Wald von hochwipfeligen, dunkelblättrigen Eschen trennte von jenen weiten Räumen der Kampfübung und der Feste des Gottes einsame Heimstätte.
Auf dem dreieckigen Giebel oberhalb der hohen Eingangsthüre saß, in wacher Spähe, sein Adler. Auf der obersten der zwölf Stufen von schwarzem Gestein, die zu dem Eingang emporführten, lagen, lang ausgestreckt, die spitzen, klugen Köpfe auf die Vorderpfoten gedrückt, im Halbschlaf, seine beiden Wölfe; nur manchmal schlugen sie blinzelnd ein Auge auf, scholl aus dem Eschicht der Ruf eines Vogels an ihr Ohr. Aber das war selten. Alles still: wie in Träumen, in Harren, in Sehnen versunken. –
In der Ferne, tief unten auf der Erde, neigte nach dem langen Sommertag die Sonne allmählich dem Versinken zu.
In der Halle, deren eichengetäfelte Wände als einziger Schmuck mannigfaltige Waffen bedeckten, war das Feuer auf dem breiten Steinherd in der Mitte des Hintergrundes, stark herabgebrannt, dem Erlöschen nah: nur zwei dicke Ulmen-Wurzelknorren glimmten noch fort: ein schmaler Streifen weißgelben Rauches zog daraus kreiselnd nach oben und suchte in den Luken des Dachgebälkes zögernd den Ausgang.
Zur Rechten des Herdes erhob sich, auf einigen Holzstufen erhöht, der Hochsitz des Saals; der Rücken ward von der Querwand desselben gebildet; die Querbank und die beiden rechtwinkelig von derselben auslaufenden Seitenbänke überdeckten kostbare Felle, die Jagdbeute des Hausherrn; die zierlich geschnitzte Brüstung und die Geländer zu beiden Seiten der Stufen trugen eingeritzte Runen.
In der rechten Ecke der Querbank lehnte Odin, in Sinnen und Träumen versunken; er hatte den Ellbogen auf das breite Geländer gestützt und ruhte das mächtige Haupt auf der offnen Hand; er trug nur das enganliegende dunkelblaue Wams; Mantel und Hut hingen an der Wand, daneben lehnte der Speer; in der andern Ecke der Halle stand die hohe Harfe mit dem silberweißen Schwanenbug: aber gar viele Saiten waren gesprungen; wirr hingen sie herab.
Leise knisterten die Kohlen auf dem Herd.
So ganz verloren in seine Träume war der Einsame, – er gewahrte es nicht, daß durch die freilich nur ein weniges und gar sacht geöffnete Thür eine schlanke Gestalt in die dämmerdunkle Halle glitt: hatte er doch die Augen – beide Augen: denn damals war noch der Gang zu den Nornen nicht geschehen – geschlossen in seinem Sinnen und Brüten.
Weder der kluge Adler noch die Wölfe, die wachen Hüter, hatten die Annäherung des Besuches gemeldet: der Vogel drückte die goldfarbigen Augen ein wenig zu, nachdem er schon von weitem die Kommende erkannt; und die treuen Wölfe witterten bei dem nahenden Schritt nur kurz dem Wind entgegen: – dann senkten sie gleich wieder die leicht erhobenen Köpfe.
Unvermerkt trat die junge Frau in dem weißen Untergewand und braunen Mantel mit schwarzer Kopfhülle hinter den Sinnenden. Sie sah ihm recht ähnlich mit den dunkeln, klugen, eindringlich blickenden Augen unter starken Brauen, und mit dem feingeschnitten kleinen Mund: aber ihr prachtvoll reiches Haar flutete tief schwarz, nicht braun; und sie zählte gar viele Winter weniger. Sie reckte sich nun ein wenig auf den Zehen, hob die beiden Hände über die Wandlehne der Bank und legte sie zärtlich auf seine beiden Augen: "Wer ist's?" Lieblich klang die leise Frage.
Sanft langte er hinauf, schob ihre Hände, diese festhaltend, zur Seite, und richtete einen liebevollen Blick empor in ihr schmales Antlitz: "nur meine Schwester," sprach er, "zaubert also mit der Stimme."
Sie glitt nun hinter der Bank hervor und setzte sich neben ihn. Ernsthaft, prüfend, ruhte ihr Blick auf dem gewaltigen Antlitz. Nach einer Weile begann sie, über seine nervige, magere Rechte streichend, die dem Fange des Adlers glich: "Sonst suchtest du mich; nunmehr muß ich dich suchen, soll ich dich sehen. Ist das wohlgethan?"
"Es ist wohlgethan." – "Weshalb?" – "Weil nichts Erfreuliches an mir zu sehen ist." – "Soll ich nur deine Freude teilen dürfen?" – "Ja. Laß mir allein ... das andere." – "Was ist dies andere? Es ängstet mich, quält mich ... Seit Wochen schon währt das Unheimliche: ich meine, seit du aus Norge zurückkamst."
Ein müdes, wehmütiges Lächeln zog um den bärtigen Mund: es ließ ihm gut. "Du hast scharfe Augen, Schwesterlein."
"Nur ein Schwester herz. – Jawohl! Es ist so! Vor dem Aufbruch zu jener einsamen Wanderfahrt ..., wie hell, wie freudig hattest du noch am Abend zuvor die Harfe geschlagen, – hier, für mich und meinen lieben Mann allein. Und nun! Wie verwaist, wie verwahrlost steht sie dort in der Ecke! Keinen Ton mehr vernahmen wir!"
Er warf einen kurzen Blick auf die wirren gesprungenen Saiten. "Ich! ... Singen? ... Ich werde die Harfe verschenken ... Willst du sie? Singe dazu das Glück deiner Seele: deine Liebe!"
Die junge Frau erschrak; mit hastiger Bewegung wandte sie das Gesicht so gegen ihn, daß sie ihm voll in die Augen sehen konnte. Allein er hatte sie halb zugedrückt, wie er pflog, wann er sann oder Schmerzen verbarg.
"Wer soll," rief sie, "an diese Saiten rühren? – Odin ohne seine Harfe! Soll aller Wohlklang verstummen in Asgard? – Bruder, wie krank muß deine Seele sein! – Was quält dich? Wohl weiß ich: schwer lastet auf dir die Sorge um das All, um Götter und Menschen und alle guten Wesen. Allein du darfst dich nicht darüber in trauriges Träumen verlieren. Die Riesen dräuen wieder! Heimdall berichtet von der Brücke her, kecke Haufen von ihnen wagen sich abermals nahe heran: – wohl aus Spähe. Kommen sie nun plötzlich mit Macht ..." – "So werden sie mich bereit finden, sie mit dem Speer zu empfangen, wie immer. Ich meine, Schwesterlein, an der Kampfespflicht ließ ich's noch niemals fehlen." – "Du! All dein Leben ist Kampf. Aber solch Grübeln und Grämen, solch Sinnen und Seufzen und Sehnen, ... es zehrt an der Kraft."
"Sie wird noch reichen, denk ich." – Und er lupfte leise den Speerarm. – "Und jene Ahnungen von einem unhemmbar heraufdämmernden Verderben? Sie sind nicht düsterer denn sonst. Laß kommen, was mag: wir werden's abwehren wie Männer. Und ist es nicht mehr abzuwehren, – fallen wie Männer. Es ist nicht das ..." – "So ist es ein anderes! – Es ist also doch ein Ding, das dich verschattet! O Bruder, großer Bruder! Nein, schiebe mich nicht mit der Hand hinweg von deiner Brust, nicht mit einer Ausflucht hinweg von deinem Vertrauen. Gedenke, o gedenke der Mutter! Weißt du nicht mehr, wie sie sprach, kurz bevor sie, die lang schon Sieche, starb? Denn die Riesentochter mußte hinab nach Hel! Denkst du nicht mehr des letzten Abends, da wir beide die Wankende hinausführten aus der Halle in den warmen Sommerabend? Nicht zwölf Winter zählte ich: doch merksam war mir die Seele: über meine Jahre hinaus verstand, erriet ich der lieben Mutter Gedanken. Du führtest sie, hebend, unter dem rechten Arm: ihre Linke ruhte, gestützt, auf meinem Haupte. Die Sonne versank in grauen Wolken: ein langer, schmaler, mattroter Streif war alles, was von ihr übrig geblieben, wehmütige Sehnsucht erregend. Die Schwarzamsel sang ihr nach vom höchsten Eschenwipfel. Uns beiden war so weh um die Mutter! Die aber hielt plötzlich an im müden Schreiten und, die Hand aus meinem Haare lösend, wies sie schweigend zur Seite des Waldpfads: "Schaut hin," sprach sie sanft, "sehet ihr nichts? Dort sprießt aus dem urstarken dunkeln Felsgestein am Wege eine zarte, duftige, weiße Blüte. Versteht ihr es nicht? Nur der starke Fels hält und schützt die Allzuzarte, um die Zarte schmückt den allzu starren, farblos Düsteren. So sind Bruder und Schwester: so seid ihr beiden: so sollt ihr sein immerdar. Gelobt es mir in diese Hand: er dein Schutz, du sein Schmuck: er deine Kraft, du seine Milde." – Wir drückten die durchsichtigen, blassen Finger – wie bebten sie! – und ..." – "Und ich hab's gehalten! Ich habe dich geliebt, klein Schwesterlein, wie ich weder Mann geliebt habe noch ... noch Weib. Und habe dich gehegt an meiner Brust, bis ich dich dem in die Arme legen konnte, dem Wackeren, den du mehr, – und ganz anders! – lieben solltest als mich. Warum also mich mahnen? Ich hielt mein Wort." – "Auch ich, Bruder: so weit du es mich halten ließest – durch dein Vertrauen. Und wenige, wähn' ich, deiner stolzen, kühnen, ja auch deiner düsteren Gedanken hast du vor mir verschlossen bis ... bis vor kurzem. Und oft gelang mir's, die böse Falte hinwegzuglätten von deiner hohen Stirn. Aber ..." – "Nicht immer, meinst du? Mag wohl sein. Denn ein Mann, der ein Mann ist, behält das Bitterste für sich, meine Wara."
"Mein Gatte, glaub' ich, birgt nichts vor mir." – "Forseti, der Treffliche! – Ja, Kind, der Gott des Rechts, immer nur gradaus schreitend, ohne Seitenblick, hat nicht die Sorge um das Geschick der Welt zu tragen. Und außerdem ..." – "Du stockst?" – "Nun ja," lächelte er traurig, "es ist doch wohl ein Unterschied, mein' ich. Du bist sein Weib, nicht seine Schwester nur. – Nein, zucke nicht zusammen: das sollte kein Vorwurf sein: es ist doch nun nicht anders. – Ja, hätt' ich ein Weib... – Alles vertraute ich der Geliebten!" – er sprach's ganz leise für sich hin – "Wie einsam bin ich doch! König von Asgard heiß' ich und Haupt der Asen und Herrscher der Welt. Neid, ich weiß es, tragen mir viele. Nie versiegt im Goldhorn mir der Wein, den Ehrensitz in Walhall nehm' ich ein, mein Speer fliegt niemals irr', meine Harfe tönt heller als alle Harfen, Weisheit erfrug ich, tiefere, höhere als alle Weisen, als Allvater ehren mich alle guten Wesen, vom lichten Asen bis zum dunkeln Zwerg; – – ach! und ich bin einsam! Rastlos wälz' ich mein Haupt auf dem heißen Kissen, schlummerlos, aber sehnsuchtsvoll!" Er brach ab, schweratmend; hoch hob sich ihm die breite Brust; er drückte die geballte Faust darauf, daß es schmerzte.
Betrübt strich nun die Schwester mit der weichen Hand über die fest geschlossenen Finger, wie um sie – und seinen Schmerz – zu lösen. "Und warum? Warum bist du einsam, mein Bruder? Längst ist es aller Götter Wunsch, dich vermählt zu sehen. Aber am innigsten wünscht dir's die Schwester, seit sie ..." – sie zögerte, in holder Scham errötend – "seit Wara weiß, wie Eheliebe beglückt. – Und welche Göttin – und wäre es die stolzeste, höchste, wär's Freia selbst, der Walküren rotlockige, stürmende Führerin, ... welches, Weib in allen neun Welten weist Odin ab, wenn Odin wirbt? Du weißt das sehr wohl, Übermütiger! Und dennoch unvermählt! Warum?" – "Thöricht gefragt, du vielklug Schwesterlein. Weil ich noch in allen neun Welten keine gefunden hatte!" – " Hatte!" rief sie, rasch aufspringend und mit beiden Händen sein Haupt umschließend. "Also jetzt aber hast du sie gefunden! Heil dir! Und auch ihr! Und uns allen!" – "Oder wehe mir! – Und ihr! – – Und uns allen!" flüsterte er, ihr unvernehmbar, in den wirren Bart.
Sie aber fuhr fort in freudiger Erregung: "Oh ich ahnte es fast! Oder nein: ich wünschte es nur so innig! Ah, wie will ich sie lieb haben, die Selige, die dich beseligen darf! Wer ist sie? Wo ist sie? Weshalb zögerst du ...? Das also war's? Ein Weib?" – "Ein Weib!" nickte er traurig. – "Aber ich verstehe nicht ... dieser Schmerz? Sie weiß, daß du sie liebst?" – "Ich glaube wohl." – "Dann liebt sie auch dich! Es kann nicht anders sein!" – "Ich glaube, sie liebt mich." – "Nun wahrlich, so begreife ich nicht ...! Welcher Vater, welcher Muntwalt weigert das Ja, wenn Odin wirbt? Und zuletzt – wäre sie des grimmigsten Riesen Tochter – wer trotzt Odins Speer? Oder wen kann nicht – ohne Kampf – Odin in seines dunkeln Mantels Falten entführen nach Asgards unerreichbaren Höhen? Bruder, unhemmbarer, stürmischer, – nur allzu stürmischer sonst! – ich fasse es nicht! Du liebst, – du wirst geliebt und du – Odin! – sitzest hier thatlos und verzehrst dich in krankem Sehnen?"
"Und verzehre mich thatlos in krankem Sehnen!" wiederholte er, grimmig mit dem Haupte nickend. – "Unbegreiflich! – Was hindert dich, wo du willst? – Und wo ist sie? In Asgard oder in Alfheim? In Midhgardh oder in Riesenheim? Und wer ...?" – "Still," sprach Odin, sich ausrichtend. "Man kommt. Es ist der Schritt – Forsetis." – "Ja, meines lieben Mannes!" rief sie. "O vertraue dich ihm! Oder laß mich's ihm sagen. Sein Rat ist immer gut und ..." Aber sie erschrak. Der Bruder, der stets nur zarte Worte für sie gehabt hatte, er herrschte sie an – zum erstenmal im Leben: "Schweig! – – Bei meinem Zorn!"
Bedächtigen Schrittes trat der Schwager ein. Er trug das sinnende Haupt vornüber gebeugt, wie von der Schwere eines Gedankens belastet; er schien älter durch diese Haltung als er war. Allein sowie er seines jungen Weibes ansichtig ward, erhob er sich in rascher Bewegung: sein helles, blaues, sonst so ruhiges Auge leuchtete auf. Schon lag sie an seiner Brust: er schlang den linken Arm um sie; in der Rechten trug er den weißen Richterstab, gekrönt mit einer geschnitzten greifenden Hand.
Mit wehmütigem Blicke musterte Odin das Paar: "wie glücklich sie sind in ihrer "Eheliebe", wie sie sagte. – Beneidenswertes Wort!"
Nun hatte sich Forseti aus der Umarmung seiner Gattin gelöst; sie an der Hand führend trat er dem Hochsitz näher, ehrfurchtsvoll den Götterkönig begrüßend. Er war nicht älter als dieser, etwa vierzig Winter: stattlich ragte ihm die ebenmäßige Gestalt; das lichtbraune Haar rollte in einer langen Welle auf den weißen Mantel, der die breiten Schultern umwallte; im goldenen Gürtel trug er ein kurzes Beil und eine starke Schlinge, gedreht von zäher Weide. Sein Gang war sicher; der bartlose Mund von strengem Schnitt fest geschlossen: der Stirne hatte sich zwischen den genau im Halbrund gebogenen Brauen eine tiefe Falte eingefurcht; seine Stimme, viel heller als die des Schwagers, klang durchdringend, wie Schlag von Erz auf Erz; sein offener Blick ging frei gerad aus: es war, als sähe er dem Angesprochenen durch das Auge stracks in die Seele.
"Ich dachte es," nickte er freundlich. "Stiehlt sich die Frau vom Mahle der Götter – von meiner Seite! –: unvermerkt, wie die Listige wähnt: aber nicht leicht täuscht man mein Auge: ich ahnte, beim lieben Bruder hab' ich sie zu suchen. – Und es war recht gethan: allzu einsam, Schwager, hältst du dich lang schon." – "Der Gedanke liebt die Einsamkeit." – "Und die Trauer sucht sie," klagte Wara. "Odin ist traurig." – "Das will ich gern glauben, Liebe. – Was die Zukunft droht, – er weiß oder ahnt davon mehr als wir alle. Aber auch mehr als wir alle schaut er das Unheilvollste, was die Gegenwart erfüllt."
Sie erschrak: er sah so ernst. "Du meinst ... was nennst du das Unheilvollste?"
"Den Bruch des Rechts. Ich nenn' ihn nicht so: er ist das Unheilvollste." Ganz schlicht kam das heraus: aber nicht nur die Frau blickte voll Ehrfurcht zu dem auf, der dieses Wort gesagt –: er war sehr schön, wie nun der edle Eifer der Überzeugung die regelmäßigen, sonst fast allzu ruhigen Züge durchleuchtete: – auch Odin hob, ergriffen, die Brauen. Dann aber verfinsterte sich Odins Stirn und er meinte achselzuckend: "Darüber kann man streiten."
"Gerade darüber kann man nicht streiten," erwiderte der Gelassene so laut, so bestimmt, daß beide staunend auf ihn sahen und Odin nicht ohne leisen Unwillen: er war solcher Widerrede nicht gewohnt in allen neun Welten.
Jener aber sah ihm in das Gesicht und fuhr fort: "Den grübelnden Gott, den "Für- und -Wider" rühmen und schelten dich Freunde und Feinde. Und vieles magst du, meinethalben sonst alles, hinwegstreiten den andern. Ja – was schwerer – hinweggrübeln dir selbst. Mit deinen vielverschlungenen Gedanken, den geschmeidig entschlüpfenden und unabschüttelbar umschnürenden, glatten Schlangen vergleichbaren. Und mit der Allgewalt des reichtönigen Mundes, dem nie das schärfst gewählte Wort versagt, obwohl es dir nicht der Vorbedacht, – der Augenblick, die Begeisterung geflügelt auf die Lippe legt. Wie oft hab' ich dir diese Kunst beneidet, mit kühlster Berechnung flammende Glut – und nicht geheuchelte! – zu verknüpfen –: du schrecklicher Redner, der unwiderstehlich die andern überredet, weil er sich selbst, arglistig und begeistert zugleich, dahin täuscht, dahin reißt! – Aber, Odin von Asgard, – das Recht grübelst du dir nicht hinweg." Ein Schweigen entstand. Wara suchte ihres Gatten Hand.
Verstimmt, hochmütig erwiderte Odin: "Will ich gar nicht. Aber Schlimmeres, Niedrigeres giebt es als Rechtsbruch: die Feigheit, das Gemeine. Und wo wären die Götter ohne so manche Arglist Lokis?"
"Wo sie wären? – Jedenfalls ferner ihrem Untergang." – "Wer weiß," lachte Odin; aber das Lachen kam nicht von Herzen; hastig sprang er auf von dem Hochsitz und stieg in die Halle hinab, in welcher er nun mit ungleichen Schritten auf und nieder ging.
Ruhig fuhr der Schwager fort: "Und gerade aus solchem Grunde kam ich her, nicht bloß, liebe Flüchtlingin, um dich zu suchen."
"Aus welchem Grunde?" fragte Odin und blieb kurz stehen. "Unrecht zu hindern. Oder, ist es schon geschehen, Unrecht zu strafen." – "So hindre. Oder strafe. Es ist dein traurig Amt." – "Es ist seine stolze Pflicht, Bruder," mahnte Wara; sie staunte bang; denn sie sah seinen Unmut wachsen und wußte ihn nicht zu deuten. "Das ist nun seine, ist Forsetis Heldenschaft."
"Du hast Recht, lieb Schwesterlein," sprach Odin freundlicher, nun wieder hin und her schreitend. "Wie oft – ja, meist – aber doch nicht, wie du wähnst, immer." Er blieb vor ihr stehen, lächelte und strich zärtlich mit der Hand über ihr schönes, reiches Haar. – "Rede, Schwager! Was ist's für ein Unrecht? Und wo? Bei Göttern, Elben, Riesen oder Menschen?"
"Bei Menschen. In Norge."
Odin hielt plötzlich inne in seinem Wandelgang: nur einen Augenblick: gleich nahm er ihn wieder auf.
"Dort herrscht ein König in Alfadal. Alf ist sein Name."
– Scharf blickte ihn Odin an: "noch nie vernahm ich Klage wider den Alten; er ist gerecht; seine Bauern loben ihn."
– "Mit allem Grund. Auch sein Sohn Alfhart, zwar heftig und voll Hastemuts ..." – "Der?" unterbrach Odin seltsam lächelnd. "Der wird seinen heißen harten Kopf vielleicht einmal anrennen wider – – einen noch härteren. Dann giebt's Scherben."
"Alfhart hat noch keinen Frieden gebrochen. Allein er hat eine Schwester." Nur ein kleines wandte der Hörer das Haupt ihm zu: gleich schritt er wieder dahin, ihm den Rücken kehrend. Forseti fuhr fort: "Die schönste Jungfrau über all Norgeland ist Alfvhit Sonnenhaar." – "Und hat die Maid," forschte die junge Frau – "ich hörte von ihr! – so viel Glanz durch Schuld getrübt? Es sollte nicht geschehen! Die Schönsten sollten auch die Besten sein."
– "Tröste dich, lieb Weib; noch ist sie schuldlos. So hoffe ich. Und so hofft ... Er." – "Wer?" Drohend dröhnte die Frage. So laut hatte Odin gerufen, – die noch angespannten Saiten der Harfe schwirrten zitternd nach.
"Er, der mich alltäglich und allnächtig anruft um Schutz seines guten Rechts, Adhal, der Königssohn von Updal, ihr ringverlobter Bräutigam." Odin war bei seinem Umhergehen an die Wandstelle gelangt, wo sein Speer lehnte; der hatte wohl zu fallen gedroht: denn er griff rasch danach, mit zuckender Hand, und ballte die Faust um den Schaft. "Weshalb?" fragte eifrig Wara, die Augen fest auf den Gatten heftend. "Droht dem Bunde Gewalt? Droht der Jungfrau Raub? Rasch sollen den Brautlauf sie rüsten! Dann werden kräftiger noch als das Mädchen die Ehefrau schützen Thôr und mein Odin."
Sie wandte sich nun. Stolzen Blickes sah sie auf den Bruder; der schien es nicht zu bemerken; er war mit seinem Speere beschäftigt: er lehnte ihn wieder an die Wand, aber so unsanft, daß die eherne Spitze klirrte.
"Nicht Gewalt, liebes Weib. Nicht Raub bedroht die Halle. Die Alfinge und jung Adhal sind stark genug, Räubern zu wehren." – "Was also kann ...? Ist die Jungfrau krank? Ich will ..." – "Du Gute, Treue! Nichts der Art, Ich sagte: des Verlobten Recht ist bedroht: die Braut: – sie selber wankt." – "O wehe, weh!" – "Einem andern neigt sie zu, einem Frevler. Spät in der Sturmnacht kam ein Fremdling, ein Wanderer, in die Halle, den keiner kannte; aber die Hunde bellten nicht wider ihn. Wirtlich nahm ihn der greise König auf: nach dem Frühmahl wollte er scheiden. Bei dem Frühmahl ersah er schön Alfvhit und er blieb. Er gefiel nur dem Bruder nicht: sonst allen, – auch dem Bräutigam: aber am meisten der Jungfrau. Runen ritzte er ihr, Harfe schlug er, Lieder sang er, unerhörte: und unersättlich lauschte sie ihm. Nun bangt jung Adhal um die Geliebte, die, willenlos, wie, von der Schlange Blick gebannt, das Vögelein ..." – Laut, höhnisch lachte da Odin: "Und der eifersüchtige Knabe ruft um deswillen den Gott des Rechtes an? Hat der Fremdling ihm sein Recht gekränkt?" – "Noch nicht." – "Dann rat' ich, der Gott des Rechtes wartet eine That ab, bevor er mich zur Rache ruft. Wer kann für Gedanken? Wer für Liebe auch?" – "O König, kenntest du die Maid! Ihresgleichen trug die Erde nie! Sie ist... ja schöner noch als meine Wara ist sie." – "Das sagt viel," meinte Odin, der Schwester zulächelnd, "aus deinem Mund. Und zu mir gesprochen!" – "Und der ehrwürdige König! Der edle Bräutigam!"
"Genug," spottete Odin. "Warum lobst du nicht auch ihren Bruder, den goldgierigen, wildwütigen?" – "Und die milde Mutter! – Glücklich lebten sie alle, mehr Glück erhofften sie in wenigen Wochen, sobald die Maid dem Königssohn gefolgt. Und nun! Unablässig steht er zu Freia und zu mir," – "Das hörten wir bereits! Liebt ihn das Mädchen? Ja oder nein?" – "Sie liebte ihn. Jedoch ..." – "Forseti, mein Gemahl, mag Liebe enden?" – "Nicht unsre Liebe, Wara!"
"Keine, die es ist," rief Odin laut. "Merkt euch mein Wort:
Liebe ist lechzendes Leid Oder lodernde Lust, Aber immer ewig ist die Liebe.
Daran haltet euch. Genug der ziellosen Klagen! Soll Freia, soll ich – durch Zauber etwa! – jedes Mägdleins Sinn wenden, das den nicht mehr mag, den ihr der Vater gekoren, nachdem es den gefunden, den das eigne Herz verlangt: – soll ich etwa jede solche zurückzwingen nach der Sippe Belieben? Ei, viel Müh' und Arbeit hätt' ich dann in allen neun Welten! Und wenig Dank dazu von holden Maiden! Laß doch den Bräutigam den Vater heiraten, dem er so sehr gefällt. Und den grimmen Bruder dazu. Jeder wahre seines Liebchens Liebe selbst. Schlimm genug, braucht einer dazu drei Götter: Forseti, Freia und Odin." Er lachte laut und schritt wieder dahin. "Du sollst ja nur helfen, du Vielkundiger, zu erforschen, wer in Wahrheit er ist, der unheimliche Gast, der durch Runen und Sang – wohl durch Zaubergewalt! – die Jungfrau berückt. Denn der Name, den er sich giebt, ist kein Name: ist eine Hülle an des Namens Statt."
"Wie heißt er?" forschte Wara eifrig, denn Odin schwieg.
"Wegwalt: – Wanderer also! Jeder mag so sich nennen, der des Wegs gezogen kommt. Und er – er kommt und geht, man weiß nicht, woher und wohin. Auch was er von seiner Heimat spricht, ist dunkel, vieldeutig. Mach' rasch ein Ende, großer König, wie leicht du kannst: sende deine beiden Raben aus und ..." – "Die spähen nur für, nicht gegen Liebende!" – "O hättest du die Schöne je geschaut mit ihrem goldgewellten Sonnenhaar und mit dem sanften scheuen Blick des blauen Auges! Du würdest eifrig jedes Weh von ihr wehren!" – "Das will ich!" – "Dann eile! Denn wisse: ihr zorngemuter Bruder hat es ausgespäht, daß sie den Fremdling heimlich trifft." – "Was sagst du?" rief Odin und fuhr herum.
"Im tiefsten Tannicht, im Markwald nah dem Fjord, wo er sein kleines rasches Boot im dichten Schilfe birgt."
"Siehst du nun, lieber Mann, wie gewaltig das ihn aufstört? Ja, Odin hilf! Warne die Bethörte!" – "Der Bruder schleicht ihr nach – heute Nacht – sobald der Mond aus dem Möwenhaff steigt. Trifft er sie, wird sie gefangen und in das Frauengemach ... Aber wohin? Du kennst ja den Ort nicht. Höre doch zu Ende, wo ..." – "Was willst du thun, Bruder?" fragte Wara. – "Was du gebeten: warnen!" Und bereits hatte er Mantel, Hut und Speer ergriffen: – er schritt zur Thür – nun war er schon verschwunden. – – –
Die Gatten traten, ihm folgend, auf die Schwelle hinaus: alles leer; am Himmel flog hinab nach Midhgardh ein dunkel langgestreckt Gewölk.
"Verstehst du ihn?" fragte Forseti ernst, dem Wolkenzuge nachschauend. – "Wer versteht ihn ganz? Ich wohl tiefer als andre. Diesmal versagt mir das Erraten. Aber mir ist bang, recht bang um ihn."
Heller Sonnenschein hatte den ganzen Tag den Hof König Alfs in Alfadal umflutet. Plötzlich, bald nachdem die Sonne im Meere zu Golde gegangen, sprang überraschend Südwestwind ein: nur Eine dunkle Wolke war anfangs sichtbar: diese nahte in fliegender Eile, sich immer tiefer senkend: und alsbald ergossen sich von der See her solche Regengüsse ins Land und solches Düster verbreitete sich, daß niemand daran denken mochte, das schützende Dach eines Hauses zu verlassen.
Wohl das Aufhören des rasch eingebrochenen Unwetters erhoffend lehnte an der Fensteröffnung eines Gemaches im hohen zweiten Geschoß des Königshofes eine schlanke weiße Gestalt: der Wind, draußen ungestüm, spielte hier nur sanft, wie liebkosend, mit dem blonden Haar, das in kurzgebrochenen Wellen das schmale Haupt umrieselte.
In träumendes Sinnen versunken blickte die Jungfrau über das offene Feld vor dem Hofzaun nach Süden hin, wo das dichte Tannicht des Markwaldes dunkelte; den Wald durchstoß der breite Strom, bevor er in den blauen Fjord mündete; manchmal flog eine weiße Möwe über die fernen Wipfel hin, dem Strome folgend und dann wieder stromaufwärts, hin und wieder, hin und wieder – – –