Hexen und Magie - Johannes Dillinger - E-Book

Hexen und Magie E-Book

Johannes Dillinger

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Beschreibung

Im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit glaubten viele Menschen an Geister und Dämonen; Magie gehörte zum Alltag. Johannes Dillinger führt in diese Welt ein und erläutert die kulturellen Bedingungen, unter denen Vorstellungen wie Hexentanz und Teufelspakt entstanden. Dabei zeigt er, warum - neben Kirche, Staat und Wissenschaft - auch die Bevölkerung eine Verfolgung der Hexen nicht nur tolerierte, sondern sogar forderte. Er rekonstruiert die sozialen und politischen Voraussetzungen der Hexenprozesse sowie die Durchführung der Hexenjagden; er verknüpft dies mit einer Einführung in die historische Hexenforschung der vergangenen Jahrzehnte. Sein Ausblick in die Gegenwart verdeutlicht, dass der Hexenglaube nach wie vor lebendig ist. "Johannes Dillingers Einführungswerk … ist rundum gelungen." Schweizerische Zeitschrift für Geschichte

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Johannes Dillinger

Hexen und Magie

Campus Verlag

Frankfurt/New York

Über das Buch

Im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit glaubten viele Menschen an Geister und Dämonen; Magie gehörte zum Alltag. Johannes Dillinger führt in diese Welt ein und erläutert die kulturellen Bedingungen, unter denen Vorstellungen wie Hexentanz und Teufelspakt entstanden. Dabei zeigt er, warum - neben Kirche, Staat und Wissenschaft – auch die Bevölkerung eine Verfolgung der Hexen nicht nur tolerierte, sondern sogar forderte. Er rekonstruiert die sozialen und politischen Voraussetzungen der Hexenprozesse sowie die Durchführung der Hexenjagden; er verknüpft dies mit einer Einführung in die historische Hexenforschung der vergangenen Jahrzehnte. Sein Ausblick in die Gegenwart verdeutlicht, dass der Hexenglaube nach wie vor lebendig ist. »Johannes Dillingers Einführungswerk … ist rundum gelungen.«

Weiterführende Materialien zum Buch unter http://www.campus.de/spezial/historische-einfuehrungen

Vita

Johannes Dillinger ist Professor für die Geschichte der Frühen Neuzeit; er lehrt an der Brookes University, Oxford, und an der Universität Mainz.

1. Einführung

Die historische Hexenforschung ist alt und jung. Sie ist alt, da die historische Untersuchung der Entstehung des Hexenglaubens bereits lange vor dem Ende der Hexenverfolgungen einsetzte. Sie ist jung, weil sie sich in den 1960er Jahren ganz neu konstituierte und seitdem floriert wie wenige andere geschichtswissenschaftliche Forschungsfelder. Im Verlauf der letzten fünfzig Jahre sind Magie und Hexen vom Rand der Geschichtswissenschaft in deren Mitte gerückt. Die rasante Entwicklung der historischen Magie- und Hexenforschung hat das Bild von Mittelalter und Früher Neuzeit insgesamt verändert. Die Hexenforschung darf heute nicht nur als zentraler Bestandteil der Historiografie der Frühen Neuzeit gelten, sondern auch als eine der Wegbereiterinnen der neuen Kulturgeschichte.

Das vorliegende Buch über Magie und Hexen soll in das volatile und breite Forschungsfeld einführen und als Orientierung dienen. Es konzentriert sich auf die Historiografie der europäischen Hexenverfolgungen. Hexerei ist jedoch nur ein Teilaspekt des riesigen Bereichs der Magie. Die historische Hexenforschung hat diesen Bereich niemals ausgeklammert, sondern ihn immer weiter aufgeschlossen. Daher sollen Hexerei und Hexenprozess auch in diesem Band in den größeren Kontext der Magie gestellt werden. Die wichtigsten Ergebnisse der neuen Forschung zum Glauben an Magie und Hexerei werden präsentiert. Unterschiedliche Fragestellungen und Interpretationen, die für die Erforschung von Magie wichtig geworden sind, werden kritisch referiert.

Geschichte der Hexenforschung

Da es hier nicht um eine Geschichte der geschichtswissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Magie und Hexenverfolgungen steht, genügt ein sehr kurzer Überblick über die Forschungsentwicklung (vgl. Behringer 2004). Eine erste ausführliche Geschichte der Hexenvorstellung und der Hexenprozesse legte Christian Thomasius 1712 vor. Dem Juristen Thomasius ging es wie späteren aufgeklärten Autoren noch darum, durch die Historisierung der Hexenimagination zu beweisen, dass die Hexenverfolgungen, die sie selbst noch erlebten, Unrecht waren. Die Schuld an diesem Unrecht schrieb Thomasius der katholischen Kirche und ihrer Inquisition zu. Das populäre Verständnis von Hexenprozessen bewegt sich zum Teil auch heute noch auf diesem Niveau. Dazu konnte es kommen, weil die historische Erforschung der Hexenprozesse insbesondere im deutschen Kernland der Verfolgungen von der aufklärerischen Debatte des 18. in die konfessionell-kulturkämpferische des 19. Jahrhunderts geriet. Bezeichnend ist, dass die aus Quellen geschöpfte, konfessionell neutrale Überblicksdarstellung von Wilhelm Soldan aus dem Jahr 1843 1880 so umgearbeitet wurde, dass sie wiederum zur Polemik geriet (Soldan 1880). Zwischen Schuldzuweisung und Apologetik entwickelten sich Materialschlachten, die umfangreiche Quellen der Forschung zur Verfügung stellten. Mit Goethe als Stichwortgeber entwickelte sich in der Mitte des 19. Jahrhunderts unter der Ägide Jacob Grimms die Auffassung, dass die Opfer der Hexenprozesse tatsächlich die Anhänger einer vorchristlichen Religion gewesen seien. Vermittelt über die Vergangenheitspolitik des Nationalsozialismus hat sich auch diese sehr fragwürdige Interpretation in das vorwissenschaftliche Geschichtsbild unserer Gegenwart retten können (Dillinger 2015). Der Primat von Politik und staatlichen Institutionen in der Geschichtswissenschaft der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts überließ die Hexen ideologisch motivierten Autoren und Heimatforschern.

Midelfort-Schule

Der wesentliche Anstoß zur Entstehung der neuen historischen Hexenforschung kam von der Anthropologie. Hier war die Magie als Teil des sozialen Gefüges in ihrer Bedeutung für Weltsicht und Alltag dargestellt worden. Mit der dezidierten Übernahme anthropologischer Fragestellungen in die historische Beschäftigung mit Magie und Hexenverfolgungen gab der britische Historiker Thomas 1963 den Startschuss für die neue Hexenforschung. Sein US-amerikanischer Kollege Midelfort legte nicht nur 1968 einen ersten Überblick über diese Forschungsrichtung vor, sondern widmet sich, an ihr orientiert, Quellen aus Deutschland, dem Zentrum der Hexenverfolgung. Dabei wandte sich Midelfort anders als Thomas dezidiert den konkreten administrativen und rechtlichen Verhältnissen an den Schauplätzen der Verfolgungen zu. Diese Herangehensweise machte Schule: Die Regionalstudie, die Hexenverfolgungen in ihrem gesellschaftlichen und politischen Kontext darstellte, wurde zum wichtigsten Modus der historischen Hexenforschung (Thomas 1963; Midelfort 1968; Midelfort 1972).

Die regional orientierte Forschung flankiert ein neues Interesse an Magie und Hexenimaginationen in der Rechts- und Geistesgeschichte. Dass Hexen- und Magieforschung nie nur Hexenprozessforschung war, impliziert, dass sie sich nicht auf die Frühe Neuzeit einengen lässt. Magie in der Antike und im Mittelalter sind längst ausführlich thematisiert worden. Die Perspektive der Geschichtsschreibung der Magie wird seit mehreren Jahren auch in Richtung auf die Gegenwart hin verlängert. Arbeiten zum Zauber- und Geisterglauben im 19. und 20. Jahrhundert modifizieren das nie so recht glaubwürdige Klischee der entzauberten Moderne (Doering-Manteuffel 2008; Butler 2011; Josephson-Storm 2017).

Die Magie- und Hexenforschung trägt einen starken historischen Akzent. Sie ist in ihrer konkreten Gestalt jedoch interdisziplinär: Neben den unterschiedlichen Sparten der Geschichtswissenschaft beteiligen sich vor allem Theologie, Literaturwissenschaft, Kunstgeschichte, Volkskunde, Anthropologie, Medizin und Rechtswissenschaft an der Debatte.

Die vorliegende Darstellung konzentriert sich auf die geschichtswissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Magie. Weitere Einschränkungen sind unumgänglich. Alchemie und Astrologie stellen in sich so komplexe historische Forschungsfelder dar, dass sie hier nur im Rahmen eines knappen Überblicks über die Gelehrtenmagie gestreift werden. Ausgeklammert bleibt die in ganz anderen kulturellen Bezugsrahmen stehende Magie der Antike (vgl. dazu Luck 1985; Graf 1996; Gordon 1999; Ogden 2008).

Quellen

Welche Quellen geben Antworten auf die historische Frage nach Magie? Hier fällt zunächst das unmittelbar magische Schrifttum in den Blick. Zauberbücher geben Auskunft über das magische Denken. Sie zeigen, wie magische Zusammenhänge und Wirkungsmöglichkeiten imaginiert wurden. Ihre Sprache lässt erkennen, für Leser welchen Bildungsstandes die Schrift gedacht war. Dabei ist zu bedenken, dass die für den Markt produzierten Zauberbücher des 18. Jahrhunderts häufig aus geringfügig älteren Versatzstücken zusammengesetzte Kompilationen sind.

Ihrem Charakter als Gerichtsverfahren entsprechend haben sich die Hexenprozesse in vielerlei Akten niedergeschlagen. Die Prozessunterlagen selbst umfassen meist nicht nur das Urteil und die Aussagen der Beklagten (Verhör, bei Schuldspruch die Urgicht) sondern auch umfangreiche Zeugenverhöre. Gerichtsüberlieferung bildet nie einfach Realität ab, sondern konstruiert Plausibilität in alltagsfernen und stark von Machtgefälle geprägten Kommunikationssituationen. Dies gilt für Hexenprozesse, die unter dem Anspruch der Dämonologie ein imaginäres Delikt verhandelten, in besonderer Weise. Gleichwohl wird in Prozessakten bei kritischer Lektüre nicht nur der Blick auf die konkrete Konstruktion des Hexereideliktes in der Kommunikation von Zeugen, Beklagter und Verhörrichtern frei, sondern auch auf den frühmodernen Alltag. Diese Quellen sind über die Magieforschung hinaus von größtem Interesse. Selbst wenn die Prozessakten selbst nicht erhalten sind, können Kostenrechnungen und Vermerke über Hinrichtungen in Stadtratsprotokollen Auskunft über Prozesse geben. Falls Gutachten bei Juristenfakultäten eingeholt wurden, vermitteln diese gute Überblicke über den jeweiligen Prozess und zeigen konkret die Bedeutung von Recht, Dämonologie und Verfahrenskritik im juristischen Entscheidungsprozess. Hexenprozesse waren nie unumstritten: Behördenkorrespondenzen zwischen dem jeweiligen Kriminalgericht und seinen übergeordneten Instanzen bieten einen Einblick in die Strukturen und inneren Spannungen des Justizapparates. Editionen bzw. Transkriptionen haben kleine Auswahlen von Prozessakten leicht zugänglich gemacht (Hille 2008: Rügge 2015; Behringer 72010; vgl. auch die Predigtensammlung Schmanck 2015).

Oberhalb der Ebene der konkreten Prozesse wird von der Geschichtswissenschaft theologisches bzw. dämonologisches und juristisches Schrifttum ausgewertet. Die Bedeutung normativer Quellen für die konkrete Verfolgung darf aber nicht überschätzt werden. Die wichtigsten dämonologischen Schriften liegen in neuen Ausgaben vor.

Nachrichtenflugschriften befassten sich immer wieder mit spektakulären Hexenprozessen bzw. Prozessverdichtungen. Flugschriften sind ein eigenes Genre und sollten als eigenes Thema untersucht werden. Sie als Tatsachenberichte zu lesen, wäre naiv. Als Quellen zu Hexenprozessen sollten sie, wenn es irgend möglich ist, mit einer Parallelüberlieferung verglichen werden. Zwischen Dämonologie und Flugschriften stehen umfangreichere Pamphlete (Gibson 2000).

Gerichtsakten lassen sich auch bei der Beschäftigung mit der Volksmagie auswerten. Prozesse gegen Zauberei, Schatzgräberei und den so genannten Aberglauben bieten reiches Material, daneben kann auf die Erwähnung alltagsmagischer Praktiken in Hexenprozessen zurückgegriffen werden. Von besonderer Bedeutung ist hier die Überlieferung der Rügegerichte, lokaler Gerichte, die sich mit geringfügigen Delikten befassten, worunter einfache Magie oder Magiebezichtigungen gerechnet werden konnten. Die Überlieferung des kirchlichen Aufsichtswesens spiegelt dessen Kampf gegen den Glauben an unterschiedlichste Arten von Magie wider. Für das Mittelalter können Bußbücher ausgewertet werden, wobei Harmenings Kritik (vgl. S. 29) nicht außer Acht gelassen werden darf. Für die Frühe Neuzeit und das 19. Jahrhundert stehen mit Visitationsakten, Kirchenbußregistern und Religionsbeschwerden weitere Quellen zur Verfügung. Predigten müssen mit Vorsicht gemäß den Bedingungen dieses Genres ausgewertet werden – es geht um Unterweisung im Kontext von Bibelauslegung, nie schlicht um die Darstellung sozialer Realität. Die Frage, wie Predigten oder gelehrtes Schrifttum im Alltag rezipiert wurden, ist notorisch schwer zu beantworten.

Polemiken der Aufklärung gegen den Glauben an Magie finden sich unter anderem in den zeitgenössischen Zeitungen. Sie geben freilich eher die Meinungen ihrer Autoren wieder, als dass sie Magie darstellen. Als Faktensteinbruch für den Magieglauben nach dem Ende der Hexenprozesse sind folkloristische Untersuchungen des 19. und 20. Jahrhunderts zu verwenden. Die Interpretationen des Materials in diesen Werken sind jedoch großenteils nur noch von wissenschaftshistorischem Interesse.

Die problematischsten Quellen sind Darstellungen der Magie in der Kunst. Literarische Quellen gehorchen den Gesetzen ihres jeweiligen Genres und reproduzieren bestimmte Sets von Motiven. Magie in der Literatur ist als eigenes Thema zu bearbeiten, über tatsächlich ausgeübte magische Praktiken oder den Zauberglauben geben sie kaum einmal Auskunft. Insbesondere im 19. Jahrhundert ist der Glaube an Magie klischeehaft als Kennzeichen von »Primitivität« eingesetzt worden. Die Geisterwesen der Schwarzen Romantik und der Gothic Novel haben mit dem älteren Glauben an Geister meist sehr wenig zu tun. Ähnliches gilt für Magie und Hexerei in der bildenden Kunst. Kurzschlüssige Deutungen, die bestimmte Bildzeugnisse mit konkreten historischen Ereignissen oder auch nur großen Trends der Hexenverfolgung in Beziehung setzen wollen, werden in dem Maß problematisch, in dem sie die eigenständige Entwicklung der künstlerischen Motive und des Kunstmarktes außer Betracht lassen (Zika 2003; Zika 22009).

2. Magie und Hexerei: Definitionen in Gegenwart und Vergangenheit

Der Magiebegriff ist sehr unterschiedlich definiert worden (Otto 2016). Dennoch kann pragmatisch nicht auf ihn verzichtet werden.

Unter Magie wird jedes System von Vorstellungen und Verhaltensweisen verstanden, das darauf abzielt, die sichtbare, im Alltag erlebbare Welt mit einem Raum außerhalb dieser Welt in Beziehung zu setzen. Dieses System wird von Einzelnen oder informellen Kleingruppen getragen, die jeweiligen Vorstellungen und Verhaltensweisen sind weder institutionalisiert noch unterliegen sie allgemeinen fixen Regeln oder Dogmen.

2.2 Aberglauben und Volksglauben

Die Vokabel »Aberglauben« wird von der Historiografie noch immer zu oft unreflektiert gebraucht. Dass, wie oben vorgeschlagen, die Definition von Magie an die gesellschaftlichen Realitäten der jeweiligen Zeit angelehnt werden soll, könnte als Aufforderung erscheinen, den Begriff Aberglauben genau so zu verwenden, wie es kirchliche Führungskreise der Frühen Neuzeit taten: Aberglauben, die deutsche Entsprechung von superstitio, war ein Sammelbegriff für alle Formen des von der Kirchenleitung verurteilten Magieglaubens (Labouvie 1992: 19–22, 76–85). Die Vokabel Aberglauben ist jedoch derartig negativ besetzt, dass eine neutrale Verwendung unmöglich erscheint. Aberglauben sollte daher nur in wörtlichen oder sinngemäßen Zitaten als Begriff eigener historischer Relevanz verwandt werden, wenn die Ablehnung magischen Denkens und Handelns durch elitäre Minderheiten in kirchlichem oder staatlichem Dienst nachgezeichnet wird. Aus pragmatischen Gründen soll dennoch nicht auf einen Oberbegriff verzichtet werden. Entgegen Labouvies Kritik kann der Begriff des Volksglaubens verwandt werden.

Unter Volksglauben wird die Gesamtheit dessen, was die Mehrheit der Bevölkerung über eine Welt jenseits der Alltagserfahrung imaginiert, verstanden. Der Volksglauben umfasst religiösen Glauben im modernen Sinn ebenso wie Schicksalsglauben, Geisterglauben, Glauben an die Wirksamkeit von Magie. Als integrale Bestandteile dieses Glaubens werden die Handlungen betrachtet, die sich aus ihm unmittelbar ergeben.

Das Interesse an diesem für die Zeitgenossen meist gänzlich unspektakulären Imaginationskomplex ist Teil der geschichtswissenschaftlichen Frage nach den Lebensbedingungen der einfachen Leute. Volksglaube war Alltagsglaube. Der Begriff Volksglaube als Bezeichnung für den Glauben, den die Mehrheit der Bevölkerung teilte, fällt keine Vorentscheidung bezüglich der sozialen Stellung der betreffenden Personen: Er schließt nicht aus, dass kirchliche, wirtschaftliche und politische Eliten am Volksglauben partizipierten. Der Volksglaubensbegriff ist notwendig unscharf, da er ein umfangreiches, kollektiv und individuell wandelbares, heterogenes Phänomen bezeichnen soll. Die oben diskutierte Differenzierung zwischen Magie und Religion fordert einen Oberbegriff, der beide Kulturelemente umfassen kann. Als dieser Oberbegriff kann Volksglauben dienen, sofern von der gelebten Religion der Bevölkerung eher als von der Orthodoxie der Theologen die Rede sein soll (Labouvie 1992: 19; Scribner 1994; Zender 1977: 148–157; Freytag 2003: 21–29).

2.3 Der elaborierte Hexereibegriff

Die Worte Magie, Zauberei und Hexerei werden häufig austauschbar gebraucht. Da Kolonialherren und Anthropologen auch schädigende Magie außerhalb Europas als witchcraft bezeichn(et)en, wurde diese dem europäischen Hexenglauben angenähert, obwohl sie in vieler Hinsicht von ihm stark verschieden ist (Behringer 2004). Ob ein so erweiterter Hexereibegriff verwandt werden sollte, hängt von der Forschungsfrage ab. Streng genommen bezeichnet der Begriff Hexerei eine sehr spezifische historische Erscheinung, die es nur in der Imagination der christlichen Gesellschaften Europas und der europäischen Kolonien gab.

Etymologie

Hexe ist von dem im 10. Jahrhundert belegten Hagazussa abzuleiten. Damit wurde zunächst ein nicht-menschliches Wesen bezeichnet, das in Hecken und Zäunen hauste, ein grenzenhütender Geist (Leconteux 1985). Das Wort für das magische Wesen wurde früh auf Frauen, denen man magische Fähigkeiten nachsagte, übertragen. Ähnlich wurde das skandinavische Túnridr (Zaunreiterin) zur Bezeichnung von Personen verwandt, deren Seelen vorübergehend ihre Körper verlassen konnten. Damit wurde bereits ein Vorstellungskomplex umfasst, der später in den Kern der Hexenimagination integriert werden sollte. Am Ende des 13. Jahrhunderts erschien in einem Gedicht Hugo von Langensteins erstmals das wohl alemannisch-schweizerische Wort Hexse für Magierin. Im Frevelbuch der Stadt Schaffhausen erschien Hex ab den 1360ern als Schimpfwort, 1402/03 erwähnte das Rechnungsbuch dieser Stadt die Verbrennung von Hegsen. Ungefähr zeitgleich wurde in der Schweiz der Begriff Haxney verwandt, der noch in Konkurrenz zu Synonymen (Charaez) stand. Die Hexenvorstellung war vorwiegend, aber nicht ausschließlich weiblich: Einer der ersten Prozesse, in denen das Wort Hexereye erschien, wurde 1419 in Luzern gegen einen Mann geführt. Während der Verfolgungen blieben verschiedene regionale Ausdrücke wie zum Beispiel Zaubersche, Trutten, Wickersche üblich. Überregional verbreitet waren Benennungen, die auf die Schlechtigkeit der Hexen abhoben: Unholden oder schlicht böse Leute (Amman-Doubliez 1999: 77–79; Lecouteux 1985; Lecouteux 1995; Lorenz 2004).

Elaborierter Hexereibegriff

Der Begriff »Hexerei« soll streng im Sinn des elaborierten Hexereibegriffs gebraucht werden, wie ihn im späten Mittelalter Theologen entwarfen.

Das Charakteristikum der Hexerei war der Kontakt zwischen Mensch und Dämon. Der Pakt mit dem Teufel konstituierte per se Apostasie und Ketzerei. Durch den Pakt wurde der Teufel bzw. ein Dämon, der mit der Hexe immer wieder zusammenkam, zum Herrn der Hexe. Der Dämon zeigte sich in menschlicher Gestalt als Mann oder Frau, um mit der Hexe respektive dem Hexer den Geschlechtsverkehr auszuüben. Hexen waren grundsätzlich keine Einzeltäter. Sie bildeten vielmehr eine Gruppe ähnlich einer Sekte oder kriminellen Bande. Als Gruppe konstituierten sich die Hexen bei Treffen. Diese Treffen, mit der – ihrem Ursprung nach antisemitischen – Bezeichnung Hexensabbat belegt, wurden meist als Feste mit Tanz und Gelage geschildert. Zu den Sabbaten kamen die Hexen auf magische Weise: Sie flogen auf verzauberten Gegenständen oder Dämonen in Tiergestalt durch die Luft. Die Dämonen ermöglichten es den Hexen, Magie auszuüben, bzw. zwangen sie sogar dazu. Diese Magie zielte meistens darauf ab, Schaden, Krankheit und Tod zu verursachen. Sie kann daher als Schadenszauber oder maleficium (lat. Grundbedeutung: Untat, spezifisch: Schadenszauber oder Hexerei allgemein) bezeichnet werden. Die Tierverwandlung (Werwolf) wird dem Schadenszauber zugerechnet, da sie dazu diente, Schaden zu verüben.

Peter Binsfeld: Von Bekanntnuß der Zauberer und Hexen, München 1591

Das Titelbild des dämonologischen Traktats Binsfelds zeigt alle Elemente der Hexerei: Vorn links den Pakt, vorn Mitte wird der Sabbat mit einer Hexe, die ein Kind zum kannibalischen Hexenbankett kocht, und einem Fass angedeutet, vorn rechts eine Hexe mit ihrem Buhlteufel. Im Hintergrund der Hexenflug und Wetterzauber als typischer Schadenszauber.

»Ungefähr vor fünfzehn Jahren sei der böß Geist zu ihr uf das Feld komen, sie angesprochen […] sie sich Gottes verleugnen müeßen. Der böß Geist sei zu ihr in das Bett komen, ihr zugemutet mit ihm Gemeinschaft zu haben.

Der böß Geist were vil und oftermalen zu ihr in ihr Behausung und uf das Feld komen, sie angewisen Leut zu verfüeren, Menschen und Vieh Schaden zu thun wo sie köndte, in seinem Namen anzublasen. Sie hab Peter Wehelins Knäblein in des bößen Geists Namen Kuchen geben, darvon es gegeßen und hernach gestorben. Sie sei in David Kreidlers Stall komen, ein Ross in des bößen Geists Namen angriffen, welches hernach auch gestorben.

Sie hab sonst Gespilen [=Komplizen], Stefan Deitlingers Witwe, Hans Walchs Frau, die Schenzin, seien uf ainer Wiese zusamen komen mit ihren Buhlen [=Buhlteufel, Dämonen, mit denen die Hexen Geschlechtsverkehr hatten] gedanzet und gezecht, hab er ihnen ein Hafen [= einen Topf] geben und befohlen umbzuschüten, daraus ein Reif [=Raureif] worden. Sie und ihre Gespilen weren zweymal bey Bildechingen zusamen komen. Wann sie bey Nacht außgefahren, sei sie uf einer Gabel [=Heugabel] in des bößen Geists Namen geseßen, welcher eine besondere Salbe darzu geben und allso darauf dahin gefahren.«

(Geständnis der Anna Schröckin, Horb am Neckar 1581. Stadtarchiv Horb A 314)

Die Urgicht aus dem Prozess gegen Anna Schröckin, exekutiert 1581, war ein typisches Hexengeständnis: Alle Elemente des elaborierten Hexereibegriffs wurden hier aufgegriffen. Der Teufelspakt erschien in negativer Form als Abfall von Gott (»Gottes verleugnen«). Der Dämon (»böß Geist«), der die Hexe »angeworben« hatte, verlangte, dass sie mit ihm Geschlechtsverkehr hatte (für die Zeitgenossen unmissverständlich: »Gemeinschaft zu haben«). Im Auftrag des Dämons verübte die Hexe unterschiedliche Arten von Schadenszauber: Der Zauber ähnelte zum Teil einem Giftmord (»Kuchen geben, darvon [ein Kind] gegeßen und hernach gestorben«), zum Teil erfolgte er über bloße Berührung oder sogar Anhauchen (»angriffen«, »anzublasen«), zum Teil setzte er eine Symbolhandlung voraus (»einen Hafen […] umbzuschüten, daraus ein Reif worden«: Wie die Flüssigkeit aus dem umgestürzten Topf floss, so »floss« Raureif vom Himmel). Einige Geschädigte wurden namentlich genannt, sie sind als Belastungszeugen oder Ankläger zu identifizieren. Anders als der Schadenszauber an Mensch und Vieh richtete sich der Wetterzauber (»Reif« verweist auf einen für die Agrarwirtschaft gefährlichen Kälteeinbruch) nicht gegen ein individuelles Opfer, sondern gegen die ganze bäuerliche Gesellschaft. Die Hexe war kein Einzeltäter. Sie erhielt sogar den Auftrag, weitere Personen zum Abschluss eines Teufelspaktes zu bewegen (»Leut zu verfüeren«). Die Hexe traf sich mit ihren Komplizen (»Gespilen«) immer wieder zum Hexensabbat, einem Treffen mit Festcharakter (»gedanzet und gezecht«). Diese Komplizen wurden namentlich genannt, was gelegentlich als Verdachtsmoment gegen diese Personen gewertet werden und zur Eröffnung weiterer Hexenprozesse beitragen konnte. Zum Ort des Sabbats – nicht der Blocksberg, sondern eine Stelle nahe dem Wohnort der Verdächtigen – kamen die Hexen auf magische Weise: Sie flogen (»dahin gefahren« ist als Flug zu verstehen) auf einem mit Zaubersalbe eingeriebenen Gegenstand (»auf einer Gabel … besondere Salbe«).

Solange Elemente des Umgangs mit Dämonen fassbar bleiben, kann von Hexerei gesprochen werden, auch wenn die oben genannten fünf Merkmale in den Quellen zu einem konkreten Fall nicht vollständig ersichtlich sein sollten.

Zauberei

Magie, von der nicht ausdrücklich angenommen wird, dass sie mit Hilfe von Dämonen ausgeführt wird, heißt »Zauberei«. Entsprechend wird als Hexenprozess nur das strafrechtliche Verfahren gewertet, welches gegen das im elaborierten Hexereibegriff beschriebene Sammeldelikt vorgeht. Verfahren gegen Magie ohne diesen Horizont werden »Zaubereiprozesse« genannt. Der neutrale umgangssprachliche Begriff »Zauber« soll offen zur Bezeichnung des einzelnen magischen Akts verwandt werden, unabhängig davon, ob es sich um Zauberei oder Hexerei handelt (Kieckheffer 1976: 5–8).

Schwarze und Weiße Magie?

Sowohl in der Alltagssprache als auch in wissenschaftlicher Literatur findet sich das Begriffspaar »Schwarze Magie« und »Weiße Magie«, wobei häufig suggeriert wird, dass sich alle Magie einem der beiden Begriffe zuordnen lässt. Schwarze Magie soll die »böse«, schädigende Magie sein, die Weiße dagegen die »gute«, heilende Magie. Der Begriff »Schwarze Magie« bzw. »Schwarze Kunst« beruht auf einer Fehlübersetzung von »Nekromantie«. Dieser Begriff müsste korrekt aus dem Griechischen abgeleitet mit »Totenbeschwörung« übersetzt werden. Er wurde jedoch als Übernahme aus dem Lateinischen missdeutet und als »Schwarze Mantik« bzw. dann »Schwarze Magie« wiedergegeben. Die Begriffe sind fragwürdig. War Magie, die einen Diebstahl erleichtern sollte, »weiß«, weil sie dem Dieb half, oder »schwarz«, weil sie sein Opfer schädigte? Und was war mit der Magie, die der Bestohlene anwandte, um den Dieb zu identifizieren? Das Begriffspaar spielte in der Hexenlehre keine Rolle. In der Hexenforschung sollte es nicht verwendet werden.

3. Magie und Geisterglauben: Inhalte und Deutungen

3.1 Sparten und Träger von Magie

3.1.1 Gelehrtenmagie

Die neuere Forschung konnte zeigen, dass im Spätmittelalter viele Männer aus der Oberschicht, gerade auch Kleriker, Magie studierten und magische Rituale durchführten. Magische Schriften waren keine exotischen Ausnahmeerscheinungen, sondern müssen als integrale Bestandteile einer elitären Gelehrtenkultur gesehen werden (Láng 2008: Page 2013; Klassen 2013).

Die Renaissance entdeckte durch Kontakt mit dem östlichen Mittelmeerraum eine Reihe antiker Schriften wieder. Ein neues Interesse an der Philosophie des Altertums veränderte die europäische Bildungskultur. Auf der Wiederentdeckung der Kosmologie und der Geisterlehre der spätantiken Philosophie des Neoplatonismus baute die magia naturalis des 15. Jahrhunderts auf. Sie verwob Neoplatonismus und Hermetik. Hermetik war die Auseinandersetzung mit antiken Schriften zur Magie und Alchemie, die auf den mythischen Autor Hermes Trismegistos zurückgeführt wurden.

Magia naturalis

Die magia naturalis verstand die Welt als organisches Ganzes. Die Planeten (Makrokosmos) wirkten auf das Leben auf der Erde und auf Körper und Seele jedes einzelnen Menschen (Mikrokosmos). Dabei wirkte nicht chaotisch alles auf jedes. Vielmehr gab es entsprechend dem Sympathiedenken (vgl. S. 14) feste, wenn auch umfangreiche Wirkzusammenhänge. Diese ließen sich erkennen an der magischen Ähnlichkeit von Objekten und verborgenen Zeichen, die alle Dinge in der Natur charakterisierten. Astrologie, die Lehre vom Einfluss der Gestirne auf das Schicksal von Menschen, und Alchemie, die Suche nach einer universellen Medizin und der Umwandlung von Substanzen, insbesondere von anderen Metallen in Gold, können als Teile der magia naturalis betrachtet werden. Magia naturalis bemühte sich um ein umfassendes Verständnis der Natur, einschließlich sämtlicher verborgenen (okkulten) Wirkungen und Eigenschaften natürlicher Gegenstände. Der Magier kannte diese Zusammenhänge. Daher konnte er die Natur gemäß ihren eigenen Gesetzen manipulieren. Bedeutsamer war jedoch, dass mit der Kenntnis der Natur eine Annäherung an Gott als den Schöpfer der Natur gelang: Die Magie war insofern transzendentales Wissen, der Vision eines Mystikers ähnlicher als naturwissenschaftlicher Erkenntnis im modernen Sinn. Schon Thorndike, ein US-amerikanischer Pionier der Magiegeschichte, betonte, dass magia naturalis nicht einfach als »Vorläufer« der Naturwissenschaften abgewertet werden darf. Vielmehr muss sie als ein philosophisches System aus eigenem Recht betrachtet werden. Neuerdings ist zurecht auf die politische Bedeutung besonders der Alchemie verwiesen worden (Thorndike 1923–1958; Copenhaver 1992; Clark 1997: 149–311; Nummendal 2007; Klassen 2013).

Geisterbeschwörung

Die Anhänger der Gelehrtenmagie, insbesondere die bedeutendsten Renaissancemagier, Marsilio Ficino (1433–1499) und Giovanni Pico della Mirandola (1463–1494), betonten immer wieder, dass ihre Magie keineswegs in Gegensatz zur christlichen Lehre stehe. Das Misstrauen der Kirche konnten sie aber nicht überwinden. Tatsächlich ließ sich magia naturalis nicht immer scharf von der Geister- und Dämonenbeschwörung trennen. Magier versuchten durchaus durch elaborierte Rituale Macht über Dämonen, aber auch Engel und andere Geister zu gewinnen. Diese gelehrte Geisterbeschwörung wurde heimlich von Klerikern ausgeübt (Kieckhefer 1997; Zambelli 2007; Page 2013; Fanger 2012; vgl. Quelle 1 unter www.campus.de: Hartlieb).

Kabbala

Die Gelehrtenmagie der Renaissance befasste sich auch mit Kabbala. Kabbala war eine auf das Hochmittelalter zurückgehende Richtung der jüdischen Theologie. Sie beschäftigte sich kontemplativ mit den verborgenen Bedeutungen der Thora. In der Magie wurde sie häufig auf Buchstaben- und Zahlenmystik verkürzt (Hallamish 1999; Davidowicz 2003).

Schichtenspezifische Magie

Es ist angemessen, von Gelehrtenmagie zu sprechen. Sie setzte Lesefähigkeit sowie Kenntnisse der Mathematik und der alten Sprachen, zumindest des Lateinischen, voraus. Ihre Anhänger brauchten den Zugang zu magischen Schriften, die Alchemisten benötigten zudem technisches Gerät. Diese sehr voraussetzungsvolle Art der Magie blieb ein Minderheitenphänomen, obwohl es ein Feld von ›Amateuren‹ aus der gehobenen Mittelschicht gab. Auch wenn es zu Austauschprozessen zwischen Gelehrtenmagie und Volksmagie kam, lassen sich beide Systeme durch ihre Trägerschichten und ihre Bedeutung für den Alltag klar voneinander unterscheiden. Die Hexenlehre verurteilte die Gelehrtenmagie zwar, die Hexenverfolgungen richteten sich aber nicht gegen Anhänger der magia naturalis.

Die Gelehrtenmagie der Renaissance fußte auf antiken Vorstellungen der Welt als eines organischen Zusammenhangs, der von den Gesetzen der Sympathie geordnet wurde. Die Magier verstanden sich selbst als Elite, die Philosophie mit Natur- und Gotteserkenntnis verband.

3.1.2 Volksmagie

»Volkstümliche Magie«