Hidden - Luisa Lind - E-Book

Hidden E-Book

Luisa Lind

0,0
1,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Nach dem Angriff der Schwarzalben findet sich Lea in deren Versteck wieder. Die Alben behaupten, sie gerettet zu haben, doch sie kommt sich wie eine Gefangene vor. Fern von ihrer Familie und ihren Freunden in Margeriten muss Lea sich ihrem neuen Alltag stellen. Doch nicht alles ist, wie es scheint. Wem kann sie vertrauen? "Da kommt jemand, versteckt euch!" Zu spät, das Schloss klickt bereits und die Tür springt auf. Wir stehen immer noch wie angewurzelt da und starren der Frau voller Entsetzten entgegen. Ich tue das Einzige, zu dem ich im Augenblick noch fähig bin. Der Dolch glitzert mörderisch, als ich ihn drohend auf die Frau in der Türe richte. "Ich habe keine Angst!", brülle ich, und weiß, dass das eine einzige Lüge ist.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Luisa Lind ist ein Pseudonym, hinter dem eine 17-jährige Autorin aus Österreich steckt. „Hidden – Verborgen hinter der Maske“ ist der dritte Band einer 4-teiligen Fantasy-Reihe. Der erste Band „Hidden – Verborgen im Augenblick“ und gleichzeitig der Debütroman der Autorin erschien im Herbst 2022. Die Idee zu dieser ersten Reihe hatte Luisa bereits sehr früh mit etwa acht oder neun Jahren. Schon damals stand für sie fest: Sie will Autorin werden und niemand wird sie davon abhalten können.

„Darkness does not always equate to evil,

just as light does not always bring good.“

-Phyllis Christine Cast

Für alle,

die ihre Trauer

hinter einem Lachen verstecken,

ihren Schmerz

hinter einem Lächeln

und

sich selbst hinter einer Maske.

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Epilog

Prolog:

Lucinda Anwyn schlich sich an der, einen Spalt breit geöffneten Türe, hinter der ihre Mutter arbeitete, vorbei. Sie schaffte es unbemerkt nach draußen.

Das Mädchen lief lachend über die Brücke. Der Anhänger der Lichtalben hüpfte hin und her und schlug ihr leicht auf den Brustkorb.

Immer noch in bester Laune, gelangte Lucinda in den Wald. Sie kannte den Weg zur Lichtung, auf der ihr Vater seine Schüler trainierte. Früher war sie oft mit ihm gegangen, doch nun wollte er das nicht mehr.

Das Mädchen hatte noch lange keinen Fuß auf die Lichtung gesetzt, als sie ihren Vater und dessen Schüler bereits sprechen hören konnte. Sie wollte sich anschleichen und die beiden erschrecken, doch dann hielt sie inne, denn ihr Vater klang verärgert.

„Du musst dich konzentrieren, Liam. Du brauchst das Training mehr als jeder andere“, sagte er zu seinem Schüler.

„Ich weiß, Mr. Anwyn, aber es geht mir zurzeit so viel durch den Kopf …“, erwiderte Liam Hill.

Der junge Mann sah plötzlich sehr erschöpft aus, fand Lucinda. Sie mochte ihn sehr, weil er lustig und freundlich war. Auch ihr Vater, so sagte die Mutter manchmal, hatte eine Schwäche für diesen Elf.

„Mir ist klar, dass es nicht einfach für dich ist. Aber du hilfst ihr auch nicht damit, wenn du deine Kräfte nicht trainierst“, erwiderte Lucindas Vater sanfter.

Sie konnte sich nicht erklären, warum die beiden Männer so angespannt klangen.

„Mr. Anwyn, ich weiß nicht mehr was ich tun soll.“

Liams Stimme war gepresst.

Lucinda hörte sich immer so an, kurz bevor sie anfangen musste, zu weinen. Doch sie war ein dreizehnjähriges Mädchen, kein erwachsener Mann. Was also könnte ihn so verzweifeln lassen, um ihn zum Weinen zu bringen?

„Ich war so unvorsichtig und nun werde ich den Preis zahlen müssen“, sprach Liam weiter. „Doch sie, sie hat nichts verbrochen. Und was ist mit dem Kind? Ich kann Aristine nicht so schutzlos zurücklassen!“

Liam fuhr sich durch das Haar. Seine Augen wanderten ruhelos über die Bäume rund um die Lichtung.

„Sie sind nicht schutzlos, dafür haben wir doch bereits gesorgt“, widersprach Lucindas Vater. Doch er klang nicht überzeugt, dachte sie.

Sie runzelte die Stirn. Worüber sprachen sie nur? Neugierig, wie Lucinda war, beugte sie sich weiter nach vorne.

Da knackste auch schon ein Ast unter ihren Schuhen. „Wie vorhersehbar“, ärgerte sie sich in Gedanken über ihr Missgeschick.

„Lucinda?“, fragte ihr Vater ungläubig. „Was tust du denn da? Warum bist du nicht bei Theodore im Baum?“

Schuldbewusst senkte das Mädchen den Kopf, sodass ihre weißen Haare ihr ins Gesicht fielen.

„Entschuldige bitte Vater, ich wollte nicht lauschen.“

Als Lucinda aufsah, bemerkte sie, wie Liam und der Vater einen Blick wechselten. Doch sie konnte nicht sagen, was er zu bedeuten hatte.

Damals wusste sie noch nicht, welches Schicksal auf sie und ihre Familie zukommen würde. Sie hatte nicht die geringste Ahnung, dass bereits eine Woche später eine Offizierselfe zu ihnen kommen würde.

„Wussten Sie Bescheid über den Verrat und das Verschwinden von ihrem Schüler Liam Hill?“, würde diese den Vater fragen.

Er würde verneinen. Mehrmals. Lucinda würde schlau genug sein, niemals über das Gespräch zu reden, das sie mitangehört hatte.

Doch damit würde Mr Anwyn nicht lange durchkommen, so oft er sich in den nächsten Wochen auch herausredete. Schließlich würden die Lichtalben genug Beweise haben, um den Vater mitzunehmen. Sie würden ihn im Februar, dem 19., um ganz genau zu sein, in eine Zelle unter dem Schloss von Königin Freya einsperren.

Theodore und Lucinda würden ihre Mutter anflehen, etwas zu unternehmen, doch Mrs Anwyn würde nichts dergleichen tun. Sie würde ein paar Tränen weinen, wenn die drei den Vater sehen dürften, was nur durch die gute Stellung der Mutter bei den Lichtalben möglich würde. Doch sie würde nichts tun, um ihren Mann nach Hause zu holen.

Mr Anwyn würde bald nicht mehr aussehen wie der starke, gebildete Mann, der er einst gewesen war. Er wäre schmutzig, sein Gewand zerlumpt und er würde zerbrechlich wirken wie ein alter Mann. Lucinda würde ihren kleinen Bruder an sich drücken und sich wünschen, er wäre nicht mit ihnen gekommen, um den Vater zu sehen.

„Lu?“, würde der Bruder fragen, während die Tränen über sein junges Gesicht laufen würden. „Vater hat nichts verbrochen, habe ich recht? Er ist ein guter Mann, der das hier nicht verdient, nicht?“

Theodores Augen würden funkeln, wenn er hoffnungsvoll zu seiner älteren Schwester aufsehe.

Doch diese würde schweigen.

„Wenn ich das nur wüsste …“, würde Lu denken und schwer schlucken.

„Lucinda, komm her meine Große“, würde der Vater mit rauer Stimme rufen und sie zu sich winken.

Seine schmutzigen, dürren Finger würden die Gitterstäbe umklammern. Er würde seine Tochter auf der anderen Seite mit großen Augen ansehen.

Sie würde sich ganz nahe heranbeugen, sodass die Lippen des Vaters beinahe an ihrem Ohr liegen, wenn er ganz leise flüstert: „Vertraue niemandem, Lucinda. Und versprich mir, auf Theodore aufzupassen, so gut es geht.“

Sie würde nicht antworten können, ihr Hals würde wie zugeschnürt sein. Also würde sie nur nicken, ohne zu wissen, dass sie dieses Versprechen nicht würde einhalten können.

Lucinda Anwyns Visionen würden schreckliche Bilder und Szenen zeigen. Sie würde über die schlimmsten Geheimnisse der Lichtalbenwelt wissen. Ihre schreckliche Angst vor ihrer Königin würde sie letzten Endes verraten.

Das Einzige, was sie tun können würde, um ihr Versprechen ansatzweise zu halten, würde sein, ihrem Bruder eine Nachricht zu schreiben, bevor es zu spät sein würde:

Nachdem du das liest, musst du es sofort verbrennen, verstanden? Vertraue niemandem und schau, dass du von hier fortkommst, wenn es so weit ist. Hoffe auf keine Hilfe, das wäre furchtbar naiv von dir, Bruderherz. Sei vorsichtig und lasse niemanden sehen, was du weißt und denkst.

Ich liebe dich Ted, wir sehen uns auf der anderen Seite.

Auf ewig, Lu

Kapitel 1

Datum und Ort unbekannt

Blinzelnd öffnet er seine schweren Lider. Grau. Das ist alles, was er sieht. Nichts als Grau.

Das soll der Tod sein?

Unscharf erkennt er Wände. Mühsam versucht er, sich zu bewegen und seine steifen Glieder zu strecken, doch es gelingt ihm nicht.

Langsam verschwindet die Benommenheit aus ihm. Er wird wacher. Immer noch kann er sich nicht umdrehen. Seine Hände und Füße sind an den Stuhl gefesselt, auf dem er sitzt.

Seine Erinnerungen kehren zurück: der Nebel, die Müdigkeit – und sein Elfenmädchen, Lea.

Hektisch reißt er an den Fesseln. Er muss zu ihr. Er muss sie suchen. Muss sie finden.

In Gedanken sucht er sie, ihre klare Stimme in seinem Kopf, doch sie ist fort.

„Lea!“, ruft er trotzdem.

Sie zu finden ist alles, was zählt. Seine Stimme klingt kratzig. Es folgt Stille. Brüllende Stille.

Entsetzt starrt er vor sich hin. Warum kann er sie nicht finden? Sie muss etliche Kilometer weit fort sein, wenn er sie nicht erreichen kann. Oder ist sie etwa … nein, sie muss leben. Sie muss einfach!

Er fühlt sich hilflos ohne sie. Seine Sicht ist unscharf und sein Gehör taub. Er hört nichts, gar nichts. Kein Atem in der Nähe. Als wäre er völlig allein und abgeschottet von allem.

Da knackt es und eine verzerrte Stimme ertönt: „Da ist ja jemand aufgewacht. Wie hast du geschlafen?“

Sie kommt von allen Seiten gleichzeitig und dröhnt dem Jungen im Kopf.

„Wo ist sie?“, brüllt er, ohne auf die Worte der Stimme einzugehen – er weiß noch nicht einmal, ob es sich dabei um einen Mann oder eine Frau handelt, so verzerrt klingt sie. „Wo ist das Mädchen?“

„Du bist vielleicht stürmisch … sie ist auch bei uns“, erwidert die Stimme und klingt beleidigt.

„Wer seid ihr? Was wollt ihr von uns?“, brüllt der Junge.

Er wirft mit einer Kopfbewegung sein schwarzes Haar zurück, das ihm ins Gesicht gefallen ist.

„Ich denke, wir sollten warten, bis deine kleine Freundin aufgewacht ist. Ich habe keine Lust, alles zweimal zu erklären. Ehrlich nicht.“

Seine Handgelenke schmerzen von den Seilen, die eng um sie gewickelt worden sind, doch er zerrt weiter daran. Immer noch kann er Lea nicht mit seinen Gedanken erreichen, was ihn schrecklich nervös macht.

Plötzlich aber vernimmt er hinter sich ein Geräusch. Es ist nur leise, doch es klingt wie ein quietschender Stuhl. Der Junge möchte herumfahren, doch die Fesseln lassen es nicht zu. Er überlegt, warum er keinen Atem hört, wenn anscheinend doch noch jemand anderer im Raum ist.

Da ertönt ein leises Stöhnen, und als eine schwache Stimme seinen Namen flüstert, entspannen sich seine Muskeln wieder.

~*~

Mein Kopf dröhnt. Meine Kehle ist staubig und ausgetrocknet. Jeder einzelne Knochen in meinem Körper schmerzt entsetzlich. Abgesehen natürlich von denen, die ich gar nicht mehr spüre, wie zum Beispiel meine Finger.

Meine Gelenke sind steif und unbeweglich. Vor meinen Augen sehe ich verschwommen graue Farbe.

Ich weiß nicht, wo ich bin, oder gar, wie ich hierhergekommen bin. Doch an eine einzige Sache erinnere ich mich sehr wohl: Er ist tot.

Ich habe zugesehen, wie mein bester Freund stirbt und habe nichts dagegen machen können. Ich bin zu schwach gewesen, um ihn zu retten, dabei habe ich gewusst, dass es passieren würde.

Und dennoch habe ich nur zusehen können, wie er vor mir zusammenbricht. Habe seinen letzten Worten gelauscht, bevor ich dann ebenfalls gefallen bin. Gefallen ins Nichts, in eine Leere, die nun in meinem Inneren haust.

Ich versuche, aufzustehen, denn was auch immer das unter mir ist, es ist hart und ungemütlich. Es knarzt wie Holz und erst da bemerke ich die Seile um meine Handgelenke, die mir das Blut abschnüren. Auch meine Füße sind gefesselt.

Ich spüre den Schmerz. Er dringt immer weniger gedämpft zu mir hindurch. Es herrscht absolute Stille. Nichts rührt sich.

Wieder spüre ich die Leere in mir, als wäre Ben grausam herausgerissen worden. Probeweise versuche ich, ihn in Gedanken zu erreichen, doch ich kann ihn nicht aufspüren. Natürlich nicht, er ist tot, nicht mehr da. Für immer fort.

„Ben?“, flüstere ich dennoch heiser in den Raum.

Ich fühle mich allein wie noch nie. Ich bin gefesselt an einem Ort, den ich nicht kenne, völlig schutzlos und ausgeliefert. Wie konnte es nur so weit mit mir kommen?

„Ich bin hier, Lea“, höre ich eine vertraute Stimme hinter mir.

Ich habe sie so oft in den letzten Monaten gehört, dass es keinen Zweifel gibt: Es ist Ben.

Die Seile schneiden in mein Fleisch, als ich ruckartig versuche, mich umzudrehen. Doch die Fesseln hindern mich erfolgreich daran, zu sehen, was ich sehen möchte.

Weil er nicht hier ist, Lea. Noch willst du es nicht glauben, aber Ben ist nicht mehr da. Er ist tot.

Ein Schluchzer dringt aus meiner Kehle und heiße Tränen laufen mir über die Wangen.

„Nein, das bist du nicht. Das kannst du nicht sein“, widerspreche ich zittrig.

Ich darf nicht zulassen, dass ich mir Hoffnungen mache, er könnte noch am Leben sein. Das würde alles nur erschweren.

Aber natürlich ist es zu spät. Die Hoffnung lässt mein Herz hüpfen, obgleich es mich gleichzeitig mit unsagbarem Schmerz erfüllt.

„Doch, das bin ich. Das werde ich immer sein, versprochen“, sagt Bens Stimme nachdrücklich.

Mein Herz will ihr glauben. Dieses blöde Ding!

Bevor ich aber eine Entscheidung treffen kann, ertönt noch eine weitere Stimme.

„Sehr schön, jetzt seid ihr beide wach.“

Die Worte klingen eigenartig verzerrt und ich kann nicht feststellen, woher sie kommen. Stellenweise rauschen sie ein wenig, weshalb ich davon ausgehe, dass sie aus Lautsprechern ertönen.

„Ich will sofort erfahren, wo wir sind und was du von uns willst!“, brüllt Ben wütend zurück.

Eindeutig merke ich jedoch, dass seine Stimme zittert. Er hat Angst. Große sogar, ebenso wie ich selbst.

„Seltsamerweise bin ich davon ausgegangen, ihr wärt schon längst draufgekommen“, ertönt wieder die Stimme.

Die klingt ernsthaft verwundert, fast ein bisschen aus dem Konzept gebracht.

Als wir beide schweigen, fährt sie fort: „Denkt nach. Wer wäre als einziger imstande, Lichtalben aus ihrem eigenen Gebiet zu entführen?“

Erschrocken schnappe ich nach Luft, als mir klar wird, mit wem wir es zu tun haben. Tatsächlich kommt da niemand anderer in Frage als die-

„Schwarzalben! Du bist ein Schwarzalb!“, rufe ich entsetzt aus.

„Ja, das ist richtig.“

Absurd, wie erfreut die Stimme plötzlich klingt. „Da dies soweit geklärt ist, kommen wir zur zweiten Frage: Wir haben euch nicht etwa hierhergebracht, weil ihr unsere Feinde seid. Um genau zu sein, haben wir euch vor unseren gemeinsamen Feinden gerettet. Den Lichtalben. Stimmt ihr zu?“

Ich möchte gerade antworten, als Ben mir zuvorkommt: „Wir verraten euch bestimmt nichts. Erst möchten wir dich persönlich sehen, dann überlegen wir uns, was wir preisgeben.“

Seine Stimme klingt fest, als hätte er hier das Sagen, obwohl er in Wirklichkeit vermutlich, ebenso wie ich, gefesselt auf einem Stuhl sitzt und ihr Gefangener ist. Ich bewundere sein Selbstbewusstsein in dieser Situation. Wie viele Fünfzehnjährige könnten wohl in einer solchen Situation intuitiv derart richtig reagieren wie er?

„Nicht übel, Bursche, wirklich nicht übel“, lacht die Stimme anerkennend. „In Ordnung, ihr könnt mich persönlich sprechen.“

Ein Knacken aus dem Lautsprecher.

Dann Stille.

Einen Augenblick später höre ich, wie eine schwere Türe aufgeht, doch ich sehe sie nicht. Sie liegt seitlich außerhalb meines Sichtfeldes.

Kurz darauf wird mein Stuhl herumgezerrt, sodass ich sie ansehen kann. Es sind mehrere. Insgesamt vier. Allesamt tragen sie schwarze Sturmmasken über ihren Gesichtern, sodass ich sie nicht sehen kann.

Ein Mann – er ist eindeutig zu groß und zu stämmig, um eine Frau zu sein – steht wie ein Bodyguard vor der Türe, die mittlerweile wieder geschlossen ist. Zwei weitere Schwarzalben mussten die Stühle umdrehen und ein dritter sieht zu.

Nun kann ich endlich auch Ben ansehen. Er sitzt einen Meter entfernt, ebenfalls gefesselt. Seine schwarzen Haare fallen ihm ins Gesicht und er sieht blasser aus als sonst.

Als er mich aber ansieht, sind seine grünen Augen so überirdisch schön wie immer. Seine selbstsichere Ausstrahlung gibt mir die Kraft, mich aufrechter hinzusetzen und unseren Gegnern furchtlos entgegenzublicken.

Da nimmt der Mittlere seine Sturmmaske ab. Er sieht jünger aus, als ich erwartet habe. Seine Augen sind braungrün, seine Haare mittelbraun. Sie reichen ihm bis zur Schulter und wellen sich widerspenstig. Ich schätze ihn auf etwa dreiundzwanzig.

Da grinst er plötzlich über das ganze Gesicht, als wären wir alte Freunde. Ich blicke ihn verwirrt an.

„Tut mir leid wegen der Sicherheitsvorkehrungen, echt Leute. Das musste aber sein. Wir können uns nicht vollkommen sicher sein, ob unser Informant auch wirklich keinen Fehler gemacht hat. Obwohl ich zugeben muss, dass der Schneehase mein vollstes Vertrauen genießt.“

Einen Moment sieht er aus wie ein stolzer Vater. Er zwinkert uns verschwörerisch zu, dann lacht er. Niemand setzt mit ein.

Der junge Mann wirkt heiter, ein völliger Kontrast zur Situation.

Geschwind fange ich mich wieder und verlange zu wissen: „Und warum sind wir hier? Was bringt es euch, zwei Kinder zu entführen?“

Ich finde die Frage mehr als berechtigt, doch mein Gegenüber gluckst amüsiert auf. Er scheint wirklich gut aufgelegt zu sein.

Böse blicke ich zurück. Er hat nicht das Recht, mich auszulachen, auch nicht, wenn ich gefesselt vor ihm sitze. Schon gar nicht dann.

„Ich habe doch schon gesagt, dass wir euch nichts tun wollen, das sind nur Vorkehrungen zu unserer Sicherheit. Keine Panik, euch passiert nichts“, antwortet er immer noch im Plauderton, was mich mit der Zeit nervt.

„Vorkehrungen zu eurer Sicherheit? Warum? Weil zwei gefesselte Kinder den Schwarzalben so gefährlich werden könnten?“, höhnt Ben herablassend.

Mit einem Mal wird mir klar, dass er recht hat.

Die Alben halten Abstand von uns, zeigen ihre Gesichter und Stimmen nicht und sind kampfbereit aufgestellt, nur der Sprecher nicht. Sie haben Angst vor uns. Vor zwei Teenagern.

Beinahe lache ich auf, kann mich aber noch rechtzeitig zurückhalten.

Der junge Mann zuckt ungerührt mit den Schultern und meint versöhnlich:

„Wir wissen viel von euch, aber nicht genug. Vor euren Kräften wurden wir gewarnt, weshalb wir sie abgestellt haben. Doch ihr habt nichts zu befürchten, wir wollen nur nicht, dass jemand verletzt wird.“

Unsere Kräfte wurden abgestellt? Wie ist das möglich? Das darf doch nicht wahr sein? Wie viel Angst muss man haben, um das zu tun?

„Wir haben keine Kräfte mehr? Sehen wir deshalb unschärfer? Hören weniger gut?“, empört sich Ben ebenso geschockt, wie ich es bin.

Schön langsam scheint auch die Geduld des Sprechers zu schwinden.

„Dürfte ich euch jetzt endlich erklären, weshalb ihr hier seid? Ihr werdet schon bald genug alles erfahren, was ihr wissen müsst.

Gut, denn wir haben euch geholt, weil wir alarmiert wurden, ihr würdet über Informationen verfügen, welche euch in der Nähe der Lichtalben in Gefahr bringen würden.

Der Schneehase, einer unserer Spione in Alfheim, lässt nur von sich hören, wenn es sehr wichtig ist, und offensichtlich war er äußerst besorgt um euer beider Wohlergehen. Wir mussten schnell eingreifen und der Giftnebel war dazu bestens geeignet. Ich entschuldige mich vielmals für Unannehmlichkeiten, doch es war notwendig.

Unser Informant hat euch mit einer Nachricht in den Wald gelockt, alles zu eurem Schutz. Wir sind also nicht eure Feinde, ganz im Gegenteil: Wir wurden gebeten, euch zu retten.“

Ich starre ihn mit offenem Mund an und kann es nicht glauben. Der Nebel, der Ben umgebracht haben sollte, war eine Rettungsaktion? Stammte die Nachricht tatsächlich von Kim oder war das eine Tarnung? Wer könnte die Schwarzalben informiert haben, dass wir Hilfe benötigen?

„Euch ist bestimmt vertraut, dass der Feind unseres Feindes bekanntlich unser Freund ist. In unserem Fall kommt da nur ein einziger Gegner der Lichtalben in Frage“, höre ich Mailas Stimme wieder in meinen Ohren, als sie und Eleonore uns vorgeschlagen hatten, die Schwarzalben als Hilfe gegen die Lichtalben zu holen.

Ben und ich haben lautstark protestiert und abgelehnt.

„Granny und ich wissen nicht, wie wir Kontakt zu den Schwarzalben aufnehmen können. Wäre es einfach, so könnte es ja jeder. Ihr habt also noch etwas Zeit, seid jedoch gewarnt und vorbereitet. Lange wird die Veränderung nicht auf sich warten lassen“, meinte Maila schließlich.

„Sie haben es also tatsächlich geschafft! Eleonore hat einen Weg gefunden, euch zu kontaktieren, richtig?“, rufe ich erstaunt aus und fühle mich auf einmal erleichtert.

Die Devants haben das hier organisiert. Also wird alles gut werden.

Auch Ben atmet erleichtert aus und entspannt sich sichtlich.

„Eleonore? Welche Eleonore?“, fragt der Schwarzalb und sieht uns neugierig an.

„Eleonore Devant natürlich. Sie hat uns versprochen, sie findet einen Weg um mit euch in-“, beginne ich, breche jedoch ab und Ben fährt misstrauisch fort: „Sie war es doch, oder? Sie hat euch geschickt?“

„Nein, eine Eleonore Devant kennen wir nicht“, widerspricht der junge Mann ehrlich bedauernd. „Wir dürfen euch noch nicht verraten, wer unser Informant ist, doch sicherlich werdet ihr das bald erfahren.“

Wir nicken niedergeschlagen.

Da befiehlt der junge Mann den anderen Alben, uns die Fesseln abzunehmen.

„Ihr greift uns doch nicht etwa an, oder?“, lacht er.

Wir verneinen.

Der Schwarzalb, der die Seile um meine Handgelenke löst, hat schmale Hände und lange Fingernägel. Er riecht nach Frauenparfüm und um die hellbraunen Augen hinter der Sturmmaske kann ich Mascara auf den Wimpern sehen. Sie ist eine Frau, wie ich etwas verwundert feststelle, denn ich hatte sie vorher nicht näher angesehen.

Es ist fürchterlich nervig, plötzlich wieder menschlich zu sehen, nachdem man monatelang mit einem Blick alles bemerkt hat. Jede Einzelheit, war sie auch noch so unauffällig. Ich fühle mich plötzlich blind und taub.

Als meine Fesseln zu Boden fallen, springe ich sofort auf und umarme Ben stürmisch. Er erwidert die Umarmung kurz und fest, bevor er sich wieder von mir löst. Ich merke, wie er mich ein Stück hinter sich schiebt, während er die Schwarzalben nicht aus den Augen lässt.

„Eine Frage hätte ich noch“, beginne ich langsam, denn Eleonores Erwähnung hat mich an unser Versprechen ihrer Tochter gegenüber erinnert. „Gibt es hier einen gewissen Liam Hill?“

Ich merke, wie der Sprecher kurz innehält, bevor er nachhakt, ohne jegliche Heiterkeit in seiner Stimme: „Warum? Wie kommst du darauf?“

„Wir haben jemandem versprochen, ihn zu finden und soweit wir wissen, wollte er vor vielen Jahren zu den Schwarzalben fliehen“, erklärt Ben und mustert den Schwarzalb eindringlich. „Kennst du ihn?“

Dieser schüttelt dennoch den Kopf, sodass seine Haare hin- und herfliegen. „Nein, nie gehört.“

Damit scheint für ihn das Thema abgehakt zu sein und ich belasse es dabei. Nach Hill können wir auch später noch suchen, erst müssen wir alles andere regeln.

Wenig später sitze ich auf dem harten Bett in meinem Zimmer. Auch hier ist es eintönig grau und nur spärlich eingerichtet. Doch das stört mich nicht so sehr, wie die Tatsache, dass es ein Einzelzimmer ist, und Ben in ein anderes geführt worden ist.

„Übrigens denke ich, dass ich euch jetzt meinen Namen verraten darf“, meinte der Schwarzalb, als er mich hierhergebracht hat und klang plötzlich wieder heiter. „Ich bin Ted! Schön, dich und deinen Freund kennenzulernen.“

Dass Ben und ich nicht diese Art von Freunde sind, verbesserte ich nicht. Ich wollte meinen Namen ebenfalls nennen, aber Ted redete schon weiter, also ließ ich es bleiben. Er erzählte, dass wir nicht immer hierbleiben müssten, in diesem Zimmer.

„Anfängliche Vorkehrungen, du weißt schon“, nannte er es.

Er überprüfte auch, ob die Informationen, die der Informant übermittelt hatte, korrekt waren. Das waren sie. Er oder sie muss gut Bescheid wissen über Ben und mich. Sogar das Gedankenlesen und die Visionen waren nicht vergessen worden.

Ted meinte, wir würden, sobald alles geklärt sei, in Räumlichkeiten kommen, in denen wir unsere Magie wieder benützen könnten.

„Es ist Gas in der Luft, welches das Benützen von Magie in diesem Trakt verhindert. Das gilt für alle Alben, nicht nur für euch, was ich vermutlich nicht hätte erwähnen sollen … aber was soll´s. Der Informant war davon überzeugt, euch vollkommen trauen zu können. Muss ein wahrer Freund von euch sein.“

Schließlich ließ er mich allein.

„Damit du dich schön ausruhen kannst“, meinte er und zwinkerte mir vertraulich zu.

Von da an überlege ich hin und her, wie es weitergehen könnte. Ted ist zwar etwas gewöhnungsbedürftig, aber nett. Ich glaube, wir würden uns gut verstehen, sollten wir hier tatsächlich willkommen sein. Er ist überzeugt davon, dass wir bald richtig zu ihnen gehören. Ich bin nicht sicher.

Auch der Informant will mir nicht aus dem Sinn gehen. Wie wusste diese Person alles so genau über uns? Er oder sie muss uns lange beobachtet haben oder aber nahegestanden sein. Aber die wenigsten wussten über die Sache mit den Gedanken, von den Visionen ganz zu schweigen. Oder?

Traurig macht mich aber, dass wir scheinbar hier festsitzen und niemand von unseren Familien und Freunden weiß, was passiert ist. Oma und Opa werden sich schreckliche Sorgen machen und vermutlich auch noch Vorwürfe. Mum und Dad sicherlich ebenfalls. Sie werden erfahren, dass wir von Schwarzalben entführt worden sind, was die Sache für sie nicht erleichtern wird.

Feli wird möglicherweise nicht wissen, was los ist, da niemand auf die Idee kommt, dass sie die Lüge, die sich die Elfen zweifellos für unser Verschwinden ausdenken, nicht glauben wird. Sie wird denken, etwas sei im Gange und man hätte uns vielleicht beseitigt. Ich kann nur hoffen, Feli ist in Sicherheit und macht sich nicht zu viele Gedanken.

Amalia und Tante Emma werden völlig verwirrt sein und sich fragen, was wir ihnen hätten erzählen wollen, bevor wir entführt worden sind. Nun haben sie auch Ben verloren, sie werden am Boden zerstört sein.

Wie spät ist es überhaupt? Wie viel Zeit ist vergangen? Vielleicht sogar Tage? Welches Datum haben wir?

Gedankenverloren streiche ich mir über den Hals. Dort baumelt keine Kette mehr. Sie ist fort, seitdem ich hier bin, und obwohl es sich ungewohnt anfühlt, bin ich erleichtert.

Zumindest habe ich mein Armband noch. Es war ein Geschenk von Ben. Meine Finger gleiten pausenlos darüber, so fühle ich mich ihm näher. Wie gerne ich mit ihm sprechen würde …

Nach einer Ewigkeit – es müssen Stunden vergangen sein – höre ich einen Schlüssel im Schloss. Dann geht die Türe auf. Ein asiatisch aussehender Mann – ich sehe nur seine mandelförmigen Augen, der Rest seines Gesichtes liegt verdeckt unter einer Sturmmaske – kommt herein, ein Tablett in den Händen. Er lächelt mich unter dem schwarzen Stoff an und ich sehe Mitleid in seinem Blick, aber auch etwas Aufmunterndes.

„Ich bringe Essen“, verkündet er und kommt näher. „Du solltest etwas davon zu dir nehmen. Es ist nicht vergiftet und schmeckt auch, versprochen.“

Ich nicke dankbar und nehme das Tablett entgegen, greife aber dennoch nicht zu.

Der Mann bleibt zögernd stehen und fährt sich mit einer gewaltigen Hand über den Stoff, als würde er sich durch die Haare fahren.

„Fast alle hier haben das durchgemacht, es gehört zur Aufnahmeroutine. Aber keine Sorge, es wird es wert gewesen sein, wenn ihr erst einmal aufgenommen seid, du und dein Freund.“

Diesmal schenke ich ihm ein Lächeln und es kommt von Herzen. Der Asiate nickt mir noch einmal zu, dann wendet er sich ab und verlässt das Zimmer.

Ich hoffe, er hat recht, und es war ein Glück, dass die Schwarzalben uns zu sich geholt haben. Denn was das anbelangt, bin ich mir immer noch nicht sicher.

Das Essen ist tatsächlich nicht schlecht, die Tomatensuppe schmeckt sogar ziemlich gut. Sie ist noch warm und ich schlürfe sie in einem Höllentempo hinunter.

Nun ist zumindest der Hunger gestillt. Doch meine Glieder schmerzen immer noch und ich benötige dringend Schlaf. Diesem Bedürfnis möchte ich aber auf keinen Fall nachgeben, denn ich will um jeden Preis wach bleiben.

Ich wandere leise im Zimmer umher. Zumindest versuche ich es, in Wirklichkeit fühle ich mich wie ein Trampel, ein Elefant im Porzellanladen. Meine Schritte fühlen sich schwer und tollpatschig an. Zwar höre ich nicht so gut wie Elfen es normalerweise tun, aber selbst mir fällt meine Ungeschicklichkeit auf.

Meine Hand liegt auf der kühlen, bestimmt sehr dicken Wand und ich stelle mir vor, was Ben dahinter wohl gerade macht. Ich vermisse ihn ebenso wie meine Familie und Freunde, dabei ist er doch nicht weit entfernt.

Zumindest nicht von der Entfernung, die man sehen kann. In Wirklichkeit vermisse ich seine Anwesenheit in meinem Kopf, seine Stimme, wie sie mir – und nur mir – etwas mitteilt. Ich vermisse unsere Verbindung. Ohne ihr fühle ich mich klein und ängstlich. Alleine.

Nach einer Weile lege ich mich wieder auf das winzige Bett und starre an die Decke. Ich überlege, wie grotesk die Situation doch ist. Sie retten uns vor ihren Feinden und sperren uns dann weg. Zwar ist klar, dass wir ebenfalls bis vor kurzem zu den Lichtalben gehörten, aber sie hätten uns ja nicht holen müssen.

Zu welcher Seite gehören wir aber jetzt?

Wir sind weder Lichtalben noch Schwarzalben. Streng genommen sind wir ohne unsere Kräfte auch keine richtigen Elfen mehr. Menschen aber auch nicht. Wir sind schlicht Ben und Lea, verloren in einer schwindelerregenden Lüge, die weiter reicht, als man ahnen würde.

Erschrocken fahre ich hoch. Immer noch sitze ich in dem Zimmer. Alleine. Das Tablett ist verschwunden, stattdessen steht nun ein Obstteller bereit und etwas zu trinken. Wasser nehme ich an.

Ärgerlich komme ich auf die Beine. Ich bin doch tatsächlich eingeschlafen! Ich trete von einem Fuß auf den anderen und frage mich, wo ich eine Toilette finde könnte.

„Hallo? Ist da jemand?“, rufe ich und hämmere ungeduldig gegen die Türe. „Ich müsste mich dringend mal entleeren, wenn das bitte möglich ist.“

Da höre ich wieder einen Schlüssel und warte erleichtert, dass die Türe aufgeht. Eine Frau, ebenfalls unter einer schwarzen Sturmmaske versteckt, führt mich durch die Gänge zu einer Toilette, wartet dort unmittelbar vor der Türe, und geleitet mich später wieder zurück.

Ich bedanke mich höflich, doch sie blickt mich nur schweigend an und geht dann wieder. Ich mache mich über das Obst her und lasse es mir schmecken. Anschließend schlafe ich ein wenig. Ich habe beschlossen, dass ich ausgeruht sein sollte, da die Schwarzalben scheinbar nicht vorhaben, mir etwas anzutun.

So geht es dahin, ich esse und trinke, schlafe und wandere durch das Zimmer. Man bringt mir Stärkung, lässt mich aber nur nach draußen, wenn ich ein dringendes Bedürfnis verspüre. Ab und an kann ich duschen gehen und Zähne putzen darf ich nach jeder Mahlzeit. „Wir wollen doch nicht, dass du Karies bekommst, Schätzchen!“, so Ted.

Doch selbst dann werde ich bei jedem Schritt überwacht. Ich beschwere mich nicht darüber, sondern folge brav den Regeln und Vorschriften.

Ben habe ich seit ich hier bin nicht mehr gesehen. Das Zeitgefühl habe ich vollkommen verloren. Ich zähle die Mahlzeiten nicht mehr, es hat keinen Sinn. Vielleicht bin ich ein paar Tage hier, vielleicht bereits einige Wochen. Ich weiß es nicht mehr und es interessiert mich auch nicht.

Anfangs habe ich versucht, die Alben auszufragen. Ich wollte wissen, welches Datum wir hätten, wie spät es sei, wo ich sei und vieles mehr. Antworten habe ich fast nie bekommen, weshalb ich schließlich aufgegeben habe.

Einige Male noch habe ich Ted gesehen, doch auch er schweigt, wie alle anderen. Zwar tut es ihm sichtlich leid, mir nicht weiterhelfen zu können, doch das Einzige, das sie alle betonen, ist, dass beinahe jeder diese erste Zeit überstehen müsse und dass es besser werde.

„Wann? Wie lange muss ich noch hier sitzen?“, wollte ich wissen, doch das konnte oder wollte mir keiner von ihnen beantworten. Es war frustrierend, aber ich habe mich damit abgefunden, habe aufgehört, zu schreien, wenn ich mich besonders einsam fühle.

Jede Nacht, oder wann auch immer ich eben schlafe – ich glaube nicht, dass ich das in der Nacht tue – werde ich von Albträumen gequält. Ich beiße die Zähne zusammen, wiege meinen Oberkörper, umschlungen von meinen Armen, vor und zurück und flüstere mir selbst zu, dass ich bald zu ihnen gehören werde. Ben und ich, wir werden akzeptiert werden und wieder eine Familie haben.

Ich sitze im Schneidersitz in meinem Bett und werfe die Kirschkerne, Apfelkerne und was ich sonst noch so habe gegen die Wand gegenüber. Das Grau ist schmutzig und ich versuche, meine Geschosse stets auf einen ganz bestimmten Fleck zu werfen.

So vertreibe ich mir die Zeit. Anfangs habe ich noch gezählt, doch das wird nach so vielen Stunden langweilig. Ich habe gelernt, mich zu beschäftigen. Das ist hier sehr wichtig. Ansonsten würde ich verrückt werden. Würde zu viel an mein altes Leben denken. Meine Familie. Feli. Amalia und Erik. Ich vermisse sie so sehr, dass es schmerzt.

Ich muss mich ablenken.

Gerade werfe ich einen kleinen Pfirsichkern, als sich der Schlüssel auf der anderen Seite der Türe im Schloss dreht. Ich sehe nicht auf, vermutlich bringt man mir wieder Essen.

Pling. Mein Kern trifft auf den Fleck – ich habe schon so oft geworfen, dass ich mittlerweile immer treffe – und ich greife nach dem nächsten. Es ist ein Kirschenkern. Pong.

„Lea?“, spricht mich jemand an. Die Stimme kommt von der Türe.

Ich kenne sie nicht, also sehe ich nicht auf, sondern lange wieder zu meinen Geschossen, um ein neues zu schießen. Ein Stöhnen beurteilt meine Unhöflichkeit.

„Es ist so weit, wir wollen mit dir sprechen“, verkündet die Stimme.

Endlich wende ich mich ihr zu. In der Türe steht eine Gestalt mit einem Schlüssel in der behandschuhten Hand und wartet auf mich.

Geduldig verharrt der Schwarzalb mit den dunklen Augen und der karamellfarbenen Haut, bis ich mich erhoben habe, und in seine Richtung wanke. Die Frau schenkt mir kein Lächeln, wie die meisten der Alben, sondern wendet sich zum Gehen.

Ich folge ihr durch die Gänge und bin überrascht, keine Augenbinde oder Fesseln angelegt zu bekommen. Bisher hat man das auch nicht getan, aber da ging ich auch nur zu einem Bad, unweit von meinem Zimmer.

Diesmal möchte man wirklich mit mir sprechen, mir vermutlich Fragen beantworten und mit etwas Glück gehöre ich dann auch zu ihnen.

Und Ben? Werde ich ihn endlich wiedersehen?

Meine Brust zieht sich zusammen vor Sehnsucht und ich stolpere schnell weiter.

Schon nach kurzer Zeit sind wir an unserem Ziel angelangt. Einige Alben mit schwarzen Stoffen über den Köpfen öffnen eine schwere Türe. Darunter ist der Asiate, welcher mir schon oft das Essen gebracht hat. Er hat mir sogar seinen Namen anvertraut, was uns sozusagen ein wenig zu Freunden gemacht hat.

Ich lächle Hiroshi Yar nervös zu und er erwidert es ermutigend. Dabei wirkt er fast fröhlich. Sogleich fühle ich mich besser.

Meine Begleiterin deutet mir, in den Raum hinter der schweren Türe einzutreten.

Ich zögere.

Erst, als Hiroshi Yar mir auffordernd zunickt, folge ich der Anweisung und betrete mein neues Leben.

Kapitel 2

In dem Raum ist die Einrichtung ebenso spärlich wie in den Gemäuern, in denen ich bisher war, allerdings ist das Licht hier heller. Das Zimmer wirkt leer, beinahe provisorisch. Ganz anders, als ich es von den Lichtalben in Alfheim gewohnt bin. Diese erschaffen ihre Welt liebevoll mit vielen Dekorationen und wunderschönen Details.

Ich schlurfe in den grauen Raum hinein und sehe mich blinzelnd um. Weiter hinten steht ein länglicher Tisch, dahinter sitzen einige Gestalten.

Ich gehe ungeschickt darauf zu, hinter mir die Alben mit den schwarzen Sturmmasken. Jetzt weiß ich zumindest, woher sie ihren Namen haben. Er passt tatsächlich ziemlich gut.

Meine Augen tränen ein bisschen, haben sich aber im Großen und Ganzen bereits an das hellere Licht hier drinnen gewöhnt. Mir ist vorher nie aufgefallen, wie düster es bei den Schwarzalben immer war.

„Lea Körner alias Elea O´Brien, setz dich bitte”, begrüßt mich eine zierliche Frau freundlich.

Als ich mich auf den Stuhl auf meiner Seite des Tisches zubewege, höre ich hinter mir, wie die schwere Türe erneut aufgeht. Ich drehe mich um und da sehe ich ihn das erste Mal seit Ewigkeiten – und erstarre.

Sein schwarzes Haar fällt ihm strähnig in das einst so wunderschöne Gesicht. Er ist über und über mit Schmutz bedeckt. Doch das ist nicht die wirkliche Veränderung. Ich sehe bestimmt fast ebenso verwahrlost aus.

Was mich aber schockiert, sind seine Gesichtszüge, die Art, wie er sich bewegt, sein Blick, wie er sich umsieht. Seine Augen sind dunkel, wie ich sie noch nie gesehen habe und funkeln gefährlich. Sein Gesicht war nie so angsteinflößend.

Es ist nicht mehr der Ben, den ich kenne und liebe, sondern jemand anders, zu dem er durch das Geschehene geworden ist. Ich sehe die Veränderung deutlich an der Haltung, dem wachsamen bösen Blick, der blassen Haut unter dem Dreck.

Blinzelnd tritt Ben näher und lässt seine dunklen Augen durch den Raum wandern. Da fällt sein Blick auf mich und er stockt. Er starrt mich entgeistert an, dann wendet er die Augen ab und geht weiter, als wäre ich nicht da.

Er hat viel durchgemacht, man kann es ihm nicht vorhalten. Er ist ebenso froh, mich zu sehen wie ich. Möglicherweise ist er geschockt, mich so fertig zu sehen.

Ben stellt sich neben mich, nicht so eng wie früher manchmal, aber dennoch nah genug, um mir zu zeigen, dass er da ist, an meiner Seite.

Sein Blick ist starr auf die Alben gerichtet und auch ich sehe wieder zu ihnen. Sie alle haben ihre typischen Masken auf und blicken schweigend zu uns. Wir setzen uns auf die beiden Stühle, die parat stehen. Sie sind ungemütlich, aber das ist mir egal. Ben ist bei mir, wir sind dabei, Antworten zu bekommen, und bald gehören wir zu der Gruppe von Alben, die uns gerettet hat. Alles wird gut werden.

„Benjamin Carter, schön, dass du nun deine anfänglichen Schwierigkeiten überwunden hast, und wir mit euch sprechen können“, beginnt die zierliche Frau.

Sie sitzt uns gegenüber und ist vermutlich die, die das Sagen unter den anderen hier versammelten Alben hat.

Ich mustere Ben von der Seite, sein Kiefer ist angespannt, seine Wangen eingefallen. Hat er Probleme gemacht? Musste diese Sitzung aus diesem Grund weiter nach hinten verschoben werden als vorgesehen?

„Nun, als erstes möchte ich nun von euch wissen, ob ihr uns vertraut?“, spricht die Frau weiter und blickt uns eindringlich an.

Mein Kopf nickt automatisch, als Ben den Mund öffnet und das erste Mal spricht:

„Nein, natürlich nicht.“

Entgeistert starre ich ihn an. Seine Stimme klingt hart und kalt, mit unterdrücktem Zorn. Warum macht er das? Will er, dass man uns tötet?

Doch die Frau gegenüber lacht nur amüsiert und erwidert dann wieder ernst: „Das ist auch gut, so sollte es sein. Wenn eines im Leben wichtig ist, dann die Tatsache, dass ihr niemandem trauen dürft. Macht gemeinsame Sachen mit Leuten, wenn es euch gelegen kommt, aber schenkt ihnen niemals euer Vertrauen.“

Verwundert nicke ich, als Zeichen, dass ich sie verstanden habe, und die Schwarzalbe spricht weiter:

„So, nun wollen wir euch kennenlernen. Wir müssen alles über euch erfahren, um euch einschätzen zu können. Seid jedoch gewarnt, wir haben bereits unsere Informationen, also lasst nichts Wichtiges aus.“

„Ich bin Lea Körner, ich bin noch nicht allzu lange eine Elfe. Meine Elemente sind Wasser und Luft. Ich bin eine Aloise, Zeitenwanderin und Partnerin eines Gedankenwanderers“, beginne ich aufzuzählen, was mir einfällt.

Ich fühle mich wie bei einem Verhör und möchte nicht lügen, keinesfalls, egal, was sie mich fragen.

Nun erzählt auch Ben von sich, wenn auch etwas widerwillig. Ich achte darauf, dass er nichts auslässt, doch auch er hält sich an die Warnung und vergisst nichts absichtlich.

„Wie habt ihr euch die Lichtalben zum Feind gemacht?“

„Wir begannen, an dem Tod zweier Elfen zu zweifeln, und fanden schließlich heraus, dass sie nicht von euch Schwarzalben, sondern von den Lichtalben umgebracht wurden.“