HIER BIN ICH ... - Hans-Werner Schottmüller - E-Book

HIER BIN ICH ... E-Book

Hans-Werner Schottmüller

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Beschreibung

Beschreibung und Deutungen zu den Glasfenstergestaltungen von Dirk und Antonie Boege in der St. Theodardkirche zu Wörth am Rhein - eingesetzt ab 1986, 2001 und 2023.

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Wohl dem Menschen, der nicht dem Rat der Frevler folgt, … sondern der Freude hat an der Weisung des Herrn, der über seine Weisung nachsinnt bei Tag und bei Nacht. Er ist wie ein Baum, der an Wasserbächen gepflanzt ist, der zur richtigen Zeit seine Frucht bringt und dessen Blätter nicht welken.

(Psalm 1)

INHALT

EINFÜHRUNG

1.1 Die St. Theodardkirche

2.0 + 3.0 Deutungen – Hier bin ich

FENSTERREIHE 1 – MOTIVE AUS DEM ERSTEN TESTAMENT

2.1 Hier bin ich, Isaak

2.2 Hier bin ich, Jakob

2.3 Hier bin ich, Eli

MOTIVE AUS DEM NEUEN TESTAMENT:

2.4 Hier bin ich, eine Sünderin

2.5 Hier bin ich, ein Priester

2.6 Hier bin ich, Marta

2.7 Hier bin ich, Simon Petrus

2.8 Hier bin ich, der reiche Jüngling

2.9 Hier bin ich, Zachäus

FENSTERREIHE 2 – MOTIVE ZU DEN SYMBOLEN BROT, WEIN UND WASSER

3.1 Hier bin ich, Mose

3.2 Hier bin ich, Nahum

3.3 Hier bin ich, Hans-Werner

3.4 Hier bin ich, Ascher

3.5 Hier bin ich, Paulus

3.6 Hier bin ich, Ruth

ERLÄUTERUNGEN + ANHANG

4.1 Zur Konzeption der Fensterbilder in St. Theodard

4.2 Künstler Dirk Boege über seine Gestaltung der ersten Fensterreihe

4.3 Ein Glasfenster entsteht

4.4 Dank

4.5 Literaturverzeichnis

EINFÜHRUNG

1.1 Die St. Theodardkirche

„Brutalismus“ - Hinwendung zu einer oft unschönen Wirklichkeit, - ein Baustil, der in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aufkommt und mit rohem Baumaterial Emotionen hervorrufen will.

Brutalismus prägt das Zentrum des neuen Stadtteils Dorschberg im pfälzischen Wörth, konzipiert vom Architekten Albert Speer jun. Mitte der 60-iger Jahre: Wohnblocks, Rathaus, Europa-Gymnasium und die St. Theodardkirche. Aus dem vermeintlichen Wunderbaustoff Beton erbaut, passt sich jedes dieser Gebäude einer nüchternen neuen Welt an. Äußerlich verwandeln sie das ursprüngliche Fischer- und Malerdorf Wörth am Rhein in eine moderne Industrieansiedlung. Jedoch – wer will noch in seiner Freizeit mit der nüchternen Arbeitswelt und ihren Leistungsansprüchen konfrontiert werden?

Wohl in jedem Menschen lebt ein tiefes Bedürfnis nach Sinn, nach Harmonie und Schönheit. Ein gemeinsam gefeierter festlicher Gottesdienst möchte nicht nur eine Begegnung zwischen Menschen und dem geheimnisvollen Gott ermöglichen. In einer

‚schönen‘ Raumgestaltung soll sich das menschliche Sinnbedürfnis spiegeln und sich das Angebot einer Antwort finden lassen. Kein Wunder, dass bald nach Einweihung der St. Theodardkirche der Wunsch aufkommt, den so rau anmutenden Kirchenraum ‚schöner‘ zu gestalten.

Hans Deny, von 1969 – 2002 der erste Pfarrer der St. Theodardgemeinde und Liebhaber kirchlicher Glasfensterkunst, inspiriert und begleitet einen mehrjährigen Prozess, den Innenraum der Kirche durch moderne Glasfenstergestaltungen aufzuwerten. Im Spätherbst 1983 betrachten Gemeindevertreter Glasfenster in der Klosterkirche St. Walburga zu Walbourg im Elsass, im Dezember wird im Pfarrheim bereits über mögliche Themen der Fenstergestaltungen diskutiert. Die zuständigen Gremien geben 1984 grünes Licht für den Einbau. Dirk Boege aus Hagenbach erhält den Auftrag, zunächst vier der bestehenden Drahtglasfenster durch künstlerisch gestaltete Bleiglasfenster zu ersetzen. Nach und nach werden die fertiggestellten Fenster eingesetzt, das Projekt 1992 abgeschlossen. Ab 1999 wird die Gestaltung eines zweiten Fensterbandes in Angriff genommen: Hinter dem Taufbrunnen der Kirche entsteht 2001 die Gestaltung zum Thema Wasser in der Bibel, vollendet wird das Lichtband durch Darstellungen zum Thema Brot und Wein, sowie Schöpfung im Jahr 2023.

In ihrer Farbenfreude setzen die Glasfenster ein erfrischendes Contra zu den kahlen Betonwänden und der verstörenden Kreuzesdarstellung im Altarraum. Je nach Stand der Sonne erscheint durch sie der Innenraum der Kirche in warmem Licht.

Wer näher hinschaut, bemerkt allerdings rasch, die ausgesuchten biblischen Szenen bilden keine Idylle ab. Flapsig gesprochen: Mord und Totschlag werden präsentiert, brutal einschneidende Erlebnisse und Erfahrungen … und das in einer Kirche?

Der evangelische Theologe Paul Tillich (1886 – 1965) definiert Religion in einer ungewöhnlichen Beschreibung als das, „was uns unbedingt angeht!“ - Im Leben, in der Haltung, in den Taten des Jesus von Nazareth gibt Gott Antwort auf die Nöte des Menschen: auf seine Angst, auf sein Gefühl der Sinnlosigkeit, seine Sehnsucht nach Anerkennung, seine Erfahrung von Entfremdung und Entmenschlichung, auf seine absolute Begrenzung durch den Tod. Vergleichbares lässt sich über die biblischen Gestalten Noah, Abraham, Isaak, Jakob, Mose, Samuel und Jona sagen.

Dirk Boeges Glasfenstergestaltungen stellen sich jeweils dem Anspruch:

Hier bin ich, Mensch ... – in einer Lebenssituation, die mich mit meinem ganzen Selbstverständnis herausfordert.

Hier bin ich, Gott … – ich gebe dir Antwort.

Der vorliegende Bildband will einladen, sich von Bild und Wort anrühren zu lassen und eine spirituelle Entdeckungsreise zu wagen: Vielleicht kann ich in Bild und Wort meine persönlichen Fragen und Ängste entdecken, meine eigene Freude und Hoffnung wiedererkennen? Vielleicht gehen mir in Bild und Wort Hinweise und Antworten auf?

Blick in die Kirche

Erstkommunion in St. Theordard (1974)

2.0 + 3.0 DEUTUNGEN – HIER BIN ICH

Die Christen früherer Jahrhunderte konnten weder lesen noch schreiben. Wenn sie sich mit der Bibel auseinandersetzen wollten, waren sie darauf angewiesen, die Bilder zu betrachten, die in ihren Kirchen an den Wänden und den Glasfenstern zu sehen waren.

Jede Epoche hat dabei ihre eigenen Fragen, ihren ganz eigenen Zugang. Menschen des 16. Jahrhunderts sahen vieles anders als Menschen des 21. Jahrhunderts. Insofern ist es wichtig, dass sich Künstler jeweils neu der Herausforderung stellen, die alten Erzählungen zu veranschaulichen und zeitgemäß zu interpretieren, wie es Dirk Boege mit den Glasfenstern der St. Theodardkirche getan hat.

Heutige Menschen kennen und schätzen verschiedenste Möglichkeiten, biblische Erzählungen kennen zu lernen und zu meditieren. Eine Möglichkeit stellen geschriebene Texte dar, denn wir können lesen. In dem vorliegendem Bildband versuche ich, die Verständnishilfen Bild und Text zu kombinieren. Ausgehend von den Glasfenstergestaltungen Boeges erzähle ich die dargestellten Inhalte neu. Die Bibel neigt ja dazu, kurz und emotionsarm zu erzählen; deshalb habe ich versucht, mich in die Akteure einzufühlen, soweit dies über Jahrhunderte hinweg möglich ist. Historische und exegetische Forschungsergebnisse, soweit sie mir bekannt sind, habe ich einfließen lassen. Die Erfahrungen antiker Menschen mit Gott oder Jesus will ich so erzählen, dass sie für moderne Leser nachvollziehbar und ansprechend werden.

Eine Verheutigung also, inspiriert von Bibelstudien und meinem eigenen mittlerweile Jahrzehnte währenden Versuch, mich auf diesen Gott einzulassen. „Hier bin ich!“, sagt der Mensch. „Hier bin ich!“, antwortet Gott, oft überraschend, oft leise, oft zunächst unverständlich. Meine Hoffnung wäre beizutragen, das geheimnisvolle Wirken Jesu, das Wirken Gottes erkennbarer und anfanghaft begreifbar zu machen. Es sind sicher auch andere Interpretationen möglich …

Hans-Werner Schottmüller

FENSTERREIHE 1 – MOTIVE AUS DEM ERSTEN TESTAMENT

2.1 Hier bin ich, Isaak

am Grab meiner geliebten Eltern Sara und Abraham in Hebron. Nach langer Zeit ziehen wir mit unseren Herden endlich wieder einmal hier vorbei.

Hier nahe bei den beiden Menschen, die mir das Leben geschenkt haben, komme ich ins Nachsinnen über meinen eigenen Lebenslauf. Bin ich doch mittlerweile ein grauhaariger Mann, es gibt genügend Stoff zum Nach-denken.

„Gott hat uns in dir ein Lachen geschenkt!“, sagte meine Mutter gern. Trotz großer gegenseitiger Liebe waren mein Vater Abraham und sie lange kinderlos geblieben.

Gott hatte meinen Vater vor vielen Jahren aus seiner Heimat Haran gerufen. Meine Eltern sind mit ihren Herden, mit ihren Knechten und Mägden weit, weit umhergezogen, hinein ins Land Kanaan, weiter bis nach Ägypten und wieder zurück, viele Jahre lang. Trotz einer geheimnisvollen Verheißung Gottes, er wolle sie als Paar segnen und durch sie ein großes Volk begründen, blieben sie kinderlos. Ein Zeichen, dass es ihren Gott in Wirklichkeit gar nicht geben könne, so dachten jedenfalls Viele.

Mein Vater hielt weiter unbeirrbar an seinem Gott fest. Und es geschah, dass meine Mutter als alte Frau schwanger wurde und mein Leben begann. „Gott hat uns in dir ein Lachen geschenkt – Isaak!“, so nannten sie mich überglücklich.

Mein Leben war ein einfaches, ein freundliches, meine Eltern trugen mich auf Händen. Als erwachsenem Mann wurde mir Rebekka geschenkt, eine entfernte Verwandte und vor allem: eine wunderbare Frau. Sie brachte zwei Jungs zur Welt, Esau und Jakob, die mir in ihrem kindlichen Wetteifer jedes Mal neu ein Lächeln aufs Gesicht zaubern. - Nein, es geht mir gut, ich habe keinen Grund zu klagen, Gott hat sich meiner angenommen. Ich weiß nicht warum, aber Gott, der Herr, hat auch mir versprochen, dass er meine Familie segnen und uns zu einem großen Volk machen werde.

Allerdings, ein einziges Mal in meinem Leben wurde ich auf dramatischste Weise an meinem Vater und an unserem Gott irre! Ein pechschwarzer Schatten fiel damals auf meine Seele, eine Erfahrung, die mich lange Zeit an Gott, unserem Herrn, und an meinem Vater nahezu verzweifeln ließ. Als meine Mutter nachträglich davon erfuhr, brach sie wie tot zusammen …

Auf unseren Wanderungen waren wir mehrfach an Heiligtümern des kanaanäischen Gottes Baal Moloch vorbeigezogen. Er wird üblicherweise in einer hohen Figur mit riesigem Mund dargestellt und verehrt. Ich war noch ein Kind, als meine Mutter erzählte, dass die Menschen in der Statue ein großes Feuer entfachen und kleine Kinder durch den großen Schlund ins Feuer werfen – sie opfern ihre Kinder, um Baal Moloch gnädig zu stimmen! Sie hoffen durch ihr großes Opfer Segen für sich und das Land zu erflehen. Unfassbar, mich schüttelte das Entsetzen und ich spürte deutlich, wie sehr auch meine Mutter diesen Glauben verabscheute.

Mein Sohn, wir wollen unserem Gott ein Dankopfer darbringen!“, sagte mein Vater zu mir. „Komm mit zum Berg Moriah.“ Das hatten wir schon mehrfach getan. Ich ging freudig mit, denn Dankopfer waren immer ein schönes Fest bei uns. Wir packten Holz zusammen, entzündeten eine Laterne und machten uns auf den Weg.1

Es wurde anders als gewohnt, vollständig anders! Mein Vater sprach kein Wort, er wirkte unruhig, in seinen Augen lag ein fiebriger Glanz. Wir hatten kein Opfertier dabei, was mich verwunderte. „Vater“, fragte ich ihn. „Hier ist Feuer und Holz. Wo ist denn das Lamm für das Brandopfer?“ Mit einem tiefen Seufzen antwortete er: „Gott wird sich ein Opferlamm aussuchen, mein Sohn!“ Welch eine eigenartige Antwort? Mein Vater verfiel erneut in düsteres Schweigen, wir setzten unseren Weg fort.

Auf dem Berg Moriah angekommen, bauten wir einen Steinaltar und schichteten das mitgebrachte Holz auf; kaum war das getan, packte mich mein Vater mit unglaublicher Kraft. Das kam so überraschend, dass mich alle eigenen Kräfte verließen. Steif vor Entsetzen ließ ich alles mit mir geschehen. Er fesselte mich und legte mich auf den Altar, wildes Feuer glühte in seinen Augen. Um mich herum wurde alles dunkel, ich konnte meinen Blick nicht von dem todbringenden, blitzenden Messer über mir abwenden …

„Abraham - halt ein! Streck’ deine Hand nicht nach dem Jungen aus und tu ihm nichts zuleide!“ Augenblicklich ließ der Vater das Messer fallen. „Weil du das getan und mir deinen einzigen Sohn nicht vorenthalten hast, will ich dir Segen in Fülle schenken. Deine Nachkommen will ich zahlreich machen wie die Sterne am Himmel und wie den Sand am Meeresstrand. Segnen sollen sich mit deinen Nachkommen alle Völker der Erde, weil du auf meine Stimme gehört hast!“

Schweigend band mich mein Vater los und hob mich vom Opferaltar. Danach brach er zusammen und lag schluchzend am Boden. Krämpfe durchzuckten seinen verkrümmten Körper. „Verzeih mir, mein Sohn! Verzeih mir,“ stammelte er unter Tränen zwischen den Stößen, die durch ihn jagten.

Fassungslos musste ich mich zitternd am Opferaltar festhalten. Tief in meinem Herzen war in wenigen Augenblicken so vieles zerbrochen: meine kindliche Offenheit für das Leben, das absolute Vertrauen in meinen Vater, in unseren Gott. Ich sank schluchzend in die Knie, wie kann ich nur weiterleben?

Ich vernahm ein lautes Rascheln und Stampfen in der Nähe. Als ich aufblickte, sah ich einen Widder, der sich mit den Hörnern im dornigen Gestrüpp verfangen hatte und nicht mehr freikam. „Gott wird sich ein Opferlamm aussuchen, mein Sohn!“ Die Worte meines Vaters blitzten in meiner Erinnerung auf – ein gefangener Widder? Ob das dem Untergang geweihte Tier das eigentliche Opferlamm werden sollte?

Ich schrie meinem Vater an: „Da ist ein Opferlamm, wenn du schon unbedingt opfern musst!“