Hier und da, dann und wann - Anke Breuer - E-Book

Hier und da, dann und wann E-Book

Anke Breuer

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Beschreibung

Durch Köln fließt der Rhein, das ist bekannt. Er trennt die Stadt in eine linke und eine rechte Seite. Die beiden sind sich nicht recht grün. Unerheblich. Kleine Animositäten beleben, auch das ist bekannt. Hier und da, dann und wann, entstehen wunderbare Geschichten, die das Leben nicht schöner schrei­ben kann. Über Menschen und Menscheln. Real wie surreal. Die Wülfrather Autorin Anke Breuer, Linksanrheinerin, Südstädterin, und der Siegener Autor Oliver Kreuz, Rechtsanrheiner, Schälsicker, betrachten das Leben in Köln aus ihrer jeweiligen Perspektive. Herausgekommen sind siebzehn Kurzgeschichten. Skurril, kurios, animos.

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Anke Breuer

geb. in Wülfrath, lebt in Köln. Dazwischen Jahre in Bulgarien und der Schweiz. Übersetzerin und Grammatikliebhaberin. Mitglied im Literaturkreis ERA (Ratingen). Hat verschiedene Texte in Deutschland und Österreich veröffentlicht.

Anke Breuers Projekt „Spurwechsel“ (Thema: Multiple Sklerose, Texte: Anke Breuer) erhielt 2017 den Hertie-Preis für soziales Engagement und wurde 2018 für den Deutschen Engagementpreis nominiert.

Oliver Kreuz

wurde 1970 in Siegen geboren. Als Diplom-Sozialpädagoge ist er beruflich hauptsächlich in der Migrantenhilfe tätig. Er schreibt seit vielen Jahren Kurzgeschichten und sieht in T. C. Boyle sein großes Autorenvorbild.

Oliver Kreuz ist außerdem Musiker, spielt Gitarre und Schlagzeug und hat diverse Lieder musikalisch und textlich kreiert. 2016 gewann er den ersten Platz beim Kurzgeschichtenwettbewerb „Lesesport“.

Inhaltsverzeichnis

KÖLLE VON A BIS Z

REALITÄTSFLASH

ZWISCHEN FARBEIMERN UND BERLINERN

DE JANZE WELT VERRÜCK EN KÖLLE

GEBURTSVORBEREITUNGEN OP KÖLSCH

KÖLSCHER KLÜNGEL ÜBERALL

SEELENWANDERUNG

ABSCHIEDSREISE

DIE PAAR PROBLEMLINGE

VERHAFTET

PANOPTIKUM

NENNT ES, WIE IHR WOLLT

AUF REZEPT

ESOTERISCHES

TO GO OR NOT TO GO

BEKEHRT

ALLES ANDERE ALS VOLLKOMMEN

KÖLLE VON A BIS Z

Anke Breuer

Gestern las ich: „Nicht Ausländer begrabschen Frauen, sondern Arschlöcher begrabschen Frauen.“

Apfel und Birne miteinander zu vergleichen, macht beizeiten also auch Sinn. In diesen Zeiten der Empfindlichkeiten geht das Leben im kleinen Universum trotzdem weiter. Mit Arschlöchern. Apfel. Anke. Ausländern. Adil. Allah. Birne. Allem.

Heute steigt Anke aus dem Aufzug aus. Träumt. Und erschreckt sich. Denn keine „Armlänge entfernt“ von ihr steht ein Mann. Dunkle Kapuze mitten im Gesicht. Draußen regnet es in Strömen. Langer, schwarzer Bart. Draußen ist es kalt. Dunkle Haut. Draußen war bis vor einigen Tagen quasi noch Sommer. Mitten im Winter. Anke quiekt. Typ quiekt. Auch geträumt. Anke fasst sich, sagt: „So viel Bart in meinem Gesicht!“

Typ lacht und erwidert: „Gott sei Dank nicht!“

Wir schwätzen, und ich erfahre, er heißt Adil, ist Marokkaner, hat hier im Hause gewohnt und hütet jetzt die Blumen meines Nachbarn, der im Urlaub ist. Adil erzählt, er sei mit den Franzosen, die vor uns hier lebten, befreundet gewesen, und diese hätten die gleichen Essgewohnheiten wie er. Denn ihm fehlte auch grundsätzlich eine Zwiebel beim Kochen! Wie vertrackt!

Ich sage: „Komm, ich koche uns einen Tee“, und er erzählt weiter, er wohne jetzt im Hochhaus gegenüber und sei noch immer ganz verstört. Denn gestern hatte er dort einen Brief im Kasten:

„Du bist ein Muslim! Raus mit dir!“

„Alteingesessene Kölner schreiben keine Hassbriefe“, sage ich, „Arschlöcher schreiben Hassbriefe.“

Und wir befinden, dass alle Arschlöcher ins All geschossen werden sollten. Ich schenke nach. Bald kommt er wieder rum, wenn die Blumen bei Herrn B. gegossen werden müssen. Dann gib es wieder schwarzen Tee. Mit viel Zucker. Kölle von A bis Z.

REALITÄTSFLASH

Oliver Kreuz

Merheim. Ich glaube, jeder, der den Namen dieses Kölner Randgebietes hört, vergisst ihn sogleich wieder. Merheim klingt so gewöhnlich wie das monotone Stottern von Müllwagen an einem Montagmorgen. Hier stehen alle Mülltonnen wie gewohnt, pünktlich und in Reih und Glied zum Appell bereit.

An einem solchen Montagmorgen liege ich im Halbschlaf im Bett und ziehe mir die Decke über den Kopf. Das Geräusch der Hebebühnenhydraulik lullt mich ein. Ich falle wieder in einen Traum, der noch einmal kurz vom Klappern der Mülltonnen unterbrochen wird. Meine gewöhnlichen Nachbarn mögen es nicht, wenn die leeren Tonnen so unordentlich am Straßenrand herumstehen. Ich träume davon, ein Forscher im Urwald zu sein, wo ich Teil einer Gorillafamilie werde. Wie in diesem Hollywoodstreifen aus den 90ern „Instinkt“ mit Anthony Hopkins.

Gegen Mittag stehe ich auf. Mir brummt der Schädel. Im Wohnzimmer stehen zwei leere Flaschen von dem billigen Rotwein auf dem Couchtisch und begrüßen mich schuldbewusst. Ich packe die beiden am Schlafittchen und lege sie in den Zeitungsständer. Aus den Augen, aber nicht aus dem Sinn. Vielleicht beseitigt eine Kanne Kaffee den Kater sowie den einhergehenden Gedankenmüll aus meinem Schädel. Meine Küche sieht aus wie eine Müllhalde. Ich wage einen Blick aus dem Fenster. Es ist ein trüber Septembertag am 30. August 2010. Ein paar trübe Tassen latschen von A nach B. Weiter als bis C sind die noch nie gekommen. Ich laufe Kaffee schlürfend zurück ins Wohnzimmer und lasse mich in den Sessel fallen, so dass die Hälfte des Kaffees über meinen Bademantel schwappt.

Ein Blick über den kleinen Müllberg, der sich in meinem Wohnzimmer ausbreitet, bildet so etwas wie eine Synchronizität zu meinem Gedankenmüll. Und ebenso natürlich zu der kulturellen Müllhalde, auf der ich lebe: Merheim. Müll, wohin das Auge sieht. Ich zünde mir eine Zigarette an. Frühstück der Champions. Der Kaffee weitet die Bronchialgefäße, und ich ziehe fest an der Zigarette. Atme den Rauch so tief ein, wie es geht. Der Rauch wird unsichtbar. Noch eine Synchronizität.

Es klingelt und der Postbote überreicht mir ein Päckchen. Er scheint über meinen Anblick nicht verwundert zu sein. Naja, wieso sollte er auch, denn ich bin schließlich keine Romanfigur. Nur ein abgehalfterter 40-jähriger in einem roten Bademantel. Leider kann ich ein Gähnen nicht unterdrücken, während ich ihm den Erhalt des Päckchens quittiere, und er schaut mich ein wenig strafend an. Vielleicht bilde ich mir das auch nur ein. Aber schließlich rennt der Mann seit Stunden durch die Gegend, und wer wollte ihm da schon gewisse Ressentiments verdenken. Bei dem Inhalt des Päckchens handelt es sich um eine kleine Sammlung von Schlümpfen, die ich bei Ebay verticken wollte. Leider fehlt dem Trompetenschlumpf die Trompete. Ich schmeiße den Kram zu meinem restlichen Müll.

Gegen Nachmittag bekomme ich Hunger. Der Proteinklumpen in meinem Schädel schreit nach einem englischen Frühstück und Aspirin. Mir bleibt also nichts Anderes übrig, als mich auf den Weg zum Supermarkt zu machen. Supermärkte bilden den Lebensmittelpunkt unserer Vorstadt. Und Apotheken gibt es selbstverständlich. Merheim braucht viele Apotheken.

Während der Katzenwäsche werfe ich etwas ängstlich einen Blick in den Spiegel. Wie erwartet sehe ich beschissen aus. Wozu also die Angst? Die Zahnbürste fällt auf den Boden, und ich sehe ein Silberfischchen unter dem Putzeimer verschwinden. Leider konnte der Rotwein die unangenehmen Gedanken des Vorabends nur für eine begrenzte Zeit wegspülen. Mit den Gedanken wird auch die Angst wieder in mein Bewusstsein geschwemmt. Wie erwartet – so funktionieren meine psychischen Gezeiten nun einmal. Trocken hinter den Ohren verlasse ich die Waschkajüte, streife mir ein paar Klamotten über, die zumindest noch sauber sind, dann latsche ich zur Bushaltestelle, während das bedrohliche Rauschen meiner Gedanken lauter wird. Welche Phobie wird mit heute den Tag versauen? Welcher Zwang schnürt mir heute die Kehle zu? Ich steige in den Bus, und ein alter Mann schaut zu mir herüber. Sein Blick ... Irgendwie böse ... Alles klar. Heute verdrehen mir religiöse Zwänge den Kopf. Natürlich weiß ich, dass „der Alte“ nicht böse ist. Hartz 4 ist böse. Ursula von der Leyen ist böse, und meine Sachbearbeiterin im Jobcenter ist es wahrscheinlich auch. Allerdings nicht im religiösen Sinn, sondern ganz real. Trotzdem beschäftigt mich der „böse Blick“ des alten Mannes auch weiterhin. Ich fahre nur eine Station. Die paar Meter zum Kaufland gehe ich zu Fuß. Das Kaufland ist so etwas wie der verlängerte Arm der Merheimer Kliniken. Ausweitung der Kampfzone. Eine Ausgeburt des Konsumwahns. Die Klapse liegt gleich um die Ecke. Manchmal sehe ich hier kleine Gruppen von Menschen, bei denen ich mir sicher bin, dass sie so etwas wie ein „Einkaufstraining“ absolvieren müssen. Schließlich müssen die Insassen der Merheimer Psychiatrie wieder lernen, sich unter all den Irren zurecht zu finden.

Ich gehe zielstrebig in die Kauflandapotheke und besorge mir mein Aspirin. Meine Gedanken zupfen schwarze Blätter aus einem imaginären Gänseblümchen. Er war böse. Er war es nicht. Er war böse. Er war ...

Die Apothekerin lächelt mich fragend an: „Darf es noch etwas sein?“

Ich verkneife mir die Frage, ob heute Heroin im Angebot ist, und eile in die Kampfzone. Das Einkaufswunderland ist glücklicherweise nicht besonders voll heute. Schnell habe ich das Nötigste zusammen und darf bei meiner Lieblingskassiererin bezahlen, die mich heute besonders nett anlächelt. Ich denke an den „morgendlichen“ Blick in den Spiegel und eile Richtung Ausgang.

An der Bushaltestelle stehen ein paar streitende Penner. Zufrieden darüber, dass ich kein Wort von dem Gegröle verstehe, das sie von sich geben, kann ich mich wieder auf mein geistiges Gänseblümchenspiel konzentrieren. Böse – nicht böse – böse – böse – nicht böse. Plötzlich reißt mich eine Polizeisirene aus meinen Gedanken. Ein Polizeiwagen rast an uns vorbei, gefolgt von einem Motorrad. Etwa fünfzig Meter weiter legt sich der Motorradbulle aufs Maul, steigt aber sogleich wieder auf. Immer mehr Sirenen machen einen ohrenbetäubenden Lärm. Eine Bullenschleuder jagt die nächste. Ein Polizeihubschrauber fliegt dicht über uns hinweg. Jetzt werde ich doch richtig neugierig und schaue mich um. Etwa fünfzig Meter zu meiner Linken blockieren zwei blinkende Polizeiautos den Zugang zur dort ansässigen Apotheke. Selbst die Penner halten ihr Maul und verrenken sich die Hälse. Dann kommt der Bus. Bis zur nächsten Haltestelle kommen wir nicht durch. Die Polizei hat alles weiträumig abgesperrt. Wer aussteigen will, darf aussteigen. Ich höre Schüsse. Das Gedankenrauschen wird immer leiser, bis es ganz verschwindet. Ich spüre wie mein Herz schneller schlägt. Also marschiere ich bis kurz hinter die Absperrung und sehe eine Menschentraube vor einer kleinen Verbindungsstraße stehen. Polizei, soweit das Auge reicht, und ein zweiter Hubschrauber dreht weitflächig seine Runden, so als ob die Jagd noch in vollem Gange sei. Gerade noch bevor die Polizei einen Sichtschutz bilden kann, sehe ich das viele Blut aus dem reglos am Boden liegenden Mann hervorquellen. Einige Gaffer werden befragt. Wir anderen werden angemessen barsch aufgefordert, uns zu verpissen. Ich komme mir deswegen ausgesprochen dämlich vor, aber noch immer spüre ich so intensiv, wie das Blut durch meine Adern strömt. Eine seltene Klarheit hat meinen Geist erfasst. Weit und breit kein schwarzes Gänseblümchen in Sicht.

Auf dem Nachhauseweg werde ich noch zwei Mal von einer Absperrung aufgehalten und muss lange warten. Schließlich überrede ich einen Polizisten, mich durchzulassen. Er tut es nur unter der Bedingung, mich fast bis zur Haustüre zu begleiten, was ich niemals begreifen werde.

Am nächsten Tag erzählt mir meine Nachbarin, dass der Tote nur ein paar Häuser von uns entfernt gelebt hätte. Vor einigen Monaten wurde seine Ehe geschieden.

Er war dem Alkohol verfallen und hatte wohl in einem Anfall von Wahnsinn die Idee, mit einer Gaspistole diese Apotheke zu überfallen. Viele Blumen werden an der Stelle hinterlegt, wo er niedergeschossen wurde. Das Rauschen meiner Gedanken kehrt noch am selben Abend zurück. Und immer, wenn ich an dem gewöhnlichen grauen Haus vorbeigehe, wo früher mal ein Familienvater gelebt hat, wird es besonders laut.

ZWISCHEN FARBEIMERN UND BERLINERN

Anke Breuer

Inzwischen fahre ich mindestens 45 Minuten um den Block. Die Blöcke. Innerhalb meines Veedels. Und alle umliegenden. Das Parken in der Kölner Südstadt ist ein Albtraum. „Aber dafür wohnst du im tollsten Viertel Kölns!“, höre ich dann immer die anderen unken. Die, die einen gemütlichen Parkplatz im Innenhof gemietet haben. Außerhalb der Südstadt. Denn hier gibt es keine Innenhöfe. Also Innenhöfe schon. Wunderschöne. Aber da wird gefeiert. Gegrillt. Geklönt. Nicht geparkt. Dafür aber gibt es trotzdem oft Verkehr. Nicht selten kann ich von meinem Küchenfenster aus das Liebesleben meiner Nachbarin beobachten. Erschwerend kommt heute zur Parksituation hinzu, dass Weiberfastnacht gefeiert wird. Und die Touristen, die von Karneval eigentlich so gar nichts verstehen, machen rüber. Parken munter. Und feiern noch munterer.

Bis sie, nicht mehr ganz so munter, völlig versacken. Ich liebe Karneval. Ich liebe Weiberfastnacht. Ich liebe die Südstadt. Gerade aber komme ich von meinem dritten MRT innerhalb eines Monats. Plus der dritten Gehirnstrommessung innerhalb von drei Tagen. Ich fühle immer noch die Druckstellen der Saugnäpfe an meinem Kopf. Es scheint, als hätten sie sich festgesogen. Obwohl sie längst nicht mehr an meinem Schädel kleben. Vor drei Monaten habe ich eine Diagnose erhalten, die unter Umständen mein Leben ändern wird. Auch bereits in Teilen tut. Seit fast zehn Wochen bin ich nun krankgeschrieben. So lange war ich noch nie ohne Arbeit. Unvorstellbar. Ich muss ununterbrochen in Bewegung sein. Ich muss immer bewegen. Und nun war meine eigene Beweglichkeit in Gefahr.

Ich versuche, für einen kurzen Moment all den Mist zu vergessen. Die Diagnose vor einigen Wochen. Die andauernden Sorgen seitdem. Die Stunden Wartezeit in der Radiologie heute. Die Schmerzen in diesem Moment. Plötzlich ein Parkplatz. Als ich zum zehnten Mal um mein Haus fahre. Mein Nachbar fährt aus der seiner Lücke heraus. Ich ziehe blitzschnell rein. Noch funktionieren mein Hirn und meine Extremitäten. Warum findet mein Nachbar immer einen Platz direkt vor unserer Haustüre? Ich werde ihn fragen. Vielleicht in einem ruhigen Moment, wenn er sich gerade mal nicht über die falsche Müllsortierung der anderen Nachbarn oder den nicht vorhandenen Weltfrieden aufregt. Ich muss in mich gehen. Fühle mich an sich schon zu alt für das Südstadtflair,