Hilfe, ich hatte eine glückliche Kindheit - Katja Kerschgens - E-Book

Hilfe, ich hatte eine glückliche Kindheit E-Book

Katja Kerschgens

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Beschreibung

Nadine hat einen prima Job, einen süßen Hund und ganz, ganz viele Bücher. In den Augen anderer ist ihr Leben perfekt, das fing mit ihrer glücklichen Kindheit ja schon an. Lebensbrüche? Enttäuschungen? Traumata? Da kann sie nicht mitreden. Im Gegenteil – ihre Arbeit im Hörbuchstudio wird zum absoluten Traumjob, als sie mit "Mr. Stimme" zusammenarbeiten darf. Doch auf das, was dann kommt, hat sie ihr Leben nicht vorbereitet: Ihr Job steht auf dem Spiel, sie belügt ihre Eltern, Unbeteiligte – sogar Mr. Stimme – werden hineingezogen in die Verschwörungstheorien ihrer Chefin. Und plötzlich ist sie auch noch verlobt. Nein, ist sie nicht. Oder wie? Nadine stolpert immer tiefer ins Chaos. Da hilft ihr auch ihre glückliche Kindheit nicht weiter … Oder doch?

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Katja Kerschgens

Hilfe, ich hatte eine glückliche Kindheit

Ein Roman über die anderen

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Für Claudia

Erweitertes Impressum

1

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6

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Dank. Alphabetisch.

Ausblick

Über die Autorin

Impressum neobooks

Für Claudia

Erweitertes Impressum

Texte: © Copyright by Katja Kerschgens

Gartenstr. 24

53518 Adenau am Nürburgring

[email protected]

Alle Rechte vorbehalten.

Tag der Veröffentlichung: 10.9.2014

www.neobooks.com/Werk-von-Katja-Kerschgens.html

Covergestaltung: KKKom®,www.KKKom.de

Foto: © Eric Isselée - Fotolia.com

Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder verstorbenen Personen wäre rein zufällig.

1

»Kannst du dir vorstellen, wie ätzend das ist? Schlimm genug, dass ich den ganzen Haushalt an der Backe habe, aber dann muss der gnädige Herr abends ja auch noch von vorne bis hinten bedient werden.«

Nadine versuchte ihre Fantasie in Wallung zu bringen, aber sie konnte es sich beim besten Willen nicht vorstellen.

»Warum machst du das überhaupt?«, hörte sie ihre naive Seite laut sprechen. »Ich meine, dein Mann kann doch auch mal selbst ...«

Sarahs Auflachen klang nach dem Beginn einer Hysterie.

»Du hast ja Ideen. Hast du schon mal erlebt, wie das ist, wenn mein Mann aus der Jacke geht? Und da reichen echt kleinere Anlässe, glaub mir. Ich halte lieber den Ball flach. Das ist nun mal so, wenn man noch nie Glück im Leben hatte. Da muss man eben mit sowas zurechtkommen.«

Nadine hatte wohl leicht den Kopf geschüttelt, denn Sarah nahm jetzt richtig Anlauf, die Fältchen um ihre Augen wurden tiefer.

»Du hast gut reden, du hattestkeine geschiedenen Eltern. Ich wollte ja so schnell wie möglich eine eigene Familie, und prompt bin ich in die Falle getappt. Und im Job geht das munter so weiter. Ich habe immer die gleichen Idioten um mich herum.«

Nadine rührte sich nicht mehr, während Sarah über die Welt im Allgemeinen und ihr Leben im Speziellen schimpfte. Sie biss sich auf die Lippen, dabei klebte ihr Blick gedankenverloren am grauen Haaransatz ihrer Freundin fest. Die Schatten unter deren Augen gaben den Worten die dazugehörige Dramatik.

»Es ist immer dasselbe, alles bleibt an mir hängen. Die haben sich alle auf mich eingeschossen, ich sag´s dir.«

Der Redeschwall umspülte Nadine wie ein reißender Fluss. Das Ertrinken drohte, aber nicht einmal Loriot rührte sich. Er lag zu ihren Füßen und schlief. Sie glaubte sogar, ihn trotz der Geräuschkulisse in dem kleinen Bistro schnarchen zu hören. Er hätte ihre Rettung sein können. Nein, der zuckte nur im Traum mit seinen Pfötchen. Sarahwarmittlerweile bei ihrem Arbeitgeber angekommen.

»Unddannhater dochglattvon mir verlangt, dass ich meinen Urlaubstag nächste Woche streiche«, schwadronierte sie weiter, »weildie Mannspergerja so dringend in Kur muss. Klar, mit mir kann man’s ja machen ...«

Nadines durchdringendes Schweigen schien nicht mehr zu reichen. Also versuchte sie es mit so viel Teilnahmslosigkeit wiemöglichin ihrer Stimme: »Ach ja?«

Das hatte ihre Gesprächspartnerin allerdings nicht überhört.

»Ist heuteirgendwasmit dir los?«, bremste sie ihre Tiraden aus.

»Nö. Wieso?«

Nadine spielte mit der Hundeleine, nahm diese schließlich so kurz, dass Loriot von dem kleinen Ruck an seinem Hals aufwachte. Er blinzelte in die Umgebung, schaute zu seinem Frauchen hoch. Als er sich vergewissert hatte, dass sie noch da und damit alles in Ordnung war, wollte er den Kopf zurück neben die Pfoten legen. Aber wieder zuckte es an der Leine. Irritiert stand er auf, reckte sich mit erhobenem Hinterteil und gähnte.

Es hatte geklappt.

»Oh ja, Mausbär, ich habe die Zeit ganz vergessen«, Nadine beugte sich zu Loriot hinunter, »du musst jetzt mal los, oder?«

Sie streichelte seinen Nacken, was er mit schläfrigem Schwanzgewedel beantwortete. Der vorbeieilenden Kellnerin winkte sie auffällig zu und beglich so schnell wie möglich ihre Rechnung.

Innerlich zusammenzuckend hörte sie sich beim Verabschieden noch zu ihrer Freundin sagen: »Na klar können wir uns am Mittwochabend wieder hier treffen«, dann zog sie davon in Richtung - egal. Irgendwohin.

Der Malteser torkelte ein wenig auf seinen Beinchen.

»Tut mir leid, Loriot, dass ich dich schändlicherweise aus dem Schlaf gerissen habe«, murmelte sie.

Sie stromerte ziellos die Fußgängerzone entlang, stoppte mal hier, dann dort vor den Schaufenstern. Loriot war ganz in seine olfaktorische Welt vertieft und verbrachte den Weg mit der Nase tief auf den Boden gesenkt.

Die Frage wargutgewesen, merkte Nadine jetzt.

Was wareigentlichmit ihr los?

Sarahs Gerede über ihren Job, ihren Mann und überhaupt ihr gesamtes irgendwie verkorkstes Leben hatten sie plötzlich angeödet. Was sie sonst geduldig über sich ergehen ließ und mit gut gemeinten Ratschlägen eher noch befeuerte, fand sie heute einfach nur anstrengend.

Vielleicht die Hormone? An manchen Tagen im Monat ging sie sich schon selbst auf den Nerv, manche Leute kamen ihr dann geraderecht. Doch das kam zeitlich nicht hin. Haken an den Frauenkram.

Also gab es einen anderen Auslöser für ihre schlechte Laune. Gedankenverloren starrte sie in die Auslagen eines Ladens für Gesundheitsschuhe. Warum konnten solche Schuhe nicht schöner sein? Gehörte zum Altwerden oder zu verschieden langen Beinen zwangsläufig, dass die Schuhe aussahen wie ihr eigener Verpackungskarton? Wahrscheinlich musste das so sein. Genauso wie ältere Leute grundsätzlich gerne alles in sportbeige trugen. Sportjacke, Sportschuhe, Sportmütze - alles beige. Genau wie die Gesundheitsschuhe hier.Machtmanhaltso.

Machtmanhaltso.

Da klang etwas in Nadines Gedankenwelt nach. Sarah hatte einen Satz gesagt, der jetzt in ihr aufblitzte.

Das ist nun mal so, wenn man noch nie Glück im Leben hatte.

Und dann noch dieser andere Satz.

Du hast gut reden, du hattest ja keine geschiedenen Eltern.

Genau in dieser Sekunde, mit Blick auf die Schnürsenkel im Sonderangebot, wurde ihr klar, warum sie mit einem Mal so verstockt gewesen war. Dieser Satz war der Knackpunkt:Du hattest jakeinegeschiedenenEltern.

So gesehen war sie natürlich nicht die Richtige, um anderen Leuten Ratschläge zu geben. Sie hatte ja gut reden.

Nadine konnte es nicht verhindern: Unmut stieg in ihr auf und ließ den Café Latte in ihrem Magen neu aufschäumen. Jetzt, wo sie sich daran erinnerte, was sie geärgert hatte, könnte sie es abhaken. Aber die Denkschleife in ihrem Kopf war fest eingerastet.

Sie hatte ja gut reden.

Ihre Kindheit war in einer gemütlichen Mittelstandsumgebung abgelaufen. Mit weitläufigem Garten hinter dem Haus, ein paar Haustieren und ohne anstrengende Geschwister. Mit ihren Eltern konnte sie noch bis heute ohne bemerkenswerte Zwischenfälle prima plaudern. Mami war der Mittelpunkt einer allwissenden und wohlgehüteten Ordnung, Papi sowieso ihreganzgroße Liebe.

Sie hatte ja gut reden.

Dank ihres einzigen lebenden Opas, der nur drei Straßen weiter gewohnt hatte, lernte sie bereits lange vor der Schulzeit Lesen. Sie hatte den Tabakgeruch seiner Pfeifen geliebt und besaß heute noch uralte Bücher aus seiner Sammlung. Na gut, die Pfeifen hatten Opa irgendwann danieder gestreckt, aber er war trotz seines Kehlkopfkrebses ein sehr alter Mann geworden. Als er starb, war sie schon erwachsen genug, um Abschied nehmen zu können.

Sie hatte ja gut reden.

Niemand hatte sie je irgendwo angefasst, wo er nicht sollte. Mit den meisten Lehrern war sie gut parat gekommen und schwamm im oberen Leistungsdrittel locker mit. Sie hatte einen erfüllenden Job. Sie hatte noch nie einen Vollrausch gehabt.

Sie hatte ja gut reden.

Nadine merkte, wie sie immer noch wie gebannt auf die orthopädischen Strümpfe starrte. Loriot hatte sich mittlerweile neben sie gesetzt und schaute zu ihr hoch. Ihm war die Sache wohl nicht ganz geheuer, erfing leise an zu fiepen.

Sie sah gedankenverloren zu ihm hinunter. Dann ging sie langsam weiter.

Es gab da so eine Kleinigkeit.

Sie mochte ihren Namen nicht.

In ihrer Grundschulklassehatte es noch zwei weitereNadines gegeben, in der Oberstufe auf dem Gymnasium vier. Da hatten ihre Eltern Ende der siebziger Jahre nicht viel Fantasie bewiesen, der Name war zu der Zeit eher unoriginell. Und die zahlreichen Verballhornungen nervten sie.Nadinchen, Dina, Nani, Naddi.Ganz schlimm:Naddel. Aber den Vogel hatte damals in der neunten Klasse der dicke Christian abgeschossen. Er hatte sie Nacho getauft. Dieser Name klebte bis heute wie Pech an ihr. Der einzige Trost, der ihr blieb, warendie fünf weiteren Christiansin ihrer Stufe. Da hatte es wohl noch andere Eltern gegeben, die keine pfiffigeren Ideen für ihre Sprösslinge in Sachen Namensgebung gehabt hatten.

Dabei ging es ihr doch gut mit ihrem Namen. Da gab es damals Wolke. Die mit den Hippie-Eltern. Zweimal war sie bei ihr zu Besuch gewesen und hatte sich immer über den schweren Geruch gewundert, der durch die Räume der knallbunten Wohnung gezogen war. SeltsamesParfum,hatte sie in jener Zeit mit ihren acht Jahren gedacht. Von diesen sonderbaren bewusstseinserweiternden Substanzen hatte sie erst viel später gehört. Aber da ließ Wolke schon lange niemanden mehr zu sich nach Hause. Das letzte Mal hatte sie eine Schulfreundin bei sich zu Besuch, als ihre Eltern nebenan lautstark bei Übung dreiundvierzig aus dem Kamasutra angekommen waren. So lautete zumindest das Gerücht. Mehr wusste sie ohnehin nicht über Wolke, die kurz vor dem Abi die Schule verlassen hatte. Angeblich war sie mit einem sechszehn Jahre älteren Bänker durchgebrannt und wohnte jetzt – zweimal geschieden – in irgendeinem südbayerischen Kaff. Mit drei Kindern. Ja, so eine Kindheit konnte einem alles versauen. Wolke hatte eben Pech gehabt, dass ausgerechnet ihre Erziehungsberechtigten die Hippiezeit noch bis weit in die Achtziger durchleben wollten.

Ihr Name als Kindheitstrauma? Wie banal.

Nadine war mittlerweile in ihrer Straße angekommen. Loriot zog sie bis zur Haustür, zergelte weiter an der Leine, während sie versuchte, ihre Post aus dem Briefkasten herauszusammeln. Mit den Briefen unterm Kinn fummelte sie ihren Hausschlüssel auf dem Weg in den zweiten Stock aus ihrer heute wieder unendlich tiefen Handtasche.

»Hallo Fippsi«, sagte sie zu der geschlossenen Wohnungstür neben ihrer eigenen. Unter der Türschwelle kroch der Geruch des Parfums hervor, das schon Wolkes Eltern benutzt hatten. Als sie die eigene Tür hinter sich zugezogen hatte, hörte sie durch die Stille ihres kleinen Flurs, dass ihre Nachbarin gerade Geld verdiente. Ihr erster Griff ging sofort zum CD-Player, um das wilde Geknarzte mit dem Adagietto von Gustavs Mahler Symphonie Nummer fünf zu untermalen. Der nächste Griff ging in den Kühlschrank, wo noch ein Rest vom gestrigen Rotwein auf sie wartete. Sie schenkte sich ein Glas ein und stellte es auf den kleinen Beistelltisch neben Mr. Snug.

Und dann ließ sie sich hineinfallen in ihren alten Ohrensessel. Sie lehnte sich zurück, legte die Arme auf die wulstige Lehne aus Leder, schmiegte sich in das stoffbezogene Sitzkissen. Ein Traumstück, das sie mit viel logistischem Aufwand vor ein paar Jahren aus dem ehemaligen Kuhstall ihrer Tante gerettet hatte. Nach drei FlaschenFebrezewar er der Mittelpunkt ihrer winzigen Altbauwohnung geworden, zentral zwischen den bis zur Zimmerdecke aufgestapelten Billy-Regalen, die alle von Büchern überquollen.

Loriot verstand ihr offenkundig entspanntes Zurücklehnen als Einladung und sprang ihr schwanzwedelnd auf den Schoß. Er tappte dreimal im Kreis herum, ließ sich endlich schnaufend nieder und rollte sich zu einer atmenden Kugel zusammen.

Nadine versenkte ihre Finger in sein weiches Fell. Sie streifte ihre Schuhe ab und zog seufzend die müden Zehen ein. Ding, ding, jetzt bitte einsteigen zur nächsten Runde! Ihr Gedankenkarussell nahm wieder Fahrt auf.

Sarahs Eltern waren nicht nur geschieden, sie hatten den gesamten Rosenkrieg über ihre drei Kinder ausgetragen. Jahrelang. Irgendwas hatte sie auch mal von einem Onkel erwähnt, die Andeutungen verhießen nichts Gutes.

Da konnte sie selbst natürlich nicht mitreden.

Ihre Nachbarin Fippsi kam aus einer Familie, die seit Generationen Hartz IV bezog. Alkohol hatten die Eltern, Drogen ihre Brüder außer Gefecht gesetzt. Nach ihrem eigenen Entzug verdiente sie ihr Geld mit - na ja, so genau wollte Nadine sich das gar nicht vorstellen.

Da konnte sie selbst natürlich nicht mitreden.

Karl, ein Kollege aus dem Verlag, war einer von diesen Jungs, die in so einem katholischen Internat von Anfang an ganz eigene Vorstellungen von Nächstenliebe durch einen Priester hatte erfahren dürfen. Erst vor zwei Jahren hatte er sich endlich offenbart und sich den Entschädigungsforderungen von ebenfalls Betroffenen angeschlossen. Bislang ohne Erfolg.

Da konnte sie selbst natürlich nicht mitreden.

Sarah konnte nicht von ihrer Ehe mit ihrem jähzornigen Mann loslassen, Fippsi kotzte sich jeden Abend leer, Karl hatte einen ausgeprägten Wasch- und Putzzwang.

Was wusstesieschon vom Leben?

Und das waren von unzähligen Beispielen nur die ersten drei, die ihr spontan einfielen.

All diese traurigen Lebensschicksale erklärten deren jeweiligesHeute. Mit so einer Kindheit war für den Rest des Lebens die Duftmarke gesetzt. Unentrinnbar. Wenn später etwas schief lief, war das nur logisch. Nadine verstand das.

Das erklärte aber nicht, warum ihr Leben nicht einfach perfekt war. Zumindest nach den Normen dieser Welt, in der sie lebte.

Dass sie immer noch alleine wohnte. Mit gut Anfang dreißig. Mitte dreißig. Schon über Mitte dreißig. Ohne Mann, ohne Reihenhäuschen, ohne Kinder, ohne Bidet.

Wenn sie ihre Kindheit nicht dafür verantwortlich machen konnte, dann war sie es wohl selbst schuld.

Das tat weh.

Sie entschied sich um: Eine gute Kindheit war eben eine schlechte Lebensvorbereitung.

BlödeAusrede,das funktionierte auch nicht richtig.

Ein Klingeln riss sie aus ihren Schlussfolgerungen. Vorsichtig hob sie Loriot von ihrem Schoß, raffte sich aus ihrem Sessel und ging zu dem Regal, aus dem das Geräusch kam. Unter drei Büchern lag das schnurlose Festnetztelefon begraben.

»Hallo Mami.«

»Na, mein kleiner Papierwurm? Wie war dein Tag bis heute?«

»Ich sinniere gerade über mein Karma. Sonst ist alles gut.«

»Ach so?«

Nadine bekam so eine Ahnung, dass das gar kein guter Gesprächseinstieg gewesen war, auch wenn sie ihn nicht wirklich ernst gemeint hatte. Oder wenigstens nur ein bisschen ernst. Auf jeden Fall war es eine Steilvorlage. Sie fiel zurück auf ihren Sessel, auf das Kommende gefasst.

»Ja, ja, ich weiß schon. Aber Würmchen, mir ist völlig klar, warum du deine Sonntage immer noch alleine verbringen musst.«

»Prima, lass hören, dann weißt du mehr als ich.«

»Solange sich in deinem Bett Bücher stapeln, passt da auch kein Mann rein.«

Nadine blickte geistesabwesend durch die offene Tür in das kleine Nebenzimmer. Da stand ihr Bett mit einem Meter fünfzig Breite, die eine Hälfte mit Büchern für die Nachtstunden belegt. Sie verdrehte die Augen.

»Achso.«

»Ja, nach Feng-Shui ist das ganz schlecht. Wenn man jemanden in sein Leben lassen will, muss man dafür auch einen Platz freihalten. Im wahrsten Sinne des Wortes.«

»Feng-Shui?«

»Na ja, habe ich mal gelesen. Aber da ist doch was Wahres dran. Denk mal drüber nach!«

Sie dachte tatsächlich einen Moment darüber nach und versuchte sich gleichzeitig vorzustellen, wie ihre Mutter es sich wahrscheinlich genauso gemütlich auf dem großen Sofa in ihrem eigenen Wohnzimmer gemacht hatte, wie sie es auf Mr. Snug gerade tat. Die Lachfalten, diedichten, nur wenig grauen Haare, die sie in einer modischen Kurzhaarfrisur trug, ihr weicher, warmer Blick. Sie hatte ihre Mutter genau vor Augen. Und ihre Mutter wahrscheinlich auch gerade ihre Tochter.

Nadine kramte nach einem neuen, unverfänglichen Thema.

»Kommt Tante Helga zu Papis Geburtstag?«

»Wir hoffen es. Sie ist ein bisschen angegriffen. Du weißt schon, diese Sache mit ihrer Hüfte ...«

Es war gelungen. Nadine griff entspannt nach ihrem Weinglas. Doch schon mit der nächsten Frage ihrer Mutter stand es wieder auf dem Beistelltisch: »Läuft da Mahler im Hintergrund?«

»Ja - und?«

»Nichts, Schatz.«

»Das war noch im Player, als ...«

»Ja, ja.«

Nadine hörte ihre Mutter wissend lächeln. Sie wünschte sich, sie könnte hörbar die Augen verdrehen. Das Gegenprogramm zu Fippsis beruflichen Tätigkeiten musste schon ganz oben auf der Kulturskala angesetzt sein, sonst wirkte es nicht. Und da sie immer erst abends nach Hause kam, war Fippsi bereits ...

Oh. Heute nicht. Es war Sonntag. Es war Viertel nach fünf. Sie schielte auf ihr Weinglas und spürte das schlechte Gewissen in sich aufsteigen. Verdammter Herbst mit seinen frühen Abenden.

»Was soll ich Papi zum Geburtstag schenken?«

Einen Versuch war es wert.

»Da liegt mir was auf der Zunge.«

»Ach, Mami!«

»Das wäre doch mal eine Überraschung!«

»Na bestens. Woher soll ich denn bis dahin ... Na gut. Ich werde mir einen Mann mieten, ihn den passenden Lebenslauf auswendig lernen lassen undihn als meinen Verlobten bei euch antanzen lassen.«

»Er sollte aber dunkelhaarig sein.«

»Sonst noch was?«

»Lass mich mal überlegen. Vielleicht so einer mit richtig altmodischem Charme. So mit Handkuss und so. Du weißt schon!«

»Ich hab dich auch lieb!«

Nadine musste darüber lächeln, dass ihre Mutter ihr ein Lächeln entlockt hatte. Sie freute sich auf Papis Geburtstag. Selbst wenn es noch zwei Wochen hin war. Und ihr einfach kein Geschenk einfiel.

2

Nadine stürzte durch die Tür des Studiogebäudes, als diese endlich summend aufsprang. Ein kurzatmiges »Hallo« Richtung Martina am Empfang gekeucht, dann war sie auch schon am anderen Ende des Flurs angelangt. Loriot kannte seinen Job, er ließ sich auf seiner angestammten Decke neben dem Empfangstresen nieder.

Sie blieb vor der Tür zu Studio C stehen, holte zweimal tief Luft, bevor sie eintrat. Eigentlich doch ganz normal, wie immer. Außer, dass nicht sie erwartet wurde. Und sie eine halbe Stunde zu spät war.

Micha war schon da. Natürlich. Die Tür zur fensterlosen Studiokabine war geschlossen, offenbar war auch der heutige Sprecher bereits anwesend. Oder war es eine Sprecherin? Nadine wusste es nicht. Sehr peinlich.

»Hallo Micha, ich bin es. Tut mir voll leid, ich hatte ...«

Doch Micha sah noch nicht einmal auf. Er drehte an seinen Mischpultknöpfen, der dick gepolsterte Kopfhörer ließ seinen irgendwie etwas zu klein geratenen Kopf beinahe verschwinden.

Nadine setzte sich neben ihn, schnappte sich einen anderen Kopfhörer, an dem auch ein Mikrofon angebracht war. Die Leitung zu Micha war freigeschaltet, sie sah es an den Blinklichtern. Das Licht, das anzeigte,dassdas Mikrophon in die Sprecherkabine freigeschaltet war, sah sie nicht.

»Oh Mann, was für ein verdammt blöder Start in den Tag. Brigitte ist im Krankenhaus, die hatte einen Blinddarmdurchbruch heute Nacht, das ist gar nicht witzig, die fällt jetzt länger aus, und ich war da jetzt überhaupt nicht drauf vorbereitet und hatte meine Gleitzeit heute genutzt, darum war ich später dran und dann hatte ich als Einzige ein Projekt gerade abgeschlossen und hierfür Luft und dann bin ich schnell losgefahren, aber die Straßenbahn war schon weg und dann kam kein Taxi ...«

Micha sah kurz auf, blickte ein bisschen durch sie hindurch und dann wieder zurück auf seine Knöpfe und Schieberegler.

»Gut, Soundcheck haben wir, warm gesprochen ist auch. Wir sind bei Seite vier jetzt. Willst du kurz reinhören?«

Der Toningenieur stand offenbar unter Druck. Sie musste darauf hoffen, dass alles seine Richtigkeit hatte. Er rechnete wohl nicht mit einemJa, denn er sagte sofort: »So, die Produktionsleiterin Frau Walters ist dann jetzt auch gekommen. Wir machen da weiter, wo wir waren.«

Da schwang so ein Hauch Ärger in seiner Stimme. Und Nadines Magen tat einen Satz, der Mensch in der Sprecherkabine musste alles mitgehört haben.

»Hallo«, sagte sie. Sie wollte entspannt und souverän klingen, hörte aber im eigenen Kopfhörer nur ein kleines, piepsiges Schulmädchen.

»Hallo«, kam es aus dem Kopfhörer.

Diese Stimme kannte sie noch nicht.

»Auf gute Zusammenarbeit, Frau Walters.«

Diese Stimme.

Diese Stimme.

Sie ging Nadine bis in die Fußnägel, dann in ihre Nackenhaare und landete schließlich. Landete da, wo ... Sie klapperte mit den Augendeckeln. Was. War. Das. Denn?

»Sie entschuldigen bitte, dass ich zur Begrüßung sitzen bleibe.«

Diese Stimme.

Nadines Kehle war mit einem Mal völlig ausgetrocknet. Das Manuskript, das sie gerade noch in den Händen gehalten hatte, segelte sanft zu Boden, die einzelnen Seiten schwebten wie Herbstblätter in langen Wellen nieder und verteilten sich malerisch auf dem braunen Korkfußboden.

Ein Leben in Zeitlupe. Von jetzt auf gleich.

»Eine Sekunde bitte, ich trinke noch einen Schluck Wasser.«

Diese Stimme.

Der Blick, den sie von Micha erntete, rauschte lautstark durch sie hindurch.

»Können wir dann weiter machen, Frau Walters?«, fragte er sie, wartete aber nicht auf ihre Antwort. »Und bitte, Herr Noack!«

Micha schaltete gleichzeitig die Verbindung in die Kabine aus und die Aufnahme ein.

»Der Mann hinter dem Vorhang musste groß sein. Smith sah die Falten des schweren Vorhangstoffes auf eine bestimmte Weise verändert, die sein fotografisches Gedächtnis sofort interpretieren konnte.«

Nadines Hände zittern wie dürre Äste im Sturm, während sie das Papier zusammenklaubte. Alles durcheinander, sie zu spät und völlig unvorbereitet - auf das! Hier! Dass es sich um ein brandeiliges Hörbuchprojekt handelte, weil es gleichzeitig mit der Übersetzung des Romans auf den Markt kommen sollte, machtedie einzelnen Blätterbrandheiß. Dass sie sich beim Bücken beinahe mit dem Kopfhörerkabel strangulierte, war so. So. Sexy.

»Diese winzigen Nuancen im Farbenspiel des schweren Samtes waren eindeutig. Der Eindringling war größer als er selbst. Dass es ein Mann war, hatte seine Nase schon beim Betreten des Raumes ...«

Diese Stimme.

»Entschuldigen Sie bitte, Herr Noack, den letzten Satz freundlicherweise noch mal neu starten. Frau Walters ist gerade gegen den Crossfader gekommen.«

»Dass es ein Mann war, hatte seine Nase schon beim Betreten des Raumes wahrgenommen. Diese Mischung aus Sandelholz mit einem Hauch Moschus und Angstschweiß war ganz eindeutig männlich. Er ging mit langen Schritten auf die Fensterseite des Raumes zu ...«

Das Rauschen in Nadines Kopf schwoll an.

»Sorry«, murmelte sie in Richtung Micha, der mit einem Auge sein eigenes Manuskript, mit dem anderen auf seinem Monitor die auf- und abschwellenden Digitalsäulen fixierte.

»Wir müssen da insgesamt saugut durchkommen, dein Verlag und der Buchverlag hängen mir im Nacken«, Micha schaute sie kurz an, dann blickte er wieder auf seine Anzeigen, »und wir haben hier einen Topspeaker sitzen, der macht das alles nicht zum Spaß.«

Nadine wollte zu einer Antwort ansetzen, aber endlich griff ein Teil der professionellen Routine der letzten Jahre. Sie suchte sich die richtige Stelle im Manuskript. Dass ihr das Herz aus den Ohren herausschlug, ihr Magen heiß lief und ihre Hände Eisklötze waren, war neu, aber sonst.

»Kommen Sie da raus, sofort!«

Ihr Atem flog.

»Wer sind Sie? Was haben Sie hier zu suchen?«

Die Buchstaben auf dem Manuskript flatterten wild durcheinander.

»Seien Sie lieber vorsichtig, ich bin bewaffnet.«

Ihr gesamter Körper kribbelte.

»Wie sind Sie hier hereingekommen?«

Nadine fragte sich, wie sie hier wieder herauskommen sollte. An konzentriertes Arbeiten war überhaupt nicht zu denken. Schlagartigwurdeihrbewusst, in was sie da hineingeraten war: Von jetzt auf gleich hatte sie ein absolut hochrangiges Projekt übernommen. Vor ihr lag das Manuskript eines weltweiten Topsellers. Dieses Buch wurde genauso sehnsüchtig auf dem Markt erwartet wie die ungekürzte Hörbuchfassung. Höchste Aufmerksamkeit garantiert.

Und sie saß da und hatte nur einen Gedanken.

Diese Stimme.

Sie war fassungslos darüber, wo es einem Menschen überall heiß werden konnte.

»Pardon, sicher haben Sie es auch gerade gemerkt, Herr Noack«, Micha klang regelrecht unterwürfig, »da hatten Sie im letzten Abschnitt eineInquit-Formelübersprungen.«

»Ja, das stimmt. Ich handhabe das absichtlich an manchen Stellen so, damit die Dialoge flüssiger klingen.«

»Aha. Ja, also gut, wie Sie meinen.«

Micha bewegte die Computermaus, drückte Knöpfe. Ohne seine Sitznachbarin anzusehen, nörgelte er: »Ich mache übrigens gerade deinen Job hier.«

Nadine hatte überhaupt nicht gemerkt,dass der Sprecher ein »sagteer« übersprungen hatte. Der gesprochene Text hatte ohne dieses Füllsel tatsächlich besser gewirkt.

»Ja. Äh. Ich bin jetzt ganz da«, stammelte sie.

»Na hoffentlich.«

Die nächsten Seiten flogen vorbei. Nadine war berauscht. Entrückt. Erregt.

Sie hatte schon so viele ausgefallene, warme, voluminöse, ergreifende, rauchige oder knarzende Stimmen gehört. Und nie, wirklich nie hatten die Sprecher so ausgesehen, wie sie sich den Menschen hinter dieser Stimme vorgestellt hatte.

Das war nicht schlimm. So war das halt.

Aber hier wäre das schlimm.

Das hier war eine unglaublich attraktive, aufregend männliche, im wahrsten Sinne atemberaubende Stimme. Es konnte kein Gesicht geben, das dazu passte. Das wäre zu viel des Guten. Und jedes andere Gesicht wäre eine Katastrophe.

Ihre Gefühlswallungen mischten sich mit ihrem Gedankenkarussell vom Vortag. In ihrer Welt waralles gut, schlechte Erfahrungenwaren ihr fremd. Und so sollte es auch bleiben, fertig. Sie konnte sich die Illusion doch nicht einfach so zerstören lassen. Ihr Entschluss fiel unwiderruflich von der einen auf die andere Sekunde: Sie wollte diesen Menschen niemals zu Gesicht bekommen.

Niemals.

»So, kleine Pause, Herr Noack. Ich mache Ihnen die Kabinentür auf, damit Sie sich die Beine vertreten können«, sagte Micha und nahm seinen Kopfhörer ab.

Nadine riss sich ihr eigenes Headset herunter und schnappte sich das Manuskript. Sie sprang auf.

»Bin gleich wieder da.«

Sie stürzte regelrecht aus dem Raum voller Racks und Blinklampen. Sie musste nach draußen an die frische Luft. Jetzt wäre genau der richtige Zeitpunkt für eine Zigarette. Wenn sie nur rauchen würde. Loriot sah sie sofort, als sie in den Empfangsbereich kam. Freudig sprang er an ihr hoch. Aber da fielihrein, dass Micha und der Sprecher ihr hier oder vor der Tür begegnen könnten. Nein, das ging gar nicht. Außerdem hatte sie Dringenderes zu tun, als sich abzukühlen, auch wenn ihr die Hitze noch im Gesicht stand.

»Sorry, Schätzchen, jetzt kein Gassi, Frauchen muss lesen.«

Sie sah sich um und entdeckte eine offen stehende Tür, dahinter ein herrenloses Büro. Bestens. Sie huschte hinein, zog die Tür hinter sich zu, setzte sich an den Schreibtisch. Schnell blätterte sie im Manuskript bis zu der Stelle, die zuletzt gelesen worden war. Sie scannte die nächsten Seiten im Schnelldurchgang. Sie musste das Buch perfekt drauf haben für die Produktion.Sie wusste, dass der Sprecher gut vorbereitet war und sich im Vorfeld schon intensiv mit dem Text auseinandergesetzt hatte, dass er längst Anmerkungen und Notizen für die einzelnen Protagonisten und seine Interpretation der verschiedenen Stimmlagen gemacht hatte. Alles Typen, die Nadine noch nicht kannte und von denen sie noch kein Bild hatte.

Auf dem Flur hörte sie ihn sagen: »Frische Luft ist eine gute Idee.«

Micha versuchte in seiner schnoddrigen Art einen Scherz zu machen, »Zigarette ist für Siewahrscheinlichsowas Ähnliches wie Schokolade für Magermodels, was?«, scheiterte aber an seiner Unterwürfigkeit. Er hatte sicher schon bessere Witze gemacht, auch wenn Nadine noch keinen gehört hatte. Die Herren verließen offenbar das Gebäude, rasch sammelte sie sich für die Zeilen vor ihr.

Sie konnte schnell lesen, aber für diesen dicken Schinken und das bisschen Zeit nicht schnell genug. Nach einer Weile - viel zu kurz, aber immerhin - waren wieder die Stimmen und Schritte der Männer zu hören.

Dann rief Micha vom anderen Ende des Flurs: »Nadine, wo bist du? Herr Noack und ich warten!«

Nadine packte den Papierstoß, stolperte aus dem Büro und auf die Studiotür zu. Micha saß bereits an seinem Platz, als sie ankam, die Tür zur Sprecherkabine war verschlossen.

Perfekt.

Erleichtert aufseufzend ließ sie sich auf ihrem Stuhl nieder.

»Herr Noack«, sagte sie in das Mikro ihres Kopfhörers, den sie sich in einer fließenden Bewegung aufgesetzt hatte, »gleich beim nächsten Kapitel:Wiewollen Sie den Widersacher sprechen?«

»Warten Sie«, in ihrem Kopfhörer hörte sie Blätterrascheln, »ah, hier. Den hatte ich mir mit einer verschlagenen Stimme vorgestellt. Wie jemand, der immer so ein bisschen aus angehobenen Schultern heraus spricht, einen Hauch zischend, spitz.«

Er machte es vor. Und Nadine hatte sofort den perfekten Unhold vor Augen, eine hinterlistige Type, der besser nicht zu trauen und die brandgefährlich werden konnte. Sie scrollte im Geist die Geschichte weiter durch, die sie bis jetzt gelesen hatte, und nickte.

»Ja, das passt!«

Micha meldete sich zu Wort: »Also, ich hatte mir da eher so einenGrummlervorgestellt, so einen lauten Maulhelden.«

»Mh - mhm«, verneinten Nadine und die Stimme in ihrem Kopfhörer gleichzeitig, und sie musste schmunzeln. Sofort sprang ihr Herzschlag in eine andere Frequenz um: Dieser Noack sah es genauso wie sie

»Du wirst sehen, Micha«, wandte sie sich an den Toningenieur, »der Typ wirkt in dieser Variante noch böser.«

»Das glaube ich auch«, bestätigte die Stimme aus der Sprecherkabine, und Nadinehatteschon wiederdiese Hitzewallungen.

»Dann mal los«, gab sie den Auftakt für das nächste Kapitel.

3

»Na ja, und was macht beidirdie Arbeit?«

»Neues Projekt.«

»Was genau?«

»Der neue Thriller von Blankett.«

»Boah, das ist ja der Hammer. Wie kommst du denndadran?«

»Zufall.«

»Und wer spricht es?«

Stille.

»Hallo Nase, muss ich noch die Angelausrüstung holen? Oder kommt da auch mal was von alleine heraus?«

Nadine seufzte.

»Du hast ihn bestimmt schon mal gehört.«

Sarah zog die Schultern hoch, ihre Augenbrauen bewegten sich fragend nach oben.

»Die Hunde des Nachbarn. Totgeburt.OderSilber, Gold und du.«

Nadines Freundin schlug sich die Hand vor den Mund, ihre blauen Augen rollten einmal einen vollen Kreis aus und starrten sie dann an.

»Der? Wirklich der? Oh mein Gott, ich ... Ichliiiebeseine Stimme! Ich glaube, ich habe jedes Hörbuch, das er gesprochen hat! Jedes! Sogar den Ratgeber über Sex im Alter.«

Nadine musste lächeln.

»Das ist ihm sicher heute noch etwas unangenehm.«

»Diese Stimme! Da bekomme ich jedes Mal ganz weiche Knie. Den wollte ich schon immer kennen lernen. Wie sieht er aus?«, Sarah machte einen Kiekser: »Warte,sag nichts! Er ist bestimmt muskulös mit kantigem Kinn, so ein aalglattes Männergesicht wie diese Beachboytypen in Amerika.«

Nadine sagte nichts.

»Komm, bitte, bitte! Oder vielleicht so ein großer Blonder mit Pferdeschwanzfrisur«, Sarah redete sich in Wallung, »mit großen Händen und dicken Armen,VarianteWikinger?«

Sie schnappte kurz nach Luft.

»Oder vielleicht - warte, so ein ...«

Nadine hob beschwichtigend die Hände.

»Nicht so laut, wir sind hier nicht alleine!«, flüsterte sie.

Tatsächlich hatten bereits zwei mehr als mittelalte Frauen vom Nachbartisch einen Blick herübergeworfen. Und zwar beim Stichwort »große Hände«, Nadine hatte es genau gesehen. Selbst Loriot hatte die Aufregung gepackt, Sarahs Crescendo verhieß Aufbruch oder Leckerlis oder irgendetwas anderes Tolles. Schwanzwedelnd blickte er mit seinen schwarzen Knopfaugen zuihrhoch.

»Komm schon!«

»Ich habe keine Ahnung.«

»Oder ist er vielleicht ...«, Sarah hielt inne, »waaas? Du hast keine Ahnung?«

»Nein.«

»Ja, aber. Äh. Ihrarbeitet seit, seit - wie lange zusammen?«

»Seit Montag.«

»Und du hast ihn in diesen drei Tagen nicht ein einziges Mal ...?«

»Nein.«

»Wie soll das denn gehen in diesen winzigen Studioräumen?«

»Ich habe ihn darum gebeten.«

»Du hast - was?«

Nadine schaute kurz zum Fenster hinaus auf die belebte Straße, die von den Schaufenstern beleuchtet wurde. Es regnete Bindfäden. Jeder Gast, der das Bistro betrat, schüttelte sich und den Schirm aus und roch nach nassem Stoff.

»Ich habe ihm gesagt, dass man sich für solch große Projekte die Illusion erhalten sollte. Und dann noch was von Unvoreingenommenheit und vereinfachte Zusammenarbeit und so Zeug.«

»Wofür soll das gut sein?«

Nadine überhörte die Frage.

»Ich habe zum Beispiel auch nicht im Internet nach seinem Foto gesucht. Ich will das nicht.«

Sarah prostete Nadine mit ihrem Weinglas zu.

»Mit Verlaub: Sie haben einen Knall, Frau Walters.«

Dann hatte sie offenbar eine Eingebung und griff nach ihrem Smartphone,das auf dem Tisch lag und in den letzten drei Minuten schon viermal vibrierthatte. Sie klickte die eingegangenen SMS weg.

»Warte, den suche ich mir jetzt! Da hätte ich ja auch mal früher drauf kommen können ...«

»Nein, lass das!«

Nadine war ziemlich laut geworden. Loriot setzte erstaunt ein halblautes »Buufff« hinterher.

»Jetzt lass mich doch!«

»Nein, bitte nicht.«

Sarah blickte verstört auf.

»Sag mal, geht’s noch?«

Nadine wurde das Thema langsam peinlich. »Lass uns über was anderes reden«, schlug sie vor.

»Nee, nee, nee. So einfach geht das nicht. Mich hier erst heißmachen und dann rufen: Ätsch,bätsch, geguckt wird nicht! Hättest du wohl gerne.«

Sarah tippte auf der glatten Oberfläche ihres Smartphones herum.

»Wie wird der nochmal genau geschrieben?«

Nadine lehnte sich zurück und kreuzte die Arme vor der Brust. So sehr ihre Freundin mit sich selbst beschäftigt war, aber sie wusste auch, dass diese Geste nichts Gutes verhieß.

»Du meinst das ernst, oder?«

»Selten habe ich etwas ernster gemeint.«

Es entstand eine Pause, in der Sarah ihr Handy weiter unschlüssig in der Hand hielt.

»Komm, da steckt doch mehr dahinter. Jetzt sag schon!«

»Da steckt überhaupt nichts dahinter.«

Sarah legte das Smartphone zur Seite und stützte das Kinn auf die Hände.

»Hmmm?«, machte sie mit großen Augen. Sie mochte tief in ihre eigene missglückte Welt vergraben sein, aber es gab sie dann doch, diese lichten Momente. Da war ihre Freundschaft plötzlich weniger einseitig.

Ausgerechnet jetzt.

»Weißt du, wie das für mich klingt?«, fragte sie mit einem Blick, als wolle sie eine zu kleine Schrift entziffern.

»Nein.«

»Es soll ja Leute geben, die vor der Ehe keinen Sex haben wollen. Die sparen sich für den großen Moment auf«, Sarah zeigte mit dem Finger auf Nadine, »ist es sowas vielleicht?«

»Quatsch.«

Ihre Freundin machte eine wegwerfende Geste.

»Ist auch besser so. Diese Sexaufsparerei ist totaler Unsinn, das endet meist in der großen Enttäuschung, ich sag´s dir.«

»Diese Enttäuschung will ich mir halt grundsätzlich ersparen.«

Sarah nippte an ihrem Glas. Nachdenklich schleckte sie mit der Zungenspitze einen Tropfen von der Oberlippe.

»Verstehe ich nicht.«

»Überleg doch mal. Stell dir nur mal vor, er ist vielleicht so ein Hutzelmännchen«, Nadine schüttelte sich, »so ein kleiner Typ mit krummen Beinen und ein paar letzten dünnen Haaren, die er über seine Glatze gekämmt hat.«

Sarah riss theatralisch die Augen auf und rief: »Vielleicht hat er ja einen Buckel!«

Die beiden Frauen fingen an zu kichern, als hätten sie schon den dritten harten Drink hinter sich. Die Damen am Nachbartisch schauten herüber, als wollten sie einen abhaben.

»Stimmt, das wäre eine Schande. Es wäre so, als risse jemand so einpokemschesDorf ein.«

»Po-tem-kin-sches Dorf«, verbesserte Nadine.

»Ich würde das nicht durchhalten, echt jetzt.«

»Klar, du bist Enttäuschungen ja auch gewohnt.«

Ein Gesprächsvakuum entstand, das an die Schmerzgrenze ging. Es war keine lange Pause, aber eine sehr tiefe. Nadine hörte den Nachhall ihrer eigenen Worte.

Oha.

»Was genau«, Sarah sprach ihre Worte so ruhig, dass Nadine genau wusste: Sarah war alles andere als ruhig in diesem Moment, »willst du damit sagen?«

»Ich. Also. Weißt du ...«

»Ich höre.«

Nadine suchte nach einem Erdloch, starrte aber nur auf den verkratzten, leicht verschmutzten Linoleumboden. Oder war es Laminat? Industrieparkett? Wie hielt so ein Boden überhaupt den Belastungen durch die hin und herlaufenden Kellner und Gäste stand? Machten Stöckelschuhe eigentlich grundsätzlich mehr Dellen als ...

Sie blickte auf. Keine Chance. Ihr Gegenüber wartete auf ihre Antwort.

»Ich habe das nicht so gemeint«, gab sie sich reumütig.

Sarahs Frage war stecknadelspitz: »Wie dann?«

»Ach, weißt du, ich kann mit Enttäuschungen eben schwer umgehen.«

»Mir fällt das dagegen ganz leicht? Das ist mir jetzt aber neu.«

Sarahs Tonfall war betont unbetont. Wollte Nadine eine Freundin loswerden, war das hier gerade eine günstige Gelegenheit. Zum handfesten Streit fehlte nur noch ein falscher Atemzug. Sie schluckte. Eigentlich waren ihre Treffen doch immer recht nett. Sie lachten viel zusammen. Meistens. Wenn es nicht um Sarahs Probleme ging. Also fast meistens. Manchmal.

»Im Gegensatz zu dir habe ich eben einiges an Glück gehabt. Und das will ich nicht aufs Spiel setzen. Ich meine«, Nadine war plötzlich überzeugt, dass das einfach mal gesagt werden musste, »das Leben hat dich ganz anders auf solche Dinge vorbereitet. Ich habe Angst, dass meine heile Welt einen Riss bekommt.«

So. Jetzt war es raus.

»Deine Sorgen will ich haben«, Sarah atmete schnell und tief ein und stieß die Luft in einem Stoß durch die Nase aus, »denn meine Welt hat ja schon genügend Risse, so dass es auf den einen oder anderen nicht ankommt. So in der Art?«

Nadine nickte vorsichtig. Sie rechnete damit, dass Sarah jetzt auf den Tisch schlug oder empört aufsprang oder sie beschimpfte oder ...

»Da hast du irgendwie Recht.«

»Habe ich?«, fragte Nadine leise.

»Du und deine goldene Hülle. Du verkriechst dich in deine Bücher, hast dich um nichts zu kümmern, hast einen tollen Job, einen total süßen Hund und kannst machen, was du willst. Meilenweit weg von der Wirklichkeit um dich herum.«

Nadine hatte das Gefühl, zu einer winzigen flauschigen Kugel zusammenzuschrumpfen.

»So ähnlich.«

Beinahe wäre ihr noch eine Entschuldigung hinterhergerutscht. Konnte das sein, dass sie sich jetzt schlecht fühlte, weil ihr Leben ein kleines bisschen über der Norm all der Enttäuschten und Gedemütigten verlief? So gesehen fühlte sich ihr Leben falsch an, da gab es nichts dran zu rütteln. Verquere Welt.

Sarah warf sich in die Rückenlehne ihres Bistrostuhles. Das Plastik gab ein ächzendes Geräusch von sich.

»Duhast echt Sorgen.«

»Sagen wir es mal so: Ich habe eben andere Sorgen als die Mehrheit.«

Ihre Freundin machte übergangslos ein nachdenkliches Gesicht.

»Am meisten wundert mich, dass der Typ da mitspielt. Ich meine, die Situation muss dem doch völlig absurd vorkommen.«

Nadine zog die Augenbrauen zusammen. Sie hatte noch gar nicht darüber nachgedacht, aberMr. Stimme, wie sie ihn für sich nannte, war mit ihrem ungewöhnlichen Wunsch umgegangen, als sei es das Normalste dieser Welt.

»Vielleicht machendas andere Produktionsleiterauch so«, mutmaßte sie.

»Oder er istsohässlich, dass er froh ist, niemandem unter die Augen zu kommen«, setzte ihre Freundin dagegen.

Nadine prustete leise auf, die Blicke der beiden Freundinnen trafen sich, Sarah gab ein Geräusch unterdrückten Lachens von sich, wieder traf sich ihr Blick und dann platzten sie unisono laut heraus. Ihr schallendes Gelächter ließ die Gespräche im Raum für einen Moment verstummen, Köpfe drehten sich zu ihnen um. Einige der anderen Gäste mussten schmunzeln.

Auf der Liste der Treffen, bei denen sie gemeinsam lachten, bekam dieses hier drei goldene Sterne.

4

»Die Frau hatte ein schmales rotes Kostüm an. Sie trug lange Fingernägel und hohe Absätze. Ihr teures Parfum und die offenen Haare brachten ihn auf den Gedanken, dass sie mehr wollte als nur ein paar Informationen. Er fragte: >Möchten Sie einen Drink?< Ihr roter Mund glänzte. Sie nahm den Bourbon entgegen. Ihre Finger berührten sich ein paar Sekunden länger als nötig.«

»Danke, Herr Noack, kleine Entspannungspause«, sagte Micha, nahm die Kopfhörer ab, erhob sich und ergänzte in Richtung Nadine: »Ichbin mal eine rauchen.«

»Möchten Sie sich die Beine vertreten?«, fragte diese in ihr Mikro.

»Nein, lassen Sie mal. Alles bestens.«

»Haben Sie noch was zu trinken?«

»Ja, danke.«

Nadine blätterte im Manuskript. Sie lagen gut in der Zeit, auch wenn die Vorgaben sportlich waren.

»Ich frage michmanchmal, warum dieser Blankett so einen Erfolg auf dem Buchmarkt hat«, sagte Mr. Stimme plötzlich.

Sie musste unweigerlich auflachen.

»Ich befürchte, da muss ich Ihnen recht geben. So ganz unter uns.«

»Also wirklich, da reihen sich holzschnittartige Protagonisten an Abziehbildchen an Plattitüden. Und trotzdem verkauft er sich wie blöde.«

»Ich glaube, er hatte eine schlimme Kindheit.«

Jetzt lachte er. Sie hörte ihn zum ersten Mal lachen, und es war hinreißend.

»Was meinen Sie denn damit?«, fragte er.

»Noch nie drauf geachtet? Leute, die viel Erfolg haben im Leben, waren kirchenmausarm oder wurden misshandelt oder hatten eine alkoholkranke Mutter oder, oder, oder.«

Mr. Stimme schien nachzudenken, dann sagte er: »Hm. Da ist was dran. In den USA ist das ganz entschieden so.«

»Und da wir in unserem Land immer alles übernehmen, was über den großen Teich schwappt ...«

»... sollte man tunlichst sehen, seine eigene Kindheit ein wenig aufzupeppen«, vollendete er ihren Satz.

Nadine wollte lachen, aber es kam nichts außer einem spöttischen »Pfff« dabei heraus. Dann sagte sie: »Da kann ich leider nicht mitreden.«

»Oh. Sie Arme.«

»Ja, machen Sie sich ruhig lustig.«

»Mache ich nicht. Ich verstehe gut, was Sie meinen.«

»Ach ja?«

»Unsere Gesellschaft ist gegenüber dem Glück anderer sehr skeptisch eingestellt.«

»Ja, das haben die Menschen hier nicht so gern.«

Er klang wie tief in Gedanken, als er langsam erwiderte: »Oh nein.«

Nadine dachte an das Nachmittagsprogramm der privaten Fernsehsender. Je herzergreifender oder abschreckender die Schicksale waren, um die es in den Talkshows und Pseudodokus ging, umso höher waren die Einschaltquoten. Sie war froh, zu solchen Uhrzeiten arbeiten zu dürfen. Oder zu lesen. Oder mit Loriot durch den Stadtpark zu gehen. Sie hatte vergessen, wo sie die Fernbedienung ihres Fernsehers hin verkramt hatte. Hatte sie überhaupt eine?

Dennoch gingen diese Sendungen nicht an ihr vorbei, denn sie boten immer wieder Gesprächsstoff für ihre Freunde. Sie hatte ungläubige Fragen gestellt und die jeweiligen Antworten mit einem entgeisterten Kopfschütteln zur Kenntnis genommen. Das war eine Welt, die sie nicht verstand und auch nicht verstehen wollte.

Ihr Blick fiel auf das Datenblatt der Produktion, in dem alle ihre Namen aufgeführt waren. Ihreneigenenhatte sie handschriftlich ergänzt, den von Brigitte durchgestrichen. Sie stutzte.

»S. Noack. Das klingt geheimnisvoll«, rutschte es ihr heraus.

»So, finden Sie?«, gab sich Mr. Stimme ungerührt.

»Wofür steht der BuchstabeS?«

»Warum habe ich es wohl abgekürzt?«

Sein Tonfall ließ nicht darauf schließen, dass er weiter über das Thema reden wollte. Aber sie konnte nicht widerstehen: »Wie lassen Sie sich denn von ihren Freunden nennen?«

»Ess-Punkt«, kam es trocken aus der Leitung.

»Das ist nicht Ihr Ernst!«, lachte sie.

Prompt folgte ein Seufzen.

»Leider haben meine Eltern bei der Namensgebung nicht daran gedacht, dass ich ein Leben lang damit leben muss.«

Nadine klatschte einmal in die Hände.

»Gut, Sie haben es geschafft: Jetzt will ich ihn wirklich hören!«

»Aber nicht weitererzählen.«

»Versteht sich.«

Mr. Stimme seufzte, holte tief Luft.

»Serafin«, stieß er hervor.

»Ohhh, wieSerafin und seine Wundermaschinevon PhilippeFix?«

Serafin gab ein volltönendes Brummen von sich.

»Meine Eltern hatten die fixe Idee, dass ihr Sohn ein großer Erfinder oder sowas wird. So wie der Typ in diesem blöden Bilderbuch.«

»Gar nicht blöd, es ist eines meiner liebsten Bücher!«, empörte sich Nadine, aber sie spürte, dass Mr. Stimme schwer zu überzeugen war.

»Seien Sie froh, dass Sie nichtPlumheißen«, setzte sie hinterher und staunte selbst über ihre Frechheit.

Da lachte Serafin laut und ausgiebig.

»Oh, mein Gott«, gluckste er, »da habe ich ja tatsächlich Glück gehabt!«

Plumwar in dem BilderbuchSerafinsbester Freund. Er trug einen viel zu großen, blau-weiß gestreiften Pullover mit einem riesigen Rollkragen, mit dem er gerne irgendwo hängenblieb. So einen wollte Nadine immer haben. Ein Wohnpullover vom Allerfeinsten.

Aber gegen das Lachen von Serafin war das gerade mal eine Randnotiz in ihrem jetzigen Leben wert. Sie genoss dieses Geräusch mit jeder Faser ihres Körp... Du meine Güte, ermahnte sie sich, komm runter.

»Ich finde Ihren Namen«, sie suchte nach dem richtigen Wort, »fabelhaft. Er ist nicht wie alle, nicht so ein langweiliger Allerweltsname.«

»Ja dann.«

Pause.

»Darf ich Sie nachIhremVornamen fragen?«

»Den kannichnicht leiden.«

»Warum?«

»Das ist so ein langweiliger Allerweltsname.«

Wieder lachte Serafin.

»Wir jammern uns hier gerade ein paar Luxusprobleme vor, was? Also, wie lautet Ihr Allerweltsname?«

»Nadine.«

»Nadine, honey, is that you?Oh, Nadine! Honey,isthatyou? ...«, sang Serafin, und das schien das Einzige zu sein, was seine Stimme nicht konnte. Nur mühsam erkannte Nadine, was er meinte.

»Soll das der Song vonChuckBerry sein?«

Sie hatte nicht viel Ahnung von dieser Art von Musik, aber dieses Lied kannte sie zwangsläufig.

»Sie müssen sich jetzt vorstellen, wie ich dazu seinen Duck Walk hinlege -padampadampadam«, Serafin trommelte auf seinen Tisch, in Nadines Kopfhörer polterte es, als wäre eine Elefantenherde im Anmarsch.

»Den was?«

»Kennen Sie! Der Gitarrist von ACDC macht das auch immer. Ein Bein vor, eins angewinkelt, die Gitarre an die Seite gelegt und dann los.«

Wieder polterte es.

»Schon gut, jetzt weiß ich, was Sie meinen.«

»Darf ich Sie Nadine nennen?«, fragte er unvermittelt.

»Wenn ich Sie Serafin nennen darf.«

»Deal!«, rief er lachend.

Kurz darauf kam Micha wieder ins Studio, umgeben von einer Wolke aus Zigarettendunst und kalter Asche. Nadine lag es auf der Zunge, das zu kommentieren, aber für die Kommentare war ihr Tontechniker zuständig, da musste sie nicht auch noch mitmachen.

»Gut, Ser ..., äh, Herr Noack, dann machen wir mal weiter«, stolperte sie sich wieder in die Arbeit.

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