Hinter dicken Mauern - Ana Dee - E-Book

Hinter dicken Mauern E-Book

Ana Dee

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Beschreibung

Jonna ist zufrieden mit ihrem Leben. Ehemann Markus ist hingegen der Ansicht, dass ein Leben in ländlicher Umgebung der Familienplanung neuen Schwung verleihen könnte. Voller Enthusiasmus beginnt er mit der Suche nach einem neuen Domizil und hat es recht bald gefunden. Schon bei der ersten Besichtigung überkommen Jonna seltsame Beklemmungen und nach dem Einzug macht sie eine Entdeckung, die ihr Leben kopfstehen lässt. Während Markus sich immer mehr zurückzieht und in Ausflüchte verstrickt, beginnt für Jonna eine emotionale Achterbahnfahrt. Wem kann sie noch trauen? Zur selben Zeit hadert Olof mit seiner Vergangenheit als Kommissar. Vor zehn Jahren sind zwei Mädchen entführt worden, von denen eines tot aufgefunden wurde. Ihm ist es nicht gelungen, den Fall aufzuklären, und er kämpft verzweifelt darum, dass die Ermittlungen des Cold Case wieder aufgenommen werden. Ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt verschwindet wieder ein junges Mädchen.

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Veröffentlichungsjahr: 2022

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HINTER DICKEN MAUERN

SCHWEDEN-KRIMI

ELIN SVENSSON

ANA DEE

INHALT

Anmerkung

Protagonisten

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Weitere Bücher der Autorin

Impressum

ANMERKUNG

Fiktive Geschichte nach einer wahren Begebenheit.

Auf das in Schweden übliche Duzen wurde zugunsten der Lesbarkeit verzichtet.

Die Geschichte sowie sämtliche Protagonisten, Institutionen und Handlungen sind in diesem Roman frei erfunden. Ähnlichkeiten mit realen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Wo tatsächlich existierende Orte erwähnt werden, geschieht das im Rahmen fiktiver Ereignisse. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin.

PROTAGONISTEN

MayaLund – vermisster TeenagerJonna Skarsgård – HausbesitzerinMarkus Skarsgård – Jonnas EhemannAva Jensen – Jonnas FreundinLisa Jensen – Avas TochterIda Mattsson – NachbarinThord Mattsson – Idas SohnIngmar – GärtnerLasse – GehilfeSven Berggren – ehemaliger HausbesitzerOlof Tomasson – Ermittler im RuhestandKlara Tomasson – Ehefrau von OlofLilly Norström – Opfer

KAPITELEINS

Zehn Jahre zuvor

Maya verabschiedete sich von Lotta und Emma mit einem Blick auf die Uhr.

„Mädels, ich muss los. Ihr wisst ja, wenn ich nur zehn Minuten zu spät komme, gibt es Ärger im Hause Lund.“

„Deine Eltern sind wirklich anstrengend, meine lassen zum Glück die Leine locker“, lachte Emma.

„Man kann es sich halt nicht aussuchen“, erwiderte Maya schulterzuckend.

„Seid froh, dass sich jemand um euch kümmert“, seufzte Lotta. „Meine Mutter ist ständig auf Achse, um neue Typen anzuschleppen.“

„Wir können nur hoffen, dass wir es später einmal besser machen“, sagte Maya und die Freundinnen prusteten los.

„Ich habe da so meine Zweifel“, kicherte Emma.

„Ich auch. Aber jetzt muss ich wirklich los.“

Maya umarmte ihre Freundinnen zum Abschied und trat den Heimweg an.

„Wir sehen uns morgen“, sagte Lotta.

„Ja, bis morgen.“

Maya hob zum Abschied noch einmal die Hand und eilte den Feldweg entlang. Sie musste pünktlich zu Hause sein, obwohl es in den Sommernächten nie richtig dunkel wurde. Sie hatte auf mehr Freiheiten nach ihrem sechzehnten Geburtstag gehofft, aber ihre Eltern waren hart geblieben. Sie malten sich stets in düsteren Szenarien aus, was ihrer Tochter alles zustoßen könnte, und schienen dabei zu vergessen, was Leben eigentlich bedeutete.

Erneut warf Maya einen flüchtigen Blick auf die Uhr, sie würde zu spät kommen. Wenn sie den Weg quer über die Felder nahm, könnte sie es noch rechtzeitig schaffen, denn auf eine Standpauke konnte sie getrost verzichten. Allerdings musste sie auch ein Stück durch den Gruselwald, aus dem nachts immer die unheimlichsten Geräusche drangen. Früher war es eine Mutprobe gewesen, wer es von ihnen allein am längsten im dichten Unterholz ausgehalten hatte. Heute lachten alle über diese Zeit, doch das Unwohlsein aus Kindertagen war geblieben.

Ein unangenehmer Schauer durchfuhr Maya und sie beschleunigte ihre Schritte. Sollte sie abbiegen oder nicht?

Was soll’s, dachte sie schulterzuckend und bog ab. Sobald sie zu Hause wäre, würde sie über ihre Ängste lachen. Mit Sicherheit waren ihre Eltern daran schuld, weil sie sie keine Sekunde aus den Augen ließen. Genau aus diesem Grund hatte Maya das Smartphone zu Hause liegen lassen, weil sie wusste, dass ihre Eltern eine Tracking-App ohne ihr Wissen und ihre Zustimmung installiert hatten. Doch sie war ihnen auf die Schliche gekommen und hatte sich über den Vertrauensbruch geärgert.

Die Grashalme streiften ihre nackten Waden, als sie über die Wiese lief und der blumig schwere Duft des Sommers kitzelte ihre Nase. Die Grillen zirpten, als würde es kein Morgen geben. Aber der Schein trog, denn der Wald baute sich wie eine unheimliche Mauer vor ihr auf.

Sie atmete noch einmal tief durch, dann lief sie unter dem dichten Blätterdach hindurch. Nach dem heftigen Gewitter vor drei Tagen roch es nach feuchtem Erdreich, Pilzen und Moos. Das Laub vom Vorjahr raschelte unter ihren Füßen und ein Specht klopfte sein rasantes Stakkato. Hätte er sich nicht schon längst zur Ruhe begeben müssen?

Zweige kratzten über Mayas Haut, als sie sich in Eile durchs Dickicht kämpfte, und hinterließen dunkelrote Striemen. Das nächste Mal würde sie eher den Heimweg antreten, das schwor sie sich. Doch jedes Mal aufs Neue vergaß sie die Zeit, wenn sie sich mit ihren Freundinnen traf. Jungen war momentan das Thema Nummer eins, weil die Hormone in diesem Alter besonders verrücktspielten. Scheue Blicke, das erste Mal Händchen halten und anschließend vor Liebeskummer in die Kissen weinen. Eine wahnsinnig aufregende Zeit, in der man alles um sich herum vergessen konnte.

Maya stolperte über eine Wurzel und fluchte leise, weil es ihr erst in letzter Sekunde gelang, den Sturz abzufangen. Zum Glück war es nicht mehr weit und sie konnte schon das hellere Licht zwischen den Bäumen schimmern sehen. Das beruhigte sie auf angenehme Weise. Nur wenige Meter später wandte sie sich nach links und folgte einem Trampelpfad, der sich durch das Unterholz schlängelte und sie aus dem Wald hinausführen würde.

Als in der Nähe ein vertrockneter Ast knackte, zuckte sie erschrocken zusammen. Mit klopfendem Herzen drehte sie sich um und entdeckte einen Elch, der seinen massigen Körper durchs Dickicht schob. Ja, dieser Wald hatte nicht umsonst seinen Namen und war immer für eine Überraschung gut.

Maya setzte ihren Weg fort und stieß einen Jubelschrei aus, als sie den Waldrand erreicht hatte. Nichts wie weg von hier. Sie rannte über das abgeerntete Feld und vor ihr tauchten die ersten Häuser von Svärdsjö auf, einer idyllischen Gemeinde, die direkt am See lag. Der weiße Kirchturm ragte hoch hinaus und war schon aus der Ferne zu erkennen.

Maya freute sich über seinen Anblick, denn er versprach Zuflucht und Sicherheit. Kurz darauf hatte sie das Elternhaus erreicht, schloss die Tür auf und huschte ins Innere. Lucky, der zweijährige Golden Retriever, kam schwanzwedelnd auf sie zu, um sie zu begrüßen. Liebevoll fuhren Mayas Finger durch das weiche samtige Fell, während Lucky seine Nase feucht in ihre Kniekehle stupste.

„Pünktlich auf die Minute“, merkte ihr Vater an und sie atmete erleichtert auf. Das war gerade noch einmal gut gegangen.

„Gute Nacht, ich werde gleich ins Bett gehen“, sagte sie und verschwand in ihrem Zimmer.

Nachdem sie sich geduscht hatte, legte sie sich ins Bett und starrte an die Decke. Dieses ungute Gefühl, das sie nicht nur im Wald empfunden hatte, begleitete sie schon seit Wochen. Als hätte sich eine unsichtbare Person an ihre Fersen geheftet, um sie aus der Ferne zu beobachten. Manchmal war es richtig unheimlich, wenn sie spürte, wie sich ein Augenpaar in ihren Nacken bohrte. Doch sobald sie sich umdrehte, war keine Menschenseele zu sehen. Seufzend kroch sie unter die Decke und schloss die Augen. Wenn ihre Eltern endlich damit aufhören würden, sie mit ihren eigenen Ängsten zu belasten, wäre es um einiges leichter.

KAPITELZWEI

Gegenwart

Jonna drehte nachdenklich die Kaffeetasse zwischen ihren Händen und schaute zum Fenster hinaus. Schon seit einer Woche bedrängte Markus sie, endlich einen Termin mit dem Makler zu vereinbaren, um das Haus zu besichtigen. Sie hatte sich gesträubt, um Aufschub gebeten und gehofft, dass das Haus bis dahin schon verkauft worden wäre. Aber das Universum hatte sie nicht erhört.

„Jonna, möchtest du dich nicht langsam fertig machen?“

Markus lehnte am Türrahmen und musterte sie fragend.

„Einen Moment noch, ich will nur in Ruhe meinen Kaffee trinken.“

„Okay“, erwiderte er knapp, drehte sich um und verschwand wieder im Arbeitszimmer.

Ihre Beziehung hatte sich auf eine gewisse Weise festgefahren und Markus steuerte mit aller Macht dagegen an. Er war felsenfest davon überzeugt, dass ein Ortswechsel ihnen den Weg in die richtige Richtung weisen würde. Frische Landluft, Gartenarbeit und Spaziergänge im Grünen sollten dazu dienen, ihrem Liebesleben wieder neuen Schwung zu verleihen.

Doch Jonna hatte nie aus Stockholm weggewollt. Sie liebte die Altbauwohnung mit den stuckverzierten Decken und den antiken Kachelöfen, die von der einstigen Pracht dieser Wohngegend erzählten. Außerdem fühlte sie sich vom pulsierenden Leben der Stadt mitgerissen und inspiriert. Nur ihrer Liebe zu Markus war es geschuldet, dass sie schließlich klein beigegeben hatte.

Mit einem Seufzen stellte sie die Kaffeetasse in die Spüle und setzte sich vor den Schminkspiegel, um ihre Blässe mit ein wenig Make-up zu überdecken. Schon seit über einem Jahr versuchten sie, ein Kind zu zeugen, und scheiterten kläglich. Der Druck war enorm und weder Markus noch sie konnten sich erklären, warum es einfach nicht klappen wollte. Sämtliche Untersuchungen hatten grünes Licht gegeben, doch der lang ersehnte Nachwuchs war ausgeblieben.

Jonna streifte sich ein geblümtes Sommerkleid und Sandalen über und griff nach ihrer Tasche, die sie sich locker über die Schulter hängte.

„Schatz, ich bin dann so weit.“

Markus kam mit einem Strahlen aus dem Arbeitszimmer.

„Toll siehst du aus“, sagte er anerkennend. „Du wirst sehen, diesmal haben wir den richtigen Fisch am Haken“, schwärmte er.

Jonna konnte seinen Enthusiasmus nicht teilen und schwieg, um seine Vorfreude nicht zu dämpfen. Mit gemischten Gefühlen folgte sie ihm zum Wagen.

„Das Wetter ist perfekt und wenn der strahlend blaue Himmel kein gutes Omen ist, was dann?“

„Mhm.“

Sie konnte sich zu einem Lächeln durchringen, obwohl sich ihre Begeisterung in Grenzen hielt. Markus legte seine warme Hand auf ihr Knie, eine Geste, die er schon seit Urzeiten nicht mehr gemacht hatte.

„Es fühlt sich wie eine Befreiung an, nicht mehr der Hektik der Stadt ausgesetzt zu sein. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie ausgepowert ich mich fühle.“

„Wir werden ganz sicher das passende Haus finden“, sagte sie. „Wenn nicht heute, dann an einem anderen Tag.“

Markus warf ihr einen irritierten Seitenblick zu.

„Warum sollte es nicht klappen, wo doch alle Zeichen auf Go stehen?“

„Du musst nicht gleich jedes Wort auf die Goldwaage legen“, antwortete sie. „Trotzdem bin ich der Meinung, dass wir uns nicht auf dieses Haus versteifen sollten.“

„Aber es wäre perfekt. Ich könnte sofort einen neuen Job antreten, bei dem ich ein Drittel mehr verdiene. Du müsstest nicht mehr arbeiten und könntest dich voll und ganz auf die Familienplanung konzentrieren.“

Ob das wohl erstrebenswert wäre?, dachte sie skeptisch und schwieg.

Natürlich wäre dieses Objekt für eine Familie mit Kind geradezu optimal. Aber sie waren nun einmal ungewollt kinderlos und der Druck könnte sich mit einem Umzug sogar noch verstärken. Nur noch selten herrschte eitel Sonnenschein zwischen Markus und ihr. Immer öfter kam eine Seite in ihnen zum Vorschein, die auf das Ende ihrer Ehe hindeutete.

„Worüber denkst du so angestrengt nach?“, fragte er.

Jonna biss auf ihre Unterlippe. Wäre es gut, ihm ihre Bedenken und Zweifel mitzuteilen?

„Das Haus wird unweigerlich den Druck auf unsere Ehe erhöhen. Es ist noch zu früh, um sich in dieses Abenteuer zu stürzen.“

Markus stieß wütend die Luft aus.

„Ich habe wirklich gedacht, dass wir diese endlosen Diskussionen bereits hinter uns hätten. Die Bank würde einen möglichen Kredit bewilligen. Warum also willst du unser Vorhaben unbedingt ausbremsen?“

„Das will ich doch gar nicht. Aber es fühlt sich falsch an.“

„Jonna, jedes dieser Häuser hat sich deiner Meinung nach falsch angefühlt. Wir können nicht ewig so weitermachen.“

Markus war aufgebracht und konzentrierte sich verbissen auf die Straße. Jonna hatte ihn nicht verärgern und ihm seine gute Laune verderben wollen, aber sie konnte die Worte nun einmal nicht zurücknehmen.

„Wahrscheinlich bin ich für diesen Schritt noch nicht bereit, aber ich lasse mich gern vom Gegenteil überzeugen. Wenn uns das Haus gefällt, dann schlagen wir zu“, lenkte sie ein.

Markus stieß nur einen tiefen Seufzer aus. Er kannte sie nur zu gut und wusste, dass es nur halbherzige Zugeständnisse waren, denen auch noch die Überzeugungskraft fehlte.

„Du weißt doch, dass ich mit einigen Dingen überfordert bin. Der Kaufpreis des Hauses hat nicht nur bei mir Schnappatmung verursacht, und dann willst du auch noch, dass ich meinen Job kündige.“

„Das macht man nun einmal, wenn man ein Kind aufziehen möchte. Man bleibt zu Hause.“

„Aber wir haben kein Kind, Markus.“

„Du musst den Stachel immer noch tiefer ins Fleisch jagen, nicht wahr?“

„Der Kauf des Hauses wird schwer auf uns lasten. Warum willst du das nicht einsehen?“

Markus trat abrupt auf das Bremspedal, wendete und fuhr in die entgegengesetzte Richtung.

„Bist du verrückt geworden?“, rief Jonna aufgebracht.

„Du hast mir gerade deutlich zu verstehen gegeben, dass du dieses Haus nicht kaufen willst. Also fahren wir unverrichteter Dinge nach Stockholm zurück, Ende der Diskussion.“

„Bitte, es tut mir leid, kehr wieder um“, sagte sie entschuldigend.

Markus setzte den Blinker und hielt auf dem Seitenstreifen.

„Wir werden sowieso zu spät kommen.“

Sie sah ihm an, wie enttäuscht er war. Er wollte dieses Haus so sehr und sie ahnte, dass ihre Gegenwehr das Ende ihrer Ehe bedeuten könnte.

„Ich bin bereit“, behauptete sie, obwohl sie wusste, dass es eine Lüge war.

„Bist du dir sicher?“

Sie nickte. „Ganz sicher.“

Markus zögerte nicht lange und sie setzten ihre Fahrt fort. Nach einer Stunde hatten sie ihr Ziel erreicht und er stellte den Wagen vor dem Grundstück ab.

„Wow“, entfuhr es Jonna. „Das Haus sieht größer aus als auf dem Prospekt.“

„Stimmt, auch ich bin positiv überrascht.“

Der Makler, ein junger Mann, eilte auf sie zu, um sie zu begrüßen.

„Ich habe schon befürchtet, dass Sie an diesem Objekt kein Interesse mehr hätten“, sagte er.

„Entschuldigen Sie die Verspätung, aber wir haben uns verfahren“, log Markus.

„Schön. Dann können wir jetzt mit der Besichtigung beginnen.“

Bevor sie eintraten, ratterte der Makler noch einmal sämtliche Eckdaten herunter. Jonna hörte nur mit einem halben Ohr zu und bestaunte das Haus. Die weiße Holzfassade mit geschnitzten Verzierungen, zwei Etagen und der Hauch von Exklusivität vergangener Zeiten. Die Fenster waren aus Holz und der Zahn der Zeit hatte an ihnen genagt. Sie würden mit Sicherheit ausgetauscht werden müssen, zum Glück hatte Markus die Renovierungsarbeiten großzügig kalkuliert. Der Vorgarten war verwildert, weil das Haus einige Jahre leer gestanden hatte. Dennoch konnte Jonna Stauden und Sträucher erkennen, die bei guter Pflege wieder ihre ganze Pracht entfalten würden.

Die Eingangstür schwang leise knarrend auf und gab den Blick in den länglichen Flur frei. Die Luft roch abgestanden und der Staub tanzte im einfallenden Sonnenlicht. Markus und Jonna durchschritten nacheinander die Räume.

„Die Zimmer sind sehr klein, wie das früher eben so üblich war“, erklärte der Makler. „Aber wenn Sie die nichttragenden Wände entfernen, können Sie die Räume vergrößern.“

„Genau das hatten wir geplant“, kommentierte Markus.

„Eine gute Entscheidung, das Haus hat unglaublich viel Potenzial“, schwärmte der Makler, der das Geschäft witterte.

Jonna schwieg und ließ die Innenräume auf sich wirken. Ähnlich wie in ihrer Stockholmer Altbauwohnung gab es auch hier Stuck an den Decken und Öfen, die mit ihren weißen Kacheln einen Hauch von Eleganz verströmten. Insgeheim musste sie Markus zustimmen, dass dieses Haus perfekt für sie war. Und dennoch …

„Na, Schatz, wie findest du es?“

Sie sah in sein strahlendes Gesicht und spürte seine Begeisterung. Der Kauf war entschieden und im Grunde zählte nicht mehr, was sie empfand.

„Es ist wunderschön“, sagte sie.

„Siehst du, ich hatte recht.“

Markus schien in Gedanken bereits die Räume einzurichten. Er diskutierte mit dem Makler, schaute aus jedem Fenster und wandelte über den Flur.

„Hast du schon einen Blick in den Garten geworfen?“

„Nein.“

„Keine Sorge“, sagte der Makler. „Die Gartenbegehung folgt zum Schluss.“

Sie stiegen die knarzende Treppe in die obere Etage. Das Haus war um die Jahrhundertwende erbaut worden und dementsprechend winkelig und unübersichtlich. Markus hatte bereits über den Grundrissplänen vom Exposé gehockt, um die Räume offener und freundlicher zu gestalten.

Die obere Etage war im Großen und Ganzen mit der unteren identisch und der riesige Dachboden bot ebenfalls viel Platz für einen möglichen Ausbau. Die zwei Badezimmer waren winzig und es bestand dringender Renovierungsbedarf. Insgesamt war es ein schönes Anwesen, das nur noch aus seinem Dornröschenschlaf geweckt werden musste.

„Und? Was sagst du?“ Markus drehte sich mit einem fragenden Blick zu ihr um.

„Ein tolles Haus“, raunte sie ihm zu, aber der Makler hatte bereits bemerkt, wie angetan Markus war. Das könnte den Verhandlungsspielraum eingrenzen. „Bitte halte dich mit deinem Enthusiasmus zurück.“

Markus begriff sofort.

„Tut mir leid, ich habe mich hinreißen lassen. Schließlich wollen wir den Preis ordentlich nach unten drücken.“

Sie nickte ihm lächelnd zu.

Nachdem sie die obere Etage besichtigt hatten, stiegen sie in den Keller hinunter. Die Steinwände schienen Jonna zu erdrücken und sie spürte plötzlich eine Art von Beklemmung, die ihr das Atmen erschwerte. Sie fasste sich an die Brust und rang nach Luft.

„Alles in Ordnung?“, fragte Markus besorgt.

„Ja, es liegt nur an der schlechten Luft hier unten“, beschwichtigte sie ihn.

„Bei der Besichtigung des Kellers musst du ja nicht dabei sein, du kannst draußen auf uns warten.“

Jonna nickte ihm dankbar zu, lief nach draußen und setzte sich auf die sonnengewärmten Stufen im Eingangsbereich. Schwalben schossen pfeilschnell über sie hinweg und ein frei laufender Hund hob sein Bein an der Gartenpforte. Fahrzeuge fuhren so gut wie keine vorbei und es herrschte eine friedliche Stille.

Alles in allem war es ein sehr schönes Haus in einer sehr schönen Gegend, aber irgendetwas in ihr sträubte sich noch immer. Den Grund dafür konnte sie nicht nennen, es war nur so ein diffuses Gefühl.

Der Makler und Markus erschienen hinter ihr in der Tür.

„Bereit für den Garten?“

Sie erhob sich und folgte den Männern zum hinteren Teil des Anwesens. Der Garten lag verwunschen vor ihr und trotz des Unkrauts konnte sie noch die Aufteilung der Beete erkennen. Dahinter erstreckte sich eine Wiese mit Obstbäumen.

„Perfekt, um Kinder großzuziehen. Nicht wahr?“, sagte der Makler.

„Da haben Sie recht“, pflichtete Markus ihm bei.

„Haben Sie sich bereits entschieden?“

Jonna tauschte mit Markus einen Blick und schüttelte unauffällig ihren Kopf.

„Wir möchten noch eine Nacht darüber schlafen“, antwortete er.

„Das kann ich gut verstehen, aber warten Sie nicht zu lange“, riet der Makler.

„Wir werden uns in Kürze bei Ihnen melden“, versprach Markus.

„Gibt es Informationen über die Vorbesitzer? Warum verkaufen sie das Haus?“, fragte Jonna und erntete von Markus einen verärgerten Blick.

„Nach dem Tod des Eigentümers ist dessen Frau in eine Pflegeeinrichtung gewechselt, und der Sohn hatte kein Interesse an diesem Objekt.“

„Vielen Dank für die Auskunft. Immerhin erklärt das den Zustand des Hauses“, sagte sie.

„Ja, es muss eine Menge daran gemacht werden“, stimmte der Makler ihr zu. „Aber das Haus ist ein Juwel, das aus dem Schlaf geweckt werden will“, erwiderte er. „Haben Sie noch weitere Fragen?“

Sie verneinten.

„Dann würde ich jetzt einen weiteren Termin wahrnehmen und mich von Ihnen verabschieden“, sagte den Makler.

Jonna und Markus warteten, bis er davongefahren war.

„Komm“, sagte Markus, umfasste ihr Handgelenk und zog sie mit sich.

„Wir können doch nicht so einfach …“, protestierte sie.

„Und ob wir das können“, erwiderte Markus lachend. „Das ist unser zukünftiges Heim, das lasse ich mir von niemandem streitig machen.“

Sie umrundeten das Haus und liefen den schmalen Pfad entlang, der zur Obstwiese führte. Margeriten und Lupinen blühten hier und das kniehohe Gras streifte ihre Beine.

„Ich glaube, ich habe dort hinten einen Erdkeller gesehen“, sagte Markus und lief voraus. Er war nicht zu bremsen, der Hauskauf schien für ihn beschlossene Sache und ein riesengroßes Abenteuer zu sein.

Die Tür zum Erdkeller war nicht gesichert und Markus öffnete sie.

„Schön groß, hier könnte man Partys feiern“, sagte er und Jonna musste lachen.

„Weil du der Partylöwe schlechthin bist.“

Markus liebte es, nach dem Feierabend gemütlich in seiner Jogginghose auf der Couch zu liegen. Die wilden Zeiten waren definitiv vorbei.

„Was nicht ist, kann ja noch werden“, antwortete er.

„Dann streng dich mal an.“

Jonna warf einen Blick zum Haus, das mit seinen dunklen Fensterhöhlen ein wenig unheimlich wirkte. Ob sie sich hier tatsächlich wohlfühlen könnte?

„Wie stehst du wirklich zu diesem Haus?“, fragte Markus unvermittelt.

„Ich bin irgendwie zwiegespalten. Haus und Grundstück sind toll, gar keine Frage, aber ich bin mir nicht sicher, ob wir die richtigen Besitzer sind“, antwortete sie.

„Ich kann deine Zweifel leider nicht nachvollziehen“, antwortete er.

„Wir sollten, wie abgesprochen, eine Nacht darüber schlafen. Und morgen legen wir die Karten auf den Tisch.“

„Wie du meinst“, erwiderte Markus enttäuscht, der mit einer positiven Antwort gerechnet hatte.

„Gib mir bitte die Zeit, um alles zu überdenken. Ich werde dich sicher nicht enttäuschen“, sagte sie.

„In Ordnung“, erwiderte er knapp und kehrte mit hängenden Schultern zum Wagen zurück.

Jonna ahnte, dass Markus ein Nein nicht akzeptieren würde. Dieses Haus hatte etwas an sich, das es ihr schwer machte, sich wohlzufühlen. Ob es am langen Leerstand lag oder weil es noch nicht renoviert worden war, konnte sie nicht sagen. Allein die Erinnerung an die Beklemmungen im Keller jagten ihr einen Schauer über den Rücken.

Sie warf einen letzten Blick zurück und folgte Markus, der bereits den Motor angelassen hatte.

KAPITELDREI

Gegenwart

Olof saß am Frühstückstisch und hatte sich hinter der Zeitung versteckt.

„Es wäre nett, zur Abwechslung auch einmal dein Gesicht zu sehen“, sagte Klara vorwurfsvoll.

„Entschuldige“, murmelte Olof abwesend, faltete die Zeitung zusammen und legte sie zur Seite.

„Jeden Morgen dasselbe Prozedere. Warum nur quälst du dich so?“

„Ich studiere doch nur die Todesanzeigen“, erwiderte er.

„Wem willst du das weismachen?“ Sie taxierte ihn.

„Es interessiert mich halt, was so in der Welt geschieht.“

„Ich hatte gehofft, dass du den Ruhestand auch wortwörtlich nehmen würdest. Aber da habe ich mich wohl getäuscht.“

„Wieso? Was stimmt denn nicht mit mir?“

„Das fragst du noch?“ Klara bedachte ihn mit einem missbilligenden Blick. „Du bist mit deinen Gedanken ständig woanders, hörst nie zu, wenn ich etwas sage und …“

„Ach Klara, Liebling“, unterbrach er sie und tätschelte mit einem verschmitzten Lächeln liebevoll ihren Handrücken. „Ist das nicht eher so ein Frauen-Männer-Ding, weil meine Spezies sowieso nie richtig zuhören kann?“

„Olof, du redest dich nur wieder heraus“, antwortete sie verärgert und entzog ihm ihre Hand. Doch er sah ihr an, dass sie es nicht ernst meinte.

Seit neununddreißig Jahren waren sie ein Paar, hatten eine Tochter und zwei Enkelkinder. Trotz seines anstrengenden Berufes als Kriminalkommissar hatte Klara stets zu ihm gehalten, die Entbehrungen klaglos in Kauf genommen und die gemeinsame Tochter beinahe allein großgezogen. Ihre Ehe war so weit harmonisch verlaufen und es hatte ihn nie in die Arme anderer Frauen getrieben.

Seine Obsession war die Verbrecherjagd gewesen und der Ruhestand hatte ihn quasi mittendrin ausgebremst. Olof war es so vorgekommen, als ob man ihm ein wichtiges Körperteil amputiert hätte, und bei diesem Gedanken schüttelte er sich. Er hatte gelitten wie ein Hund, nicht mehr zur Arbeit gehen zu können, und verzichtete nur Klara zuliebe auf eine Privatdetektei.

Jeden Morgen zuckte es ihm in den Fingern, das Böse dieser Welt auszumerzen, um das Gleichgewicht wiederherzustellen. Aber er musste sich nun einmal mit diesem vermaledeiten Ruhestand abfinden. Dabei war er noch rüstig, fuhr so gut wie jeden Morgen einige Kilometer mit seinem Rad und fühlte sich fitter als je zuvor. Auch sein Geist war hellwach und wollte noch immer mit Wissen gefüttert werden. Olof war schlichtweg unterfordert und selbst die zahlreichen Reisen, die er mit Klara bereits unternommen hatte, konnten diese innerliche Leere nicht füllen.

„Olof?“

Er zuckte zusammen.

„Tut mir leid, ich war mit meinen Gedanken wieder …“

„… woanders“, vervollständigte Klara seinen Satz. „Genau das meine ich, du bist nie richtig bei mir, wirklich nie.“

Er stieß einen tiefen Seufzer aus.

„Ich will ja, aber ich kann einfach nicht über meinen Schatten springen“, antwortete er mit Bedauern.

„Warum kannst du nach all den Jahren nicht loslassen? Ich sehe dir doch an, wie sehr dich das zermürbt.“

„Mein Team und ich hatten eine Aufklärungsquote von fast einhundert Prozent und dann versage ich so jämmerlich. Zwei jungen Frauen hat es das Leben gekostet.“

„Vielleicht würde es helfen, wenn du dir einen guten Therapeuten suchst, der dich von dieser Schuld befreit.“

Er schluckte schwer. Das war keine gute Richtung, in die Klara ihn da drängte. Ja, er hatte versagt und er würde keine Ruhe finden, bis er diesen Fehler wieder behoben hätte. Aber jetzt waren ihm die Hände gebunden, er konnte nicht zurück an seinen Schreibtisch und weiterermitteln. Die Schuld, versagt zu haben, lastete schwer auf seiner Brust und manchmal schreckte er nachts aus dem Schlaf und hatte das Gefühl, daran zu ersticken.

„Olof, was hältst du davon, wenn wir für eine Woche verreisen, um auf andere Gedanken zu kommen“, schlug Klara vor.

Er wusste, dass es das Beste wäre, allerdings nicht für ihn. In ihrer Gegenwart würde er sich ständig zusammenreißen müssen, damit seine Gedanken nicht um den ungelösten Fall kreisten. Aber das war es ihm wert, weil Klara stets zu ihm gehalten hatte, und er wollte sie glücklich sehen.

„Eine gute Idee“, antwortete er. „Und wie ich dich kenne, hast du sicher schon einen Plan, wo es hingehen soll?“

„Oh ja“, nickte sie. „Wir können schon heute die Koffer packen.“

„Also gut, worauf warten wir noch?“

KAPITELVIER

Maya fuhr mit dem Fahrrad auf dem kürzesten Weg zu ihren Freundinnen. Ausgerechnet heute war es besonders drückend und schwül und sie geriet arg ins Schwitzen, als sie in die Pedale trat. Die Schwalben flogen tief, was ein sicheres Zeichen dafür war, dass es noch gewittern würde. Maya hatte sich diesmal fest vorgenommen, nicht allzu lange zu bleiben und nur die wichtigsten Neuigkeiten auszutauschen. Lotta und Emma erwarteten sie bereits.

„Hej, hej, Pünktlichkeit ist nicht unbedingt deine Stärke“, witzelte Emma.

„Das musst du gerade sagen“, schoss Maya lachend zurück und lehnte das Fahrrad an den Baum.

„Na, alles klar bei euch?“, fragte sie. „Was gibt es Neues?“

„Malte hat Schluss gemacht“, seufzte Emma. „Er ist jetzt mit Lisa zusammen.“

„Du scheinst nicht gerade traurig darüber zu sein“, erwiderte Maya.

„Es hat sich nicht wie die große Liebe angefühlt. Außerdem hat er mich ständig bedrängt, du weißt schon …“

Maya nahm Emma tröstend in den Arm.

„Dass es die Kerle nicht abwarten können“, schimpfte Maya.

„Spricht nicht gerade für ihn“, legte Lotta nach.

„Na ja, was soll’s“, antwortete Emma schulterzuckend.

Die Freundinnen unterhielten sich noch eine Weile, bis in der Ferne der erste Donner grollte und die Mädchen besorgt zum Himmel schauten.

„Wir sollten los, bevor das Gewitter über uns hereinbricht“, sagte Maya.

„Schade, aber nicht zu ändern“, antwortete Lotta. „Dann treffen wir uns morgen wieder, gleicher Ort, gleiche Zeit.“

„Alles klar, bis morgen.“

Maya verabschiedete sich von ihren Freundinnen und trat den Rückweg an. Sie war enttäuscht, schon jetzt nach Hause fahren zu müssen, wollte aber auch nicht vom Regen überrascht werden. Der Wind frischte auf und zerzauste ihre langen blonden Haare. Das Gewitter zog rasch näher und sie erhöhte ihr Tempo. Der schmale Feldweg mit seinen vielen Schlaglöchern war nicht ganz ohne und sie musste höllisch aufpassen, um nicht zu stürzen.

Nur wenig später lösten sich die ersten schweren Tropfen vom Himmel und benetzten ihre Haut. Maya zählte die Sekunden zwischen den Abständen von Blitz und Donner und wusste, dass sie es nicht rechtzeitig nach Hause schaffen würde. Leise fluchend trat sie in die Pedale und zu allem Überfluss näherte sich auch noch ein Jeep, der die gesamte Fahrbahnbreite ausfüllte.

Und dann geschah das Unvermeidliche. Direkt vor ihr befand sich ein großes Schlagloch, aber sie konnte nicht ausweichen, weil der Jeep geradewegs auf sie zurollte. Der Hinterreifen ihres Fahrrads driftete zur Seite und Maya wurde zu Boden geschleudert. Sie schrie entsetzt auf, weil die Vorderräder des Geländewagens sie zu zermalmen drohten. Der Fahrer reagierte jedoch geistesgegenwärtig und wich auf das angrenzende Getreidefeld aus.

Zitternd lag Maya im Staub, während der kalte Regen auf sie niederprasselte. Ihre Knie waren blutig vom Sturz, ansonsten hatte sie glücklicherweise keine Blessuren davongetragen. Sie hörte das Klappen einer Autotür.

„Bist du verletzt?“, fragte der Fahrer und Maya schaute zu ihm auf.

„Nein, es geht schon“, erwiderte sie und warf ihm einen verstohlenen Blick zu.

---ENDE DER LESEPROBE---