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„Du hast einen Sohn!“ Emeralds Stimme bebt, als sie König Kostandin von Sofnantis dieses Geständnis macht. Sechs Jahre ist die heiße Liebesnacht her, die sie, eine unschuldige Garderobiere in dem exklusiven Club in London, mit ihm verbracht hat. Jede Beziehung ist undenkbar, hat er damals erklärt, weshalb Emerald ihm die süßen Folgen verschwieg. Nun nimmt sie ihren ganzen Mut zusammen – und wartet atemlos auf Kostandins Reaktion. Ist er wütend? Enttäuscht? Doch nichts hat die Single-Mum darauf vorbereitet, was er fordert: eine sofortige Scheinehe!
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Seitenzahl: 205
IMPRESSUM
JULIA erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg
© 2024 by Sharon Kendrick Originaltitel: „The King’s Hidden Heir“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: MODERN ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe 2024 in der Reihe JULIA, Band 2667 Übersetzung: Cordula Schaetzing
Abbildungen: Harlequin Books S. A., alle Rechte vorbehalten
Veröffentlicht im ePub Format in 09/2024 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783751524995
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. Jegliche nicht autorisierte Verwendung dieser Publikation zum Training generativer Technologien der künstlichen Intelligenz (KI) ist ausdrücklich verboten. Die Rechte des Autors und des Verlags bleiben davon unberührt. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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London
Im Schein der Morgensonne glänzte seine Haut wie pures Gold. Sein kräftiger Oberschenkel lag über ihrer Hüfte und hielt sie genau dort fest, wo sie sein wollte. Bei ihm. Neben ihm. Und – mehrmals in der letzten Nacht – unter ihm. Während Emerald die Nachbeben ihres Höhepunktes genoss, ließ sie den Blick über seinen muskulösen Körper wandern. Wie konnte ein Mann so stark und gleichzeitig so schön sein?
„Ich schlafe nicht“, sagte er mit deutlichem Akzent.
Sie errötete. Was sollte sie jetzt sagen? Nie zuvor hatte sie sich mit einem Mann eingelassen! Der körperliche Teil war nicht schwer gewesen, aber der emotionale Teil … Würde es schaden, eine unbestreitbare Tatsache auszusprechen? Sie seufzte. „Das war fantastisch!“
„Ja, das war es“, stimmte er zu.
Mit dem Finger fuhr sie sanft über seinen Arm. „Wirklich?“
„Wirklich.“ Er nahm sein Bein von ihrem Körper und löste sich von ihr. „Aber du hättest es mir sagen sollen.“
Erst wollte sie so tun, als wüsste sie nicht, was er meinte. Doch sein Tonfall war auf einmal so eisig, dass Emerald eines instinktiv wusste: Mit einem Mann wie ihm sollte man keine Spielchen spielen. Aber was wusste sie schon über einen Mann wie ihn? Er war ein königlicher Prinz. Ein attraktiver Milliardär, den jede Frau begehrte. Dennoch hatte er sie gewählt – Emerald. Sie konnte es immer noch nicht fassen.
Als sie ihn kennenlernte, hatte sie nichts von seinem Titel gewusst. Es wäre ihr auch egal gewesen. An der Garderobe des Gentlemen’s Clubs, in dem sie ab und zu aushalf, um ihr mageres Einkommen aufzubessern, hatte er ihr seinen eleganten Kaschmirmantel gereicht. Als sie ihm dann die Garderobenkarte gab und dabei in seine funkelnden saphirblauen Augen sah, hatte sie prompt ihr Herz verloren. Natürlich hatte sie sich nichts anmerken lassen. So dumm war sie nun auch wieder nicht.
„Dass ich noch Jungfrau gewesen bin, meinst du?“, fragte sie vorsichtig.
„Auf deine nicht funktionierende Bankkarte habe ich ganz gewiss nicht angespielt“, bemerkte der Prinz trocken.
Wollte er damit betonen, wie unterschiedlich ihre Lebensumstände waren? Als ob das nötig wäre! Außerdem hatte er bereits erklärt, dass aus dieser Nacht keine Beziehung entstehen würde, und sie hatte gesagt, das sei ihr egal. Sie hatte sich sogar eingeredet, dass sie es ernst meinte.
So ein Zauber geschah nicht jeden Tag. Und wenn, dann musste man die Chance ergreifen. Genau das hatte Emerald getan und die wunderbarste Nacht ihres Lebens erlebt. Nun musste sie sich vernünftig verhalten und so tun, als wolle sie ihn nicht wiedersehen …
Northumberland, sechs Jahre später
Der bloße Anblick seines Gesichts auf dem Computerbildschirm erfüllte Emeralds Herz mit einem Schmerz, den sie nicht erwartet hatte – nicht nach sechs Jahren. Unerwünschte Bilder tauchten vor ihrem geistigen Auge auf, als sie seine unverkennbaren Merkmale musterte. Bronzene Haut, rabenschwarzes Haar und saphirblaue Augen – ein Erbe der Griechen, die sein Land vor einem halben Jahrtausend besetzt hatten. Die sinnlichen Lippen verdankte er jedoch eher den Italienern, die wenige Jahrzehnte später in das Land eingefallen waren.
Emerald fühlte sich, als hätte ihr jemand in den Magen geboxt. In dem Moment kam ihre Schwester in die kleine Küche des Hauses gestürmt, in dem sie beide wohnten.
„Hast du die Nachrichten gesehen?“, wollte Ruby wissen.
Emerald seufzte. Vor ihr stand eine Tasse kalter Tee, auf dem Teller daneben lag eine unberührte Scheibe Toast. Das allein hätte als Antwort genügen sollen, denn normalerweise genoss sie ihr Frühstück. Sie sah ihre Zwillingsschwester an und sagte leise: „Natürlich habe ich die Nachrichten gesehen. Das Internet ist voll davon. Ich sage mir immer wieder, ich sollte den Computer ausschalten, aber ich schaffe es einfach nicht.“
„Das verstehe ich. Aber die Frage ist, was willst du jetzt tun?“
Emerald schluckte und musterte erneut Kostandins Gesicht. Würde sie gegen seine faszinierenden Züge jemals immun sein?
„Hast du mich gehört, Emerald?“, drängelte Ruby. „Was willst du jetzt tun?“
Muss ich etwas tun? Kann ich nicht einfach so tun, als wäre nichts geschehen? Schließlich hatte Kostandin ihr beim Abschied damals in London klipp und klar gesagt, dass er sie nicht wiedersehen wollte. Er war nicht unfreundlich gewesen, aber sehr deutlich.
„Verschwende keine Sekunde damit, an mich zu denken, Emerald. Ich bin nicht an einer Beziehung interessiert. Verstanden?“
Natürlich hatte sie verstanden. Er war ein königlicher Prinz und sie eine bescheidene Garderobiere – kaum eine passende Verbindung. Er hatte nur einen One-Night-Stand gewollt, und Emerald hatte sich gesagt, sie sollte ihm für seine Ehrlichkeit dankbar sein. Das war naiv gewesen. Denn wenige Tage nach ihrer leidenschaftlichen gemeinsamen Nacht starb Kostandins älterer Bruder durch einen Jagdunfall, und aus Prinz Kostandin wurde König Kostandin von Sofnantis. Und was dann geschah, hatte Emeralds zaghafte Pläne zunichtegemacht. Obwohl ihr attraktiver königlicher Liebhaber gesagt hatte, er wolle niemals heiraten, ehelichte er – völlig übereilt – die Verlobte seines toten Bruders. Angeblich waren die beiden sehr glücklich. Zumindest hatten alle das geglaubt – angesichts der in regelmäßigen Abständen veröffentlichten Fotos des Paares, bei deren Anblick Emerald jedes Mal zusammenzuckte. Doch sie hatten sich alle geirrt. Denn am heutigen Tag wurde vermeldet, dass der König und die Königin von Sofnantis sich in aller Stille einvernehmlich hatten scheiden lassen. Das Paar hätte darum gebeten, seine Privatsphäre zu respektieren. Weitere Stellungnahmen werde es nicht geben.
Emerald hätte diese Nachricht gerne in Ruhe verarbeitet, um gründlich überlegen zu können, welche Auswirkungen dies auf ihre eigene Zukunft haben könnte. Doch Kostandin befand sich auf einem offiziellen Besuch in London und war somit verlockend nahe. Bot ihr das Schicksal damit nicht die wunderbare Gelegenheit, das zu tun, was sie schon vor vielen Jahren hatte tun wollen? Wozu ihr Gewissen sie drängte, obwohl sie sich davor fürchtete?
Rubys Stimme unterbrach ihre Gedanken. „Ich an deiner Stelle würde ihm aus dem Weg gehen. Er wird dich nicht sehen wollen!“
„Nein, er wird mich sicher nicht sehen wollen. Aber hier geht es nicht um meine Gefühle.“ Emerald befeuchtete sich die Lippen. „Sondern darum, dass er einen Sohn hat. Einen Sohn, von dem er nichts weiß. Ich denke, er hat das Recht, es zu wissen.“
„Und was ist mit deinen Rechten? Zählen deine Bedürfnisse nicht?“, fragte Ruby. „Er ist ein König! Einer der mächtigsten Männer der Welt. Er hat bereits bewiesen, wie herzlos er sein kann, indem er nur wenige Wochen, nachdem er mit dir geschlafen hat, eine andere geheiratet hat. Wenn du dort auftauchst mit seinem Sohn und Erben …“ Sie zögerte. „Besteht dann nicht die Gefahr, dass er dir Alek wegnimmt?“
„Das geht heute nicht mehr“, widersprach Emerald überzeugt, spürte aber Angst in sich aufsteigen. „Auch mächtige Männer können Frauen heutzutage nicht einfach ihre Kinder wegnehmen.“
„Vergisst du nicht etwas, Emmy? Er ist einer der reichsten Männer der Welt. Aber was ist das Einzige, das er nicht hat? Das Einzige, das man mit Geld nicht kaufen kann, für einen König aber äußerst wichtig ist. Er hat keinen Sohn und Erben! Denkst du nicht, er wird nur einen Blick auf Alek werfen – der, wie wir beide wissen, der süßeste und schlauste Junge der Welt ist – und entscheiden, dass er ihn um jeden Preis haben will?“
„Bist du nicht etwas voreilig?“, fragte Emerald verärgert. „Ich muss Alek ja nicht mitnehmen. Ich will Kostandin erst allein treffen und überlegen, wie ich es ihm am besten sage. Sollte er sich als psychisch ungefestigter Kontrollfreak entpuppen, verschwinde ich natürlich, ohne ihm etwas zu sagen.“
„Ich nehme an, du hättest gar nicht erst mit ihm geschlafen, wenn du ihn für psychisch ungefestigt gehalten hättest, oder?“
Was würde Ruby wohl denken, wenn sie wüsste, dass Emerald ihn kaum gekannt hatte, als sie jene unvergessliche Nacht in seinen Armen verbrachte. Sie hatte in Bezug auf ihre kurze Affäre mit dem überaus attraktiven Prinzen zwar nicht gelogen, war aber auch nicht ganz offen gewesen. Vielleicht weil sie sich insgeheim schämte, von einem Mann schwanger geworden zu sein, mit dem sie zuvor nur ein paarmal in ihrer Funktion als Garderobiere gesprochen hatte, wenn er den exklusiven Club in London betrat. Bis zu dem Abend, als er sie zum Dinner eingeladen, der Himmel plötzlich voller Sterne gehangen und sie ihr Herz verloren hatte. Sicher war sie nicht die erste Frau, der ein umwerfender Mann den Kopf verdreht hatte. Auch nicht die Erste, die dabei überraschend schwanger geworden war. Und sie würde auch nicht die Letzte sein. Doch obwohl sie die Vorbehalte ihrer Schwester teilte, musste sie es Kostandin sagen. War sie das nicht auch Alek schuldig?
Allerdings dürfte es schwierig werden, ihm nahe zu kommen. Als König konnte er sich nicht mehr so frei bewegen wie damals. Sie scrollte weiter, bis sie eine Liste seiner offiziellen Termine in Großbritannien fand. Ein Staatsbankett im Buckingham-Palast an diesem Abend. Eine Parade der Kadetten der Militärakademie von Sofnantis morgen. Bei beiden Anlässen wären die Sicherheitsvorkehrungen sehr streng. Emerald las weiter und entdeckte etwas Interessantes:
Der König wird im Colonnade Club in London, in dem er immer noch Mitglied ist, eine private Party veranstalten. Der Vorsitzende des Clubs sagte, er fühle sich geehrt, dass der Monarch seinen alten Club besuchen wolle.
Schnell klappte Emerald den Laptop zu und ging damit nach oben, um dem wachsamen Blick ihrer Schwester zu entkommen.
Das bescheidene Cottage, in dem sie mit ihrer Schwester und ihrem Sohn lebte, hatte laut Beschreibung drei Schlafzimmer. Alek hatte das größte und Ruby das zweitgrößte. Emeralds Zimmer glich eher einem Abstellraum. Aber das machte ihr nichts aus. Schließlich war sie es gewesen, die mit der ungeplanten Schwangerschaft ihr eigenes und das Leben ihrer Schwester durcheinandergewirbelt hatte. Außerdem brauchte sie die Hilfe ihrer Schwester, auch wenn es wesentlich leichter war, seit Alek in die Schule ging. Sie schloss die Augen und sah ihren geliebten Sohn mit seinen pechschwarzen Haaren vor sich, wie er eifrig die Nase in die Bücher steckte. Doch ihr mütterlicher Stolz wurde von einer dunklen Vorahnung vertrieben. Aleks Leben könnte sich komplett ändern.
Sie nahm ihr Handy und suchte in ihren Kontakten, von denen sie einige seit Jahren nicht mehr benutzt hatte. Bei der dritten Nummer hatte sie Glück.
„Emmy? Bist du das?“, fragte eine weibliche Stimme zweifelnd.
„Ja. Wie geht es dir, Daisy?“
„Gut. Aber was ist mit dir passiert? Du warst plötzlich spurlos verschwunden.“
Emeralds Puls raste. Derartige Fragen wollte sie nicht beantworten. Niemand hatte gewusst, dass sie schwanger war, als sie London verließ. Und so sollte es auch bleiben – zumindest noch eine Weile. „Ich bin nur aus London weggezogen. Für meine Schwester und mich war es günstiger, unser Catering-Geschäft in Northumberland aufzubauen“, erwiderte sie wahrheitsgemäß und fügte nach kurzem Zögern hinzu: „Arbeitest du zufällig noch im Colonnade Club?“
„Allerdings. Ich bin sogar befördert worden. Ich bin jetzt für die Personalplanung verantwortlich.“
„Ernsthaft?“
„Ja. Wir haben dich vermisst, Emmy. Die Gäste haben dich geliebt.“
Einer ganz besonders, dachte Emerald. Obwohl für ihn Liebe wohl eher ein Synonym für Sex war. Oder war das unfair von ihr? Kostandin hatte mit ihr geflirtet, und sie hatte mitgemacht. Sie beide hatten Grenzen überschritten, bevor sie miteinander im Bett gelandet waren. Sie räusperte sich. „Ich bin nächste Woche in London und würde dich wahnsinnig gern sehen. Aber ich bin etwas knapp bei Kasse. Wäre es möglich, dass ich eine Schicht im Club übernehme?“
„Vielleicht.“ Daisy zögerte kurz. „Erinnerst du dich an den gut aussehenden Prinzen, der hier Mitglied war, bevor er König wurde?“
Schon sah Emerald seinen muskulösen Körper vor ihrem geistigen Auge und spürte seinen Oberschenkel auf ihrer Hüfte. Sie schluckte. „Vage.“
„Er gibt hier eine große Party. Eine Reise in die Vergangenheit, nehme ich an. Da könnten wir ein extra Paar Hände gut gebrauchen. Jemanden, dem wir vertrauen können. Ich kann nicht in letzter Minute eine Kraft über eine Agentur buchen – nicht, wenn wir es mit einem echten König zu tun haben.“
Emerald spürte einen Kloß im Hals. Diese Chance war zu gut, um wahr zu sein. „Danke, Daisy“, sagte sie rau. „Ich weiß das sehr zu schätzen.“
„Gerne. Komm am Samstagnachmittag gegen fünf Uhr in den Club. Ich besorge dir eine Uniform.“
Kostandin ließ den Blick über die vielen Gäste schweifen, die sich im Ballsaal seines alten Clubs drängten. Alle versuchten, seine Aufmerksamkeit zu erregen. War es ein Fehler, hierher zurückzukehren? fragte er sich grimmig. Hatte er insgeheim gehofft, er könne wieder der Mann sein, der er einmal gewesen war. Hier in London hatte er eine verlockende Freiheit genossen, bis ihn die royalen Pflichten und Zwänge eingeholt hatten.
Er dachte an sein Leben damals, das ihm nun wie ein Traum erschien. An die wunderbaren Tage, als er sich größtenteils unerkannt in der Stadt hatte bewegen können. Auf seinen Titel hatte er nie viel Wert gelegt. Warum auch? Schließlich hatte er nie König werden sollen. Die Entwicklung von Induktionsmotoren hatte ihn zu einem der reichsten Männer der Welt gemacht. Sein Unternehmen florierte. Wenn man ihn fragte, warum er so hart arbeitete, obwohl er doch ein viel leichteres Leben führen könnte, zuckte er nur mit den Schultern und ließ die Leute rätseln.
Kostandin hatte mit ansehen müssen, wie sein Vater durch seine emotionale Schwäche zerstört und sein Bruder durch Gier und Exzesse korrumpiert wurden. Genau deshalb hatte er seinen eigenen Weg gehen wollen, statt vom angeblichen Reichtum seiner königlichen Heimat zu profitieren. Er hatte nie so werden wollen wie sein Vater und sein Bruder, und das hatte er geschafft. Doch dann hatte das grausame Schicksal ihn gezwungen, die königlichen Pflichten zu übernehmen.
Er betrachtete die Marmorsäulen, denen der berühmte historische Club seinen Namen verdankte. Der Club bot eine diskrete Basis für wohlhabende und gut vernetzte Menschen. Für Kostandin war es der Ort, wo man sich auf neutralem Terrain treffen konnte, ohne viel Aufhebens. Hier war er ihr begegnet – der Frau, die seinen Geist und seinen Körper derart gefesselt hatte, dass er ein für ihn völlig uncharakteristisches Verhalten an den Tag gelegt hatte. Vor Emerald hatte er sich stets nur mit Frauen aus einer vergleichbaren Gesellschaftsschicht eingelassen. Doch die sexy Garderobiere hatte sein streng geordnetes Leben durcheinandergewirbelt und ihm die sinnlichste Nacht seines Lebens beschert. Die freche kleine Blondine, die – wie sich herausstellte – noch Jungfrau gewesen war.
Eine Jungfrau! Unglaublich!
Sein Körper reagierte, als er an ihre gemeinsame Nacht dachte. Sie hatte ihm ihren köstlichen Körper mit einer Inbrunst geschenkt, wie er sie nie zuvor erlebt hatte. Und als er ihr seine Grenzen darlegte, hatte sie diese akzeptiert. Dass er ihr die Unschuld geraubt hatte, hatte ihn eine Weile verfolgt. Aber sicher waren seine vorübergehenden Gewissensbisse nur eine Entschuldigung für sein uncharakteristisches Verhalten gewesen. Doch die Erinnerungen an die kurvige kleine Blondine ließen ihn nicht los. Insgeheim träumte er von einer weiteren heißen Nacht ohne Verpflichtungen mit ihr. Hatte er nicht allein deshalb diesen Ort für seine Party gewählt?
„Eure Majestät, da drüben sind Miles Buchanan und seine Frau.“ Sein Privatsekretär war den ganzen Abend nicht von seiner Seite gewichen. „Die beiden haben eine großzügige Summe an Ihre Stiftung gespendet und würden Sie gern kennenlernen.“
„Na gut. Holen Sie die beiden her“, meinte Kostandin etwas gelangweilt.
„Sofort, Eure Majestät.“
Kostandin beobachtete, wie der Diplomat davoneilte. Er war so in Gedanken versunken, dass er die Stimme hinter ihm nicht wahrnahm. Erst als die Frau sich hörbar räusperte, zuckte er zusammen und setzte eine abweisende Miene auf. Seit seine Scheidung publik gemacht worden war, witterten Frauen auf der Jagd nach einem königlichen Gemahl ihre Chance. Er drehte sich um – bereit, die Person zurechtzuweisen, die das Protokoll missachtet und ihn zuerst angesprochen hatte. Doch als er in ein herzförmiges Gesicht mit großen grünen Augen schaute, vergaß er, was er hatte sagen wollen.
Spielte sein Verstand ihm einen Streich? Hatte er mit seinen erotischen Erinnerungen einen Geist heraufbeschworen? Die Frau hatte ihr Haar zu einem eleganten Knoten auf dem Kopf gebunden. Der Farbton war ihm allzu gut bekannt. Wie ein Kornfeld im Sonnenschein. Er erinnerte sich, wie er mit den Fingern durch ihre seidenweichen Haare gefahren war, ihr Gesicht zu sich herangezogen hatte, um sie zu …
„Du?“, fragte er verblüfft. Normalerweise wählte er seine Worte sorgfältig, denn die Ausdrucksweise eines Königs wurde genau beobachtet.
„Guten Abend, Eure Majestät.“
Sie hielt ihm ein Tablett entgegen, doch seine Aufmerksamkeit galt der frischen weißen Bluse und dem schmalen schwarzen Rock, in dem ihre zierliche Figur steckte. Die schlichte Uniform konnte weder die Wölbung ihrer Brüste verbergen noch die natürliche Weiblichkeit, die sie ausstrahlte. Wehmütig erinnerte er sich, wie er die Hände auf ihre Hüften gelegt hatte und in sie eingedrungen war. Sein Herz hämmerte, als ihn ein quälendes Verlangen ergriff.
„Emerald“, stieß er hervor.
„Wow!“ Sie wirkte erleichtert. „Du erinnerst dich an meinen Namen.“
„Das war nicht schwer“, sagte er kühl und versuchte, das Verlangen, das in seinem Unterleib wütete, zu beruhigen. „Du trägst ein Namensschild.“
„Stimmt.“ Sie errötete, als er den Blick von ihrem Revers auf ihr Gesicht richtete.
„Es ist ein sehr ungewöhnlicher Name“, bemerkte er leise.
„Genau wie Kostandin“, erwiderte sie ebenso leise.
Es war eindeutig gegen das Protokoll, ihn in der Öffentlichkeit beim Vornamen zu nennen. Doch er wusste nur zu gut, warum Emerald glaubte, sie hätte das Recht dazu. Als sich ihre Blicke trafen und sie noch mehr errötete, erkannte Kostandin, dass er sie wegschicken sollte – so freundlich wie möglich. Er war nicht mehr der Mann, der mit ihr geflirtet hatte, wann immer er sie in der Garderobe entdeckte. Und er war eindeutig nicht derselbe Mann, der ihr mit den Zähnen das Höschen ausgezogen und sie zum Kichern gebracht hatte. Vielleicht sollte er sie daran erinnern, dass die Dinge jetzt anders lagen, da er König war. Vielleicht sollte ich mich selbst daran erinnern.
Er hatte sich oft gefragt, ob sein fast primitives Verlangen nach ihr inzwischen abgeklungen war. Doch das war eindeutig nicht der Fall. Es ist nicht angemessen, dich mit Frauen wie ihr einzulassen, rief er sich streng zurecht. Aber plötzlich lösten sich seine Vorbehalte in Luft auf. Viel zu lange hatte er sich versagt, was andere Männer für selbstverständlich hielten. Warum sollte er sich nicht mit ihr unterhalten?
„Es überrascht mich, dass du noch hier bist“, bemerkte er. „Wolltest du London nicht verlassen?“
„Stimmt.“ Erstaunt sah sie ihn an. „Dass du dich daran noch erinnerst!“
„Du wärst überrascht, an was ich mich alles erinnere, Emerald“, gestand er ihr leise. „Und du? Erinnerst du dich?“
Er sah, wie ihre Pupillen sich weiteten und sie leicht die Lippen öffnete, was ihn an all die Dinge denken ließ, die er so gern vergessen hätte. Wie sich ihre Haut anfühlte. Wie sie ihn mit der Zunge gereizt hatte, bis er sich in ihren Mund ergossen hatte. Das unbeschreibliche Gefühl, als er tief in ihr drinnen gewesen war und sie auf dem Höhepunkt seinen Namen geschrien hatte. Mit ihr war der Sex so anders gewesen, so besonders. Warum? Das hatte er nie herausgefunden.
„Ich bin sicher, mein Erinnerungsvermögen ist ebenso gut wie deines. Hätte ich die Chance, könnte ich es beweisen“, antwortete sie.
„Tatsächlich?“, fragte er herausfordernd.
Emeralds Augen funkelten, und Kostandin suchte nach Ausreden für das, was er tun wollte. Soll ich mein ganzes Leben als Diener des Schicksals verbringen? Sicher nicht. Er starrte auf die hellblonde Strähne, die sich aus ihrer Frisur gelöst hatte und über ihre Wange fiel. Emerald Baker hatte bewiesen, dass sie so diskret war, wie er es sich von einer Frau nur wünschen konnte. Es gab unzählige Zeitschriften, die begierig über jeden Fehltritt eines Royals berichteten. Doch ihre leidenschaftliche Nacht war nie aufgedeckt worden. Angesichts seiner Heirat kurz darauf wäre das besonders unangenehm gewesen.
Wäre sie bereit, diese Nacht zu wiederholen? Keine Versprechungen. Keine gebrochenen Herzen. Zwei Erwachsene, die wussten, was sie wollten. Aus dem Augenwinkel sah er, wie Lorenc sich seinen Weg zu ihm bahnte, und wusste, dass er schnell handeln musste. „Emerald …“
„Möchten Sie einen Drink, Eure Majestät?“ Höflich hielt sie ihm das Tablett entgegen, als hätte sie sich plötzlich erinnert, warum sie hier war.
„Nicht jetzt.“ Er schüttelte den Kopf. Mit einem kaum wahrnehmbaren Fingerzeig deutete er seinem Sekretär an, nicht näher zu kommen. „Und sicher nicht hier. Ich hatte vergessen, wie schlecht der Wein hier manchmal ist.“
„Der Sommelier wäre beschämt, das zu hören.“
„Aber wir könnten uns danach treffen“, fuhr er ungeduldig fort. „Würde dir das gefallen oder hast du andere Pläne?“
Er sah die Freude in ihren außergewöhnlichen Augen, die jedoch von etwas überschattet wurde. Kostandin runzelte die Stirn, doch ihre vollen Lippen ließen ihn dieses momentane Gefühl der Beunruhigung vergessen.
„Nein. Ich würde mich sehr freuen“, antwortete sie. „Denn …“
Mit einer ungeduldigen Handbewegung brachte er sie zum Schweigen. „Ich muss mit ein paar Leuten reden. Wann ist dein Dienst beendet?“
„Um elf Uhr.“
„Mein Wagen wird hinter dem Gebäude auf dich warten. Halten wir es so unauffällig wie möglich.“ Seine Stimme klang seidenweich. „Wir wollen doch nicht, dass jemand etwas ausposaunt, oder?“
„Natürlich nicht“, entgegnete sie fröhlich. Doch als sie sich abwandte, bemerkte er, dass die Gläser auf dem Tablett leicht bebten, als würden ihre Hände zittern.
Emeralds Puls raste, als sie den Club über den Mitarbeitereingang auf der Rückseite des Gebäudes verließ und die glänzende dunkle Limousine entdeckte, hinter der ein weiterer Wagen wartete. Wahrscheinlich die Leibwächter. Beim Umziehen hatte sie mit sich gerungen. Hätte sie diesem Treffen spät in der Nacht wirklich zustimmen oder darauf bestehen sollen, Kostandin bei Tageslicht zu sehen? Doch das hätte er bestimmt abgelehnt. Es wäre anmaßend zu erwarten, dass ein so wichtiger Mann am Tag Zeit für sie hätte. Und was hätte sie vorgeschlagen, wenn er doch zugestimmt hätte? Hätte sie ihn irgendwo in einem Café oder einem Pub treffen sollen? Das hätten seine Leibwächter nie zugelassen.
Besser, sie brachte es hinter sich. Sie durfte sich nur nicht ablenken lassen und auf keinen Fall mit ihm flirten. Ruhig und besonnen musste sie sein. Doch ihr Mund war staubtrocken, als sie etwas unsicher in den hochhackigen Schuhen ihrer Schwester zum Wagen ging. „Du kannst doch nicht in Turnschuhen nach London fahren, um den König zu treffen“, hatte Ruby entsetzt gesagt und Emerald damit noch nervöser gemacht. „Besser, du borgst dir auch eines meiner Kleider.“ Aber da hatte Emerald sich strikt geweigert. Ruby war viel modebewusster als sie. Als berufstätige Mutter kleidete Emerald sich normalerweise bequem und flocht ihr langes Haar zu einem Zopf. An diesem Abend trug sie es jedoch offen, wie Ruby ihr geraten hatte. „Du hast wunderschönes Haar. Nutze das“, hatte sie gesagt. Doch nun blies der für diese Jahreszeit ungewöhnlich kalte Wind ihr das Haar ins Gesicht. Und in ihrem besten Pullover und Rock sah sie aus, als wäre sie auf dem Weg zu einem Bewerbungsgespräch.
Trotz ihrer Vorbehalte war der Abend besser verlaufen als erwartet. Kostandin selbst hatte vorgeschlagen, sich später noch zu treffen. Emerald hatte keine Andeutungen machen oder betteln müssen. Er hatte sie weder abgewiesen noch ignoriert. Ihre größte Sorge war gewesen, dass er sich vielleicht nicht an sie erinnerte, doch zu ihrer großen Erleichterung hatte er sie erkannt. Trotzdem hatte sie immer noch Angst. Davor, wie er reagieren würde, und davor, welche Gefühle er in ihr auslöste. Auch jetzt noch. Wie konnte ein Körper, der sechs Jahre lang vernachlässigt worden war, plötzlich so heftig zum Leben erwachen?