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"Nun sind wir frei, Hölther, frei, frei, frei....", jubelt Susette Gontard in der titelgebenden Erzählung. Wir lesen von einem anderen Hölderlin, befreiend und erschütternd zugleich. Alle anderen Geschichten spielen in der unmittellbaren Gegenwart. Diese Geschichten reflektieren unseren Lebensalltag, es sind befremdende, manchmal unheimliche Erzählungen, manchmal aber auch sehr zärtliche Geschichten.
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Seitenzahl: 48
Auferstehung
Im Nachtdienst
September
Die Farbe der Sonne
Am Abend
Hölderlins Hochzeit
Elisabeth aus Magdala
Vortrupp im Herbst
Danu
Alban Arthan
Sein und Nichtsein
Die Regenbogeninsel
Eine Botschaft für den König
Leonardos Nichte
Auch eine Weihnachtsgeschichte
Colmar
Vom Tod des alten Mannes
Nachtbild
Salzburg-Blues
Panzerwelsch
Großstadtmorgen
Fröhliche Weihnacht
München, den 29.Februar
Onkologiefrühstück
Citadelle 2048
„Was kümmert mich der Schiffbruch der Welt, ich weiß von nichts, als meiner seligen Insel.“
Friedrich Hölderlin
Jonas war aufgewacht. Im Krankenzimmer glimmt nur das Nachtlicht. Er hatte Schmerzen und sein Kopf war kahl. Die Mutter lag im Nachbarbett, sie seufzte im Schlaf.
Alles war ruhig um diese Zeit. Fern auf dem Korridor hörte er das Summen der Nachtglocken. Er war in der dritten Remission.
„Morgen kannst Du nach Hause gehen“, hatte der Arzt gesagt, „ab und zu wird Deine Leber noch spucken.“
Jonas lächelte. Bald war er wieder frei von den Schläuchen, von der Eiskrawatte, von dem Gestank eitriger Tupfer.
Es klopfte plötzlich ganz rhythmisch. Jonas hörte tief in sich hinein. Dann war alles wieder still.
Im Stationszimmer flackerte die Alarmlampe, die Schwester stürzte ins Zimmer, sie drückte den Ambu-Beutel auf seinen Mund und rief über Piepser den Diensthabenden.
Die Schreie aus der Dritten waren hineingedrungen in seinen bleiernen Schlaf am Morgen. Dann schrie der Piepser. Langsam kam er in sich, die Geräusche wurden leiser, wirklicher, und er zog die Hose und die Schuhe an und rannte, jetzt endlich ganz wach, hinüber auf Station.
„Peter hat sich die Miller-Abbott-Sonde gezogen, es blutet ein wenig, warum er schreit, weiß ich nicht“, rief Christine, die Nachtschwester.
Peter war der frisch operierte Junge mit dem metastasierenden Hoden.
Die Schreie wurden zu Klagen,, verwandelten sich in Schluchzen und stilles Jammern, als ob sich eine Hand auf Peters Mund legte.
„Was ist, Peter?“, fragte der Doktor.
In der Nachbareinheit stöhnte der alte Schreiber. Der Doktor strich im übers Gesicht.
Pater starrte mit seinen großen Augen an die Weißgekachelte Decke: „Sie rufen mich, Doktor, ich soll endlich kommen, dort der goldene Engel, er winkt, sein Gesicht strahlt, Doktor, ich habe Angst, er ist so schön...“
Peter war bewusstlos geworden. Der Doktor schaute auf den Monitor, er tippte ein Hilfsprogramm ein und verfluchte leise die zynische Gefühllosigkeit der Programmierer: TILT, las er auf dem Monitor, GIVE ANOTHER COMMAND, und wie zum Trotz schreib er das Wort ENGEL ins Bild.
UNDEFINED CODE, war die Antwort. Es schien ihm, dass die Maschine ein wenig länger brauchte als sonst.
Christine kam ganz leise hinter ihn: „Soll ich seinen Vater rufen?“
Der Doktor schüttelte den Kopf: „Ruf die Pfleger und das Not-Op-Team, die Engel sollen warten“. Da schaute ihn die Schwester lange fragend an.
Kalt sind die Nächte geworden, tags brennt noch die heiße Mittagssonne auf die Felsen und Bergwiesen. Durch den Hochwald aufwärts ins Land, wo keine Bäume mehr sind, es blühen Enzian und Butterblumen und das grün-graue Gras. Weiter durch die Steine ins Sperrgebiet, wo nur noch die Bergziegen den schmalen Grat entlang wandern. Dort steigst auch Du hinauf ins Schneereich, immer den Abgrund unter dir und den Himmel im Blick. Wunderlich ist das Wandern am Berg, es gleicht dem wirklichen Leben und ist doch so fern von ihm, aber Abgrund ist überall, nur sieht er einfach anders aus; in den Städten ist es das Gemenge der Häuser und Straßen oder in der Unterstadt, wo die Siedlungshäuser zerfallen und die Sanierer fettes Geld machen, überall ist Abgrund. Nachts kreischen die Betrunkenen laute Lieder, und die Möwen am Fluss sind erschrocken.
Auf und ab, über den nächsten Grat, ferne jammern die jungen Bergziegen, wenn die Mutter sie allein lässt. Die dicken Herbstwolken bringe Regen, doch dahinter soll Sonne sein. Es mag sein, doch du (ver)zweifelst darüber. Denn schnell kommen Herbstnacht und Dunkelheit ins Herz. Nicht einmal in der Nähe des Himmels entkommst du ihr.
In der Sonne glänzte dein Haar, so als ob der Gott mit der Sichel das Weizenfeld schnitt, und auch dieses trägt die Farbe deines Haares.
Wenn die Sonne sich dann am Ende der Welt verbirgt, jenseits des Abgrunds, wird dein Haar schwarz wie die fernen Wälder an der Nachthimmelgrenze, schwarz werden deine Augen und ihre Fragen, schwarz werden deine Hände und dein Mund.
Ich trinke von der Schwärze der Nacht.
Da tritt der Mond auf. Ein kaltes Licht strömt in uns über. Der Dunkelgott verzaubert unsere Herzen. Wir versinken im Wiesengrund, dringen ein in die Erde, werden Gnom und Gnomin und sehnen uns doch nach der goldenen Sichel überm Weizenfeld.
Der Wind schweigt. Bäume atmen kristallklar. Ganz am Ende des Weltblicks sanfte Wolken. Du gehst den Rosengarten hinunter, Stufe um Stufe wägst Du ab, als gingest Du aufwärts. An der verfallenen Mauer wartest Du, einen Augenblick nur: Sanfte Kühle streicht um Dein Haar. Droben am Hügel, wo die dunkle Burg in die Erde floss, tritt ein Nebel auf und senkt sich hinein in das enge Tal, hier ringt sich der Fluss durch schmale Wiesen und harten Fels. Aus dem fernen Dorf dröhnt ein Hammer oder ein Nirgendglockenschlag. Da tritt der Drache auf und zerreißt die Andacht und die Hoffnung und die Rosen am Hang, Sand kriecht in unsere Augen und Münder und zermahlt schließlich unentrinnbar unsere Herzen und Hände.
Im Juli 1798 ziehen die französischen Heere Napoleons gen Osten und treffen hochbewaffnet bald vor der freien Reichsstadt Frankfurt am Main ein.
Die Familie Gontard flieht vorsorglich mit ihren Kindern, den Hauslehrern und dem Gesinde nach Kassel und schließlich nach Bad Driburg.