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In der Hölle ist der Teufel los. Das dürfen Sie ruhig wörtlich nehmen. Mein Chef legt sich da nämlich keine Hemmungen auf. Ich bin Samtara, die rechte und die linke Hand des Teufels. Ich begleite Geister nach dem Spuken an ihre endgültigen Strafen, ich sorge für bürokratischen Hindernislauf in Himmel, Erde und Hölle, und ich streite mich mit Engeln, die tatsächlich glauben, wir wären ein Discounter für verdammte Seelen, die vielleicht Gnade verdienen. Aber nicht mit mir, Herrschaften, nein! Kommen Sie, begleiten Sie mich ein Stück, Sie werden feststellen, wie interessant dieser Ort ist. Machen wir eine kleine Werbetour, schließlich brauchen wir hier unten stets Nachschub.
Der Umfang dieses Ebook entspricht 191 Taschenbuchseiten.
Das Ebook beinhaltet folgenden Kurzgeschichten:
1. Geister leben intensiver
2. Gespenster, Chaos, Inventur
3. Black and White oder Erzengel lügen nicht
4. Wegen Überfüllung geschlossen
5. …denn IHN betrügt man nicht
6. Lasst alte Knochen sprechen
7. Alljährlicher Höllenwahnsinn
8. Seelendiebe
9. Himmel, Hölle – und was noch?
10. Die Wahrheit, und nichts als die Wahrheit
11. Das Gebetbuch des Teufels
12. Hölle 2.0
13. Tanz, Mephisto
14. Nachrichten aus der Hölle
15. Auch Geister haben Rechte
16. Dienstwege und andere Hindernisse
17. Geister, Sex und Rock’n Roll
Glossar
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Fantasy von Ann Murdoch
Ein CassiopeiaPress E-Book
© by Author
© 2015 der Digitalausgabe by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
© Cover und Illustrationen von Gaby Hylla, 2015
www.AlfredBekker.de
Der Umfang dieses Ebook entspricht 191 Taschenbuchseiten.
Das Ebook beinhaltet folgenden Kurzgeschichten:
1. Geister leben intensiver
2. Gespenster, Chaos, Inventur
3. Black and White oder Erzengel lügen nicht
4. Wegen Überfüllung geschlossen
5. …denn IHN betrügt man nicht
6. Lasst alte Knochen sprechen
7. Alljährlicher Höllenwahnsinn
8. Seelendiebe
9. Himmel, Hölle – und was noch?
10. Die Wahrheit, und nichts als die Wahrheit
11. Das Gebetbuch des Teufels
12. Hölle 2.0
13. Tanz, Mephisto
14. Nachrichten aus der Hölle
15. Auch Geister haben Rechte
16. Dienstwege und andere Hindernisse
17. Geister, Sex und Rock’n Roll
Glossar
Ich gehe niemals ohne meine Leibwache, das sollten Sie wissen. Es ist tatsächlich schon öfter vorgekommen, dass man mich an meiner Aufgabe hindern wollte. Was meine Aufgabe ist, wollen Sie wissen? Nun, da wird es ein bisschen komplizierter. Ich bin diejenige, die auf der Erde die Geister einsammelt, wenn sie ihre Zeit abgespukt haben. Aber einige wenige von ihnen finden es reizvoll, immer so weiterzumachen und weigern sich, mir ins Totenreich zu folgen. Dann kommt meine Leibwache zum Einsatz. Die beiden sind zwar ein bisschen dämlich, aber dafür gehorchen sie aufs Wort. Als wandelnde Skelette sind sie auch nicht in der Lage mir zu widersprechen.
Sie wundern sich schon wieder? Aber nicht doch. Sehen Sie, ich bin Samtara, die Herrin der nächtlichen Wanderer, was nichts anderes bedeutet als einen Verwaltungsjob, wenn man es genau nimmt. Was glauben Sie, wie viele Listen, Dateien und Karteien zu führen sind, bis ein Spukschloss ordentlich aufgenommen ist und nach allen Regeln der Hölle funktioniert? Ganz bestimmt kennen Sie in Ihrer näheren Umgebung auch ein paar Gespenster, eine Weiße Frau vielleicht, oder einen kopflosen Reiter. Sie dürfen sicher sein, dass jede Einzelheit dazu in meinen Unterlagen zu finden ist. Aber gerade, weil es sich meistens um einen sterbenslangweiligen Posten handelt, wenn ich in der Vorhölle herumsitze und Listen führe, brauche ich zwischendurch ein bisschen Auslauf. Ist Ihnen eigentlich klar, wer die Bürokratie erfunden hat? Natürlich mein Chef, Seine Unheiligkeit der Satan, Fürst der Finsternis, gefallener Engel und so weiter und so weiter, höchstpersönlich. Leider hat er diese verrückte grausame Idee auch auf seine Mitarbeiter ausgeweitet, und das ist der Grund, warum ich endlose Tage damit verbringen muss, unsinnige Verwaltungsakten zu führen. Ich bitte Sie, Spukgestalten zu verwalten - auf einen solchen Einfall kann doch nur der Teufel kommen.
Ich gebe ja zu, ohne diese Kartei wüsste ich nicht immer ganz genau, wann eines der Gespenster genug gespukt hat. Aber was würde das schon ausmachen?
Doch ich wollte Ihnen ja von meinen nächtlichen Ausflügen erzählen. Da war zum Beispiel dieses Liebespaar auf dem Friedhof. Die beiden hatten sich aus unerfüllter Liebe gegenseitig umgebracht, und das Verwaltungsgericht für erweiterte Mordangelegenheiten hatte lange überlegt, bevor ein Urteil gefällt wurde. Sollten die beiden gleich ins Fegefeuer, weil sie doch noch jung und relativ unschuldig waren, oder sollten sie zur Strafe ein paar hundert Jahre herumgeistern, ohne Erlösung zu finden, wie es der Teufel forderte? Mein Chef setzte sich schließlich durch und freute sich boshaft über das Urteil. Nun gut, die beiden spielen praktisch jede Nacht über mehr als dreihundert Jahre ihr Trauerspiel nach.
Das Mädchen, heulend mit ausgestreckten Armen, kniet auf dem Boden vor dem Grabstein ihrer Mutter. Der Junge wirkt entschlossen und zornig, schüttelt die Fäuste in Richtung des Herrenhauses, in dem sein Vater lebt, dann küssen sich die beiden lange. Schließlich zieht der Junge zwei scharfe Dolche hervor, tapfer stoßen die beiden sich gegenseitig die Klingen in die Herzen, und damit ist der Spuk vorbei.
Als ich das Pärchen dann abholen wollte, kam empörter Protest.
„Wir lieben uns, Samtara, du kannst uns jetzt nicht aus unserer angestammten Umgebung reißen. Hier haben wir wenigstens die Chance uns regelmäßig in den Armen zu halten“, erklärte das Mädchen wütend.
„Eure Zeit ist abgelaufen. Schluss jetzt, darüber wird nicht diskutiert“, bestimmte ich. Es war einfach nur lächerlich, aber die beiden wollten doch tatsächlich mit ihren Spielzeugen auf mich losgehen. Als ob mir zwei Dolche etwas anhaben könnten. Aber für solche Fälle hatte ich meine Leibwache dabei, Kain und Abel. Die weißen Knochenmänner wussten, wie sie mit renitenten Spukgestalten umzugehen hatten. Sie umklammerten je eine Gestalt und umhüllten sie mit dem Knochengerüst, so dass die Geister sich nicht mehr bewegen konnten. Die schimpften weiter vor sich hin, dann entstand ein Spalt in der Erde, und wir fuhren alle hinein, bis wir in der Vorhölle anlangten. Von hier aus gab es für die Ex-Geister kein Entkommen mehr, ihre Seelen wurden auf die verschiedenen Abteilungen verteilt, und ich konnte darangehen, meine Kartei wieder auf den neuesten Stand zu bringen.
Ich bin ausgesprochen froh, dass heutzutage nicht mehr so viele Geister dazukommen. Aber der Teufel hat in der aktuell lebenden Menschheit eine Menge neuer Möglichkeiten gefunden, seine Bosheit auszuleben. Man denke nur an die Werbeagenturen, die täglich arglose Zeitgenossen mit sinnlosen Spots und zahllosen Prospekten berieseln, um unnütze Produkte gewinnbringend zu verkaufen. Oder nehmen Sie die sogenannten Sozialen Netzwerke, sie sind ebenfalls eine Erfindung des Teufels, und ich finde, das hat er wirklich gut gemacht.
Wirklich richtigen Spaß hatte ich auf der Erde, als ein fähiger Parapsychologe versuchte, einen Spuk aufzulösen. Gerade weil der Mann fast alles richtig machte, bekam ich zum ersten Mal Schwierigkeiten. Wissenschaftler! Also wirklich! Manchmal haben sie mehr Verstand, als ihnen zukommt. Aber ich werde mir doch nicht von einem Lebenden meine Verwaltung durcheinander bringen lassen, soweit kommt das noch. Das ganze verdammte Schloss hatte der Kerl verkabelt, um den kettenrasselnden Mörder Lord Angus aufzuspüren, der seit mehr als fünfhundert Jahren seine Arbeit tun musste.
So ganz Unrecht hatte der Mensch mit seinen Überlegungen nicht, die Spukerscheinungen geben eine Menge ultrafrequenter Strahlung und etwas messbare kinetische Energie ab. Auf diese Weise hatte der Mann bereits den Weg eingrenzen können, auf dem der Geist zu seiner täglichen Arbeit ging. Dann fand der Kerl auch noch heraus, wie und wohin der Lord nach Feierabend verschwand.
Jetzt musste ich eingreifen. Ich erschien im Halbdunkel aus dem Nichts, und ringsum brach ein Gewitter in den Messgeräten los. Kain und Abel konnten gar nicht richtig körperlich werden, irgendwelche Energiefelder machten das unmöglich.
„Jetzt habe ich dich“, rief jemand triumphierend.
„Das glaubst auch nur du“, erklärte ich empört und erschien nun mit meinem körperlichen Abbild. Ich weiß, dass ich eine Schönheit bin, und dem Mann blieb der Mund offen stehen. „Du machst mir mehr Probleme als deine lächerliche Existenz wert ist. Ich will, dass du heute noch von hier verschwindest und nie wieder Geister jagst.“
„Das geht nicht.“
„Du spielst mit deinem Leben“, warnte ich.
„Ihr seid Gespenster, du kannst mir gar nichts tun. Aber ich wusste nicht, dass Geister so schön sein können.“
Diese sinnlose Unterhaltung ging noch eine Weile weiter, aber er war wirklich dumm genug zu glauben, ihm könnte nichts passieren. Schließlich hatte ich genug davon. Ich schnippte mit den Fingern und erzeugte Überspannungen in den Stromkreisen. Glaubte er denn, ich hätte keine Ahnung von der menschlichen Technik und modernem Fortschritt? Also wirklich!
Es zischte und krachte, Funken sprühten, der Gestank nach verschmorten Kunststoffen und Ozon breitete sich aus, und auf dem Gesicht des Mannes war ein resignierter Ausdruck zu sehen. Nun, er schien ein guter Verlierer zu sein, trotzdem durfte ich ihn jetzt nicht mehr am Leben lassen. Ich würde es ihm leicht machen. Kain und Abel waren jetzt endlich materialisiert.
„Schaltet ihn aus, schnell und sauber, sonst muss ich wieder endlose Formulare ausfüllen“, befahl ich. Gleich darauf lag der Wissenschaftler am Boden.
„Lord Angus“, rief ich aufgebracht, und der Poltergeist erschien mit allen seinen Ketten und stöhnte wehleidig. „Warum hast du mich nicht früher informiert?“, fuhr ich ihn an. „Der Tod dieses Mannes war vermeidbar. Das kostet dich weitere fünfzig Jahre, und es ist mir verdammt egal, ob die Leute hier im Schloss dich ernst nehmen oder nicht.“ Ich wollte keine seiner Bitten oder Entschuldigungen hören und verschwand mit meiner Leibwache.
Sie sehen, dass es bei uns in der Zwischen- und Höllenwelt viel zu tun gibt, und meine Arbeit ist ziemlich wichtig. Das heißt aber nicht, dass ich sie gern mache, sie wurde mir ebenso als Strafe auferlegt wie anderen Geistern auch. Dabei hätte ich durchaus gleich endgültig in die neunte Hölle kommen können, als Lucretia Borgia habe ich im menschlichen Leben genug getan, um die Verdammnis zu verdienen. Aber damals brauchte seine Unheiligkeit dringend ein intelligentes Wesen, das sich auch durchsetzen konnte. Und nun warte ich auf jemanden, der mich ablösen könnte.
Hätten Sie nicht Lust dazu? Ich gebe zu, die Arbeitszeiten sind viel zu lang, die Bezahlung ist entsetzlich, und mein Chef ist unerträglich. Aber dafür haben Sie die Möglichkeit öfter mal neue Leute kennenzulernen, und falls Ihnen eine Arbeit am Schreibtisch angenehm ist, dürfen Sie das ausleben, bis selbst der Teufel um Gnade bittet. Aber nein, lassen wir das lieber, denn sobald ich meine Arbeit aufgebe, bin ich fällig. Doch Sie sollten sich überlegen, ob Sie nach Ihrem Tod nicht Interesse hätten, irgendwo in unserer Abteilung eine nette kleine Stelle anzunehmen. Eines kann ich Ihnen versprechen, Geister leben intensiver.
Jeder, der die Bürokratie in all ihren Facetten kennt, weiß genau, dass mein Chef sie erfunden hat. Es muss eine seiner Sternstunden gewesen sein. Glauben Sie ja nicht, dass wir in der Zwischenwelt oder auch unten in der Hölle davon verschont bleiben würden. Ich bin Samtara, mir untersteht die komplette Verwaltung der verurteilten Geister, und ich bin auch dafür verantwortlich, diese Seelen nach Ablauf ihrer Spukzeit in die Hölle oder andere Abteilungen zu geleiten – nun ja, zumindest bis in den Wartebereich. Ich werde von dieser Bürokratie geplagt bis zum Wahnsinn – nun ja, vielleicht hat Satan sie extra für mich erfunden, denn damit kann er mich wirklich quälen.
Um bei all diesen Spukgestalten nicht den Überblick zu verlieren, ist es durchaus zweckmäßig, eine Kartei zu führen, in der alles genau aufgezeichnet ist. Heutzutage gibt es nur noch wenige Neuankömmlinge. Das liegt zum einen daran, dass immer weniger Menschen an Geister glauben, zum anderen hat der Satan auf der Erde bessere Möglichkeiten gefunden, die Seelen einzufangen. Moderne Technik und Kommunikation, also Internet und Handy, bereiten einigen Leuten schon zu Lebzeiten einen guten Vorgeschmack auf die Hölle.
Aber das ist nicht meine Baustelle, zum Glück. Doch die zahllosen Spukgestalten, die auch heute noch aktiv sind, müssen natürlich kontrolliert und verwaltet werden.
Ich saß ganz gemütlich über einigen Karteikarten, die noch in unser eigenes Computernetzwerk übertragen werden mussten, hatte Kain und Abel, meine skelettartigen Helfer, zum Spielen geschickt und amüsierte mich darüber, wie eines der englischen Schlossgespenster versuchte seinen Job zu machen, als mein Chef, der großmächtige Höllenfürst höchstpersönlich, auftauchte. Er hatte offensichtlich gerade ein Feuer- und Schwefelbad genommen, jedenfalls war sein Gestank noch schlimmer als sonst. Ich bin da sehr empfindlich und rümpfte die Nase.
„Habe ich etwas falsch gemacht?“ erkundigte ich mich schnippisch. „Du kommst immer nur, wenn du mir Vorwürfe machen oder mich für einen besonderen Auftrag haben willst.“
„Eines Tages werde ich dir deine Frechheiten austreiben“, drohte Satan gut gelaunt voller Vorfreude.
„Ist gut, ich werde darauf warten. Aber solange du niemanden hast, der meinen Job übernimmt, muss ich mir darüber keine Gedanken machen. Also, was willst du?“ Ich konnte es mir durchaus herausnehmen, so mit ihm zu reden. Als ich nach meinem Tod in der Hölle ankam, hatte selbst er Respekt vor mir, und daran hat sich bis heute nicht viel geändert. Allerdings ist er noch immer der Chef, und gelegentlich muss er mir seine Macht beweisen – darin unterscheidet er sich in nichts von menschlichen Männern.
„Du hast vergessen einen Geist zu erlösen“, grollte er nun.
„Ach, tatsächlich? Kann passieren, schließlich gab es Zeiten, da hast du schneller Geister rekrutiert, als Nachschub geboren werden konnte. Dabei hast du auch ein paar Ausreißer kreiert, die ich von Zeit zu Zeit wieder zurückholen muss. Solange ich damit beschäftigt bin, können schon mal kleine Fehler passieren.“
„Mach mich nicht wütend, Samtara, sonst…“
„Was sonst?“, spottete ich. „Verfluchst du mich für alle Zeiten in der Hölle? Mach dich nicht lächerlich, Luzifer, auf diese Gelegenheit warte ich doch schon ein paar hundert Jahre.“
Er begann Rauch abzusondern, und der Geruch nahm eher noch zu. Ich wollte ihn gerne wieder loswerden, also zwang ich mich, fast zu lächeln.
„Nun gut, wo habe ich jemanden vergessen? Ich werde mich sofort darum kümmern.“
Er lächelte mich tatsächlich an, und nun bekam ich das sichere Gefühl, dass er eine Methode gefunden hatte, mich in den Wahnsinn zu treiben, eine seiner beliebten Spielereien. Auf meinem Schreibtisch erschien eine flammende Notiz, darum würde ich mich gleich kümmern.
„Du hast diese Verwaltung nicht so gut im Griff, wie du glaubst, Samtara“, erklärte Satan. „Es ist höchste Zeit, eine Inventur in der Registratur vorzunehmen.“
„Eine was?“, fragte ich tonlos.
„Du hast mich schon verstanden. Beeile dich, bevor ich ungeduldig werde.“ Mit dem Geräusch von aufbrüllenden Flammen verschwand Seine Unheiligkeit.
Ich bitte Sie!
Eine Inventur?!? Das ist die menschliche Steigerung der Bürokratie an sich.
Ich könnte es ja noch verstehen, dass man alles zählt, um einen Überblick zu bekommen. Aber die Bewertung und Zuordnung in verschiedene Kategorien, die Abschreibung nach 300 Jahren erfolgreichen oder sinnlosen Spukens und vieles mehr ist eine Arbeit, die selbst Sisyphus – der übrigens noch immer einen Stein den Berg hinauf rollen muss – nicht auf sich nehmen würde.
Inventur! Ich!
Sagen Sie, welcher Mensch hat es geschafft, den Teufel in seinem Einfallsreichtum noch zu übertreffen? Er kann sofort als mein Assistent anfangen.
Bevor ich mich um den vergessenen Geist kümmerte, musste ich erst mal meine Wut abreagieren. Sowas geht am besten, wenn man Mitarbeiter hat, die man im wahrsten Sinne des Wortes auseinander nehmen kann. Kain und Abel sind hervorragend dafür geeignet.
Ich riss die weißen Knochen auseinander und warf sie durch die Gegend, jeder Wurf wurde begleitet von einer Verwünschung, die dem Chef galt.
„Mögest du Gnade vor den Augen des Höchsten finden! – Möge dich ein Heiligenschein berühren! – Mögest du ein Lob von oben annehmen müssen!“ Und so weiter, und so fort. Sie haben so etwas sicher auch schon gemacht – oder wenigstens daran gedacht.
„Geht und sammelt eure Einzelteile wieder auf, wir haben zu tun“, schnauzte ich schließlich meine tumben Diener an, und sie gehorchten ohne Widerspruch. Es war an der Zeit, sich um den vergessenen Geist zu kümmern.
Auf der flammenden Notiz las ich die Einzelheiten. Oje, Satan hatte recht, das waren mehr als fünfzig Jahre zuviel.
Kain und Abel waren wieder komplett, ich machte eine Handbewegung, und wir befanden uns am richtigen Ort.
„Madeleine?“, rief ich. „Madeleine, wo bist du? Es ist Zeit für die Erlösung. Tut mir leid, dass ich so spät komme, aber nun kannst du endlich…“
Wir befanden uns auf einem Friedhof in einem kleinen Ort in der Nähe von Paris. Das Mädchen spukte hier bereits seit mehr als 200 Jahren, es war an sich schon ungewöhnlich, dass ein Kind eine so lange Strafe erhalten hatte, aber bei Madeleine schien es angebracht. Während der Französischen Revolution hatte das Mädchen unzählige Leute aufs Schafott geschickt, ob sie nun an irgendetwas schuldig waren oder nicht. Sie liebte den Anblick von Blut und rollenden Köpfen, währenddessen erzählte sie ihrer Puppe stets zahllose erfundene grausige Geschichten. Die Zuweisungsabteilung unter Niccolo Machiavelli hatte sogar Gnade walten lassen und die Spukzeit auf nur 150 Jahre festgelegt, aber irgendwie war das Kind durch alle Kontrollen gerutscht. Sie würde vermutlich zornig auf mich sein, aber damit konnte ich leben.
In der Nähe hörte ich nun Geräusche und ging ihnen nach.
Madeleine hielt ihre Puppe umklammert – sie spielte Kegeln mit menschlichen Köpfen. Aus vielen Knochen hatte sie einen Turm gebaut und rollte nun die Schädel mit Begeisterung in das Hindernis. Wenn alles klappernd zusammenfiel, klatschte sie begeistert in die Hände. Zum Glück wurde dieser Friedhof schon lange nicht mehr von Menschen besucht, ich will mir gar nicht vorstellen, was geschieht, wenn ein Lebender diese Kegelbahn sieht.
„Madeleine, was tust du da? Das halte ich für keine gute Idee. Du weißt doch, wie empfindlich die Lebenden mit ihren Gebeinen sind.“
„Ist mir doch egal“, kam es gelangweilt. „Um mich kümmert sich doch ohnehin niemand. Glaubst du, nur weil ich nicht schreiben und rechnen gelernt habe, wüsste ich nicht, dass ihr mich vergessen habt? Du kannst jetzt wieder gehen, ich brauche deine Hilfe und Erlösung nicht mehr. Du brauchst dich auch nicht zu entschuldigen, ich bin ja nur ein Kind.“
„Ich habe nicht vor, mich zu entschuldigen, im Übrigen warst du in meinen Augen nie ein Kind. Du bist schon böse geboren, und deshalb wartet die Planungsgruppe menschliche Verführung und Vernichtung schon längst auf dich. Also komm jetzt, ich habe noch mehr zu tun.“
Unvermittelt flog mir ein Schädel entgegen, denn ich mit nur einem Blick zur Seite fegte.
„Ich will nicht!“ Sie stampfte doch tatsächlich mit dem Fuß auf.
„Schluss jetzt mit dem Unsinn, komm endlich“, befahl ich.
„Nein. Du kannst mir gar nichts befehlen. Hau ab!“
Unglaublich! Haben Sie so etwas schon mal erlebt? Wo sind Respekt und Anstand vor älteren Geistern geblieben?
Ich gab meinen Dienern einen Wink, ich wollte mich nicht selbst mit dieser ungezogenen Rotznase herumärgern. Sie brachte mich allerdings auch auf die Idee, meinem Chef eine neue Vorgehensweise vorzuschlagen. Statt dass der Geist persönlich abgeholt wurde und seinen Ort einigermaßen gesittet verließ, wäre es doch viel einfacher, den Spuk auf einen Knopfdruck hin zu beenden. Schließlich hatten die Menschen die Technik für so etwas längst entwickelt, wir sollten sie uns auch zunutze machen.
Im Augenblick glaubte ich jedoch meinen Augen nicht zu trauen. Madeleine hatte meine beiden Diener auseinander genommen. Das stand nur MIR allein zu! Was bildete sich diese Göre überhaupt ein?
Die Knochen von Kain und Abel waren jetzt zwischen den übrigen Gebeinen verstreut, und das Kind machte sich gerade daran, auch deren Köpfe als Bowlingkugeln zu benutzen.
Jetzt hatte ich aber genug! Eine Handbewegung von mir bewirkte, dass meine Diener sofort wieder in gebrauchsfähigem Zustand waren, dann ging ich auf die Kleine zu und starrte sie zuckersüß an.
„Findest du es nicht längst langweilig, hier nur mit Knochen herumzuspielen oder mal ein paar harmlose Menschen zu erschrecken? Die Dämonen und Geister in der Planungsgruppe werden sicher froh über deine Hilfe sein“, lockte ich und verschwieg dabei, dass die Kleine erst einmal lernen musste, mit anderen Geistern und Dämonen umzugehen, bevor sie an eine Karriere denken konnte. Doch das würde dann nicht mehr mein Problem sein.
„Ich will nicht!“, kam es erneut trotzig.
„Und was willst du dann?“, fauchte ich.
Jetzt erschien ein fast dämonisches Lächeln in ihrem Gesicht. Welch ein Monster hatte der Chef da nur erschaffen? Manchmal übertraf sich Luzifer wirklich selbst.
„Ich will, dass du den Kopf verlierst“, forderte sie.
„Sonst fehlt dir aber nichts, nein?“, fragte ich wütend.
Sie schüttelte den Kopf, wobei ihre langen roten Haare flogen.
„Du hast jetzt die Möglichkeit, mich in aller Ruhe zu begleiten und deinen Unsinn in der Hölle fortzusetzen, wo sich jemand angemessen um dich kümmern kann. Oder du gehst mir weiter auf die Nerven, und ich muss zu anderen Mitteln greifen. Mein Kopf bleibt auf jeden Fall da, wo er ist.“
Sie schien zu spüren, wie ernst es mir war. Missmutig warf sie noch einen Schädel wild in die Landschaft und kam dann näher. Als ob sie Vertrauen gefasst hätte, streckte sie eine Hand aus, doch ihre Berührung löste in mir einen Krampf aus. Dieses Kind hatte entschieden zu lange ohne Aufsicht gespukt.
Ich wickelte sie in ein Feld, in dem ihre Kräfte unwirksam wurden. Augenblicklich konnte ich ein Abbild von ihr sehen, das zu ihren Lebzeiten entstanden war. Sie war ein ausgesprochen hübsches Kind gewesen, doch man konnte ihre Bösartigkeit schon in den Gesichtszügen erkennen.
Schluss jetzt damit! Ich aktivierte die Versetzung, wir vier verschwanden aus der Realität der Lebenden.
Wir kamen im Warteraum heraus, und plötzlich wurde das Mädchen still. Nun ja, selbst ich hatte Respekt vor dem Schatten von Nero, der mal pure Mordlust verbreitete, obwohl er selbst jetzt noch ein Feigling war. Sollte er sich doch jetzt um das Mädchen kümmern.
Ich kehrte zurück an meinen Arbeitsplatz und fragte mich, wie ich diese verrückte Inventur vornehmen sollte. Am besten schickte ich erst einmal Kain und Abel aus, um zu zählen – soweit sie zählen konnten.
Was meinen Sie? Wird Satan es bemerken, wenn ich die Inventur einfach „vergesse“?
Ich sage Ihnen, eine jahrhundertelange Bekanntschaft kann für die gegenseitige Feindschaft nur förderlich sein. Den Erzengel Michael kenne ich nun wirklich schon eine höllische Ewigkeit, aber das macht ihn mir nicht sympathischer. Allein seine ewige Sanftmut ist dazu angetan, mich bis zur Weißglut zu treiben.
„Liebe Samtara, du solltest versuchen, beim Allmächtigen um Gnade zu bitten, er ist ein Wesen von unendlicher Güte.“
Genau das hat er mir vor 700 oder 800 Jahren schon gesagt, und seitdem wird er nicht müde, das Gleiche immer wieder vorzuschlagen, nur die Wortwahl variiert.
Ich bitte Sie, in meinem letzten Menschenleben war ich Lucretia Borgia. Würden Sie mir zutrauen, so harmlos und grenzdebil durch unsere Welten zu laufen wie Michael? Ganz bestimmt nicht. Brav und harmlos ist in meinen Augen gleichbedeutend mit dumm oder sogar hoffnungslos verloren, aber Sie verstehen, das ist meine persönliche Meinung. Als er dann auch noch darauf beharrte, dass alle guten Menschen im Paradies anzutreffen seien, konnte ich mir einen kleinen Seitenhieb nicht verkneifen.
„Aber alle interessanten Menschen befinden sich auf unserer Seite. Wir haben jedenfalls nicht über Langeweile zu klagen“, erklärte ich.
Er wirkte doch wahrhaftig traurig und verletzt. Allerdings hätte ich es nie für möglich gehalten, dass er sich ausgerechnet bei meinem Chef über mich beschweren würde. Satan und Michael können sich noch weniger leiden als der Erzengel und ich.
Als der schweflige Gestank in meinem Büro fast unerträglich wurde, wusste ich, dass mein Chef mir mal wieder einen Besuch abstattete.
„Du hast dir offenbar einen Feind geschaffen“, erklärte er mit einem teuflischen Lachen.
„Einer mehr oder weniger, was macht das schon? Wen meinst du jetzt speziell?“