Höllen-Lärm - Ian Christe - E-Book

Höllen-Lärm E-Book

Ian Christe

4,6

Beschreibung

Ozzy Osbourne ist an allem schuld. Hätten Ozzy und seine Band Black Sabbath nicht Ende der Sechziger den Heavy Metal erfunden, hätte es auch nicht all die langhaarigen Gitarrenschwinger mit Leder- oder Spandexhosen gegeben, die bereits vor zwanzig Jahren mit ihren Tätowierungen schockierten. Derart raue, ruppige und verstörende Sounds hatten die Rockhörer vorher noch nie über sich ergehen lassen müssen. Kein Wunder, dass diese neue Musik das Lager der Fans spaltete: Was den einen als aggressiver Lärm mit oft frauenverachtenden oder gewaltverherrlichenden Texten erschien, bot Liebhabern des Genres die Chance, in eine eigene und bei aller Ruppigkeit ausgesprochen geheimnisvolle Welt mit eigenen Regeln und Gesetzen abzutauchen. Mit "Paranoid", dem Metal-Klassiker, der im August 1970 ein neues musikalisches Zeitalter einläutete, begann die wechselvolle Geschichte des Heavy Metal, der sich über dreißig Jahre hinweg in höchst unterschiedlichen Ausprägungen manifestierte und in unzählige Subgenres zerteilte - dabei von den Kritikern gehasst und von den Fans geliebt. In Höllen-Lärm geht Ian Christe all diesen Entwicklungen nach: Von den Gründervätern Black Sabbath ausgehend, begibt er sich auf die Zeitreise zu Helden der Siebzigerjahre wie AC/DC, Judas Priest oder Kiss und schließlich zum Glitzermetal der Achtziger, als plötzlich mit Bands wie Mötley Crüe und Ratt Haarspray und Klamotten wichtiger zu sein schienen als der harte Sound. Spannend ist vor allem auch seine Bewertung der jüngsten Metal-Geschichte: Wie Heavy Metal durch den Kontakt mit Rap und HipHop nach einer Flaute Mitte der Neunziger als Nu Metal auferstand und zudem seinen traditionellen Sound in noch düsterere und noch härtere Gefilde transformierte. Ian Christe führte mehr als einhundert Interviews mit den Musikern von Black Sabbath, Metallica, Judas Priest, Twisted Sister, Slipknot, Kiss, Megadeth und all den anderen Major Players der Szene. Daraus entstand ein Werk, dessen Ausführlichkeit und Szenekenntnis kaum zu übertreffen sein dürfte. Selbst unübersehbar Fan des Höllenlärms, über den er schreibt, liefert Ian Christe dennoch die objektive Analyse einer Musikszene, die von den Medien ebenso wie von der etablierten Musikkritik nach wie vor gern ignoriert wird.

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Impressum

© alle Fotos, falls nicht anders gekennzeichnet, beim Autor

Titel der Originalausgabe:

Sound of the Beast – The Complete Headbanging History of Heavy Metal

Copyright © 2003 by Ian Christe

Published by HarperCollins Publishers Inc., New York

3. Ausgabe 2013

© 2013 der deutschen Ausgabe:

Koch International GmbH/Hannibal, A-6600 Höfen

www.hannibal-verlag.de

Published by arrangement with HarperEntertainment a division of HarperCollins Publishers, Inc.

Lektorat: Kirsten Borchardt

Ebook: Thomas Auer, www.buchsatz.com

ISBN 978-3-85445-413-7

Auch als Paperback erhältlich: ISBN 978-3-85445-402-1

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt

und darf ohne eine schriftliche Genehmigung nicht verwendet oder reproduziert werden.

Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen und die Einspeicherung und Ver arbeitung in

elektronischen Systemen.

Inhalt

Prolog • Freitag, 13. Februar 1970

I Die Siebzigerjahre: Auftakt zur Härte

II England rockt hart: die New Wave of British Heavy Metal

III 1980: Die amerikanische Einöde wartet

IV Heavy Metal America: bunte Bühnen, bunte Bilder

V Fans im Fieber:Metallica & Power Metal

VI Slayer: die Könige der Black-Metal-Teufel

VII Die Zensur schlägt zu: Anti-Metal-Panik in den USA

VIII Rattleheads:Metal wird manisch

IX Volle Kraft voraus: Thrash Metal greift an!

X Die Glambanger aus Hollywood

XI Vereinte Kräfte:Metal und Hardcore Punk

XII Und Platin für „One“ … Metal wird erwachsen

XIII Der große Wandel in den Neunzigern: das Schwarze Album & was sonst geschah

XIV Death Metal – die Erlösung?

XV World Metal: die Globalisierung des Heavy Metal

XVI Brennende Kirchen: Black Metal in Norwegen

XVII Satan vor Gericht: Im Namen des Volkes gegen Heavy Metal

XVIII Das Anti-Metal-Zeitalter: neuer Haarschnitt, neue Wurzeln

XIX Der virtuelle Ozzy & die digitale Erneuerung des Metal

XX Zurück auf dem Thron: Headbanger an der Macht

Epilog • 2001: Unbesiegbar und immer wiederkehrend

Nachwort

Die 25 besten Heavy-Metal-Alben aller Zeiten

Das Kleingedruckte – Metal-Charts

Seid gegrüßt

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Prolog : Freitag, 13. Februar 1970

Am Anfang waren die düsteren Weiten des Nachthimmels und des Unbe­kannten. Die ungelüfteten Geheimnisse der Geschichte wirbelten dort in Besorgnis erregender Besinnungslosigkeit umher, belebt durch Kräfte so alt wie die Zivilisation selbst – rauchig, silbrig, religiös und dunkel. Diese starken Strö­mungen lagen oft still und vergessen da, bis sie ihre entsetzliche Macht in Zei­ten des Kriegs, der Krise und des Aufruhrs entfesselten. Sie besaßen keinen eige­nen Sound und keine eigene Definition, bis sie gebändigt und unterworfen wurden durch das Erscheinen von Black Sabbath – den weisen Unschuldigen, den Erfindern des Heavy Metal.

Von Anfang an brachten Black Sabbath eine kraftvolle, leidenschaftliche Einstellung zum Ausdruck, wie sie sonst in der Öffentlichkeit nicht geäußert wurde. Sie waren Propheten, aufgewachsen auf der Schattenseite der englischen Gesellschaft, unter Arbeitslosen – Menschen, die als moralisch zweifelhaft und als Leute von minderem sozialem Wert galten. Alle vier Mitglieder wurden 1948 beziehungsweise 1949 im englischen Birmingham geboren, einer herunter­gekommenen Industriestadt, die sich schwer tat in einer Zeit, in der die Indus­trie längst nicht mehr der Stolz Europas war. Sänger John Michael Osbourne alias Ozzy, eins von sechs Kindern und bereits wegen Diebstahl verurteilt, arbei­tete gelegentlich in einem Schlachthof. Gitarrist Tony Iommi, der ständig zu Streichen aufgelegte Sohn eines Süßwarenladenbesitzers, hatte sich bei einem Unfall in einer Metallwerkstatt zwei Fingerkuppen der rechten Hand abgehackt. Der eigenwillige Bassist der Band, Terry „Geezer“ Butler, war für seine extra­vaganten grünen Secondhandklamotten bekannt. Schlagzeuger Bill Ward kam aus rasender Verzweiflung zur Musik, wie er selbst das einmal formulierte; ein Umstand, der sich an der eleganten Unordnung seines Spiels durchaus ablesen ließ. Die vier wuchsen in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg auf, umgeben von dem Schutt und den Trümmern, welche die massiven Bombenangriffe der Nazis hinterlassen hatten. In der Welt, die man ihnen überließ, schien eine Kar­riere als Außenseiter und Abenteurer das einzig Sinnvolle.

Unter dem Namen Polka Tulk, den sie einem Birminghamer Teppich­händler abgeguckt hatten, schlugen Ozzy und die anderen den Weg ein, wie ihn Bands wie die Yardbirds, Ten Years After und Cream vorgezeichnet hatten: Sie spielten endlos und schön laut die Standardnummern amerikanischer Blues­musiker. Deren melancholischer Sound wandelte sich allerdings drastisch auf seiner Reise von Birmingham, Alabama, nach Birmingham, England – nun wurden die traurigen Töne durch industrietaugliche Verstärker und die Dro­genszene der späten Sechzigerjahre grotesk verzerrt. Nachdem sie ihren Namen in Earth geändert hatten, erlangte das Quartett durch seine die Sinne betäu­bende Lautstärke und Bühnenshow größere Bekanntheit.

Dann kam der Durchbruch – die spontane Entstehung des Songs „Black Sabbath“. Für die Band markierte er einen bedeutenden Neubeginn, und er sollte zur Grundlage des Heavy Metal insgesamt werden. Es war ein Song, der nur auf drei Tönen beruhte, zwei davon waren ein D. Der Erzähler berichtet darin mit Furcht erregender Angespanntheit vom Jüngsten Tag und keucht mit stocken­dem Atem: „What is this, that stands before me? Figure in black, which points at me … – Was ist das, was dort vor mir steht? Eine Gestalt ganz in Schwarz, die auf mich zeigt …“ Angetrieben durch surrendes Feedback verstärkt sich der Horror stetig und explodiert schließlich auf dem Höhepunkt der Anspannung, als der sich sträubende Protagonist vom Jüngsten Gericht verschlungen wird. Eine grausige Geschichte, die Edgar Allan Poe alle Ehre gemacht hätte, erzählt mit Gitarren, Schlagzeug und einem knackenden Mikrofon.

Mit seiner Ehrfurcht erregenden Kraft nahm „Black Sabbath“ das Publi­kum sofort gefangen. Der Song hatte eine unumkehrbare Wirkung auf die Band, die in ihrer drogenverklärten Unschuld plötzlich das Gefühl hatte, ihren Händen sei durch eine unsichtbare Macht Genialität verliehen worden. Auf diese Weise inspiriert, erhob sich das Ensemble bald über sein Umfeld, ließ den Rock ’n’ Roll hinter sich und begann sich den jüngsten musikalischen Befreiungsschlägen von Musikern wie beispielsweise Miles Davis zuzuwenden, die sich den starren Grenzen der Genres widersetzten. Gemeinsam mit dem unheilvollen „Warning“, einem Jam, den sie von der hippen Bluesgruppe Ayns­ley Dunbar’s Retaliation übernommen hatten, wurde „Black Sabbath“ zum Kernstück eines neuen Sounds, zum Grundsignal einer akustischen Todesangst, die es notwendig machte, dass sich die Band in Black Sabbath umbenannte.

Tony Iommi, der mit beiden Beinen fest auf dem Boden der ihn umgeben­den Welt stand, nahm die Musik der Vergangenheit, ohne sich allzu sehr um Tra­dition zu kümmern, und spielte sich mit eigenem Rhythmus und eigener Finesse durch die Bluestonleitern. Damit er die Gitarrensaiten ausdrucksvoll dehnen konnte, ohne dass ihn die gekappten Fingerkuppen schmerzten, stimmte sich die Gruppe auf tiefere Tonarten ein. Die zeitlose Spannung, die seine meister­haften Töne erzeugten, verlieh Black Sabbath geniale Tiefe. So entstand aus Not, beinahe zufällig, ein überwältigender Sound. Aus einer Deformierung ergab sich eine merkwürdige Schönheit – und eine Verbindungslinie von dem Gittaristen mit den drei Fingern zu dem Zigeuner Django Reinhardt, der eine von Iommis zahlreichen ungewöhnlichen Inspirationsquellen darstellte.

Neben Iommis vielseitiger Gitarre trieb die Rhythmusgruppe den endlosen Strom kraftvoller Riffs mit hektischen Breakbeats und elektrisierenden Akzen­ten an. Bill Ward behauptete, Black Sabbath hätten nie „den Rhythmus gehal­ten“, dennoch aber durch ein ungeheures Einfühlungsvermögen eine starke Einheit geschaffen – sozusagen mittels eines sechsten Sinns, der die Schwerkraft der Musik verstärkte und den Zuschauer in diese Struktur hineinzog. Die so entstandene Klangmauer war überwältigend und strotzte vor Wildheit: In alten Filmen sieht man Ward und Geezer Butler herumzappeln wie überdrehte Marionetten in der Hand Gottes.

Der junge Zeremonienmeister Ozzy Osbourne führte das Publikum entzückt an das neue Paradigma heran, indem er in charismatischem Kontrast zur steiner­nen Maske der Musik in die Hände klatschte, tanzte und nickte. Dekadent und besinnungslos, aber damals noch nicht aufgedunsen oder drogenvernebelt, durch­drang Ozzy die ihn umgebende Schwere mit seinem wütenden Geheul. Seine schi­zophrene Gesangstechnik kam von doppelt aufgenommenen Stimmen – einer hohen und einer tiefen –, die eine Oktave auseinander lagen. Wenn die Band tie­fer spielte, sang Ozzy höher. Welche Rockstar-Protzerei der Sänger auch an den Tag legte, sie wurde von der leidenschaftlichen Entschlossenheit der Band aufge­hoben und durch das allzu wahrhaftige persönliche Delirium der Texte Butlers ausgeglichen: „I tell you to enjoy life / I wish I could but it’s too late – Ich kann nur sagen, genießt euer Leben / ich wünschte, ich könnte es, aber es ist zu spät.“

Im Verlauf ihres Aufstiegs absolvierten Black Sabbath ihre Lehrzeit in den gleichen europäischen Clubs wie einst die Beatles. Dabei knackten sie den Haus­rekord der Liverpooler im Hamburger Star Club auf der Reeperbahn, wo sie vor Touristen und Go-go-Tänzerinnen jede Nacht sieben fünfundvierzigminütige Sets spielten. Dieses mörderische Programm ließ die vier bis an die Grenze der Perfektion proben, bis sie schließlich so erschöpft waren, dass ihnen Inspira­tion und Innovation vergingen.

Phillips Records boten Sabbath 1969 einen Vertrag an, und daraufhin spielte die Band in einer zweitägigen Session für sechshundert Pfund ihr erstes bahnbrechendes Album ein. Die Bänder wurden am nächsten Tag von einem Studioproduzenten abgemischt, der es der Band nicht gestattete, ihm auch nur irgendwie ins Handwerk zu pfuschen. Trotz der überstürzten Arbeitsweise (die jedoch damals durchaus typische Aufnahmebedingungen für Rockbands dar­stellte) blieb kaum Platz auf der Platte übrig. Der Produzent schnitt ein acht­zehnminütiges Gitarrensolo von Tony Iommi aus „Warning“ heraus, ohne dies mit der Band abzusprechen. Auf Drängen der Plattenfirma koppelten Sabbath eine neue Version von „Evil Woman“ als erste Single aus – der Song war erst kürzlich durch die Band Crow zum Hit geworden, und die Firma erhoffte sich von dieser Neuauflage schnellen Erfolg.

Am Freitag, dem 13. Februar 1970, wurde Black Sabbath bei Vertigo Records, einer neuen experimentellen Tochtergesellschaft von Phillips, veröf­fentlicht. Black Sabbath, das erste vollständige Heavy-Metal-Werk der ersten ech­ten Heavy-Metal-Band, war wie ein süchtig machendes, bewegungsloses Zeit­fenster, das von einer unheilvollen Präsenz durchdrungen war, welche die mun­teren Rhythmen der populären Rockmusik erschütterte. Die selbst geschriebe­nen Songs „N.I.B.“ und „Wicked World“ gleiten zusammen mit „Black Sabbath“, „Warning“ und „Evil Woman“ auf einer ungeheuren Lautstärke und anhalten­dem Feedback dahin. Auf dieser Platte, die sich jeder Kategorisierung wider­setzte, wurde die Härte dieses Frontalangriffs durch die traumähnliche Sanftheit von „Sleeping Village“ und „Behind The Wall Of Sleep“ ausgeglichen.

In Anlehnung an Children of the Damned und andere billige englische Psycho-Horrorfilme war auf dem Cover von Black Sabbath ein verfallenes, von kargem Gestrüpp überwuchertes Cottage abgebildet, das die Gestalt einer blass­grünen Zauberin teilweise verdeckte. Das Innere des Klappcovers enthielt außer einigen Details ein grimmiges Schauergedicht, das einem riesigen umgekehr­ten Kruzifix eingeschrieben war.

Still falls the rain, the veils of darkness shroud the blackened trees, which contorted by some unseen violence, shed their tired leaves, and bend their boughs toward a grey earth of severed bird wings. Among the grasses, poppies bleed before a gesticulating death, and young rabbits, born dead in traps, stand motionless, as though guarding the silence that surrounds and threatens to engulf all those that would listen …

Leise fällt der Regen, die Schleier der Dunkelheit umhüllen die geschwärzten Bäume, die – verbogen und verzerrt von einer ungesehenen Gewalt – ihre müden Blätter abwerfen und ihre Äste einer grauen Erde voll abgetrennter Vogelschwingen entgegenbiegen. Unten auf dem Gras bluten Mohnblüten einem zuckenden Tod entgegen, und junge Kaninchen, tot in Fal­len geboren, stehen bewegungslos da, als bewachten sie die Stille, die sie umgibt und alle zu verschlingen droht, die zuzuhören wagen …

Mit silbernen Kreuzen kultivierten die Mitglieder von Black Sabbath ein Bild des Unheimlichen – ein Image, das stark vom damals angesagten Interesse an Hexerei und Mystizismus geprägt war. Das machte die Band bei selbst ernannten Satanisten berühmt und berüchtigt und sorgte für ein paar kleine öffentliche Proteste von Kirchgängern. Rockstars vor ihnen hatten das Pop­bewusstsein mit Blumen und Straßenparaden verzaubert und versprochen, die Welt zu verändern. Black Sabbath liefen am Ende der Prozession, predigten noch immer die Notwendigkeit der Liebe, warnten aber die Nachzügler, dass es keine Rückkehr zur Gnade Gottes gab. Während die meisten populären Zeit­genossen auf dem „Mädchen beißt Mann“-Gebiet versackten, sangen Sabbath von vaterlosen Kindern und der Schlechtigkeit der Welt. Bill Ward beschrieb die edle Außenseiterperspektive der Band später als „gesunde Wut“.

Wie ein nachhallendes Echo aus lange vergangener Zeit inszenierte die Musik Konflikte zwischen Menschen auf Erden, und zwar nicht als Tages­geschehen, sondern als mythische Auseinandersetzungen. Mit der gesamten Zere­monie läutete die Totenglocke für die bis dahin als Rock ’n’ Roll bekannte Musik, die seither nichts weiter sein sollte als eine gezähmte Verwandte des Heavy Metal. „Black Sabbath haben jede einzelne Band beeinflusst, die es gibt“, sagt Peter Steele von Type O Negative, einer Band, die sich dreißig Jahre später von Sabbath inspi­rieren ließ.„Für mich waren sie das Heftigste überhaupt,und das sind sie immer noch. Härter kann man nicht werden. Ich liebe diesen langsamen, monotonen Sound, der so klingt, als ob ein Dinosaurier durch den Wald stapft.“

Sie waren aufgetaucht wie der Monolith in Stanley Kubricks Film 2001: Odyssee im Weltraum, der damals gerade höchst aktuell war, und sie ließen sich ebenso wenig klein reden wie der bodenlose Ozean, der immer währende Him­mel und die sterbliche Seele. Es gab keine Vorläufer – und es war keine Erklä­rung ihrer Macht nötig. Ihre düsteren Klänge glichen einem Sirenenruf, gerich­tet an eine tiefe, unbefriedigte Leere im modernen Bewusstsein. Die donnernde Lawine des Heavy Metal ließ sich nun nicht mehr aufhalten – sie hatte lange genug darauf gewartet, von Black Sabbath 1970 losgetreten und von Menschen­massen ungeahnten Ausmaßes angebetet zu werden.

In den folgenden dreißig Jahren flüchteten einhundert Millionen Hörer in den sich schnell ausbreitenden Trend und fanden dort unverklärte Reinheit, frei von kleinlichen Zweifeln oder Ablenkungen. Sabbath erfanden den Heavy Metal, eine Musikform, die später in doppelter Intensität zum Power Metal wer­den sollte und aus der dann der Thrash Metal hervorging. Von dort aus kreuz­ten sich die Wege dieser Musik mit anderen Formen, bis sie schließlich den Black Metal hervorbrachten, sich zum unglaublichen Soundgefüge des Death Metal veredelten und sich schließlich mit jeder anderen Art von Musik ver­banden. Nach drei Jahrzehnten der Marshall-Verstärker, Gitarrenmassaker und Schlagzeugtrümmer bilden Black Sabbath noch immer die Grundlage – die schwere Steinplatte, auf deren Fundament sich der Heavy Metal erhebt.

I: Die Siebzigerjahre: Auftakt zur Härte

13. Februar 1970: Black Sabbath veröffentlichen ihr Debütalbum

4. Juni 1971: Black Sabbath erhält Gold in Amerika

Dezember 1975: Judas Priest nehmen Sad Wings Of Destiny auf

28. Oktober 1978: NBC zeigt den Fernsehfilm Kiss Meets the Phantom of the Park

11. Dezember 1978: Das letzte Konzert von Ozzy Osbourne auf seiner Abschiedstour mit Black Sabbath

Heavy Metal entstand zu einem Zeitpunkt, als sich der Rock ’n’ Roll, die Heilslehre der vorangegangenen Generation, in einem schrecklichen Auf­lösungsprozess befand. Vier Tote bei einem Gratiskonzert der Rolling Stones am Altamont Raceway im Dezember 1969 erschütterten die Rockgemeinde und desillusionierten die Jugend mitsamt ihren pazifistischen Idealen. Als Black Sabbath in die Popcharts einstieg, verkündete Paul McCartney das Ende der Beatles. Statt ihr Publikum in einer unsicheren Welt zu trösten, waren die Rock­giganten Janis Joplin, Jimi Hendrix und Jim Morrison längst tot, alle innerhalb eines Jahres an einer Überdosis Drogen gestorben.

Kurz nachdem John F. Kennedy, Robert Kennedy und Martin Luther King den Kugeln von Attentätern zum Opfer gefallen waren, erlagen die Initiatoren des Rock ’n’ Roll ihren naiven Exzessen. Erledigt und frustriert verließen die Kinder der Love Generation, die diese Gegenkultur einst geschaffen hatten, scharenweise die Städte, kehrten in ihre Heimatorte zurück oder verkrochen sich in den Bergen, um irgendwie den kollektiven Albtraum einer gescheiter­ten Utopie zu vertreiben. Es war das Ende der Sechzigerjahre und dessen, wofür sie standen. Als die gewaltlosen Blumenkinder durch die militanten Black Pan­thers, das Massaker auf dem Campus der Kent-State-Universität und die zuneh­mend brutaleren Straßenrevolten frustrierter Studenten in Paris, Berlin und Italien verdrängt wurden, warf man die alten Hoffnungen über Bord und wandte sich einem neuen Pragmatismus zu.

Black Sabbath schienen in dieser Misere zu gedeihen: Abgesehen von gele­gentlichen Appellen an die Nächstenliebe gaben sie niemals vor, Antworten parat zu haben. Obwohl die Legende sie als zu spät gekommene Underdogs darstellt, eroberte die Band mit ihrem Debüt sehr bald die britischen Top Ten und setzte sich dort monatelang fest. Die erste Amerikatournee, die für den Sommer 1970 geplant war, wurde wegen des Mordprozesses gegen die Manson Family abgesagt. In den Vereinigten Staaten herrschte ein extrem feindseliges Klima gegenüber

gefährlichen Hippies. Den­noch stieg das Album auch in den amerikanischen Charts und verkaufte sich im ersten Jahr über eine halbe Million Mal.

Vertigo Records gaben sich alle Mühe, mehr Mate­rial aus ihren finsteren und geheimnisvollen Vertrags­partnern herauszuquet­schen, und unterbrachen die pausenlosen Tourneen der Band im September 1970 für eine weitere Auf­nahmesession. Gut einge­spielt wie immer und mit verstärkter kreativer Ent­schlossenheit trat die Band nach zwei Tagen mit dem gigantischen Paranoid auf den Plan, dem bestverkauften Sabbath-Album, auf dem Songs wie „War Pigs“, „Paranoid“ und „Iron Man“ zu hören waren. Sie wurden zu ihren Markenzeichen. Obwohl Paranoid den gespenstischen Geist von Black Sabbath beibehielt, waren die Themen des zweiten Albums weniger mystisch, dafür greifbarer. Fas­ziniert von Zerstörung und Kontrollverlust, beklagte Ozzy Osbourne mit

melancholischer Stimme das Elend der Drogenabhängigkeit in „Hand Of Doom“, den Atomkrieg in „Electric Funeral“ und quälende Kriegsneurosen in „Iron Man“. Wie das packende Titelstück auf Black Sabbath entwuchs die Seele von Paranoid ebenfalls einem okkult ausgerichteten Titel, „Walpurgis“, dessen starke Bildlichkeit Hexen bei schwarzen Messen und todbringende Zauberer – „witches at black masses“ und „sorcerers of death’s construction“ – heraufbe­schwor. Als der Song jedoch für Paranoid aufgenommen wurde, schrieb man ihn in „War Pigs“ um und machte daraus eine vernichtende Antikriegshymne, in der Politikern vorgeworfen wird, junge und arme Männer loszuschicken und sie die blutige Arbeit für Banken und Nationen verrichten zu lassen.

Sabbath waren nun erfahrener, nicht nur als Musiker, sondern auch als Sprachrohr einer Generation. Wenn Veränderung durch Musik herbeigeführt werden sollte, so wusste der Sabbath-Texter Geezer Butler, dass er Hässlichkeit an vorderster Front bekämpfen musste. Die neuen Black-Sabbath-Songs streb­ten nach Frieden und Liebe – nicht in den Blumenbeeten von Donovan und Jefferson Airplane, sondern in der harten Realität der Schlachtfelder und Ver­brennungsöfen. Ozzy Osbourne sang diese Texte wie in Trance – als läse er in den Himmel geschriebene Wahrheiten ab.

Das Billboard-Magazin schrieb gut gelaunt, Paranoid „verspricht so groß zu werden wie ihr erstes Album“, und tatsächlich knackten die Songs „Paranoid“ und „Iron Man“ beinahe die amerikanischen Top Forty der Singlecharts. Es schien, als hätten die musikalischen Veränderungen der Sechzigerjahre nur statt­gefunden, um das Publikum an die harten Prophezeiungen von Sabbath heran­zuführen. Die manische Dreiminutensingle „Paranoid“ – ein Stück, das angeb­lich schneller geschrieben als gespielt wurde – brachte das zweite Album der Band auf Platz eins der britischen und auf Platz acht der amerikanischen Charts.

Während um sie herum die Rock ’n’ Roll-Hierarchie zerbarst, fühlten sich Beobachter von der Einsicht überwältigt, dass mit Black Sabbath ein vollkom­men neues musikalisches Zeitalter begonnen hatte. „Paranoid ist ein Anker“, meint Rob Halford, der Sänger von Judas Priest, die zu jener Zeit als Birming­hamer Lokalband aktiv waren. „Es fasst die gesamte Metal-Bewegung auf einer einzigen Platte zusammen. Da ist alles drauf: die Riffs, die Stimme von Ozzy, die Songtitel, das, wovon die Texte handeln. Es ist einfach ein Klassiker, der das ganze Genre definierte.“

Schon bald nisteten sich Mitbewohner in Sabbaths riesigem Klangraum ein. Begeisterte Sabbath-Jünger, die es bis zum Vertrag für ein einzelnes Album geschafft hatten, spielten in den Studentenclubs der Universitäten und ließen dem großen Knall ein frühzeitiges und schnelllebiges Nachbeben folgen. Die bizarre Flower Travelin’ Band aus Japan und die stümperhaften Suck aus Süd­afrika nahmen schon 1970, als das Vinyl der Originalplatten kaum trocken war, Black-Sabbath-Coverversionen auf. Andere waren durch die Aussicht auf schnelles Geld motiviert, Sabbath nachzuahmen. Auf einem Album des Duos Attila von 1970 präsentierte sich Billy Joel, der junge Schnulzensänger aus Long Island (damals Rockkritiker und zeitweise Psychiatriepatient), in einem mon­golischen Kriegeranzug, spielte eine laute Hammond-B3-Orgel zu einem Hard­rockbeat und verursachte mit den Songs „Amplifier Fire“ und „Tear This Castle Down“ Ohrenschmerzen.

Vor Black Sabbath bezog sich „heavy“ eher auf ein Gefühl als auf einen besonderen Musikstil, so, wie es auch in der Hippiesprache alles bezeichnete, was mit einer starken Stimmung verbunden war. Jimi Hendrix und die Beatles schrieben oft Songs, die auf einen „heavy break“ zuliefen, einen Übergang zwi­schen Melodien, der starke widerstreitende Gefühle und Vorstellungen in Ein­klang zu bringen versuchte. Das „Metal“ in Heavy Metal brachte eine stählerne Widerstandskraft in dieses Bemühen, eine unumstößliche thematische Stärke, die Spannung und ungehemmte Emotionen gewährleistete. So, wie er durch Black Sabbath definiert wurde, war Heavy Metal ein komplizierter Sog aus Neu­rosen und Wünschen. Geformt zu einer unbeugsamen Kraft von trügerischer Einfachheit, besaß er einen unstillbaren Lebenshunger.

Was die Formulierung selbst betrifft: In seinem Roman Nova Express nannte der Beat-Schriftsteller William S. Burroughs eine Figur „Uranium Willy, the heavy metal kid“. Der Kritiker Lester Bangs, ein früher und belesener Für­sprecher von Black Sabbath, wendete den Begriff später auf Musik an. Davor war „Heavy Metal“ ein Ausdruck aus dem neunzehnten Jahrhundert, der in der Kriegsführung zur Beschreibung von Feuerkraft und in der Chemie als Bezeich­nung für neu entdeckte Elemente von hoher Molekulardichte benutzt wurde. Als John Kay von Steppenwolf 1968 in seinem Song „Born To Be Wild“ von „heavy metal thunder“ sang, beschrieb er lediglich das dröhnende Geräusch von Motorrädern. Ohne Black Sabbath war die Formulierung nur ein poeti­scher Zufall.

Es gab wenige Steine, die ein eifriger Soundarchäologe hätte umdrehen können, um Vorläufer für den revolutionären Neuanfang zu entdecken, den Black Sabbath ausgelöst hatten und verkörperten. Ein weiterer Verdächtiger für die Urheberschaft am Heavy Metal, Jimi Hendrix, stritt klugerweise jede Ver­antwortung ab. In einem Interview mit einem Journalisten kurz vor seinem Tod trat der Visionär der E-Gitarre beiseite und verkündete, Heavy Metal sei „die Musik der Zukunft“.

BLACK SABBATH

Black Sabbath wurden Ende der Sechzigerjahre im englischen Birmingham gegründet und gelten als die Erfinder des Heavy Metal. Sie waren die erste laute Gitarrenband, die sich von gerade angesagten Trends verabschiedete und die einzigartigen, stimmungsvollen Dimensionen dieses explosiven neuen Sounds erkundete. Das Originalquartett (Gitarrist Tony Iommi, Bassist Geezer Butler, Schlagzeuger Bill Ward und Sänger Ozzy Osbourne) brachte in der ersten Hälfte der Siebziger eine Reihe unerreicht einflussreicher Alben heraus. Sie waren allen anderen zwei Schritte voraus – lauter und schneller, erfindungsreicher und vielseitiger. Vor allem aber hatten sie die besten Riffs, eine unübertroffene Gitarre und Bassläufe, die man ein Leben lang nicht vergisst. Geezer Butler sagte viele Jahre später gegenüber Guitar Player: „Lars Ulrich von Metallica erzählte, er hätte als Kind nie von Led Zeppelin gehört. Er wuchs mit Black-Sabbath-Alben auf.“

Kommt zum Sabbath – die wichtigsten Ozzy-Alben:

Black Sabbath (1970)

Paranoid (1970)

Master Of Reality (1971)

Vol. 4 (1972)

Sabbath Bloody Sabbath (1973)

Sabotage (1975)

Technical Ecstasy (1976)

Never Say Die (1978)

In den Gründerjahren teilten sich Black Sabbath das Heavy-Metal-Rampenlicht mit zwei anderen englischen Bands, Led Zeppelin und Deep Purple. Ihnen vor­ausgegangen waren Cream, ein kurzlebiges, von verzerrtem Sound begeistertes

Bluestrio, das Eric Clapton 1966 gegrün­det hatte. Während Black Sabbath das Wesen des Heavy Metal entfesselten, arbeiteten Led Zeppelin und Deep Purple seine Konturen aus und verliehen ihm Sexappeal. Wie es zu jener Zeit, als Filmstars der Church of Satan beitraten, modern war, umgaben sie ihre druck­volle Musik mit allerlei Hexenkunst.

Während Sabbath Vorwürfe der Teufelsanbetung zurückwiesen, war der Zeppelin-Gitarrist Jimmy Page in das ehemalige Anwesen des hedonistischen englischen Häretikers Aleister Crowley eingezogen und hielt dort Hof. Ritchie Blackmore, der Gitarrist bei Purple, krönte sein explosives Naturell gewöhn­lich mit einem spitzen schwarzen Hexen­hut.

Led Zeppelin hatten als Inbegriff der Hardrockbands der Siebziger enor­men Einfluss auf die Entwicklung des Heavy Metal – der Samen der Band fand sich vielerorts, und das nicht nur im kör­perlichen Sinn. Jede Geste von Zeppelin war grandios – vielleicht nicht unbedingt

majestätisch, aber zumindest verlangte sie nach königlicher Aufmerksamkeit. Sänger Robert Plant, Gitarrist Jimmy Page, Bassist John Paul Jones und Schlag­zeuger John Bonham stellten übermächtige Stereotypen dar, langhaarige Hedo­nisten, deren Großtaten in dicken Rockschmökern wie Hammer of the Gods für die Ewigkeit festgehalten wurden. Fans hatten so etwas, vor allem bei den Rol­ling Stones, bereits zuvor erlebt, aber niemals so ausgeprägt. Der Nervenkitzel dabei machte es zu Metal.

Anders als beliebte Zeitgenossen wie Grand Funk Railroad, die sich damit zufrieden gaben, einfach draufloszudreschen, teilten Led Zeppelin und Black Sabbath das Gespür für Herausforderungen. Während Black Sabbath jedoch die Revolution forderten, waren Led Zeppelin eher eine Gruppe musikalischer Interpreten, weniger Initiatoren. Zeppelins liebreizendes und etwas schleppen­des Traumgedicht „Stairway To Heaven“ besaß harte Momente, nahm aber ins­gesamt eine recht anständige und entspannte Haltung ein. Black Sabbaths „War Pigs“ war andererseits ganz und gar Katastrophe, brennend und zutiefst unbe­friedigt. In ganz ähnlicher Weise stellte auch die Vorstadtszene auf der Rück­seite der Plattenhülle von Led Zeppelins IV eine buchstäblich zivilisierte Ver­sion der überwucherten Landschaft dar, die auf Black Sabbath abgebildet war. Es gab immer mehr Bands, die wie Led Zeppelin klangen – das war einfacher. „Stairway“ mag in den Siebzigerjahren das Rockradio dominiert haben, aber wenn „War Pigs“ aus der Jukebox kam, ähnelte das stets einer Zeremonie.

Im Gegensatz zu den schmucklosen Konzepten von Sabbath and Zeppelin stellten Deep Purple eine ungeheure Rock ’n’ Roll-Urgewalt dar, die sich aus der dynamischen Klangmauer von Jon Lords Hammondorgel, Ritchie Blackmores melancholischer Fender Stratocaster und Ian Gillans unvergesslichem, durch­dringendem Gesang zusammensetzte. In „Highway Star“ und „Space Truckin’“ beschrieb die Band das Hochgefühl, das schnelle Autos vermitteln; es waren Glaubensbekenntnisse der ersten Generation reicher Teenager mit Zugangs­berechtigung zu den staatlichen Autobahnen. Diese donnernden Songs schie­nen wie dafür geschaffen, die winzigen Eisenpartikel der Acht-Songs-Cartridges zu durchdringen, die damals in den USA ein beliebtes Accessoire fürs Auto­radio darstellten.

Obwohl „Smoke On The Water“ eine einwandfreie Metal-Hymne war und das Basisriff für das erste Repertoire eines jeden langhaarigen Gitarristen lie­ferte, begriff sich die Band selbst nicht als Heavy Metal. „Das waren wir nie“, sagte der Organist Jon Lord zehn Jahre später der Zeitschrift Kerrang!. „Wir haben niemals Nietenarmbänder getragen oder mit Blut in den Mundwinkeln für Fotos posiert. Solche Sachen sind okay, aber etwas für Leute, die auf einen anderen Musikstil abfahren als wir.“ Trotzdem waren Deep Purple auf In Rock von 1970 und Machine Head von 1972 nach allen Regeln der Kunst heavy und drückten elegant eine beinahe magische technologische Raserei aus.

Als die Beatles loslegten, konnten sie ihre winzigen Verstärker wegen des Lärms der schreienden Massen nicht hören. Anfang der Siebzigerjahre hatten Hersteller wie Marshall, Orange und Sunn eine Industrie begründet, die wider­standsfähigere Vakuumröhren produzierte und damit dem betäubenden Auf­schrei der Gitarren unendliche Möglichkeiten schuf. Für Sabbath, Zeppelin und Purple wurde Lautstärke selbst zu einem zusätzlichen Bandmitglied – ebenso bei dem textlich anspruchsvollen kanadischen Hardrock-Act Rush, den auf­regenden Blue Öyster Cult aus Long Island, der überzogen theatralischen Lon­doner Band Queen oder den beeindruckenden britischen Virtuosen King Crim­son. Innerhalb dieses neu entdeckten Universums waren sie die Götter, die defi­nierten, was Exzess und bombastische musikalische Zauberkunst in der Rock­musik bedeuteten. Durch ihre Karrieren setzten sie den Standard, der nicht an Hitsingles gemessen wurde, sondern an langen Reihen hart erarbeiteter Alben. Ihre wilden, erschöpfend innovativen Experimente wurden in den folgenden zehn Jahren unablässig nachgeahmt.

Sehr viele Bands bedienten sich einer ganzen Bandbreite unausgereifter Stile und wetteiferten beim Dezibelniveau mit den Flughäfen ihrer Umgebung. Ver­gessene Melodien des Proto-Metal durchzogen die Musik von The Asterix, Tita­nic (aus Norwegen), Lucifer’s Friend (aus England und Deutschland), den har­ten Krautrockern Guru Guru, den schwermütigen May Blitz (ebenfalls bei Ver­tigo), Master’s Apprentices (aus Australien), Captain Beyond (gegründet von Mit­gliedern von Deep Purple und Iron Butterfly), Bang, den relativ sanften Arma­geddon, den morbiden Texanern Bloodrock, den langlebigen britischen Bud­gie und den von Tony Iommi produzierten Nec­romandus. Diese obskuren Bands hatten die Szene mit einigen kraftvollen Ein­drücken gepfeffert, aber ihre Aufnahmeaktivitäten meist innerhalb weniger Jahre eingestellt. Dennoch hatte ihre Existenz kleinere Fan-gemeinden mit Potenzial angelockt.

Black Sabbath, die sich bereits die Trophäen für eine Million verkaufter Alben hinter die Ledergür­tel klemmen konnten, blie­ben eine gewagte und origi­nelle Band und veröffent­lichten bald schon zwei mitreißende Partyalben für katatonische Seelen. Master Of Reality brach mit dem epischen, endlosen Husten von „Sweet Leaf“ über das Jahr 1971 herein, einem Liebeslied, das dem Marihuana gewidmet war. Verankert in einigen der härtesten Riffs, die Tony Iommi je hervorgebracht hatte, sandten Sabbath ihren Friedenswunsch in die hoffnungsvolle Unterwelt der „Children Of The Grave“ und starteten temporeich in die verlorene Raumfahrtmission von „Into The Void“. Trotz ihrer Morbidität waren dies mitfühlende Songs voller Sanftheit und Stärke. Auf dem ultrazerbrechlichen und trostlosen „Solitude“ traute sich Iommi sogar wieder eine Flöte einzubauen – er hatte sie Jahre vorher aus Angst, Sabbath würden mit Jethro Tull verglichen, aufgegeben.

Das sinnigerweise Vol. 4 betitelte vierte Album wurde 1972 veröffentlicht und erstrahlte im Licht schöner akustischer Melodien. Sowohl der Kokainschrei von „Snowblind“ und das an Santana erinnernde Instrumental „Laguna Sunrise“ spiegeln den unbeschwerten Einfluss der Zeit, die Black Sabbath auf Tourneen in Amerika und besonders in Kalifornien verbracht hatten. „Wheels Of Confusion“ und „Supernaut“ jedoch beschäftigten sich ebenso intensiv mit dem Wahnsinn wie die Songs auf Paranoid. Geezer Butler lieferte Ozzy nach wie vor Texte, die tief in die Psyche drangen, und die Stimmung der Musik blieb ausgesprochen heavy. Mit Vol. 4 konnten Sabbath ihren Erfolgskurs ausbauen, das Album folgte Master Of Reality in die Billboard-Top-Twenty in Amerika. Die Band feierte ihren Erfolg und genoss zum ersten Mal die Vorzüge des Rock­stardaseins: neue Häuser, Luxusautos, Mädchen und Drogen – nach Ozzys zunehmend bizarren Verhaltensweisen zu urteilen nicht unbedingt immer in dieser Reihenfolge.

Die große Rock ’n’ Roll-Explosion schleuderte in den frühen Siebzigern kleine Heavy-Metal-Splitter über ganz Amerika, die schon zuvor bei Woodstock sichtbar geworden, bei Monterey aufgeflammt und bei Altamont in Blut getaucht worden waren. Sie kamen nun auf gigantischen Festivals wie Cal Jam zusammen – wo Black Sabbath 1974 völlig stoned im Hubschrauber einflogen, um vor vierhun­dertfünfzigtausend Fans zu spielen. Es war eine Zeit relativer Mediendürre, und Konzerte waren die einzige Möglichkeit, harte Musik selbst zu erleben. In dieser zukunftsweisenden Zeit setzte man, wenn man auf Hardrock stand, alles daran, Konzerte zu besuchen – man schwänzte die Schule, nahm sich von der Arbeit frei und fuhr so weit wie nötig, um die Katharsis live aus erster Hand zu erleben.

Superstarbands wie Led Zeppelin, die von Stadt zu Stadt jetteten, trans­portierten den Sound der Hochgeschwindigkeitsgitarren aus den kleineren Konzerthallen in die Sportarenen. Statt wochenlang in einer Reihe kleiner Clubs zu gastieren, konnten die Musiker quer durch Amerika reisen und in wenigen Monaten vor der Hälfte der gesamten Teenagerbevölkerung des Landes spie­len. Das bedeutete auch, dass man keinen festen Wohnsitz hatte. Auf ihren Tourneen lernten Rockstars, ein Leben auszuhalten und zu genießen, das sich ausschließlich in Garderoben und Motels abspielte, während sie den Vorsitz bei der acidgetränkten Entstehung einer riesigen Konzertkultur übernahmen. Die Fans taten das Ihre, übernachteten vor den Kartenverkaufsstellen in Schlaf­säcken, schmuggelten Grass und Schnaps in die Hallen und verhandelten über den Zutritt zum wilden Paradies hinter der Bühne.

1975 verblasste die Macht von Deep Purple, als Ritchie Blackmore ausstieg und Rainbow gründete, eine von mythologischen Elementen inspirierte Band.

Von Elf warb er den jungen Sänger Ronnie James Dio ab, der sich ganz der Dekadenz jener Zeit hingab. Er war mit Ronnie Dio and the Prophets in den Sechzigern im länd­lichen Norden des Bundes­staats New York ein Teenidol gewesen, aber von Liebes­tränken wie „Love Potion #9“ war das neue Gebräu weit ent­fernt. „Bei Rainbow war ich ja noch sehr jung und hatte das erste Mal die Chance zu erle­ben, was Erfolg ist. Ich hatte so etwas ja noch nie gesehen“, sagt Dio. „In der Anfangszeit ging’s darum, Fernseher aus dem Fenster zu werfen. Wir dachten halt: ‚Hey, wir können das jetzt einfach machen? Okay!‘ Es ist blöd, echt, wenn man drüber nachdenkt. Man sollte ja Rockstar sein, und das hat man dann eben gemacht. Man hat die ganze Nacht gevögelt, mit allen, und Sex war wunderbar. Es gab kein Aids – schlimmstenfalls konnte man sich ’nen Tripper holen. Wir lebten das Leben, das Zeppelin und Sabbath und Purple uns vorgemacht hatten.“

Außerhalb des Allerheiligsten beobachtete die Öffentlichkeit, wie die bei Rockkonzerten entfesselte Energie auf die Gemeinden in der Umgebung über­griff und kleinere Aufstände losbrachen. Spätere Heavy-Metal-Musiker, damals noch unschuldige, naive Jungs, erinnern sich an Straßenschlägereien. Thomas Fischer alias Tom Warrior, der später Celtic Frost gründete, ging zu dieser Zeit noch in der Schweiz zur Schule. „Anfang der Siebziger habe ich Deep Purple gesehen“, erzählt er, „und in den Nachrichten wurde gezeigt, dass die Konzert-halle hinterher kurz und klein geschlagen wurde. Ich erinnere mich, dass Eltern total ausgeflippt sind, wenn sich ihre Kinder so etwas angehört haben.“

Nachdem sich der revolutionäre Geist der Sechzigerjahre in eine lockerere, liberalere Haltung gegenüber Drogen, Sex und bacchantischer Pracht verwandelt hatte, widmete sich Amerika in den Siebzigern dem leichten Leben – eine Wohl­tat angesichts der sozialen Veränderungen der jüngeren Vergangenheit. Rock­musik, von jeher eine Bastion jugendlicher Rebellion, wurde schnell zum ersehn­ten Lebensstil, und die konservative Mittelklasse wusste nicht, wie sie damit umge­hen sollte. Eine verzweifelte Mutter, deren Tochter davongelaufen war, um mit langhaarigen Rockern in einem Tourbus zu leben, wandte sich auf der Kummer­kastenseite einer Zeitung an die Ratgeberkolumnistin Ann Landers, die ihr riet, die Tochter nicht zu verstoßen. Stattdessen solle sie die Schmach ertragen, die ihr die widerspenstige Jugend zufügte, sei es auch nur um der vielen unvermeidlichen unehelichen Kinder willen – eine triste Perspektive für die junge Freiheit.

Während Teenager mit ihrer Vorliebe für Sex und Drogen Erwachsenen allerorts einen Schrecken einjagten, versetzten die okkulten Aspekte des Heavy Rock besonders die Bewohner der bibeltreuen US-Gebiete in Angst. „In den Siebzigern war es keine leichte Aufgabe, nach Miami oder Baton Rouge in Loui­siana zu fahren oder nach Corpus Christi in Texas zu reisen“, meint Bill Ward, der Schlagzeuger von Sabbath. „Wir mussten den Bürgermeistern Rede und Antwort stehen. Wir bekamen ständig Auftrittsverbot. Sie hatten Angst vor uns. Die haben wirklich gedacht, wir würden sie mit einem Fluch belegen. Wir beka­men es mit vierzig oder fünfzig Bullen oder so zu tun.“

Die auffälligsten Rocker reagierten auf die bürgerliche Entrüstung, indem sie die Grenzen des Geschmacks weiter dehnten und den Angstfaktor verstärk­ten. Der wunderbar schauerliche Alice Cooper trat in die hochhackigen Fuß­stapfen der Crazy World Of Arthur Brown und entwickelte eine blutrünstige Bühnenshow, die mit kostümierten Zwergen und Eimern voller Blut auf dem französischen Grand-Guignol-Straßentheater des neunzehnten Jahrhunderts aufbaute. 1975 hatte Cooper sich dahin gehend gesteigert, dass er allabendlich auf der Bühne seinen eigenen Selbstmord vortäuschte. „Es schien, als wäre er gar kein Mensch“, sagt der Metaller Kim Bendix Peterson alias King Diamond, der sein Gesicht hinter einer Maske aus Schminke verbarg. „Wenn man ihn berührt hätte, hätte er sich wahrscheinlich in Luft aufgelöst. Es kam einfach so wahnsinnig gut rüber.“

Eine opportunistische Gruppe von New-Yorkern namens Kiss intensivierte Alice Coopers Bemühungen und setzte dem Durchschnittsamerika ein völlig durchgeknalltes Image vor die Nase. Das silberne Make-up der Band, die Glit­zerkostüme und die speziell angefertigten Gitarren gaben dem Rockgemisch aus langen Haaren und Leder einen kräftigen Schuss Raumfahrtzeitalter und NASA und fassten zwei große Sechziger-Ereignisse in Form einer spektakulä­ren Entfesselung zusammen – die Mondlandung und die Erfindung lauter Gitarren. Die ersten drei Kiss-Alben, die zwischen Februar 1974 und August 1975 entstanden – Kiss, Hotter Than Hell und Dressed To Kill – verkauften sich eher schleppend. Der nächste Streich war das böse und gemeine Doppel-Live­album Alive!, das ebenfalls 1975 erschien und wegen der Überzeugungskraft lauter, eingängiger Lieder wie „Deuce“ und „Cold Gin“ Platin erhielt. Es han­delte sich um Rockbonbons mit Heavy-Metal-Zuckerguss, eine Art Kaugummi mit Black-Sabbath-Geschmack.

Kiss wendeten sich an ein Publikum, das zu jung war, um Vietnam zu ver­stehen. Die an Cartoon-Ästhetik angelehnte Bühnenshow strotzte nur so von ägyptischen Katzenstatuen, Kristallgebilden und verfallenen Steinmauern. Es war ein finanzielles Risiko, das man zugunsten eines unvergesslichen Ereignis­ses auf sich nahm. „Als wir anfingen, waren die Leute einfach nur verwirrt“, meint der Gitarrist Stanley Eisen alias Paul Stanley. „Wir trugen Plateaustiefel. Unser Make-up war absurd. Der größte Künstler in Amerika war damals John Denver. Wir waren nicht cool, aber wir waren von unserer Sache überzeugt. Es war eine Kamikazemission. Wir ließen uns keine andere Wahl, als erfolgreich zu sein. Es hätte entsetzlich schief gehen können.“

Die Destroyer-Tour schlug 1976 den Bogen zwischen jung und hungrig auf der einen und überlebensgroß auf der anderen Seite. Trotz ihrer extravagan­ten Plastikpräsenz wateten Kiss noch immer im Schlamm – bei einer Show in El Paso, Texas, spielte die Gruppe vor zehntausend Grenzstadtarbeitern in einer Scheune, die sonst regelmäßig für Viehauktionen genutzt wurde. In diesem Sommer kämpften Kiss in ganz Amerika einen Lautstärkekrieg, überdröhnten Vorbands wie Bob Seger und Ted Nugent und zahlten später die doppelte Stromrechnung für ihren gleißend hellen Bühnenhintergrund aus grellen Scheinwerfern. In einer Zeit, in der es noch keine allmächtige Konzertkarten­agentur wie Ticket Master, keine professionellen Sicherheitsunternehmen oder Metalldetektoren gab, trafen Kiss auf ein schlecht organisiertes Chaos. Am Ende waren sie Superstars und halfen bei der Entstehung einer professionellen Kon­zertkultur, die zur Nabelschnur des Heavy Metal wurde.

Das Make-up, das Blut und das Feuer hinterließen einen unauslöschlichen Eindruck bei den Fans, von denen viele die Musik zuvor überhaupt nicht gehört hatten. Kiss überbrückten die sich vergrößernde Kluft zwischen den Genera­tionen mit Merchandise, schufen Puppen, Schlafanzüge, Kaugummiaufkleber, ein Gesellschaftsspiel, ein von Marvel veröffentlichtes Comicheft und einen Flipperautomaten. Längst waren sie kostümierte Überwesen und wurden bald Stars ihres eigenen Sciencefiction-Films, Kiss Meets the Phantom of the Park. Bald gehörte es zum Initiationsritual in amerikanischen Grundschulen, Kinder­buchautor Dr. Seuss den Rücken zu kehren und sich stattdessen für „Dr. Love“ zu entscheiden. Derart geprägt, wendete sich ein riesiger Teil der Bevölkerung nach dem Ende der Kindheit mit versengten Augen dem Heavy Metal zu – in der Erwartung, dort denselben Schock und Donner zu erleben.

Black Sabbath boten dem Hörer mehr als nur drei Akkorde und eine gute Show – aber Sounds von ähnlicher Durchschlagskraft musste das Publikum noch immer suchen. Mitte der Siebziger konnte man die Heavy-Metal-Ästhetik wie ein mythisches Ungeheuer in dem traurigen Bass und den komplexen Gitarren von Thin Lizzy, der Bühnenkunst von Alice Cooper, der zischenden Gitarre und dem protzigen Gesang bei Queen oder den wuchtigen mittelalterlichen The­men bei Rainbow entdecken. Dann kamen Judas Priest 1974 im Gefolge von Black Sabbath aus Birmingham und vereinigten und erweiterten die verschie­denen Highlights auf der Klangpalette des Hardrock. Zum ersten Mal wurde Heavy Metal ein wirklich eigenständiges Genre.

Judas Priest stellten die schleppende Wucht von Deep Purple in den Dienst eines bedrohlichen Angriffs, neben dem die theatralischen Höhen von Led Zep­pelin im Vergleich wie kleine Scharmützel wirkten. Nichts zuvor kam an das Tempo von Glenn Tipton und K. K. Downings Gitarren oder die großartige Theatralik in Rob Halfords phänomenaler Stimme heran. Judas Priest schöpf­ten die intensivsten Momente aus der Vergangenheit in einen Kessel und mix­ten sie zu einer neuen magischen Art der Wahrnehmung zusammen.„ Ich habe meine Gesangstechnik eigentlich beim Singen erfunden“,sagt Rob Halford.„Ich habe mich nie nach Leuten umgesehen, die sich cool anhörten, und dann ver­sucht, genauso zu klingen.“

Judas Priest machten kein Geheimnis aus ihrem Ziel: Sie wollten die ulti­mative Heavy-Metal-Band der Welt sein. Dabei bestanden durchaus einige wit­zige Verbindungen zu Sabbath. Die hatten beispielsweise der jüngeren Band ihren Probenraum überlassen, und ein Judas-Priest-Musiker hatte kurzzeitig mit Earth zu tun, der Band, aus der Black Sabbath entstanden war.

Verglichen mit Sabbath jedoch war die Musik von Judas Priest sehr formal, streng um Breaks, Bridges und dynamische Höhepunkte herum organisiert. Wäh­rend sich Black Sabbath eher nach „Gefühl“ richteten und nicht nach einem steti­gen Metronomtakt, bevorzugten Judas Priest eine stark geordnete Herangehens-weise. Bei dem melodischen, bewusstseinserweiternden Zusammenspiel von Tip­ton und Downing wurden zwei Leadgitarren wie Schnitzwerkzeug verwendet, um den Sound bei hoher Dezibelstärke geschickt herauszuschneiden und zu formen. Jeder sengende Break der Leadgitarre war in eine perfekte Songvertiefung einge­lassen,die den Weg zu neuen unverwüstlichen Kreationen wies.Anders als bei den ausgesprochen urwüchsigen Black Sabbath eiferten junge Musiker Priest nach, ohne aber wie deren Kopie zu klingen – das erstaunliche Repertoire musikalischer Techniken verlangte nach eingehenderer Beschäftigung mit der Band.

So, wie bei Paranoid Politik und Machtkämpfe angesprochen wurden, so bediente sich Rob Halford beim Erzeugen der unheimlichen Momente auf Sad Wings Of Destiny bei den Ausführungen von Sunzi (Die Kunst des Krieges) und den Dramen von Shakespeare. Er entzündete sie mit glühendem Gesangs­feuerwerk. „Ich bin mit außergewöhnlichen Stimmbändern gesegnet, mit denen ich einige bizarre Sachen anstellen kann“, sagt Halford, „und ich versuche immer eher, von Song zu Song zu sehen, was man anders und neu machen kann. Es ging vor allen Dingen immer ums Experimentieren.“

HARDROCK

Dutzende früher Zeitgenossen von Black Sabbath beteiligten sich an der Entwicklung dessen, was später als Heavy Metal bezeichnet werden sollte. Einige orientierten sich am Blues wie Led Zeppelin und Deep Purple; King Crimson, Queen, Rush und andere verwendeten Elemente klassischer Musik. Blue Cheer und die Stooges drehten dagegen einfach ihre Verstärker bis zum Anschlag auf und ließen es scheppern. Alle waren langhaarig und laut, trugen Schlaghosen und hatten Courage. Sie hatten sich vorgenommen, die Rock ’n’Roll-Explosion der Sechziger in zehnfacher Lautstärke zu überdröhnen. Selbst als ihre Musik schließlich in Vergessenheit geriet, blieb Heavy Metal der Kühnheit dieses Pionierzeitalters verpflichtet.

Freakografie:

Alice Cooper, Killer (1971)

Blue Cheer, Vincebus Eruptum (1967)

Blue Öyster Cult, Tyranny And Mutation (1973)

Deep Purple, Machine Head (1972)

Flower Travelin’ Band, Satori (1972)

Hawkwind, Hall Of The Mountain Grill (1974)

Jimi Hendrix, Electric Ladyland (1968)

King Crimson, Starless And Bible Black (1974)

Led Zeppelin, IV (1971)

Queen, A Night At The Opera (1975)

Rush, 2112 (1976)

The Stooges, Raw Power (1973)

Cream, Disraeli Gears (1967)

MC5, Kick Out The Jams (1969)

Obwohl die „flashing senseless sabers“ in „Genocide“ als Schlachtfeldfanta­sie aufgefasst werden konnten, wurde der Song im selben Jahr geschrieben, in dem Pol Pot den Gefängnisstaat Kambodscha von ethnischen Minderheiten „säu­berte“ und viele dieser eineinhalb Millionen Menschen mit Schwertern ent­hauptet wurden. Denn darin bestand die Mission des Heavy Metal: sich dem gan­zen Bild zu stellen – eine Verbindung zwischen dem Leben und dem Kosmos zu schaffen. Wenn es Liebeslieder gab, dann waren es epische Erzählungen, keine Oden oder niedliche Teenagergeschichten über Liebe im Limoladen. Konflikte wurden in den Texten immer im großen Maßstab behandelt, was in den Siebzi­gerjahren bedeutete, dass man auf Despoten, Diktatoren und antidemokratische Watergate-Einbrecher eindrosch.„Ich habe Rock immer als Form der Revolution jüngerer Leute gegen das Establishment verstanden“, sagt der Metaller Tom War­rior von Celtic Frost.„Obwohl es heute natürlich eine einzige große kommerzielle Maschinerie ist, steckt dieser Geist noch immer in mir drin. Das kann ich nicht verleugnen, weil ich mit dieser Vorstellung groß geworden bin.“

Andere Heavy-Metal-Bands der neuen Generation waren skrupellos ketze­risch und mussten sich sehr harscher Kritik stellen. Nach ihrem Space-Rock-Debüt 1972 komprimierten die deutschen Hardrocker Scorpions achtminütige Jams zu gitarrengetriebenem Overdrive. Sie flirteten mit Tabus. Auf ihrem Album Virgin Killer von 1976 war ein nacktes vierzehnjähriges Mädchen mit einer zer­brochenen Glasscheibe vor ihrer pubertären Schamgegend zu sehen – prompt wurde die Platte in Amerika verboten. Das Bild war eine Überzeichnung der vor­herrschenden Haltung gegenüber sexueller Experimentierlust, und die Musik zeugte von einer wilden neuen Mentalität, die lautstark erregende Konzepte for­derte. Das Heavy-Metal-Publikum wollte geschockt werden, und es sehnte sich nach dem Reiz schwieriger Themen. „Wir haben andere Bands wie Deep Purple und Led Zeppelin respektiert, aber wir wollten es anders machen“, sagt Rudolf Schenker, Gitarrist der Scorpions. „Wir waren eine andere Generation.“

Black Sabbath, die vorzeitig als Minimalisten abgestempelt wurden, behaup­teten ihre metallische Meisterschaft auf ihrem sechsten Album, dem 1975 erschie­nenen Sabotage. Die Band raste wie von realen Albträumen bedrängt durch die­ses Album, verfolgte dabei aber den Weg, den sie mit Sabbath Bloody Sabbath 1973 beschritten hatte, konsequent weiter. „Hole In The Sky“ und „Symptom Of The Universe“ waren seit langem überfällige, eindringliche psychedelische Meister­werke einer Gruppe, die allmählich neue Realitäten schuf; das vorherrschende Thema auf Sabotage war jedoch die protzige Darstellung der eigenen Größe gegenüber kalten, finanzstarken Eindringlingen – die übermächtige Klaustro­phobie in „Megalomania“ und „The Writ“ schubste die Anwälte und Manager weg, welche die Band hatten ausbluten lassen. Zu diesem Zeitpunkt durchlebten Sabbath die für Rockstars typischen ersten Scheidungen und Drogenzusammen­brüche, und „Am I Going Insane“ dokumentierte Ozzys Moment der Klarheit, nachdem er die gesamte Zeit von 1972 bis 1974 angeblich im LSD-Rausch ver­bracht hatte. Sabotage war ein Höhepunkt für die Band. Black Sabbath, die bei dem opulenten „Supertzar“ vom English Chamber Choir unterstützt wurden, behaupteten stolz ihren Wahn und ihre Größe.

Judas Priest traten aus dem Schatten ihrer Mentoren heraus und präsen­tierten sich auf der 1978 erschienenen Stained Class mit einem rundum moder­nisierten Sound. Als Kommentar auf das Informationszeitalter bildete das Cover einen metallischen, menschenähnlichen Kopf ab, der von bunten Licht­strahlen durchbohrt wurde. Statt protestierend gegen die herrschenden Mächte aufzuschreien, sprachen Songs wie „Exciter“ und „Saints In Hell“ vom autori­tären Standpunkt aus und schwenkten die unnachgiebige Kraft der Musik wie eine Waffe. Obwohl Ozzy Osbournes Stimme eine bemerkenswerte emotionale Qualität besaß, wurde er im Allgemeinen nicht als begabter Sänger betrachtet; Rob Halford jedoch perfektionierte den brennenden, vibrierend-erschüttern­den Gesangsstil, der von gespenstischem Heulen bis zum wütenden, gepressten Knurren reichte. In Kombination mit modernen Studioeffekten und dem Zwie­gespräch der knackigen Gitarren von Tipton und Downing führte die Verbin­dung von Talent und Technik zu genialem Metal-Sound auf höchstem Niveau.

Da Heavy Metal in der Presse noch immer marginalisiert wurde, richtete er sich an ein noch unentdecktes Publikum – und Künstler aus dem Metal-Sektor begannen sich auf der Suche nach ihrer Gefolgschaft zu langen Konzerttourneen zusammenzutun. „Mit jedem weiteren Album haben wir wirklich und wahr­haftig mehr und mehr Metal-Fans geschaffen“,meint Rob Halford.„Damals gab es keine breite Metal-Kultur. Wir fuhren durch England und Europa und schließ­lich rüber nach Amerika, und die Leute sprangen auf diesen brandneuen Stil und Sound erst sehr langsam an. Jede Generation sucht nach einer Musik, die sie ihrem Lebensgefühl zuordnen kann, sie will sich mit etwas identifizieren, das nur ihr gehört – und so entstand die Beziehung zu unseren ersten Fans.“

Die Nahrung, von der Heavy Metal während seines langen Lebens zehren sollte, war bereitgestellt. Als Black Sabbath auftauchten, war der Sound eine Abweichung, die viele nachahmten, aber kaum weiterentwickelten und aus­bauten. Mit der Ankunft von Judas Priest wurde aus Heavy Metal eine voll aus­gereifte Bewegung, die ihre Flugbahn von A nach B zurückverfolgen konnte. Als sich die nächste Welle von Bands auf den Weg machte, glich die Bewegung einer Lawine, die sich mit wachsender Wucht ihren Weg bahnte.

Gegen Ende der Siebzigerjahre fiel der Name Black Sabbath in Großbritannien häufig, wenn neue Bands über ihre Einflüsse sprachen – dennoch versagte die Band als Einheit. Die siedende Energie einer neuen Generation von Bewunde­rern hätte den Lebensgeistern von Sabbath Auftrieb geben können, allerdings hatte die Band 1976 England verlassen und war nach Los Angeles gezogen, um die exorbitant hohe britische Einkommensteuer zu umgehen. Ozzy, Iommi, Butler und Ward waren zu weit entfernt und erlebten die damalige Musikszene Großbritanniens der späten Siebzigerjahre wie abwesende Väter – nur bei gele­gentlichen Besuchen. Die abgeschlossene Welt, in der sie lebten, begann sich aufzulösen, und zehn Jahre der Tourneen, persönliche Isolation, juristische Pro­bleme und der Missbrauch harter Drogen forderten ihren Tribut.

Ozzy Osbourne, der sich in sein Alkoholikerdasein verkrochen hatte, verließ Black Sabbath vor den Aufnahmen für Never Say Die von 1978 und wurde kurzer­hand durch den Sänger von Savoy Brown, Dave Walker, ersetzt. Zwar kehrte Ozzy zurück, um das Album fertig zu stellen, verließ Sabbath aber endgültig im Anschluss an eine katastrophale Tour durch Großbritannien, die sich nieder­schmetternd auf die Stimmung der Band ausgewirkt hatte. Eine merkwürdige New-Yorker Band namens The Ramones spielte in jenem Jahr als Sabbath-Vor­gruppe in den Vereinigten Staaten, während Van Halen aus Los Angeles – die sich ursprünglich nach einem Instrumentalstück auf Paranoid Rat Salad genannt hatten – anlässlich ihres zehnjährigen Bestehens im Vorprogramm von Sabbaths Englandtournee auftraten. Die athletischen Auftritte von Van Halen stellten die alternden Dämonen aus Birming­ham Abend für Abend in den Schatten. „Die waren so gut“, sagt Ozzy, „und wir waren am Ende unse­rer Kräfte.“

Die beiden letzten Alben der Ozzy-Ära, Never Say Die und Tech­nical Ecstasy von 1976 zeigten eine erschöpfte Band. Es scheint, als hätten sich Black Sabbath auf dem siebten Album ausge­ruht – und auf dem achten schon wieder. Die mitreißende Härte von Sabotage machte einem lässigen, bluesartigen Swing Platz, der den Zuhörern eine Ver­schnaufpause gewährte; die großartig beklemmenden Gefühle wurden durch Zuversicht ersetzt. Die Band wollte den Fortschritt, zog sich dann aber doch wieder oft auf reine Therapie zurück. Wie Let It Be von den Beatles war es der Sound alter Freunde, die sich gegenseitig bei einer allerletzten Runde unter die Arme griffen. Bill Ward erinnert sich sogar daran, bei den Aufnahmen für Never Say Die als Orientierungshilfe für Ozzy Gesangsspuren eingesungen zu haben.

Als Ozzy Osbourne Black Sabbath schließlich verließ, war es mehr als nur das Ende einer Ära. Mit seinem Weggang verschwand die persönliche Chemie, die seit der Zeit bestanden hatte, als der Schulhofrüpel Tony Iommi Ozzy als Teenager verprügelte und die acht Alben lang Musik in eine schwermütige, dröhnende, neue, verheerende Tiefe getrieben hatte. Ob Black Sabbath ohne Ozzy weitermachen würden, stand nicht fest. Wer auch immer seinen Platz ein­nehmen würde – wenn die Band überhaupt ohne ihn weitermachen wollte –, musste in die Fußstapfen eines Riesen treten.

So, wie sich die Beatles trennten, löste auch Ozzy die Band auf, indem er die Anweisungen für ein neues musikalisches Protokoll einprogrammierte. Obwohl sie vorübergehend selbst nicht am Drücker waren, beeinflussten Black Sabbath weiterhin die jüngere Generation, wenn auch von der anderen Seite des Ozeans. Wie sich herausstellen sollte, wurde Heavy Metal immer wieder am besten aus der Ferne inspiriert – von dort, wo starke Eindrücke, Erinnerungen und Bilder dazu führen, dass die Fantasie Amok läuft. Als immer mehr Bands auftauchten, die sich die von Sabbath in Gang gesetzten Kräfte zunutze mach­ten, sollten schließlich der Erfolg und die Exzesse aller anderen Hardrock-Supergroups der Siebzigerjahre daneben verblassen.

PROTO-METAL DER SIEBZIGER

Ende der Siebzigerjahre spürten junge Bands die Härte in den unerforschten Felsspalten auf, welche die Dinosaurier des Hardrock hinterlassen hatten. Kiss und AC/DC komprimierten die großartigsten Sounds der Vergangenheit zu mundgerechten Hymnen. Judas Priest und die Scorpions fügten elektrifizierende, sich duellierende Gitarren hinzu – eine unglaubliche neue Dimension, die schließlich das Fundament des Heavy-Metal-Songwritings bildete. Obwohl sie wie Hardrocker aussahen, schufen diese Bands die Grundlage für etwas Neues. Ihre Texte waren weniger abstrakt und stärker dem Leben verpflichtet, wie es sich tatsächlich auf den Straßen abspielte. In den Siebzigern gewannen sie an Macht, nacheinander ließen sie die schleppende Gangart des Hardrock hinter sich und gingen ganz und gar zum Heavy Metal über.

Aller Anfang ist hart:

AC/DC, If You Want Blood, You’ve Got It (1978)

Judas Priest, Sad Wings Of Destiny (1976)

Kiss, Double Platinum (1978)

Led Zeppelin, Presence (1976)

New York Dolls, New York Dolls (1973)

Rainbow, Rising (1976)

The Runaways, Queens Of Noise (1977)

Scorpions, In Trance (1975)

Scorpions, Tokyo Tapes (1978)

Robin Trower, Live (1976)

UFO, Lights Out (1977)

Bloodrock, 3 (1971)

Thin Lizzy, Jailbreak (1976)

Das Cover von Black Sabbaths Evil Woman

Ritchie Blackmore bei Rainbow (Roy Dressel Photography)

Black Sabbath um 1973 (Warner Bros.)

Ronnie James Dio (Roy Dressel Photography)

Das Programm der Never Say Die-Tour (aus der Sammlung von Omid Yamini)

Ozzy Osbourne 1977 (Austin [Hardrock69] Majors)

II: England rockt hart: die New Wave of British Heavy Metal

1977: Die erste offizielle Motörhead-LP wird veröffentlicht

1980: British Steel von Judas Priest krönt einen Reigen hervorragender LPs, darunter Iron Maidens gleichnamiges Debüt, On Through The Night von Def Leppard, Wheels Of Steel von Saxon und Ace Of Spades von Motörhead

20. Februar 1980: AC/DC-Sänger Bon Scott stirbt

Juni 1981: Die erste Ausgabe von Kerrang! wird in London veröffentlicht

1981: Judas Priest und Iron Maiden touren durch Nordamerika

Als Judas Priest und andere Mitte der Siebziger den Heavy Metal von sei­nen Hardrockwurzeln befreiten, war eine andere musikalische Revolution, Punk genannt, ebenfalls mit Großreinemachen im Hause Rock ’n’ Roll beschäf­tigt. Punk ging mit schlichter visueller Brutalität gegen den überentwickelten Fließbandglamour von Millionärsbands wie Kiss und Led Zeppelin vor: grelle Haarfarbe, Sicherheitsnadeln, die als Schmuck getragen wurden, teilweise rasierte Schädel. Es war ein Mischmasch, eine zusammengewürfelte Musik­mode, welche die kulturellen Werte übertrieb und hinterfragte, das Anständige umkehrte und das Kranke feierte.

Wie bei der Ted- und der Mod-Szene zuvor befanden sich auch die Bouti­quen der Punks in den Londoner Modevierteln im Zentrum der Stadt – besonders wichtig war der von dem Sex-Pistols-Manager Malcolm McLaren gegründete Laden auf der King’s Road. Als sich der Punkrock Ende der Siebzi­gerjahre nach New York und Los Angeles verlagerte, brachte er persönliche Stile und Moden durcheinander und entzündete eher eine soziale Rebellion, als dass er eine musikalische Revolution auslöste. Vor allem aber erlaubte Punk seinen Vertretern die Freiheit, so zu spielen, wie sie wollten, und offen ihre Meinung zu sagen. Mitglieder der großen Punkbands Sex Pistols und The Clash hatten vor dem befreienden Ausbruch des Punk in den Pubs Hardrock gespielt. Dem­entsprechend schockierten Hymnen wie „Anarchy In The UK“ und „London Calling“ sehr viel weniger durch ihren Sound als durch das, was sie über die Zustände in Großbritannien aussagten.

Für Bands wie die süffisanten Fall oder die strengen Wire war musikalische Einfachheit bereits eine Aussage an sich. Bei anderen wie X-Ray Spex war sie bedingt durch ihre Unerfahrenheit. Für die radikalen Black Flag aus Los Angeles bedeutete ein derart mangelndes Interesse an musikalischem Können eine Ein­schränkung. Gitarrist Greg Ginn sagte gegenüber L. A. Weekly: „Ich dachte, wenn man sich schon eine Band schimpft und behauptet, Musik zu machen, dann ist es nicht zu viel verlangt, dass man an fünf Abenden pro Woche ein paar Stunden übt. Aber viele Leute haben gedacht: ‚Na ja, wir machen lieber Party oder hängen rum oder so.‘ Und im Punkrock gab es diese Mentalität sehr oft: ‚Warum muss man denn so viel üben?‘ Die angesagte Einstellung war ja schließ­lich: Alles ist nichtig, und das Leben ist nichts wert, also warum soll man sich die Mühe machen und üben?“

Viele Brandreden im Punk waren unausgegorene Heavy-Metal-Versuche. Die Londoner The Damned verwendeten zum Beispiel harte Powerakkorde in ihren Stücken, und der gespenstische Sänger Dave Vanian hatte sich bleich geschminkt und kleidete sich wie ein Vampir. Auf die Idee, eine Band zu grün­den, kamen The Damned – wie die meisten britischen Punks – durch die Ramones, ein Quartett aus Queens, New York, deren Großbritannientour 1976 das Schneller-und-lauter-Zeitalter einläutete. Gekleidet in eine Uniform aus Bluejeans und schwarzen Motorradlederjacken, verheimlichten die Ramones ihre Liebe zu Black Sabbath nicht. Sie leiteten ihr hartes, treibendes Repertoire, das zudem deutliche Spuren ihrer Schwäche für die Rockerbands der Fünfziger und für Doo-Wop trug, beinahe vollständig aus den durchdringenden Akkor­den von „Paranoid“ ab.

Das Interesse der Musikszene für Heavy Metal, das ohnehin nie groß gewe­sen war, verschwand vollkommen, als sich die Majorlabels darum rissen, alles unter Vertrag zu nehmen, was einen Irokesenschnitt und Sicherheitsnadeln vor­zuweisen hatte. Die Sex Pistols verspotteten eine der sie inzwischen verklagen­den Firmen mit dem Song „EMI“ und stichelten auch dann noch gegen die Kapitalisten, als sie gerade selbst versuchten, einen besseren Vertrag auszuhandeln. Nach nur drei Jahren jedoch war die Schlacht am Punkbuffet vor­bei, die ungehobelte Revolte hatte sich selbstzerstörerisch aufgerie­ben. Der Bassist der Sex Pistols, Sid Vicious, starb des Mordes angeklagt und auf Kaution auf freiem Fuß; die Band und ihr Gefolge hatten sich in alle Winde zerstreut. „Ich glaube, Punk war wichtig, sei es auch nur, um zu zeigen, wie ein Crash-and-burn-System in der Rockmusik funktio­niert“, meint Rob Halford von Judas Priest. „Das war aber auch schon alles. Es gab da nur wenige große Momente von bleibender Bedeutung.“

Trotz der spastischen Spuckerei auf den Straßen machte sich im Punk genau der Snobismus breit, den Black Sabbath zehn Jahre lang gemieden hatten. Nach­dem die Punks vom Erfolg gekostet hatten, gewann Standesbewusstsein die Ober­hand über die Drohgebärden. Wie die Rolling Stones einige Jahre zuvor legten sich jetzt auch Punks Grundbesitz zu und gingen musikalisch dazu über, ihre Ideen bei der jamaikanischen Reggaemusik zu klauen. „Die Überalterung ist dem Punk schon eingebaut“,meint Paul Stanley von Kiss,„dadurch,dass man darüber singt, ein Habenichts zu sein.Aber durch den Erfolg hat man plötzlich was,und die Wut darüber, dass man arm ist, wird ganz schnell begraben, sobald sich die Platte ver­kauft. Die Idee ist toll, genau wie die Wut und die Emotionen, aber letztlich muss man sich weiterentwickeln, und die Musik muss für sich sprechen können.“

Punk erneuerte das englische Verständnis der eigenen musikalischen Iden­tität und brachte eine frische Welle von rudimentärem Heavy Metal ins Rollen. 1977, im selben Jahr, in dem das Label auch The Damned erstmals vorstellte, veröffentlichten Stiff Records das Debütalbum von Motörhead, einer Band, deren Hingabe an Extreme selbst Punkrock zahm und zahnlos wirken ließ. Der Chef von Motörhead, Ian Kilminster alias Lemmy, war ehemals Roadie der Jimi Hendrix Experience und ein beliebtes Mitglied der LSD-erprobten Space-Rock­Hilfsarbeiter Hawkwind gewesen. Lemmy – mit Warzen im Gesicht und Zahn­lücken im Mund – setzte sich mit einer Tätowierung über die Regeln natürlicher Schönheit hinweg und bildete noch einen wesent­lich stärkeren Gegenpol zu hübschen Rockstarjungs als die gemeinen Burschen Johnny Rotten und Sid Vicious von den Sex Pistols. Er war ein schlagfertiges und charismatisches Argument für ein gefährliches Leben und wurde zum Groß­herzog der dreckigen Gleichgültigkeit; Fans imitierten seine Outlawkleidung aus Patronengürteln, Jeanswesten, Cowboyhemden und Motörhead-Aufnähern.

Die ungehobelten, langhaarigen Mitglieder von Motörhead waren sich der Kluft zwischen Black Sabbath und der Punkexplosion durchaus bewusst und gaben sich mit hämmernden Bassakkorden, verzerrten Gitarren und donnern­dem Schlagzeug einem Speedgelage hin. Lemmy, der mit Politik ebenso wenig am Hut hatte wie mit mythischen Helden, sang mit Schottersteinen anstelle von Stimmbändern und erzählte in verdorbenen Songs von Sex, Drugs und Rock ’n’ Roll. Die ersten drei furiosen Motörhead-Alben – Overkill, Bomber und Ace Of Spades – setzten sich in den englischen Musikcharts fest und machten den Metal-Fans klar, dass eine Band kommerziell erfolgreich sein konnte, ohne ihre ungeglättete Energie und Integrität dafür opfern zu müssen. Black Sabbath hat­ten den Heavy Metal eingeführt, Judas Priest verliehen ihm Glanz, und Motör­head stabilisierten ihn mit neuem Mumm. Heavy Metal schluckte den Punk­rock und drängte weiter voran.

PUNKROCK

Punkrock war ein kurzer enthusiastischer Ausbruch mit dem Ziel, die übersättigte Rockszene zu stürzen. Er eroberte London, New York und dann Los Angeles und ersetzte die pseudowissenschaftliche musikalische Hexerei durch einen optisch sehr schroffen Stil. Punk vertrat einen äußerst eigenen Look – man hätte die Sex Pistols und The Clash für Barbands halten können, hätten sie keine orangefarbenen Haare oder rasierte Schädel gehabt. In Kalifornien bewiesen Bands wie Black Flag, Germs und X, dass das Leben nicht allein aus Strandpartys und Sonnenschein bestand. Während der Amtszeit von Gouverneur Reagan attackierten sie die Ideale Hollywoods mit der Wut und der Bedrohlichkeit gesellschaftlicher Außenseiter. Die New-Yorker Szene war dagegen intellektueller, sieht man einmal von ihrer sagenumwobensten Band ab: den legendär minimalistischen Einfaltspinseln The Ramones, die alle die gleichen Jeans und Motorradjacken trugen und nicht müde wurden, von Black Sabbath zu reden.

Sicherheitsnadel-Klassiker

Black Flag, Everything Went Black (1982)

The Clash, The Clash (1979)

The Damned, Damned Damned Damned (1976)

The Fall, Live At The Witch Trials (1979)

Germs, GI (1979)

The Plasmatics, New Hope For The Wretched (1980)

The Ramones, Ramones (1976)

The Ramones, Rocket To Russia (1977)

Sex Pistols, Never Mind The Bollocks, Here’s The Sex Pistols (1977)

X, Los Angeles (1980)

In der Zwischenzeit ging die Sonne über dem britischen Empire unter, das all­mählich in Umweltverschmutzung und Chaos versank. In den späten Siebziger­jahren erreichte die Arbeitslosigkeit zwanzig Prozent, und in Verbindung mit einer wachsenden Inflation entstand so ein Zustand der Stagnation bei steigenden Prei­sen – ein gefürchteter ökonomischer Würgegriff. Die Lebensbedingungen waren so schlecht wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr, und im Vereinigten König­reich herrschte Bedarf an kreativen Kräften jeglicher Art. Von Punk sprang ein katalysierender Funke über: die Dreistigkeit zu glauben, dass jeder eine Rockband gründen könne.„Mit Punk kam die Idee,dass man in der eigenen Garage oder im eigenen Schlafzimmer eine Plattenfirma gründen kann“, sagt Jess Cox von Tygers of Pan Tang – einer schnelllebigen Mischung aus Riffs und Haaren, die ihre Musik als etwas völlig Neues begriffen.„Auf der rein künstlerischen Ebene war es egal,ob man spielen oder singen konnte – die Idee war, dass man auf eine Bühne stieg und Krach schlug.“ Die Ergebnisse begeisterten eine ganze Generation von Teenagern, die es nicht abwarten konnten, sich auf Vinyl zu verewigen.

Ozzy Osbourne gab zu, als Jugendlicher vor dem Spiegel im Schlafzimmer zu Beatles-Songs gesungen zu haben. In ähnlicher Manier gründeten John und Mark Gallagher mit einer akustischen Gitarre – einem Mitbringsel von einem Familienurlaub in Spanien – ihre Gruppe Raven. John, der am Bass noch kei­nerlei Erfahrung hatte, stimmte das Instrument einfach tiefer, wenn er mit Üben an der Reihe war. Auf dem BBC-Jugendsender Radio One und in der Fernsehshow Top of the Pops bekamen die Brüder den Glamrock von Slade, Status Quo und Sweet zu hören und saugten ihn voller Begeisterung auf. Obwohl Slade eher eingängigen Fußballrock als Heavy Metal spielten, ver­stärkten Imitatoren wie Raven den exzentrischen Faktor um ein Tausendfaches und verwandelten das Grundrezept in astreine Heavy-Metal-Handelsware.