Homestory - Beth MacLean - E-Book

Homestory E-Book

Beth MacLean

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Beschreibung

Tom ist eigentlich ganz zufrieden mit seinem Job als Bücherrezensent bei einem großen Magazin. Es drängt ihn mit seinen Artikeln nicht unbedingt auf Seite eins. Umso mehr verwundert es Tom, dass seine Chefredakteurin ausgerechnet ihn dazu verdonnert, ein Interview mit dem Superstar Jake Crawford zu führen. Er ahnt nicht, dass sie ihn dazu benutzt, den medienscheuen Promi mit verfänglichen Fotos zu erpressen, um exklusiv an eine Homestory zu gelangen. Tom gerät zwischen die Fronten und kann nach einem Kuss Jakes Anziehungskraft nicht länger leugnen. Dabei steht er doch überhaupt nicht auf Männer – oder? Schließlich muss er sich seiner Vergangenheit stellen, als Jake mit gleichen Mitteln zurückschlägt und eine stürmische Nacht in Schottland sein Leben verändert …

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Seitenzahl: 375

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Beth MacLean

Homestory

Impressum

© dead soft verlag, Mettingen 2019

http://www.deadsoft.de

© the author

Cover: Irene Repp

http://www.daylinart.webnode.com

Bildrechte:

© kiuikson – shutterstock.om

© chbaum – shutterstock.com

1. Auflage

ISBN 978-3-96089-336-3

ISBN 978-3-96089-337-0 (ebook)

Inhalt:

Tom ist eigentlich ganz zufrieden mit seinem Job als Bücherrezensent bei einem großen Magazin. Es drängt ihn mit seinen Artikeln nicht unbedingt auf Seite eins.

Umso mehr verwundert es Tom, dass seine Chefredakteurin ausgerechnet ihn dazu verdonnert, ein Interview mit dem Superstar Jake Crawford zu führen.

Er ahnt nicht, dass sie ihn dazu benutzt, den medienscheuen Promi mit verfänglichen Fotos zu erpressen, um exklusiv an eine Homestory zu gelangen.

Tom gerät zwischen die Fronten und kann nach einem Kuss Jakes Anziehungskraft nicht länger leugnen. Dabei steht er doch überhaupt nicht auf Männer – oder?

Kapitel 1

Tom ließ das Rauschen verstummen, indem er mit dem Finger über das Display strich. So, als besäße er die Macht über das Element Wasser. Ein Element, das er am liebsten aus der Ferne genoss, während er festen Boden unter den Füßen behielt oder wie jetzt noch im Bett lag. Tiefe Gewässer, deren Grund er nicht sehen konnte, verursachten immer ein mulmiges Gefühl in ihm und er konnte sich noch gut an den Moment erinnern, als ihm in seiner Kindheit voller Schreck bewusst geworden war, dass er auf einer Insel lebte, wenn auch auf einer großen.

Dennoch liebte er das Meer, das gleichzeitig Freiheit und Verderben bedeuten konnte. Das Geräusch der Wellen weckte ihn jeden Morgen. Nur heute nicht. Tom hatte in der Nacht keinen Schlaf gefunden und sein Handy bereits vor Stunden auf der leeren Bettseite platziert. Dort lag es griffbereit, aber Tom hatte es bis zum Morgen nicht ein einziges Mal berührt. Es gab keinen Grund. Nicht eine einzige eingehende Nachricht wurde angezeigt. Kein Anruf, mit dem Lauren versuchte, ihren Entschluss rückgängig zu machen.

Tom hielt seine Augen weiterhin geschlossen, gähnte ausgiebig und fragte sich, warum der ersehnte Schlaf immer gerade dann mit Macht kam, wenn er ihn beim besten Willen nicht mehr brauchen konnte. Träge zog er sich die Decke bis zum Kinn und streckte sich, bis seine Muskeln schmerzten. Er hatte die vergangenen Stunden damit verbracht, sich von einer Seite auf die andere zu wälzen, und nun war es leider an der Zeit aufzustehen. Lustlos prustete er seinen Atem aus und widerstand dem Drang, eine Tasche zu packen, um all dem hier wenigstens für ein Wochenende zu entfliehen und in den Norden zu fahren. Lynnie, wie seine jüngere Schwester Lynette von allen gerufen wurde, sein Schwager und die Kinder würden sich ganz bestimmt darüber freuen, wenn Tom endlich mal wieder einer ihrer zahlreichen Einladungen folgen würde. Der Gedanke an die quirlige Rasselbande, deren lebhafter Alltag manchmal das ganze Häuschen ins Wanken zu bringen schien, ließ ihn für einen flüchtigen Augenblick schmunzeln.

Tom winkelte seine Arme wieder an, ignorierte dabei das Knacken in einem der Ellenbogen und rieb sich die Augen. Er fühlte keine Verzweiflung oder Traurigkeit. Nur Bedauern. Wieder hatte es nicht funktioniert. Wieder war es ihm nicht gelungen eine Frau zu halten. Aber wollte er das überhaupt? Tom spürte, wie der Druck in seiner Kehle zunahm, während er sich auf ein Gedankenspiel einließ. Falls alles ein Traum gewesen war, würde er Lauren neben sich liegen sehen, sobald er die Augen aufschlug. Zumindest ihr blondes Haar, das normalerweise das Einzige war, was unter der Decke hervorlugte.

Einen Moment später betrachtete er nachdenklich das Steppmuster der Matratze, an deren Fußende bereits seit dem Abend ein Haufen aus Laken, Überzug und Decke lag und auf einen Platz im Wäschekorb zu warten schien.

Kein Traum also. Ihre Bettseite war leer.

Unmittelbar, nachdem Lauren ihm gestern Abend mit unbewegter Miene eröffnet hatte, dass sie es für besser hielt, getrennte Wege zu gehen, war sie aus der Wohnung und damit aus seinem Leben verschwunden. Denn er hatte nicht viel dazu gesagt und vor allem hatte er nicht widersprochen.

Der erste Tag meines restlichen Lebens. Stöhnend drehte er sich bei diesem Gedanken auf den Rücken, starrte eine Weile an die Decke, bevor er seinen Blick über die Buchrücken in den Regalen schweifen ließ, die die gegenüberliegende Wand vollständig bedeckten und bis zum letzten Platz gefüllt waren. Lauren hatte sie immer mit Desinteresse gestraft oder sich darüber aufgeregt, dass sie einen viel zu großen Teil des ohnehin knapp bemessenen Schlafzimmers einnahmen. Jetzt aber, da sie weg war, schien die Dämmerung die Bücher zu wecken und erleichtert aufatmen zu lassen. Unzählige andere Welten und er hing in dieser hier fest.

Die Benommenheit vom Abend zuvor war vergangen. Im Grunde war er froh, dass Lauren es zur Sprache gebracht hatte. Tom gestand sich ein, dass er den Umstand, mit dreißig Jahren wieder Single zu sein, erstaunlich gut verkraftete. Was wahrscheinlich auch daran lag, dass sich die Gleichgültigkeit zwischen ihnen bereits über einen längeren Zeitraum eingeschlichen hatte. Nicht, dass er es bereute, Lauren begegnet zu sein, aber diese Beziehung war wie all seine Beziehungen davor. Austauschbar. Und so sehr er sich auch bemühte, Tom wusste nicht, woran es lag. Frauen fanden ihn offenbar attraktiv, ergriffen die Initiative und irgendwann ergab sich alles. Nicht, weil er es war, der die Beziehung unbedingt wollte, darum gekämpft und die Frauen ermutigt hatte, sondern weil Tom es einfach geschehen ließ.

Irgendetwas fehlte in seinem Leben und es war auf jeden Fall nicht Lauren.

Er setzte sich auf, stützte seinen Kopf nachdenklich auf einem Knie ab und fragte sich, ob er es erkennen würde, falls er das Glück haben sollte, diesem unbekannten Etwas zu begegnen.

Tom hörte dem Plätschern zu, genoss die Wärme und hielt schließlich sein Gesicht direkt unter den Wasserstrahl, nachdem er die Shampooflasche geleert hatte. Prustend spülte er sorgfältig den Schaum aus seinem Haar. Ein Pflegeprodukt, das Lauren ihm geschenkt hatte. Der herbe Duft würde im Laufe des Tages verschwinden. Wie auch Laurens Spuren in seinem Leben mit der Zeit verschwinden würden. Tom schob die Erinnerungen energisch beiseite, griff nach dem Duschkopf und intensivierte die Massagefunktion. Ein wenig Entspannung würde ihm sicher guttun, auch wenn das Wasser nicht das wegspülen konnte, was ihn betrübte.

Überall, wo die Strahlen auf seine Haut trafen, verursachten sie ein wohliges Kribbeln. Er schloss die Augen und lehnte sich gegen die Kacheln, während er seine Gedanken verbannte und das Wasser von der Brust, dem Bauch und schließlich von seinem besten Stück abperlte. Tom ließ seine Hand zwischen die Beine gleiten, fasste fest zu und fühlte, wie sein Körper reagierte. Das Pulsieren nahm zu, als er geübt die Haut nach hinten schob, dabei die empfindsame Kuppe entblößte und dem Wasserstrahl aussetzte. Sein Herz schlug kräftig und er atmete hörbar ein und aus. Tom ließ den Kopf auf seine Brust sinken. Er genoss die Erregung, die ihn durchflutete, und sah zu, wie seine Hand die pralle Härte bearbeitete. Immer schneller und fester. So lange, bis sein Körper sich anspannte und nach einem kehligen Stöhnen der Samen an der Duschkabine hinablief. Das Wasser hatte nicht nur zu diesem prickelnden Start in den Tag beigetragen, sondern beseitigte das Ergebnis nun auch mühelos. Er hängte die Brause in die Halterung und blieb noch einen Moment unter dem Strahl stehen, bis das Pulsieren nachließ. Dann drückte er den Hebel der Armatur zur Wand und gestand sich ein, dass er dieses besondere Duschfeeling, wie er es nannte, gern mit jemandem geteilt hätte. Während Tom nach dem Handtuch tastete, schüttelte er den Kopf, schob dann die Tür auf und duckte sich, um nicht mit der Stirn an die Schiene zu stoßen. Ein kurzes Rubbeln über sein Haar und das Frottee landete auf dem Boden. Nicht einmal jetzt in der noch kühlen Jahreszeit trocknete Tom sich ab. Er zog lediglich die Badezimmertür zu sich in den winzigen Raum, wodurch der Duscheinstieg blockiert wurde. Es war nicht möglich beide Türen gleichzeitig uneingeschränkt zu nutzen. Entweder man betrat, beziehungsweise verließ, die Dusche oder das Badezimmer. Egal. Es gab niemanden mehr, der voller Ungeduld darauf wartete, dass er endlich das Bad freigab. Ein Gefühl von Freiheit blitzte auf.

Tom blieb nackt vor dem Waschbecken stehen. Er mochte den kühlen Hauch auf seiner Haut, der entstand, sobald der Wasserdampf aus dem fensterlosen Raum entwich. Routiniert griff er nach der Zahnbürste, registrierte nebenbei, dass nur noch seine im Becher stand, drückte zu viel Paste aus der Tube und begann, kräftig zu schrubben. Weißer Schaum quoll aus dem Mund und auf einer Blase schimmerten Regenbogenfarben, bevor sie an seinem Kinn zerplatze. Tom stemmte ein Bein gegen den Unterschrank und lehnte sich mit dem Hintern an die Plexiglasscheibe der Dusche. Trotz dieser Haltung konnte er sich problemlos am Waschbecken abstützen und sich darüber beugen. Geräumig war wirklich nicht die passende Beschreibung für seine Wohnung, das wusste er. Sie lag im Keller, hatte nur auf einer Seite Fenster, war aber einigermaßen erschwinglich. Er nannte sie mittlerweile seit fünf Jahren sein Zuhause und war zufrieden damit. Auch wenn er mit dem Bus über eine Stunde benötigte, um den Weg in die Londoner City zur Redaktion zurückzulegen.

Während Tom die Zahnoberflächen bearbeitete, sah er sich im Spiegel an. Dunkelbraunes Haar, das modisch geschnitten war, im Moment jedoch unordentlich in alle Richtungen abstand, so, als hätte er mit einer Pinzette in der Steckdose gestochert. Kantige Gesichtszüge, zum Glück noch keine Anzeichen von Haarausfall und das Verhältnis von Schultern zu Taille, fand Tom, stimmte auch. Im Großen und Ganzen also okay.

Lauren hatte trotz der Platzverhältnisse auf einen großen Spiegel mit vorteilhafter Ausleuchtung bestanden und er gab zu, dass er absolut nichts dagegen hatte, ein paar Jahre jünger zu wirken. Das warme Licht ließ sogar einige Fältchen verschwinden, die in letzter Zeit vermehrt entstanden waren. Prüfend betrachtete er sein Ebenbild. Gegen die Schatten unter seinen Augen allerdings konnte heute selbst die beste Beleuchtung nichts ausrichten. Tom hörte das Grummeln, welches sich in den nächsten Stunden durchaus noch zum Gebrüll eines ausgewachsenen Löwen entwickeln konnte und drückte mit einer Hand auf seinen Magen. Er war nicht dick, aber trotzdem ein paar Pfund von einem sexy Waschbrettbauch entfernt. Der Entschluss, den Vormittagssnack ausfallen zu lassen, war gefasst. Neuer Lebensabschnitt, neuer Vorsatz.

Tom spuckte den Schaum aus und behielt dann die Spülung so lange im Mund, bis sein Gaumen brannte und der Minzgeschmack sogar bis in den Rachen vorgedrungen war. Kritisch beäugte er sein verwuscheltes Haar und die Stoppeln in seinem Gesicht, konnte sich jedoch nicht dazu durchringen, sich zu rasieren. Glücklicherweise gehörte er nicht zu den Redaktionsmitgliedern, die über wichtige Ereignisse berichteten, sich dementsprechend am Rande eines roten Teppichs die Beine in den Bauch stehen mussten und deswegen stets wie aus dem Ei gepellt auszusehen hatten. Er war für den Kulturteil zuständig, vertrat manchmal Kollegen bei Festivals oder Vernissagen, berichtete aber hauptsächlich über Neuerscheinungen im Bereich Belletristik. Was wiederum den Vorteil hatte, dass er gut von zu Hause aus recherchieren konnte, also von Berufs wegen einer seiner Lieblingsbeschäftigungen, dem Lesen, nachgehen konnte und nicht täglich in der Redaktion erscheinen musste. Dem Umstand, dass er regelmäßig einer Flut von Rezensionsexemplaren Herr werden musste, war es zu verdanken, dass sein Buchbestand das Fassungsvermögen seines Schlafzimmers zu sprengen drohte. Eine wohltätige Spende war längst wieder überfällig und in Gedanken sah er bereits Misses Peabody, die Bibliothekarin, wie sie strahlend die Kartons für den Basar entgegennahm.

Tom strich sein Haar nach hinten. Feucht wirkte es beinahe schwarz und bildete einen schönen Kontrast zum Blau seiner Augen. Ein Schatten huschte über sein Gesicht, als sein Blick an dem Höcker hängen blieb, der unschön seine Nasenwurzel zierte. Die Vergangenheit überwand die Mauern des Vergessens und drängte in sein Bewusstsein. Ungnädig sprengte sie von Zeit zu Zeit die Ketten, die sie in seinem tiefsten Innern festhielten. Vor allem dann, wenn er emotional angeschlagen und nicht gut drauf war, fiel ihm der Knick in seiner ansonsten geraden Nase besonders auf. Mit einem Finger fuhr er darüber und befühlte die Erhebung. Die Knochenstückchen waren an dieser Stelle zwar wieder zusammengewachsen, erinnerten ihn jedoch erbarmungslos an jenen Tag am Meer in seiner Teenagerzeit. Diesmal lag es nicht am Hunger, dass sein Magen sich zusammenzog. Erinnerungen drängten aus der Tiefe seines Herzens wie dickflüssiges Magma aus einem Vulkan. Genauso unnachgiebig und zerstörerisch.

Plötzlich wurde er unsanft aus seinen Gedanken gerissen und fuhr erschrocken herum. Nebenan hatte das Radio lautstark zu plärren begonnen. Nach einem letzten Blick in den Spiegel verließ er eilig das Bad, wich Laurens Kartonstapel aus, der abholbereit im Flur stand, und gelangte nach wenigen Schritten in den Wohnbereich. Auf einer Anrichte, die die Küchenzeile von der Sofaecke trennte, stand die Lärmquelle. Tom hatte das Radio absichtlich in ein anderes Zimmer gestellt, um aufstehen zu müssen. Ein energischer Tastendruck und es herrschte wieder Stille. Mehr als einmal hatte der Wecker ihn davor bewahrt, bis zum Mittag zu schlafen. Ein Segen und ein Fluch zugleich, denn diesen Lärm konnte man unmöglich ignorieren und Tom befürchtete, dass seine Vermieterin, die in der Wohnung über ihm lebte, sich irgendwann beschweren könnte. Als ob seine Gedanken die alte Dame auf den Plan gerufen hätten, schlurfte sie draußen an seinem Fenster vorbei. Trotz der Vorhänge blieb er reglos stehen, um ihre Aufmerksamkeit nicht auf sich zu ziehen. Womöglich bekam sie sonst mehr von ihm zu sehen, als ihr lieb war. Denn um möglichst viel Licht in die Wohnung zu lassen, bestanden die Gardinen nur aus einem Hauch von Stoff. Ihr bisweilen verschmitztes Lächeln kam ihm in den Sinn und Tom berichtigte sich. Höchstwahrscheinlich würde sie es mit ihren über achtzig Jahren sogar genießen, einen Mann im Adamskostüm zu sehen. Doch sie redete ununterbrochen auf das kläffende Fellknäuel ein, das neben ihr an der Leine zum Gartentor trottete. Tom schüttelte lächelnd den Kopf. Er mochte die schrullige Dame, stattete ihr von Zeit zu Zeit einen Besuch ab und ließ sich von ihr zu einer Tasse Tee nötigen, bevor er lautstark Nettigkeiten mit ihr austauschte. Nun gut, es bestand durchaus die Möglichkeit, dass sie inzwischen noch schlechter hörte, und von seinem Notfallwecker überhaupt nichts mitbekam. Damit wäre beiden Seiten geholfen. Tom kratzte über die Stoppeln an seinem Kinn und rieb dann die letzten Tropfen von seiner Brust.

Als er sich umdrehte, um zum Schlafzimmer zurückzukehren, blieb sein Blick an seinem Schreibtisch hängen. Eine Insel im Alltag – nur ohne Wasser. Er umrundete den Sofahocker und schlenderte hinüber. Um den Laptop verteilt lagen Blätter mit krakeligen Notizen und ein Stapel Recherchematerial, aus dem bunte Zettel hervorlugten. Seine Müdigkeit verflog auf der Stelle. Wie immer, wenn es ums Schreiben ging, strömte Energie durch seinen Körper, fesselte ihn. Mit aller Macht musste Tom dem Drang widerstehen, im Sessel Platz zu nehmen, sich in die Geschichte zu vertiefen und an seinem Manuskript zu arbeiten. Genau das war der Grund, warum er oft erst weit nach Mitternacht ins Bett fiel und er überhaupt einen Notfallwecker brauchte. Denn für diese Leidenschaft, Romane zu schreiben und letztlich zu veröffentlichen, opferte Tom oft seinen Schlaf.

Da er allerdings nicht reich war, keine Wetten abschloss und vermutlich auch nicht gewinnen würde, selbst wenn er es täte, brauchte er den Job in der Redaktion. Immerhin hatte er dort mit Büchern zu tun, wenn auch nicht mit den eigenen. Vielleicht würde sich irgendwann die Chance bieten, sich ausschließlich aufs Schreiben konzentrieren zu können.

»Und bis dahin … heißt es durchhalten«, murmelte er verdrossen, versetzte dem Sessel einen Schubs und seufzte. »Okay, dann also her mit dem ersten Tag meines restlichen Lebens.« Diesmal hatte er den Gedanken laut ausgesprochen und machte sich kurz danach auf den Weg in die City.

Kapitel 2

Tom hielt seinen Chip an den Sensor, wartete das Summen des Schließsystems ab und stieß die Glastür zur Redaktion auf. Er betrat das Großraumbüro und sofort umgab ihn ein Wirrwarr aus Stimmen, eiligen Schritten und Telefonläuten, das, wenn es nicht umgehend beachtet wurde, zu verstummen und an anderer Stelle erneut Aufmerksamkeit einzufordern schien. Der Geruch von Staub und Toner stieg ihm in die Nase, als er an den Kopierern und Druckern vorbeilief. Er steuerte seinen Arbeitsplatz an, nickte oder winkte unterwegs einigen Kollegen zu, während er den Weg um die Schreibtische und die Kübel, in denen einige Pflanzen ihr lichtloses Dasein fristeten, im Slalom nahm. Tom wünschte sich für einen Augenblick, dass es nicht nur ein Bewusstsein für Tier- sondern auch für Pflanzenquälerei gäbe. Denn er bezweifelte, dass hängendes Blattwerk das Wohlbefinden der Mitarbeiter in besonderem Maße steigerte.

Seine Arbeitstasche, die ihn, wie er vermutete, eher wie einen Kurier aussehen ließ, landete auf einem Haufen Rezensionsexemplaren, die druckfrisch eingetroffen waren. Tom schaltete seinen Computer ein und deaktivierte die Rufumleitung. Ohne auf das Blinken des Telefons zu achten, das unmittelbar danach einsetzte, nahm er seinen Coffee-to-go-Becher aus der Schublade und machte sich erneut auf den Weg.

Im Aufenthaltsraum, der praktischerweise mit Küchenzeile und Kaffeevollautomat ausgestattet war, herrschte reger Verkehr. Das Verlangen, den Tag mit Koffein zu beginnen, hatten auch einige andere. Dennoch war er zuversichtlich, dass er zurück an seinen Schreibtisch gelangen konnte, ohne Smalltalk betreiben zu müssen. Ein herrlicher Duft stieg ihm in die Nase und verführte ihn zu tieferen Atemzügen. Tom stellte sich geduldig in die Schlange und rückte Schritt für Schritt an das mahlende und brühende Monstrum heran. Endlich an der Reihe drückte er die Taste für die doppelte Menge und sah zu, wie der Kaffee nach ein paar klackenden Geräuschen dampfend in den Becher floss. Beinahe bis zum Rand gefüllt balancierte Tom ihn hinüber zur Theke, auf der verschiedene Milch- und Süßungsmittel bereitstanden. Er spürte das Grummeln seines Magens, schüttete nach kurzem Überlegen noch zwei weitere Zuckerportionen in den Kaffee und drückte den Deckel auf den Rand.

»Tom!« Sein Name klang hell durch den Raum und das Geräusch hoher Absätze kündigte an, dass er die längste Zeit ungestört gewesen war. »Ist es wahr? Mann, du hast vielleicht Glück! Sag schon, wie bist du an den Job gekommen?«, plapperte Nelly aufgeregt, nachdem sie ihn erreicht hatte. Der Stoß gegen seinen Arm ließ den Kaffee aus der schnabelähnlichen Öffnung schwappen und einen Moment später breitete der Fleck sich auf seinem Shirt aus. Tom atmete stockend ein und zog hastig den Stoff von seiner Haut weg.

»Ah! Heiß!« Der Schmerz ging in ein dumpfes Pochen über, während Nelly sich vor Tom drängte und scheinbar schuldbewusst auf ihrer Unterlippe kaute. Flink zog sie ein paar Papiertücher aus dem Spender und tupfte auf Augenhöhe seine Brust ab.

»Hey, Nelly. Ich wünsch dir auch einen guten Morgen«, brummte Tom zunächst unwillig. Während er sie beobachtete, verpuffte sein Ärger jedoch bereits wieder und er konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Diesem Energiebündel konnte man einfach nicht lange böse sein. Selbst wenn sie einen Raum verlassen hatte, schienen noch für eine gewisse Zeit Funken zu wirbeln. An jenem Morgen sah sie aus wie eine Mischung aus Rotkäppchen und Schneewittchen, die einen Zusammenstoß mit einem 50er-Jahre-Petticoat gehabt hat. Ihre schwarzen Locken wurden von einer leuchtend roten Schleife am Hinterkopf gehalten und ein ebensolches Kleid war mit weißen Pünktchen übersät. Mit ihrem ausgefallenen Styling war sie im Team Mode genau richtig und bereicherte einen der meistgelesenen Teile des Magazins in jeder Ausgabe mit ihren Beiträgen. Tom fragte sich manchmal, ob hingegen seine Rubrik ›Bücher‹ überhaupt gelesen oder einfach nur von den meisten Käufern des Magazins überblättert wurde. Mit Sicherheit rangierten seine Beiträge weiter unten auf der Beliebtheitsskala – was nicht in der Qualität begründet sei, wie seine Chefredakteurin Sharon Prescott ihm einmal versichert hatte, sondern schlicht daran lag, dass man bunte Fashionfotos und die dazugehörigen Kurztexte sehr viel leichter konsumieren konnte. In schaukelnden Bussen oder schlecht beleuchteten U-Bahnen wollten sich die wenigsten Leser in halbseitige Buchstabenmonster vertiefen, die, wenn überhaupt, nur vom Cover des behandelten Romans unterbrochen wurden. Trotzdem sei es das erklärte Ziel, natürlich für alle Interessen etwas anzubieten.

Nelly klimperte neckisch mit ihren überlangen Wimpern und sah zu ihm auf, was im Grunde nahezu jede Frau tun musste, denn Tom überragte locker die Eins-achtzig-Marke.

»So.« Sie schien hochkonzentriert bei der Arbeit zu sein, tätschelte abschließend seine Brust und warf die Papiertücher in einen der Mülleimer. »Sieht man fast gar nicht mehr.« Tom betrachtete skeptisch ihr Werk und schmunzelte bei dieser Untertreibung, denn ein Unterschied zu vorher war kaum feststellbar.

»Okay, okay«, beschwichtigte sie, ehe er etwas sagen konnte. »Dann knöpf einfach das Hemd zu.« Sie zog die Nase kraus, prustete dann aber doch los. »Nein, Tommy, im Ernst. Warum einen einzigen Gedanken daran verschwenden?« Ihre Hand wedelte vor dem Fleck abwertend durch die Luft. »Komm schon, erzähl! Spann mich nicht auf die Folter. Ich will alles wissen … und nicht nur ich.« Nelly unterstrich die Anzüglichkeit in ihrer Stimme, indem sie eine Augenbraue hob und einen bedeutenden Blick über die Schulter warf. Erst jetzt bemerkte Tom einige Mitglieder ihres Teams, die tuschelnd am Ausgang standen, und sie beobachteten.

»Ähm, … was … was meinst du?« In Gedanken ging er irritiert seinen Kalender durch, stieß jedoch auf keinen Termin, der dieses Interesse gerechtfertigt hätte. Nelly stemmte ihre Hände in die Seiten und sah ihn tadelnd an. Bevor sie jedoch etwas sagen konnte, wurde Tom durch hektisches Fingerschnippen abgelenkt.

»Hey, Finley.« Der Assistent der Chefredakteurin stützte sich lässig am Türrahmen ab und streckte den Kopf in den Raum. »Sharon will dich sprechen … sofort!«

Tom hatte einen Bleistift zwischen zwei Finger geklemmt und ließ die Enden schnell auf und ab wippen. Er verschob seine Überlegungen bezüglich Nellys Fragen auf einen späteren Zeitpunkt und blieb einen Augenblick vor Sharon Prescotts Büro stehen. Nicht nur die Tür, sondern auch alle Wände des Eckbüros waren aus Glas. Jeder konnte sehen, was sie dort tat. Keine Möglichkeit für einen ungestörten Moment, kein Rückzug. Sie setzte sich den Blicken aus, als wollte sie damit deutlich machen, dass sie absolut sicher war, nie Schwäche zu zeigen. Im Gegenzug behielt sie jederzeit ihre Mitarbeiter im Blick. Tom musste zugeben, dass ›ihre Untergebenen‹ in diesem Zusammenhang eindeutig besser passte.

Nein, nervös war er nicht. In dieser Situation befand er sich schließlich mehrmals pro Woche. Immer dann, wenn dringend letzte Details abzuklären waren oder sich kurzfristig etwas geändert hatte. Dann sparte sie sich die Zeit, ihm eine E-Mail zu schreiben, und zitierte ihn stattdessen zu sich. Ansonsten ließ sie ihm freie Hand, er reichte seine Texte ein und üblicherweise hatte sie daran auch nichts auszusetzen. Er kam mit ihr klar und die, die es nicht taten, arbeiteten nach ein paar Wochen nicht mehr in der Redaktion. Ganz einfach.

Tom war aufmerksam. Konzentriert. Mit einer Giftschlange zu hantieren, bedeutete schließlich nicht automatisch das Todesurteil. Man durfte sich nur nicht überschätzen, leichtsinnig werden und sein Glück zu sehr herausfordern.

Er beobachtete Sharon Prescott, wie sie gestikulierend in den Hörer sprach, der zwischen ihrer Wange und der Schulter eingeklemmt war. Ihr blondiertes Haar wurde, vermutlich gewollt unordentlich, von einer Klammer gehalten und nahm ihrem Auftreten etwas von der Strenge, die das Kostüm ihr verlieh. Toms Blick fiel auf die Pumps. Im Gegensatz zum Schwarz ihrer Kleidung waren sie schreiend bunt und vereinten so ziemlich alle Farben, die er sich vorstellen konnte. Sie lagen auf dem Boden, als hätte sie die Schuhe nicht im Büro, sondern zu Hause im Wohnzimmer nach einem arbeitsreichen Tag lässig von den Füßen gestreift. Tom wartete geduldig, während sie sich auf ihren Schreibtisch setzte und ihm den Rücken zuwandte. Sofort wirkte sie nicht mehr wie Mitte Fünfzig. Wenn man nur die Kehrseite betrachtete und nichts von dem faltigen Dekolleté wusste, dann sah bestimmt jeder Mann gern länger hin. Tom legte seine Hand auf die Klinke. Offenbar stand das Ende des Gesprächs unmittelbar bevor, denn Sharon war aufgestanden, lehnte sich in Zeitlupe über den Apparat und legte einen Moment später auf. Gleichzeitig mit dem Gespräch erstarb auch ihr Lächeln. Sie hatte Tom währenddessen nicht aus den Augen gelassen und winkte ihn nun zu sich. Kaum betrat er das Büro, war das Lächeln wieder da. Flüchtig dachte Tom an einen Kippschalter, der umgelegt wurde. Nur das Geräusch dazu fehlte.

»Tom, schön, Sie zu sehen!«, flötete sie. »Setzen wir uns doch.« Während Sharon den Schreibtisch umrundete, schlüpfte sie in ihre Schuhe und komplimentierte Tom zum gemütlicheren Teil ihres Büros, dorthin, wo sonst Meetings mit Externen stattfanden. Tom kam ihrer Aufforderung nach, obwohl ihn ihr säuselnder Tonfall irritierte. Unweigerlich drängte sich wieder das Bild einer Schlange in sein Bewusstsein, die ihr Opfer fixiert. Dies schien ein längeres Gespräch zu werden. Üblicherweise gab sie klare und knappe Anweisungen, während er im Türrahmen oder allenfalls vor ihrem Schreibtisch stehen blieb. Tom überschlug grob den Ablauf seines knapp bemessenen Vormittags, während er auf die Uhren an der Wand hinter ihrem Schreibtisch schielte. Sie zeigten neben der Londoner auch die Zeiten fünf verschiedener Großstädte überall auf der Welt. Wenn er die Mittagspause ausfallen ließ, konnte er den Abgabetermin für die Rezensionen noch einhalten. Als Zeichen des Protests knurrte sein Magen.

Tom zeigte gute Manieren und blieb so lange stehen, bis seine Chefin elegant in einem der Sessel Platz genommen hatte. Sie schlug die Beine übereinander und lehnte sich lässig zurück.

»Ich mag Ihre Texte, Tom«, begann Sharon Prescott ohne Umschweife, während sie sich ein Glas Wasser eingoss. Doch trotz des für ihre Verhältnisse grandiosen Lobs konnte er sich nicht recht entspannen. »Noch einen Kaffee für Sie?« Offenbar war ihr der Zustand seiner Kleidung nicht entgangen. Tom verzichtete darauf, die Ursache und vor allem seine Unschuld an dem Missgeschick näher zu erläutern. Stattdessen lächelte er, verneinte mit einem Kopfschütteln und zog sein Hemd über den Fleck, dessen Existenz er zwischenzeitlich vergessen hatte. »Sie erwecken bei den Lesern den Eindruck, als würde die beste Freundin mit einer Tasse Tee auf der Couch sitzen und ein tolles Buch empfehlen. Diese Art Text brauchen wir. Genau jetzt. Genau für dieses Interview.«

»Ein Interview?«

Seine Zwischenfrage ignorierte sie gekonnt und fuhr einfach fort.

»Es ist geradezu ideal und … passt perfekt. Kennen Sie die Kampagne?«

»Welche Kampagne?« Tom hatte ihr zugehört, wusste aber trotzdem im ersten Moment nicht, wovon Sharon Prescott sprach.

»Passt perfekt. Jake Crawford«, übermittelte sie Tom die Informationen in Form verbaler Stenografie. »Er hält sich heute und eventuell noch morgen in London auf. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie von seiner Promotiontour nichts mitbekommen haben, auch wenn Sie sich ständig hinter Ihren Bücherstapeln verstecken. Die ganzen Plakate, die Zeitschriften sind voll mit Fotos, die Spots … sie laufen seit Wochen auf allen Kanälen.« Sie klang spöttisch, hob eine Augenbraue und durchbohrte Tom regelrecht mit ihrem Blick, ehe sie gedankenverloren fortfuhr. »Mich würde schon interessieren, welche Summe die ihm gezahlt haben, um ihn überhaupt vor eine Kamera zu bekommen.« Lange Fingernägel trommelten auf die Lehne. Tom vermutete, dass sie bereits einige Versuche unternommen hatte, Jake unter Vertrag zu nehmen, und diese offenbar kläglich gescheitert waren. Ihre Missgunst war ihr deutlich anzumerken.

»Ich kenne die Kampagne«, kehrte Tom vorsichtig zum Thema zurück. »Und natürlich habe ich auch schon Interviews geführt. Meinen Sie damit, dass ich … aber …?« Tom ermahnte sich in Gedanken, bestimmter aufzutreten und vollständige Sätze zu bilden.

»Kein ›aber‹«, fiel Sharon Prescott ihm ins Wort. »Dafür ist keine Zeit! Ich habe mich eben am Telefon weit aus dem Fenster gelehnt und sämtliche Hebel in Bewegung gesetzt, um diesen Zusatztermin mit Jake Crawford zu ergattern und auch tatsächlich bestätigt zu bekommen.«

Daran hegte Tom keinen Zweifel. Sharon Prescott hatte sich einen Namen gemacht, verstand es, ihre Beziehungen zu nutzen und ging vermutlich sogar über Leichen, um an eine gute Story zu kommen.

»Wir bekommen das erste Interview … und … wie Sie sich bestimmt denken können, ist das ein nicht unerheblicher Punkt. Wer das erste Interview in der Tasche hat, ist am schnellsten bei den Lesern – ganz gleich über welches Medium!« In Toms Kopf begann es fieberhaft zu arbeiten. Das, was sich da anbahnte, würde seinen Zeitplan erheblich durcheinanderbringen, wenn es ihm nicht gelang, es abzuwenden. Seine neuesten Rezensionen mussten innerhalb der nächsten Stunden über den Bildschirm flimmern, um dann nach einer letzten Durchsicht an seine Chefin zu gehen. Er hatte absolut keine Zeit und auch keine Lust, sich durch hysterische Fans zu kämpfen, nur um dann einem kamerascheuen Promi wie am Fließband Fragen zu stellen und Antworten zu notieren, die sowieso einstudiert waren. Tom suchte nach den richtigen Worten, um die Absage höflich zu verpacken und seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Sollten sie doch die Neue, diese aufgetakelte Karrieretussi schicken, die immer zu enge Oberteile trug und an den roten Teppichen der Welt zu Hause sein wollte. Vielleicht konnte sie diesem Jake Crawford einige Geheimnisse entlocken, die Gnade vor Sharon Prescott fanden. Ihm dämmerte, worauf das Gespräch hinauslief und er spürte deutlichen Widerwillen. Er war nicht in der Stimmung, mit einem Weltstar Smalltalk zu betreiben. Weder heute noch morgen. Es war ihm egal, ob Nelly ihn für verrückt erklärte, wenn er sich diese Chance auf einen viel beachteten Artikel entgehen ließ.

»Ich will, dass Sie sich mit ihm treffen.« Tom unterdrückte ein Stöhnen, verzog jedoch keine Miene. Die Karten lagen auf dem Tisch. Sharon Prescott stand auf, lief im Büro umher und ließ ihn nicht einen Moment aus den Augen. Tom vermutete, dass sein Schweigen sie irritierte. Kein Enthusiasmus, keine überschwänglichen Dankesbekundungen seinerseits.

»Welche Begeisterung«, stellte sie sarkastisch fest und sah ihn an, als hätte sie in eine Zitrone gebissen. Tom holte tief Luft und versuchte, sie diplomatisch und mit vernünftigen Argumenten von ihrem Plan abzubringen.

»Jake Crawford ist ein A-Promi«, begann er vorsichtig.

»Genau. Darum verstehe ich Ihre Zurückhaltung absolut nicht«, fiel sie ihm pikiert ins Wort.

»Das gehört doch sonst nicht zu meinem Aufgabenbereich.«

»Nur falls Sie es vergessen haben, Tom, ich bin hier die Chefredakteurin und ich lege Ihren Aufgabenbereich fest.«

»Natürlich, aber sollte nicht derjenige mit dem Interview betraut werden, der am meisten Erfahrung mit so etwas hat, und nicht der Bücherwurm von Seite zehn?« Tom wertete sich absichtlich ab und setzte ein schiefes Grinsen auf, um ihr die Entscheidung zu erleichtern, doch noch ein anderes Redaktionsmitglied auszuwählen. »Dieser Job scheint äußerst begehrt zu sein. Keiner wird verstehen, warum ausgerechnet ich den Artikel schreiben soll.«

»Es ist nicht nötig, dass es jemand versteht«, kommentierte sie überheblich und setzte ein unechtes Lächeln auf. Toms Herz schlug schneller und er fragte sich, warum sie ausgerechnet ihn beauftragte und noch dazu so verbissen an ihrer Wahl festhielt. An ihrem Tonfall konnte er deutlich erkennen, dass sie verärgert war und er sich auf dünnem Eis bewegte.

Sharon Prescotts Stimme klang leise, leise und gefährlich. »Der Termin steht und Sie werden ihn wahrnehmen. Sie können sich natürlich nur ansatzweise vorstellen, was dieses Treffen für das Magazin bedeutet. Also werden Sie einfach tun, was ich Ihnen sage. Und Sie werden sich große Mühe geben«, fügte sie der Aufzählung noch hinzu. »Das könnte sich durchaus günstig auf meine Entscheidung auswirken, Ihre Arbeitszeit zu reduzieren, damit Sie diesen … was auch immer … schreiben können.« Tom schluckte. Es versetzte ihm einen Stich, dass sie abwertend über seinen Roman sprach und er bereute es, den wahren Grund für seine Stundenreduzierung offengelegt zu haben. Zweifel plagten ihn oft genug. Er brauchte nicht auch noch eine Sharon Prescott, die ihn offenbar belächelte. Nein, nicht ihn, denn sie vergab eine wichtige Aufgabe an ihn, sondern sein Vorhaben. Sie begann, ihr wahres Gesicht zu zeigen. Die Schlange in seiner Vorstellung hatte zugebissen und ihr Gift injiziert. Sharon Prescott wandte sich von ihm ab, öffnete einen Wandtresor, nachdem sie ihm mit ihrem Körper die Sicht auf das Tastenfeld versperrt hatte, und fischte einen großen Umschlag heraus. Er sah zu, wie sie etwas auf einen Notizblock kritzelte, während sich seine Kiefermuskulatur vor Unwillen verkrampfte.

»Tom, ich denke, wir verstehen uns und Sie sollten sich jetzt beeilen.« Er zögerte, als seine Chefin ihm schließlich das Stück Papier unter die Nase hielt. »Bereits in einer halben Stunde werden Sie erwartet.«

»Was? Schon in einer halben Stunde?«, entfuhr es Tom lauthals. Natürlich, sie wollte die Erste sein, die ein Interview auf dem Tisch hatte. Die Fronten waren geklärt. Ungläubig riss er den Zettel an sich und überflog ihre Schrift. Panik stieg in ihm auf. Er hasste Situationen, die ihn überraschten und in denen er improvisieren musste. Nein, eigentlich stimmte das nicht, berichtigte er sich. Er konnte durchaus mit Stress umgehen, allerdings erschien er verständlicherweise lieber sehr gut vorbereitet zu einem Termin. Vor allem dann, wenn es ein wichtiger war. Er stellte hohe Anforderungen an sich, wenn es darum ging, wirklich gute Arbeit abzuliefern. Das, was ihn im Moment beunruhigte, war das überwältigende Gefühl, dass jemand ein Tau um seinen Magen zu wickeln und es zu verknoteten schien. So sehr er sich auch bemühte, es gelang ihm nicht, die einzelnen Teile zu einem stimmigen Ganzen zusammenzufügen. Zu viele Fragen türmten sich zu einem bedrohlichen Gebilde auf. Warum er? Warum jetzt? Hätte sie nicht bereits früher in irgendeiner Form eine Andeutung machen können, damit ihm mehr Zeit für die Vorbereitungen blieb? Wie kam er jetzt noch an ausreichendes und brauchbares Recherchematerial? Tom atmete hörbar aus.

»Aber dieses Hotel liegt am anderen Ende des Hyde Parks. Das schaffe ich niemals rechtzeitig. Außerdem hatte ich keine Zeit, mich auf das Interview vorzubereiten. Ich habe nichts recherchiert. Wenn das Treffen so wichtig ist, wie Sie sagen, möchten Sie dann nicht auch sichergehen, dass alles reibungslos läuft? Vielleicht könnte ich einen der …«

Sharon Prescott stützte sich auf einer Rückenlehne ab.

»Ich werde mich bemühen, mich so deutlich wie möglich auszudrücken, Tom.« Sie hielt seinen Blick fest und ihre Miene ließ keinen Zweifel daran, dass das, was sie nun sagen würde, Gesetz war. »Ihnen wird eine einmalige Chance geboten. Sie profitieren, das Magazin profitiert. Eine einfache Rechnung. Ich vertraue auf Ihre Fähigkeiten und bin überzeugt, dass Sie das Maximum herausholen.« Nun umspielte ein Lächeln ihren Mund. »Alle Ihre Bedenken sind im Moment unwichtig. Die anderen Abgabetermine werden verlängert. Es zählt nur dieses Interview. Ich gestehe Ihnen zu, sich Gedanken über meine Beweggründe zu machen und ich werde Ihnen ein wenig Klarheit verschaffen.« Tom horchte auf. Seine Neugier war geweckt und er brannte darauf, mehr zu erfahren. »Ein wesentlicher Grund ist … nun … ich darf offen sprechen? Ihnen mag es nicht aufgefallen sein, aber Sie passen genau in Jake Crawfords Beuteschema. Ein unschätzbarer Vorteil, der es Ihnen ermöglichen sollte, das Interview … sagen wir … ein klein wenig persönlicher zu gestalten. Schaffen Sie eine Wohlfühlatmosphäre, flirten Sie mit ihm«, säuselte sie und zwinkerte ihm zu. »Holen Sie mehr aus ihm heraus, als die üblichen Antworten auf abgedroschene Standardfragen. Locken Sie ihn aus der Reserve.« Tom war nicht sicher, ob er sie richtig verstanden hatte. Er spürte, wie sich die Hitze unangenehm auf seinem Gesicht ausbreitete. Innerhalb kürzester Zeit hatte seine Gemütslage von Verwirrung zu Belustigung und letztlich zu Scham gewechselt. Ungläubig sah er sie an.

»Wie kommen Sie darauf?«

»Auf was?« In Toms Ohren klangen ihre Worte wie das Kläffen eines Hundes.

»Darauf, dass ich in sein Beuteschema passe, dass ich mit ihm flirten und es dann auch noch ausnutzen würde.« Ihm fiel auf, dass er sehr laut sprach, also dämpfte er seine Stimme, obwohl ihn außerhalb dieses Terrariums niemand hören konnte. Irgendwie gelang es ihm, seine Fassung wiederzuerlangen. Betont lässig formulierte Tom diese Absurdität. »Selbst wenn ich mich auf dieses Spielchen einließe – er würde es mir gar nicht abkaufen. Ich stehe nur auf Frauen.« Seine Stimme klang seltsam hohl. Nicht, dass es sie etwas anginge, erwähnen wollte er es trotzdem. Warum nur hatte er das Gefühl, sich verteidigen zu müssen? Sharon Prescott stöhnte auf.

»Ich bitte Sie! Wen interessiert das? Dann tun Sie eben einfach so als ob. Mir sind da gewisse Details aus seinem Privatleben zu Ohren gekommen … vertrauen Sie mir, Tom, Sie sind genau der Richtige, sehen das Ganze allerdings viel zu eng.« Tom versuchte sich vorzustellen, wie weit seine Chefin gehen würde, wenn es darauf ankäme. Wo mochten wohl bei ihr die Grenzen liegen? »Und was macht es schon, für eine lockere Stimmung zu sorgen, solange das Ergebnis ein Interview ist, das uns die Leser massenweise aus den Händen reißen werden?« Sie zuckte mit den Schultern und befühlte nachdenklich den Umschlag. Sie war vage geblieben in ihren Äußerungen, trotzdem hatte es sich schlüpfrig angehört. Tom fehlten die Worte. Sharon Prescott hatte völlig unverblümt ihre Forderungen gestellt und ihm problemlos den Wind aus den Segeln genommen. Sie wusste, wie dieses Spiel gespielt wurde, und schreckte nicht davor zurück. Tom fühlte sich ausgelaugt und fehl am Platz. Dennoch startete er einen weiteren Versuch.

»Ich bezweifle, dass ich ihm positiv auffallen werde.« Tom lachte spöttisch auf und sah an sich hinab. Er trug verwaschene Jeans und ein blaukariertes Hemd. Wenn sein Shirt noch weiß gewesen wäre, ohne dieses schlammfarbene Etwas auf seiner Brust, dann hätte er vom Hals abwärts durchaus als James Dean-Verschnitt durchgehen können, aber so? »Das ist ein hochklassiges Sterne-Hotel … ich werde unter den anderen Journalisten und vor allem unter den anderen Gästen hervorstechen wie ein bunter Hund.«

»Knöpfen Sie einfach Ihr Hemd zu.« Diesen Satz hatte er in ähnlicher Form heute schon einmal gehört. Sharon Prescott ließ auch dieses Argument nicht gelten. »Selbst wenn Sie nur das Flügelhemdchen aus einer Klinik tragen würden, könnte Ihnen niemand den Zutritt zum Pressebereich verweigern. Nehmen Sie Ihren Redaktionsausweis mit und berufen Sie sich bei Schwierigkeiten einfach auf mich.« Sie trat dicht an ihn heran und wedelte mit dem Umschlag. Anscheinend das Zeichen, dass das Gespräch so gut wie beendet war. Tom erhob sich missgelaunt. Die Kniekehlen noch am Sessel konnte er nicht ausweichen, als sie sich verschwörerisch zu ihm beugte und ihm den Umschlag in die Hand drückte. Ihr Blick bohrte sich in ihn.

»Betonen Sie am Ende auf jeden Fall, wie sehr unsere Redaktion an einer über dieses Interview hinausgehenden Zusammenarbeit interessiert ist. Etwa in Form einer ausführlichen Fotostrecke mit Homestory. Wir erwarten die Zusage seines Managements.«

»Ja, ich kann mir durchaus einen besseren Zeitvertreib vorstellen, und nein, ich weiß nicht, was sich darin befindet. Er ist ausschließlich für Crawford bestimmt. Mehr hat sie nicht dazu gesagt«, beantwortete Tom gereizt einen verschwindend geringen Teil der Fragen, mit denen Nelly ihn unaufhörlich bombardierte. Sie gab sich zufrieden und begutachtete den Umschlag von allen Seiten, während er leise fluchend eine der Kameras einsatzbereit machte, die für genau solche Fälle in der Redaktion aufbewahrt wurden und im Prinzip von allen benutzt werden konnten. Hektisch verstaute er sie wieder in der Schutzhülle und schob diese in seine Tasche. Laptop und Notizblock folgten, nachdem er einen Blick auf die Uhr an seinem Handgelenk geworfen hatte. Es blieb nicht mehr viel Zeit.

»Hm, aus dem Tresor, sagst du?«, murmelte sie, biss sich auf die Lippe und prüfte ein weiteres Mal, ob sich die angeklebte Lasche nicht doch öffnen ließ und den Inhalt preisgab. »Was kann das nur sein? Nun, er hat auf jeden Fall das Format … also können es eigentlich nur die Unterlagen sein!«, rief Nelly triumphierend aus. »Der Vertragsentwurf für die Homestory. Sharon setzt wirklich ihr ganzes Vertrauen in dich und scheint sich ihrer Sache überaus sicher zu sein. Da musst du aber auch wirklich alle Register ziehen, um seine Unterschrift auf das Papier zu bekommen. Mehr als ein kurzes Interview konnte noch niemand rausschlagen! Manche halten ihn sogar für launisch und überheblich. Es wird nicht leicht, da etwas herauszukitzeln.«

»Na toll, das klingt ja sehr ermutigend. Danke, dass du mich so aufbaust!«

Nelly legte eine Hand auf ihr Herz und warf einen verklärten Blick Richtung Himmel. »Aber wenn du mich fragst … er wird einfach nur missverstanden. Im Grunde seines Herzens ist er trotz allem ein toller Typ. Diejenigen, die er abblitzen lässt, weil sie ihm zu sehr auf die Pelle rücken, haben eben einfach nichts anderes, was sie schreiben könnten. Darum versuchen sie, ihm auf negative Weise eins auszuwischen.« Einer ihrer langen Fingernägel glitt unter die Lasche und Tom streifte sie mit einem ärgerlichen Blick.

»Lass das. Am Ende sieht es noch so aus, als ob ich den Umschlag manipuliert hätte. Es geht mich nichts an. Ich übergebe ihn, und damit hat sich die Sache«, murrte er.

»Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du viel zu gutmütig und zu ehrlich bist, um in diesem Job Karriere zu machen?« Mitfühlend sah sie ihn an und seufzte, was ihn nur noch mehr ärgerte, aber sie hatte recht. Er war nicht der Typ, der seine Ellenbogen rücksichtslos einsetzte oder jemandem Honig um den Bart schmierte, nur um an sein Ziel zu kommen.

»Darum bin ich ja auch nur der Bücherwurm von Seite zehn.«

»Ja, aber dafür ein wirklich süßer. Lauren kann sich glücklich schätzen«, murmelte sie und ließ endlich von seinem Mitbringsel ab.

Tom ignorierte die Bemerkung und schwieg, obwohl sein Gewissen sich meldete und ihn ordentlich in den Magen puffte. Er nahm sich vor, Nelly auf den neuesten Stand zu bringen – sobald er diesen Vormittag hinter sich gebracht hatte. Dann konnte er sich ihren Fragen ohne Zeitdruck stellen und sich in sein Schicksal ergeben. Neben Mode hatte Nelly nämlich noch eine weitere Leidenschaft, für die ihr Herz lichterloh brannte: das Verbandeln von einsamen Herzen. Egal, ob sie wollten oder nicht. Und sobald sie von der Trennung erfuhr, avancierte er sicherlich zu ihrem Lieblingsprojekt. Tom räusperte sich. Diesen Tumult konnte er momentan nicht auch noch brauchen.

Etwas anderes war viel wichtiger. Er hatte Nelly von dem seltsamen Gespräch in Sharon Prescotts Büro erzählt und nun war er auf ihre Hilfe angewiesen. Es war kein Geheimnis, dass sie eine Schwäche, eine sehr große Schwäche, für den Star hatte. Damit war sie vermutlich auch die beste Informationsquelle, die Tom zur Verfügung stand, während er alle Hände voll zu tun hatte. Ergänzend dazu plante er, später auf dem Weg noch das Internet zu durchforsten. »Erzähl mir lieber etwas über Jake Crawford. Ich bin dankbar für jede Information, die ich noch so kurz vor dem Interview bekommen kann.« Damit besaß Tom wieder ihre ganze Aufmerksamkeit.

»Was möchtest du denn wissen?« Nellys Augen begannen zu leuchten und sie wirkte beinahe wie ein kleines Kind, das einen prall gefüllten Weihnachtsstrumpf am Kamin vorfand. Er wusste zu gut, wie Kinderaugen leuchten und Herzen erwärmen konnten. Lynnie und ihre Familie hatten ihm diesen Anblick schon oft beschert.

»Alles«, blaffte Tom sie an, entschuldigte sich jedoch im gleichen Atemzug für seine schlechte Laune, die an ihm haftete wie ein eingetretener Kaugummi. Prüfend überflog er seinen Schreibtisch und steckte den Umschlag ein. Er hoffte, dass er nichts vergessen hatte. Tom warf sich den Taschengurt über die Schulter, schnappte sich seinen Kaffeebecher und stapfte eilig davon. Nelly hatte sichtlich Mühe, ihm zu folgen, aber darauf konnte Tom keine Rücksicht nehmen. Solange er die tippelnden Schritte hinter sich hörte, hielt er es nicht für nötig, langsamer zu gehen. Während er auf den Ausgang zuhielt, hörte er sie atemlos plappern.

»Da er sehr zurückgezogen lebt, werde ich dir leider nur wenige Fakten liefern können. Einige hechten eben vor jede Kamera, die irgendwo auftaucht, und setzen sich mit allen Mitteln in Szene. Jake allerdings …« Nelly nannte ihn beim Vornamen, als wäre er ein guter Freund aus Kindertagen. »Jake muss sich überhaupt nicht anstrengen. Je mehr er aus der Öffentlichkeit verschwindet, desto größer die Spekulationen um seine Person.«

»Nelly, komm auf den Punkt … ich muss los!«, riss Tom sie ungeduldig aus ihrem Vortrag. Er blieb abrupt stehen und drehte sich um, wodurch Nelly unsanft gegen ihn prallte. Ihre Verzückung verschwand augenblicklich. Sie wedelte beschwichtigend mit den Händen, als hätte sie sich eben erst wieder an eine wichtige Aufgabe erinnert.