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18. Jahrhundert, Schottland Sein ganzes Leben lang hat der Earl of Caithness auf den Moment der Rache gewartet – den finanziellen Ruin des Mannes, durch dessen Schuld er furchtbar entstellt wurde. Um dessen unbeteiligte Schwester vor der Mittellosigkeit zu bewahren, arrangiert er ihre Heirat. Eliza willigt widerstrebend in die Heirat mit dem unbekannten Mann ein, ohne jedoch zu ahnen, dass eine traumatische Vergangenheit beide Familien schon längst verbunden hat. Doch, wie soll er, das Ungeheuer von Muirin Castle, Elizas Herz gewinnen, ohne ihre Abscheu zu wecken und ohne seine wahren Beweggründe, die Rache an ihrem Bruder, preiszugeben?
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Seitenzahl: 316
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Beth MacLean
Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
http://www.d-nb.deabrufbar.
Print-ISBN: 978-3-96173-148-0
E-Book-ISBN: 978-3-96173-199-2
Copyright (2022) Eisermann Verlag
Lektorat: Bettina Dworatzek
Korrektorat: Daniela Höhne
Buchsatz: Grit Richter, Eisermann Verlag
Umschlaggestaltung: Grit Richter, Eisermann Verlag
Verwendete Bilder
Schloss: Photo by Mathias P.R. Reding & George Hiles
Wasser: Photo by Oliver & Hen Pritchard-Barrett on Unsplash
Hergestellt in Bremen, Germany (EU)
Eisermann Verlag
ein IMPRINT der EISERMANN MEDIA GMBH
Gröpelinger Heerstr. 149
28237 Bremen
Alle Personen und Namen innerhalb dieses Buches sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Schottland, Grafschaft Caithness,Frühjahr 1790
Seine Faust donnerte auf den Eichenschreibtisch. Nur mit größter Mühe gelang es dem Earl of Caithness, die kühle Selbstbeherrschung wiederzuerlangen, die ihm sonst stets zu eigen war. Erneut erhob er seine Stimme und presste die Worte durch seine Zähne, während er sein Gegenüber anfunkelte.
»Darüber hast du mich nicht in Kenntnis gesetzt! Niemals wurde sie von dir auch nur mit einem einzigen Wort erwähnt!«
Ohne eine Antwort abzuwarten, öffnete er die verkrampften Finger, in denen die Wucht des Aufpralls pochte, und legte sie um das Glas, das vor ihm stand. Er erhob sich von seinem Stuhl und schritt aufgebracht durch den Salon. Von Zeit zu Zeit nippte er an dem Lebenswasser, das golden schimmerte und bei jedem Schluck in seiner Kehle brannte.
Aufgewühlt blieb er in einer der Fensternischen stehen. Eine entstellte Fratze spiegelte sich im Glas und Hass schien sein Innerstes gefrieren zu lassen. William starrte hinaus in das Unwetter, das den Winter nasskalt verabschiedete und den Regen dabei unbarmherzig gegen die Scheiben peitschte.
»Bei Gott, du hättest es mir sagen müssen, James.«
Ein Seufzen erklang am anderen Ende des Salons. »Ach, ja. Das hätte ich in der Tat.« Lord Sutherland erhob sich nun ebenfalls, schlurfte zum Kamin und lehnte sich gegen die Steine. »Aber auch ich erlangte, wie ich bereits zu meiner Verteidigung vorgebracht habe, leider verspätet Kenntnis von den familiären Verhältnissen.« Er zuckte mit den Schultern und stocherte mit einem Eisen in der Glut, die annähernd dasselbe Rot zeigte wie seine Haarpracht. »Bis zum heutigen Tage war mir keineswegs bewusst, dass seine Schwester solch einen immensen Hinderungsgrund für dein Vorhaben darstellt. Du warst so erpicht darauf, endlich alle seine Schulden zu tilgen und damit in den Besitz des Anwesens zu gelangen. Ja, beinahe besessen. Ich hatte nun wirklich alle Hände voll damit zu tun, dort als Vermittler aufzutreten, die Überschreibung abzuwickeln und gleichzeitig deine wahre Identität geheim zu halten – was übrigens einige Anstrengungen erforderte. Zu all dem verlangst du, dass ich auch noch Nachforschungen über seine Familie betreibe?« Er schien verstimmt zu sein, leerte sein Glas in einem Zug und wandte sich dem knisternden Feuer zu.
William war bemüht, ihn zu beschwichtigen, trat zu ihm und unterbrach das Schweigen. »Für deine Bemühungen und deine Loyalität danke ich dir sehr.« Angespannt fuhr er sich durch sein Haar und versuchte sich an einer Erklärung. »Wie du weißt, pflege ich mit den Mackworths schon sehr lange keinen Kontakt mehr. Es war Zufall, dass ich vom Tod des Vaters erfahren habe. Ich bin davon ausgegangen, dass niemand sonst vom Erbe profitiert, und habe mich offensichtlich geirrt. Seine Schwester muss einige Jahre jünger sein. Jedenfalls habe ich sie nie kennengelernt. Und jetzt … jetzt ist es zu spät. Die Verträge wurden bereits unterzeichnet.« William wusste sehr wohl, dass dieses Argument nur ein Vorwand war und er durchaus davon absehen konnte, seine Ansprüche durchzusetzen.
Er wollte Rache – aber wollte er sie um jeden Preis? Auch sein Gegenüber wusste um die missliche Lage, in der er steckte. Erschöpft ließ er die Schultern sinken und rieb sich nachdenklich die Schläfen. Immer wieder kreisten seine Gedanken um die junge Frau und um die Vergeltung, die zum Greifen nah war.
»Ach, und dennoch!«, brach es schließlich aus ihm hervor. »Sie kann nichts dafür. Es ist partout nicht ihre Schuld. Er allein ist es, der büßen soll!« Voller Bitterkeit starrte William in die Flammen.
Sein Freund schwieg geraume Zeit, ehe er antwortete: »Du bist der neue Eigentümer des Anwesens, William, daran ist nun nichts mehr zu ändern. Wenn dir aber tatsächlich so viel an ihrem gesellschaftlichen Ruf gelegen ist, dann gib sie nicht der Schande und der Mittellosigkeit preis. Du allein hast es in der Hand.« James verstummte für einen Moment. »Heirate sie!«
England, East Midlands, Grafschaft Rutland, Herbst 1790
Aufgewühlt umrundete Eliza das Mobiliar im Salon und hielt auf eines der Fenster zu, dessen Glas zwar die Dunkelheit aussperrte, aber auch ihr Abbild widerspiegelte. Sie bewegte ihre Lippen, ohne einen Laut von sich zu geben, doch alles Verwünschen half nichts. Voller Entsetzen starrte Eliza auf den dunkelroten Fleck, der knapp eine Handbreit unter ihrem Dekolleté prangte und sich vom Stoff ihres Gewands abhob wie Blut von weißem Schnee. Mit spitzen Fingern zog sie die Falten des Kleides ein wenig auseinander, um den Schaden zu begutachten, dessen Ausmaß nun schonungslos sichtbar war. Eliza spürte deutlich, wie ihr die Verzweiflung und die Wut über dieses Dilemma das Blut heiß und pochend in die Wangen trieb. Nicht genug, dass das neue Kleid bereits ruiniert war, ehe sie an diesem Abend wenigstens einmal darin getanzt hatte. Hinzu kam, dass es Jane Thompson, diesem unversöhnlichen Ding, tatsächlich gelungen war, sie zu blamieren, indem sie Eliza wie ein Dummchen aussehen ließ, das den Beerenpunsch verschüttet hatte.
Eliza warf einen Blick über ihre Schulter. Das leise Quietschen der Klinke riss sie aus ihren Gedanken.
Einen Augenblick später schob sich ein brauner Lockenkopf durch den Türspalt. »Eliza? Hier steckst du also. Was ist denn geschehen?« Neugierig lugte Mildred, die Tochter des Gastgebers, herein und fächelte ihren Wangen dabei unentwegt kühle Luft zu. »Man hat mir gesagt, dass du dich aufgrund eines Missgeschicks gezwungen sahst, dich von den Feierlichkeiten zurückzuziehen, um in meinem Salon -«
»Endlich bist du da!«, rief Eliza erleichtert aus und eilte auf Mildred zu, die die Situation mit einem Blick erfasste.
»Oh!« Mildred hob die Augenbrauen und legte ihre Stirn in Falten. Geschwind schlüpfte sie zu Eliza in den Raum, zog die Tür hinter sich zu und sperrte das Stimmengewirr der Gäste und die Musik aus, die aus dem unteren Stockwerk zu ihnen nach oben drang.
»Milly, sieh es dir an!« Verzweifelt deutete Eliza auf den Fleck. »So kann ich unmöglich zur Gesellschaft zurückkehren! Nun waren alle Vorbereitungen umsonst. Das ist allein Jane Thompsons Schuld. Ich bin sicher, dass sie mich mit Absicht gestoßen hat, um mir den Abend zu verderben.« Eliza fischte ein Tuch aus einer Schüssel, wrang das Wasser aus und unternahm erneut einen kläglichen Versuch, die Verfärbung von dem Kleid zu wischen.
Mildreds dunkle Locken, zumindest die, die den festsitzenden Haarklammern entkommen waren, wippten auf und ab, als sie kopfschüttelnd auf Eliza zueilte. Sie beendete die aussichtslosen Bemühungen, indem sie das Tuch an sich nahm und es beiseitelegte.
»Nicht doch. Damit wirst du wenig Erfolg haben. Du verteilst das Rot nur umso mehr.« Nachdenklich legte sie einen Finger an ihre Lippen und eilte dann zu einer Kommode, in der sie einen beneidenswerten Vorrat an Bändern jedweder Couleur aufbewahrte. Ohne zu zögern, öffnete Mildred eine Lade, ließ ihren Blick schweifen und schnappte sich gezielt das breiteste Spitzenband.
»So könnte es gehen.« Mit Schwung schüttelte sie es aus und schob Eliza vor einen Spiegel, sodass diese verfolgen konnte, wie Mildred das Rot unter der Spitze verbarg. Zumindest den größten Teil. Unnachgiebig behauptete der Fleck weiterhin seinen Platz und blieb entweder ober– oder unterhalb des Bandes sichtbar.
Niedergeschlagen schloss Eliza die Augen und seufzte, doch Mildred schien nicht aufgeben zu wollen.
»Nun, wir werden wohl zu anderen Mitteln greifen müssen.« Entschlossen schnippte sie mit den Fingern und ließ das Band auf den Boden fallen. Dann zog sie Eliza hinter sich her und blieb erst wieder im Raum nebenan vor ihrem Kleiderschrank stehen. »Such dir etwas aus. Du hast die Wahl.« Großzügig breitete sie beide Arme aus und zwinkerte Eliza zu. »Mein Vorrat an Gewändern ist in jedem Falle größer als die Menge Punsch, die unten in der Schale bereitsteht. Falls also die liebe Jane weitere Gemeinheiten plant, sind wir auf jeden Fall gewappnet.«
Sogleich hob sich Elizas Laune. Es war immer Verlass auf Milly und sie konnte sogar schon wieder über den näselnden Tonfall lachen, mit dem ihre Freundin die junge Miss Thompson nahezu perfekt nachahmte. Eilig schlüpfte sie in eines der Kleider und ließ sich auf dem Rücken eine Schleife binden.
»Warum sollte Jane wohl so etwas tun?«, überlegte Mildred laut, während sie ihr Werk betrachtete. »Zu solcher Boshaftigkeit würde sie sich bestimmt nur dann hinreißen lassen, wenn sie den Anspruch auf einen Gentleman gefährdet sähe. Schließlich ist hinreichend bekannt, dass mit der flatterhaften Jane vor allem dann nicht zu spaßen ist, wenn man ihr in die Quere kommt, nicht wahr?« Mildred bedachte Eliza mit einem durchdringenden Blick, die daraufhin verlegen auf ihre Finger sah und an der Schnürung des Kleides zupfte. Ihre Wangen begannen zu pochen. Eliza ahnte, dass sie ihrer Vertrauten nichts vormachen konnte. Mildred würde gewiss so lange Fragen stellen, bis das Geheimnis, das sie seit Kurzem in ihrem Herzen trug, keines mehr war. Etwas zu verheimlichen, würde ihr nicht gelingen. Dafür kannten sie einander zu lange und zu gut. Aber wollte sie ihre Gedanken überhaupt für sich behalten? Nein! Sie wollte teilen, was sie in schlaflosen Nächten bewegte. Oder war es zu früh, um sichere Schlüsse und Mildred ins Vertrauen ziehen zu können? Die Fragen, die Eliza beschäftigten, ließen ihr Herz in einem Moment vor Freude hüpfen und im nächsten eng und schwer werden.
Schließlich fasste sie Mut. Eliza holte tief Luft, drückte Mildreds Hände und zog sie zu sich heran. »Nun … ich denke, dass er mich um einen Tanz bitten wollte.« Ihre Stimme hatte sich überschlagen. Vor Aufregung drang ein Juchzen aus ihrer Kehle. Mildreds verständnisloser Blick störte Eliza nicht im Mindesten.
»Wer? Wer wollte dich um einen Tanz bitten?«, flüsterte Mildred wissbegierig.
»Sir Gregory Barker!« Eliza schloss für einen Moment die Augen und schwelgte verzückt in Erinnerungen. Wenige Tage zuvor hatte er ihrem Bruder einen Besuch abgestattet und sich währenddessen auch mit ihr angeregt unterhalten. »Zumindest hat er mich vorhin angelächelt, sein Glas abgestellt und sich dann durch die Menge einen Weg zu mir gebahnt.« Mit einem Mal schwand ihre Begeisterung. Eliza ließ sich entmutigt auf einen Stuhl fallen. »Und ehe ich mich versah, eilte Jane mit Schwung an mir vorbei, um ihn derart ausgelassen zu begrüßen, dass es beinahe schon unschicklich war.«
Mildred seufzte und strich ihr tröstend über die Wange.
»Während ich mit meinem ruinierten Kleid hier oben festsitze, verwickelt sie ihn charmant in ein Gespräch, sodass er den Tanz mit ihr tanzt, der eigentlich für mich bestimmt war.« Während Eliza ein Band um ihre Taille legte, versuchte sie, sich mit dem Gedanken zu beruhigen, dass der Abend noch jung war und sich das Blatt noch wenden konnte.
»Soso. Der liebe Sir Gregory Barker also«, säuselte Mildred und lächelte verschmitzt.
Eliza fasste sich ein Herz und sprach aus, was sie beschäftigte. »Milly, er verbringt doch gelegentlich Zeit mit deinen Brüdern. Was ist zu dir durchgedrungen? Was weißt du über ihn? Ist er … gibt es da jemanden … ich meine, gedenkt er sich in naher Zukunft zu verloben?« Sie war nicht sicher, ob sie auf ihre neugierigen Fragen Antworten haben wollte. Es war viel schöner, zu träumen und nicht enttäuscht zu werden. Dennoch siegte Elizas Neugierde. Sie ließ sich von Mildred zu ihrer Récamiere ziehen und setzte sich neben ihre Freundin, die sogleich eifrig berichtete.
»Nein, davon ist mir nichts bekannt. Und dass Jane ihn so vertraut begrüßt hat, darf dich nicht verwundern. Seit Kurzem pflegt sie regen Briefkontakt mit Sir Barkers Schwester.«
»Sicher nicht ohne Hintergedanken. Vermutlich erhofft sie sich dadurch bessere Chancen auf eine Annäherung«, warf Eliza mürrisch ein.
Mildred zwinkerte ihr zu. »Mach dir keine allzu großen Sorgen wegen Jane. Sir Gregory Barker dürfte zu Ohren gekommen sein, dass Jane bereits so manchem Gentleman gehörig den Kopf verdreht hat. Wenn er also einen Funken Verstand besitzt, lässt er sich nicht von ihr umgarnen, sondern widmet sich heute Abend allein dir.«
»O Milly. Das wäre zu schön.« Eliza schüttelte den Kopf und seufzte. »Warum muss ausgerechnet er ihre Aufmerksamkeit auf sich ziehen?«
»Nun, das dürfte nicht schwer zu erraten sein. Er besitzt ein gefälliges Äußeres und pflegt vorteilhafte Kontakte. Das ist nicht zu verachten. Falls er es geschickt anstellt, kann er durchaus den einen oder anderen einträglichen Handel abschließen.« Mildred schürzte ihre Lippen. Um ihren Worten mehr Gewicht zu verleihen, drückte sie ihren Finger gegen Elizas Arm. »Wenn er ihr jedoch nicht sonderlich am Herzen liegt und sie nur mit seinem Einkommen liebäugelt, dann sollte sie Sir Gregory Barker dir überlassen und sich lieber Lord Sutherland, diesen Rotschopf aus dem Norden, angeln. Neben seiner unübersehbaren Haarpracht besitzt er ein Vermögen, das nicht zu verachten ist … und zudem einen Titel, der weit höher steht.«
Eliza lachte auf. »Rotschopf? Sei nicht so respektlos, Milly«, tadelte sie und kramte in ihren Erinnerungen nach einem Gesicht, das sie dem Mann zuordnen konnte. »Meinst du etwa diesen wortkargen Gentleman, der bereits im Frühjahr bei euch zu Gast war? Er ist wieder hier?«
»Hm«, brummte Mildred und nickte. Eliza hatte ihn nur kurz gesehen und nicht einmal ein Wort mit ihm gewechselt. Das Beeindruckendste war die Farbe seiner Haare gewesen. Vermutlich hatte sie ihn nur deshalb bemerkt.
Zufrieden betrachtete Eliza sich im Spiegel. Mildreds Kleid stand ihr tadellos und Agnes, Elizas Amme aus Kindertagen und immer noch die gute Seele im Hause Mackworth, hatte ihre hellen Locken kunstvoll hochgesteckt und mit Perlen verziert. Ihre Wangen, auf denen sich die vergangene Aufregung noch zart abzeichnete, bildeten einen schönen Kontrast zum Blau ihrer Augen.
»Mit solch einem strahlenden Aussehen wird sich an diesem Abend bestimmt das eine oder andere Herz erobern lassen«, neckte Mildred und legte einen Arm um Elizas Taille. »Lass uns endlich gehen!«, drängte sie und eilte zur Tür.
Nach einem letzten Blick in den Spiegel hob Eliza ihr Kleid auf, wandte sich um und folgte Mildred. Es war schon genug Zeit vergeudet worden, die es eigentlich zu nutzen galt. Die Tage bis zum nächsten Ball und einer weiteren Begegnung mit Sir Gregory Barker würden ohnehin viel zu langsam verstreichen.
Eliza bog in den schwach beleuchteten Gang ab, der in den Dienstbotentrakt führte und schritt geräuschlos über den Teppich. Obwohl sie darauf brannte, in den Festsaal zurückzukehren, wollte sie eine der Mägde lieber gleich bitten, sich um das Bleichen des Stoffes zu kümmern, sonst war das Kleid womöglich überhaupt nicht mehr zu gebrauchen.
Plötzlich vernahm Eliza Geräusche und blieb wie angewurzelt stehen. Außer ihr war offensichtlich noch jemand auf den einsamen Fluren unterwegs. Eliza ignorierte den Schauer, der sich über ihren Nacken zog, und widerstand dem Drang, einen Blick über die Schulter zu werfen.
»Bitte!« Eliza fuhr zusammen, als der Ruf durch den Korridor hallte. »Gewährt mir noch ein wenig Aufschub!«, flehte ein Mann und mit Erstaunen erkannte Eliza die Stimme ihres Bruders. Von seiner Selbstsicherheit und der bisweilen prahlerischen Wortwahl, für die sie ihn schon so manches Mal gerügt hatte, schien nichts mehr übrig zu sein. Es war äußerst seltsam, ihn so zu erleben.
Nachdenklich warf Eliza einen Blick auf ihr verschmutztes Kleid. Sie hatte einen Grund, hier zu sein. Was aber Thomas abseits von Musik und Tanz zu suchen hatte und wer da bei ihm war, darauf vermochte Eliza sich keinen Reim zu machen. Im Grunde ging es sie auch nichts an und Eliza entschied, ihren Weg unbemerkt fortzusetzen. Ehe sie jedoch an der Nische vorbeischleichen konnte, aus der seine Stimme zu ihr gedrungen war, kam Eliza nicht umhin, die Antwort des Unbekannten mit anzuhören.
»Nein! Ihr hattet bereits ein halbes Jahr Zeit, Eure Angelegenheiten zu regeln. Das war mehr als großzügig. Es bleibt dabei!«, entgegnete der andere Mann.
Thomas begehrte mit schriller Stimme auf. »Aber … das könnt Ihr nicht tun!«
Die Unnachgiebigkeit, die in den Worten des Gentlemans lag, und die Macht, die er offenbar über ihren Bruder zu haben schien, beunruhigten Eliza zutiefst. Sie überlegte einen Moment, ob sie zurückschleichen sollte, aber es war zu spät. Der Mann, der ein Wortgefecht mit ihrem Bruder geführt hatte, trat mit energischen Schritten aus der Nische. Ein Ruck ging durch seinen Körper, als er Eliza entdeckte. Der Mann blieb wie angewurzelt stehen und versuchte, seine Überraschung zu verbergen. Eliza vermutete, dass er ebenso wenig wie sie darauf gefasst gewesen war, noch jemand anders anzutreffen. Obwohl er sich höflich verbeugte, entging ihr nicht, dass seine Miene sich verschloss. Eliza erwiderte seine Ehrenbezeigung mit einem Knicks und nahm ihn aufmerksam in Augenschein, als er sich kurz zu ihrem Bruder umwandte. Er war hochgewachsen und ausgesprochen elegant gekleidet. Was jedoch am meisten hervorstach, war seine Haarfarbe, und sie versuchte, sich den von Milly als Rotschopf bezeichneten Herrn in Erinnerung zu rufen. Gewiss handelte es sich bei dem Gentleman, der ihr gegenüberstand, um Lord Sutherland, schoss es Eliza durch den Kopf. Die Möglichkeit, dass zwei Männer, die mit den Heathcotes verkehrten, eine ähnlich auffallende Haarpracht besaßen, erschien Eliza zu abwegig.
Im selben Moment trat Thomas neben den Gentleman, der dessen rundliche Gestalt um einen ganzen Kopf überragte. Peinlich berührt schloss Eliza kurz die Augen und wünschte sich an einen anderen Ort, als sie bemerkte, dass ihr Bruder angetrunken war. Er gab in der Tat ein jämmerliches Bild ab. Seine Haare waren zerzaust und er schwankte, was wohl nicht zuletzt daran lag, dass das Glas in seiner Hand fast leer war.
Der Blick aus seinen blutunterlaufenen Augen zeugte von Wut. »Was willst du hier?«, wetterte Thomas, als er seine Überraschung verdaut und seine Sprache wiedergefunden hatte. Am liebsten hätte Eliza mit einer spitzen Bemerkung geantwortet, unterließ es jedoch in Gegenwart des Gentlemans. Sie bemühte sich, ruhiger zu atmen und ihren Ärger hinunterzuschlucken.
Eliza setzte ein Lächeln auf und hielt ihr Kleid so, dass der Fleck zu sehen war. »Ein Missgeschick, das die Dienerschaft hoffentlich vollständig beseitigen kann«, erklärte sie gefasst und vermied es, den Mann, der neben ihrem Bruder stand, direkt anzusehen. Sie registrierte dennoch, dass er sie nicht aus den Augen ließ, während Thomas den restlichen Wein in seine Kehle kippte.
»Ich glaube, wir wurden uns noch nicht vorgestellt«, unterbrach der Fremde schließlich das peinliche Schweigen. Das Lächeln, das auf seinen Lippen lag, stimmte Eliza versöhnlicher.
Thomas seufzte und deutete mit einer ausholenden Bewegung zuerst auf Eliza und anschließend auf ihr Gegenüber. »Miss Eliza Mackworth … der Earl of Sutherland.« Obwohl er den Namen des Adligen beinahe spöttisch ausgesprochen hatte, ließ der sich nichts anmerken.
Eliza hatte also richtig vermutet. Sie erwiderte sein Lächeln und nickte ihm zu. »Lord Sutherland.«
Einen Moment später huschte ein Schatten über sein Gesicht. Er senkte den Blick und räusperte sich. »Sir Thomas Mackworth, bitte entschuldigt mich. Ihr zieht es sicher vor, ungestört zu sein.« Dann wandte Lord Sutherland sich an Eliza. »Miss Mackworth, es war mir eine Freude, Euch kennenzulernen.« Er verbeugte sich elegant, bedachte die Geschwister mit einem letzten Blick und schritt in Richtung des Ballsaals davon.
»Sutherland? Liegt die Grafschaft nicht weit im Norden?«, ergriff Eliza das Wort, während ihr Bruder sich gegen die Wand lehnte und stöhnte. Sie bemühte sich, nicht zu interessiert zu wirken, während sie sich fragte, worüber die beiden geredet hatten.
»Jaja«, maulte Thomas und schleuderte das Glas an die Wand.
Eliza zuckte zusammen und starrte erschrocken auf die unzähligen Scherben, in die es zerbrochen war. Weit verstreut lagen sie auf dem Boden und warfen das Kerzenlicht zurück.
»Thomas! Was tust du denn da? Führ dich im Haus unserer Freunde gefälligst nicht so auf!«, wies sie ihn zurecht. »Sieh dich an. Du bist ja völlig betrunken!«
»Ja, allerdings! Ich bin betrunken«, rief Thomas, hob seine Arme und drehte sich torkelnd um sich selbst, ehe er das Gleichgewicht verlor und zu Boden ging. »Lass mich heute noch ein letztes Mal mein Leben genießen – morgen ist alles vorbei.« Sein unheimliches Lachen ließ Eliza erschaudern. Ungehalten wehrte er ihre Versuche ab, ihn wieder auf die Beine zu bringen.
»Wie meinst du das? Wovon redest du?«, wisperte Eliza und sah sich um. Glücklicherweise waren sie allein. Wenn jemand mitbekäme, wie ihr Bruder sich mühsam an der Wand hochstemmte, würde das garantiert für Gesprächsstoff sorgen.
Seine Worte klangen verwaschen. »Ich meine es so, wie ich es gesagt habe, liebe Schwester … vorbei.« Mahnend hob er den Finger. »Und übrigens nicht nur mein Leben … deines natürlich ebenfalls, denn man wird dich wohl kaum in einem Hause wohnen lassen, das mir nicht mehr gehört.«
Thomas wirkte plötzlich niedergeschlagen. In Gedanken versunken strich er über die Narbe an seinem Handgelenk. Er trug sie, seit Eliza sich erinnern konnte. Sie wusste nicht, wie oft sie ihn schon nach der Verletzung und dem daraus entstandenen Wundmal gefragt hatte. Eliza hatte niemals eine Antwort erhalten, war immer auf eine Mauer des Schweigens gestoßen und hatte es mit den Jahren aufgegeben, mehr darüber zu erfahren.
»Du solltest diesen Abend nutzen und dir einen Mann angeln. Man wird dich schon bald nicht mehr zu Gesellschaften einladen, wenn sich erst einmal herumgesprochen hat, dass du mittellos bist«, knurrte er und wischte sich mit dem Ärmel über den Mund. »Wenn wir Glück haben, dürfen wir so lange in unserem Zuhause bleiben, bis wir eine andere Unterkunft gefunden haben. Im besten Fall sind das ein paar Wochen. Bitte doch deine Freundin Milly, bei ihr wohnen zu dürfen.«
Mittellos – ein grausames Wort. Elizas Gedanken überschlugen sich. Keinen einzigen konnte sie fassen. Wortlos starrte sie ihren Bruder an. Er war ihr noch nie so fremd gewesen wie in diesem Augenblick.
Sein wirres Gerede warf Fragen auf, die Eliza ihm am liebsten alle gleichzeitig entgegengeschleudert hätte, doch sie zwang sich mit aller Macht, Ruhe zu bewahren. Eliza klammerte sich an die Vorstellung, dass alles, was er gesagt hatte, nicht ernst gemeint war. Es konnte, nein, es durfte nicht sein, dass sie das Familienvermögen verloren hatten. War das wieder einer seiner üblen Scherze, mit denen er sie bisweilen zu verunsichern versuchte? Natürlich! Das musste es sein! Elizas Anspannung löste sich und ihr Atem bahnte sich in einem Keuchen seinen Weg. Sie versuchte sich an einem Lächeln, denn sie wollte ihm auf keinen Fall den Triumph gönnen und verärgert oder gar verstört wirken.
»Ich bin es wirklich leid, deine Streiche zu ertragen«, entgegnete sie säuerlich.
Überraschend schnell preschte Thomas vor und packte sie am Arm. Eliza unterdrückte einen Schmerzenslaut, während ihr Puls in die Höhe schoss. Unnachgiebig hielt er sie fest und starrte sie zornig an. Eliza konnte seinen schalen Atem riechen und den Zorn in seinen Augen aufblitzen sehen.
»Hör mir zu! Egal, was du von nun an tust, Eliza. Es wird nichts, rein gar nichts daran ändern, dass wir weder Geld noch Grund haben«, zischte er und sie begriff mit Schrecken, dass es ihrem Bruder absolut ernst war.
Mehr als ein Flüstern drang nicht aus ihrer Kehle. »Was hast du getan, dass es so weit kommen musste?«
Wie betäubt bahnte Eliza sich ihren Weg durch die plaudernden und lachenden Gäste im großen Saal. Die Fläche in der Mitte wurde von Tanzpaaren beansprucht und so drängten sich die anderen, die pausierten, am Rand zusammen, um ihre neugierigen Blicke schweifen zu lassen oder tuschelnd Neuigkeiten auszutauschen. Die Luft war stickig und schien kaum zum Atmen auszureichen. Eliza tastete nach der Kette, die sie von ihrer Mutter geerbt hatte. Das feingliedrige Schmuckstück schien immer enger zu werden und sich unerbittlich um ihren Hals zuzuziehen. Die Musik wandelte sich zu Lärm, der nur noch schwer zu ertragen war. Bekannte lächelten und grüßten, doch Eliza nahm alles wie durch einen Nebel wahr und konnte nicht reagieren. Ihr Körper schien wie gelähmt zu sein. Trotzdem gelang es ihr, sich durch die Menge zu schieben.
Endlich erreichte Eliza die Tür, die auf den Balkon führte, stieß sie auf und stolperte nach draußen. Die Nachtluft hüllte sie sofort ein und verschaffte ihr ein wenig Erleichterung. Eliza sog die Kälte mit jedem Atemzug tief in ihre Lunge. Langsam konnte sie wieder klarer denken. Im Gegenzug schien jedoch die Kraft ihrer Beine zu schwinden. Zitternd trat Eliza an die Brüstung, legte das verschmutzte Kleid ab und stützte sich auf die schmalen Steinplatten – eine letzte Barriere vor dem Abgrund. Heiße Tränen schossen ihr in die Augen, während sie verzweifelt und ratlos in der Schwärze der Nacht, über der ruhig und erhaben die Sterne strahlten, nach Antworten suchte.
Die Musik wurde lauter, drang zu ihr durch und zerstörte die heile Welt, in die sie sich in Gedanken geflüchtet hatte. Hatte sie nur Augenblicke oder Stunden in Nacht und Kälte verbracht? Eliza hatte ihr Zeitgefühl verloren, aber das war ohne Belang. Alles schien bedeutungslos zu sein.
Eliza unterdrückte ein Seufzen. Irgendjemand hatte die Tür geöffnet, war zu ihr ins Freie getreten und störte die Abgeschiedenheit. Widerwillen regte sich in ihr. Sie wollte nicht höflich Konversation betreiben, sondern allein sein.
Ihre Hoffnung, dass die Person wieder in den Ballsaal zurückkehrte, zerschlug sich. Der Mann räusperte sich leise. Einerseits schien er sie nicht aus ihren Gedanken reißen zu wollen; andererseits machte er deutlich, dass es ihn nicht beeindruckte, wenn Eliza ihn ignorierte – er blieb. Schlimmer noch, er näherte sich und sprach sie an.
»Miss Heathcote bat mich, Euch dies zu überbringen.« Eliza erkannte die Stimme des Earls of Sutherland.
Verstohlen wischte sie sich die Tränen aus den Augenwinkeln und wandte sich ihm zu.
»Milly … ich meine … Miss Heathcote, sie hat Euch geschickt?« Ungläubig sah Eliza ihn an und griff nach dem Schultertuch, das er auf der Brüstung abgelegt hatte. Der Earl of Sutherland war es sicher nicht gewohnt, als Bote zu fungieren, und sie fragte sich, was ihn dazu veranlasst hatte, dem Wunsch ihrer Freundin zu entsprechen.
Er zog seine Brauen zusammen. »Nun, genau genommen war ich es, der sie mit Nachdruck dazu überredet hat, diesen Dienst an ihrer statt zu übernehmen.«
Eliza fröstelte, warf sich den dünnen Stoff um die Schultern und wartete darauf, dass er fortfuhr. Schließlich schien er sich einen Ruck zu geben und holte tief Luft. »Ihr fragt Euch sicher, warum ich das tue«, begann er vorsichtig. »Nun, ich bin über die Situation, in der Ihr Euch befindet, im Bilde. Eure Unruhe ist Euch anzusehen, und daher erschien es mir sinnvoll, das Gespräch zu suchen, um möglicherweise … diese Last von Euch zu nehmen«, fügte er mit Bedacht hinzu und beobachtete aufmerksam ihre Reaktion.
Eliza wich zurück. Ihr Magen verkrampfte sich. Wie konnte der Earl of Sutherland es wagen, sie auf die Misere anzusprechen? Immerhin war er es, der in unglücklicher Verbindung zu ihrem Bruder stand und sie ihres Zuhauses beraubte. Es gab keine Perspektive. Sie bezweifelte, dass ihre Verwandtschaft sie ungeachtet der Schande, die Thomas über die ganze Familie gebracht hatte, mit offenen Armen empfangen würde.
»Ich kann mir nicht vorstellen, was Ihr, Lord Sutherland, mir noch Wichtiges zu sagen hättet.« Ihre Stimme zitterte und sie lachte voll Bitterkeit auf. »Außerdem bezweifle ich, dass Ihr mir diese Last, wir Ihr es nennt, abnehmen könnt. Es sei denn, Ihr verzichtet auf alles, womit mein Bruder in Eurer Schuld steht. Aber warum solltet Ihr das tun? Was kümmert es Euch überhaupt, was aus uns, was aus mir wird?« Elizas Lippen bebten, dennoch hob sie stolz ihr Kinn und sah ihm in die Augen. »Ich werde auf das Wohlwollen anderer angewiesen sein und das Gerede hinter meinem Rücken ertragen müssen, während unser Familienbesitz …« Ihre Stimme versagte, also setzte sie ein dünnes Lächeln auf und überspielte den Sturm aus Gefühlen, der in ihr tobte. Eliza nickte Lord Sutherland flüchtig zu, straffte ihre Schultern und ließ ihn einfach stehen.
»Es entspricht der Wahrheit, dass Euer Bruder äußerst unbedacht Verpflichtungen eingegangen ist, die ihm letztlich zum Verhängnis wurden«, ergriff er das Wort. Irgendetwas in seiner Stimme bewirkte, dass Eliza an der Balkontür verharrte und nicht in den Saal zurückkehrte. »Leider treffen die Konsequenzen nicht nur ihn, sondern bedauerlicherweise auch Euch. Ebenso brauche ich nicht zu erwähnen, dass Ihr diesem Dilemma nur dann entrinnen könnt, wenn Ihr Eure Zukunft mutig annehmt. Selbst wenn das bedeuten sollte, dass Ihr Euch in das Unbekannte wagt. Ihr habt die Wahl … entscheidet weise.« Er zögerte, bevor er leise weitersprach. »Verzeiht meine offenen Worte, Miss Mackworth. Obwohl wir uns im Grunde nicht kennen, ist dieses vertrauliche Gespräch allein der Tatsache geschuldet, dass mir Euer Wohl am Herzen liegt, Euch jedoch nicht mehr viel Zeit bleibt.«
Trotz seiner Entschuldigung bahnte sich Elizas Entrüstung ihren Weg und ihr Stolz verhinderte, dass sie besonnen und weniger vorlaut reagierte.
»Eine Wahl? Ich habe eine Wahl? Ihr irrt Euch, Lord Sutherland. Mir bleibt nichts!«, erwiderte Eliza und funkelte ihn trotzig an.
Ihr Gegenüber gab sich nicht geschlagen und beschwor sie eindringlich. »Es gibt einen Ausweg. Allerdings müsstet Ihr Euer bisheriges Leben aufgeben.« Er hob eine Hand, ehe sie ungestüm widersprechen konnte. »Eine Heirat, die sicher nicht zu Eurem Nachteil gereicht.«
Eliza war nicht sicher, ob sie richtig verstanden hatte, und starrte ihn mit offenem Mund an. In ihrem Kopf herrschte ein heilloses Durcheinander.
»Es würde Euch an nichts fehlen. Ihr hättet Euer Auskommen und obendrein den Titel einer Countess«, warf der Earl of Sutherland weitere Trümpfe in die Waagschale.
Waren ihre Gebete erhört worden? Oder war der Teufel am Werk? Wie konnte es sein, dass ihr ein solches Angebot unterbreitet wurde? Das Herz schlug ihr bis zum Hals, während sie versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. »Könnt Ihr Euch vorstellen, im Norden zu leben?«
Vor Elizas Augen drehte sich alles. Das konnte ihre Rettung sein. Ungläubig sah sie ihn an. Die Welt um sie herum schien zu versinken. Nie im Leben hätte sie erwartet, dass ihr an diesem Abend ein Gentleman die Ehe antragen würde. Sie wusste nicht, was sie antworten sollte, und fragte sich, was ihn überhaupt zu diesem Schritt bewogen hatte.
Der Earl of Sutherland stand ruhig und gelassen vor ihr, sah sie an und wartete offensichtlich auf eine Reaktion. Der Hauch eines Lächelns umspielte seine Mundwinkel. Nicht anzüglich – eher vertraut. Er bedrängte sie nicht, seine Frau zu werden. Nein, er ließ ihr die Möglichkeit, ihr Gesicht zu wahren. Eliza musste sich eingestehen, dass sie im Grunde keine Wahl hatte – und er wusste das. Sie wurde erfüllt von dem Gefühl, dass sich in dieser Nacht, in diesem Moment ihr Leben, ihre Zukunft neu ordnete. Die Dankbarkeit, dass sich ein Ausweg aus dieser Hoffnungslosigkeit aufgetan hatte, und die Angst, was diese Möglichkeit mit sich bringen würde, fochten in ihrem Innern einen erbitterten Kampf.
In ihrer Vorstellung sah sie den jungen Mann, der ihr schlaflose Nächte bescherte. Was, wenn sie die falsche Entscheidung traf? Wenn sie Lord Sutherlands Antrag in der Hoffnung ablehnte, Sir Gregory Barker könnte sich zu ihr bekennen – er das jedoch nie tat? Sie hätte eine Chance vertan, wäre verloren! In jenem Augenblick hätte Eliza alles gegeben, um in die Zukunft sehen zu können.
Sie hatte Mühe zu schlucken. Sich für ein Leben im Norden zu entscheiden, brächte Sicherheit, würde jedoch unweigerlich bedeuten, dass sie Milly zurücklassen musste. Allein die Vorstellung schmerzte, keine vertrauten Gespräche mehr führen zu können, sie nicht mehr in ihrer Nähe zu haben. Wenigstens bekäme sie dort eine neue Familie, in die man sie hoffentlich herzlich aufnehmen würde.
Die Erleichterung, die dieser Ausweg mit sich brachte, verwandelte sich in Unsicherheit. Wenn sie den Antrag annahm, stand ihr eine noch größere Veränderung bevor – das Leben mit einem Mann, den sie eigentlich nicht kannte. Verlegen nahm Eliza ihn in Augenschein, musterte ihn unauffällig. Der Earl of Sutherland war eine stattliche Erscheinung und nicht zu übersehen, denn das Licht, das aus dem Saal auf sein Haar fiel, ließ es glutrot schimmern. Eliza sah zu ihm auf und versuchte, sich sie beide als Paar vorzustellen. Sie malte sich aus, wie es sein würde, ihr Leben an der Seite dieses Mannes zu verbringen und ihn zu lieben. Zu lernen, ihn zu lieben, verbesserte sie sich.
»Das … das ist alles sehr verwirrend und kommt überraschend«, stammelte Eliza. Sie wollte Zeit gewinnen, obwohl er offenbar sofort eine Antwort erwartete. Die Anspannung, die sich aufgebaut hatte, verursachte ein unangenehmes Ziehen in ihren Schläfen. Erschöpft lehnte Eliza ihre Stirn an das Glas, das in Form eines Fensters in die Balkontür eingearbeitet worden war, und seufzte. Ihr Atem schlug sich an der kalten Fläche nieder, während sie das Treiben im Haus beobachtete.
Die Musik drang gedämpft zu ihnen auf den Balkon. Wie heiter es dort drinnen zuging und wie unwirklich alles erschien. Bestimmt ahnte niemand, welches Drama sich draußen abspielte und welche weitreichende Entscheidung Eliza treffen musste.
»Ich bin überzeugt, dass Ihr die richtige Wahl treffen werdet.« Eliza zuckte zusammen, als seine Stimme erklang und sie aus ihren Gedanken riss. »Darf ich Euch in den Saal begleiten?« Galant hob er seinen Arm.
Sie zögerte, denn sie wusste, dass es nicht nur eine Geste aus Höflichkeit war. Wenn sie darauf einging, dann akzeptierte sie seinen Antrag und gab stillschweigend ihr Einverständnis zur Heirat. Dabei wusste sie nichts über diesen Mann, außer dass er sie ruiniert hatte. Nein, korrigierte sie sich, in Wahrheit war es ihr Bruder gewesen, denn er konnte die Schulden, die er beim Earl of Sutherland angehäuft hatte, nicht tilgen. Und nun lag es an Eliza, sich schweren Herzens zu einer Entscheidung durchzuringen.
Ihr Blick glitt über das Meer von Gästen, bis sie Sir Gregory Barker in der Menge entdeckte – zusammen mit Jane Thompson. Sie strahlten und bahnten sich ihren Weg zur Tanzfläche. Der Anblick versetzte Eliza einen Stich und sie ahnte, dass sich die Verbindung zu ihm, die sie zu spüren glaubte, niemals vertiefen würde. Es war nur eine Frage der Zeit, bis er von ihrer Situation erfuhr. Dieser Umstand würde seine Gefühle für Eliza sofort im Keim ersticken. Selbst wenn nicht, würde zumindest seine Familie auf einer vorteilhafteren Verbindung bestehen.
In Elizas Kehle bildete sich ein schmerzhafter Klumpen, als sie dem Earl of Sutherland ihre Hand reichte.
Eliza blickte missmutig aus dem Fenster der Kutsche in den Abendhimmel und wartete darauf, dass Ronald, ein Bediensteter Lord Sutherlands, die Tür öffnete, um Agnes und ihr beim Aussteigen behilflich zu sein. Eilig hatte Eliza es nicht, denn der Regen fiel unablässig in langen Fäden auf den ohnehin schon schlammigen Boden vor dem Gasthaus und bildete Pfützen in den Hufspuren.
Das Schaukeln verriet, dass Ronald vom Bock abstieg, um dann zum Haus zu eilen. Mit jedem Schritt der hageren Gestalt spritzte das Schmutzwasser auf und sammelte sich wieder in den Vertiefungen. Schließlich verschwand er hinter der Pforte. Nachdenklich starrte Eliza zum Eingang. Sie hatte den älteren Mann als ernsten und schweigsamen Gesellen kennengelernt.
Eliza sank mit dem Rücken gegen das üppige Polster, verzog missmutig ihre Lippen und seufzte. Nicht einmal der Komfort konnte ihr die Reise versüßen. Zu lange waren sie bereits auf den Straßen und Wegen, die allesamt nach Norden führten, unterwegs.
»Hoffentlich ist die Suche nach einem Zimmer diesmal erfolgreich«, murmelte sie und streifte Agnes, die ihr schweigend gegenübersaß, mit einem Blick. Stöhnend versuchte Eliza, ihre Glieder trotz der Körbe, Kistchen und Hutschachteln, die neben ihnen beiden aufgetürmt waren, zu strecken – ein paar Habseligkeiten, die ihnen geblieben waren und die sie hatten mitnehmen können.
Aufgrund ihrer Körperfülle musste Agnes, die eher eine mütterliche Vertraute für sie war denn eine Magd, während der gesamten Reise mit sehr wenig Platz auskommen und wirkte wie ein Korken, den man in einen Flaschenhals gepresst hatte. Bei diesem Gedanken prustete Eliza los. Agnes streifte sie mit einem tadelnden Blick, aber Eliza konnte nicht aufhören zu kichern. Die Vorstellung war zu komisch. Außerdem saß ihr die Haube nach ihrem Schläfchen schräg auf dem Kopf und eine ergraute Strähne hatte sich vorwitzig in die Stirn geschoben.
»Nun, wollen wir es hoffen, Kind, denn sonst müssen wir in dieser Kutsche nächtigen oder den Weg nach Sutherland im Dunkeln suchen. Selbst das käme mir gelegen, denn wir könnten uns endlich aus diesem fahrenden Gefängnis befreien«, entgegnete Agnes schnippisch, während sie die Decke, die über ihren Beinen lag, zurechtzog.
Sutherland. Eliza wurde mit einem Mal ernst. Der Name der Grafschaft hallte in ihrem Kopf. Bisweilen war sie abgelenkt gewesen oder hatte den Grund für die anstrengende Reise verdrängt, aber nun kehrte die Erinnerung zurück und traf sie mit voller Wucht. Die Schnürung ihres Kleides schien sich mit einem Ruck enger zu ziehen und ihr den Atem zu rauben. Verzweiflung überkam sie.
So, als wäre von dort Hilfe zu erwarten, starrte Eliza in die hereinbrechende Dunkelheit, schloss dann vor Erschöpfung die Augen und kämpfte die Tränen nieder, die sich hinter ihren Lidern sammelten.
Eliza spürte die Wärme, als Agnes ihre Hand drückte, und war dankbar, dass sie sie in dieser Zeit der Ungewissheit an ihrer Seite hatte. Eine bessere Begleitung und Unterstützung hätte sie sich nicht wünschen können.
»Am bheil thu gu math?«
Zögernd erwiderte Eliza den Blick der älteren Frau. Agnes hatte schottisches Blut in ihren Adern und von Zeit zu Zeit bahnten sich die Worte ihrer Kindheit einen Weg. Eliza konnte ihr nicht verdenken, dass sie sich auf die Rückkehr in das Land ihrer Ahnen freute. Aber auch wenn Eliza Gälisch nicht verstand, so tröstete sie doch der Klang ihrer Stimme. Es war ein Stück Heimat, das sie durch Agnes mit in die fremde Grafschaft nahm.
»Es geht mir gut.« Eliza wusste zwar nicht, ob es das war, wonach Agnes gefragt hatte, aber irgendetwas trieb sie in diesem Moment dazu, ihre Gefühle zu verbergen und Fassung zu bewahren. »Ich bin einfach nur sehr erschöpft«, log sie und wich Agnes’ Blick aus. Kraftlos ließ sie den Kopf nach hinten sinken, schloss die Augen und lauschte dem Trommeln des Regens.