17,99 €
Der Psychologie-Ratgeber zum Thema Selbstsabotage von Deutschlands bekanntestem Narzissmus-Experten, Dr. med. Pablo Hagemeyer Wir kennen sie alle: Die Beziehung, aus der man sich befreien möchte und dennoch bleibt. Die Tafel Schokolade am Abend, die eine Woche Fasten zunichtemacht. Den Wunsch zu sparen und dennoch sitzt der Geldbeutel locker. Doch was steckt dahinter, dass wir unsere Vorhaben und Ziele ständig selbst sabotieren? Wie Narzissmus zur Selbstsabotage führt Bestseller-Autor und Narzissmus-Experte Pablo Hagemeyer deckt die Mechanismen hinter dieser Spielart des Narzissmus auf. Er kennt den Konflikt zwischen der eigenen Bedürfniserfüllung sowie der Angst vor Ablehnung und Versagen. Denn dieser Konflikt führt zwangsläufig in die Selbstsabotage. Und die Ursache liegt in tief verankerte narzisstische Eigenschaften in uns allen. Narzisstische Motive können zu Erfolg, aber auch zu persönlichen Niederlagen führen. Zum Beispiel, wenn: - der oder die innere Kritiker*in zu laut wird - die überhöhten Ziele zu beißenden Selbstzweifeln führen - eine Bindungsangst besteht und Beziehungen sabotiert werden - durch Impulsivität, irrationale Ängste und überzogene Erwartungen wiederholt Fehlentscheidungen gefällt werden - wir gefallen, gesehen und belohnt werden wollen, möglichst schnell und ohne Umwege.Wie die eigene Persönlichkeitsentwicklung mit Hilfe von Empathie und Selbstliebe gelingen kann Anhand der eigenen Biografie und vieler Geschichten aus seiner Praxis erklärt Pablo Hagemeyer, selbst bekennender Narzisst, wie Narzissmus und die damit verbundene Selbstsabotage aufgelöst werden können. Nur mit Empathie für andere und uns selbst lassen sich narzisstische Muster durchbrechen. Denn die Feinde des Narzissmus sind Selbstliebe und gesunde Grenzen. Er zeigt auf, wie sich Selbstsabotage in unserem Leben unbemerkt breitmacht und welche Auswirkungen sie auf unsere Beziehungen, unsere Karriere und unsere Gesellschaft hat. Und er gibt Hoffnung, dass es nie zu spät ist, den inneren Narzissten zu bekämpfen! Bestseller-Autor Pablo Hagemeyer ist Betroffener und Experte zugleich Nur wer es sich selbst wert ist, kann eigene Bedürfnisse erkennen und erfüllen - gegen innere und äußere Widerstände. Die persönlich erzählten Fallgeschichtenin »Hör auf mit der Selbstsabotage« helfen uns dabei, die Spielarten des Narzissmus bei sich selbst und anderen besser zu verstehen.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 318
Dr. med. Pablo Hagemeyer
Unbewusste Narzissmusfallen erkennen und hinter sich lassen
Knaur eBooks
Dieses Buch ist für uns alle, denn jede und jeder von uns hat eine narzisstische Seite, durch die wir uns mitunter selbst sabotieren. Sie kann verdeckt, offen, grandios, sensibel, freundlich oder unerträglich sein. Als bekennender Narzisst weiß ich von den geheimen Qualitäten dieser Eigenschaft - und von ihren selbstzerstörerischen Auswirkungen. Als Psychiater zeige ich, wie man diese selbstsabotierenden Tendenzen erkennt, reduziert und wie man sich mit Humor von ihnen befreien kann. Denn es ist möglich, sich erfolgreich vor der eigenen und der Selbstsabotage anderer zu schützen.
Weitere Informationen finden Sie unter: www.droemer-knaur.de
Vorbemerkung
Vorwort
Einleitende Gedanken – Das Unbewusste in der Selbstsabotage
Der Ersttermin
Nachspüren, was Selbstsabotage ist
Narzissmus und Selbstsabotage
Frustration und Selbstsabotage
Drei Ebenen narzisstischer Konflikte
Alltagsnarzissmus
Narzisstischer Selbstgefallen
Narzisstische Selbstsabotage
Normaler Narzissmus und normale Selbstsabotage
Paradoxien aushalten
False Flags
Die Macht der eigenen Gedanken
Selbstsabotage durch Kognitionen
Individuelle Kognitionen
Psychoanalyse als Wissenschaft
Möglichkeiten und Wahrscheinlichkeiten
Humor und Narzissmus
Humorlos in Therapy
Systeme wechseln, nicht verwechseln
Humor als Zugang zum Narzissmus
Selbstbefreiung durch humorvolle Provokation
Widersprüche nutzen
Beim Fehlermachen zuschauen
Traumasymptome ernst nehmen
Parodie des Selbst
Anspruchsdenken und hohe Erwartungen
Narzissten haben Humor
Sanfte Provokation
Bedrohte Identität
Selbsttäuschung und Glaube
Humorloses Festhalten am Irrglauben
Empathie und Narzissmus
Menschlichkeit durch Empathie
Empathie
Diffamierung und Schuldumkehr
Empathie nutzen oder missbrauchen
Kontrastempathie
Empathie-Streik
Wellen der Seele
Abwarten und Tee trinken
Irrationale, optimistische Lösungswege
Optimistische Erwartungslosigkeit
Raus aus dem Problemdenken
Grandiosität als Selbstsabotage
Grandios und teuer in New Jersey
Grandios optimistisch und nervig
Grandiosität für Ehrlichkeit
Reduzieren und einkochen
Demut neutralisiert Grandiosität
Exit-Strategie: Was ist so schlecht daran, sich Gutes zu tun?
Trivialisierung
Ein Café am Rande der Küchenpsychologie
Schuldgefühlfalle
Astrologie
Irrationale Ängste und aberwitzige Inkonsequenzen
Außer Kontrolle
Golfregeln
Heldenreisen
Fortschritt ist nicht Stillstand
Nichts zu erwarten
Familienaufstellung
Gestalttherapie und Focusing
Placebo- und Noceboeffekt
Manipulation und Aufdeckung
Resilienz und Zaubersprüche
Trivialisierung, Trash und Trump
Satanic Panic
Innere Kritiker und Narzissmus
Irrational, streng und gnadenlos gegen mich
Die Horde innerer Kritiker
Kritische, laute Gedanken
Aufwachen
Statt extremer Selbstkritik
Inkompetenz blockiert
Innere Arbeit mit kleiner Verwaltung
Hochintelligent, clever und faul
Narzisstische Hochbegabung
Paargeschichten
Zwei Selbstbilder
Beziehungssabotage
Emotionsfokussierung
Ungute Dynamiken
Fortsetzung: Ungute Dynamiken
Ziele einer Paartherapie
Narzisstische zweite Chancen
Angst
Bindungsangst und Alleinsein
Herzensbildung gegen Selbstsabotage
Ästhetik als Rettung aus der Selbstsabotage
Es sich richtig schön machen
Das Leben ist schön!
Prokrastination
Dank
Weiterführende Literatur
Rechtehinweis
Einige der Personen im Text sind aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes anonymisiert.
In einigen Fällen wird im Text aus Gründen der Lesbarkeit das generische Maskulinum verwendet, das sich gleichermaßen auf alle Geschlechter bezieht.
Selbstverwirklichung und persönliche Entwicklung sind Reisen, die von zahlreichen Herausforderungen begleitet werden. Eine dieser Herausforderungen, die viele Menschen auf ihrem Weg antreffen, ist die Selbstsabotage. Die innere Stimme, die uns von der Entfaltung unseres vollen Potenzials abhält, kann sehr mächtig sein. Eines der zugrunde liegenden Elemente der Selbstsabotage, das oft übersehen wird, ist der Narzissmus.
In diesem Buch werden wir die tief verwurzelte Verbindung zwischen Narzissmus, Selbstsabotage und persönlicher Veränderung erkunden. Wir werden uns mit den Mechanismen und Mustern befassen, die uns daran hindern, unsere wahren Fähigkeiten zu erkennen und auszuleben, und damit, wie wir diese Muster durchbrechen können, um eine positive Transformation zu erreichen.
Narzissmus, der in der griechischen Mythologie auf den jungen Jäger Narziss zurückgeht, der sich in sein eigenes Spiegelbild verliebte und schließlich vor Verzweiflung starb, ist ein Begriff, der oft negativ konnotiert ist. In der Psychologie bezieht sich Narzissmus auf ein übermäßiges Interesse an sich selbst, ein aufgeblähtes Ego und einen Mangel an Empathie. Narzisstische Merkmale können in verschiedenen Ausprägungen auftreten und reichen von gesundem Selbstvertrauen bis hin zu pathologischem Narzissmus.
Selbstsabotage hingegen bezieht sich auf unsere Gedanken, Gefühle, Handlungen und Verhaltensweisen, die uns davon abhalten, unsere Ziele zu erreichen und ein erfülltes Leben zu führen. Es ist, als ob wir uns selbst im Weg stünden, oft aus Gründen, die uns gar nicht bewusst sind. Selbstsabotage kann in vielen Formen auftreten, von Prokrastination über den ständigen inneren Kritiker, der uns unsere Fähigkeiten abspricht, bis hin zu Perfektionismus.
Die Verbindung zwischen Narzissmus und Selbstsabotage liegt in der Art und Weise, wie wir unser Selbstbild konstruieren. Menschen mit narzisstischen Tendenzen neigen dazu, ein überhöhtes Bild von sich selbst zu haben, das sie oft aufrechterhalten müssen, selbst wenn es nicht der Realität entspricht. Dieser Druck, immer erfolgreich und perfekt sein zu müssen, kann zu einem inneren Konflikt führen, der eben in Selbstsabotage mündet.
Wenn wir beginnen, die narzisstischen Muster in uns selbst zu erkennen, können wir auch die Selbstsabotage-Mechanismen besser verstehen, die uns davon abhalten, unsere Ziele zu erreichen.
Die Reise der Selbstreflexion und Veränderung erfordert jedoch Mut und Ausdauer. Sie erfordert, dass wir ehrlich mit uns selbst sind und uns unseren inneren Dämonen stellen. Sie erfordert auch, dass wir mitfühlend mit uns selbst umgehen und lernen, unsere Schwächen und Unsicherheiten anzuerkennen, ohne uns selbst zu verurteilen. Die Verbindung zwischen Narzissmus, Selbstsabotage und Veränderung ist komplex, aber sie bietet auch die Möglichkeit zu tiefer Selbsterkenntnis und Wachstum.
In den folgenden Kapiteln werden wir tiefer in die Themen Narzissmus, Selbstsabotage und Veränderung eintauchen. Wir werden lernen, wie wir die narzisstischen Muster in uns selbst erkennen und Werkzeuge und Strategien entwickeln können, um die Selbstsabotage zu überwinden und uns auf den Weg zur positiven Veränderung zu begeben.
Es ist meine Hoffnung, dass dieses Buch Ihnen dabei helfen wird, die Macht der Selbstreflexion zu nutzen, um die Narzissmusfallen zu erkennen, die Sie gefangen halten, und um Ihre Reise der persönlichen Veränderung antreten zu können.
Ich lade Sie darum ein, mit mir auf diese Reise zu gehen und gemeinsam zu erkunden, wie Sie Ihre inneren Barrieren überwinden können, um ein erfüllteres und selbstbestimmtes Leben zu führen. Es wird nicht einfach sein, aber ich glaube fest daran, dass Sie die Fähigkeit haben, sich von den Fesseln des Narzissmus und der Selbstsabotage zu befreien und Ihr volles Potenzial zu entfalten.
Möge dieses Buch Ihnen Inspiration und Unterstützung bieten, während Sie sich auf den Weg zur positiven Veränderung begeben!
Sagt KI.
Was für ein elegantes und so treffendes Vorwort!
Danke, KI.
Wäre es nicht unfassbar nebbich (jiddisch für »dummes Zeug«)1, wenn nicht ich, sondern eine künstliche Intelligenz, deren Formulierungen keinen klaren Urheber haben, ein Buch über Selbstsabotage schreiben würde? Das wäre es dann. Für mich. Ich will nicht wissen, wie viele es längst tun. Und es nicht angeben. Und sich selbst damit verarschen.
Es ist jedoch auch ziemlich großartig, dass es heute KI gibt. Das ist nun paradox. Andererseits, wer damit ein Buch schreiben will – fantastisch! Denn Plagiate sind vorgestrig. Wer heute noch plagiiert und bei toten Psychologen abschreibt, der hat den Knall nicht gehört. Heute wird … Moment. Es gibt kein Verb dafür. Schon wieder paradox! Eine KI, die alles erfinden kann, hat für sich selbst keinen Namen.
Es gibt kein spezielles Verb oder einen etablierten Infinitiv, um die Tätigkeit des Schreibens oder Erstellens von Inhalten mithilfe von KI zu beschreiben, da dies eine relativ neue Praxis ist und sich die Terminologie in diesem Bereich noch entwickelt.
Je nach Kontext können Sie jedoch Verben verwenden, die allgemein mit der Verwendung von KI in Verbindung stehen, wie:
»Generieren« von Text mit KI
»Automatisieren« von Inhalten mithilfe von KI
»Verfassen« von Texten unter Einsatz von KI
»Erzeugen« von KI-gestützten Inhalten
»Kreieren« von Texten mit KI-Unterstützung
Die genaue Wahl des Verbs hängt vom Kontext ab und davon, wie spezifisch oder allgemein Sie die Aktivität beschreiben möchten.1
Ich, liebe Leserin, lieber Leser, möchte mich nicht selbst sabotieren und werde mich nun in meinen persönlichen, weitschweifigen, mal lustigen, mal trockenen, mal lyrischen Passus einfinden und mich ganz und gar radikal mir selbst zuwenden. Mit meinen ganz eigenen Widersprüchen und scheinbaren Widersprüchen, und Paradoxien, wie man so schön sagt.
So wie die KI noch ein Baby ist, so ist auch die Persönlichkeitspsychologie eine junge Wissenschaft, deren Forschungsergebnisse und Terminologie noch nicht klar entwickelt und scheinbar sehr widersprüchlich sind. Die einen sagen, Narzissmus habe nichts mit Kränkung zu tun, und können es sogar beweisen. Die anderen sagen, oh doch, die narzisstische Kränkung sei das Merkmal für Narzissmus. Die einen sehen überall nur noch Narzissten, und die anderen haben damit gar kein Problem.
Ich werde mich also, um aus diesem Dilemma herauszukommen, ganz mit mir selbst beschäftigen, was durchaus narzisstisch ist (oder egoistisch und selbst-relevant, nennen Sie es, wie Sie wollen), und mit dieser Herangehensweise über dieses Buch, das meine narzisstische Erweiterung ist. Ich werde mich hoffentlich mit großem geteiltem Interesse dafür, mit der narzisstisch motivierten Selbstsabotage, den Selbsterkenntnissen daran und den Spurwechseln daraus befassen.
Dieses Buch ist für uns alle, denn jede und jeder von uns hat eine narzisstische Seite, durch die wir uns mitunter selbst sabotieren. Sie kann verdeckt, offen, grandios, sensibel, freundlich oder unerträglich sein. Als bekennender Narzisst weiß ich von den geheimen Qualitäten dieser Eigenschaft – und von ihren selbstzerstörerischen Auswirkungen. Als Psychiater zeige ich, wie man diese selbstsabotierenden Tendenzen erkennt, reduziert und wie man sich mit Humor von ihnen befreien kann. Denn es ist möglich, sich erfolgreich vor der eigenen und der Selbstsabotage anderer zu schützen.
»Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten.«2
Wir kennen sie alle, die Freundin, die wie ferngesteuert und als wäre sie überhaupt nicht beteiligt, von einer Katastrophe in die nächste gleitet, so als wäre sie die Königin der »Opferolympiaden«, eine Artistin, die Medaillen für kleine und große Katastrophen sammelt, die sie völlig unverschuldet einfährt. Eine Freundin, die wir sehr lieb gewonnen haben, die aber aus dem Marathon der Tragödien zumindest von uns nicht zu retten ist.
Sie sei etwas zu spät, sagte sie, als sie in der Tür meines Praxiszimmers stand, und entschuldigte sich dafür. Sie war ähnlich groß wie ich, vermutlich eins achtzig, und ihre braunen Rehaugen fixierten mich. Ich sah ihr ins Gesicht. Sie hatte langes, wallendes Haar. War dezent, aber gekonnt geschminkt. Markantes Gesicht, kontrolliertes Mienenspiel. Leichtes Lächeln. Ihr Outfit war makellos, elegant. Ich bat sie in meinen Praxisraum. Sie trug ein kräftiges Parfum, dezent und leicht süßlich. Vermutlich nur ein Sprühstoß. Sie sei halbe Amerikanerin, sagte sie, setzte sich und breitete sich auf dem Sofa aus. Mantel, Tasche, Schal. Käme gerade aus Alaska zurück und müsse gleich weiter nach Berlin. Wegen der Modemesse. Ihr Deutsch hatte nur eine sehr dezente Note von Amerikanisch.
Jennifer Miles war der letzte Termin, den ich vor der Sommerpause hatte. Wir würden übermorgen nach Spanien starten – die ganze Familie in ein Urlaubsresort. Das hatte Carlota, meine Frau, ausgesucht und gleich gebucht. Mit dem roten VW-Bulli würde ich uns alle runterfahren. Carlota, mich, die fast erwachsenen Kinder und Luki, den Hund.
Ich unterlag im Bruchteil von Sekunden der zwanghaften normalen Einstellung, ihren Eros wahrzunehmen. Freundin: ja, nein? Feindin: ja, nein? Status: höher? Geringer? Sexualpartnerin: ja, nein? Das sind die ersten Millisekunden jeder menschlichen Begegnung.2 Wie sieht sie aus? Wie bewegt sie sich? Wie angemessen ist sie gekleidet?
Vor den poppig bunten Acrylgemälden saß sie auf der Couch. Dort sah sie sehr gut aus. Sie besitzt all das Vordergründige, das man als Frau so braucht, dachte ich. Mich begann das Hintergründige zu interessieren. Ich sagte ihr, sie sei eine beeindruckende Erscheinung. Ja, winkte Jennifer Miles ab, Modebranche. Da achte man schon von Berufs wegen aufs Äußere. Sie war charmant, aber auch kühl. Ich ließ das mal so stehen.
Mein Einfall in dieser Sekunde war, dass ich dem statistisch erhöhten Risiko ausgesetzt war, ein einvernehmliches erotisches Verhältnis mit einer Klientin anzufangen. Die Übertragung und die Gegenübertragung waren meiner Wahrnehmung nach unbewusst schon da. Psychotherapeuten über fünfzig und in einer Lebenskrise beginnen überdurchschnittlich häufig ein sexuelles Verhältnis mit ihren Patientinnen, so die wissenschaftliche Studienlage.3 Fast 30 Prozent der Fälle einer Erfassung über Missbrauchsanzeigen in der Psychotherapie waren sexueller Natur. Ein erhöhtes Risiko! Ein Tabu. Ich schob diesen Gedanken, der in der Psychoszene Realität ist, etwas beiseite. Das wäre selbstzerstörerisch. Das wäre Selbstsabotage. Das wäre idiotisch. Meine Gedanken flippten hin und her. Nein.
Schauen Sie, begann Jennifer Miles, ich bin erfolgreiche Unternehmerin. Aber ich habe diese Sehnsucht in mir. Unstillbare Sehnsucht. Innen ist es bei mir leer. Ich habe Ihre Bücher alle gelesen. Das sagen Sie doch auch.
Ich nickte.
Ich bin ein Leben lang so erzogen worden. Amerika ist ja wirklich viel narzisstischer als Europa, als Deutschland, sagte sie. Mein Vater war recht dominant, also habe ich da meinen grandiosen Narzissmus entwickelt, als Gegenwehr. Meine Mutter hat mich overprotectet. Gelobt für Kleinkram. Aber emotional hat sie mich nicht gesehen. Nicht bemerkt. Ich glaube, ich bin eine vulnerable Narzisstin. Ich bin viel mehr von meiner Mutter gemacht worden als von meinem Vater. Doktor, was meinen Sie? Kann das sein?, schloss sie.
Möglich ist alles, sagte ich.
Ich dachte, jemand müsse doch ihre innere Leere auffüllen. Hatte sie einen Lebenspartner?
Welche Sehnsucht haben Sie?, fragte ich.
Sehnsucht nach, sie dachte kurz nach, nach allem! Sie exklamierte es richtig. Ihre Hände gingen hoch. Griffen in die Luft. Alles, was mich innerlich fester macht. Sicherer.
Ich bin innerlich so unsicher. So furchtbar unsicher. Sie machte eine Pause und schien plötzlich wie blockiert.
Dann suchte sie etwas in ihrer Handtasche, sprach weiter. Ich weiß nicht, wer ich wirklich bin, Doktor Hagemeyer, sagte sie, ließ das erfolglose Suchen in der Tasche und wischte sich mit dem Handrücken eine Träne weg. Ich habe einen Freund, begann sie. Wir leben eine Fernbeziehung. Er ist, sagen wir, sie lachte, ein echter Narzisst.
Ich kommentierte, es sei nicht hilfreich, Etiketten zu verteilen für eine normale menschliche Eigenschaft, und am Ende sei man es selbst mehr als der andere. Jennifer nickte. Sie sagte: Ich stigmatisiere, ich weiß. Das ist falsch. Ich habe Sehnsucht danach, dass er mich mehr liebt. Aber ich spüre diese Liebe nicht. Ich spüre mich nicht. Innerlich. Obschon er mir genug Liebe gibt, ist es zu wenig für mich.
Sie spüren sich nicht, innerlich, wiederholte ich.
Nein, sagte sie. Da ist nichts. Da ist nur mein Kritiker.
Ich horchte auf. Wer?, fragte ich.
Mein innerer Kritiker, sagte sie. Mein innerer Richter, mein Impostor und Kritiker. Der macht mich am meisten fertig. Das ist, wie sagt man, Sabotage von innen!
Ich nickte. Davon hatte ich gehört.
Selbstsabotage, ergänzte ich.
Wissen Sie, sagte ich dann in dem Versuch, das bisschen Eis aus Alaska zu brechen, das noch da war: Ich habe gar keinen inneren Kritiker.
Waaas?, exklamierte Jennifer Miles voller Unglauben. Nein, das glaube ich nicht. Das stimmt nicht! JEDER hat einen inneren Kritiker, der einen fertigmacht.
Ich spürte ein paar Sekunden hin. Nein. Da war nichts.
Das kann nicht sein! Sie haben ihn verdrängt!!, stieß Jennifer Miles aus, beugte sich weit zu mir und lachte laut auf: Haha! Sie haben keinen, das ist ja unmöööglich!
Auch ich lachte etwas mit und suchte in mir. Nein. Nichts. Ich schüttelte den Kopf. Lächelte leicht triumphierend. Mein innerer Kritiker hatte Urlaub. Oder war tot. Oder nie da gewesen.
In diesem Moment spürte ich meine eigene leichte narzisstische Selbstüberhöhung und versuchte sie gleich wieder mit einem tiefen Ausatmen abzugeben.
Erst Wochen später würde ich mich an dieses Erstgespräch mit Jennifer Miles wieder erinnern. In der Zwischenzeit würde ich viel darüber nachgedacht haben, was Selbstsabotage ist. Jennifer Miles hatte ich für Notfälle meine Handynummer gegeben. Sie brauchte Sicherheit. Diese Sicherheit konnte ich ihr geben.
Und in diesem Sommer lernte ich ihn selbst kennen. Meinen inneren Kritiker. Und meine Selbstsabotage. Es war viel komplexer, als so manch einer denken mag.
Daher möchte ich in diesem Buch nachspüren, was es mit der komplexen und vielfältigen Selbstsabotage so auf sich hat, wenn sie vor dem Hintergrund narzisstischer Motive manifest wird, was die Wissenschaft dazu weiß, wie man es nutzen kann und – falls zu zerstörerisch – was man dagegen sinnvoll tun kann. Dabei nähere ich mich dem Thema auf narrative Weise.
Bei Selbstsabotage denkt man oder man verhält sich oft unbewusst und gleichzeitig meist zielgenau selbstzerstörerisch. Das fasziniert und interessiert mich besonders, denn Selbstsabotage hat nicht immer mit einer psychischen Erkrankung zu tun. Da ich mich hauptberuflich als Psychiater und Psychotherapeut mit dem Wahnsinn des Menschen in seiner klinischen Form beschäftige (als Psychose und wahnhafte Störung), möchte ich mehr darüber wissen, wie es ist, dem »Alltagswahnsinn« anheimzufallen, also wahnsinnig und selbstzerstörerisch zu sein, ohne wirklich verrückt, also klinisch krank zu sein.
Krankheit geht definitionsgemäß immer mit Leiden einher, aber es gibt viele Menschen, die an ihrem eigenen, ganz »normalen« Wahnsinn – in welcher dramatischen Ausprägung auch immer – nicht leiden. Das ist vermutlich auch der Grund, warum wir für eine Krankheit, wie es die Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen Merkmalen ist, und für einen »Normalzustand« des narzisstisch akzentuierten Persönlichkeitsstils denselben Begriff benutzen. Das ist unglücklich, weil es zu Verwechslungen zwischen dem normalen Alltagszustand (wie es die Sozialpsychologie beschreibt) und einem mit Leiden verknüpften Krankheitszustand (wie es die Psychiatrie beschreibt) kommen kann. Aber es würdigt, dass man als Mensch beides sein kann, ein normaler Alltagsnarzisst oder krank vor lauter Narzissmus. Die menschliche Natur und ihre Beschreibung ist voller Widersprüchlichkeiten. Schon das ist für einen klaren Austausch über das Thema Narzissmus selbstsabotierend.
Selbstsabotage ist ein Verhaltensmuster, bei dem typischerweise eine Person bewusst oder unbewusst Handlungen, Gedanken oder Verhaltensweisen anwendet, die ihrem eigenen Wohl oder ihren eigenen Zielen entgegenstehen. Es handelt sich um ein destruktives Verhalten, das dazu führen kann, dass jemand sich selbst behindert, seinen Erfolg verhindert oder sich selbst schadet, oft ohne sich dessen vollständig bewusst zu sein.
»Golf? Niemals! Niemals wirst du mich dazu bringen!«
Es war unser erster Sommerurlaub in so einer Hotelanlage, umgeben von einem riesigen Golfplatz. Um hinein- oder hinauszukommen, musste man über den Golfplatz.
»Ich bleibe hier«, sagte ich. Mich trieb nichts aus dem Apartment. Hier gab es WLAN, kühles spanisches Bier und Flan. Draußen waren 28 Grad und Windstille. Der Pool der Hotelanlage war überfüllt mit schreienden Kindern und tätowierten Holländern, die entweder alle im Wasser herumhüpften oder an der Poolbar Schnitzel mit Pommes vertilgten, während die Poolliegen mit ihren Handtüchern blockiert waren. Vierzig menschenleere, mit Strandtücher belegte Poolliegen. Grauenhaft. Das hatten sie sich vermutlich von den Deutschen abgeguckt.
Carlota sah mich auffordernd an. »Ich gehe da heute hin und schau mal, was geht. Ich werde mich hier nicht die nächsten vier Wochen zu Tode langweilen.« Wie konnte sie angesichts der auf uns zurollenden Klimakatastrophe an Golfspielen denken?! Es waren die Klimakleber, die unten an der Küste schon die Löcher eines Golfplatzes mit Zement vollgeschüttet hatten. Eine Protestaktion. Zu Recht! Um die »reichen Bonzen« mal so richtig zu ärgern und gleichzeitig auf die Verarschung hinzuweisen, die diese Big Player der fossilen Industrie mit uns armen Schlafschafen so anrichteten. Die drehten uns neuerdings Elektroautos an, um uns den Klimawandel als Innovation zu verkaufen. Dabei waren die Elektrodinger zwar fähig, laut einer früheren prognostischen Studie ließe sich mit einem entsprechend umgerüsteten Smart der Carbon-Footprint um 80 Prozent reduzieren,4 aber nicht weniger umweltschädlich. Wenn der Strom durch fossile Energie gewonnen und im Winter noch geheizt würde, wären es schnell nur noch 28 Prozent CO2-Reduktion.5 Es würde etwas gesünder, da weniger Abgase in viel befahrenen Straßen wären. Aber es blieb unklar, wie der Nachschub für neue Batterien gestaltet werden könnte, wenn in ein paar Jahren die Batterien kaputtgingen. Batterien waren teuer, je größer, desto teurer, und man kam nicht weit. Nicht überall waren E-Zapfsäulen, und man musste Stunden zum Aufladen einplanen, wenn man Pech hatte. Das war uns zu viel Stress.
Wir jedenfalls fuhren noch unseren roten T4 mit knapp 300000 km auf der Uhr und sparten damit allerhand. Wir kamen mit einer Tankfüllung knapp 900 Kilometer gemütlich weit. Die Unterhaltskosten waren sehr gering. Die notwendigen Reparaturen hielten sich in Grenzen. Die Steuern waren klein. Vier Personen und Hund kamen so billig nirgendwohin. Der Diesel war auch nach der Pandemie wieder billiger geworden. Wir würden unseren lieb gewonnenen Bulli also locker bis zum Ende der Energiewende fahren wollen. Bloß, dass man mit dem Bulli nur noch im Ersten den steilen Berg hinauf zum Golf-Resort kam.
»Wieso hast du bloß ein Golfhotel auf einem Berg gebucht, stand das nicht im Prospekt?« »Ich hab genommen, was wir kriegen konnten. In Frankreich war nichts mehr frei!« So zankten wir uns auf dem Weg nach Spanien, die beiden fast erwachsenen Kinder und den hechelnden, leicht in die Jahre gekommenen Ridgeback hinten drin.
Es würden wunderbare Sommerferien werden, hoffte ich, gab Vollgas, und der Dieselmotor nagte sich die 17-prozentige Steigung hinauf, während uns lautlos summend ein elektrischer BMW-SUV Modell Riesengroß links überholte.
Der Blick von oben war dann sehr schön. Raus aufs Meer. Über den Golfplatz. In alle Himmelsrichtungen. Golfplatz. An dem schien kein Weg vorbeizugehen. Ich rümpfte die Nase. Überall Golfplatz.
Narzissmus ist eine menschliche Eigenschaft, an der man selbst nicht immer leidet, andere hingegen meistens schon. Die Selbstsabotage folgt dann verzögert daraus, wenn die anderen einen nämlich ausschließen, weil man durch zu viel Narzissmus als Mensch unverträglich wird.
Schon früh in der Geschichte der Psychiatrie erkannten Ärzte das menschliche Phänomen, dass man wahnsinnig und irrational sein und handeln kann, ohne wirklich daran zu leiden und ohne im medizinischen Sinne krank zu sein.
Ohne Leidensdruck sind häufig jene, die ihre eigenen abwegigen Gedanken in eine gute Passung zur eigenen Person und zur eigenen Lebenserfahrung bringen können. Damit ist man mitunter sogar sehr erfolgreich und gilt als psychisch stabil. So definieren sich typischerweise erfolgreiche Narzissten. Der Erfolg gibt ihnen recht, und so gibt es keinen Grund, diese Strategie aufzukündigen.
So ähnlich hatte ich es auch Jennifer Miles erklärt, als wir uns im Ersttermin darüber austauschten, wie sie ihren Narzissmus für ihren Erfolg in der Modeszene nutzte. Klar, sie musste sich zeigen. Da war sie in ihrer Rolle und fühlte sich sicher. Unsicher und schwach war sie nur, wenn sie liebte. Denn dann spürte sie diese Angst, von der geliebten Person verlassen, alleingelassen zu werden. Das schmerzte sehr, und diesen Schmerz wollte sie unbedingt vermeiden. Allein die Vorstellung, von einer geliebten Person verlassen zu werden, ließ große Ängste anbranden vor der Leere in sich selbst. Weil es diese andere Person war, die diese innere Leere auffüllen musste. Was so wunderschön war für sie. Aber ebenso völlig irrational, denn warum brauchte Jennifer Miles jemanden, der sie innerlich vollkommen ausfüllen musste? Wo war sie denn, da im Inneren?
Ich versuchte gemeinsam mit Jennifer zu reflektieren, dass die meisten Ängste irrationale Ängste sind, die auf irrationalen Gedanken aufbauen. Und um diese innere Leere zu füllen und die (irrationalen) Ängste zu verdrängen, muss es eben das ganz Große sein. Jennifer konnte also ihre Ängste vor der inneren Leere mit einer Person auffüllen, die sie liebte. Innen passt ein ganzer Mensch rein. Und es kann sehr extrem werden, wenn der wieder raus will, spekulierte ich. Denn das ist dann eigentlich nicht mehr erlaubt. Jedoch: Diese Idee der Verschmelzung mit dem anderen ist der führende irrationale narzisstische Gedanke, der direkt in die Sabotage jeder romantischen Beziehung führt. Nur der irrational Hoffende denkt, genau so muss es sein. Muss es nicht.
Man erkranke an den eigenen irrationalen Gedanken, wenn diese einen Leidensdruck auslösen, weil sie tyrannisch und zwanghaft immer wieder da seien. Jennifer hörte, was ich sagte, aber ihre Skepsis blieb groß, ob sie nicht doch zu befürchten hätte, verlassen zu werden. »Wer würde denn so eine schöne Frau wie Sie freiwillig verlassen?«, warf ich ein. Und Jennifer lächelte, aber es war ihr ein zu kleiner Trost. Es quälte sie, dass diese Gedanken nicht von allein weggingen. Denn sie quälten und zermarterten sie oder trieben sie zu ungesunden Handlungen an, die wiederum zu weiteren ungesunden und störenden, dysfunktionalen Interaktionen und Handlungen führten. Ein Teufelskreis voller Fehlentscheidungen und Selbstquälerei, sagte Jennifer.
Leidensdruck spüren jene, die durch ihre abwegigen Gedanken und die damit verknüpften dramatischen Folgen aus ihren Handlungen immer wieder Fehler machen und deswegen systematisch scheitern. Das können auch narzisstische, selbstverliebte, fantastische Vorstellungen über die eigene Großartigkeit sein, selbst wenn man zu keiner Leistung in der Lage ist. Größenfantasien quälen einen, wenn das eigene Mittelmaß sie nicht bestätigt. Dann sollte man sich auf den arbeitsreichen Weg machen, seine Träume hartnäckig zu verfolgen.
Nur, die erfolglose(re)n Narzissten tun oder schaffen das nicht. Ihre abwegigen Gedanken lösen in ihnen heftige Affekte aus. Das sind schwer aushaltbare, zu heftigen Reaktionen antreibende Gefühle wie Wut, Hass, Angst, Ekel oder Neid, die über Handlungen und Fehlentscheidungen letztlich in die Sackgasse der Selbstsabotage führen.
In den Köpfen dieser erfolglosen Narzissten geschieht etwas Furchtbares: Die überzogenen Erwartungen an die eigene Großartigkeit werden frustriert. Dazu gesellen sich niederschmetternde Herabwürdigungen, die man erfährt oder die man sich selbst macht. Neue quälende Gedanken über das eigene Unvermögen verknüpfen sich mit unangenehmen Emotionen, die nur durch Vermeidungsstrategien oder »Betäubungen« ertragbar werden. Das kann den Konsum von Alkohol und anderen Drogen und Süchten beinhalten, ebenso wie die Entwicklung von Krankheitssymptomen, ablenkende Gedankengebilde oder komplexe Verhaltensweisen, hinter denen man sich dann versteckt.
Der allgemeine Selbstsaboteur (in seiner Erstbeschreibung der Self-Handicapper6) sucht nach Ausflüchten und Hindernissen, übertreibt die eigene Unzulänglichkeit, mindert seine Verantwortung für Mittelmäßigkeit und hebt sich dafür für Erfolge besonders hervor. Das tut er auch, indem es immer wieder zur Sucht, zum schädlichen Konsum von Alkohol oder Drogen, kommt, nur um zu verhindern, in die beschämende Situation zu geraten, nicht so gut zu sein wie angenommen. Diese Angst vor dem kritischen Feedback wird mit Suchtmitteln betäubt und somit die Erfahrung verhindert. Auch im Nachgang, wenn es mal Erfolge gab, kleine und auch große, wird die ängstliche Erregung und die gedankliche Negativität darüber betäubt.
Ebenso ist es bei der Symptombildung, die dann in den Vordergrund rückt und gewissermaßen alle, auch einen selbst, clever davon ablenkt, das eigentliche Problem vor der ängstlichen Erwartung vor dem eigenen Scheitern und dem damit verbundenen unangenehmen Feedback (failure feedback) anzugehen. Nur um zu vermeiden, wird um den Erhalt des Symptoms, der psychosomatischen Beschwerden wie beispielsweise Kopfschmerzen, Übelkeit, Schwindel … bis hin zu Angst und Depressionen, »gekämpft«, und es wird in seiner Ernsthaftigkeit verteidigt. Die Symptome und die damit verknüpften Gedanken und Verhaltensweisen »dürfen« nicht aufhören, denn das wäre der Moment der »Wahrheit«, und die Konfrontation mit der ängstlichen Erwartung vor dem eigenen Scheitern müsste erfolgen.
Daher sind diese psychosomatischen Symptome schwer auflösbar, da sie am besten über den Weg des möglichen Scheiterns vergehen. Mögliches Scheitern wird jedoch (vehement!) vermieden.
Es ist nicht einfach für den behandelnden Arzt und auch nicht für den Betroffenen, die Symptome zu erleichtern oder aufzulösen, denn diese Symptome stabilisieren die Psyche, weil sie die Angsterfahrung (vor dem möglichen Scheitern) fernhalten. Symptome haben eine Funktion: Lieber lähmen sich meine Beine, habe ich Schwindel, Husten oder bin durchgehend müde, wenn ich über Intimität nachdenke, als dass ich meine ängstliche Erwartung vor einer Ablehnung durch meinen liebsten Menschen zulasse, wenn der oder die erkennt, wie unfähig ich zur körperlichen Liebe bin. Eine irrationale Überlegung und Schlussfolgerung, die in Vermeidungsverhalten mündet und die Erfahrung verhindert. Die Erfahrung, die sehr wahrscheinlich nicht so furchtbar wie befürchtet, sondern viel wahrscheinlicher positiv wäre.
Normalerweise3 suchen Menschen Gelegenheiten auf, in denen sie Einblicke in ihre eigene Person gewinnen können. Selbstsabotage und selbstsabotierendes Verhalten impliziert, dass Menschen bewusst genaue Informationen über sich selbst vermeiden. Diese Angst vor dem unangenehmen Feedback ist besonders groß, wenn das Selbstwertgefühl bedroht ist. Womit Selbstsabotage die Folge einer narzisstischen Abwehr aus einer großen emotionalen Not heraus sein kann.7 Eine Schutzstrategie, die das Ego in seiner Brüchigkeit stabilisiert. Lieber und besser eine Fantasie über sich selbst leben, als die Realität über sich selbst zu kennen!
Diese Fantasie, diese Illusion, ist ein irrationaler Gedanke, der das Selbst stabilisiert. Damit ist Selbstsabotage die Folge des Bemühens um Selbstkontrolle. Das kann vorteilhaft sein, bringt aber auch Nachteile. Lieber glaube ich, großartig in etwas zu sein, und fühle mich damit besser, als zu wissen, nicht großartig zu sein, mich dabei schlecht zu fühlen und mir eingestehen zu müssen, dass ich etwas dafür tun müsste, um so großartig zu sein, wie ich es mir ausmale.
Somit ist eine narzisstische Haltung auch eine Schutzhaltung vor dem realen Druck der Wahrheit und bewahrt das Selbst vor dem Zusammenbruch. Da es hier um existenzielle Fragen geht, ist diese Schutzstrategie, so irrational sie auch sein mag, sehr robust. Selbstsabotage ist sehr resistent gegenüber Veränderungen. Sie aufzugeben, würde bedeuten zu offenbaren, eben nicht grandios, möglicherweise nicht mal ausreichend gut genug zu sein. Daher tritt Selbstsabotage besonders häufig in Bereichen auf, in denen die Regulation des Selbstwerts auf dem Spiel steht. Also im Bereich des Narzissmus.
Folgen stark narzisstisch denkende Menschen ihren irrationalen, drängenden, mächtigen Gedanken, dann kann dieser Pfad sie in ein persönliches Scheitern führen. Weil sie weniger die Konsequenzen aus dem egoistischen Handeln und Entscheiden bedenken als jene nicht narzisstischen Menschen, die mehr Bewusstsein dafür verspüren, wie sie auf andere wirken. Narzisstische Menschen können zwar durchaus auch Großartiges erreichen, jedoch in der Regel auf Kosten von anderem Wertvollen wie gute menschliche Beziehungen, menschliche Nähe und Wärme. Sie haben halt Besseres zu tun und vernachlässigen das Kostbarste, was sie haben: die Menschen in ihrer Nähe.
Viele Menschen mit ausgeprägten narzisstischen Zügen leiden häufig an der »normalen« Realität. Denn in Bezug auf ihre irrationalen Gedanken, Wünsche und Bedürfnisse handelt es sich um eine Realität, die sich nicht veränderbar zeigt und die inert ist für die Angriffe abweichender Erwartungen, Ansprüche und Einstellungen. Diese Realität muss zwingend ihre abweichenden Gedanken frustrieren. Menschen, Abläufe und Dinge zu verändern, damit sie passend gemacht werden, gelingt nicht immer. Manch ein narzisstisch motivierter Mensch kann es schaffen, ja, es sind sogar eher die Einzelleistungen, die die Welt verändern. Nur, das funktioniert eher selten. Besonders erkennt man diese signifikanten Einzelleistungen an Entdeckern wie Christoph Kolumbus.8 Seine außergewöhnliche Hingabe zeigte sich besonders in seinem unbeirrbaren Streben nach Ruhm für die Nachwelt. Trotz mehrerer vergeblichen Versuche beeindruckte er schließlich die spanische Krone mit Verhandlungsgeschick, Rhetorik und Charisma. Seine herausragenden Fähigkeiten als umsichtiger Schiffskommandant traten ebenfalls hervor, wodurch kaum Matrosen Schaden erlitten. Er bewies sich als aufmerksamer Naturbeobachter. Jedoch standen diese Qualitäten seiner grenzenlosen Gier nach Gold und eigennützigen Handlungen gegenüber. Sein Ehrgeiz, sein Stolz und die Liebe zur Selbstdarstellung widersprachen nicht nur seinen positiven Eigenschaften, sondern machten ihn auch zu einem strengen und unnachgiebigen Anführer, der sich den Unmut einiger Feinde zuzog. Und mehr noch: seine Taten, angetrieben durch seinen Narzissmus, hatten weitreichende Folgen, waren sie doch maßgeblich an der Einleitung der Ära des europäischen Kolonialismus und der Ausbeutung und Ermordung indigener Völker beteiligt.
Aber nicht jeder kann – oder sollte – ein Christoph Kolumbus sein. Und auch in der Liebe muss man nicht zum ewigen Entdecker werden, für den sich die ganze Welt verändert.
Doch zurück zu Jennifer: Sie erklärte mir in unserem ersten Termin vor meinem Sommerurlaub ihre Gedanken, die sie ständig in Frustrationen brächten: Sie sehnte sich nach viel mehr Nähe zu ihrem Lebenspartner, der aber offenbar Besseres zu tun hatte und die Nähe zu ihr nur ab und zu suchte. Die Realität, die Jennifer mit ihrem Freund teilte, war schmal. Zu schmal für ihre Erwartungen und die Erfüllung ihrer Bedürfnisse. Es frustrierte sie, dass sich ihre innere Leere nicht mit ihrem Lebenspartner auffüllen ließ. Sie wollte mehr. Aber je mehr sie von ihm wollte, desto mehr entzog er sich ihr. Das war doppelt frustrierend und fühlte sich wie Selbstsabotage an. Weil sie dann noch weniger von ihm hatte.
Im Sommerurlaub zwischen tätowierten Holländern und im Pool hüpfenden, fremden Kindern frustrierte mich akut die Vorstellung, dass meine Beziehung zu Lotti immer wieder in einen emotionalen Engpass geriet, wenn wir bei der Erfüllung unserer Bedürfnisse unterschiedliche Wege beschritten. Es gibt immer wiederkehrende Realitäten, die mich dermaßen intensiv, wenn auch kurz, frustrieren, und diese stehen in krassem Gegensatz zum restlichen Geschehen.
Will ich denn nicht, wie jeder normale Mensch, eine stabile, gute und zufriedenstellende Beziehung?
Keine Frage: Für mich wie für die meisten Menschen sind persönliche Beziehungen von großer Bedeutung – und dennoch sabotieren so viele von uns sich selbst darin. Frustrationen tauchen zwangsläufig dann auf, wenn die Selbsttäuschungen, mit denen wir uns über die Beziehungsgaps retten, nicht mehr funktionieren. Ich weiß, dass die meisten Beziehungen kein ganzes Leben lang halten. Ich weiß, dass eine Trennung umso wahrscheinlicher ist, je länger eine Beziehung andauert. Ich weiß, dass es möglich ist, vom Partner oder der Partnerin belogen, betrogen und enttäuscht zu werden. Ich weiß, dass es möglich ist, dass der Partner oder die Partnerin einen weniger lieben wird und sich sogar gegenteilig verhalten kann. Ich weiß, dass man sich nicht mal auf seine eigenen Gefühle verlassen kann.
Das sind ziemlich düstere Aussichten. Wie kann man sich eine Liebe versprechen, die ewig halten soll, wenn man nicht einmal selbst in der Lage ist, den eigenen emotionalen Zustand der nächsten Tage sicher vorherzusagen?
Offensichtlich glauben auch Lotti und ich allerhand, um uns über diese Realität hinwegzutäuschen. Das ist potenziell frustrierend.
Man nehme nur die aberwitzigen Erwartungen, als wir unsere gemeinsame Reise nach Spanien antraten: Ich erwartete, dass der Sommer in Spanien glatt, warm und gechillt lief.
Aber diese meine Erwartungen waren das größte Einfallstor zur Selbstsabotage. Denn ich kannte Lottis Erwartungen nicht …
Ich kenne dieses Anbranden einer irrationalen, narzisstischen Erwartung aus meiner Arbeit mit Klienten in der Psychotherapie. Gewissermaßen repräsentiere ich die äußere Realität in Gestalt des Therapeuten, bin von der Realität gespeist und stelle mich, so abstinent und neutral wie möglich, der eigensinnigen, subjektiven Wahrnehmung des narzisstisch motivierten Klienten. Lasse seine Vorstellungen von einer Realität (das Realitätsmodell) auch gegen mich anbranden, beobachte, wie diese Vorstellungen mein Gegenüber innerlich beherrschen und es darin gefangen halten. Ein Teufelskreis von Überzeugungen, Erwartungen, Gefühlen und Befürchtungen. Auch kann ich erkennen, wie die Gedanken über das eigene Denken, also auf der Metaebene, im Klienten selbst durch eine starke gedankliche Einengung auf den Teufelskreis unreflektiert sind und die Selbstüberwachung des eigenen Denkens mit versagt. Narzissmus strandet.
So wie Jenny (ich nannte sie plötzlich innerlich so) in meiner Therapiestunde mit ihrem Narzissmus gestrandet war. Sie litt daran, denn die gelebte Rolle der äußerlich erfolgreichen Geschäftsfrau reichte nicht mehr aus, ihre innere Sehnsucht nach Liebe zu stillen. Eine so große innere Leere, die weder ihr Partner noch andere auffüllen konnten. Ich konnte dieses Liebesloch auch nicht füllen.
Die äußere Arbeit war getan. Jenny war erfolgreich und »hatte alles«. Aber die innere Arbeit musste nun erfolgen. Denn ihr Strahlen kam nicht von innen. Innen beherrschten sie nur tyrannische Gedanken in teuflischen Spiralen: Sie verglich sich mit anderen, bewertete und (ver)urteilte. Ihre Vorstellungen der Realität (Realitätsmodell) passten nicht mehr zur tatsächlichen Wirklichkeit. Es waren unreife und zugleich idealisierte Vorstellungen über eine Realität wie sie sein sollte. Wie sie jedoch nicht war und nie werden würde. Denn Realität ist zu komplex, und auf dem ehrenhaften Weg zum Ideal muss man scheitern. Denn das Ideal ist nie erreichbar. Ihr blieb nur, schön zu scheitern.
Jenny war schon lange unterwegs auf dem Weg zu ihren Idealen, und nun häufte sich ihr Scheitern, so kurz vor dem erträumten Ziel, die perfekte Unternehmerin und die perfekte Liebende zu sein, was sie frustrierte.
Dann, wenn die eigenen Erwartungen nicht mehr übereinstimmen mit der geteilten Realität der anderen Mitmenschen, beginnt das Leiden. So auch bei Jenny. Denn dann befinden sich narzisstische Menschen außerhalb dieser geteilten Realität. Sie suchen wie Jenny das Besondere und haben keinen Blick mehr für das Normale. Das Gewöhnliche.
Diese Menschen sind nicht psychisch krank, sie sind nicht psychotisch. Sie haben nicht vollständig den Kontakt zur Realität verloren. Aber sie haben eine gewisse Tendenz entwickelt, den Kontakt zur Realität aufzugeben. Sie denken verstärkt an Ideale, die nicht erreichbar sind. Und sie halten mittels bestimmter Gedanken, die irgendwie passend für sie sind, narzisstisch eben, an diesen Idealen fest. Ihre größte Befürchtung ist, diese erwartungsvollen Gedanken zu verlieren. Ihre größte Angst ist, Ideale zu verpassen und deswegen dann auch nichts mehr für andere zu bedeuten. Völlig wertlos für andere zu sein, weil sie nichts mehr darstellen.
Ich habe nichts gegen Ideale, ich finde sie sogar erstrebenswert, denn sie orientieren mich, wie ein Fixstern am Himmel. Aber ich muss sie nicht erreichen müssen und mich ihnen nicht selbstbestrafend unterwerfen, wenn ich mal vom Weg abkomme. Denn je näher ich dem Ideal komme, desto schmerzhafter wird es.
Diesen Schmerz der Anstrengung und Belastung, den spürte Jenny schon länger. Sie konnte nicht loslassen. Sie wollte auch darin perfekt sein. In ihrer Pflicht, sich ihren Idealen zu unterwerfen, um damit ihre Schuldgefühle vor dem eigenen Versagen zu neutralisieren. Um sich nicht eingestehen zu müssen, eine ganz normale Person, ein Mensch zu sein, der auch Sachen nicht hinbekommt. Um ihre Angst vor dem normalen Leben zu vermeiden, verpflichtete sie sich, dem Ideal zu folgen. Dieses Ideal, in der Modeszene außergewöhnlich gut, erfolgreich und raffiniert zu sein, erkannte sie nur über die Reaktion ihres beruflichen Umfeldes. Sie selbst hatte die Grenze zur Perfektion nur darin gefunden, Fehler zu finden, sich selbst zu kritisieren und das Optimale zu verfolgen.
Jenny existierte für sich nur dadurch bewusst, was sie in anderen über sich selbst als optimalen Zustand in einer gedachten Realität wahrnahm. Als wären diese gespiegelten Narzissmen identitätsstiftend, und sie aufzugeben, käme einem Verrat an sich selbst gleich. Mit der Gefahr, ihr Realitätsmodell und damit die »Realität« vollständig zu zerstören. Das durfte aus Jennys Perspektive niemals eintreten.
Also hält man daran fest und verteidigt diese eigenen abwegigen Gedanken, aus Angst, die Kontrolle über sich und das eigene Leben zu verlieren, was unweigerlich zu (weiteren) Konflikten mit anderen Menschen führt.
Gedanken und Vorstellungen wie die von Jenny sollten also durch mich nur eine Erklärung und Einordnung bekommen. Aber ich sollte und durfte sie niemals auflösen.