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Studienarbeit aus dem Jahr 2004 im Fachbereich Französische Philologie - Literatur, Note: 1, Ruhr-Universität Bochum (Romanisches Institut), Veranstaltung: Tragödie und Macht im französischen 17. und 18. Jahrhundert, Sprache: Deutsch, Abstract: Ab 1635 bezog Corneille die Politik in seine Stücke mit ein. Während er im „Cid“ noch den nur an seinem Glück interessierten und aufsässigen Rodrique das vom König - und wie auch im wahren Leben von Richelieu - nicht erwünschte Duell abhalten ließ, schien „Horace“ vier Jahre später die Allmacht des Staates und die damit einhergehende absolute Sich-Unterwerfung dieser Macht zu zelebrieren. Es ist aus heutiger Sicht erstaunlich, dass „Horace“, mit der darin von Camille nicht gerade sparsam geäußerten Staatskritik, Richelieu nicht nur gewidmet, sondern von diesem die Aufführung auch genehmigt wurde. Die für den Leser unserer Zeit logische Denk- und Handlungsweise der Camille wird nämlich kaum vom Freispruch für Horace am Ende des Stückes anders gewertet als zu Beginn. Versetzt man sich allerdings in die Entstehungszeit des Stückes und betrachtet man die politischen sowie gesellschaftlichen Tugenden und Richtlinien vor dem geschichtlichen Hintergrund, so ist es gut möglich, dass eine abschreckende Schlussszene Camilles Wortgewalt zunichte macht. Nach eingehender Beschäftigung mit „Horace“ wird aber deutlich, dass sich Corneille anhand der Figur der Camille durchaus ein kritisches Sprachrohr geschaffen hat, das auch auf entsprechendes Gehör stoßen konnte. Dazu ist es besonders wichtig, nicht nur die historischen und politischen Hintergründe zu erforschen, sondern auch die Zuschauerperspektive zu definieren. Ein Blick in die Forschungsliteratur zeigt, dass die Meinungen über die Aussage des Stückes gespalten sind. So sieht Jaques Maurens in Corneille einen getreuen Ideologen Richelieus und dessen Staatsidee. Dementgegen stufen Werner Krauss und Bernard Dort Corneille als einen Vertreter des Bürgertums ein, da er deren politische Wünsche und Vorstellungen in seinen Stücken thematisiert. Nach Serge Doubrovsky schreibt Corneille ein théâtre réactionnaire. Zwar lassen sich für jeden der genannten Interpretationsansätze geeignete Textstellen finden, jedoch soll auf denen von Wolfgang Iser aufgebaut werden, wo festgehalten wird, dass in Corneilles Stücken von einem Zusammenhang zwischen Fiktion und Wirklichkeit auszugehen sei.
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Veröffentlichungsjahr: 2005
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Hauptseminar: Tragödie und Macht im französischen 17. und 18. Jahrhundert
WS 2003/04
„Horace“
Kunstgeschichte (HF, 11. FS)
Kl. Archäologie (1. NF, abgeschlossen) Romanistik (2. NF, 9. FS)
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Ab 1635 bezog Corneille die Politik in seine Stücke mit ein.1Während er im „Cid“2noch den nur an seinem Glück interessierten und aufsässigen Rodrique das vom König - und wie auch im wahren Leben von Richelieu - nicht erwünschte Duell abhalten ließ3, schien „Horace“4vier Jahre später die Allmacht des Staates und die damit einhergehende absolute Sich-Unterwerfung dieser Macht zu zelebrieren. Freundschaft, Liebe, Moral, Gerechtigkeit, freies Denken und die Ehre des Helden sind derpouvoiruntergeordnet. Warum es zu dieser Änderung in Corneilles Werk kommt, wieso es am Schluss „Vis pour servir l´État“5heißt und wie dies schließlich gedeutet werden kann, das soll in dieser Arbeit herausgearbeitet werden.
Es ist aus heutiger Sicht erstaunlich, dass „Horace“, mit der darin von Camille nicht gerade sparsam geäußerten Staatskritik, Richelieu nicht nur gewidmet6, sondern von diesem die Aufführung auch genehmigt wurde. Die für den Leser unserer Zeit logische Denk- und Handlungsweise der Camille wird nämlich kaum vom Freispruch für Horace am Ende des Stückes anders gewertet als zu Beginn. Versetzt man sich allerdings in die Entstehungszeit des Stückes und betrachtet man die politischen sowie gesellschaftlichen Tugenden und Richtlinien vor dem geschichtlichen Hintergrund, so ist es gut möglich, dass eine abschreckende Schlussszene Camilles Wortgewalt zunichte macht.7Nach eingehender Beschäftigung mit „Horace“ wird aber deutlich, dass sich Corneille anhand der Figur der Camille durchaus ein kritisches Sprachrohr geschaffen hat, das auch auf entsprechendes Gehör stoßen konnte. Dazu ist es besonders wichtig, nicht nur die historischen und politischen Hintergründe zu erforschen, sondern auch die Zuschauerperspektive zu definieren. Ein Blick in die Forschungsliteratur zeigt, dass die Meinungen über die Aussage des Stückes gespalten sind. So sieht Jaques Maurens in Corneille einen getreuen Ideologen Richelieus und dessen
1Gaillard, Pol: Corneille. Horace, Paris 1641, S.20.
21636/37 entstanden, Text s. z.B.: Corneille. Œvres complètes. Bd. I. Textes établis, présentés et annotés par Georges Couton. Bibliothèque de la Pléiade. Editions Gallimard, Paris 1980, S. 689-829.
3Richelieu ist gegen das Duell, da das „Recht der Selbsthilfe [...] nicht nur der mühsam erkämpften Oberhoheit des Staates [widersprach], sondern [auch] den Adel [schwächte] und [...] ihn von seinen militärischen Aufgaben [ablenkte].“ (Krauss, Werner: Corneille als politischer Dichter, Marburg 1936, S. 15f.)
41640 entstanden, Text s. z.B.: Corneille. Œvres complètes, a.O., S. 831-901.
5“Horace“, Akt V, Szene III, V. 1763, s. z.B.: ebda.
6Widmungsbrief s. z.B.: ebda., S. 833ff.
7Es sein denn, der staatstreue Zuschauer des 17. Jahrhunderts ist nicht schon während des ganzen Stückes von Camilles Verhalten empört und wartet nur auf die Bestrafung der Fervlerin.
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Staatsidee.8Dementgegen stufen Werner Krauss und Bernard Dort Corneille als einen Vertreter des Bürgertums ein, da er deren politische Wünsche und Vorstellungen in seinen Stücken thematisiert.9Nach Serge Doubrovsky schreibt Corneille ein „théâtre réactionnaire“.10Zwar lassen sich für jeden der genannten Interpretationsansätze geeignete Textstellen finden, jedoch soll auf denen von Wolfgang Iser aufgebaut werden, wo festgehalten wird, dass in Corneilles Stücken von einem Zusammenhang zwischen Fiktion und Wirklichkeit auszugehen sei.11Nach Iser reagieren fiktionale Texte immer auf ein Defizit „lebensweltlicher Sinnsysteme“12. Dass zu Corneilles Zeit herrschende defizitäre System war das der Politik. Die Monarchie wuchs quasi über die Köpfe des Volkes hinaus, was bedeutete, dass das Volk nicht mehr aktiver Mitträger des Staates war - so wurde aus dem Schwert- der Hofadel. Das hieß, dass der Adel nicht mehr auf die gewohnte Art dergloireseiner selbst würdig werden konnte. Er wurde sich seiner Stellung und seines Prestiges unsicher, da an Stelle des Konkurrenz-kampfes die Gunst des Königs trat.
Im Zusammenhang mit dem Funktionsverlust des Adels kann auch insofern auf die in Corneilles späteren Stücken auffällige Dominanz der Frauen verwiesen werden, als sie nun heroische Züge aufweisen.13Dass dies auch bei Camille der Fall ist, wird im Laufe der vorliegenden Arbeit deutlich.
8vgl. Maurens, Jacques: La Tragédie Sans Tragique - Le néo-stoïcisme dans l´œuvre de Pierre Corneille, Paris 1966, bes. S. 198ff.