Hot Client - Vi Keeland - E-Book
SONDERANGEBOT

Hot Client E-Book

Vi Keeland

0,0
9,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Layla ist eine junge, aufstrebende Anwältin bei einer großen New Yorker Kanzlei. Als sie beauftragt wird, einen neuen, schwerreichen Top-Klienten der Firma zu betreuen, kann sie ihr Glück kaum fassen. Wenn alles gut läuft, wird sie bestimmt endlich zur Partnerin ernannt. Doch dann betritt ihr neuer Mandant den Konferenzraum: Gray Westbrook. Gray Westbrook, den sie aus dem Gefängnis kennt, wo sie wegen eines Fehltritts Berufungsfälle betreuen musste. Gray Westbrook, der ihr das Herz gebrochen hat und den sie nie mehr wiedersehen wollte ...

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 447

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Buch

Layla ist eine junge, aufstrebende Anwältin in einer großen New Yorker Kanzlei. Als sie beauftragt wird, einen neuen, schwerreichen Topklienten der Firma zu betreuen, kann sie ihr Glück kaum fassen. Wenn alles gut läuft, wird sie bestimmt endlich zur Partnerin ernannt. Doch dann betritt ihr neuer Mandant den Konferenzraum: Gray Westbrook. Gray Westbrook, den sie aus dem Gefängnis kennt, wo sie wegen eines Fehltritts Berufungsfälle betreuen musste. Gray Westbrook, der ihr das Herz gebrochen hat und den sie nie mehr wiedersehen wollte …

Weitere Informationen zu Vi Keeland

sowie zu lieferbaren Titeln der Autorin

finden Sie am Ende des Buches.

Vi Keeland

Hot Client

Roman

Aus dem Amerikanischen

von Babette Schröder

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2018 unter dem Titel

»The Naked Truth«.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Deutsche Erstveröffentlichung Juli 2020

Copyright © der Originalausgabe by Vi Keeland

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2020

by Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München

Umschlagmotiv: FinePic®, München

Redaktion: Antje Steinhäuser

MR · Herstellung: kw

Satz: KompetenzCenter; Mönchengladbach

ISBN: 978-3-641-25666-1V001

www.goldmann-verlag.de

Besuchen Sie den Goldmann Verlag im Netz

Zu vergeben erfordert Stärke.

Wenn du dich in eine starke Frau verliebst

und es verbockst, wird sie dir vergeben …

aber erst macht sie dich fertig.

1. Kapitel

Layla

»Tut mir leid. Ich hab vergessen, dich anzurufen. Ich kann heute keine Mittagspause machen.« Ich seufzte und deutete auf die Papiere, die auf meinem Schreibtisch lagen. »Pittman hat mich gebeten, eine Präsentation für einen neuen Mandanten vorzubereiten.«

»Der alte Pittman oder Joe?«

»Der alte Pittman. Nun ja, gebeten ist nicht ganz das richtige Wort. Er ist ohne anzuklopfen in mein Büro geplatzt. Ich war gerade in einer Telefonkonferenz. Er hat mich gezwungen, den Mandanten mitten im Satz in die Warteschleife zu hängen und dann etwas geblafft von wegen um drei Uhr im Konferenzraum in der obersten Etage, dann war er wieder weg. Ich musste seine Sekretärin anrufen, um Genaueres zu erfahren.«

»Das ist doch toll. Endlich stehst du wieder in der Gunst der Namenspartner. Ich wusste, dass du das hinkriegst.« Oliver kam um den Schreibtisch herum und küsste mich auf dem Weg nach draußen auf den Scheitel. »Ich bring dir die frischen Thunfisch-Tacos mit, die du so gern magst.«

»Du bist der Beste.«

Seit ungefähr einem Monat war ich mit Oliver Blake zusammen, davor waren wir fast fünf Jahre lang nur Freunde gewesen. Er war Juniorpartner in der Abteilung für Urheberrecht in der Kanzlei, in der ich arbeitete, und ich habe nicht übertrieben – er ist wirklich der Beste.

Als ich letztes Wochenende krank war, hatte er mir Hühnersuppe vorbeigebracht. Wenn ich mal niedergeschlagen war, erinnerte er mich an all die guten Dinge in meinem Leben. Schon bevor wir ein Paar geworden waren, war er mein größter Unterstützer gewesen – er ermutigte mich, dem Sturm hier bei Latham & Pittman zu trotzen, nachdem man mir vor zwei Jahren fast die Anwaltslizenz entzogen und mich gefeuert hätte. Klug, gut aussehend und beruflich erfolgreich – er war der ideale Mann, den eine Frau gern ihren Eltern vorstellen würde. Und das ganze Gegenteil von den Idioten, zu denen ich mich normalerweise hingezogen fühlte.

Letzte Woche hatte er erwähnt, dass sein Mietvertrag in einigen Monaten ausliefe, und angedeutet, dass er es toll fände, wenn ich ihm bei der Suche nach etwas Größerem helfen würde. Er hoffte, ich würde künftig öfter bei ihm sein. Klug, gut aussehend, beruflich erfolgreich und … frei von Bindungsängsten.

Ich nahm mir vor, seine Schränke heimlich auf versteckte Leichen zu durchsuchen, wenn ich das nächste Mal bei ihm wäre, und wandte mich dann wieder meiner Präsentation zu.

Ich hatte schon mehrmals Präsentationen der Seniorpartner beigewohnt, doch es war das erste Mal, dass ich selbst eine hielt. Und es widerstrebte mir zutiefst, dass ich nur zwei Stunden Zeit hatte, um die Folien durchzugehen und mir Notizen zu machen. Ganz zu schweigen davon, dass ich von dem Investmentunternehmen, dem ich uns vorstellte, nur wusste, dass es sich um ein Start-up mit einem Riesenbudget handelte. Wahrscheinlich irgendein erfolgreicher, arroganter Investmentbanker, der bei seiner Firma gekündigt und milliardenschwere Investoren mitgenommen hatte – genau die Art von Mandant, die die Seniorpartner liebten.

Konservative Investmentfirmen waren gute Mandanten – unablässig konnten Rechnungen für das Prüfen von Verträgen, Subskriptionen und unzähligen Vereinbarungen mit der Börsenaufsicht gestellt werden. Junge, arrogante, moderne Investmentfirmen aber, die von Yuppies geführt wurden, produzierten Rechnungen, als würden sie mit Spielgeld bezahlen. Sie wurden wegen sexueller Belästigung von Angestellten, Diskriminierung, Vertragsbruch und Verstößen gegen das Wertpapierhandelsgesetz verklagt. Teufel, selbst unsere Steuerrechtsabteilung war involviert, weil diese jungen Typen sich für schlauer hielten als die Steuerbehörde.

Zwei Stunden später, als es Zeit für meine Präsentation war, fuhr ich mit dem Fahrstuhl in die oberste Etage und trat durch die dicken Glastüren in den Vorstandsbereich. Meine Kanzlei war keineswegs geizig – mein Büro war komfortabel, die Einrichtung hochwertig. Doch die Chefetage roch geradezu nach Geld, nach altem Geld – Empfangstresen aus Mahagoni, Kristallleuchter, Perserteppiche und perfekt ausgeleuchtete Kunst.

Es war mir nur zu bewusst, dass ich das letzte Mal vor fast zwei Jahren hierher eingeladen worden war. Damals hatte man mich aufgefordert, mein Handeln, das eine Klage durch die Anwaltskammer von New York zur Folge hatte, zu erklären. Wenn man in die oberste Etage beordert wurde, hatte es immer etwas zu bedeuten – ob gut oder schlecht –, weshalb ich noch neugieriger war, warum man mir die heutige Präsentation überließ.

Auf dem Weg zum Konferenzraum traf ich Sarah Dursh, eine Seniorpartnerin. »Bereit?«

»So bereit wie möglich, nachdem ich nicht viel über den Mandanten weiß.«

Sarah legte die Stirn in Falten. »Wie meinen Sie das, Sie wissen nicht viel über ihn?«

»Ich kenne nur die Basics. Die Firmenbroschüre war noch nicht verfügbar, darum weiß ich nichts über die Hauptakteure. Ich fühle mich nicht wirklich gut vorbereitet.«

»Aber Sie haben doch schon mit dem CEO zusammengearbeitet.« Sie schüttelte den Kopf. »Aus diesem Grund hat er darum gebeten, dass Sie die Präsentation machen.«

»Man hat nach mir verlangt? Das war mir nicht klar. Wer hat darum gebeten?«

Als wir die Glastür zum Konferenzraum erreichten, sah ich Archibald Pittman auf der anderen Seite stehen. Er unterhielt sich lachend mit einem Mann, der uns den Rücken zuwandte, sodass ich sein Gesicht nicht gleich erkennen konnte.

Und ich schaltete auch nicht gleich, als Sarah sagte: »Da ist er ja. Das ist Mr. Westbrook. Er hat darum gebeten, dass Sie die Präsentation leiten.«

Da ich mit einem Arm voller Akten, meinem Laptop und einem Pappbecher mit Kaffee beladen war, öffnete Sarah die Tür, und ich trat als Erste hindurch. Ich hatte genau zwei Schritte getan, als sich der Mann, mit dem Pittman sich unterhalten hatte, umdrehte. Dann brach alles zusammen.

Buchstäblich. Ich erstarrte.

Sarah, die direkt hinter mir war, rannte gegen mich, woraufhin mir die Akten aus den Händen glitten. Ich beugte mich vor, um sie aufzufangen. Mein Kaffeebecher geriet dabei ins Wanken, und ich verstärkte den Griff um ihn, sodass der Deckel aufsprang. Bei dem Versuch, ihn wieder zuzudrücken, verschüttete ich fast den gesamten Kaffee auf dem Teppich. Ich konnte gerade noch verhindern, dass mein Laptop ebenfalls auf den Boden knallte.

Ehe ich meine Sachen aufsammeln oder mich wieder aufrichten konnte, packte eine kräftige Hand meinen Ellbogen. Der Mann war direkt vor mir in die Hocke gegangen, und ich konnte nichts anderes tun, als ihn anzustarren.

Ich traute meinen Augen nicht.

Und ich wusste auch nicht, wie ich meine sonst so große Klappe dazu bringen konnte, auch nur ein einziges Wort hervorzubringen. Er war direkt vor mir. Die Kraft unserer Verbindung raubte mir den Atem. Mein Puls raste, mein Herz hämmerte, und ich unternahm noch nicht einmal den Versuch, die Akten aufzuheben oder mich um den verschütteten Kaffee zu kümmern.

Er hielt weiterhin meinen Ellbogen fest und streckte mir die andere Hand hin.

»Schön, dich zu sehen, Sommersprosse.«

Keine Ahnung, wie ich es schaffte, mit der Präsentation zu beginnen. Ursprünglich hatte ich gedacht, ich wäre wegen Mr. Pittman und der anderen Namenspartner im Raum nervös. Doch da ahnte ich noch nicht, dass Gray Westbrook mich vom anderen Ende des Tisches aus taxieren würde. Sein Blick war durchdringend, und sein Grinsen ärgerte mich und schüchterte mich zugleich ein.

Weitaus schlimmer war, dass er noch umwerfender aussah, als ich ihn in Erinnerung hatte. Seine Haut war leicht gebräunt, wodurch seine grünen Augen umso intensiver leuchteten. Und er war kräftiger geworden, in seinem maßgeschneiderten Anzug steckte ein Körper, der genauso gemeißelt wirkte wie sein Kinn. Vor der Stirnseite des Tisches sitzend strahlte er eine Macht aus, die all meine Sinne ansprach. Ich hatte ganz vergessen, dass ein Mann eine derartige Wirkung auf meinen Körper haben konnte.

Ich bemühte mich, ihn zu ignorieren und mich an meine Folien zu halten. Doch das machte er mir so gut wie unmöglich. Kaum hatte ich angefangen, zwang er mich durch Fragen, mit ihm zu interagieren. Meine Präsentation umfasste ungefähr dreißig Folien, und er hatte mich schon bei mindestens zehn unterbrochen. Zunächst machte mich das nervös, obwohl seine Fragen im Grunde leicht zu beantworten waren. Doch nachdem ich mich wieder einigermaßen gefasst hatte, fing seine ständige Fragerei allmählich an, mich zu nerven.

»Unsere Wertpapierabteilung arbeitet eng mit der Börsenaufsicht, der FINRA, dem Justizministerium und der Wertpapieraufsicht des Staates New York zusammen, um …«

Er unterbrach mich. Schon wieder. »Wer wird mein Team leiten?«

»Wie ich Sie gerade wissen lassen wollte, wird die Abteilung für Finanzrecht von einem Seniorpartner geleitet, der im Justizministerium gearbeitet und Prozesse wegen Aktienbetrugs in elf …«

Während ich sprach, schaute Gray auf seine Armbanduhr. Dann unterbrach er mich ungefähr zum zwanzigsten Mal in noch nicht einmal einer halben Stunde. »Es tut mir leid. Ich habe ein Meeting auf der anderen Seite der Stadt. Ich muss mich umgehend auf den Weg machen.«

Wären meine Blicke Dolche, würde der Mann jetzt aussehen wie ein Schweizer Käse. Was zum Teufel treibt er hier? Will er sich dafür rächen, wie die Sache mit uns auseinandergegangen ist?

Ich verschränkte die Arme über der Brust. »Wussten Sie nicht, dass die Präsentation mindestens eine Stunde dauern würde?«

Ich ließ Gray nicht aus den Augen, spürte jedoch, wie sich alle Köpfe in meine Richtung drehten. Vermutlich bekamen die Seniorpartner gerade einen Herzinfarkt.

Das war mir egal.

Gray verzog die Lippen. Er amüsierte sich. Dieser Mistkerl.

»Ursprünglich hatten wir eine Stunde vorgesehen, doch es ist etwas Wichtiges dazwischengekommen, um das ich mich sofort kümmern muss.«

»Tatsächlich? Wann?«

»Layla«, sagte Mr. Pittman warnend und verkniff sich gerade noch ein Das reicht, raus mit Ihnen. Doch er musste es gar nicht aussprechen, sein Ton sagte genug.

Dann wandte er seine Aufmerksamkeit Gray zu. »Es tut mir leid, Mr. Westbrook. Natürlich verstehen wir, dass Sie beschäftigt sind. Vielleicht können wir einen neuen Termin vereinbaren. Ich würde mich freuen, wenn ich die Präsentation zu Ende führen und all Ihre Fragen beantworten dürfte.«

Gray stand auf und knöpfte sich das Sakko zu. »Das wird nicht nötig sein.«

Mr. Pittman hob an, etwas zu sagen, doch Gray sprach über den Tisch hinweg zu mir: »Vielleicht kann Layla die Präsentation heute bei einem Abendessen zu Ende bringen.«

Ich blinzelte. »Ich habe bereits einen Mandantentermin.«

Pittman fielen fast die Augen aus dem Kopf. »Das übernehme ich für Sie, Layla. Bringen Sie die Präsentation beim Abendessen mit Mr. Westbrook zu Ende.«

Der große Boss fragte nicht, er ordnete an. Ich hatte mein Glück schon mehr als genug strapaziert, darum hielt ich den Mund und starrte Gray nur wütend an.

Die Partner schüttelten unserem Mandanten in spe die Hand und betrieben Small Talk. Ich hatte nicht vor, ans andere Ende des Tisches zu gehen. Stattdessen packte ich meinen Laptop und die Akten zusammen und hoffte, Mr. Westbrook würde einfach verschwinden.

Doch Fehlanzeige.

Gray kam zu mir und streckte mir die Hand hin. »Miss Hutton.«

Da ich sah, dass meine Chefs uns über Grays Schulter hinweg beobachteten, legte ich meine Hand in seine, was er dazu nutzte, mich näher zu sich zu ziehen. Ich spürte seinen heißen Atem auf meinem Hals, als er mir ins Ohr flüsterte.

»Du kannst noch so wütend tun. Dein Körper sagt etwas anderes. Du freust dich genauso, mich zu sehen, wie ich mich, dich zu sehen.«

Empört riss ich den Kopf zurück. »Sie sind ja verrückt.«

Sein Blick fiel auf meine Brust, wo sich meine Nippel deutlich unter meiner dünnen Bluse abzeichneten. Verräter.

Gray grinste. »Um 19 Uhr im Logan’s. Ich reserviere und schicke dir einen Wagen.«

»Wir treffen uns dort.«

Lachend schüttelte er den Kopf.

»Dieser scharfe Ton hat mir gefehlt, Sommersprosse.«

Gut, denn den wirst du noch häufig hören.

Natürlich war ich die Einzige, die pünktlich war. Ich sah auf mein Telefon. Zehn nach sieben. Ich beschloss, das akademische Viertel zu warten und Gray noch weitere fünf Minuten zu geben, ehe ich den Termin als nicht wahrgenommen betrachten und gehen würde.

»Darf ich Ihnen etwas zu trinken bringen, solange Sie auf die anderen Gäste warten?«, fragte der Kellner.

Normalerweise hätte ich gewartet, um zu sehen, ob der Mandant Alkohol trank, und um mich an ihm zu orientieren. Doch der heutige Abend war nicht normal.

Ich rieb mir den steifen Nacken. »Ich hätte gern einen Wodka Cranberry.«

Ich hoffte, der würde meine Nerven beruhigen und meinen Kiefer etwas lockern, damit ich nicht auch noch heftige Kopfschmerzen bekam. Ich holte mein Telefon heraus und scrollte zum Zeitvertreib durch meine E-Mails, während ich auf den Drink und meine Essensbegleitung wartete.

Als ich Grays Stimme hinter mir vernahm, riss ich ruckartig den Kopf hoch. »Tut mir leid, dass ich zu spät bin.«

Mein Herz schlug unerwartet schneller, und ich kämpfte mit einer gewissen Aufregung. »Ach, tatsächlich? Ich habe eher den Eindruck, dass es dir an Benehmen mangelt, so oft, wie du mich heute unterbrochen hast.«

Er setzte sich auf den Platz mir gegenüber und ignorierte meinen Vorwurf. »Um diese Uhrzeit durch den Verkehr nach Downtown zu kommen, ist eine echte Aufgabe. Das nächste Mal essen wir bei mir.«

»Es wird kein nächstes Mal geben.«

Gray verzog den Mund zu einem spöttischen Grinsen und hielt meinen Blick fest. »Doch, natürlich. Es wird zahlreiche nächste Male geben. Und irgendwann wirst du aufhören, so zu tun, als würdest du meine Gesellschaft nicht genießen.«

Es ärgerte mich, dass mein Körper auf ihn reagierte. Von Anfang an hatte zwischen uns eine verrückte Energie geherrscht, die sich nur schwer ignorieren ließ.

Ich seufzte. »Was soll das, Gray? Warum bist du in meine Kanzlei gekommen?«

Er nahm die Stoffserviette, die vor ihm lag, und breitete sie auf seinem Schoß aus. »Ist das nicht offensichtlich? Ich brauche einen neuen Rechtsbeistand.«

»In meiner Kanzlei? Und es ist dir lieber, wenn ein Angestellter die Präsentation durchführt als der Leiter der Abteilung für Finanzrecht? Oder sogar Pittman, der dir gern zur Seite stehen und dir seine gesamte Erfahrung aus fünfzig Jahren als Anwalt zur Verfügung stellen wollte?«

»Das Entscheidende ist für mich die Loyalität. Ich möchte demjenigen mein Geschäft anvertrauen können.«

»Und das soll ausgerechnet ich sein? Eine Angestellte mit fünf Jahren Erfahrung, die gerade eine Strafe der Anwaltskammer wegen Verstoßes gegen das Anwaltsgeheimnis aufgebrummt bekommen hat?«

Der Kellner brachte meinen Drink. »Bitte, Ma’am.« Er wandte sich an Gray. »Darf ich Ihnen etwas zu trinken bringen? Oder möchten Sie warten, bis ein weiterer Gast eingetroffen ist?«

»Wir erwarten niemanden mehr. Ich nehme einen Macallan, pur, bitte.«

»Kommt sofort.« Der Kellner ging auf die andere Seite des Tisches und machte sich daran, das dritte Gedeck abzuräumen. Ich streckte die Hand aus, um ihn aufzuhalten. »Doch, es kommt noch jemand, Sie können das dalassen.«

»Sehr gern.« Er nickte.

Gray wartete, bis der Kellner außer Hörweite war. »Ich habe niemanden mehr eingeladen.«

Ich nippte an meinem Drink und schenkte ihm ein zuckersüßes falsches Lächeln. »Ich aber. Ich dachte, einem wichtigen Mandanten wie Ihnen sollten zwei Anwälte für seine Fragen zur Verfügung stehen.«

Als ich mein Glas absetzte, sah ich den anderen Mann, auf den ich wartete, das Restaurant betreten. Als er sich suchend umsah, hob ich die Hand und winkte.

»Perfektes Timing. Da ist Oliver ja.«

Gray blickte zu dem Mann, der auf uns zukam, dann wieder zu mir. Anstatt sauer zu sein, amüsierte sich dieser Idiot. »Das ist ja süß. Du hast einen Anstandswauwau mitgebracht, weil du Angst hast, dass du mir nicht widerstehen kannst.«

2. Kapitel

Gray

»Sie sind also Laylas Chef?« Ich nahm einen großen Schluck von dem Drink, den der Kellner mir gerade gebracht hatte.

»Nein, ich bin nicht ihr Chef. Ich arbeite in der Abteilung für Urheberrecht. Aber ich bin Juniorpartner bei Latham & Pittman. Ich gehöre seit fünfzehn Jahren zur Kanzlei und kann Ihnen jede Frage beantworten.«

Ich wollte, dass dieser Störenfried, der zwischen Layla und mir saß, verschwand. »Wollen Sie andeuten, dass Layla nicht in der Lage ist, jede meiner Fragen zu beantworten?«

»Nein, keineswegs.«

»Warum sind Sie dann hier?«

Dieses Würstchen sah Hilfe suchend zu Layla.

»Ich habe Oliver eingeladen«, erklärte sie. »Wie gesagt, ich dachte, es sollten Ihnen zwei Anwälte für Ihre Fragen zur Verfügung stehen. Schließlich wäre Ihr Mandat äußerst wertvoll für die Kanzlei.«

»Da irren Sie sich.« Ich wandte mich wieder an Oliver. »Sie können gehen. Ich habe Vertrauen, dass Layla alle Fragen beantworten kann.«

Layla sprach durch zusammengebissene Zähne, schaffte es jedoch, sachlich zu klingen. »Nun ist Oliver schon einmal da. Und er hat einiges zu bieten. Ich bin mir sicher, dass Sie das am Ende des Abendessens auch so sehen.«

Der Kellner erschien mit den Speisekarten.

»Ganz bestimmt nicht«, murmelte ich vor mich hin.

Nachdem wir bestellt hatten, entschuldigte sich Laylas Anstandswauwau und ging auf die Toilette.

Sobald er außer Hörweite war, sagte ich: »Wir müssen uns unterhalten, Layla. Allein. Sag ihm, dass er verschwinden soll.«

»Wie bitte? Nein!«

Ich stand auf. »Gut. Dann kümmere ich mich selbst darum.«

Ich ignorierte Layla, die hinter mir herrief, und folgte Mr. Juniorpartner in den Waschraum. Das Würstchen stand am Pissoir. Anscheinend sah alles an ihm wie ein mickriges Würstchen aus. Ich stellte mich neben ihn, griff in die Hosentasche und holte zehn Hundertdollarnoten aus meiner dicken Brieftasche. Ich wartete, bis er sich den Hosenschlitz zugezogen hatte, dann hielt ich ihm das Geld hin.

»Gehen Sie mit jemand anderem essen? Auf meine Kosten.«

Das Würstchen sah erst auf das Geld, dann hoch zu mir, schließlich ging er zum Waschbecken. Er wusch sich die Hände, und ich wartete.

Als er fertig war, lehnte er sich mit verschränkten Armen gegen das Waschbecken. »Ich nehme an, wir sprechen hier von Mann zu Mann, nicht von Anwalt bei Latham & Pittman zu möglichem Mandanten, richtig?«

»Klar.« Ich nickte. »Von Mann zu Mann.«

Er lächelte. »Gut. Dann sage ich Ihnen eins: Wenn Sie an Miss Hutton interessiert sind, vergeuden Sie Ihre Zeit.«

»Warum das?«

»Aus drei Gründen. Erstens: Layla würde nie mit einem Mandanten ausgehen. Zweitens: Ich habe Sie sorgfältig überprüft. Sie mögen ein lukrativer Mandant für die Kanzlei sein, aber Sie haben im Gefängnis gesessen. Und drittens: Sie ist meine Freundin.«

Mein Blut geriet in Wallung. Mit dem letzten Teil hatte ich nicht gerechnet. Wenn Oliver allerdings dachte, das würde mich abschrecken, hatte er sich schwer getäuscht. Ich hatte gerade drei Jahre im Gefängnis gesessen. Selbst wenn ich diesen Typen nur im Entferntesten einschüchternd finden sollte – was nicht im Geringsten der Fall war –, würde er mich nicht einmal schwitzen sehen.

Ich lächelte und legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Ich will ehrlich zu Ihnen sein – Sie wissen schon, von Mann zu Mann. Keiner dieser dreiGründe schreckt mich ab.«

Zumindest hatte er den Hinweis verstanden, so schlau war er immerhin. Oliver – der Freund – hielt beim Abendessen überwiegend den Mund, Layla übernahm die Gesprächsführung. Anders als heute Nachmittag ließ ich mir von ihr alles über die Kanzlei erzählen, von der ich bereits wusste, dass ich sie anheuern würde, und unterbrach sie nicht. Die alten Säcke, die sich um meine Belange kümmern würden, interessierten mich im Grunde nicht im Geringsten. Doch es machte mir Spaß, Layla an dem kleinen Tisch gegenüberzusitzen, beim Sprechen ihren Mund zu beobachten sowie die vereinzelten Sommersprossen, die sie zu überdecken versuchte. Meinen Blick auf ihren vollen Lippen verweilen zu lassen, wenn sie es bemerkte und das Würstchen nicht: Bring Layla dazu, dass sie sich auf ihrem Stuhl windet.

Ich hatte sie über ein Jahr lang nicht gesehen, und wenn das überhaupt möglich war, war sie noch schöner geworden. Sie trug ihr dunkles Haar länger und in natürlichen Wellen anstatt seidenglatt geföhnt wie vor einem Jahr. Ich hatte mir immer vorgestellt, dass ihre Haare so aussehen würden, nachdem wir stundenlang unsere Körper aneinandergerieben hatten.

Nachdem sie jeglichen Kontakt zu mir abgebrochen hatte, war dieser Traum immer wiedergekehrt. In vielen einsamen Nächten hatte er meine Gedanken beherrscht.

Heute Abend waren ihre vollen Lippen leuchtend rot geschminkt, die Einkerbung in der Mitte der Oberlippe war deutlich zu sehen und bildete ein makelloses kleines V. Am liebsten hätte ich mit meiner Zunge darübergestrichen. Ich musste in ihren langen zarten Hals beißen, an ihm saugen. Doch der Gipfel waren ihre Augen. Sie hatten einen hellen Grünblauton, und aus Erfahrung wusste ich, dass sie dunkel wurden, sobald sie erregt war.

»Hören Sie mir überhaupt zu?« Layla blinzelte zweimal.

Mist. Ich hatte kein Wort von dem gehört, was sie gesagt hatte. »Natürlich.«

Sie beugte sich vor und senkte die Stimme. »Und was habe ich gerade gesagt?«

Shit, ihre Augen werden auch dunkel, wenn sie sauer ist. Ich konnte es nicht erwarten, sie zu vögeln, wenn sie wütend war. Wie würden sie wohl dann erst aussehen?

»Sie haben von der Kanzlei gesprochen.«

Sie sah zwischen meinen Augen hin und her und blinzelte. »Egal. Ich habe den ganzen Abend geredet. Sagen Sie, Mr. Westbrook, welche Dienstleistungen erwarten Sie von einer Kanzlei? Heute Nachmittag erwähnten Sie den Einspruch wegen Ihrer Zulassung als Börsenhändler und Ihr neues Unternehmen. Aber ich weiß nichts über Ihre Pläne. Heute Nachmittag waren Sie ja zu beschäftigt, um uns eine ganze Stunde zu widmen.«

Das Würstchen sah von einem zum anderen. Ihm war anzusehen, dass er keine Ahnung hatte, wie er Laylas Verhalten deuten sollte. Um Missverständnissen vorzubeugen, ich bin mir sicher, dass er ihr abweisendes Verhalten genoss, schließlich hatte ich versucht, ihn loszuwerden. Doch ich hatte das Gefühl, dass er keine Ahnung von der Geschichte zwischen Layla und mir hatte, und beschloss, meine Theorie zu überprüfen.

»Sie kommen mir bekannt vor, Oliver, doch ich kann Sie irgendwie nicht zuordnen. Sind Sie jemals im Bundesgefängnis in Otisville gewesen?«

Es war das erste Mal, dass ich ihn seit unserer Begegnung auf dem Herrenklo direkt ansprach.

»Ich? Nein.« Er sah zu Layla. »Aber hast du da nicht eine Weile in diesem Berufungsprogramm für Häftlinge unterrichtet?«

»Ja.« Sie warf mir einen warnenden Blick zu.

Oliver war offenbar schnell im Rechnen, er zählte zwei und zwei zusammen. »Haben Sie da Ihre Strafe verbüßt?«

Ich führte mein Glas an die Lippen und lächelte. »Ja, genau.«

Er sah seine liebende Freundin an, dann mich, dann wieder sie. »Seid ihr zwei euch schon mal begegnet?«

Und seine liebende Freundin log ihm direkt ins Gesicht. »Nein.«

Das machte mich verdammt glücklich. Ich schenkte Oliver mein erstes aufrichtiges Lächeln. Ich hatte gedacht, in Gegenwart dieses Würstchens würde ich Laylas Interesse, die Dinge mit mir zu klären, womöglich falsch einschätzen. Doch ihre Lüge sagte weit mehr, als hätte sie aus freien Stücken zugegeben, dass wir uns kannten.

Man lügt nicht ohne Grund, es sei denn, jemand ist gestört. Und es gibt nur einen Grund, warum man dem Typen, mit dem man zusammen ist, etwas über einen anderen Mann vorlügt: damit er nicht eifersüchtig wird. Was bedeutete, dass es einen Grund für ihn gab, eifersüchtig zu sein.

Ich hob eine Augenbraue und grinste Layla schief an. Sie warf mir einen finsteren Blick zu, und ihre Augen wurden noch dunkler.

»Erzählen Sie uns doch, welche Art von Rechtsbeistand Sie brauchen, Mr. Westbrook«, sagte sie. »Welche Art von Geschäft gründen Sie?«

»Ein Venture-Capital-Unternehmen. Wir wollen im Bereich Technik und Kommunikation investieren. Darum brauche ich jemanden, der sorgfältig den Rahmen für potenzielle Investitionen prüft, sich um die Kaufverträge kümmert, Kreditvereinbarungen aufsetzt und dafür sorgt, dass wir nicht mit irgendwelchen Betrügern ins Bett steigen.«

»Der letzte Teil ist interessant.« Layla nippte an ihrem Drink. »Und Sie wollen einen Antrag stellen, dass man Ihnen die Lizenz als Börsenhändler zurückgibt?«

»Ja. Aber noch nicht. Fürs Erste will ich mich auf das neue Unternehmen konzentrieren und mich um einige Dinge kümmern, die für den Antrag hilfreich sein könnten.«

»Wissen Sie, die Chancen, dass die FINRA nach der Verurteilung für ein Kapitalverbrechen Ihre Zulassung als Börsenhändler erneuert, sind ziemlich gering«, sagte Layla. »Man ist automatisch für zehn Jahre gesperrt.«

»Theoretisch bin ich gar nicht verurteilt worden. Ich habe es nicht zu einer Verhandlung kommen lassen, sondern mich auf einen Deal eingelassen. Damals schien es mir das geringere Übel.«

»In den Augen des Gesetzes ist das Einlassen auf einen Deal mit einer Verurteilung gleichzusetzen.«

»Die Konsequenzen von einem solchen Deal leuchten mir ein. Allerdings habe ich gelesen, dass man trotz einer Sperre eine Sondererlaubnis für eine Lizenz erhalten kann.«

»Laut Gesetz ist das zwar möglich, aber einfach ist das nicht. Wir haben einige Anträge gestellt, und sie sind nie durchgegangen.«

»Nun ja, dann scheinen künftig einige Premieren auf uns zu warten.« Ich hob mein Glas, um mit ihr anzustoßen.

Nachdem das Abendessen zu Ende war, gingen wir zu dritt hinaus zum Parkservice. Ich ließ mir Zeit und grub in meiner Hosentasche nach dem Ticket, mit dem ich mein Auto zurückbekam. Zu meinem Glück wurde Olivers Wagen als Erster gebracht, dann einer, der weder Layla noch mir gehörte. So konnte Oliver nicht warten.

Er zögerte den Abschied hinaus und hoffte wahrscheinlich, dass Laylas Wagen gebracht wurde, damit er uns zwei nicht allein lassen musste. Doch er kam nicht.

Als ein Paar in das Auto hinter ihm stieg, deutete ich mit dem Kinn darauf. »Sieht aus, als würden Sie den Wagen da behindern.«

Oliver sah zu Layla, dann wieder zu mir.

Ich lächelte und sagte: »Keine Sorge. Ich sorge dafür, dass sie sicher in ihr Auto kommt.«

Ich an seiner Stelle würde meine Frau unter keinen Umständen vor einem Restaurant mit einem Ex-Knacki allein lassen. Insbesondere nicht, wenn dieser schon deutlich gemacht hatte, dass er ein nicht-geschäftliches Interesse an ihr hatte – egal ob er möglicherweise ein potenter Mandant war oder nicht.

Oliver schien hin- und hergerissen zu sein, traf am Ende jedoch die falsche Entscheidung.

»Wir sehen uns morgen im Büro.« Er drückte Laylas Schulter, dann streckte er mir die Hand hin. Schlaffer Händedruck … Weichei. »Hat mich gefreut, Sie kennenzulernen. Ich hoffe, Sie kommen zu Latham & Pittman.«

Meine Antwort bestand aus einem festen Händedruck. »Gute Nacht.«

Layla und ich beobachteten schweigend, wie der Störenfried davonfuhr.

»Oliver ist mein Freund«, erklärte sie in warnendem Ton.

»Ich weiß. Er hat es auf dem Herrenklo erwähnt, als ich versucht habe, ihm Geld zu geben, damit er sich verkrümelt. Netter Abschiedskuss übrigens.«

Ihre Augen funkelten. »Das hast du nicht getan. Gott, was bist du für ein Idiot!«

Mein Blick fiel auf ihre Lippen. »Dieser sündige Mund hat mir gefehlt.« Und ich kann es nicht erwarten, ihn zu vögeln, doch ich war klug genug, das jetzt nicht zu erwähnen. Es wäre nicht der richtige Zeitpunkt.

»Du bist verrückt. Und mich vor einem Mandanten zum Abschied zu küssen, wäre vollkommen unprofessionell gewesen – wobei es mich nicht überrascht, dass du das nicht gemerkt hättest.«

»Ich finde, verrückt ist dein Freund, der gerade weggefahren ist und seine Frau mit einem Mann zurückgelassen hat, der ein eindeutiges Interesse an ihr bekundet hat. Und übrigens wäre es mir völlig egal, ob es professionell ist oder nicht, ich würde mein Revier markieren.«

Layla stemmte die Hände in die Hüften. »Er vertraut mir. Und was bist du? Ein Hund? Dein Revier markieren. Pinkelst du auch gegen Hydranten?«

»Er vertraut dir? Dann hat er deshalb wohl nicht bemerkt, dass du gelogen hast. Du hast ihm weisgemacht, wir wären uns noch nie zuvor begegnet.«

Ich trat einen Schritt näher, direkt vor sie. Anstatt zurückzuweichen, legte sie den Kopf in den Nacken und sah zu mir hoch. Wie wunderbar, dass sie sich weigerte zurückzuweichen.

»Es gibt keinen Grund, weshalb er von uns erfahren muss. Weißt du, warum? Weil es nie ein Uns gegeben hat.«

»Rede dir ein, was immer du willst.«

»Gott, du bist so arrogant.«

Ich strich ihr übers Haar. »Du hast eine neue Frisur. Die Wellen gefallen mir. Sieht sexy aus. Aber du deckst wieder diese wundervollen Sommersprossen auf deiner Nase ab.«

Sie schlug meine Hand fort. »Hörst du mir überhaupt zu?«

»Ja. Er vertraut dir. Kein Uns. Ich bin ein arrogantes Arschloch.«

Sie sah mich finster an. Es war hinreißend.

»Ihre Schlüssel, Miss.«

Wir hatten beide nicht bemerkt, dass ihr Wagen vorgefahren worden war oder dass der Mann vom Parkservice neben uns stand und die Schlüssel in der Luft baumeln ließ.

Sie nahm sie ihm ab und schritt zu ihrem Wagen. Der Mann vom Service lief zurück, um ihr die Tür zu öffnen. Layla stieg ein, hielt in der Bewegung inne und sagte über die Motorhaube hinweg: »Heuere eine andere Kanzlei an, Gray. Was immer du meinst, was zwischen uns passieren wird, es wird nicht passieren.«

3. Kapitel

Layla

»Die sind ja wunderschön.«

Becca, die Empfangsdame, die zugleich meine Freundin war und mit der ich oft zu Mittag aß, kam mit einem Riesenstrauß gelber Rosen in mein Büro. Es mussten zwei Dutzend sein. Seufzend stellte sie ihn auf meinem Schreibtisch ab. »Ich wünschte, ich könnte einen Typen wie Oliver finden. Dieser Mann ist verrückt nach dir.«

Ich lächelte, hatte allerdings das dumpfe Gefühl, dass der Strauß nicht von ihm war. Hoffentlich täuschte ich mich.

»Wollen wir heute zusammen mittagessen?«, fragte sie.

»Unbedingt. Gegen eins?«

»Ich ruf dich an. Sonst kommst du erst hier raus, wenn es draußen dunkel ist.«

Sie hatte recht. Ich neigte dazu, mich in ein Projekt zu stürzen und vollkommen die Zeit zu vergessen.

Becca verließ gerade mein Büro, als Oliver hereinkam.

»Warum hast du keinen Bruder, Oliver?«, scherzte Becca.

Er lächelte. Dann landete sein Blick auf dem Riesenstrauß auf meinem Schreibtisch, und sein charmantes Lächeln erstarb.

Mist. Sie sind nicht von ihm.

»Hast du einen heimlichen Bewunderer? Muss ich mir Sorgen machen?«

»Äh … Die hat Becca gerade gebracht. Ich dachte, die wären von dir.«

Er schüttelte den Kopf. »Ich wünschte, sie wären es.«

Obwohl Oliver und ich seit fast einem Monat zusammen waren, hatten wir nie das Gespräch geführt – es war einfach nicht nötig gewesen. Keiner von uns hatte überhaupt Zeit, sich mit anderen zu treffen. Gott, wenn wir konnten, gingen wir zusammen mittagessen, aber in vier Wochen waren wir nur ein paarmal offiziell verabredet gewesen. Wir arbeiteten beide zehn Stunden am Tag, sechs Tage die Woche. Darum hatte ich mir nie Gedanken darüber gemacht, dass Oliver sich mit anderen Frauen treffen könnte, und wie es aussah, er umgekehrt auch nicht. Bis jetzt.

Er fragte nicht, doch er wartete, und sein Blick zuckte hin und wieder zu dem ungeöffneten Umschlag, der von außen an die Klarsichtfolie getackert war. Die Situation wurde allmählich unangenehm.

Im Stillen wünschte ich mir, dass das Telefon klingeln möge, aber natürlich tat es das nicht. Schließlich löste ich die Karte, während ich intensiv darüber nachdachte, was ich sagen sollte, wenn die Blumen tatsächlich von Gray waren. Oliver beobachtete, wie ich die kleine Karte aus dem rosa Umschlag zog.

Während ich sie las, setzte ich das künstliche Lächeln auf, das ich regelmäßig vor Gericht einsetzte. »Von meiner Freundin. Ich habe ihr bei einer Rechtssache geholfen, sie wollte sich nur bedanken.«

Oliver sah erleichtert aus. Ich knüllte die Karte in meiner Hand zusammen, die bereits zu schwitzen begonnen hatte.

»Und was führt dich in diese Niederungen hinunter?«, fragte ich. »Willst du mal sehen, wie die andere Hälfte von uns so lebt?«

Olivers Büro lag zwei Stockwerke über meinem. Es war kürzlich renoviert worden, und auch wenn meine Etage verglichen mit anderen Kanzleien ganz nett war, war seine luxuriös.

»Ich dachte, ich sag dir Guten Morgen und erzähle dir, was für eine interessante Unterhaltung ich gestern Abend auf der Toilette mit unserem Mandanten in spe hatte.«

Mist. Ich verstrickte mich immer weiter in ein Netz aus Lügen, und alle hatten mit Gray Westbrook zu tun. Ich wusste eigentlich gar nicht, warum ich überhaupt so getan hatte, als würde ich ihn noch nicht kennen. Doch die Lügerei ging einfach weiter.

»Ach ja?« Theoretisch war das keine Lüge – wenn ich so tat, als wüsste ich nichts von dem Gespräch; ich verschwieg ja nur etwas. Aber ob verschweigen oder lügen – wie auch immer man es nannte –, es fühlte sich nicht richtig an.

»Er ist mehr als nur an deinem Rechtsbeistand interessiert. Dieser Blödmann dachte doch tatsächlich, er könnte mir ein Bündel Geldscheine in die Hand drücken und ich würde mich noch vor dem Essen verdrücken.«

»Was hast du gesagt?«

»Dass du nie mit einem Mandanten oder mit einem ehemaligen Häftling ausgehen würdest.«

»Verstehe …«

»Es ist die erste Präsentation, die die Partner dir überlassen haben. Darum weiß ich, wie wichtig es ist, dass du das Mandat bekommst. Doch meine egoistische Seite hofft, dass er woanders hingeht, damit er dich nicht anmacht.«

»Ich kann auf mich aufpassen.«

»Das weiß ich. Das finde ich ja so sexy an dir. Du hast weit mehr Mumm als die meisten Männer. Aber dieser Typ kommt frisch aus dem Gefängnis.«

»Aus dem Bundesgefängnis. Wegen Insiderhandel. Er ist kein Vergewaltiger.«

»Ja. Aber die Vorstellung, dass du dich mit einem Typen abgibst, der keine Moral hat, ist mir zuwider.«

»Wenn ich mich nicht mit Leuten ohne Moral abgeben würde, hätte ich ziemlich wenige Mandanten. Ich arbeite nun mal im Bereich Finanzrecht und nicht im Bereich des hochanständigen, künstlerischen Urheberrechts so wie du.«

»Traurig«, Oliver grinste, »aber wahr. Ich muss mich beeilen – hab um zehn ein Meeting, auf das ich mich noch vorbereiten muss. Wollen wir diese Woche irgendwann zusammen abendessen?«

»Klar. Klingt gut.«

Ich bat Oliver, meine Tür zu schließen, wenn er ging, und tat, als hätte ich eine Telefonkonferenz, in die ich mich schnell einwählen müsste. Sobald ich allein war, lehnte ich mich auf meinem Schreibtischstuhl zurück, faltete die zerknitterte Karte in meiner Hand auseinander und las sie noch einmal.

Sommersprosse,

du hast mir gefehlt. Gib dir einen Ruck und mir noch eine Chance.

X

Gray

Alles, was dieser Mann in den letzten vierundzwanzig Stunden getan hatte, widerstrebte mir zutiefst. Er war ohne Vorwarnung in meiner Kanzlei aufgetaucht und hatte darauf bestanden, dass ich die Präsentation durchführte. Er hatte vor den Partnern gefordert, dass ich mit ihm zu Abend aß – ein Abendessen, bei dem er unverschämt zu Oliver gewesen war. Er brachte mich dazu, zu lügen und so zu tun, als würde ich ihn nicht kennen, und er besaß die Frechheit, mir Blumen zu schicken. Aber am schlimmsten war … dass ich in seiner Gegenwart Schmetterlinge im Bauch hatte.

Rosenduft erfüllte die Luft. Obwohl ich weder das Cellophan entfernt noch die Vase aus dem schützenden Karton genommen hatte, wehte ein süßer Blumenduft durch mein Büro. Mehr als einmal hatte ich mich dabei erwischt, wie ich auf den Strauß starrte und meine Gedanken abschweiften. Er lenkte mich davon ab, ein Angebot für einen Aktienkauf durchzulesen. Ich hatte schon den ganzen Vormittag und noch drei Stunden nach dem Mittagessen versucht, mich durch das verdammte Ding zu arbeiten, wofür ich eigentlich nur eine Stunde hätte brauchen dürfen.

Verzweifelt riss ich mir die Lesebrille von der Nase, schleuderte sie auf den Schreibtisch, lehnte mich zurück und starrte wütend auf die verdammten Rosen vor mir.

»Wisst ihr, ihr seid genau wie er.« Ich hatte eindeutig den Verstand verloren, denn ich sprach mit einem noch in Cellophan verpackten Blumenstrauß. »Ihr seid hübsch und riecht gut. Aber wenn ich nachgebe und eine in die Hand nehme, verletze ich mich an einem Dorn.«

Es war klar, dass ich nichts auf die Reihe kriegen würde, solange diese verdammten Dinger auf meinem Schreibtisch standen. Ich stieß die Luft aus, stand auf, nahm den Strauß, ging zum Papierkorb und beförderte die Blumen, die vermutlich an die zweihundert Dollar wert waren, kopfüber hinein.

Vielleicht war es ein symbolischer Akt, oder ich war einfach verrückt, aber anschließend konnte ich mich wieder konzentrieren. In weniger als einer halben Stunde hatte ich das Papier durchgearbeitet und ging hinaus zu meiner Assistentin, damit sie meine handschriftlichen Notizen abtippte.

Als ich gerade zurück im Büro war und etwas in einem Aktenschrank suchte, klopfte jemand an die offen stehende Tür. Als ich aufsah, stand der alte Pittman im Türrahmen, woraufhin ich den Schrank schnell schloss.

»Mr. Pittman. Was kann ich für Sie tun?«

Es war das zweite Mal innerhalb von zwei Tagen, dass er sich aus der Thronhalle zu mir hinunterbegab, um mit mir zu sprechen. Ich wusste, dass sein Anliegen mit Sicherheit mit einem gewissen künftigen Mandanten zu tun hatte. Zum ersten Mal kam mir der Gedanke, dass der Schlag, den ich Grays Ego versetzt hatte, ihn veranlasst haben könnte, sich bei meinen Vorgesetzten über mich zu beschweren. Wenn die Seniorpartner glaubten, ich hätte ein in Aussicht stehendes großes Mandat sabotiert, würde ich in dieser Kanzlei nicht überleben. Der wackelige Boden, auf dem ich nach meiner vorübergehenden Sperre gestanden hatte, hatte sich erst seit Kurzem wieder gefestigt.

»Wir kommen mit guten Neuigkeiten, Layla.« Pittman zeigte ein seltenes Lächeln.

»Gute Neuigkeiten?«

»Ja.«

Er trat einige Schritte in mein Büro, und erst da bemerkte ich, dass er nicht allein war. Gray schritt hinter ihm herein, als gehörte ihm der Laden. Er grinste verschlagen.

Pittman zeigte auf ihn. »Mr. Westbrook hat gerade bei uns unterschrieben. Er sagte, Sie wären beim Abendessen sehr überzeugend gewesen.«

Ich bemühte mich, nichts Unbesonnenes zu sagen. »Oh. Das … das sind ja fantastische Neuigkeiten.«

Pittman klopfte Gray auf den Rücken. »Sie haben die richtige Wahl getroffen. Layla wird sich sehr gut um Sie kümmern.«

Die Augen von diesem Mistkerl funkelten. »Darauf baue ich.«

»Nun, dann lasse ich Sie beide mal allein.« Pittman sah mich an. »Es wird Sie jemand bei der eidesstattlichen Aussage im Fall Barag vertreten. Ich bitte Charles, das zu übernehmen. Mr. Westbrook ist ein VIP-Mandant. Wir müssen einiges umorganisieren, damit Sie zur Verfügung stehen, wenn er Sie braucht.«

»Die eidesstattliche Aussage? Die ist morgen.«

»Keine Sorge. Wenn Charles es so schnell nicht schafft, setzen wir einen neuen Termin an. Mr. Westbrooks Reise hat Vorrang.«

»Reise?«

»Sie werden ihn nach Greensboro begleiten.«

Bis sich die Tür hinter Pittman schloss, schwieg ich und setzte mein eingeübtes Lächeln auf. Er hatte Dollarzeichen in den Augen gehabt, als er ging, und ahnte nicht, dass ich den neuen VIP am liebsten erwürgt hätte.

Mit verschränkten Armen drehte ich mich zu Gray um und zischte: »Was für ein Spiel spielst du hier?«

»Wie bitte? Ich brauche einen neuen Rechtsbeistand.«

»Ich dachte, ich hätte gestern Abend deutlich gemacht, dass ich nicht daran interessiert bin, dich zu vertreten. Ich habe gesagt: ›Such dir eine andere Kanzlei.‹ Was ist daran so schwer zu verstehen?«

»Ich bin ein guter Mandant. Deine Kanzlei schreibt den Erfolg, diesen Fisch gefangen zu haben, dir zu. Das ist doch gut für dich.«

Trotzig schob ich das Kinn vor. »Du hast keine Ahnung, was gut für mich ist. Du bist nicht gut für mich.«

Als er auf mich zukam, hielt ich die Luft an. Obwohl er mich nicht berührt hatte, kribbelte meine Haut am ganzen Körper. Doch ich würde unter keinen Umständen zurückweichen oder ihm zeigen, welche Wirkung er auf mich hatte. Gray trat dicht vor mich.

Ich rechnete damit, dass er mich mit dem tiefen Vibrato seiner einschüchternden Stimme in die Schranken weisen würde. Stattdessen überraschte er mich, indem er ganz leise sprach.

»Es tut mir leid, dass ich dich angelogen habe, Layla.«

Wenn es um diesen Mann ging, war ich wie festgefahren. Ich konnte nicht nett sein.

»Was immer vor über einem Jahr vorgefallen ist, war ein Fehler«, sagte ich. »Aber der Fehler war nicht deine Lüge. Der Fehler war, dass ich mich auf dich eingelassen habe.«

Die Andeutung eines Zuckens in seinem Augenwinkel war das einzige Zeichen, dass ihn meine Worte getroffen hatten.

»Wir müssen morgen um zwölf Uhr in Greensboro sein, um meine neuen Partner zu treffen«, sagte er. »Es ist besser, du bist schon dabei, wenn die Bedingungen für die Partnerschaft ausgehandelt werden. Dann ist alles klar, wenn du den Vertrag aufsetzt.«

Der Gedanke an sich war nicht ungewöhnlich. Ich hatte schon einige Male Mandanten bei Geschäftsgründungen begleitet. Was allerdings ungewöhnlich war, dass ich im Grunde keine Wahl hatte. Es bestand kein Zweifel daran, dass Gray vollauf bewusst war, in welch missliche Lage er mich gebracht hatte. Wenn ich jetzt zu den Partnern ging und mich weigerte, an dem neuen Mandat zu arbeiten, würde ich eine Erklärung liefern müssen.

Und was sollte ich sagen? »Wissen Sie noch, als ich einen Pro-Bono-Fall als Strafe übernehmen musste, weil ich gegen das Anwaltsgeheimnis verstoßen hatte? Als Sie mich fast gefeuert hätten, erinnern Sie sich? Nun ja, während ich im Männergefängnis meine Strafe ableistete, lernte ich Grayson Westbrook kennen und verliebte mich in ihn. Manchmal schlichen wir uns in der Bibliothek zwischen die Regale und knutschten herum. Alles war toll – bis er mich anlog. Wie bitte? Sie meinen, damit hätte ich rechnen müssen? Aber wie sollte ich wissen, dass es eine schlechte Idee war, sich mit einem Häftling einzulassen, der wegen Insiderhandels einsaß?«

Ich warf ihm einen genervten Blick zu. »Ich lasse meine Assistentin die Flüge buchen und schicke dir die Unterlagen per E-Mail.«

Ein laszives Grinsen erschien auf seinem attraktiven Gesicht. Am liebsten hätte ich es ihm aus dem Gesicht geprügelt.

»Toll. Sag ihr, dass mir das Langham am liebsten ist.«

»Ein Hotel? Ich dachte, das Treffen findet um zwölf Uhr mittags statt?«

»Ja. Aber einige der Investoren kommen von außerhalb – sie reisen ebenfalls mit dem Flieger an und erwarten, dass wir zusammen zu Abend essen.«

»Dann iss du mit ihnen. Dafür brauchst du mich doch nicht.«

»Beim Abendessen werden wir das Gespräch über das Geschäft fortsetzen.«

Ich straffte die Schultern. »Dann mach dir Notizen und informiere mich, ob sich nach dem eigentlichen Geschäftstermin am Tag etwas geändert hat. Ich werde morgen Abend nach Hause fliegen.«

Zu meiner Überraschung gab Gray nach. Er nickte, trat einen Schritt zurück und streckte mir die Hand hin. »Ich freu mich, Sie in meinem Team zu haben, Frau Anwältin.«

Mein Blick fiel auf seine Hand. Eine Erinnerung, an die ich ewig nicht gedacht hatte, blitzte in meinem Kopf auf. Das erste Mal, als er mich geküsst hatte, hatte er seine großen Hände auf meine Wangen gelegt, und ich war dahingeschmolzen. Es störte mich enorm, dass ich jetzt schon Angst hatte, ihn überhaupt zu berühren. Ich durfte nicht zulassen, dass die Vergangenheit Macht über mich gewann.

In der Hoffnung, dass ich nicht zitterte, legte ich meine Hand in seine. Ein Stromschlag durchfuhr mich. Es war, als hätte ich in eine Steckdose gefasst. Abrupt zog ich die Hand zurück und ging um ihn herum zu meinem Schreibtisch.

»Mail mir die Namen deiner Partner, damit ich sie schnell bei der Börsenaufsicht und durch unseren Ermittler überprüfen lassen kann.«

»Das ist nicht nötig.«

Der Schreibtisch bildete nun eine Barriere zwischen uns, und ich nahm eine Akte in die Hand und richtete beim Sprechen meine Aufmerksamkeit auf sie. »Eins will ich klarstellen. Wenn ich deine Anwältin bin, werden die Dinge so gemacht, wie ich es für richtig halte, und sie werden sorgfältig geprüft.«

Ich sah nicht auf, doch ich hörte seiner Stimme an, wie belustigt er war. »Ja, Ma’am.«

»Gib meiner Assistentin deine Kontaktdaten, wenn du gehst. Schönen Tag noch.«

Eine Minute später ging die Tür auf, darum riskierte ich einen Blick nach oben. Natürlich hatte Gray nur darauf gewartet. Er deutete mit dem Blick auf den Papierkorb mit den Rosen.

»Allergisch?«

Ich konnte ein Grinsen nicht verbergen. »Ja, genau.«

Um Grays Augen erschienen Lachfältchen, und er zwinkerte mir zu. »Beim nächsten Mal schicke ich dir was Süßes.«

»Beim nächsten Mal schick sie deiner Frau.«

4. Kapitel

Layla

Zwei Jahre zuvor

»Sie müssen andere Schuhe anziehen.«

»Andere Schuhe?« Ich schaute auf meine Füße hinunter. Die roten Riemchensandalen von Brian Atwood passten tatsächlich nicht ganz zu meinem konservativen Anwaltskostüm. Doch wenn ich schon an einem Samstag hier arbeiten musste, brauchte ich etwas, um mich menschlich zu fühlen. Und ganz sicher waren die Schuhe nicht gar so verkehrt, dass ich sie wechseln musste. Ich sah wieder zu der Vollzugsbeamtin. »Was stimmt mit denen nicht?«

»Offene Schuhe sind in einem Bundesgefängnis nicht erlaubt.«

Das soll wohl ein Witz sein.

»Das hat mir niemand gesagt. Ich bin heute Morgen um fünf Uhr aufgebrochen und vier Stunden hierhergefahren. Das ist mein erster Tag als Ehrenamtliche.«

Sie grinste. »Was haben Sie angestellt?«

»Angestellt?«

»Anwälte, die ehrenamtlich am Wochenende herkommen, sind normalerweise keine echten Ehrenamtlichen.«

»Oh.«

Die Vollzugsbeamtin hob eine Augenbraue – sie wartete auf eine Antwort.

Ich seufzte. »Zweihundert Sozialstunden wegen Verstoßes gegen das Anwaltsgeheimnis.«

Sie pfiff. »Zweihundert Stunden. Da sind die Strafen, die hier verhängt werden, vergleichsweise harmlos.«

»Ach ja? Was passiert, wenn hier jemand in Schwierigkeiten gerät?«

»Verrätern geht es an den Kragen.«

Na toll. Einfach toll.

Sie reichte mir meinen Ausweis zurück. »Haben Sie nun also ein anderes Paar Schuhe dabei oder was?«

»Nein. Gibt es hier in der Nähe einen Laden, in dem ich mir ein Paar Pumps oder so etwas kaufen kann?«

»Zwanzig Meilen die Straße hoch ist ein Walmart.«

Ich sah auf meine Armbanduhr. »Ich sollte in dreißig Minuten anfangen.«

»Dann sollten Sie sich besser beeilen.«

Ich befand mich in einem Gefängnis. Nicht in einem Besucherraum, wie man ihn aus dem Fernsehen kennt – in denen die Besucher hinter einer dicken Sicherheitsscheibe sitzen und man sich nur über ein Telefon verständigen kann –, sondern im eigentlichen Gefängnis, in dem die Männer frei herumliefen. Im Vergleich zu dem benachbarten Hochsicherheitsgefängnis wirkte die weniger gesicherte Vollzugsanstalt von Otisville, in der ich die nächsten Monate jeden Samstag unterrichten würde, eher wie ein College. Die Einrichtung war nicht umzäunt. Die Insassen lebten nicht in verschlossenen Zellen. Stattdessen erinnerten die Unterbringung und die Türschlösser eher an Wohnheime. Wenn ich nicht gewusst hätte, dass ich ein Gefängnis betrat, hätte ich die Männer, die in lässigen Khakis und Button-down-Hemden herumliefen, nicht weiter beachtet. Die meisten wären als Professoren durchgegangen. Es schienen überwiegend ältere, gepflegte Männer zu sein, die so wirkten, als würden sie sonst ein Penthouse bewohnen.

»Wie viele Insassen hat diese Anstalt?«, erkundigte ich mich bei dem Aufseher, der mich zur Bibliothek führte.

»Das schwankt von Tag zu Tag, aber für gewöhnlich etwas über hundert.«

Wir gingen durch eine Tür und einen langen Flur mit Fenstern hinunter. Die Männer draußen lächelten und schienen sich zu amüsieren.

»Ist das ein … Bouleplatz?«

Er kicherte. »Yep. Es gibt auch ein Baseballfeld, das besser ist als das in meiner Highschool. Diese Einrichtungen werden nicht ohne Grund Club Med auf Staatskosten genannt.«

Der Laden war deutlich ansprechender, als ich erwartet hatte, aber die Bibliothek – die Bibliothek war unglaublich. In zwei Dutzend Regalen standen mehr Bücher als in der Stadtbücherei, mit der ich aufgewachsen war. Es gab lange Tische mit Holzstühlen, die mich an die erinnerten, auf denen ich während des Jurastudiums bis spät in die Nacht gesessen hatte. Hinter einer Glaswand befand sich ein großes Klassenzimmer, auf jedem Schreibtisch stand ein moderner Flatscreen.

»Meine Güte.« Ich sah mich um.

»Nicht, was Sie erwartet haben, stimmt’s?«

»Überhaupt nicht.«

Der Aufseher deutete auf den Klassenraum. »Die Bibliothek ist für jeden geschlossen, der nicht an Ihrem Kurs teilnimmt. Sie können also den Klassenraum oder die Bibliothek benutzen. Ganz, wie Sie wollen. Ich glaube, es haben sich vierzehn Männer für den Kurs angemeldet, der heute beginnt, Westbrook nicht mitgerechnet. Sie haben also jede Menge Platz.«

»Westbrook?«

»Er koordiniert die Kurse, die derzeit stattfinden.«

»Ah, okay.«

»Wenn man vom Teufel spricht.« Der Aufseher hob das Kinn. »Da kommt ja unser hübscher Junge.«

Ich drehte mich um und sah einen großen, dunkelhaarigen Mann auf uns zukommen. Er unterhielt sich mit einem anderen Mann und hielt den Kopf gesenkt, bis er den Eingang zur Bibliothek erreichte. Als er ihn hob, vollführte mein Herz bei seinem Anblick einen kleinen Tanz. »Hübscher Junge« wurde dem Mann nicht gerecht. Er war umwerfend. Absolut umwerfend. Dieser kräftige, dunkle, männliche Typ war mit Sicherheit ziemlich arrogant und von sich überzeugt. Eine Schwäche von mir.

Unsere Blicke trafen sich, und auf seinem Gesicht erschien ein laszives, dreistes Grinsen. Und in diesem Moment kam seine größte Waffe zum Vorschein – die auffälligsten, tiefsten Grübchen, die ich je gesehen hatte.

Yep. Er ist eindeutig von sich selbst überzeugt.

Aber … vielleicht war diese Strafe ja doch nicht so schlimm.

Der Aufseher stellte uns vor. »Westbrook, das ist Layla Hutton. Sie gibt den Kurs für Häftlinge, die selbst ihre Berufung beantragen möchten.«

Er streckte mir die Hand hin und nickte. »Freut mich. Grayson Westbrook. Die Aufseher hier nennen die Leute nur bei ihrem Nachnamen. Zivilisten nennen mich Gray.« Er musterte mich beiläufig von oben bis unten. »Ich werde dicht bei Ihnen bleiben müssen. Viele dieser Männer haben eine so schöne Frau schon seit …« Er schüttelte den Kopf. »Verdammt, für viele dürfte es eine Premiere sein.«

Der Aufseher grinste. »Ja. Deshalb bleibst du dicht bei ihr, Westbrook.« Er wandte sich an mich. »Wie gesagt, dies ist ein Gefängnis mit einer niedrigen Sicherheitsstufe. Unsere Türen sind nicht verschlossen, und die Insassen haben eher einen Ehrenkodex verletzt. Hier gibt es keine Gewaltverbrecher. Wenn sie abhauen, werden sie irgendwann zurückgebracht, und dann sind sie keine Gäste dieser netten Einrichtung mehr. Ist es okay, wenn ich Sie mit unserem Casanova hier eine Weile allein lasse? Dann hole ich mir etwas zu essen. Wir haben nicht genügend Personal und lassen Anwälte und Mandanten normalerweise allein, wenn sie einverstanden sind.« Er zeigte auf die Kameras an Wänden und Decke. »Wir haben immer ein Auge auf Sie und sind in Reichweite. Und die Tür zur Bibliothek wird verschlossen, heute keine Öffnungszeiten.«

»Also … na klar.« Eigentlich war ich ziemlich nervös, wobei ich mich ein wenig entspannte, als der hinreißende Programmkoordinator erneut seine Grübchen zeigte.

Nachdem der Aufseher verschwunden war, brachte Gray mich in den benachbarten Klassenraum. »Und? Wurde Ihnen in Ihrer Kanzlei der Schwarze Peter zugeschoben? Oder haben Sie sich selbst in Schwierigkeiten gebracht, und dies ist Teil Ihrer Strafe?«

Vermutlich fuhren die meisten Anwälte nicht freiwillig ans Ende der Welt und halfen verurteilten Kriminellen aus reiner Güte bei ihren Berufungsverfahren. »Strafe. Heute ist der erste Tag.«

»Es könnte schlimmer sein. Sie könnten hier einsitzen, anstatt dass man Sie zwingt, hier nur eine Weile zu arbeiten.«

»Stimmt.«

»Wodurch sind Sie in Schwierigkeiten geraten?«

»Wissen Sie nicht, dass es unhöflich ist, eine Frau nach ihrem Alter, ihrem Gewicht oder danach zu fragen, warum ihr fast die Anwaltslizenz entzogen wurde?«

Er lächelte. Gott, er musste unbedingt damit aufhören. »Sorry.«

»Schon okay.«

Gray schaltete den Laptop vorn im Klassenzimmer ein. »Der hat WLAN, aber es ist eingeschränkt. Wenn Sie eine Seite brauchen, zu der Sie keinen Zugang haben, sagen Sie mir Bescheid. Ich sorge dann dafür, dass sie freigeschaltet wird.«

»Okay. Sehr gut.«

»Der Kurs beginnt erst in ungefähr zwei Stunden. Ich bin nebenan in der Bibliothek, dann können Sie sich einrichten. Klopfen Sie einfach an die Scheibe, wenn Sie etwas brauchen.«

Die nächste halbe Stunde überprüfte ich, ob ich Zugang zu allen Quellen hatte, die ich für meine erste Präsentation brauchte. Dann ging ich die Folien durch, die ich vorbereitet hatte.

Gray saß in einem Sessel in der Bibliothek und las ein Buch – dabei trug er eine Brille. Offensichtlich eine Lesebrille. Da ich mich (wie üblich) sorgfältig auf den heutigen Kurs vorbereitet hatte, hatte ich eine Menge Zeit totzuschlagen. Und … ich war neugierig, wie der bebrillte Adonis aus der Nähe aussah. Also ging ich nach nebenan in die Bibliothek.

»Treibsand?«

Gray war in sein Buch vertieft gewesen und hatte mich nicht hereinkommen hören.

»Ist das Literatur oder ein Sachbuch?«, fragte ich.

Er sah auf. Die eckige Brille mit dem dicken Rahmen stand ihm äußerst gut – sie gefiel mir. Ihre entschiedene Form passte zu seinem markanten Kiefer. Er nahm sie ab, und während er sprach, überlegte ich, ob er mir besser mit oder ohne gefiel.

»Ein Sachbuch. Es ist der autobiografische Bericht von einem Mann, der die Diagnose Lungenkrebs erhalten hat. So eine Art Rückblick, solange er noch unbeschwert gelebt hat.«

»Das klingt bedrückend.«

»Stimmt. Aber das ist es eigentlich nicht. Es ist lustig. Er sieht jetzt, was für einen Quatsch er früher ernst genommen hat. Und er merkt, dass die wichtigsten Tage in seinem Leben die einfachen waren, die er mit den richtigen Menschen verbracht hat.«

Ich setzte mich an den Tisch ihm gegenüber, und unsere Blicke trafen sich. Er schlug das Buch zu. Ich hatte den Mann gerade erst kennengelernt, wusste nichts über ihn, außer dass er in einem Gefängnis arbeitete, aber ich hatte das äußerst merkwürdige Gefühl, dass heute einer dieser wichtigen Tage war. Es war verrückt.

Schweigend lächelten wir uns an, und die völlig irre Energie zwischen uns erreichte ein gefährliches Ausmaß, bis der Aufseher die Tür zur Bibliothek öffnete.

»Ich wollte nur nach Ihnen sehen. Ist alles in Ordnung?«

Ich winkte. »Alles okay. Danke.«