2,99 €
Navy SEAL Ray Tanner sitzt unschuldig im Gefängnis - so behauptet er jedenfalls. Die junge Gefängnisärztin Lana Russel ist die Einzige, die ihm glaubt. Ray besitzt angeblich Beweise dafür, dass er in eine Verschwörung verwickelt wurde, und Lana verspricht, ihm bei der Aufklärung zu helfen. Aber kann sie ihm wirklich vertrauen? Oder manipuliert der attraktive Ex-Soldat sie mit seinem Charme und seiner erotischen Anziehungskraft?
Als Ray sie als Geisel nimmt, um aus dem Gefängnis zu fliehen, bereut Lana ihr naives Vertrauen. Trotzdem sprühen auf der Flucht zwischen den beiden die Funken, und Lana betet, sich nicht in dem Ex-Soldaten geirrt zu haben. Denn er ist eine tödliche Kampfmaschine, die nichts und niemand aufhalten kann ...
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 194
Sie sind die Helden des Alltags und bereit, ihr Leben zu riskieren: Männer in Uniform. Firefighter, Bodyguards, Soldaten oder Piloten – echte Kerle in Berufskleidung sind einfach immer sexy.
Navy SEAL Ray Tanner sitzt unschuldig im Gefängnis – so behauptet er jedenfalls. Die junge Gefängnisärztin Lana Russel ist die Einzige, die ihm glaubt. Ray besitzt angeblich Beweise dafür, dass er in eine Verschwörung verwickelt wurde, und Lana verspricht, ihm bei der Aufklärung zu helfen. Aber kann sie ihm wirklich vertrauen? Oder manipuliert der attraktive Ex-Soldat sie mit seinem Charme und seiner erotischen Anziehungskraft?
Als Ray sie als Geisel nimmt, um aus dem Gefängnis zu fliehen, bereut Lana ihr naives Vertrauen. Trotzdem sprühen auf der Flucht zwischen den beiden die Funken, und Lana betet, sich nicht in dem Ex-Soldaten geirrt zu haben. Denn er ist eine tödliche Kampfmaschine, die nichts und niemand aufhalten kann …
Inka Loreen Minden schreibt auch unter den Pseudonymen Lucy Palmer, Mona Hanke (Erotik) und Monica Davis (Jugendbuch). Sie ist eine bekannte deutsche Autorin erotischer Literatur. Von ihr sind bereits zahlreiche Bücher erschienen, die regelmäßig unter den Online-Jahresbestsellern zu finden sind.
Neben einer spannenden Rahmenhandlung legt sie Wert auf eine niveauvolle Sprache und lebendige Figuren. Explizite Erotik, gepaart mit Liebe, Leidenschaft und Romantik, ist in all ihren Storys zu finden, die an den unterschiedlichsten Schauplätzen spielen.
Mehr über die Autorin auf ihrer Homepage
www.inka-loreen-minden.de
beHEARTBEAT
Digitale Originalausgabe
»be« – Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment
Copyright © 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln
Lektorat/Projektmanagement: Anna-Lena Römisch
Covergestaltung: Christin Wilhelm, www.grafic4u.deunter Verwendung von Motiven © shutterstock/Gabriel Georgescu
Datenkonvertierung eBook:
hanseatenSatz-bremen, Bremen
ISBN 978-3-7325-2507-2
www.be-ebooks.de
www.lesejury.de
Ray Tanner, obwohl erst zweiunddreißig Jahre alt, ist der wohl gefährlichste Mann im ganzen Gefängnis. Er ist ein tödlicher Navy SEAL, hat die härteste Ausbildung der Welt genossen und besitzt enorme körperliche und geistige Fitness. Vor einigen Jahren hat er die brutalste Schule der Welt absolviert und war kurz vor seiner Straftat von einem erfolgreichen Einsatz zurückgekehrt. Nur die wenigsten sind stark genug, um diesen Drill zu überstehen. Die Navy hat ihn quasi in allem zum Profi ausgebildet, von chemischer und biologischer Kriegsführung über Militärtaktiken bis zum Tiefseetauchen. Seine Zukunft hätte voller Möglichkeiten sein können, doch er hat sich alles verbaut.
Nun befindet er sich mit zahlreichen anderen Gefangenen im Innenhof der Vollzugsanstalt in Brooklyn, um Sonne zu tanken, während ich vom vergitterten Fenster der Krankenstation zu ihm hinuntersehe und an meinem Tee nippe. Vom dritten Stock aus kann ich ihn beobachten, ohne dass er mich bemerkt, kann seinen gestählten Körper bewundern, sein kantig geschnittenes Gesicht, das durch sein kurz geschorenes, dunkles Haar noch härter wirkt, seine große, muskulöse Gestalt, die breiten Schultern und langen Beine. Obwohl er wie einige andere Häftlinge, die auf der Baustelle arbeiten, einen grünen Overall trägt, sticht er aus der Masse heraus. Nicht etwa, weil er wie der Stärkste wirken würde – nein, da gibt es weitere Kandidaten –, sondern weil er sich ganz anders bewegt. Geschmeidig wie ein Panther streift er vorbei an den Grüppchen, die sich in jedem Gefängnis bilden. Da gibt es die Mexikaner, die sich beim Basketballkorb aufhalten, die Latinos und Kubaner, die sich in je einer Ecke versammeln, und andere, die auf den Bänken herumlungern. Nur Ray Tanner gesellt sich nirgendwo dazu. Er ist ein Einzelgänger, gehört zu keiner der Gruppen, die sich nach Religion, politischer Gesinnung oder den diversen New Yorker Gangs aufteilen.
»Schlagen sie sich schon wieder die Köpfe ein, Dr. Russel?«, fragt Mr Wollny, der weiter hinten im Raum neue Verbände in den Schrank sortiert. Der Sechzigjährige ist ein Baum von einem Mann, aber lammfromm, und neben mir im Moment die einzige Person auf der Station. Bereits seit zwanzig Jahren arbeitet er in dieser Haftanstalt als Pfleger. Ich hingegen habe erst vor fünf Monaten den alten Arzt abgelöst, der nun seinen Ruhestand genießt. Mr Wollny wird auch bald gehen, weshalb sich die Gefängnisdirektion bereits nach einem neuen Pfleger umgesehen hat. Er wird nächste Woche zu uns stoßen, damit wir ihn anlernen können. Ich werde Mr Wollny vermissen. Er ist doppelt so alt wie ich und nicht nur deshalb für mich wie ein Fels in der Brandung. Er findet sich hier blind zurecht, hat mir trotz meines intensiven Studiums und der Praktika noch viel beigebracht – vor allem mit dem Papierkram habe ich es gar nicht. Er kennt seine Pappenheimer und weiß, wie man sie beruhigt. Außerdem vermittelt er mir mehr Sicherheit als die Wärter mit Pflegerausbildung, die vor der Tür oder sogar im Behandlungsraum auf besonders gefährliche Patienten aufpassen. Die Gefangenen respektieren und mögen Mr Wollny, den hier alle nur »Buddy« nennen.
»Bisher ist alles ruhig«, antworte ich ihm.
»Dann genießen Sie doch Ihren Tee, bevor die uns gleich wieder die Bude einrennen«, sagt er schmunzelnd und sortiert weiter die Verbände. Er ist wie ich, selbst während der Pausen braucht er immer eine Beschäftigung. Meine Beschäftigung besteht aktuell darin, Ray Tanner anzuschmachten und dabei an meinem Tee zu nippen. Ray scheint jeden einzelnen seiner Mithäftlinge zu studieren und die Lage abzuchecken. Was hat er vor?
Als er plötzlich den Kopf dreht und direkt zu mir nach oben blickt, trete ich einen Schritt zur Seite, sodass er mich nicht mehr sehen kann. Mein Herz rast. Ob er bemerkt hat, dass ich ihn beobachte? Seit er letzten Monat zu uns gekommen ist, fasziniert er mich. Wir hatten Gespräche unter vier Augen, weil ich ein Gutachten über ihn erstellen muss, und es knisterte gewaltig zwischen uns. Er braucht mich nur anzusehen, schon erhöht sich meine Pulsfrequenz und mein Gesicht glüht. Wenn er spricht, kann ich mich nur schwer von seinen Lippen losreißen. Er hat einen verboten heißen Mund mit den sinnlichsten Lippen, die ich je gesehen habe. Jedes seiner Worte verursacht ein wohliges Prickeln überall an und in meinem Körper. Seine Stimme ist leicht rau, dennoch melodiös und vor allem sehr männlich.
Raymond … das ist sein richtiger Name, aber er mag es nicht, so genannt zu werden. Deshalb hat er mich gebeten, ihn mit Ray anzusprechen. Wollte er damit eine vertrauliche Basis zwischen uns schaffen? War das eine Taktik, damit ich ihm glaube? Ich blicke bei dem Mann manchmal nicht durch. Er wirkt geheimnisvoll und verschlossen, und dann offenbart er mir wieder intime Details aus seinem Leben.
Natürlich hat er wie viele andere hier seine Unschuld beteuert. Ich wurde reingelegt, hat er gesagt und mir eine abenteuerliche Geschichte aufgetischt. Tatsächlich hat man ihn nackt in einem Hotelbett vorgefunden – neben der erdrosselten Frau eines ehemaligen Schulfreundes. Sein Faible für SM-Spiele sei ihr zum Verhängnis geworden, so wurde behauptet.
Wir haben über seine sexuellen Vorlieben geredet, und er hat mir gestanden, dass er es liebt, eine Frau lustvoll zu unterwerfen. Aber er würde ihr niemals wehtun, nie eine Grenze überschreiten … und Jessica Bettany habe er nie angerührt. Ganz im Gegenteil: Seit Monaten habe er abstinent gelebt, wie er mir geschworen hat. Seine letzten beiden Einsätze hätten ihn so gefordert, dass er keine freie Minute gehabt habe. Er war geil an jenem Abend und auf der Suche nach einer Spielpartnerin. Mit seinem Kumpel war er in einer Kneipe, in der keine Frau nach seinem Geschmack war – und danach kann er sich an nichts mehr erinnern. Und er würde sich erinnern, wenn er Sex gehabt hätte, an jedes kleinste Detail.
Dabei hat er mich angesehen, als würde er seine Fantasien mit mir umsetzen wollen.
Als ich ihn gefragt habe, welchen Frauentyp er bevorzugen würde, antwortete er ohne zu zögern: »Sie, Doc. Ich stehe auf große Mädchen mit ordentlich Oberweite.«
Nach diesem Gespräch habe ich den Kerl nicht mehr aus dem Kopf bekommen.
Ich muss endlich aufhören, mir Sex mit Ray Tanner auszumalen, und zwar genau die Art Sex, die seiner Partnerin das Leben gekostet hat. Dieser Mann ist ein Mörder, eine unberechenbare Kampfmaschine! Ich sollte keinen Gedanken mehr an ihn verschwenden und an meinen Schreibtisch zurückkehren. Ich muss dringend eine Stellungnahme für einen Anwalt schreiben.
Bloß kann ich nicht anders und werfe einen weiteren Blick auf Ray. Was ist, wenn er wirklich unschuldig ist? Er wäre nicht der Erste, der zu Unrecht hinter Gittern sitzt.
Die Stimmung im Hof hat sich geändert. Die Latinos schubsen einen jungen Mann herum, der einen guten Kopf kleiner ist als die meisten anderen. Das passiert hier ständig. Grenzen werden ausgelotet, Regeln festgelegt, Gangs terrorisieren sich gegenseitig. Hier herrscht das Recht des Stärkeren oder wer die besten Beziehungen hat.
Ray packt den Kleinen am Kragen des Overalls und zieht ihn hinter sich. Dann stellt er sich mit verschränkten Armen vor Sergio. Der Glatzkopf ist fast so groß wie Ray und der Chef der Bande. Hinter ihm bauen sich fünf seiner Anhänger auf.
Komm, Ray, mach keinen Scheiß!, sagt das Engelchen auf meiner rechten Schulter, während das Teufelchen zu meiner Linken kräht: Zeig’s ihnen, Süßer, und lass dich so richtig vermöbeln, damit dich Lana anschließend zusammenflicken und anschmachten kann!
Ich muss Abstand gewinnen und darf Ray nicht zu nah an mich heranlassen. Ich verhalte mich unprofessionell!
Noch ein paar Jahre werde ich im Knast arbeiten, dann habe ich meine Schulden abbezahlt, kann hier kündigen und meine eigene Arztpraxis eröffnen. Das Medizinstudium hat Unsummen gekostet, was auch ein Grund dafür ist, dass ich diesen Job angenommen habe. Er wird besser bezahlt als eine Stelle im Krankenhaus. Bisher habe ich meine Entscheidung nicht bereut, doch mein Bauchgefühl sagt mir, dass mir meine Zuneigung zu Ray noch zum Verhängnis werden wird, wenn ich ihn nicht sofort vergesse.
Um schneller hier wegzukommen, sollte ich mir einen Mann mit Geld angeln, der mich aus meinem Ein-Zimmer-Apartment rausholt und mich zum Essen ausführen kann. Für gutes Essen bin ich immer zu haben, was man mir bald ansehen wird, wenn ich mich nicht etwas zügele. Zum Glück verteilen sich meine Kilos auf fast einen Meter achtzig.
Was mich wieder zu Ray führt. Der Kerl ist mindestens zehn Zentimeter größer als ich, entspricht genau meinen Vorstellungen – zumindest äußerlich – und ist der heißeste Typ, der mir bis jetzt untergekommen ist. Es ist so verdammt schwer, als große Frau einen Mann zu finden, zu dem man aufsehen kann. Und verflucht noch mal, Ray hat mir gestanden, dass ich genau sein Typ bin.
Das hat er doch nur getan, um dich um den Finger zu wickeln, Lana, tadelt mich mein Engelchen.
So wird es leider sein.
Den Latinos gefällt es nicht, dass sich Ray einmischt und vor den kleinen Mann stellt. Sergio fackelt nicht lange und holt aus, doch Ray duckt sich blitzschnell zur Seite, sodass der Schlag ins Leere geht.
Oh, oh, das wird dem Gangsterboss nicht gefallen, sagt mein Teufelchen.
Es dauert auch keine fünf Sekunden, da hat Sergio seine ganze Gang auf Ray gehetzt, die ihn nun von allen Seiten mit Schlägen und Tritten bearbeitet.
Zischend hole ich Luft, sodass sich Mr Wollny zu mir ans Fenster gesellt.
»Was ist los?«, fragt er und schaut ebenfalls hinunter in den Hof.
»Eine Schlägerei.«
»Der SEAL und Sergio, die Klinge.«
»Die Klinge?«, frage ich alarmiert.
»Alle nennen ihn so, weil er es immer wieder schafft, sich ein Messer zu basteln. Er hat schon drei Häftlinge verletzt und einem Wärter fast das Auge ausgestochen.«
Oh Gott. Zum Glück hat er sich gestern benommen, als er von mir Tabletten gegen seine Kopfschmerzen wollte.
Mr Wollny schnaubt amüsiert. »Der SEAL könnte alle sechs mit einem Atemzug umpusten.«
»Aber er tut es nicht.« Mir fällt auch auf, dass er sich zurückhält, die Schläge nur halbherzig abwehrt und kaum welche austeilt.
»Der heckt was aus, das sage ich Ihnen.«
Mein Teufelchen feuert Ray an, während ich am liebsten wegsehen möchte, aber ich kann nicht. Es tut mir im Herzen weh, wie sie ihn zusammenschlagen.
Als ich befürchte, dass er gleich zu Boden geht, verpasst er dreien einen Fußkick in den Magen, zwei weitere trifft er am Knie und Sergio bekommt Rays Faust direkt auf die Nase. Erst, als sich alle Gangmitglieder auf dem Boden winden, greifen die Wärter ein und führen die Unruhestifter ab. Sie haben viel zu lange gewartet – es wirkt beinahe, als wollten sie, dass Ray eine Abreibung bekommt. Ist das ihre Art zu zeigen, dass sie einen ehemaligen SEAL verabscheuen, der eine amerikanische Bürgerin, anstatt sie zu beschützen, erdrosselt hat? Alle Mitarbeiter sind verpflichtet, neutral zu bleiben, genau wie ich. Des Weiteren muss ich den Gefangenen mit derselben Haltung begegnen wie einem Patienten in Freiheit.
In den ersten Wochen habe ich mich damit schwergetan, weil es hier einige wirklich unangenehme Zeitgenossen gibt, die sich über alles beschweren und selbst hinter Gittern noch Straftaten begehen – beziehungsweise werden manche hier drin erst richtig kriminell. Neben HIV-Infizierten, Hepatitis-C-Erkrankten und Drogenabhängigen wimmelt es in Haftanstalten vor allem von Angstgestörten. Hinzu kommen psychosomatische Erkrankungen mit untypischen Krankheitsbildern und Depressionen. Ich bin Psychiater, Dermatologe und Chirurg in einer Person. Nur wenn ich an meine Grenzen stoße, wird der Patient außerhalb behandelt.
An manchen Tagen frage ich mich, warum ich mich auf all das eingelassen habe. Andererseits ist es kein alltäglicher Job, und er stellt mich regelmäßig vor Herausforderungen. Es wird nie langweilig.
Zehn Minuten später drücken zwei Wärter Ray auf die Behandlungsliege in Zimmer eins und fesseln seine Hände in Hüfthöhe mit Handschellen an den dort befestigten Ösen. Das ist ein normales Vorgehen bei überaus gefährlichen und aggressiven Häftlingen. Im Nebenraum höre ich eines der verletzten Gangmitglieder jaulen, während Ray keinen Mucks macht. Dabei ist sein linkes Auge halb zugeschwollen, die Unterlippe blutig, und wie der Rest seines Körpers aussieht, muss ich erst noch herausfinden. Es würde mich nicht wundern, wenn er ein paar angeknackste oder sogar gebrochene Rippen davongetragen hätte.
»Sie sollten sich erst die anderen Gefangenen ansehen, Doktor«, meint einer der Beamten.
Hier entscheide immer noch ich, wen ich zuerst behandele. Außerdem sind nebenan genug Pfleger, die sich um die Erstversorgung kümmern können.
Möglichst freundlich antworte ich: »Mr Tanner hat es am schlimmsten erwischt.«
»Woher wollen Sie das wissen?« Der blonde Mann schenkt mir einen scharfen Blick. »Sie haben die anderen doch noch gar nicht gesehen.«
»Mr Wollny?« Ich drehe mich zu meinem Mitarbeiter um, der sich ein Bild von der Lage verschafft hatte, als kurz nach Rays Eintreffen auch die anderen Verletzten ankamen.
»Mr Tanner hat es tatsächlich am heftigsten getroffen«, pflichtet er mir bei.
Rays Lippen teilen sich leicht, und für den Bruchteil einer Sekunde sieht er mich überrascht an. Er weiß natürlich, dass ich ihn beobachtet habe. Aber offenbar hat er nicht vermutet, dass ich auf seiner Seite stehen könnte – schließlich habe ich stets versucht, auch ihm gegenüber neutral aufzutreten. Allerdings lese ich noch etwas anderes in seinen Augen: Dankbarkeit.
Ich bemühe mich, nicht zu offensichtlich seine muskulöse Gestalt zu bewundern, und ziehe mir Einweghandschuhe aus Latex über. Der Kerl ist so groß und breit, dass er auf der Liege kaum Platz findet. Dabei mustert er mich seelenruhig und macht nicht den Eindruck, als hätte er gerade einen Kampf hinter sich. Er ist weder außer Atem noch verschwitzt. Im Gegensatz zu den Wärtern.
»Was ist passiert?«, frage ich den bevormundenden Beamten scheinheilig, schließlich habe ich alles gesehen.
»Der Kerl hat eine Schlägerei angezettelt«, antwortet er.
Hat er nicht, will ich sagen, wende mich jedoch lieber Ray zu.
»Haben Sie Kopfschmerzen?« Behutsam fahre ich über das Veilchen an seinem Jochbein. Die Augenhöhle scheint intakt zu sein.
»Meinem Kopf geht’s gut, Doc, aber meine Rippen haben ordentlich was abbekommen«, raunt er.
Wie ich vermutet hatte. »Die sehe ich mir gleich an.«
Ich ziehe eine Stablampe aus der Brusttasche meines Kittels und leuchte ihm damit in die Augen, um zu überprüfen, ob er eine Gehirnerschütterung davongetragen hat. Gott, dieses Eisblau seiner Iriden mit den dunklen Sprenkeln ist wirklich wunderschön und lenkt mich fast von meiner Aufgabe ab. Ich muss den Mann untersuchen!
Die beiden Wärter stehen an seinem Kopfende, während mir Mr Wollny eine Kühlkompresse bringt, die ich auf Rays geschwollenes Lid lege. Anschließend holt mein Pfleger einen Tupfer und Desinfektionsmittel, damit ich Rays Lippe versorgen kann. Der kleine Schnitt wird jedoch von selbst heilen.
»Ich muss mir Ihre Zähne noch ansehen«, erkläre ich Ray, nachdem ich seine Verletzung gereinigt habe.
Seine Lippen teilen sich erneut und ich gleite mit dem Finger über seine Zähne, um zu testen, ob einer wackelt. Dabei kommt mir seine Zunge ein Stück entgegen und fährt über meine Fingerspitze.
Selbst durch den Latex versetzt es mir einen Schlag, und das elektrisierende Kribbeln schießt bis zwischen meine Beine. Ich starre Ray erschrocken an, wobei mein Herz wild pocht, aber er sieht immer noch beinahe ungerührt aus. Nur das Funkeln in seinem gesunden Auge verrät seine Absichten. Wieso spielt er mit mir?
Leise räuspere ich mich. »Hier ist ein kleines Eck abgebrochen.« Er hat schöne, gerade Zähne, groß und hell, nur an einem unteren Schneidezahn fehlt ein winziges Stück.
»Ist vom letzten Einsatz«, murmelt er. »Hab den Lauf einer Waffe ins Gesicht bekommen.«
Soweit ich weiß, hat er die Tochter eines Diplomaten aus den Fängen von Terroristen gerettet. Ray wurde als Held gefeiert.
Ein letztes Mal betrachte ich seinen perfekt geformten Mund und erkläre ihm mit einem zittrigen Lächeln: »Das ist alles weniger schlimm, als es aussieht.« Verdammt, der Kerl macht mich nervös! »Ich werde nun Ihren Oberkörper untersuchen.«
Gerade als ich den Reißverschluss an seinem Overall öffnen möchte, steckt ein anderer Wärter den Kopf in den Raum. »Wie lange brauchen Sie noch, Dr. Russel?«
»Ein paar Minuten wahrscheinlich«, antworte ich dem schwarzhaarigen Mann. »Benötigen Sie Hilfe?«
»Wir könnten noch jemanden gebrauchen.«
Ich schicke Mr Wollny nach nebenan und bin nun mit Ray und den zwei Beamten allein.
Mein Teufelchen freut sich, als ich den Reißverschluss am Kragen aufziehe. Eine rasierte und verdammt gut modellierte Männerbrust kommt zum Vorschein und mit ihr eine Menge schwarzer Tattoos: Tribals, Rosen und große Lettern zieren seinen halben Oberkörper. Ich weiß, dass dieser Satz das Motto der SEALs ist: THEONLYEASYDAYWASYESTERDAY – Der einzige leichte Tag war gestern. Doch etwas anderes hält meinen Blick gefangen. Zwischen den Zeilen wurden offenbar mit Kugelschreiber Wörter auf die Haut gekritzelt: Hilfe. 4 Augen. Dringend.
Schnell ziehe ich den Stoff darüber.
»Gönnen Sie meinem Patienten ein bisschen Privatsphäre?«, frage ich die Pfleger. »Ich komme hier allein klar, aber vielleicht können Sie nebenan noch etwas tun. Ich glaube, das wird ein bisschen länger dauern. Mr Tanners Verletzungen scheinen schwerwiegender zu sein.«
Was rede ich da bloß? Ich tue genau das, was mir ein Verbrecher vorschreibt! Doch meine Neugier ist zu groß. Ray hat das alles eingefädelt, um mit mir allein zu sein. Aber warum hat er gewartet, bis es zu einer Schlägerei kam, und sich dann freiwillig vermöbeln lassen? Er hätte Kopfschmerzen vortäuschen können, genau wie Sergio gestern.
»Dann müssen wir ihn ganz festschnallen«, sagt der blonde Beamte.
Ray nickt, und sofort fesseln die Wärter auch seine Füße an die Liege. Normalerweise ist kein Gefangener allein mit mir im Raum, aber alle Instrumente sind weggesperrt. Wenn ich eine Wunde nähen muss, befinden sich immer zwei Beamte bei mir und passen auf, dass sich der Patient weder das Skalpell noch die Schere schnappt. Sollte ich doch einmal allein mit einem Häftling sein, steht immer ein Pfleger vor der Tür. Aber Ray ist gefesselt, er kann mir nichts tun.
Nachdem wir endlich unter uns sind, ziehe ich den Reißverschluss bis zum Bund seines Slips und taste die Rippen ab. Sie sind nicht einmal angeknackst, alles ist in Ordnung bis auf einen leichten Bluterguss auf der rechten Seite.
»Wurden Sie am Rücken auch getroffen?«, frage ich und trage etwas heparinhaltiges Gel auf, das mir Mr Wollny zuvor schon zurechtgelegt hat.
»Nein.«
Ich wünschte, ich hätte keine Handschuhe an, um ihn direkt berühren zu können. Seine Haut sieht samtweich aus.
»Was soll das?« Mit dem Zeigefinger fahre ich über die blauen Buchstaben.
Kurz schaut er zur geschlossenen Tür. Sie hat ein kleines Sichtfenster, durch das ein Beamter ab und zu einen Blick wirft. »Ich brauche Ihre Hilfe, Doc.«
Zwei Narben zieren seinen Körper, und ich weiß nicht, ob ich wissen will, woher er die hat. Bestimmt ist er des Öfteren dem Tod von der Schippe gesprungen, bei seinem Job. Die eine Narbe unter seiner Brust sieht aus, als hätte ihm jemand ein Messer zwischen die Rippen gerammt, eine andere neben seinem Bauchnabel könnte von einer Kugel stammen. Leider habe ich keine Krankenakte von der Navy, die geben sie nicht raus. Ich hatte versucht, sie anzufordern, aber Rays Einsätze waren offenbar so geheim, dass ich nicht einmal etwas über seine Verletzungen erfahren darf. Man hat mir allerdings versichert, dass er in bester körperlicher Verfassung war, als er aus dem Dienst geschieden ist.
»Sie brauchen nicht so traurig zu schauen«, sagt er mit rauer Stimme. »Ich habe es überlebt.«
Himmel, ich habe ihn schon wieder angestarrt!
Sofort weiche ich einen Schritt zurück und greife zum Instrumentenkasten, um einen Wattebausch mit Desinfektionsmittel zu tränken. Dann stelle ich mich mit dem Rücken zur Tür und rubbele damit über die mit Kugelschreiber gekritzelten Buchstaben, bis sie nicht mehr zu lesen sind. »Warum dieser Aufstand? Sie hätten auch Kopfschmerzen vortäuschen können, um mit mir zu sprechen.«
»Ich habe es mit Übelkeit, Schwindel und Herzschmerzen versucht, aber die Wärter haben mich nicht zu Ihnen gelassen.«
»Das kann doch wohl nicht wahr sein!« Mein Magen ballt sich zusammen. Ich muss ein ernsthaftes Wort mit der Leitung reden.
»Da kam mir die Situation im Hof gerade recht«, erklärt er. »Außerdem haben die Typen längst eine Abreibung verdient. Sie machen den Jungen schon seit Tagen fertig.«
»Ist er verletzt?«
»Bisher nur sein Stolz, aber lange hätte es nicht mehr gedauert und sie wären handgreiflich geworden.«
Hoffentlich lassen die Kerle ihn nun in Ruhe.
Ich will aber jetzt nicht über andere reden, sondern über Ray. Deshalb frage ich frei heraus: »Was wollen Sie von mir?«
»Sie wissen, dass Sie die Einzige in dem Laden sind, der ich vertraue, oder, Doc?«
Ja, das hat er mir bei unseren psychologischen Sitzungen verraten. Mir fehlen unsere Gespräche. Sein Gutachten ist noch nicht ganz abgeschlossen, ich hatte um Aufschub gebeten und die Gespräche ausgesetzt, weil ich nicht mehr neutral bleiben konnte. Aber bald muss ich weitermachen und Resultate liefern.
Als ich nicke, fährt er fort: »Sie müssen mir einen kleinen Gefallen tun.«
»Das können Sie sich abschminken!« Ich nehme den benutzten Wattebausch, um ihn wegzuschmeißen und Rays betörender Nähe zu entkommen.
»Lana … Bitte!«
»Für Sie Dr. Russel.«
Er hebt den Kopf, sodass die Kühlkompresse auf die Liege rutscht, ballt die Hände zu Fäusten und seine Oberarme und Bauchmuskeln spannen sich an. Die Handschellen halten jedoch. Selbst ein Mann wie Ray Tanner wird sie nicht sprengen können.
Himmel, diese Muskeln! Der Kerl scheint kein einziges Gramm Fett zu besitzen.
»Doc …«, stößt er gepresst hervor. »Es ist nichts, was Sie in Verlegenheit bringt. Sie müssen nur etwas für mich aufbewahren.«
Er sieht beinahe verzweifelt aus. So habe ich ihn noch nie erlebt. Der Mann schafft es immer wieder, mich neugierig zu machen.