Hotel der Finsternis - Dana Müller - E-Book

Hotel der Finsternis E-Book

Dana Müller

0,0

Beschreibung

Vier Geschwister. Ein geheimes Hotel. Und ein dunkles Geheimnis, das sie für immer verändern wird. Als Brooke und ihre Geschwister zu ihrem 30. Geburtstag eine geheimnisvolle Einladung in ein abgelegenes Hotel erhalten, ahnen sie nicht, dass dieser Ausflug zum Albtraum wird. Weit entfernt von der Zivilisation, umgeben von einem dichten Nebel, stoßen sie in den einsamen Mauern des Hotels auf Geheimnisse, die nie ans Licht kommen sollten und sich wie ein schwerer Mantel auf ihre Seelen legen. Jeder Schritt treibt sie tiefer in eine Spirale dunkler, den Abgründen der Hölle entsprungener Mächte, die wie Schatten der Vergangenheit über sie hereinbrechen. Die Grenzen zwischen Realität und Albtraum scheinen zu verschwimmen, bis nichts mehr ist, wie es war. Und plötzlich wird klar: Nicht jeder wird diesen Ort lebend verlassen. Ein packender Okkult-Horror, der die Membran zwischen den Welten der Lebenden und der Toten zum Einsturz bringt.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 204

Veröffentlichungsjahr: 2025

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Dana Müller
Kapitel 1 Der Pakt
Kapitel 2 Das Hotel
Kapitel 3 Auf Erkundung
Kapitel 4 Jemand sieht zu
Kapitel 5 Eingesperrt
Kapitel 6 Die Amulette
Kapitel 7 Spiegel
Kapitel 8 Ouija
Kapitel 9 Die Sekte
Kapitel 10 Abstieg
Kapitel 11 Die geheime Kammer
Kapitel 12 Mondkinder
Kapitel 13 Verloren
Kapitel 14 Fesseln
Kapitel 15 Das Ritual
Kapitel 16 Ellas Kampf
Kapitel 17 Orden der Wächter
Kapitel 18 In der Vergangenheit
Kapitel 19 13 Monate später
Kapitel 20 Das Sanatorium
Die Autorin
Weitere Mystery-Romane der Autorin
Lockruf der Geister
Der Geisterjunge
Dunkelbraut
Spuk in Alicetown
Fluch in Alicetown
Koma in Alicetown
Vergessen in Alicetown
Armageddon Alicetown
Jo Kane – Höllische Aussichten
Halloween – Tanz der Toten
Darkland

Dana Müller

Hotel der Finsternis

Okkult Horror

Kapitel 1 Der Pakt

Ich starrte auf meinen Bildschirm. Die Zeilen verschwammen und meine Gedanken glitten in die Vergangenheit ab. Immer weiter versank ich in Erinnerungen, bis ich mich an jenem Abend wiederfand, an dem der Pakt besiegelt worden war. Ein Versprechen, das ich meinen Geschwistern gab und das sie erwiderten. Eine Verabredung, der ich nun mit Wut entgegensah, denn es waren Dinge geschehen, die mein Vertrauen in zwei von ihnen zutiefst erschütterten.

Einzig mein Bruder Adam war nie von meiner Seite gewichen. Aber er hielt auch an den anderen beiden fest, mit denen ich abzuschließen versuchte. Er war der Klebstoff, ohne den wir immer weiter voneinander abgedriftet wären. Ich liebte meinen Bruder, keine Frage, dennoch wollte ich Christian und Daisy nicht begegnen.

Unvermittelt wurde die Tür aufgerissen. Erschrocken sah ich auf. Sandy bemerkte mich überhaupt nicht. Die dicken Kopfhörer offenbarten mir, dass sie in ihre eigene Welt abgetaucht war. Erst, als sich unsere Blicke für einen winzigen Moment trafen, erschrak sie so sehr, dass sie den Wischmob wegwarf und mich erstarrt anblickte. Ihre Schultern hatte sie so hochgezogen, dass ihr Hals von ihnen verschluckt wurde.

»Alles gut? Ich wollte keinen Herzinfarkt auslösen«, verteidigte ich mich und sah zu, wie sie ihr Arbeitsgerät vom Boden klaubte.

»Ich bin fast aus den Latschen gekippt. Meine Güte, Sie können doch nicht hier sitzen und darauf warten, dass jemand vor Schreck tot umfällt. Warum machen Sie sich denn nicht wenigstens bemerkbar?«

»Habe ich«, erwiderte ich knapp und tippte mit dem Finger auf mein Ohr, um auf ihre Kopfhörer hinzuweisen.

Schwungvoll zog sie diese herunter und platzierte den Bügel im Nacken. »Was machen Sie denn noch zu so später Stunde hier?«

»Überstunden«, gab ich zurück und deutete auf die Zettelwirtschaft auf meinem Tisch.

Sie näherte sich, musterte meine Kritzeleien und schürzte die Lippen. »Überstunden – verstehe. Und vor wem verstecken Sie sich?«

So ein Mist! Wie hatte sie mich nur durchschaut? »So offensichtlich?«

Sandy grinste. »Nicht zu übersehen.«

»Ich bin verabredet, will aber nicht dorthin«, klärte ich sie in Kurzfassung auf.

Sandy betrachtete mich stirnrunzelnd. »Und einfach absagen kommt nicht infrage?«

»Sie kennen meinen Bruder nicht. Und eigentlich habe ich mit ihm kein Problem. Es sind meine anderen Geschwister. Wir haben morgen Geburtstag.«

»Sie haben alle am selben Tag Geburtstag?«, staunte sie.

Ich nickte. »So ist das bei Vierlingen.«

Sandy streifte die gelben Handschuhe ab und berührte meine Hand. »Familie hat man für das ganze Leben und darüber hinaus. Sie sollten keinen Groll gegeneinander hegen.«

Mir lagen Worte auf der Zunge, die ich lieber nicht entlassen wollte. »Ich weiß. Und das ist auch das Problem.«

Ein Schmunzeln entstand auf ihren faltigen Lippen und breitete sich auf die braunen Augen aus. »Was auch immer geschehen ist, ich bin sicher, am Ende ihres Lebens werden die guten Dinge überwiegen. Aber, wenn Sie darauf warten, bis Sie für eine Aussprache bereit sind, kann es zu spät sein.« Noch während sie redete, schlüpfte sie wieder in ihre Handschuhe. »Ich muss jetzt was tun. Sie sollten auch Feierabend machen.«

Mein Blick wanderte zu der Uhr an der Wand, deren Ticken wie das unheilvolle Geräusch einer Paketbombe klang. 22:00 Uhr! Meine Erschöpfung erreichte ihren Höhepunkt. Ein Gähnen übermannte mich. Meine brennenden Augen sehnten sich nach Entspannung. Adams Gesicht schob sich unweigerlich in mein Bewusstsein. Wahrscheinlich war er bereits bei Josh aufgetaucht. Weil ich genau das erwartete, hatte ich meinem Mann eine kurze Nachricht geschrieben und im Anschluss mein Handy ausgeschaltet. Josh glaubte nun, dass ich eine Sklavin meiner Akten war, die keinen Aufschub duldeten. Dass diese dubiosen Akten nicht existierten, war eine andere Geschichte. Eine kleine Notlüge. Wie hätte ich ihm denn sonst auch erklären sollen, dass ich nicht zum Abendessen zu Hause sein würde? Immerhin wusste Josh, wie nah Adam und ich uns standen. Umso schwerer wäre es für ihn zu verstehen gewesen, warum ich nicht zu unserem 30. Geburtstag gehen wollte. Wenn sogar Sandy nicht einmal nach dem Grund meiner Weigerung gefragt hatte, wie sollte dann mein Mann meine Beweggründe nachvollziehen?

Unerbittliche, bittersüße Müdigkeit erfasste mich und zwang mir ein weiteres Gähnen ab. Ja, Sandy hatte recht. Wollte ich nicht die ganze Nacht im Büro verbringen, musste ich meine Flucht hier und jetzt beenden. So fertig, wie ich war, konnte ich kaum noch Auto fahren. Wenn ich noch etwas wartete, müsste ich ein Taxi nehmen. Aber das konnte ich mir nicht leisten, denn mein Kontostand bewegte sich seit Tagen talwärts. Und genau das war der springende Punkt. Während sich Christian mit meinem Skript eine goldene Nase verdiente, krauchte ich von Monat zu Monat. Ohne Joshs Überstunden wären wir kaum über die Runden gekommen. Alles nur, weil mein geldgeiler Bruder ohne Rücksicht auf Verluste sein Ding durchgezogen hatte. Nein – es war noch schlimmer. Er hatte mich bestohlen und mit dem Diebesgut an die Türen geklopft, die ich ihm zu allem Übel gezeigt hatte. Wie hätte ich auch damit rechnen können, dass in meiner eigenen Familie die fetteste Ratte saß? Chris hatte mich also nach allen Regeln der Kunst betrogen und ich konnte das nicht vergessen oder ihm verzeihen. Im Grunde meines Herzens wollte ich das auch gar nicht.

Ich legte meine Hände auf die Tischkante und drückte mich vom Tisch. Der Stuhl rollte nach hinten, sodass ich meinen trägen Körper aufrichten konnte. Rasch sammelte ich die Kritzeleien zusammen, warf sie in den Papierkorb und stellte die unangetastete Akte zurück in den Schrank. Mein Blick erfasste das ausgeschaltete Handy. Ich haderte mit mir. Sollte ich es einschalten und Josh anrufen? Er wartete bestimmt darauf, von mir zu hören. Nein, das ließ ich lieber bleiben, denn wenn Adam bei ihm war, würde er garantiert auf mich warten wollen.

Ich schlüpfte in meinen Mantel und schob das Smartphone in die Handtasche.

»Schönen Feierabend«, wünschte ich Sandy.

»Ihnen auch«, entgegnete sie winkend und widmete sich wieder dem nassen Mob, mit dem sie akribisch ihre Bahnen zog.

Auf dem Weg nach unten meldete sich ein mulmiges Gefühl in meiner Magengrube. Eine Ahnung, dass ich nicht so einfach davonkäme. Ich wusste, wie hartnäckig mein Bruder sein konnte. Für einen winzigen Augenblick fragte ich mich, ob er auch so hartnäckig war, dass er mir im Foyer auflauern würde.

»Brooke, du bist paranoid«, murmelte ich vor mich hin und stieg aus dem Fahrstuhl.

Der Pförtner war hinter seinem Buch vergraben. Er schien so vertieft zu sein, dass er mich gar nicht bemerkte. Als ich an seinem Platz vorbeiging, blickt er zu mir auf.

»Mrs. Conwell.«

»Haben Sie einen ruhigen Abend«, sagte ich und legte einen Schritt zu.

Meine Hand lag bereits auf dem Türgriff, als mich seine Stimme wie ein Lasso einfing. »Mrs. Conwell! Warten Sie. Es wurde etwas für Sie abgegeben.«

Abgegeben? Sämtliche Befürchtungen sammelten sich wie ein fetter Klumpen in meinem Hals. Ich versuchte, ihn runterzuschlucken, aber er saß fest und raubte mir den Atem. Bestimmt hatte Adam eine Eintrittskarte zu irgendeiner Location hinterlegt. Widerwillig drehte ich mich um und kehrte zurück zum Empfang.

Der Pförtner kam mit einer kleinen weißen Schachtel in der Hand auf mich zu. »Er sagte, er wäre Ihr Bruder.«

Mir entfuhr ein Seufzen. »Wer auch sonst«, murmelte ich und nahm das kleine Kästchen entgegen.

Stirnrunzelnd betrachtete er mich. Ein kurzes Augenzucken darauf fragte er mich: »Stimmt was nicht?«

»Nein, alles in Ordnung. Es ist nur … Wenn mein Bruder etwas will, ist er nicht zu stoppen.« Ich lächelte, dabei war mir eher zum Heulen zumute. »Auf Wiedersehen.« Mit diesen Worten verließ ich den Komplex und steckte die Schachtel in meine Handtasche.

Erst im Auto holte ich sie wieder hervor und hob den Deckel so vorsichtig, als wüsste ich, dass da drinnen eine fette Springspinne lauerte. Die Spinne entpuppte sich als Notiz. Keine Karte, keine Einladung, nur ein einziger Satz:

»Erinnere dich an unseren Pakt. Adam«, las ich leise vor.

Kälteschauer jagten über meinen Rücken. Letztes Jahr hatte das alles noch ganz anders ausgesehen. Damals hätte ich mich auf ein Zusammentreffen mit meinen Geschwistern noch sehr gefreut. Und heute musste ich mich verstecken, um nicht gegen meinen Willen zu einer Party verschleppt zu werden, auf die ich nicht wollte. Der Pakt, den ich mit ihnen geschlossen hatte, war einst so leicht über meine Lippen gegangen. Wie hätte ich auch wissen sollen, dass das Schicksal zwei Monate später lachend vom Stuhl fallen würde.

Den Zettel legte ich zurück in die Schachtel und stülpte den Deckel darüber. Das Ding wanderte rasch in meine Tasche und ich startete den Motor.

Überzeugt davon, dass mein Bruder Josh weich gekocht hatte, suchte ich die gesamte Fahrt über nach einer passenden Ausrede. Mit hundert – nein tausendprozentiger Sicherheit war er bei uns aufgeschlagen und hatte meinen Mann bearbeitet. Doch je intensiver ich überlegte, umso mehr blockierte mein Kopf.

Es half einfach nichts. Ich musste Josh zeigen, wie fertig ich war, und dann würde er mir schon keine Predigt halten, wie wichtig Geschwister wären und wie toll er es fände, selbst welche zu haben. Josh konnte das auch nicht verstehen, er hatte nie welche.

Gedankenverloren stieg ich in den Fahrstuhl ein und drückte auf den zweiten Stock. Die Kabine setzte sich mit einem Ruck in Bewegung. Mein Herz schlug plötzlich schneller, und als der Lift in meinem Stockwerk hielt, verwandelten sich meine Knie in Pudding. Ganz so, als erwartete mich etwas, das mir den Boden unter den Füßen wegzerren konnte. Kopfschüttelnd über mich selbst stieg ich aus und suchte den Wohnungsschlüssel aus dem Bund. Dass Adam hier nicht herumlungerte, deutete ich schon mal als gutes Zeichen. Da Josh späten Besuch verabscheute und auch so kein wirklich geselliger Mensch war, standen die Chancen gut, dass ich mich in die ganze Sache einfach zu sehr hineingesteigert hatte. Wahrscheinlich war mein Kopf mit mir durchgegangen. Möglicherweise hatte sich mein Bruder schon längst mit anderen Partygästen in Stimmung gebracht und feierte ohne mich in den Geburtstag rein.

Stille schlug mir beim Betreten unserer Wohnung entgegen und nahm meine Anspannung fort. Ich legte meine Jacke ab und hängte sie an die Garderobe.

»Na endlich«, hörte ich Josh sagen.

Er kam auf mich zu, legte einen raschen Kuss auf meinen Mund und schüttelte den Kopf. »Ist dein Handy kaputt?«

»Wieso?« Mir war klar, dass er versucht hatte, mich anzurufen. »Ich wollte die Akte ohne Unterbrechungen durcharbeiten. Tut mir leid.«

»Bei mir musst du dich nicht entschuldigen. Ich wusste ja, dass du arbeiten bist. Aber …«, sagte er und deutete mit dem Kopf zum Wohnzimmer.

Die Erkenntnis, dass mein Fluchtversuch vollkommen sinnlos gewesen war, traf mich wie ein hartgeworfener Ball.

»Adam hat versucht, dich zu erreichen.«

»Aha«, erwiderte ich und schluckte. »Und er ist hier?« Ich traute mich kaum, diese Frage auszusprechen.

Josh nickte, zog die Brauen hinauf und seufzte. »Was auch immer da zwischen euch steht, solltet ihr klären.«

Toll, ein super Rat, nach dem ich nicht gefragt hatte. »Warum hast du ihn nicht weggeschickt?« Ich hauchte die Worte nur, damit sie Adam nicht erreichten.

Trotzdem tauchte er plötzlich auf und ich fragte mich, ob er mein Flüstern gehört hatte. Nervös versuchte ich, meinen Blick abzuwenden. Mit mäßigem Erfolg.

»Schwesterchen. Muss man bei dir neuerdings einen Besuchstermin vereinbaren?« Er kam auf mich zu und nahm mich in den Arm.

»Wieso bist du hier?«, huschte es über meine Lippen, als wüsste ich das nicht ganz genau.

Abrupt unterbrach er die Umarmung, legte seine Hände auf meine Schultern und trat einen Schritt zurück. »Im Ernst? Du gehst nicht ans Telefon, antwortest nicht auf meine Mails und rufst auch nicht zurück. Es ist, als wärst du untergetaucht. Erstens musste ich mal nach dir sehen und zweitens haben wir morgen Geburtstag. Du weißt noch, was das ist?«

Ich fühlte mich eiskalt erwischt. Wie ein begossener Pudel stand ich da und versuchte, seinem intensiven Blick auszuweichen. Meine Mundwinkel verzogen sich zu einem beschämten Grinsen. »Ich … ähm … ich war beschäftigt.«

Er nickte, schenkte mir ein rasches Lächeln – eines von der Sorte, das mir versicherte, wie eine gläserne Vase durchschaut worden zu sein, und sagte: »Josh meinte schon, dass du in Arbeit ersäufst.«

Mein Blick wanderte ungehindert und anklagend zu meinem Mann. »So? Meinte er das, ja?« Mein Ton strotzte geradeso vor Schuldzuweisung. Hätte er ihn denn nicht einfach abwimmeln können?

»Ich beziehe mal dein Bett«, murmelte Josh und verschwand, ehe ich eine Erklärung einfordern konnte.

Also musste mir mein Bruder jetzt Rede und Antwort stehen. »Warum denn das? Wessen Bett? Adam, was ist hier los?« Hatte er etwa vor, hier zu feiern? So genau wollte ich gar nicht darüber nachdenken, aber mein Kopf spuckte ungebeten Bilder aus, die mir nicht gefielen. Sie alle zeigten Daisy und Chris in meinem Wohnzimmer ausgelassen feiern. Nein – soweit würde ich es auf keinen Fall kommen lassen!

Schulterzuckend antwortete er: »Überraschung! Ihr habt einen Übernachtungsgast und morgen fahren wir gemeinsam zu einer Location, die dich umhauen wird.«

Okay, einerseits war ich erleichtert, dass er die beiden nicht hierher eingeladen hatte. Auf der anderen Seite zeigte er damit, wie hartnäckig er sein konnte. Aber ich hatte auch keine Lust, in irgendeiner Location auf meine Geschwister zu treffen. Was sollte ich tun, was sagen, damit Adam endlich begriff, wie desinteressiert ich an einer Begegnung war? Da ich mit dieser Entwicklung nicht gerechnet hatte, blieb ich sprachlos zurück, als er den Weg ins Wohnzimmer antrat.

Nach einigen Sekunden, in denen ich mich sammelte, folgte ich meinem Bruder und stellte ihn zur Rede. »Wie kommst du darauf, dass ich Zeit hätte? Ich meine, ich habe gar keine Lust auf Party. Du weißt genau, was passiert ist und dass ich Chris und Daisy nicht sehen will. Geschweige denn mit ihnen feiern kann. Vergiss es! Außerdem habe ich hier genug zu tun.«

»Ich weiß, dass da dieser Disput zwischen euch steht, aber trotzdem haben wir morgen Geburtstag. Wir haben bis jetzt jedes Jahr gemeinsam gefeiert und werden damit nicht aufhören. Das haben wir uns geschworen und diesen Pakt vor zwei Monaten erneuert. Schon vergessen? Wenn du also nicht mitkommst, verlegen wir die Party hierher.« Er klang geradezu so, als wäre alles schon organisiert gewesen.

»Auf keinen Fall. Josh braucht seine Ruhe. Denkst du mal daran, dass er in Schichten arbeitet?«

»Mein Schwager hat schon sein Okay gegeben. Also? Was nun? Hier oder dort?« Sein Selbstbewusstsein sprühte regelrecht.

Hier? Auf keinen Fall! Was bildete er sich eigentlich ein? »Josh!«, rief ich, denn so langsam fühlte ich mich komplett übergangen.

»Ja«, ertönte es aus dem Gästezimmer.

»Kommst du mal?«

Seine schlurfenden Schritte trugen Verunsicherung in sich. Als er mit gesenktem Blick im Wohnzimmer auftauchte, sah ich ihm an, dass Adam ihn überrumpelt hatte. Dennoch wollte ich von ihm persönlich hören, wieso er mich bereitwillig in die Höhle des Löwen geschubst hatte. »Warum fällst du mir in den Rücken? Du wusstest doch, dass ich meinen Geburtstag dieses Jahr nicht feiern will.«

»Schatz, ich habe mir beide Seiten angehört und bin zu dem Schluss gekommen, dass du dich nicht weiter in deinem Schneckenhaus verkriechen darfst. Sei bitte nicht sauer auf mich. Ich liebe dich und ich sehe, dass es dir mit dieser Situation nicht gut geht.« Josh näherte sich mir und legte einen Kuss auf meine Stirn.

»Ich verkrieche mich nicht!«, widersprach ich.

»Wie nennst du es denn sonst? Arbeit, Schlaf, Geburtstag ignorieren?«, erwiderte er und presste die Lippen aufeinander.

Ich war wie versteinert. Hatte er mir in den letzten Monaten überhaupt nicht zugehört? Und wenn doch, interessierte ihn offenbar gar nicht, was ich wollte.

Vor Adam wollte ich keinen Streit zwischen meinem Mann und mir auslösen. Aber, dass Josh meine Entscheidung so leichtfertig untergrub, fand ich nicht in Ordnung. Es machte mich wütend, dass meine Gefühle nicht ernst genommen wurden. Weder von Adam, noch von Josh. »Darüber reden wir noch«, sagte ich zwar, sah aber keinen Sinn mehr darin. Ich war wütend, kochte in meinem eigenen Süppchen und konnte mir nicht vorstellen, dieses Gefühl irgendwann zu besiegen.

»Tut mir leid, Schwesterlein. Auch, wenn du mit Chris und Daisy nicht viel reden willst und wenn du es nicht für dich tun willst, tu es für mich. Hey, für deinen Lieblingsbruder, der sich ohne seine Lieblingsschwester vollkommen alleine der dunklen Seite stellen muss.« Sein Grienen sah so lächerlich aus, dass es mir nicht gelang, meine Ernsthaftigkeit länger aufrecht zu erhalten. Ich merkte, wie meine Mundwinkel zu einem Lächeln ansetzten, und konnte sie nicht daran hindern.

»Ist das ein Ja?«, fragte Adam.

Ich hatte ja offensichtlich überhaupt keine Wahl. »Unter einer Bedingung!«, erwiderte ich.

Seine Brauen schnellten hoch. »Bedingung?«

Natürlich! Dachte er etwa, ich ließe mich einfach so mitzerren? »Wenn die beiden mir zu viel werden, ziehe ich mich zurück. Ich will keine erzwungenen Gespräche führen und auch nicht so tun, als wäre alles vergessen. Das ist es nämlich nicht.«

»Einverstanden«, schoss es über seine Lippen. Er schüttelte meine Hand, als besiegelten wir schon wieder einen Pakt.

Kapitel 2 Das Hotel

Ich saß auf dem Beifahrersitz neben Adam und vermied den Blick in den Seitenspiegel, um Daisy nicht darin zu sehen. Auf keinen Fall wollte ich riskieren, dass sich unsere Blicke darin kreuzten. Sicher wartete sie nur darauf, und diesen Gefallen wollte ich ihr nicht tun.

Die Stille im Auto wurde nur durch das Surren des Motors und gelegentlichem Räuspern von der Rückbank durchwoben. Sie wurde immer unangenehmer, so als würde diese dicke Masse des Nichts tief in meinen Kopf eindringen und sich über meine Gedanken legen.

»Wo fahren wir eigentlich hin?«, sprengte Chris endlich das Stillschweigen.

»Das wirst du dann schon sehen«, erwiderte Adam und zwinkerte in den Rückspiegel.

»Das wüsste ich aber auch gerne. Wir sind schon seit Stunden unterwegs und ich muss mal aufs Klo«, meldete sich Daisy zu Wort.

»Schon gut. Ich halte bei der nächsten Gelegenheit«, versprach Adam.

So langsam meldete sich auch meine Blase. Doch schlimmer als das empfand ich meine eingeschlafenen Füße. Deshalb war ich Daisy insgeheim dankbar für ihr Gejammer.

Kurz darauf tauchte eine Tankstelle auf, die Adam zu aller Zufriedenheit ansteuerte. Kaum hatte er angehalten, sprang meine Schwester aus dem Auto und eilte zur Toilette. Obwohl ich auch dringend musste, wartete ich, bis sie wieder da war, um eine direkte Konfrontation mit ihr zu vermeiden. Mit der Tatsache, dass wir bis morgen aneinandergekettet sein würden, war ich leicht überfordert. Die einzige Möglichkeit, diese Zeit unbeschadet zu überstehen, sah ich darin, mich unsichtbar zu machen. Bis jetzt schien diese Taktik gut zu funktionieren. Weder Chris noch Daisy hatten mehr Worte mit mir gewechselt, als: »Hey, schön dich zu sehen.«

Ich stieg aus und wartete, bis Daisy wieder zurückkehrte, bevor ich wie wild zur Toilette stürmte. Bei meiner Rückkehr sah ich, wie Chris und Adam angeregt diskutierten. Sie unterhielten sich so leise, dass ich nicht genau verstehen konnte, worum es ging. Anhand ihrer Gesten erkannte ich allerdings, dass es etwas Wichtiges sein musste. Christians Blick erfasste mich. Die schlagartige Unterbrechung des Gesprächs verdeutlichte mir, dass es entweder um mich ging, oder aber um etwas, das uns alle betraf. Die Stimmung war schlagartig erkaltet. In meinem Innersten braute sich etwas zusammen, das sich wie ein schwarzes Loch anfühlte.

Ich nahm meinen Mut zusammen und ging auf Adam zu. »Was ist los?«

Das Zucken seiner Brauen war eindeutig. Er verbarg etwas vor mir. Entgegen seiner Mimik sagte er: »Alles okay. Können wir? Ich will nicht zu spät kommen.«

»Wofür zu spät?«, fragte ich.

Seine Hand glitt an den Nacken. »Ich hab da was in Planung.«

»Dann hat Chris sich über deine Planungskünste beschwert?«, wollte ich wissen.

Er schmunzelte nur und stieg ein. »Kommst du?«

Im Wagen ließ mir seine ausweichende Art keine Ruhe. »Ich habe ein seltsames Gefühl«, sagte ich leise und wartete, dass er mir seine Aufmerksamkeit mit einem raschen Blick signalisierte.

Alles, was er dazu sagte, war: »Wir sind gleich da. Die nächste Ausfahrt ist es schon.«

Okay, ich sah ein, dass ich an dieser Stelle nicht weiterkam. Mit jeder Minute, die ich hier saß, bereute ich, mich von Adam überredet haben zu lassen. Es war nicht seine Schuld. Es war meine. Ich hätte stur bei meiner Entscheidung bleiben sollen, nicht mit ihnen zu feiern. Jetzt war es zu spät für diese Überlegung, denn ich hatte nicht einmal die leiseste Ahnung, wo wir waren. Die Sonne stand hoch am Himmel, und ihr grelles Licht ließ die Welt draußen unwirklich erscheinen. Die Landschaft zog an uns vorbei, endlose Felder und dichte Wälder, die in der flimmernden Hitze des Tages verschwammen. Das monotone Geräusch der Reifen auf der Straße und das leise Summen des Motors vermischten sich mit meinen Gedanken, die immer wieder zu den gleichen Fragen zurückkehrten. Warum hatte ich nachgegeben? Was erwartete uns am Ende dieser Reise? Eine aber war omnipräsent: Was hatte Adam da nur geplant?

Irgendwann bog er in die Ausfahrt ein und ich sah ein verschmutztes Schild. Alles, was ich entziffern konnte, war der erste Teil des Ortsnamens. »Wood? Wo sind wir?«

»Woodstock«, erwiderte Adam zu meiner Verwunderung.

»Die Hippiehochburg? Was wollen wir hier?«, warf Daisy ein.

»Keine Panik. Wir sind hier, um eine geile Zeit zu haben. Wir werden ja nicht jedes Jahr 30. Hotel ist gebucht und alles schon bezahlt. Lehnt euch also zurück und genießt die Show«, forderte Adam uns auf.

Ich merkte die vom Rücksitz kommende Unruhe. Wie schwarze Tinte in einem Wasserglas breitete sie sich aus und schwappte auf mich über. Adam verheimlichte etwas, das konnte ich förmlich riechen. Wäre mein Vertrauen nicht dermaßen angeknackt gewesen, dass ich mittlerweile hinter jedem Räuspern eine Verschwörung ahnte, hätte ich mir nichts weiter dabei gedacht. So aber fühlte es sich an, als wäre ich mitten in die klebrige Falle einer Riesenspinne gelockt worden.

»Warum fühlt es sich nicht richtig an, hier zu sein?«, huschte es über meine Lippen.

»Jetzt beruhigt euch mal und seht euch diesen unheimlich geilen Kasten an«, sagte Adam und deutete mit dem Kopf nach rechts.

Ich folgte seinem Blick und traute meinen Augen nicht. Kasten hatte er dieses Schloss genannt. Hinter einer großen Grünfläche erhob sich ein Bau, der aussah, als wäre die Zeit stehen geblieben. »Ist das da das Hotel?«

Adams Schmunzeln zufolge war es das. Mir blieb gar keine Zeit mehr für Fragen oder Zweifel, denn ich war überwältigt von dem Anblick. Wir fuhren durch ein offenes, von Efeu überwuchertes Tor.

»Muss teuer gewesen sein«, bemerkte Christian.

»Cool, oder?«, antwortete Adam und stellte sich auf den leeren Parkplatz.

»Keine Autos?«, stellte Daisy fest.

Tatsächlich war diese Leere recht ungewöhnlich. »Hast du das ganze Hotel gebucht?«

Er schwieg, senkte den Blick und schabte die kleinen Kieselsteinchen mit dem Schuh zu einem Haufen zusammen. »Vielleicht.« Sein leises Murmeln war kaum hörbar, dennoch erreichte es mich. Doch es klang so, als wäre er selbst nicht davon überzeugt, was er sagte.

Dass er sich das auf keinen Fall leisten konnte, war so sicher wie das Amen in der Kirche. »Wie konntest du das bezahlen? Warte! Hast du im Lotto gewonnen?«

Daisy zischte an uns vorbei. Mit ausgebreiteten Armen drehte sie Pirouetten und rief: »Ist doch egal. Spürt ihr das nicht? Es riecht nach Urlaub!« Ihre unbeschwerte Art ging mir auf die Nerven. Hatte sie denn gar keine Schuldgefühle?

Während ich meinen Rucksack aus dem Kofferraum holte, waren die anderen bereits vorgegangen. Das war so typisch – so egoistisch. Was hatte ich denn auch erwartet? Nur Adam drehte sich auf halber Strecke zu mir um und winkte mich herbei.