Hotel Kukuweia - Helmut Dewitt - E-Book

Hotel Kukuweia E-Book

Helmut Dewitt

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Beschreibung

Stressfreier Ruhestand unter mediterraner Sonne? Keine Spur davon! Kaum hat sich der pensionierte Lehrer mit seiner Ehefrau in der gerade erworbenen Wohnung in Griechenland eingelebt, kommt er auf die Idee, ein Hotel zu kaufen und zu betreiben. Was dann jedoch folgt, hätte er im Traum nie erwartet. Welche Schwierigkeiten dabei zu überwinden sind und wie seine Ehefrau darauf reagiert erfahren die Leser durch einen Rückblick bis auf die Erfüllung seines Traums. Oder handelt es sich eher um einen Alptraum? Helmut Dewitt, selbst pensionierter Lehrer und Ehemann einer gebürtigen Griechin, lässt die Leser miterleben welche Facetten das Leben in Griechenland zu bieten hat. Nach seiner ersten Veröffentlichung im Jahre 2015, dem satirischen Roman "Kalimera, Hellas!", in welchem auf humorvolle Weise der langen Weg eines Pensionärs geschildert wird, bis er mit seiner Ehefrau eine Ferienwohnung in Griechenland gekauft hat, hat Helmut Dewitt mit "Hotel Kukuweia" nun eine Fortsetzung geschaffen.

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Für meine Familie!

Griechenland: weiße Schaumkronen auf blauem Meer, weiße Häuser unter blauem Himmel im Sonnenschein, grüne Berghänge, stille Buchten, gastfreundliche Menschen, Tempel, Theater, Museen, Cafés und Tavernen! Vorsicht: Wer all dies einmal erlebt hat, wird süchtig und kann nicht anders, er kommt immer, immer wieder! Griechenland!

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Epilog

Prolog

Παναγια μου! Heilige Muttergottes!

Hilf mir, hilf mir! Was hab´ ich bloß verbrochen? Mist! Mist! Alles Mist!

Was für ein Leben! Frau weg, Kinder weg, Eventmanager mit bulgarischem Zimmermädchen abgehauen, Hotel mit mehr Ausgaben als Einnahmen, von Gästen keine Spur! Was ist bloß los? Sind doch genug Urlauber hier! Was stimmt nicht? Ich glaub, ich werde noch verrückt!

Und zu allem Übel auch noch die Steuererklärung einreichen! Als ob Griechenland sich von meinem Gewinn – haha! – sanieren könnte. Ich bin doch genauso pleite wie du, geliebtes Griechenland! Bei uns beiden ist nix zu holen!

Verstehe den ganzen Steuerkram überhaupt nicht! Φορολογική δήλωση! Heißt wohl „Steuererklärung“ oder sowas Ähnliches. Bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als mich dranzugeben. Obwohl – so schnell wird man hier wegen ausstehender Steuerzahlungen nicht eingelocht. Oder gilt für die kleinen Sünder vielleicht nicht dasselbe, was für die großen Sünder gilt?

Dabei habe ich in Deutschland schon über meine Steuererklärung geschimpft. Wer die Formulare erfunden hat, gehört hinter Gitter! Allein Bezeichnungen wie 2019ESt1A011 oder 2019AnlVor241! Da weiß doch jeder Steuerpflichtige gleich Bescheid, was er reinschreiben soll. >>Soweit die Zeile 70 mit “Ja, insgesamt“ beantwortet wird, sind Eintragungen in den Zeilen 71, 72, 74 und 76 nicht vorzunehmen. Bei „Ja, teilweise“ sind Eintragungen in diesen Zeilen nur für die mit dem eigenen oder zur Nutzung überlassenen privaten Fahrzeug durchgeführten Fahrten vorzunehmen.<< Na, dann ist ja alles klar! Fragt sich nur, was ich mit den Zeilen 73 und 75 machen soll? Vielleicht hätte ich Steuerberater statt Lehrer werden sollen. Ist mit Sicherheit ein gut bezahlter und auf jeden Fall zukunftsreicher Beruf. Werbewirksames Motto: >>Wir sind für Sie da!<< Ausfüllen muss man den Schwachsinn ja sowieso, und als Lohn für die gehorsame Erfüllung seiner Pflicht darf man dann auch noch Steuern nachzahlen! Immerhin konnte ich die Fragen in der deutschen Steuererklärung ja wenigstens noch sprachlich, wenn auch nicht ihrem Sinn nach verstehen. Und hier: Hieroglyphen, Hieroglyphen! Εισόδιμα – Δαπάνη! Wenn wenigstens Maria hier wäre, um mir zu helfen! Aber die ist ja auch weg! Ich glaube, ich muss mal an die Luft, raus auf den Balkon.

Das tut immerhin noch gut, die vielen Kinder im Wasser spielen zu sehen. Und ihre Mamis, auch nicht schlecht!

Hör auf, Klaus! Fängst du schon wieder damit an? Du weißt doch, wohin das geführt hat! Schau dir statt der Frauen lieber das Schiffchen an, das gerade Richtung Thessaloniki fährt.

Müsste ich auch mal wieder mit zum Boulevard fahren. Herrlich, den Wind zu spüren, das Salz zu riechen und Thessaloniki immer näher kommen zu sehen, den neu gestalteten Hafenbereich, den Weißen Turm, die Menschen auf der Promenade. Und „Panorama“, den noblen Stadtteil, im Sonnenschein an den Hang geschmiegt. Klar, dass hier die Schönen und Reichen wohnen: herrlicher Blick und volle Sonne, bis sie spät am Abend untergeht. Aber da muss ich gar nicht leben. Der Strand, die Tavernen und die Märkte hier in Peraia reichen mir. Wie schön könnte das alles sein! Mensch, warum hast du mich verlassen, Kerstin? Ist doch gar nichts passiert! Wirklich nicht! Warum glaubst du mir nur nicht?

Ist ja eh egal! Du bist weg und ich sitze hier und soll eine Steuererklärung für ein leerstehendes Hotel ausfüllen. Schwachsinn! Bürokratie hoch drei!

Und die verfluchte Klimaanlage musste natürlich auch gerade jetzt bei der Hitzewelle ausfallen. Was noch? Vielleicht ein Tornado oder ein Erdbeben? Ob die Versicherung dann wenigstens bezahlt? Welche Versicherung denn? Haben wir uns doch gespart: >>Wird schon nichts passieren!<< Na ja, in der Hinsicht ist ja auch nichts passiert. Und das Zusammenleben kann man eh nicht versichern.

Ich glaub, jetzt brauch ich erst mal ´nen Ouzo! Oder vielleicht besser doch nicht, ist ja erst halb zwei. Ich hau mich aufs Bett und schlaf was, wenn´s bei der Hitze geht. Vielleicht gibt´s ja noch ein Wunder. An Wunder glauben ja gerade hier in Griechenland genügend Leute.

Ν αγάπη είναι ένα θάυμα! - Die Liebe ist ein Wunder! Na, wunderbar! Hat aber bei mir wohl nicht geklappt.

Puh! Diese Hitze! In Deutschland freuen die sich jetzt über 24 Grad. Super! Und ich, was mach ich hier? 38 Grad im Schatten! Draußen! Hier drinnen sind´s bestimmt noch mehr! Von wegen >>Mit einer Klimaanlage von „Eisbär“ brauchen Sie sich keine Sorgen mehr über Hitzewellen zu machen. Wir sind für Sie da. Genießen Sie das Leben unter südlicher Sonne in kühlen Räumen! << Bitte was? Genießen? In kühlen Räumen? Witz, komm raus! Die Hitze scheint auch der Klimaanlage nicht zu bekommen, sonst würde sie vermutlich ihren Geist nicht aufgegeben haben. Und dem Kundendienst ist es anscheinend auch zu heiß, jedenfalls ist niemand zu erreichen.

An Schlafen ist überhaupt nicht zu denken. Wie bin ich überhaupt in diese Scheißsituation gekommen? Nicht drüber nachdenken! Oder doch? Lässt mich ja doch nicht los! Was war ich bloß für ein Idiot? War doch alles wunderbar, unsere Träume waren keine Träume mehr, sondern Wirklichkeit geworden. Wunderschöne Wirklichkeit! Kerstin und Klaus, ein Rentnerpaar im Paradies!

Na, dann lassen wir Klaus mal in seinen Träumen in die Vergangenheit versinken, in seine Erlebnisse der letzten Jahre. Und lassen wir ihm Zeit, viel Zeit, schließlich haben wir auch Zeit genug, von all dem zu erfahren, was ihm Schönes, was ihm im wahrsten Sinne Wunderbares widerfahren ist. Aber so, wie er jetzt drauf ist, war es ja wohl nicht nur Positives, sondern er muss auch so manchen Niederschlag erlebt haben. Auch darüber wollen wir natürlich all das erfahren, was Klaus uns vielleicht verschweigen will, aber nicht verschweigen kann. Ja, auch an seinen geheimsten Gedanken wollen wir teilhaben! Ach, Klaus! Mein Alter Ego!

Ich bin Klaus! Klaus ist ich! Klaus´ Erlebnisse sind meine Erlebnisse, meine Erlebnisse sind Klaus´ Erlebnisse. Und doch nicht alle! Was Klaus denkt, erfährt, macht, erlebt, ist nicht mein Leben. Mein Leben ist nicht Klaus´ Leben. Mal sind es meine wirklichen Erfahrungen, mal Erlebnisse, welche gerade nur in meinem Kopf stattfinden. Meine Gegenwart im Kopf wird Klaus´ Vergangenheit. Manchmal auch Klaus´ Gegenwart. Wichtig ist, dass ihr, die Leser, nicht unterscheiden könnt, was wirklich geschieht, was wirklich geschehen ist und was nur in meinem Kopf geschieht und so nur Klaus´ Geschichte ist. Vor allem sollte jedoch alles tatsächlich so geschehen sein können, sowohl dasjenige in meinem Kopf als auch dasjenige in Klaus´ Kopf und dasjenige in Klaus´ Leben.

Schluss mit solchen Überlegungen! Tauchen wir ein in Klaus´ Träume und Gedanken. Denn dies ist Klaus´ Geschichte, Klaus´ Leben. Ich ziehe mich noch einmal zurück in die Vergangenheit, um Klaus´ Geschichte live mitzuerleben. Also, los geht´s!

1

Wie hat das alles nur begonnen?

Kerstin und ich auf der Suche nach einer Ferienwohnung in Griechenland, mit dabei unsere Freundin Maria, Kerstins Lehrerin für Griechisch an der Volkshochschule. Inzwischen war Maria im Ruhestand und wohnte in Thessaloniki. Aber selbst ihre Hilfe konnte uns zunächst nicht all die Enttäuschungen bei der Suche nach der Wunsch-Wohnung ersparen. Was für Objekte waren uns vorgeführt worden! Unglaublich! Und dann waren wir plötzlich doch noch fündig geworden: eine Wohnung direkt am Meer in Peraia, nahe dem Flughafen von Thessaloniki. Aber unter welchen Umständen hatte sich der Kauf vollzogen! Hinhalten der Besitzerin, Terminverschiebungen bei der Notarin, Hindernis über Hindernis bei der steuerlichen Anmeldung, dem Vertragstext, der Bezahlung in Form von Bargeld, der Ummeldung von Strom und Wasser, der Bestellung und Lieferung der Möbel … und … und … und … dann war es doch soweit, Marias Hilfe sei Dank: Wir waren stolze Besitzer der Wohnung, konnten zwar erst drei Monate später im Frühjahr dort einziehen, aber was sollte es? Auf die drei Monate kam es nicht an. Wie waren noch unsere letzten Worte:

>>Jetzt geht es zurück nach Deutschland, aber bald … bald werden wir wiederkommen! Die Sonne wird scheinen! Es wird warm sein! Das Meer wird glitzern! Abends werden die Lichter von Thessaloniki zu uns herüber leuchten! Die gemütlichen Tavernen werden uns mit ihren Düften anlocken! Die Wohnung wird gemütlich eingerichtet sein! Wir werden Strom haben! Wir werden Maria, ihre Familie und weitere Freunde hier haben! Vor allem: Wir werden uns wohlfühlen! Wir werden Freude an dem Leben in blau-weißen Farben unter südlicher Sonne haben! Γειά χαρά, Ελλάδα! Θά ξαναϊδωθούμε! – Tschüss, Griechenland! Wir kommen wieder. Bis bald!<<

Und wir waren wiedergekommen, alles hatte sich so erfüllt, wie wir es uns erträumt hatten. Und vor allem: Wir hatten uns, Kerstin und ich! Und heute? Kerstin weg, Träume ausgeträumt, und ich alleine in einem leeren Hotel vor dem Konkurs.

Wie es dazu gekommen ist? Gar nicht so einfach, das zu erklären!

Na, komm schon Klaus! Du musst der Wahrheit ins Auge blicken. Was ist geschehen?

Was geschehen ist? Die ersten Wochen waren einfach traumhaft. Wir genossen den Frühling am Meer, wanderten Stunde um Stunde den Boulevard entlang, ließen uns in den Strandcafés unseren Cappuccino servieren und begeisterten uns immer wieder an dem Blick auf die Bucht und die Silhouette Thessalonikis. Alles schien perfekt. Und da alles so perfekt war, beschloss ich, mich auch meinem seit Jahren vernachlässigten Hobby, dem Angeln, noch einmal zu widmen. Weshalb auch nicht? Ich hatte Zeit, das Meer lag direkt vor meinen Füßen und frischer Fisch ist ja so gesund! Mit dem Argument konnte ich natürlich auch Kerstin überzeugen. Allerdings verzichtete sie darauf, mich zu begleiten, sie bevorzugte da doch lieber die Lektüre eines spannenden Buches auf der Strandliege. Und so machte ich mich auf, den kleineren und besonders den größeren Fischen das Fürchten zu lehren.

Nicht das kleinste Wölkchen am Himmel, nur geradezu strahlendes Blau, das mit der Farbe des Meeres zu wetteifern schien. Überhaupt das Meer! Spiegelglatte Oberfläche, nur ab und zu durchbrochen von hunderten kleinen Fischchen, die ihre Rettung vor dem sie verfolgenden Raubfisch durch einen Sprung über die Wasseroberfläche erhofften. Doch nur Sekundenbruchteile später tauchten sie wieder ein, für einige von ihnen eine letzte Rückkehr in das ihnen zugedachte Element. Und kurze Zeit später wiederholte sich das Schauspiel – einmal, zweimal, immer wieder!

Eine perfekte Szenerie für mein Vorhaben, mich nach Jahren der Abstinenz noch einmal dem früher so geliebten Angeln zu widmen. Aber wenn schon, dann so, wie ich es bei den Einheimischen beobachtet hatte. Das bedeutete zunächst einmal die Suche nach den winzigen Würmchen - σκουλήκια – aufzunehmen. Also nah der Wasserlinie auf die Knie und mit der mitgebrachten Maurerkelle und den Händen den Sand aufwirbeln, um die rosa schimmernden, meist nur einen Zentimeter langen Würmchen aufzuspüren. Fünf Minuten, zehn Minuten, zwanzig Minuten – nichts! Das durfte doch nicht wahr sein! Also noch einmal bei der älteren Dame mit der Zigarette im Mundwinkel - wer von uns war eigentlich älter? – in die Lehre gehen. Oft genug hatte ich sie ja in den letzten Tagen beobachtet, war also sozusagen ins Trainingslager gegangen, hatte mein Vorhaben minuziös vorbereitet. Schnell klärte sich, was ich falsch gemacht hatte. Aha, zu weit oben gesucht! Nächster Versuch, ein Stückchen weiter unten. Und tiefer aufwirbeln, wie mir vom Profi vorgemacht wurde. Und dann … tatsächlich krümmten sich gleich drei Würmchen in dem von mir aufgewirbelten Sand, als das Wasser wieder klar wurde. Weiter! Schon wieder waren mehrere Tierchen freigespült! Learning by doing, fast wie in der Schule! Eine knappe Viertelstunde später hatte ich genügend Köder, um nach dieser Exposition, der Einleitung, zum zweiten Akt meines Vorhabens zu kommen, der Materialzusammenstellung, dann zum Höhepunkt im dritten Akt, dem Fang der Fische. Natürlich hatte ich auch den vierten Akt, die Säuberung und Zubereitung der Fische, sowie als fünften Akt den genussvollen Verzehr der Mahlzeit fest eingeplant. Wie ich bald feststellen sollte, hält sich die Wirklichkeit jedoch nicht immer an den klaren Aufbau des klassischen Dramas. Klassisches Drama! Zumindest dieser Begriff sollte sich jedoch bald bewahrheiten.

Wie gesagt: Wenn schon Fischfang, dann auf die Weise, wie ich dies bei den Einheimischen beobachtet hatte. Also Verzicht auf die meterlange Rute mit Rolle und schwerem Blei am Ende der Schnur, um den Köder in möglichst weite Entfernung vom Ufer zu katapultieren. Dies schien auch gar nicht notwendig, hatte ich doch beim Baden im glasklaren Wasser genügend Fische nur wenige Meter entfernt vom Sandstrand schwimmen sehen. Und genau diesen sollte nun meine Aufmerksamkeit gelten. Um die kurze Distanz vom Strand zu den Fischgründen zu überbrücken, reichte das leichte Material, welches ich mir in einem Fachgeschäft besorgt hatte, allemal: eine im Durchmesser etwa zehn Zentimeter breite Spule, welche mit dünner Angelschnur, winzigem Haken und einem nur wenige Gramm schweren Blei am Ende bestückt war.

Los ging’s! Würmchen auf den Haken aufziehen, Schnur mit Blei, Haken und Köder in die rechte Hand nehmen, Spule schräg halten, mehrmals mit der rechten Hand kreisen und … loslassen! Na ja, so nah am Ufer hatte ich doch noch keine Fische gesehen! Neuer Versuch. Los! Doch so hoch musste ich Blei und Köder wirklich nicht schleudern, vor allem, wenn beides danach nicht mal im Wasser, sondern auf dem Sand landete! Wie war das noch? Learning by doing! Und sieh an, beim ungefähr zwanzigsten Versuch flog mein Köder endlich an die gewünschte Stelle. Nun hieß es warten, dabei den Zeigefinger immer in Kontakt mit der gestrafften Schnur halten, um auch den leichtesten Biss zu spüren. Und richtig, nach einem weiteren Dutzend von Versuchen war diesmal nicht nur der Köder abgefressen, sondern am Haken hing doch tatsächlich ein Fisch. Na ja, eher ein Fischchen, aber immerhin! Vorsichtig vom Haken lösen und wieder zurück ins Wasser setzen. In den nächsten zwei Stunden wiederholte sich der Vorgang noch drei Mal. Da ich allerdings nicht vorhatte, aus den Winzlingen Fischsuppe zuzubereiten, entließ ich auch diese wieder ins Meerwasser, nicht ohne die Hoffnung, sie in zwei, drei Jahren noch einmal wiederzutreffen. Für solche Freilassungsaktionen haben allerdings die Einheimischen wenig Verständnis. Wenn es sich nicht gerade um Fischlein handelt, welche kaum die Größe des kleinen Fingers erreicht haben, kann man die Beute doch mit nach Hause nehmen, schließlich machen viele kleine Fischchen genauso satt wie ein großer Fisch. Zudem gibt es sie auf dem Wochenmarkt auch zuhauf in dieser Größe zu kaufen.

Ich aber hatte Größeres vor! Jetzt sollten die Einheimischen doch mal sehen, zu was ein Gastangler imstande ist. Schließlich hatte ich an der Nordsee schon ganz andere Kaliber gefangen, wenn auch vor gefühlten zwanzig Jahren. Also löste ich Blei und Haken von der Schnur, suchte aus meinen Angelmaterialien, welche ich aus dem heimischen Keller in Deutschland nach Griechenland transportiert hatte, einen um mehrere Nummern größeren Haken und vor allem ein deutlich schwereres Blei und befestigte beides an der Schnur auf meiner Spule.

>>Jetzt sollt ihr mal sehen, was sich mit weitem Wurf und einem Knäuel von Würmern auf einem Haken der Größe sechs für Fische fangen lassen. Ihr werdet Augen machen! <<, sprach ich in Gedanken die nicht vorhandenen Zuschauer an. Dann Aufstellung am Ufer, Spule schräg halten, das Blei am Ende der Schnur kreisen lassen, nochmal und nochmal, dann loslassen und … >>Aua, aua!<<, schrie ich, nun nicht mehr in Gedanken, sondern reichlich laut. Und dann folgte eine Tirade von Flüchen, als ich sah, dass der Angelhaken - natürlich samt Widerhaken! – tief in meinem rechten Daumen steckte.

Über ähnliche Angelunfälle hatte ich bisher immer nur den Kopf geschüttelt und über den Betroffenen mitleidig, leicht hämisch gelächelt. Schließlich konnte so etwas nur solchen Anglern passieren, welche sich äußerst ungeschickt angestellt hatten. Mir doch nicht! Dazu fiel mir ein Vorfall vor Jahren ein, als ein etwa zehnjähriger Junge auf den Campingplatz gestürmt kam und lauthals verkündete: >>Papa hat drei Makrelen gefangen und Mama hat einen Haken im Bein! << Meine Reaktion? Kopfschütteln. Wie kann man nur so dumm sein, sich hinter einem auswerfenden Angler zu positionieren? Und wie kann man nur so dumm sein, beim Auswerfen nicht hinter sich zu blicken? Und jetzt? Wie kann man nur so dumm sein, sich den Haken in den eigenen Daumen zu werfen? Gott sei Dank war niemand direkt in der Nähe, um meine Aktion mit Kopfschütteln zu kommentieren, und mein Schrei war wohl doch nicht so laut gewesen, dass jemand sich genötigt sah, einen Notruf abzusetzen. Aber was tun?

Dass man einen Angelhaken nicht einfach herausziehen kann, war mir bewusst, soweit reichten meine professionellen Kenntnisse noch. Der Widerhaken würde unweigerlich zu schlimmeren Verletzungen führen, welche sich dann auch noch leicht entzünden konnten. Also blieb keine andere Möglichkeit, als einen Arzt zu Rate zu ziehen. Und das mit meinen rudimentären Kenntnissen der griechischen Sprache! Kerstin anrufen, damit sie mich begleitete? Auf keinen Fall! Auf gar keinen Fall! Ihr Kopfschütteln und die begleitenden Kommentare musste ich jetzt wirklich nicht noch haben! Mir reichte der Haken in meinem Finger. Also alleine los, um einen Arzt zu suchen. Aber zunächst mal den Haken von der Schnur lösen, alles mit Links einpacken und ab ins bereitstehende Auto, starten und mit hochgehobenem Daumen das Lenkrad umfassen. Sah sicherlich cool aus, ähnlich dem beim Chatten häufig verwendeten Emoticon, um zu zeigen, dass alles klar, alles super ist. Gar nichts war super! Aber Daumen nach unten machte sich beim Lenken nicht so gut.

Die wenigen Kilometer zum Nachbarort waren schnell geschafft, und schon suchten meine Augen den mir bekannten griechischen Begriff für Arzt - Ιατρός. Kurze Zeit später entdeckte ich ihn neben einigen anderen Schildern an einer Haustüre. Die Buchstaben vorweg interessierten mich nicht, ich lenkte meinen Wagen mit erhobenem Daumen locker in die Parktasche direkt vor dem Haus, stieg die Treppe zum zweiten Stockwerk hoch, klingelte, wurde eingelassen, zeigte mangels entsprechender griechischer Sprachkenntnisse einfach meinen erhobenen Daumen und wartete auf die Reaktion der vor mir stehenden Ärztin. Die kam auch prompt auf ähnliche Weise, nämlich indem sie bei geöffnetem Mund auf ihre Zähne und den Behandlungsstuhl zeigte. Eine Zahnärztin! Also waren die Buchstaben vor dem griechischen Wort für „Arzt“ doch von Bedeutung.

Dann jedoch wechselte die Dame auf die Sprache als Kommunikationsmittel, und zwar auf eine mir bekannte. Sie sagte in fast akzentfreiem Deutsch, dass ich bloß nicht versuchen solle, den Haken aus dem Finger zu ziehen, das führe unweigerlich zu schlimmeren Verletzungen. Wie ihre Ratschläge doch meinen Gedanken glichen! Dann erklärte sie, dass ihr Mann ebenfalls Arzt sei, Arzt für Allgemeinmedizin, und dass sie ihn informieren werde.

>>Keine Angst, er wird gleich hier sein, seine Praxis ist direkt im Nebenhaus<<, fuhr sie fort.

Auf meine Frage, wo sie so gut Deutsch gelernt habe, erfuhr ich, dass sie in Deutschland an verschiedenen Universitäten studiert hatte. Wiedermal eine griechische Staatsbürgerin, welche von ihrer „deutschen Vergangenheit“ berichten konnte. Ich fragte mich, ob es überhaupt Griechen über 40 gab, welche nicht eine Zeit lang in Deutschland gearbeitet und gelebt hatten? Nach wenigen Augenblicken erschien sie wieder.

>>Mein Mann holt nur die geeigneten Instrumente, dann sind Sie den Haken gleich los. <<

Ich setzte mich in den mir angebotenen Stuhl und betrachtete die Fotografien an den Wänden, welche eindeutig die Fassaden der Häuser auf Santorini zeigten: Weiße Häuser, blauer Himmel, blaues Meer im Hintergrund! Trauminsel in der Ägäis.

Es dauerte nur wenige Minuten, da erschien mein vermeintlicher Retter mit einem von mir eindeutig als Arzttasche identifizierten Gegenstand unterm Arm, dazu einen Werkzeugkoffer in der rechten Hand. Anscheinend hatte ich ihn bei einer handwerklichen Tätigkeit überrascht. Aber warum brachte er dann sein Werkzeug mit nach hier? Das sollte ich schon bald erfahren. Zunächst betrachtete er meinen hakengespickten Finger, öffnete die Arzttasche, zog eine Spritze auf und entleerte sie in meinem Daumen.

Dabei fragte er in nicht ganz so perfektem Deutsch: >>Wie sein versichert?<< Er schien offensichtlich einige Semester weniger in Deutschland studiert zu haben als seine Ehefrau.

Auf meine Antwort, dass ich privat versichert sei, ließ er ein leichtes Pfeifen zwischen den Lippen ertönen, atmete dann hörbar auf und sagte nur: >>Sehr gut! Das sehr gut!<<

Ich dachte gerade daran, wie hoch die Rechnung wohl ausfallen und was meine Krankenkasse dazu sagen würde, da wurde ich davon abgelenkt, dass der „Doc“ meinen Daumen und den darin befindlichen Haken ergriff, dann beides mit leichten Dreh- und Drückbewegungen bearbeitete, bis plötzlich der untere Teil des Hakens samt Widerhaken an einem anderen Teil meines Daumens herausschaute. Nanu, was sollte das? Ich wollte den Haken loswerden, nicht meinen Daumen als Köder an ihm befestigt haben. Als mein „Retter“ dann auch noch den Werkzeugkoffer öffnete und eine Kneifzange herausholte, wurde mir ganz anders!

>>Flieh, flieh, du bist bei einem Verrückten gelandet!<<, malte ich mir in Gedanken sein weiteres Vorgehen aus. Doch weit gefehlt! Mit einem einzigen Knacks kniff er den Haken nah am Daumen durch und zog beide Enden ohne Widerstand aus meinem Daumen heraus.

>>So, das gut geklappt. Jetzt noch Verband, dann fertig!<<, konstatierte er mit breitem Lächeln. Tatsächlich! Ich war geheilt! Schon stellte der Arzt die Rechnung aus, mir wurde wieder mulmig und vorsichtig fragte ich nach, wie viel er bekomme.

>>Sein privat! Sechzig Euro, dreißig ich, dreißig du!<<, stellte er mit einem Augenzwinkern fest. >>So wir haben heute beide schöne Abend in Taverne mit Frau.<< Sprach’s, ging an einen Medizinschrank an der Wand, holte zwei Gläschen und eine Flasche Tsipouro raus und schenkte ein. >>Στην υγεία μας – Prost! Bei nächste Mal Fisch mitbringen, aber ohne Haken!<<

Als ich schließlich mit verbundenem Daumen zu Hause erschien, blieb mir gar nichts anderes übrig, als Kerstin die ganze Geschichte zu erzählen.

Ihr einziger Kommentar bestand aus einem >>Typisch mein Mann<<, wobei sie sich abwandte, damit ich ihr lachendes Gesicht nicht sehen konnte. Dann drehte sie sich doch noch einmal um und fragte ganz scheinheilig: >>Und, Klaus, gehst du morgen wieder angeln?<<

>>Morgen nicht, aber bestimmt nächste Woche und dann, dann …<<, weiter kam ich nicht.

>>Dann holen wir vielleicht besser doch den Verbandskasten, welcher gestern im Discount Market im Angebot war<<, fügte Kerstin süffisant hinzu. >>Und bis zu deinem nächsten Angeltrip kaufen wir den Fisch auf dem Markt, dort ist er auch frisch und kommt uns im Endeffekt wahrscheinlich billiger. Wenn ich bloß an das ganze notwendige Verbandsmaterial denke! <<

So sind die Frauen eben, nicht die kleinste Gelegenheit wird ausgelassen, uns Männern eins auszuwischen!

2

Und so ging´s dann am nächsten Morgen zum Markt. Die griechischen Märkte! Nicht nur Plätze, um sich mit Nahrungsmitteln und alltäglichen Waren zu versorgen. Nein, nicht nur das, sondern eine Symphonie voller Farben, Lebenslust, lautstarken Anpreisungen der Verkäufer und Gedränge von Menschen jeden Alters. Je nach Jahreszeit Berge von Äpfeln, Orangen, Zitronen, Pfirsichen und Nektarinen auf der einen Seite, Tische voll Spinat, Bohnen, Gurken und natürlich Tomaten auf der anderen Seite! Tomaten jeder Sorte, jeder Größe und jeder Qualität, mal zum Einkochen, mal für Salate, mal einfach zum Genießen als kleine Zwischenmahlzeit. Und wenn der Sommer kommt, dann stapeln sich die Wassermelonen an jedem zweiten oder dritten Stand. Nicht solch mickrige Früchte, wie in Deutschland erhältlich, sondern medizinballgroße Exemplare mit Gewichten von acht, neun oder über zehn Kilo! Dazu Variationen anderer Melonen.

An anderen Ständen Schafskäse, Ziegenkäse, aufgereihte weiße Köstlichkeiten, dahinter griechischer Joghurt höchster Fettstufe! Ein Stück weiter Hühner, ganz, halbiert oder in ihre Einzelteile zerlegt! Teppiche, Socken, Unterwäsche, Turnschuhe, Sportkleidung, Hemden, Pullover, Kleider, Badehosen und Bikinis, alles hat seinen Platz. So auch Toilettenpapier, Servietten, Wasch- und Reinigungsmittel, Grablichter, Haushaltswaren jeder Art. Und dann die Fischstände: Doraden, Wolfsbarsche, Scheiben von Schwertfisch und Dornhai, Flossen der Rochen, bunte Makrelen, Rotbarben, Sardinen und Sardellen. Daneben Scampi, Tintenfische, Garnelen und Muscheln. Wem auf griechischen Märkten nicht in Vorfreude auf kulinarische Genüsse das Wasser im Mund zusammenläuft, mit dem muss etwas nicht stimmen. Fleischliebhaber, Vegetarier und sogar Veganer, alle kommen auf ihre Kosten!

Eins muss man jedoch bedenken: Vergiss nie den Handwagen zum Verstauen der Einkäufe, sonst wirst du unweigerlich taube Finger vom Tragen der vielen schweren Plastiktüten bekommen. Und vergiss nicht, dass zwei Tage später wieder Markttag ist! Lässt du dich vom tollen Angebot, direkt vier Kilo Tomaten zum günstigeren Preis zu erstehen, verlocken, dazu fünf Gurken für einen Euro und drei Kilo Nektarinen, dann wirst du beim nächsten Besuch des Marktes wohl auf den Kauf von Tomaten, Gurken und Nektarinen verzichten müssen. Und das wäre doch schade!

Apropos Handwagen: Besonders ältere Damen verwenden diese, welche meist nur aus einem Drahtgestell bestehen, sehr gerne als Waffe, um sich ihren Weg durch den Markt und an die Stände zu bahnen. Also vorsichtshalber doch den Verbandskasten kaufen! Oder ein paar Rollen Pflaster und Mullbinden für einen Euro auf dem Markt. Dann können kleinere Verletzungen sofort behandelt werden, mit blauen Flecken von Zusammenstößen mit den Einkaufswagen muss man eh leben. Solche Kleinigkeiten sollten einem das Erlebnis des Marktbesuches jedoch nicht madig machen, sie gehören einfach mit dazu.

So machten Kerstin und ich uns auf in Richtung Markt. Den Einkaufswagen zog ich locker hinter mir her, schließlich wollte ich mich auch ausreichend bewaffnet ins Getümmel stürzen. Auf unserem Weg kamen uns immer mehr Wagen ziehende oder Tüten schleppende Frauen und Männer entgegen, je näher wir dem Markt kamen. Schon fünfzig Meter vor den ersten Ständen hörten wir die lautstark ihre Waren anpreisenden Verkäufer: >>Erdbeeren! 1,50€ das Kilo! Drei Kilo für 4€!“ >>Fünf Gurken 1€! Paprika, Tomaten, Zucchini! Alles billig!“ Jetzt hieß es, Zurückhaltung an den Tag legen. Denn erstens konnten weiter hinten die Angebote ja noch günstiger, das Obst und Gemüse noch frischer sein, und zweitens galt es, den Handwagen nicht gleich zu Beginn zu füllen. Schließlich hätte dies das Manövrieren erheblich erschwert.

Aber lange hielten wir nicht stand, schon bald begann sich der Wagen zu füllen: Tomaten für den Salat – >>Es darf schon ein Kilo mehr sein!<< – dazu rote Zwiebeln und Schafskäse, und für den typischen griechischen Bauernsalat benötigten wir natürlich auch noch Gurken – >>Nehmen wir doch einfach fünf, dann haben wir auch für morgen genug!<< – und Oliven – >>Nimm am besten drei verschiedene Sorten, grüne, schwarze und mit Paprika gefüllte!<<. Wie war das noch: Übermorgen ist wieder Markt, bloß nicht zu viel kaufen! Egal, es war alles einfach viel zu verlockend.

>>So, jetzt brauchen wir nur noch Spinat, Eier und Fisch! Und Obst natürlich!<<, konstatierte Kerstin.

>>Seltsame Kombination<<, wagte ich einzuwenden.

>>Hast du etwa schon vergessen, wie Spinatreis mit gebratenem Schwertfisch schmeckt? So lange her ist das doch wirklich noch nicht. Außerdem hattest du gesagt, dass du das Gericht beim nächsten Mal selbst kochen wolltest. Also lass uns den frischesten Spinat auswählen und zwei Scheiben Schwertfisch dazu. Die Eier sind natürlich nicht fürs Mittagessen, sondern fürs Frühstück morgen. Aber auf jeden Fall kaufen wir nur Eier mit der Bezeichnung „0“oder „1“<<, stellte Kerstin in sehr bestimmten Ton fest.

>>Null oder eins? Hört sich an wie beim Fußballtoto<<, erwiderte ich.

>>Mensch, Klaus, das ist doch die festgelegte EU-Bezeichnung für die Herkunft der Eier. Die Bezeichnung „0“ bedeutet Bio-Eier, die Bezeichnung „1“ Eier von freilaufenden Hühnern, Eier mit der Bezeichnung „2“ oder gar „3“ kannst du vergessen. Die Bezeichnung „3“ ist übrigens in der EU verboten, bis auf Ausnahmen natürlich.<<