Kalimera, Hellas! - Helmut Dewitt - E-Book

Kalimera, Hellas! E-Book

Helmut Dewitt

4,8

Beschreibung

Ein pensionierter Gymnasiallehrer für alte Sprachen trifft sich in Thessaloniki, Griechenland, mit einem Makler, da er und seine Ehefrau beabsichtigen, eine Ferienwohnung zu kaufen. Während des Essens mit dem Makler kehrt er in Gedanken zurück zu der Zeit, als er vor Jahren mit seiner Familie einen Urlaub in Griechenland verbrachte, von welchem er schon lange geträumt hatte. Dieser Urlaub verlief jedoch dermaßen enttäuschend, dass das Thema "Urlaub in Griechenland" angeblich nie mehr relevant sein sollte. Wieso aber sitzt der Erzähler nun in Thessaloniki, um ein Ferienhaus zu kaufen? Viele Erlebnisse folgen, bis sich der Traum von einem Altersruhesitz in Griechenland endlich zu verwirklichen scheint. Doch nun beginnen die Probleme erst richtig! In humorvoller Weise lässt der Autor, selbst pensionierter Gymnasiallehrer und Ehemann einer gebürtigen Griechin, die Leser an seinen Erlebnissen in Griechenland teilhaben und macht Lust auf dieses wunderschöne Land!

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Seitenzahl: 212

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Für Alexandra,

die mir Griechenland geschenkt hat!

Griechenland: weiße Schaumkronen auf blauem Meer, weiße Häuser unter blauem Himmel im Sonnenschein, grüne Berghänge, stille Buchten, gastfreundliche Menschen, Tempel, Theater, Museen, Cafés und Tavernen! Vorsicht: Wer all dies einmal erlebt hat, wird süchtig und kann nicht anders, er kommt immer, immer wieder! Griechenland!

Inhaltsverzeichnis

Thessaloniki, Mai 2012

Thassos, August 2008

Thessaloniki, Mai 2012

Deutschland, November 2008

Thessaloniki, Mai 2012

Thassos, August 2009

Thessaloniki, Mai 2012

Thassos, August 2009

Thessaloniki, Mai 2012

Thassos, August 2009

Thessaloniki, Flogita Mai 2012

Perea, Juli 2015

Deutschland, 2012 bis 2013

Perea, Juli 2015

Thessaloniki, Juli 2014

Pentapoli, Juli/August 2014

Pentapoli/Serres Juli/August 2014

Sadanski/Bulgarien, August 2014

Thessaloniki, August 2014

Perea, August 2014

Deutschland, August 2014 bis Juni 2015

Perea, Juli 2015

Deutschland, August bis Oktober 2015

Thessaloniki/Perea, Oktober/November 2015

Chronologie der Ereignisse (Angaben in Kapiteln)

1

Thessaloniki, Mai 2012

„Γειά σου, τι κάνεις? Hallo, wie geht es dir?“, schallte es mir entgegen und der braun gebrannte, in Armani-Anzug und blütenweißes Hemd gekleidete, circa 35jährige Prototyp des erfolgreichen griechischen Jungunternehmers kam mit ausgestreckten Armen auf mich zu. Die dunkle Sonnenbrille – schon wieder das Armani-Zeichen – verdeckte seine Augen, so dass ich mir nicht sicher war, ob dies seine Standardbegrüßung potentieller Kunden war oder eine persönliche, herzliche Art des Wiedersehens andeuten sollte. Schließlich waren wir uns Jahre vorher bereits einmal begegnet, wenn auch unter ganz anderen Umständen.

„Είμαι καλά, και εσύ? Mir geht’s gut und dir?“, beantwortete ich mit einer Gegenfrage seine Frage.

Sicher ging es mir gut – es musste mir einfach gut gehen! Schließlich war ich seit zwölf Wochen Pensionär und durfte bzw. musste folglich meinen „Lebensabend“, meinen „‘uhestand“ genießen! Und das mit gerade einmal zweiundsechzig Jahren und fünf Monaten. Dem staatlichen Altersteilzeitmodell zum Erreichen des Vorruhestandes sei Dank!

Bis vor Kurzem hatte ich noch vor Horden von 13- bis 17jährigen kleinen und größeren Monstern gestanden und versucht, ihnen die Grundzüge der lateinischen und griechischen Sprache nahe, na ja zumindest näher zu bringen. Welch eine Sisyphus-Arbeit! Zwar musste ich nicht wirklich wie in der antiken Sage einen Felsen den Hang bis zur Kuppe hoch rollen, ehe er dann wieder nach unten donnerte, aber viel anders erschien mir die Vermittlung selbst einfachster grammatischer Konstruktionen auch nicht!

Und nun stand ich hier auf für mich geweihtem Boden, der geradezu strotzte von Resten antiker Bauwerke, in Thessaloniki am Weißen Turm und war verabredet mit Angelos Laskari, um meine Pläne bezüglich eines gar nicht antiken, langsam vor sich hin verfallenden, sondern hoffentlich neuen, stabilen Bauwerkes zu verwirklichen. „Altphilologe sucht moderne Ferienwohnung mit Topausstattung in Meeresnähe als Altersruhesitz!“ So oder so ähnlich hätten meine Wunschvorstellungen sich als Annonce wohl angehört – wenn es denn dazu gekommen wäre, dass ich sie hätte schriftlich formulieren müssen.

Aber davor stand eben Angelos Laskari, welcher mich jetzt bei strahlendem Sonnenschein und herrlichen, frühsommerlichen 28 Grad Celsius zu seinem bescheidenen BMW 523 führte und sich mit mir in die von Autos nur so brodelnden Straßen Salonikis stürzte. Wie durch ein Wunder hatten wir schlappe zehn Minuten später die Plateia Megalos Aristotelos erreicht, parkten den Wagen im absoluten Halteverbot – Angelos wischte meine Bedenken mit einer Hand beiseite – und nahmen mit Blick auf ein Panorama vorbeischlendernder Passanten vor azurblauem Mittelmeer Platz in einem der mondänen Restaurants.

Angelos bat mich, ihm die Auswahl des Menus zu überlassen. „Nichts lieber als das!“, antwortete ich im Vorgefühl herannahender Genüsse und hatte bei einem Ouzo als Aperitif Zeit genug, noch einmal vor meinem geistigen Auge vorüberziehen zu lassen, wie ich überhaupt nach hier gelangt war.

2

Thassos, August 2008

Alles hatte fast genau vier Jahre vorher begonnen.

Wir, das waren meine Ehefrau Kerstin und mein jüngster, damals dreizehnjähriger Sohn, hatten beschlossen, einen Urlaubstraum zu verwirklichen und drei Wochen in Griechenland auf der Insel Thassos zu verbringen.

Na ja, eigentlich hatte ich dies beschlossen, war es doch auch hauptsächlich mein Traum. Aber die beiden hatten wohl meine leuchtenden Augen gesehen, als ich dieses Urlaubsziel vorschlug, und konnten einfach nicht anders, als sich meinem Wunsch anzuschließen. Schließlich war ich trotz klassischer Ausbildung, der Vorliebe für antike Literatur und Baukunst und meiner Fächer Latein und Griechisch noch nie im Heimatland eines Alexanders, eines Sophokles, eines Aristoteles, eines Sokrates und so vieler anderer für die Menschheit so bedeutsamer Personen gewesen und damit letztlich auch nicht dort, wo die Wiege der Demokratie stand! Ich musste schon ganz schön ins Schwärmen geraten sein, aber schließlich war ich weiter als in die römische Zeit bei meinen Reisen bis dahin noch nicht in die Vergangenheit abgetaucht. Und das sollte sich jetzt endlich gründlich ändern!

Geändert hatte sich allerdings auch die studentische Traumvorstellung, mit Rucksack und wirklich nur dem Nötigsten ausgestattet, Griechenland per pedes von Insel zu Insel zu durchwandern. „Inselspringen“ ging ja noch an, aber ein erstklassiges Hotel in exzellenter Lage sollte es denn doch schon sein und bitte mit dem Besten, das die griechische Küche aufzubieten hatte. „Man gönnt sich ja sonst nichts!“

Nach Dutzenden von Reisekatalogen, Hotelvergleichen, Strandvergleichen, Preisvergleichen – das Beste für möglichst wenig Geld! – waren wir endlich fündig geworden. Es sollte ein topmodernes, neu erbautes Hotel direkt am Strand der Insel Thassos nahe bei Skala Prinos sein. Von dort aus sollten sich die Freuden eines Badeurlaubs – man muss ja auch an die bessere Hälfte und die Jugend denken! – mit denen kulinarischer Genüsse und Besichtigungen antiker Stätten in Limenas (Thassos-Stadt) und Philippi nahe bei Kavala wunderbar verwirklichen lassen.

Also ab ins Reisebüro … und der „Traum“ war festgemacht!

Dass aus Träumen auch schon einmal Alpträume werden können, war mir zwar bekannt, stand aber für mich damals in keinerlei Bezug zu meinem „Sommertraum“.

Und nichts schien auch bei Beginn der Reise darauf hinzuweisen. Nach ruhigem, zweieinhalbstündigem Flug erreichten wir von Köln aus Kavala und die Fahrt mit der Fähre über ein spiegelglattes, tiefblaues Meer mit vorüber ziehenden Delfinen ließ einen perfekten Urlaub erwarten. Auch die kurze Fahrt mit dem Taxi bis Skala Prinos und der Anblick des leuchtend weißen, wirklich brandneuen Hotels, der Empfang in der mondänen Rezeption und der erste Eindruck des geräumigen Appartements mit Klimaanlage, SAT-TV und „Küchenzeile zum Bereiten von Kleinigkeiten“ – man beachte genau die Formulierung aus dem Reisekatalog! – sowie der Blick aufs Meer, welches sich bis fast direkt unter unseren Balkon erstreckte, schien dies zu bestätigen.

Und so blieb es auch … zwei Tage lang! Gepflegte Anlage, großer Pool, hervorragendes Essen.

Am dritten Tag schlichen sich erste Zweifel ein, als wir die Badetücher, welche laut Katalog im Preis eingeschlossen waren, tauschen wollten.

„Sehr gerne, das macht pro Badetuch vier Euro. Sollen wir die zwölf Euro auf die Rechnung schreiben oder wollen Sie direkt bezahlen?“, flötete die perfekt geschminkte Dame an der Rezeption mit ihrem wahrscheinlich süßesten Lächeln und einem Stimmchen wie ein Rotkehlchen. Von wegen bezahlen! „Entschuldigen Sie, aber laut unserer Buchung der Suite sind die Badetücher im Preis inbegriffen.“ Meine Ehefrau beherrschte die Sprache und Mimik des zivilisierten Umgangs im Dienstleistungsgewerbe anscheinend genauso perfekt wie ihr Gegenüber. „Selbstverständlich, Sie haben völlig Recht. Allerdings gilt diese Aussage nur für die Erstausstattung mit Badetüchern. Natürlich sind Sie in keiner Weise verpflichtet, weitere Badetücher auszuleihen.“ Leichtes Niederschlagen der Augenlider und erneuter Augenaufschlag der wer weiß welche Verheißungen versprechen sollte. Natürlich, wir hatten alles nur falsch verstanden! Selbstverständlich kommt man mit einem Badetuch ca. drei Wochen problemlos aus, schließlich badet man ja nahezu ununterbrochen in kristallklarem Wasser!

Natürlich wäre es ein Leichtes gewesen, die geforderten vier Euro pro Badetuch zu bezahlen, aber schließlich legt man als Sprachwissenschaftler Wert auf exakte und korrekte Formulierungen und deshalb zunächst einmal Beschwerde ein. Diese wurde registriert, aber mit missbilligendem, verständnislosem Blick von dem herbeigerufenen Juniorchef des Hotels abgewiesen. „Wenn Sie drei Wochen mit einem Badetuch zurechtkommen, so ist das selbstverständlich Ihre Sache. Bei uns ist dies nicht üblich, und man ist gerne bereit, den kleinen Obolus für ein sauberes, frisches Handtuch zu entrichten. Aber bitte, das ist wirklich allein Ihre Sache. Ich frage mich allerdings, wie Sie den Text im Katalog so missverstehen konnten! Deutsch soll doch eine so exakte, eindeutige Sprache sein.“

Treffer! 1:0 für diesen jungen Schnösel, der so gar nicht dem erhofften Typus des gastfreundlichen Griechen entsprach und sich, ohne uns auch nur weiter zu beachten, umdrehte, sein Handy aus der Tasche seines Jacketts holte, ein lautstarkes, immer wieder durch herzhaftes Lachen unterbrochenes Gespräch begann und uns zwar wütend, aber reichlich kleinlaut vor der Rezeption stehen ließ.

„Wollen Sie denn nun drei frische Badetücher mitnehmen?“, ließ sich nun die Rotkehlchenstimme wieder vernehmen.

Natürlich wollten wir! Zwölf Euro wechselten so aus meinem Portemonnaie in die Rezeptionskasse.

„Ich lasse Ihnen sofort die Badetücher in ihr Appartement bringen.“

Zuckersüßes Lächeln inklusive!

Sei´s drum! Davon lässt man sich den Urlaub nicht vermiesen! Das wäre ja noch schöner.

Weitgehend erhobenen Hauptes gingen wir zurück in unser Appartement, nicht um dort mit Spannung die angekündigten Handtücher zu erwarten, sondern um uns aus den vom Markt in Prinos mitgebrachten Tomaten, Gurken, Oliven und Schafskäse einen griechischen Bauernsalat als kleinen Mittagssnack zuzubereiten.

Mit den inzwischen eingetroffenen Badetüchern begaben wir uns an den Strand und die letzten Reste des Ärgers zerschmolzen in der Sonne.

Leider nur vorübergehend!

Als wir uns in Vorfreude auf ein leckeres Abendessen auf der Hotelterrasse mit Blick zurück auf die über dem Meer untergehende Sonne unserem Zimmer näherten und nur noch eine erfrischende Dusche und das Anlegen passender Garderobe zwischen uns und diesem Genuss zu stehen schien, hörten wir, an der Rezeption angekommen, hinter uns eilige Schritte, und als wir uns umdrehten … nicht schon wieder dieser Lackaffe! Der Juniorchef persönlich war uns nachgeeilt und forderte genauere Informationen über die Menge und Art des von uns in den Mülleimer entsorgten Abfalls.

Nanu! Waren wir im falschen Film? Oder war etwa hier irgendwo eine Kamera versteckt? Vielleicht gab es ja eine griechische Variante von „Vorsicht Kamera!“ – „Προσοχή Kάμερα!“

Also zusammenreißen und sich die Verwirrung nicht anmerken lassen!

„Die Abfälle stammen von den Überresten einer kleinen Zwischenmahlzeit, die wir uns am Mittag zubereitet haben.“

„Das ist nicht zulässig! Nahrungsmittel sind in den Zimmern nicht erlaubt“, herrschte uns der Juniorchef an und bedachte uns mit einem Blick, der mir in meiner langjährigen Tätigkeit als Pädagoge selbst bei den größten Verfehlungen meiner Schüler nie gelungen war. Vielleicht hätte ich doch schon eher nach hier reisen sollen, um Anschauungsunterricht zu bekommen.

„Wir haben lediglich die im Reiseprospekt beschriebene >>Küchenzeile zum Bereiten von Kleinigkeiten<< genutzt. Das wird ja wohl noch erlaubt sein!“ Langsam reichte es mir, und wenn sein Vater nicht nur dieses Hotel, sondern ganz Thassos in seinem Besitz gehabt hätte! Doch weit kam ich mit meinem Widerspruch nicht.

„Kommen Sie mir nicht schon wieder mit dem Text in Ihrem Reisekatalog! Und sollte dies wirklich so formuliert sein, dann ist es eben falsch! In den Appartements dürfen auf keinen Fall Mahlzeiten zubereitet werden. Die Kochplatten dürfen lediglich auf Nachfrage zum Erhitzen von Wasser für Babynahrung benutzt werden!“

„Aber wir haben kein Baby, was sollen wir also mit den Kochplatten machen?“, erwiderte ich in der Hoffnung, unsere Partie jetzt unentschieden gestalten zu können.

„Dann schaffen Sie sich eins an! Und unterlassen Sie so lange die Benutzung des Herdes! Und merken Sie sich: Hier entscheide ich alleine! Τέλος! Schluss!“, sprach’s und ließ uns wieder einmal hilflos zurück. 2:0 für Unverschämtheit gegen Zurückhaltung!

Verärgert stapfte meine bessere Hälfte die Treppe hoch und sprachlos blieb ich alleine vor einer Schulter zuckenden, dabei natürlich lächelnden Rezeptionsdame zurück. Alleine? Wohl doch nicht! Denn plötzlich sprach mich jemand leise von hinten an. Der musste sich wohl in bester Indianerweise unauffällig angeschlichen haben! Ich realisierte, dass es sich eindeutig um einen der sogenannten Herren der Schöpfung handelte, wenn auch einen, der seine Herrschaftsrolle zur Zeit nicht gerade wahrnahm, was nicht allein an seinem Outfit – bunte Badeshorts und Flip-Flops –, sondern seiner ganzen Körperhaltung lag. Er versuchte geradezu, sich unsichtbar zu machen, was natürlich nur in Ansätzen von Erfolg gekrönt war! Aber warum war er so darum bemüht, nicht aufzufallen? Das sollte ich gleich erfahren.

„So ist es uns auch ergangen. Da kann man nichts machen! Nur Vorsicht, dass keiner, vor allem der Chef nicht, mitbekommt, worüber wir reden!“

Von wegen „Vorsicht! Da kann man nichts machen!“, nicht mit mir!

Erzürnt strebte ich dem Ausgang zu, begleitet von meinem Leidensgenossen, der sich kurz darauf als Grigori aus der Ukraine vorstellte und inzwischen um mindestens 20 Zentimeter gewachsen zu sein schien. Gemeinsam ist man halt stark – zumindest stärker! Er war, wie er mir kurz darauf erzählte, zum ersten Mal in Griechenland. Bisher hatte er seinen Urlaub mit Ehefrau und Tochter meist am Goldstrand in Bulgarien verbracht. Lag ja wohl sowohl geographisch wie politisch näher! Da seien die Hotels allerdings inzwischen ziemlich heruntergekommen, daher habe er sich für Griechenland entschieden, dies aber wohl gleich zweimal, zum ersten und zum letzten Mal! Landschaft, Strand und Klima seien zwar wunderschön, aber solch eine Behandlung wie hier habe er in Bulgarien und auch sonst wo noch nie erlebt. Und dabei handele es sich nicht um Einzelfälle!

„Unsere Nachbarn verstecken ihren Abfall inzwischen in ihrem Koffer im Schrank“, ergänzte er mit einem Kopfschütteln.

„Das darf doch wohl nicht wahr sein! So etwas mache ich nicht länger mit! Ich nicht! Der Angeber soll mich noch kennen lernen!“, spielte ich den starken Mann, was mir sonst so gar nicht liegt.

Für den Abend verabredeten wir uns, gemeinsam zu speisen. Etwas Gutes hatte der Vorfall also immerhin doch gehabt: In der Not – und in der Wut – lernt man zusammenzustehen und manchmal auch noch neue Freunde kennen.

Am nächsten Mittag kehrten meine Frau und ich nach morgendlichem, erfrischendem Bad in glasklarem Wasser, dann sich anschließendem Spaziergang, verbunden mit Shopping in Skala Prinos, zu unserem Appartement zurück, beladen mit drei Tüten, von denen eine – deutlich erkennbar – eine herrliche, mit Sicherheit zuckersüße Wassermelone enthielt. Das Wasser lief uns sozusagen bereits aus den Mundwinkeln, als wir die Treppe zu unserem Urlaubsdomizil emporstiegen.

Da fiel von oben ein Schatten auf dieses mittägliche Glücksgefühl!

„Sie wollen doch nicht etwa diese Melone mit auf Ihr Zimmer nehmen?“

„Sicher wollen wir das“, war mein erster Gedanke, bereits den wunderbaren Geschmack der Melone auf der Zunge.

„Das ist doch der Gipfel der Unverschämtheit! Können Sie sich denn nicht an die elementarsten Regeln und Gepflogenheiten unseres Hauses halten? Der Verzehr von Nahrungsmitteln ist auf den Zimmern absolut nicht erlaubt! Verlassen Sie mit Ihren Tüten augenblicklich die Anlage! Tja, das hätte ich von deutschen Gästen auch nicht anders erwartet! Aber hier sind wir in Griechenland, hier gelten unsere Regeln, ausnahmsweise einmal nicht Ihre!“

Schon wieder der Juniorchef, von Beruf „Sohn“!

Wie war das noch: „Der Angeber soll mich noch kennen lernen!“ Von wegen! Völlig überrumpelt, ohne auch nur einen Funken Mutes des gestern noch so selbstsicheren Helden stammelte ich: „Okay! Dann essen wir die Melone eben am Strand.“

„An meinem Strand isst niemand Wassermelone, auch Sie nicht! Nehmen Sie jetzt endlich Ihre Tüten und entsorgen Sie den Inhalt in irgendeinen Mülleimer, natürlich außerhalb meiner Anlage!“, baute sich der vorherige Schatten vor mir auf.

Das war zu viel! Ich erwachte aus meiner Erstarrung, legte jede Zurückhaltung eines Gastes in einem fremden Land ab, ließ meinen Widersacher mit den Worten „Jetzt reicht es mir, die Angelegenheit wird mit dem Reiseveranstalter geklärt! Ihre Unverschämtheiten lasse ich mir nicht länger bieten!“ an der Treppe stehen und stieg wutschnaubend die Stufen zu unserem Appartement hoch – natürlich ohne Wassermelone! Von Sieg konnte man nicht wirklich sprechen, aber immerhin das Gesicht in etwa gewahrt! Niederlage im Auswärtsspiel, aber in Grenzen! Und vielleicht würde ja noch zumindest ein Unentschieden daraus werden. Mal sehen!

Drei Stunden später saßen wir nach einem Telefonat über die Hotline des Reiseveranstalters mit der für die Insel Thassos zuständigen Dame im Foyer des „Traumhotels“ und erklärten ihr die Sachlage. Etwas beruhigt und nicht sonderlich verwundert erfuhren wir in diesem Gespräch von bereits mehreren Beschwerden, die gegen den Inhaber des Hotels vorlagen. Man prüfe zur Zeit noch, ob man das Reiseangebot überhaupt noch in den nächsten Katalog übernehmen wolle. Dann machte uns die Dame, deren Freundlichkeit einen Gegenpol zur Arroganz des Juniorchefs darstellte und uns wieder etwas besänftigte, das Angebot, dass sie uns in einem anderen, entsprechend unseren Wünschen ausgestatteten Hotel auf der Insel unterbringen wolle. Dies sei allerdings noch mit dem hiesigen Hotelier abzuklären.

Auf diese „Klärung“ waren wir echt gespannt.

Das Gespräch des Juniorchefs mit der Dame vom Reiseveranstalter verlief dann jedoch etwas anders als die Gespräche mit den Hotelgästen. Jedenfalls konnte man auf die Entfernung keine Beschimpfungen wahrnehmen.

Uns gegenüber blieb der Juniorchef dann aber in seiner Paraderolle als allmächtiger Herrscher über sein ‘eich! Gnädig erteilte er uns die „Freigabe“ ohne Regressansprüche seinerseits. Auf solche Gäste wie uns könne er als ehemaliger Auszubildender im Hilton in Frankfurt am Main und heutiger Chefmanager gerne verzichten!

Vielleicht sollten wir versuchen im Hilton in Frankfurt etwas Essbares mit aufs Zimmer zu nehmen. Mal sehen, was dann passiert!

Geschenkt! Wir packten unsere Koffer, welche ja Gott sei Dank noch nicht mit Müll gefüllt waren, und suchten im Reiseprospekt ein uns zusagendes Hotel, verließen grußlos, erhobenen Hauptes das Foyer, um mit dem von der Reisegesellschaft bereitgestellten Taxi die knapp zwanzig Kilometer zu unserem neuen Urlaubsziel zu fahren. Natürlich nicht, ohne uns von den Leidensgenossen aus der Ukraine zu verabschieden. Das heißt, wir wollten das Foyer verlassen …

Doch ganz so leicht wollte uns die personifizierte Unverschämtheit nun doch nicht ziehen lassen! Jetzt dann zur Abwechslung mal in zuckersüßem Tonfall: „Es steht noch ein Betrag von drei Euro für eine Flasche Wasser aus der Minibar offen. Wenn Sie dies erledigt haben, dürfen Sie gerne, ja, sehr gerne unser Haus verlassen.“ Auf meine Aussage hin, dass wir der Minibar nichts entnommen hätten – „Sie kennen ja unsere Einkaufgewohnheiten aufs Beste!“ – und die Minibar vollständig gefüllt sei, erfolgte der Gipfel der Willkür: „Ja, aber eine der Wasserflaschen ist von einer anderen Firma, als sie unser Lieferant führt. Da Sie diese anscheinend getauscht haben, müssen Sie natürlich für die ursprüngliche Flasche aufkommen. Drei Euro bitte.“

In der Gewissheit, keine der Flaschen angerührt zu haben, und mit der Erleichterung, diesem Irrenhaus in wenigen Minuten entfliehen zu können, blieb meine Reaktion völlig gelassen: „Sie täuschen sich. Ich weiß nicht, wer die hochwertige Wasserflasche gegen eine solch minderwertige ausgetauscht hat, wir waren es jedenfalls nicht. Aber ich schenke Ihnen die drei Euro, Sie werden sie bei der so zuvorkommenden Behandlung Ihrer Gäste sicherlich noch einmal nötig haben.“

Basta! Ausmarsch erhobenen Hauptes! Jetzt stand es mindestens unentschieden!

Da der Wechsel des Hotels auf diese Weise doch in etwas hektischer Form vollzogen worden war und die Tüten mit der Wassermelone und den Getränken dabei leider auf geheimnisvolle Weise verloren gegangen waren, mussten wir uns im Kiosk der uns nunmehr zur Verfügung stehenden Ferienanlage, welche wir etwa eine halbe Stunde später erreicht hatten, erst einmal neu eindecken. Bei den Temperaturen von deutlich über vierzig Grad eine Notwendigkeit. Aber bloß keine Wassermelone! Wie sagt man so schön: „Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste.“ Daher fragten wir die Dame an der Kasse ganz vorsichtig und höflich, ob wir die Getränkeflaschen vielleicht mit in unser Appartement nehmen dürften. Die Reaktion darauf überraschte uns nach den vorherigen Erlebnissen nicht wenig: Zunächst wurden wir mit erstaunten, dann besorgten, dann mitleidigen Blicken bedacht, welche sich erst in Heiterkeit auflösten, als wir „unsere“ Geschichte zur Erklärung erzählt hatten. Selbstverständlich sei dies gestattet und außerdem sei es bei der derzeitigen Hitze ratsam, sich auch mit einer Wassermelone einzudecken, da diese dem Körper die notwendige Flüssigkeit zuführe. Allerdings sollten wir sie auf jeden Fall gut kühlen. „Nehmen Sie sich einfach eine aus dem Korb dort hinten. Dies ist unser Begrüßungsgeschenk für neue Gäste!“

Wow! So ging es also auch! Endlich stellten sich die Träume von einem wunderbaren Urlaub auf Thassos wieder ein.

Dass diese sich dann doch nicht ganz verwirklichten, lag weder an arroganten Managern oder unfreundlichen Angestellten noch an der Reisegesellschaft noch an der Möblierung des Appartements noch an der Lage der Badebucht noch … noch …, sondern allein an der sich ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt einstellenden Hitzewelle und der Lage unseres Urlaubsdomizils auf der höchsten Stelle des Hangs – herrliche Aussicht auf das azurblaue Mittelmeer! – und der Lage des Pools samt Poolbar sowie des Speisesaals an der niedrigsten Stelle der Ferienanlage.

Sie ahnen es?

Wir schwitzten und schwitzten uns in unsere neu gewonnene Freiheit – da konnten auch die kühlen, saftigen Wassermelonen, die man ungestraft im Appartement verzehren durfte, nicht wirklich Abhilfe schaffen! Immerhin musste man die sieben bis zehn Kilo schweren Früchte ja erst einmal auf den Berggipfel in schwindelnder Höhe transportieren – selbstverständlich per Hand!

So stand bald angesichts des täglich mehrmaligen Kampfes mit vollem Marschgepäck auf den Gipfel bei abendlichen lauen 33 Grad, mittäglichen nur wenig über 40 Grad, zudem den britischen All-Inklusiv-Touristen am Pool – Wie die bloß den Tag überstanden? Ob Alkohol vielleicht doch gut gegen Hitze ist oder zumindest unempfindlich macht? – und natürlich dem fairen Wettkampf beim Belegen der Liegen am Pool kurz nach Sonnenaufgang mein Entschluss bei aller Bewunderung der Antike und der griechischen Landschaft fest. Und nach unseren Erlebnissen in den ersten Urlaubstagen stand dieser Entschluss nicht nur fest, sondern felsenfest: Nie mehr Griechenland!

Wie man sich doch täuschen kann!

3

Thessaloniki, Mai 2012

Ich erwachte aus meinen Tagträumen, als Angelos – wer war Angelos? – mich plötzlich ansprach und mir mitteilte, er habe soeben per SMS ein superinteressantes Angebot von einem Freund bekommen. Angebot? Was für ein Angebot? Ach ja! Griechenland, Thessaloniki, „Angelos Laskari – Agentur für Immobilien“!

Wie war das noch, wo war ich eben in meinen Erinnerungen?

Natürlich, auf der Insel Thassos und unserem Urlaub dort mit den verschiedensten Hindernissen und dem Entschluss: „Nie mehr Griechenland!“

Nie mehr Griechenland? Denkste! War wohl nicht dabei geblieben! Aber dazu nachher mehr.

Bevor ich noch einmal eintauchte in meine Erinnerungen an die Vergangenheit, genoss ich zunächst einmal meine „Μήδια σαγανάκι“, im Ofen gebackene Miesmuscheln in einer Soße aus Tomaten, Knoblauch und Schafskäse, mit frischem, geröstetem Brot und eisgekühltem Retsina.

Eines musste man Angelos lassen: Die Auswahl des ersten Tellers war die eines Kenners! Und auch das zudem georderte Lamm, Αρνάκι στο φούρνο, der griechische Salat und die frittierten Auberginen und Zucchini ließen Gaumenfreuden erwarten.

„Gaumenfreuden“! Richtig, das war eines der ersten zarten Argumente gegen die kategorische Aussage „Nie mehr Griechenland!“.

4

Deutschland, November 2008

Schnell hatte mich mein typisch deutscher Alltag wieder eingeholt – erfreuliche 8 Grad Celsius bei leichtem Westwind und Nieselregen, dazu nach klassischen Unterrichtsinhalten geradezu lechzende Schülerinnen und Schüler. Und die Begeisterung würde sich unweigerlich im Laufe des Schuljahres noch steigern! Und die erwartungsvollen, hoffnungsschwangeren Blicke erfahrener Pädagogen, die Vorfreude auf dynamische, erfolgsversprechende Konferenzen und erst die voll harmonischen Lehrer-Eltern-Gespräche!

Da musste man doch einfach noch einmal einen kurzen Blick auf die zurückliegenden Sommerferien werfen. Sicher, da war nicht alles so gewesen wie geplant, wie erwartet, wie erhofft. Aber sollte man nicht auch hier – wie im schulischen Alltag – „positives Denken“ zum Grundprinzip machen? „Glücklich ist, wer vergisst, was …“.

Na ja, ganz soweit musste man ja doch nicht gehen! Aber war die Geschichte mit der Wassermelone nicht im wahrsten, literarischen Sinne „paradox“ und damit in irgendeiner Form auch wieder lustig? Und dann erst der Geschmack der Wassermelonen bei über 30 Grad, eiskalt und zuckersüß! Und der wunderbare Bauernsalat, Σαλάτα χοριάτικι – das waren doch wirklich noch Tomaten und Gurken und keine mit Wasser gefüllten Attrappen! Und der Geruch der Σουбλάκι, der gegrillten Spießchen! Und die herrlichen grünen Oliven! Überhaupt die Abende auf der Terrasse mit dem Gezirpe der Zikaden und einem gut gefüllten Glas griechischen Weins! Und das glasklare Wasser in der versteckten, noch nicht von Touristen überlaufenen Bucht! Und der Sonnenaufgang, den wir nach schlafloser Nacht direkt aus dem Bett durchs Fenster miterleben konnten! Und die vielen gastfreundlichen Griechen! So viele gegen einen arroganten Idioten! Und die klare Luft! Der Panoramablick übers Meer bis hin zur nächsten Bergkette! Und die idyllischen Gassen am Hafen, die schaukelnden kleinen Fischerboote! Und die Sonne auf der Haut, Licht und Wärme! Und … und … und …

Im November – typisch! – war der Entschluss dann gefasst: Wir hatten, Griechenland hatte einen zweiten Versuch verdient!

Geholfen hatte dabei auch ein Schreiben des auf Griechenland spezialisierten Reiseveranstalters, welcher sich für die uns im Urlaub entstandenen Unannehmlichkeiten entschuldigte und der Hoffnung Ausdruck verlieh, uns weiter als Kunden betreuen zu dürfen. Dies verbunden mit zwei Flaschen griechischen Rotweins von Porto Carras, einer kleinen Auswahl von Oliven und einem reich bebilderten Reiseführer. Ergänzt wurde dies von dem Vorschlag des Veranstalters, uns ein Hotel auf Thassos anbieten zu können, welches uns für alles entschädigen und uns zu unwiderruflichen Griechenland-Fans machen würde.

Wie war das nochmal? „Nie mehr Griechenland!“?

Versprechen hin, Versprechen her – wir buchten das angebotene Hotel und erwarteten gespannt den nächsten Sommer, auch wenn dieser hinter den hiesigen Nebelschwaden, durch welche kaum das Nachbarhaus zu erkennen war, noch in unendlicher Ferne lag. Dass dazu für den nächsten Tag der erste Schnee des Jahres vorhergesagt worden war, bestärkte uns nur in der Ansicht, das Richtige getan zu haben.

5

Thessaloniki, Mai 2012

„Hundertzehn Quadratmeter, Topausstattung, zwei Balkone, und das alles nur durch eine kaum befahrene Straße vom flach abfallenden, kilometerlangen Strand entfernt.“

Angelos hatte mich wieder ins Hier und Heute – Mitte Mai in Thessaloniki – zurück geholt.

„Und wo liegt dieser Traum von einem Ferienhaus?“, konnte ich mein Interesse kaum verheimlichen.

„Kennst du Nea Moudania?“, fragte Angelos.