Hugo Wietholz – ein Diakon des Rauhen Hauses – Autobiographie - Jürgen Ruszkowski - E-Book

Hugo Wietholz – ein Diakon des Rauhen Hauses – Autobiographie E-Book

Jürgen Ruszkowski

0,0

Beschreibung

Hugo Wietholz, ein Diakon des Rauhen Hauses, beschreibt als Zeitzeuge des Alltags sein interessantes und abwechselungsreiches Leben: Als Hamburger Jung' wächst er zur Kaiserzeit in handwerklich-kleinbürgerlichen Verhältnissen in Kriegs- und Nachkriegsarmut unter Entbehrungen auf und durchläuft eine Klempnerlehre. Er findet im CVJM zum christlichen Glauben, wird Jugendgruppenleiter bei den Christlichen Pfadfindern und später Diakon des Rauhen Hauses in Hamburg. Als Mann der Bekennenden Kirche stellt er sich mutig gegen den nationalsozialistischen Zeitgeist. Detailliert schildert er seine Kindheit und Jugend, die Diakonenausbildung in der NS-Zeit der 1930er Jahre im Rauhen Haus, seine Erlebnisse als Sanitätssoldat und in der Kriegsgefangenschaft sowie seine Pionierarbeit in der Nachkriegssituation der Großstadt-Kirchengemeinde Hamburg-Horn. Jahrzehnte arbeitete er, unterstützt von seiner Frau Lisa, noch über den Ruhestand hinaus als engagierter Diakon mit Schwerpunkt Jugend- und Seniorenarbeit. Für seine Pfadfinder aus Horn ist dieses Buch ein Tor zu ihren Erinnerungen. – Als Zeuge des Alltags seiner Zeit gestattet er uns einen guten Einblick in die christlich-bündische Jugendarbeit der 1920er und 30er Jahre, in die Geschichte des Rauhen Hauses während der NS-Zeit, in der er unbeirrt und mutig entgegen dem Zeitgeist den Weg der Bekennenden Kirche ging, in die Militärseelsorge während des 2. Weltkrieges, in die Lagerseelsorge unter Krieggefangenen, in die Gemeindediakonie der Evangelischen Kirche der Nachkriegszeit, auch ganz allgemein in das Alltagsleben seiner Generation während zweier Weltkriege und schwerer Nachkriegsjahre, besonders in die evangelische Jugendbewegung (Pfadfinder) zwischen den Kriegen und in den Aufbaujahren nach dem 2. Weltkrieg. Seine ins Detail gehenden Schilderungen des Alltags eines Gemeindediakons verdeutlichen die Vielseitigkeit einer solchen Tätigkeit in einer Großstadtgemeinde.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 561

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


Jürgen Ruszkowski

Hugo Wietholz – ein Diakon des Rauhen Hauses – Autobiographie

Band 13 in der gelben Buchreihe Zeitzeugen des Alltags bei Jürgen Ruszkowski

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorwort des Herausgebers

Hugo Wietholz' Kindheit

CVJM Esplanade – Klempner-Lehre – Klempnergeselle

Concordia-Pfadfinder

Hitlers Machtergreifung

Die Deutschen Christen und die Bekennende Kirche

Diakonenausbildung im Rauhen Haus

Kriegsdienst

Heirat

Der Krieg geht weiter

Gefangenschaft

Fortsetzung der Diakonenausbildung 1947

Diakon in der Martinsgemeinde in Hamburg-Horn

Diakonenexamen – Jugendarbeit in Hamburg-Horn – Pfadfinderschaft

Zusammenarbeit mit dem Roten Kreuz

Frankreichfahrt

Italienfahrt

Bötersheim

Fahrender Mittagstisch

Lapplandfahrt

Rumänienfahrt

Wiegersen

Hedeper

Herzinfarkt

Aktiver Ruhestand

Namensregister erwähnter Diakone(innen)

Weitere Informationen

Maritime gelbe Buchreihe „Zeitzeugen des Alltags“

Impressum neobooks

Vorwort des Herausgebers

Seit etwa zwei Jahrzehnten sammle ich Zeitzeugenberichte, zunächst von Seeleuten, mit denen ich über Jahrzehnte in meinem Beruf als Diakon und Dipl.-Sozialpädagoge in einem Seemannsheim täglichen Kontakt hatte. So kam es, dass ich in etlichen Bänden Lebensläufe und Erlebnisberichte von Fahrensmännern aufzeichnete und zusammenstellte.

Menschenschicksale sind immer interessant und aufschlussreich, und wir können viel aus dem Erleben unserer Mitmenschen lernen. Biographien und Berichte über eigenes Erleben gehören zu meiner Lieblingslektüre. Daher reizte es mich, auch einmal das Leben und Wirken einiger Berufskollegen kennen zu lernen.

Wie kam es zu dem Berufsbild des Diakons und Sozialpädagogen?

Johann Hinrich Wichern, geboren am 21. April 1808, hatte angesichts des Kinderelends seiner Zeit 1833 als junger Kandidat der Theologie mit Hilfe einflussreicher Hamburger Bürger in dem Dorf Horn vor den Toren Hamburgs aus kleinsten Anfängen das Rauhe Haus als „Rettungshaus“ für gefährdete Kinder und Jugendliche gegründet und aufgebaut, nachdem er bei Hausbesuchen im Hamburger Stadtteil St. Georg die Not der proletarischen Großstadtmassen kennen gelernt hatte (siehe Band 65 meiner gelben Buchreihe).

Das Familienprinzip, in dem Wichern seine Schützlinge betreute und erzog, sowie die immer umfangreicher werdende pädagogische Arbeit erforderte eine größere Anzahl von Gehilfen.  Im Sommer 1834 zog ein Bäckergeselle namens Josef Baumgärtner zu Fuß von Basel nach Hamburg, um Wichern als erster „Gehilfe“ für ein mageres Taschengeld von 100 Mark im Jahr bei freier Kost und Logis als Betreuer einer „Knabenfamilie“ zur Hand zu gehen. Nach drei Jahren übernahm Baumgärtner ein eigenes neu gegründetes „Rettungshaus“ in Mitau im Kurland.

Christoph Götzky, geboren 1822, von Hause aus katholisch, kam 1844 ins Rauhe Haus und war von Wichern und seinem Werk so beeindruckt, dass er konvertierte, Gehilfe Wicherns wurde und sich als Hausvater eines Rettungshauses nach Brüssow in der Uckermark entsenden ließ.

1839 ermächtigte der Verwaltungsrat des Rauhen Hauses Wichern, der Ausbildung von Gehilfen im Rauhen Haus „die größtmögliche Veröffentlichung zu geben“.  Wichern ließ deshalb von 1843 an über seine Gehilfen, schon damals „Brüder“ genannt, eigene Jahresberichte erscheinen.  Auf ihre theologische Ausbildung in seinem "Gehilfeninstitut" verwandte er große Sorgfalt.  Aus seinen Gehilfen, die Wichern aus ganz Deutschland rief, und die ihn bei seiner Erziehungsarbeit im Rauhen Haus unterstützten und von den Jungen der Erziehungsfamilien „Brüder“ genannt wurden, baute er den hauptberuflichen Mitarbeiterstab der Inneren Mission auf, die „Berufsarbeiter“, die als „Hausväter“ in „Rettungshäusern“ und ähnlichen Einrichtungen, als Strafvollzugsbetreuer oder als „Stadtmissionare“ in ganz Deutschland und im Ausland bis hin nach Übersee tätig wurden.

Wicherns Wunsch: „Treue, gottesfürchtige Männer, so ernst als wahr, so klug als weise, in der Schrift bewandert, im Glauben gegründet, voll Liebe zum armen Volke, geschickt zu solch einem Umgang, der Menschen fürs Himmelreich gewinnt, wünschen wir in Scharen unter das Volk.“

Erst Jahrzehnte später nannte man diese Gehilfen entgegen Wicherns ursprünglichen Vorstellungen Diakone.

Bis in die 1970er Jahre sprach man von der männlichen Diakonie.  Daneben gab es den Beruf der Diakonisse.  Danach wurden Ausbildung und Beruf im Rahmen der allgemein sich durchsetzenden Emanzipation auch für Frauen geöffnet.  Aus der Brüderschaft wurde die Brüder- und Schwesternschaft des Rauhen Hauses.  Heute bildet die Hochschule für Sozialpädagogik und Diakonie des Rauhen Hauses in Hamburg Frauen und Männer zu Diplom-Sozialpädagog(inn)en und Diakon(inn)en aus.

Einige dieser Brüder des Rauhen Hauses, angefangen bei Wicherns Zeitgenossen Christoph Götzky, bis zu Männern unserer Tage sind in dem Band 11 dieser Zeitzeugen-Buchreihe „Genossen der Barmherzigkeit“ in kurzen Lebensportraits oder längeren Selbstzeugnissen vorgestellt worden.

Der umfangreichste dieser Beiträge stammt aus der Feder des mit einem großen Charisma für Jugendarbeit gesegneten und für seinen Herrn Jesus Christus sehr engagierten Hugo Wietholz. Seine Witwe Lisa, die mir die Überarbeitung und Auswertung seiner für die eigene Familie konzipierten Lebenserinnerungen erlaubte, war an der Erarbeitung dieses Textes maßgeblich beteiligt. In dem Sammelband konnten aus Platzgründen nur Auszüge daraus veröffentlicht werden. Da Hugo Wietholz’ Aufzeichnungen jedoch diakonie- und zeitgeschichtlich sehr aufschlussreich sind, wird in diesem Band 13 ein umfangreicherer Text gesondert veröffentlicht. Die Vorgeschichte in Kindheit und Jugend und die familiären Details wurden nur unwesentlich gekürzt, weil sie einen sehr guten Einblick in die Zeitgeschichte zwischen den Weltkriegen geben und unbedingt mit zum Persönlichkeitsbild beitragen.

Diakon Hugo Wietholz war ein engagierter christlicher Botschafter unter dem einfachen Volk, besonders für die Jugend, der ohne Rücksicht auf eigene persönliche Vorteile Zeugnis gab von der Liebe, die er selber durch Jesus Christus erfahren hatte. Mit großem Fleiß und nicht endendem persönlichen Engagement setzte er sich von Jugend auf für seine Jugendgruppen, für Benachteiligte in seiner Gemeinde und für die Verkündigung der Guten Nachricht von Jesus Christus ein und packte auch handwerklich immer wieder selber in seiner Kirchengemeinde und seinen Jugendheimen an.

Als Zeuge des Alltags seiner Zeit gestattet er uns einen guten Einblick in die christlich-bündische Jugendarbeit der 1920er und 30er Jahre, in die Geschichte des Rauhen Hauses während der NS-Zeit, in der er unbeirrt und mutig entgegen dem Zeitgeist den Weg der Bekennenden Kirche ging, in die Militärseelsorge während des 2. Weltkrieges, in die Lagerseelsorge unter Krieggefangenen, in die Gemeindediakonie der Evangelischen Kirche der Nachkriegszeit, auch ganz allgemein in das Alltagsleben seiner Generation während zweier Weltkriege und schwerer Nachkriegsjahre, besonders in die evangelische Jugendbewegung (Pfadfinder) zwischen den Kriegen und in den Aufbaujahren nach dem 2. Weltkrieg.

Seine ins Detail gehenden Schilderungen des Alltags eines Gemeindediakons verdeutlichen die Vielseitigkeit einer solchen Tätigkeit in einer Großstadtgemeinde. Familiäre Erinnerungen wurden zum Teil gekürzt, jedoch soweit wiedergegeben, wie sie die Verflochtenheit von Beruf und Familie zum Ausdruck bringen, zumal der Dienst Hugo Wietholz’ durchgehend von seiner Familie stark unterstütz und mitgetragen wurde.

Ein besonderer Dank gilt Lisa Weitholz für die Bereitstellung von Text und Bildern und das Korrekturlesen.

Hamburg, 2002 / 2005 /2014 Jürgen Ruszkowski

Hugo Wietholz' Kindheit

Hugo Wietholz, in kleinbürgerlicher Umgebung unter kriegsbedingten Entbehrungen aufgewachsen, durch die Jugendbewegung zwischen den Weltkriegen geprägt, zur Zeit des Nationalsozialismus konträr zum Zeitgeist entschieden ein Mann der Bekennenden Kirche, schrieb seine Lebenserinnerungen sehr detailliert, teilweise aus freier Erinnerung, für die Jahre 1938 bis 1991 an Hand von Tagebuchaufzeichnungen, für seine Familie auf.

1989: „Nach langer Zeit hole ich meine Tagebuchaufzeichnungen in den Diakonenkalendern hervor. Ich staune über all das, was uns so bewegte. Man wundert sich, was man so alles zuwege gebracht hat, aber was ist nun von bleibendem Wert? Ich beginne, das zu Papier zu bringen. Von jetzt an schreibe ich jeden Morgen ein paar Stunden.“ Er schloss seine Notizen im Sommer 1992 ab. Es wurde eine zeitgeschichtliche Fundgrube. Der Alltag eines tief im christlichen Glauben verwurzelten, begnadeten Jugendführers und engagierten Gemeindediakons wird in diesen Zeilen sichtbar. Überarbeitete Auszüge daraus sollen hier einer breiteren Öffentlichkeit vorgestellt werden:

Hugos Kindheit

„Aus der Jugendzeit klingt ein Lied mir immerdar, o, wie liegt so weit, was einst mein eigen war.“ Ja, nach über 80 Jahren klingt es immer noch, weit stärker, als man es vorher wahrhaben wollte. Im Blick auf die erste Zeit meines Lebens, kann ich nur in großer Dankbarkeit gegenüber unserem Herrn Christus zurückblicken. Urteilt selbst, wenn ihr euch diese Zeilen zu Gemüte führt. Es ist viel Menschliches, allzu Menschliches darunter, aber es zieht sich unbemerkt ein roter Faden durch mein Leben, der ein Ziel hat.

Wir schrieben 1909. Es war die Zeit Kaiser Wilhelms II., der wohl bescheidener hätte auftreten und sich nicht von schlechten Ratgebern hätte leiten lassen sollen, bevor er den eisernen Kanzler vom Regierungsschiff verbannte.

Ich konnte am 4. September 1909 um 11.30 Uhr in der Wrangelstraße in Hamburg in einer gut möblierten Wohnung zum ersten Mal in die Sonne blinzeln. Ja, da war nun der Stammhalter, der die Namen Hugo, Henry, Karl erhielt.

Mein Vater war klein und gedrungen aber kräftig von Statur. Er war ein fleißiger Mann. In seinem Beruf konnte ihm keiner etwas vormachen. In seiner Gesellenzeit war er auch auf Wanderschaft gewesen. Sein Fleiß und seine Begabung kamen ihm zugute, er wurde Vorarbeiter mit besonderer Verantwortung. Die große Firma hat ihn später immer wieder geholt. Anfangs war er wohl in der Gewerkschaft gewesen. Als es dann zum Streik kam, hat man ihm kein Streikgeld gewährt, weil er nicht genügend Mitgliedsbeiträge gezahlt hätte. Wenn er nicht in der Firma arbeiten konnte, so gab es für ihn bei seinem Vater, der ja Meister war, genug zu tun, auch wenn man ihn dann als Streikbrecher beschimpfte. Die Familie brauchte das Geld. Wenn ich mal am Tag zur Aufwartung weggegeben werden konnte, arbeitete Mutter als Reinmachefrau. Die Abzahlungen drückten, und man wollte finanziell Luft haben.

1910-1915

Da war ja nun der kleine Hugo, der sich körperlich gut entwickelte. Mutter gab mir viel Milch. So nahm ich gut zu, ob auch an Geist und Weisheit, lässt sich nicht sagen, mal sehen, was später daraus wurde.

Erst mal kam der 26. Juni 1910. Man brachte mich zur Taufe in die Johanniskirche. Pastor Bernitt vollzog die Taufe. Mutter sagte mir später, dass das bei Donner und Blitz geschah. Der Taufspruch stammte aus den Sprüchen Salomons 23, Vers 26, und da heißt es: „Gib mir, mein Sohn, dein Herz und lass deinen Augen meine Wege wohlgefallen.“ Eigenartig, nachher stellte ich fest, der Spruch passte für mein ferneres Leben.

In unserer Familie ging es wohl auf und ab, denn plötzlich bekamen meine Eltern, das Angebot einer Kellerwohnung, in der Knauerstraße 9. Hier haben wir wohl einige Zeit gewohnt. Meine Mutter ist oft mit mir, in der Karre, ausgefahren. Es ging zur Sengelmannstraße. Hinter der Kirche konnte ich spielen. Im Sommer konnte ich in der Alster baden, die Alsterdampfer machten Wellen, und ich jubelte.

Dann kam der Augenblick, dass man aus dem Keller aufsteigen konnte, denn siehe, in der Hinterhof-Terrasse wurde in der 2. Etage, im Haus Nummer 11c, eine Wohnung frei. Die Beleuchtung bestand noch aus Petroleumlampen.

Es war der 13.12.1913: Ich wurde aus der Wohnung geschickt, saß fröstelnd draußen auf der Treppe und sollte warten. Mein Vater gab mir zur Beruhigung eine getrocknete Feige. Ich spürte, mit Mutter ist irgend etwas nicht in Ordnung. An diesem Tag wurde meine Schwester geboren. Ich hörte später, bei dieser Geburt wäre meine Mutter fast verblutet. Gott sei Dank, alles verlief noch so, dass wir Mutter behalten durften. Ob ich mich zur Schwester, die den Namen Marie bekam, gefreut habe, weiß ich nicht mehr. Nur eines weiß ich, mit der Ruhe war es vorbei.

Kriegszeit

Am 1. August1914 war der Krieg ausgebrochen. War das eine Aufregung. Blöd war das Gesinge: „Siegreich woll’n wir Frankreich schlagen.“ Es sollte ein Krieg sein, den man bis Weihnachten beendet haben wollte.

An einem Abend, es war ein Sonnabend, saß ich in der Zinkbadewanne. Mutter machte das Licht aus und sagte: „Still!“ Über Hamburg brummte tatsächlich ein englisches Flugzeug.

Weihnachten wurde nun mit dem neuen Erdenbürger gefeiert. Mariechen äugte ganz erstaunt in die Kerzen. Das Fest wurde schon durch die Einberufung meines Vaters zum 23.1.1915 getrübt. Ausgerechnet jetzt, da wir ein neues Familienmitglied hatten, wie sollte es nur werden, wenn der Vater nicht mehr verdienen konnte. Vom Staat wurde dann doch durch Unterhaltszahlung geholfen. Die Kriegerfamilien bekamen eine Kriegsversorgung.

Die Verluste im Westen wurden immer größer, die Blockade gegen die Wirtschaft immer stärker, und nun wurden Lebensmittelkarten eingeführt. Die Stimmung war gedämpft. Die Verpflegung bestand hauptsächlich aus Kohl und Steckrüben. Oft bin ich mit einem Henkeltopf gegenüber zu der Badeanstalt gegangen und konnte dort im Keller den Topf mit Kohlsuppe füllen lassen.

Von Vater hörten wir, er müsse an die Ostfront. In den nächsten Jahren erlebte ich ihn nur mal im Urlaub oder wenn er im Lazarett lag.

1916-1922

1916 wurde ich eingeschult. Ich hatte es gut, brauchte nur über die Straße zu gehen und war in der Schule. Diese Schule in der Knauerstraße steht heute noch, sie hat auch den 2. Weltkrieg überdauert. Es war eine Knabenschule.

Mein erster Eindruck war: Lauter Mütter mit ihren Jungen warteten. Ein älterer Lehrer nahm uns in Empfang und hielt eine Ansprache. Dann ließ er uns die Klappen der Pulte öffnen und wieder schließen. Ganz langsam ging der Lernbetrieb mit den neuen Lesebüchern los.

Immer, wenn an der Front ein Sieg errungen war, gab es frei, und wir freuten uns. Im Westen tobte die Somme-Schlacht und forderte große Verluste. In Verdun ging es um die Festungswerke. Deutschland machte ein Friedensangebot, das wurde aber abgelehnt. Der Hass zwischen den Völkern war groß, Deutschland sollte nicht als gleichberechtigtes Mitglied der Völkergemeinschaft aufgenommen werden. Daraufhin wurde der U-Bootkrieg verschärft. Dann fand die berüchtigte Skagerrak-Schlacht statt, wo es weder Sieger noch Verlierer gab. Im November starb der österreichische Kaiser Franz Josef I. Durch unseren Beistandspakt mit Österreich, waren wir in den Krieg hineingezogen worden, ohne zu bedenken, dass eine Welt nur darauf wartete, Deutschland eins auf den Hut zu geben. Bismarck hatte damals vor einem Zweifrontenkrieg gewarnt, aber auf den alten Mann im Sachsenwald hatte ja niemand gehört.

Das Jahr 1917 sollte ein entscheidendes Jahr für uns Deutsche werden. Amerika trat in den Krieg ein. Noch etwas geschah in dieser Zeit, mit furchtbaren Folgen: Man brachte Lenin und sein Gefolge in einem bewachten Zug nach St. Petersburg, weil man hoffte, damit, den Krieg gegen Russland beenden zu können. Lenins Parole hieß: Alle Macht den Sowjets, den Räten, alles Land den Bauern. In Russland brach die Revolution aus. Der Zar musste abdanken und wurde ermordet. Der Adelsstand sollte vernichtet werden, ebenso alle oppositionellen Kräfte. Ein ungeheures Blutvergießen begann. An der Westfront tobte der Kampf mit unverminderter Härte weiter.

Doch nun wieder zu meiner Familie. Mein Vater war auf Urlaub da und beaufsichtigte meine Schulaufgaben. Er schimpfte über mein Stottern beim Lesen, und ich bekam eine Kopfnuss. „Was hab ich doch für einen Dummbüdel von Jungen“, sagte er. Na, eine Leuchte war ich in der Schule nicht, obwohl mein Lehrer, Herr Drehsten, sich große Mühe mit mir gab. Er war ein guter Lehrer, der es verstand, uns Pflanzen und Blumen nahe zu bringen, wenn wir mit ihm unterwegs waren. Im Sommer liefen wir meist barfuß, auch zur Schule. Man musste ja sparsam mit dem Schuhzeug sein. Dadurch gab es öfter Verletzungen der Füße.

Aus welchen Gründen mein Großvater dann zu uns zog, weiß ich nicht mehr. Vielleicht, weil er in der Nähe seinen Berufskeller hatte, wo er sich immer umzog. Wir haben ihn dort oft besucht, Marie in der Karre und ich nebenher. Wahrscheinlich war das Verhältnis zu der Tochter besser geworden. Jedenfalls lernte ich meinen Großvater als einen lustigen Menschen kennen. Wenn wir mal mit ihm unterwegs in einem Lokal einkehrten und dort stand ein Klavier, dann setzte er sich an das Instrument und spielte viele Lieder, alles ohne Noten. Wenn wir ihn in seiner Klause oben auf dem Dachboden besuchten, spielte er auf dem Schifferklavier viele Kinderlieder. Er hatte ja inzwischen dies Dachzimmer über unserer Wohnung bezogen. Er besaß auch eine Zither, auf der versuchte meine Schwester zu spielen. Oft sang er lustige Reime. So zu Beispiel: „Als alte Jungfer sterben, das muss gar schrecklich sein, das kommt von all den Körben, wohl in der Jugendzeit.“ Oder: „Die Zähne, die hat sie vom Zahnarzt...“ Wenn er bei uns in der Küche war, hüpfte er herum und sang: „Wenn ich einmal sterb, sterb, dann sollen mich zehn Jungfern tragen und die Zither schlagen.“ Wir hatten das Empfinden, wenn Vater nicht da war, fühlte er sich unten bei uns wohl. Wenn Vater auf Urlaub war, blieb er meistens in seinem Stübchen oder kam selten zu uns runter.

Das Verhältnis zu der Großmutter war kühlerer Natur. Meinen Großvater Karl mit dem Barte, den mochte ich gern. Oft hat er mir einen kleinen Wunsch erfüllt.

Dies Kriegsjahr war schlimm, die Blockade wurde schärfer, ebenso der U-Bootkrieg. An der Front im Westen wurde Giftgas eingesetzt. Die Feinde rollten mit den ersten Panzern über die Schützengräben. In der Heimat wurden Anleihen aufgelegt. Ein Spruch ging um: „Gold gab ich für Eisen.“ Es wurde Gold gesammelt und dafür gab es Eisenplaketten. Die Frauen waren längst in die Wirtschaft eingespannt. Mutter hatte eine Stelle zum Austragen von Zeitungen angenommen. Ich marschierte mit ihr zur Gegend um die Rothenbaumchaussee und half beim Austragen. Es war oft ein mühseliges Geschäft, nachmittags unterwegs zu sein und das bei jedem Wetter. Oft musste ich den weiten Weg nach Hause allein traben. Mutter war schon mit der Straßenbahn gefahren. Es regnete und ich dachte mir, was Mutter kann, kann ich auch. Also auf, in die nächste überfüllte Bahn, und das ohne Geld. Wer aber entdeckte mich da? Mutter! Sie flüsterte mir zu: „Du bist wohl nicht zu retten, du Lausebengel.“

An der Ostfront wurde es bald ruhig, denn mit Russland begannen Verhandlungen wegen eines Waffenstillstands. Lenin erlangte die absolute Diktatur über Russland. Am 8.06.1918 verkündete Amerikas Präsident, Wilson, ein 14-Punkteprogramm. Für Deutschland zeichnete sich am Horizont langsam eine Niederlage ab. Österreich brach aus der Waffenbrüderschaft aus und nahm die Waffenstillstandsbedingungen der Alliierten an.

Für uns Kinder wirkte sich die Hungerblockade böse aus. Wir waren alle ziemlich unterernährt. Bei meiner Schwester wirkte sich die Rachitis so aus, dass sie erst sehr spät laufen lernte. Wer war der Leidtragende? Der Bruder musste sie in der Karre spazieren fahren. Manchmal wurde mir das zu dumm. Ich kippte die Karre um, Mariechen lag mit großem Geschrei auf dem Erdboden. Mutter kam in Windeseile angerannt und schimpfte: „Der Bengel ist zu nichts zu gebrauchen.“ Ich aber war frei vom Ausfahren und konnte mit meinen Freunden spielen. Wir hatten etliche Spiele, je nach Jahreszeit. Oft wurde Kriegen gespielt rund um den Häuserblock Knauerstraße – Schrammsweg – Kellinghusenstraße - Goernestraße und zum Anschlagmal wieder zur Knauerstraße. Dann gab es Kreiselspiel und Messersteck. Langeweile kannten wir nicht.

Am 9. November1918 war Kriegsschluss. Bei uns in der Goernestraße liefen Matrosen herum und schossen. Wir haben uns versteckt, bis der Aufstand vorbei war. Der deutsche Kaiser musste abdanken und ging mit großem Gepäck nach Holland. Wir Kinder sangen damals oft: „O, Tannenbaum, der Kaiser hat in`n Sack gehau’n.“

In Versailles wurden Friedensbedingungen ausgehandelt. Die Franzosen kannten kein Pardon gegen Deutschland, der Hass war groß. In den damaligen Bedingungen (8% von Deutschland wurde abgetrennt, Reparationen in unglaublicher Höhe, Danzig als Freistaat mit einem Korridor durch Polen) lag schon der Keim eines neuen Krieges. Was politisch so um uns herum vorging, war uns schnuppe. Wir hatten unsere Kinderwelt. Wir ärgerten die Uddels (Polizisten) beim Ausmachen der Laternen und waren im Herbst oft an der Planke des Bürgermeisterparks und klauten die Birnen vom Spalier.

In der Schule fiel der Unterricht oft wegen Kohlenmangel aus. Unser Hunger war meist nicht zu stillen. Mutter gab uns dann eine Scheibe Steckrüben, damit unser Betteln aufhörte. Zu der Zeit kümmerte sich ein Judenkomitee um Bedürftige. Eine Dame kam öfter zu uns und brachte Kleidung. Wir bekamen jeden Tag Lebertran.

1919 gab es eine Schulspeisung, die von den Quäkern, einer religiösen Gruppe aus Amerika, durchgeführt wurde. Sie war nur für ganz besonders bedürftige Kinder gedacht. Weil wir angeblich nicht dazu gehörten, standen wir oft an der Tür, wo das Essen ausgegeben wurde, in der Hoffnung auch etwas zu bekommen. Einmal in der Woche gab es Schokoladensuppe und Weißbrot. Wenn wir Glück hatten, durften wir die Milchkannen auskratzen, da war immer noch allerlei drin.

Die Geldentwertung nahm immer mehr zu, es war alles sehr teuer geworden. Vater, der wieder bei seiner Firma angefangen hatte zu arbeiten, musste sich beeilen, wenn er sein Geld bekam, damit sofort etwas dafür gekauft wurde, sonst war es schon wieder wertlos. Ab und zu gab es im Angebot auch Pferdefleisch. Um etwas davon zu ergattern, wurde ich schon morgens um 5 Uhr in Marsch gesetzt. Ich musste mich dann in die Schlange der Wartenden einreihen, hatte Glück, bekam ein Stück Beinfleisch, und wir alle freuten uns. Mutter konnte nun endlich eine Suppe kochen, wo mehr (Fett-) Augen heraus als hinein schauten.

Sonntags ging ich mit meiner Schwester zur Sonntagsschule, die in einem Gartenhaus gehalten wurde. Das Haus gehörte den Guttemplern und steht heute noch. Die Frauen in der Sonntagsschule gaben sich viel Mühe, uns die biblischen Geschichten und die Lieder beizubringen.

An einem Sonntag machten wir mit ihnen einen Ausflug nach Rissen. Immer aber musste ich auf meine Schwester aufpassen, die mir mit ihrem Geplärre oft auf den Keks ging. Ich hatte in diesem Alter um 10 nichts im Sinn mit Mädchen, es hätte sie gar nicht zu geben brauchen.

Im Herbst, wenn der Sturm die Bäume geschüttelt hatte und viele Äste auf der Erde lagen, ging Mutter mit uns und einem leeren Kinderwagen los, um Holz zu sammeln. Das Brennholz war knapp. Wir mussten oft bis zum Borsteler Moor mitmarschieren. Uns gegenüber befand sich die Badeanstalt in der Kellinghusenstraße. Dort wurde Koks angeliefert. Die Wagen wurden scharf bewacht, so dass es nicht möglich war, Koksstücke zu ergattern. Wenn aber die Asche auf die Straße geschüttet wurde, um dort später abgeholt zu werden, waren wir Kinder eifrig dabei, die kleinen unverbrannten Koksstücke heraus zu klauben. Es kam allerlei zusammen, um damit zu heizen, und Mutter freute sich, wir hatten eine warme Stube. Langsam besserte sich die Versorgungslage. Wir konnten öfter Pferdefleisch erstehen.

Die Großen hatten so viel zu erzählen. Als man einmal bei den Kriegserlebnissen ankam, sagte mein Vater zu mir: „Sollte es noch einmal dazu kommen, nimm das Gewehr und haue es ihnen um die Ohren.“ Ja, wer ahnte damals wohl, dass der Rummel in 20 Jahren wieder los gehen würde.

In Europa wütete eine Grippeepidemie, die viele Millionen Menschen dahin raffte. Auch unsere Mutter wurde furchtbar geplagt von dieser Krankheit und wir fürchteten, sie könnte ihr erliegen. Wie froh waren wir, dass sie diese Krankheit überstand.

1919 war in Hamburg der Aufstand der Spartakus-Kommunisten. Bei dem Kampf gegen die Polizei, die für Ordnung sorgen sollte, kamen auch viele Polizisten ums Leben. Wir Kinder erlebten den langen Trauerzug mit den Särgen, an der Kellinghusenstraße. Wir waren schockiert über das Bild, das sich uns dort bot. Diese Toten liegen in Ohlsdorf bei der Blutbuche, als Mahnung an den Blutsonntag.

Ich konnte eine Laufstelle in der Eppendorfer Landstraße ergattern. Es war das Wild- und Geflügelgeschäft von Witthoeft. Morgens musste ich mit einer Karre voller Eisblöcke zu den Kunden fahren. In einem Eimer wurden aus jedem Block kleine Eisstücke geschlagen, die dann in den Haushalten gebraucht wurden, um in dem mit Zink ausgeschlagenen Eisschrank die Speisen zu kühlen. Diese Tätigkeit konnte ich aber nur in den großen Ferien ausführen. Nach dem Eisaustragen, waren dann die bestellten Pakete mit Wild oder Geflügel zu den Kunden zu bringen. Oft bereiteten wir das Geflügel vor zum Einfrieren und fuhren damit zum Kühlhaus in der Kampstraße. War das aber kalt da drinnen, ich war immer froh, wieder draußen zu sein. Auf dieser Laufstelle bin ich gern gewesen. Ich sah, wie die Hühner zurecht gemacht wurden oder wie das verschiedene Wildbret zerkleinert wurde. Oft gab es auch ein gutes Stück mit zum Essen. Ich glaube, der Konfirmandenunterricht machte dieser Stelle später ein Ende.

Ich machte oft einen Besuch in der Bankstraße. Dort hatte mein Großvater in einem Keller seine Klempnerwerkstatt. Manchmal bettelte ich um eine Taschenlampenbatterie, die er mir auch gern gab. Mein Vater war in dieser schlimmen Zeit der Geldentwertung hier bei seinem Vater in Lohn und Brot. Die Großmutter bewohnte mit den meisten Kindern in der Bankstraße eine große Wohnung.

Wenn meine Eltern uns am Sonntag mal los sein wollten, gab es ein paar Groschen, und wir durften zur Kindervorstellung ins Kino. Ein Kino war in der Alsterdorferstraße, ein anderes in der Straße Im Tale. Meistens waren es Indianerfilme, die wir sahen. Während der Vorstellung klimperte ein Mann am Klavier, denn den Tonfilm gab es noch nicht. Abends übte ich fleißig auf der Mundharmonika, bis ich das erste Lied spielen konnte: „An der Saale hellem Strande...“

Ich bastelte einen Kaninchenstall, den bald ein Kaninchen bewohnte. Jetzt musste jeden Tag für Futter gesorgt werden. Was zuerst nur Spaß machte, nun aber in Arbeit ausartete, wurde zur Last. Der Käfig stand auf dem Dachboden und musste ja auch sauber gehalten werden. Das ging dann doch nicht lange gut. Das Tier wurde geschlachtet aber ich konnte kein Stück davon essen.

Dann kam eine Zeit, wo wir Jungen alles mögliche bastelten. Beliebt waren Flugzeuge mit Propeller, die mit einem Gummiband aufgezogen wurden. Unsere Fertigkeit im Bau von Doppeldeckern war erstaunlich. Zwei Unfälle musste ich verzeichnen. Einmal glitt mir beim Schnitzen das Messer aus und fuhr in den Daumen, so tief, dass man die Stelle heute noch sehen kann. Beim Basteln kann man ja allerlei Dinge gebrauchen, so fand ich eines Tages irgendwo eine Patrone. Wahrscheinlich hatte Vater sie als Andenken mitgebracht. Ich wollte sie für mein Flugzeug gebrauchen. An der Patrone befand sich ein Stift, wahrscheinlich der Zünder, wovon ich aber keine Ahnung hatte. Dieser Stift störte mich. Also ging ich zum Hauklotz, der neben dem Herd stand, um das Holz zu zerkleinern. Dort arbeitete ich ja auch sonst mit meinen Schnitzereien. Nun wollte ich hier den Stift aus der Patrone entfernen. Der aber rührte sich nicht. Ich, so blöd wie ich war, nahm das Ding in den Mund und versuchte den Stift mit den Zähnen zu lockern. Auch das ging nicht. So nahm ich die Patrone zwischen die Finger und legte sie auf den Hauklotz und schlug mit dem Hammer darauf. Dann gab es einen lauten Knall und das Ding flog in den Ofen. Ein Schuss in den Ofen! Wiedergefunden hab ich das Ding nicht. Danach kam mir die Erleuchtung, was wäre gewesen, wenn das im Mund passiert wäre, nicht auszudenken. Auch hier musste ich einen Schutzengel gehabt haben.

Vielleicht noch etwas zum Turnunterricht. Ich war kein guter Turner, hing wie ein nasser Sack am Reck, Bockspringen und Barren wurden mit Mühe genommen. Dafür war ich aber draußen beim Schlagballspielen nicht zu schlagen.

Dann kam das Pflichtfach Schwimmen. Erst wurden in der Turnhalle Trockenübungen gemacht, auch zu Hause übte ich die Schwimmbewegungen. Später dann, im Kellinghusenbad war ich einer der Ersten, die sich freischwammen. Unsere Schwimmleidenschaft war groß. Auch nach dem Unterricht wollten wir gern zum Schwimmen. Doch den Groschen, den der Eintritt kostete, hatten wir nicht. Da kam uns eine tolle Idee. Wir stellten uns an die Kasse und wenn dann die Hafenarbeiter kamen, um nach der Arbeit ein Bad zu nehmen, bettelten wir um den Groschen. Meistens mit Erfolg. Wir warteten bis auch der Letzte sein Geld hatte und dann rein ins Vergnügen. Vorher hatte der einarmige Bademeister die Uhrzeit mit Blaustift auf der Badekarte vermerkt, wehe, wir hatten die Badezeit überschritten. Wenn wir dann an seinem Schalter vorbei mussten, bekamen wir etwas mit einer nassen Badehose um die Ohren. Das passierte uns aber nur einmal, später flitzten wir wie die Wiesel an seinem Fenster vorbei.

1923-1924

Dann kam der Tag, da Mutter mit mir zur Andreaskirche in der Bogenstraße ging, um mich bei Pastor Bernitt zum Konfirmandenunterricht anzumelden. Ich habe oft über den weiten Weg von der Knauerstraße zur Bogenstraße gestöhnt. Die Eltern meinten, weil Pastor Bernitt mich getauft hätte, sollte ich auch dort konfirmiert werden.

CVJM Esplanade – Klempner-Lehre – Klempnergeselle

Vorher gab es aber noch ein anderes Ereignis. In unserer Straße lernte ich einen Jungen, Kurt Beisinger, kennen. Wir freundeten uns an und spielten zusammen, bauten hinten in seinem Garten eine Erdhöhle und hatten so unser Vergnügen. Eines Tages erzählte er mir, er sei in einer Jungengruppe in der Esplanade 12, im dortigen CVJM. Da ginge es toll her, Geschichten würden erzählt, Brettspiele gebe es und zum Schluss würde eine Andacht gehalten. Der Leiter, Herr Bock, wäre ein prima Mann. Nun, ich sollte doch einmal mitkommen und mir das ansehen, es wäre ein schönes Haus, sogar mit einer Turnhalle. Ich habe meine Mutter dann bedrängelt, bis ich mit Kurt den weiten Weg in die Innenstadt machen durfte. Das Vereinshaus war ein großes Gebäude, als Eingang eine große Doppeltür mit einem gekachelten Flur, der nach hinten zur Turnhalle und zu einem großen Saal führte. An den Tischen saßen Jungen in unserem Alter und spielten Brettspiele. Außerdem standen in dem Zimmer ein Bücherschrank und ein Klavier. Wir wurden von dem Leiter sehr herzlich begrüßt und konnten erst mal spielen. Später wurden die Spiele eingesammelt, und der Leiter erzählte eine spannende Geschichte, von der wurde für später eine Fortsetzung angekündigt. Zum Schluss wurde eine Andacht gehalten. Das Thema war die Sturmstillung. Noch heute, nach fast 70 Jahren klingt mir das Lied im Ohr: „Mächtig tobt des Sturmes Brausen, um ein kleines Schiff, Jesus kommt, um uns zu erretten, er führt dich nach Haus.“ Ohne zu wissen, was diese Einführung für mein Leben bedeuten sollte, gingen wir beide, Kurt und ich, seit 1923 immer wieder in den Verein.

Schäferhof

Eines Tages gab uns Hans Bock einen Zettel mit einer Einladung zu einem Jungenlager in Schäferhof bei Appen. Natürlich habe ich meine Eltern gelöchert, mir die Teilnahme zu erlauben. Endlich ging Mutter mit zum CVJM, um auch die finanzielle Seite zu klären, wir hatten es ja nicht so dicke. Dann kam der Tag der Abfahrt. Mit einer großen Gruppe ging ich mit meinem kleinen Gepäck zum Dammtorbahnhof. Von dort fuhren wir dann für 14 Tage mit dem Bummelzug nach Pinneberg. An der Kirche sammelten wir uns dort mit anderen Jungengruppen, und dann ging der Marsch auf der Landstraße Richtung Appen-Schäferhof. Hier auf dem Gelände der Arbeiterkolonie hatte der CVJM schon seit Jahren sein Freizeitgelände. Einige Männer wie von Stockhausen, Hermann Geißler und Sechinger hatten diesen Platz gepachtet. Im Wald war ein großes Zeltlager mit tollen Hauszelten. Die waren innen abgeteilt zu Schlafstätten, die mit Stroh gefüllt waren. Etwas höher gab es dann eine Ablage für das Gepäck. Leider war für uns Jüngere dort keinen Platz, vielleicht war das Zeltlager überbelegt, jedenfalls mussten wir in die geräumten Jungtierställe. Dort hatten wir unsere Strohsäcke, und wir schliefen auch hier prima. Abends kam ein Leiter des Lagers, wir sangen ein Abendlied, und er sprach das Nachtgebet.

Morgens wurden Waschschalen mit Pumpenwasser gefüllt und sich gewaschen, puh, war das Wasser kalt. Unser Strohlager wurde aufgeschüttelt, Ordnung musste sein. Dann ging es zur großen Buche. Da waren Tische und Bänke aufgestellt. Am Küchenhaus stand ein langer Tisch, an dem die Lagerleiter saßen, daneben auf Böcken die Töpfe mit Suppe. Meistens gab es Haferflockensuppe und eine große Semmel. Nach dem Tischgebet wurde das Essen ausgegeben.

Aus Kiel und Umgebung hatten wir Realschüler, die schon 14-16 Jahre alt waren. Die schliefen in den Zelten, mussten zeltweise die Nachtwache stellen. Der jeweils Verantwortliche einer Gruppe musste dann einen Wachbericht über die Nacht schreiben. Das wurde oft in Gedichtform geschrieben und nach einer bekannten Melodie gesungen. Hermann Geißler spielte dann dazu auf der Klampfe. Nach dem Essen saßen wir auf einer Wiese hinter dem Wald und hielten eine Bibelarbeit, die für uns sehr verständlich dargebracht wurde. Überhaupt hat uns das Lagerleben viel Spaß gemacht. Wenn es zu heiß war, ging es zum Karpfenteich, dort gab es ein altes Rettungsboot, auf dem wir herumtollten, meistens mehr unter Wasser als darüber.

Wir erlebten viele Überraschungen. Einmal wurden Spaten und Schaufeln ausgegeben, und es ging zu einer nahe gelegenen Sandkuhle. Da war ein sogenannter Burggraben, vor dem Gelände ein Sandturm und in der Mitte des Burggrabens ein Hügel. Dies Gelände hatte den Namen Treuburg. Draußen vor diesem Gelände gab es einen Gedenkstein mit dem Namen seines Gründers, von Stockhausen. Dieser war auch 1912, der Erbauer des Elbtunnels. Leider ist er schon gleich zu Beginn des ersten Weltkriegs gefallen.

Also, unter Beratung unserer Leiter wurde die Treuburg wieder für einen großen Burgenkampf hergerichtet. Der Sandturm wurde mit Grassoden befestigt, die Burg und der Wall neu aufgeschüttet. Auf dem Hügel errichteten wir einen Turm mit Stangen und verkleideten ihn mit Zeltbahnen. Als alles fertig war, sah das Ganze recht imposant aus. Vorher wurde mit Speeren, die ich noch nicht kannte, geübt. Wir waren ca. 150 Jungen im Lager, diese wurden in zwei Abteilungen, mit je einem Heerführer, eingeteilt. Eine Abteilung bekam die Farbe blau, die andere rot. Als wir dann ins Gelände marschierten sangen die einen: „Rot ist die Liebe und blau kriegt die Hiebe.“ Die anderen sangen: „Blau ist die Treue und rot bekommt Bläue.“

Eines Tages wurden wir wieder in zwei Abteilungen, rot und blau eingeteilt. Jede Abteilung nahm am Haus aus der Kammer, wo viele Gerätschaften aufbewahrt wurden, die Speere entgegen, zwei für jeden. Diese Speere waren aus Bambusstangen und hatten an der Spitze ein dickes Polster, damit man sich nicht verletzen konnte. Dann gab es auch noch ein Stück Kreide. Bevor nun der Kampf gegen die andere Abteilung losging, wurde das dicke Ende des Speers mit Kreide eingerieben und dann der Speer gegen den Gegner geschleudert. Wer auf seiner Kleidung einen Kreidefleck hatte, musste aus dem Kampfgetümmel ausscheiden, was der Kämpfer ungern tat. Aber der Schiedsrichter holte ihn heraus und stellte ihn an die Seite. Da machten dann die „Toten“ dann das meiste Geschrei, um ihre Mannschaft zum Sieg anzuspornen. Die Abteilung mit den meisten Überlebenden hatte gewonnen und durfte geschmückt mit Eichenlaub ins Lager einziehen. Dort gab es einen Jubelempfang, und der Sieg wurde noch lange gefeiert.

Beim Essen sang Hermann Geißler oft Lieder zur Laute. Und dann im Chor der Ruf nach Post, die immer mit großem Hallo ausgeteilt wurde.

Ein Höhepunkt des Lagers war der Treuburgkampf. Schon früh am Tag rückten beiden Gruppen aus, die einen als Verteidiger, die anderen als Angreifer. War das eine Aufregung, denn die Angreifer durften sich nicht von den Verteidigern überraschen lassen. Diese waren auf der Hut und hatten im Gelände kleine Trupps im Hinterhalt. Bis wir endlich das Vorwerk genommen hatten, waren schon etliche auf der Strecke geblieben und waren nun Zuschauer. Es war ein hartes Ding, bis wir die Burg geknackt hatten, da mussten noch viele ausscheiden. Selten geschah es, dass die Verteidiger gewannen. Nach dem Kampf zogen wir staubbedeckt zum Karpfenteich, um uns zu säubern. Nach diesem Kampftag konnten wir dann bei schönstem Sonnenschein mit Kaffee und Kuchen Abschied feiern.

Für mich war dieses Schäferhofer-Lager ein großes Erlebnis. Als wir nach den Ferien in der Klasse bei unserem Lehrer Prätorius, den wir sehr schätzten, unsere Ferienerlebnisse zum besten gaben, staunten alle über meinen Bericht, so etwas hatte man noch nicht erlebt. Etwas ist mir von diesem letzten Tag besonders im Gedächtnis geblieben. Als wir vom Dammtorbahnhof zum Vereinshaus marschierten, sah ich auf dem Weg eine Obstkarre. Dort war der Preis für ein Pfund Pflaumen mit 1000 Mark verzeichnet. Ich konnte es nicht fassen, wie konnten nur die Preise so klettern. Im Vereinshaus nahmen wir dann Abschied von den Lagerleitern. Dies war eine der schönsten Erinnerung meiner Kindheit.

Danach kam wieder der Alltagstrott, Schule, Konfirmandenunterricht, leider war der Pastor oft krank.

Es kam nun die Frage, was nach der Schulzeit werden würde. Vater meinte, ich solle doch auch Klempner und Mechaniker werden, denn beim Großvater in der Bankstraße hätte ich mich beim Löten ganz gut angestellt. Damals war mein Vater schon bei einer Firma Schmidt in der Hansastraße, und dort war eine Lehrstelle frei. Vater nahm mich mit zur Vorstellung, und ich wurde angenommen. Jetzt wurde Arbeitszeug gekauft, ein Klempnerkittel und eine blaue lange Hose. Stolz bin ich mit der Büx durch die Straßen marschiert. Wir trugen ja sonst bis zur Schulentlassung kurze Hosen.

Der Konfirmationstag stand fest, es sollte der 23. März 1924 sein. Vorher war in der Turnhalle der Schule die Entlassungsfeier. Die war sehr feierlich, der Chor sang: „Nun zu guter Letzt, geben wir dir jetzt...“ Ansprachen wurden gehalten, Mutter war ganz gerührt. Dann kam der 23. März. Ich zog den Konfirmandenanzug an und musste dazu einen Hut aufsetzen, der mir gar nicht passte. Ich weiß heute noch, wir gingen die Eppendorfer Landstraße bis zur Bogenstraße. Die Pfützen waren gefroren. In der Kirche waren viele Eltern mit ihren Sprösslingen. Als wir zur Einsegnung vor dem Altar knieten, gab Pastor Bernitt mir den Spruch aus dem 73. Psalm: „Dennoch bleibe ich stets an dir, denn du hältst mich mit deiner Hand.“ Christus ist Gottes Hand.

Nach der Feier in der Kirche wurde zu Haus mit Freunden tüchtig gefeiert. Mariechen und ich haben uns bald verkrümelt. Diese Zecherei und Skatspielen waren nichts für uns.

1924-1927 – Klempner-Lehrzeit

Bis zum 1. April hatte ich noch Ferien. Dann hieß es: Jetzt beginnt der Ernst des Lebens. Ich musste meine Lehrstelle bei Firma Schmidt antreten. Diese Episode dauerte aber nur 4 Wochen. Vater war mit dem Betrieb nicht einverstanden, denn es stellte sich heraus, der Meister hatte mehr Lehrlinge als Gesellen. So kam es, dass wir uns in der freien Zeit wieder auf Lehrstellensuche machten. Dabei kamen wir in die Eichenstraße. In einem Lampengeschäft entdeckte ich ein Schild: Lehrling gesucht! Vater und ich sind dann am Abend gleich dort aufgekreuzt, und ich habe mich vorgestellt.

Der Meister, Herr Lampe, ein etwas älterer, recht kleiner Herr, machte auf uns einen guten Eindruck. Er erzählte uns einiges über seinen Betrieb. Sein Sohn, der mit im Geschäft arbeitete, sei in der Elektrobranche tätig und so könnte ich neben dem Beruf des Klempners und Mechanikers auch Elektriker lernen. Wir waren mit dem Angebot einverstanden und so wurde der Lehrvertrag geschlossen. Am 1. Mai 1924 konnte ich die Lehrstelle antreten.

Noch heute frage ich mich, warum musste es gerade diese Lehrstelle sein? Der Weg war doch ziemlich weit, aber ich habe unendlich viel gelernt und bin dafür jetzt noch dankbar. Zunächst war ich wohl über die Lage der Werkstatt etwas erstaunt. Sie lag hinten auf dem Hof. Um dorthin zu gelangen, musste man durch den langen Wohnungskorridor. In der Werkstatt roch es immer nach Hühnerdreck, daran musste man sich erst gewöhnen. Die etwas hagere Frau Meisterin hielt im Garten Hühner. Mein Lehrkollege war ein langer Kerl, der schon im dritten Lehrjahr war und mich als den Jüngsten anlernen musste.

Hier bei Meister Lampe wurde ich ordentlich in das Handwerk eingewiesen. Zuerst hieß es, am Sonnabend die Werkstatt aufzuräumen. Aller Dreck von Werkbank und Fußboden musste ordentlich zusammen gefegt und in den Ascheimer befördert werden. Als ich am Montag in die Werkstatt kam, hatte der Meister den Inhalt des Ascheimers ausgeschüttet und alles Metall schön sortiert, hier Zink, dort Messing und Kupfer. Er zeigte auf die verschiedenen Häufchen und sagte nur: „Nicht noch einmal so mit dem Metall umgehen.“ Den Rüffel habe ich gut verdaut, und in Zukunft kam das nicht mehr vor.

Überhaupt war das erste Lehrjahr sehr interessant. Ich wurde von dem Gesellen viel mit auf Kundschaft genommen. Dabei lernte ich Menschen und ihre Wohnungen kennen. Die Firma Lampe war mehr auf solche Reparaturarbeiten eingestellt als auf große Bauten. In der Gegend waren sehr viele Beamte zu Hause, und oft stöhnte der Meister, dass sie sich so viel Zeit beim Bezahlen der Rechnungen ließen.

Mein erstes Lehrlingsgeld betrug 3 Mark in der Woche, die Löhne waren damals niedrig. Später bekam ich als Geselle einen Stundenlohn von 0,82 Reichsmark. Der Meister musste zusätzlich noch Urlaubsmarken kleben. Die Klempnerinnung war die erste, die diese Errungenschaft vor allen anderen Handwerksbetrieben einführte. So konnte der Geselle nach einem Jahr mit diesen Urlaubsmarken, die dann eingelöst wurden, unbeschwert in Urlaub gehen. Für mich war es bis dahin noch ein weiter Weg.

Unser Meister war die Sparsamkeit in Person, ebenso wie seine Frau, die auch selbst die Ladenscheibe putzte. Ihr Wahlspruch hieß: „Arbeit regiert die Welt und der Knüppel den Hund.“ Der Meister muss früh nach Hamburg gekommen sein, durch Fleiß und Sparsamkeit war er zum Besitzer von zwei Wohnhäusern geworden. Eines war das, in dem er in der Eichenstraße 27 wohnte, das andere befand sich in der Fruchtallee 5. Seine Sparsamkeit konnte man auch daran erkennen, dass er seine Lehrlinge mit der Schottschen Karre nach Barmbek schickte, um da bei den Gaswerken ein Fass Teer zu holen. Der Liter kostete 5 Pfennig. In der Eichenstraße wieder angekommen, wurde das Fass auf Brettern durch die Wohnung getrudelt, zum Hof hinaus zu einer Grube. Dort wurde der Teer in Eimer oder Kannen abgefüllt.

Bei einer der ersten Teerarbeiten auf einem Dach in der Eichenstraße, machte ich eine böse Erfahrung. Wir mussten die Teereimer bis zur Dachluke im 5. Stock hinauftragen. Das Pappdach war sehr schräge. Der Meister, der Geselle und ich machten uns fertig zum Dachteeren mit dem Teerbesen. Der Meister zeigte mir, wie der Teer ausgeschrubbt wird. Dabei waren ein paar Tropfen vom Besen auf das Dach gekleckert, ich rutschte darauf aus und stieß den vollen Teereimer um. Bei der großen Schrägung rutschte der Eimer immer schneller auf die Dachkante zu, und keiner konnte ihn aufhalten. Am Ende des Daches kippte der Eimer über die Mansarde und sein Inhalt ergoss sich nach unten. Einige Fenster waren offen, und es hing auch Wäsche draußen. Der Teer verschonte weder Fenster noch Wäsche. Der leere Eimer polterte in den Garten. Nun musste ich mit Petroleum die Fenster wieder reinigen. Eigenartig, mein Meister schalt mich überhaupt nicht aus, er war wohl froh, dass keiner zu Schaden gekommen war. Ich denke, alles andere hat die Versicherung bezahlt.

In der Werkstatt zeigte mir der Meister, wie die vielen Kochtöpfe, die zur Reparatur gebracht wurden, geflickt werden konnten. Es waren Pütt und Pann, manchmal auch ein großer Waschtopf. Die undichte Stelle oder das Loch wurden am Schleifstein gereinigt, ein entsprechend großer Blechflicken wurde dann aufgelötet. Zum Schluss wurde das Gefäß mit Wasser gefüllt, um zu prüfen ob es dicht war. Der Meister hatte mit dieser Arbeit, die ja auch von Lehrlingen gemacht werden konnte, einen guten Nebenverdienst. Es gab viel zu reparieren. Die Badewannen und die Waschbecken waren ja damals aus Zink, dazu kamen die kupfernen Badeöfen, bei denen der Boden oder das Flammrohr durch unsachgemäßes Heizen oft zerfressen waren.

Ich durfte viel lernen. Wenn ein neuer Badeofen gesetzt wurde, musste auch getöpfert werden. Manchmal musste der Steinfußboden oder eine aufgeschlagene Wand wieder vermauert werden.

Mit dem jungen Meister ging es auf Montage, da wurde dann eine Wohnung mit elektrischen Brennstellen versehen. Die meisten Wohnungen in dieser Gegend hatten noch Gas zum Beleuchten. Viele Leute wollten vom Gas loskommen. Es war gefährlich, und die Glühstrümpfe mussten sehr oft erneuert werden. Dazu schickte mich der Meister oft in die Häuser, nachdem der Meister mir das Aufsetzen der Glühstrümpfe beigebracht hatte. Man musste diese Dinger vorsichtig aufsetzen und dann abbrennen, wehe, man berührte den Strumpf, dann zerfiel er.

Ich muss schon sagen, mein Beruf machte mir viel Spaß, wenn ich auch abends müde ins Bett fiel. Mein Vater fragte oft, was den ganzen Tag so los war. Er wollte ja, dass ich auch richtig etwas lernte.

Schwer war es, wenn in einer Wohnung die Zinkbadewanne durch eine emaillierte Gusswanne ersetzt wurde. Einmal mussten wir mit vier Mann so ein Ding mehrere Etagen raufschleppen. In der Badestube musste der Bleiboden, auf dem die neue Wanne stehen sollte, untersucht und ausgebessert werden. Oft musste auch der Dreck von mehreren Jahren beseitigt werden, denn die Hausfrau konnte vorher nie hinter und unter die Wanne kommen.

Mit dem jungen Meister war ich gern unterwegs, um elektrische Leitungen zu legen. Zuerst war ich gespannt, wie wohl der Draht in die Mitte der Zimmerdecke käme. Dort hing ja vorher die Gaslampe, die wurde entfernt und die Gasleitung mit einem Kapphaken verschlossen. Damals hatten wir keine elektrische Bohrmaschine, wir machten die Löcher mit einem Rohrbohrer, der beim Lochschlagen immer gedreht werden musste, sonst könnte auf der anderen Seite ein Stein herausfliegen, dies geschah auch manchmal.

Eines musste man dem jungen Meister lassen, er sah sehr auf Sauberkeit. Beim Schlagen oder Bohren wurde stets eine Schaufel oder ein Karton untergehalten. Wenn etwas vorbei fiel, wurde es sofort aufgefegt, es sollte so wenig Schmutz wie möglich geben. Die Hausfrau war dann auch immer froh darüber. Nachmittags gab es dann oft eine Tasse Kaffee mit einem Keks.

Nun aber kurz die Erklärung, wie der Draht in die Mitte der Decke kam, ohne dass er zu sehen war. Meistens hatten diese Altbauwohnungen in den Stubendecken eine Gipskehle. Vom Korridor wurde ein Loch geschlagen, um in den Hohlraum zu gelangen. Die Gipskehle wurde aufgeschnitten und in der Mitte der Decke ein Loch gebohrt, um in den Blindboden der Decke zu gelangen. Mit einem dünnen Draht wurde nun versucht, von der Mitte bis zu der Gipskehle zu gelangen und dort wurde der Draht mit einem Gegendraht herausgezogen. Daran wurde nun der Leitungsdraht gebunden und zur Mitte gezogen. Nun war die Leitung in der Decke und viele staunten, wie das möglich war. Ich selber wurde zum Gipsen angelernt und konnte später die ausgesägten Gipsstücke so gut wieder einsetzen, dass man die Stelle nicht mehr erkennen konnte.

Lange Zeit war ich begeisterter Strippenzieher, wie man den Elektriker nannte. Mein Vater hat dann dem Meister klargemacht, der Junge soll doch den Klempner- und Mechanikerberuf erlernen. Aber noch war ich von dem Elektrikerberuf wie besessen. Es gab ja so viele Neuigkeiten. Die Kronleuchter, die mit Gas gespeist wurden, mussten auf elektrisch umgearbeitet werden. Dabei mussten Drähte eingezogen und Fassungen montiert werden. Einmal passierte es mir, dass ein Glasarm der Krone entzwei ging. Da war ich aber in Druck. Der Meister sagte: „Sieh mal zu, wie du das wieder in Ordnung bringst.“ So bin ich bis zur Feldbrunnenstraße gelaufen. Dort fand ich einen Glasschleifer, der mir den Schaden in Ordnung brachte. Ich hatte doch einen Bammel gehabt, ich dachte, ich müsste die Glaskrone ersetzen.

Wenn eine Wohnung fertig installiert war, kam der spannende Augenblick, wenn der Beamte von den HEW den Zähler anbrachte und die Lampen angingen. Die Bewohner solcher Wohnung freuten sich riesig über das neue Licht. Auch ich hatte meinen Spaß und dazu das Trinkgeld. Oft war ich um 21 Uhr noch nicht im Haus, und mein Vater erkundigte sich beim Meister, was denn los sei. Der Meister sagte dann, der Junge ist nicht von der Arbeit wegzubringen.

So kam Weihnachten 1924 heran. Es war ein trauriges Fest, denn Vater lag mit einer schweren Lungenentzündung im Bett. Mutter machte sich große Sorgen, denn Vater war aus dem Krieg schon nicht als Gesunder heimgekehrt. Er hatte ein Kehlkopfleiden. Natürlich kam der Arzt mehrere Male. Mutter kochte dann eine kräftige Hühnerbrühe und langsam ging es besser. Wir bekamen dann doch noch unsere Geschenke, Marie ihre Puppe und ich mein Buch: „Quer durch die Wüste Gobi“ von Sven Hedin. Später gab es noch ein Buch: „Mit Stanley durch Afrika“. Ich hatte solche Lektüre sehr gern, die Schilderungen von Land und Leuten fand ich spannend.

Zum Jahresende 1924 musste in der Fachschule ein Probestück abgeliefert werden. Bei mir war es ein Wasserkastenschwimmer aus Zink, der sauber gelötet sein musste. Für gute Arbeit gab es eine besondere Zensur und der Meister bekam ein Lob für gute Lehrlingsbetreuung.

Das Jahr 1925 war für mich besonders inhaltsreich. Meine Zeugnisse waren ganz gut geraten, und die Schulleitung meinte, der Lehrling müsse in eine andere Klasse, wo mehr gefordert würde. Das geschah dann auch. Ganz leicht war es in dieser Klasse zunächst nicht. Es waren da etliche Meistersöhne, die eine andere Schulbildung genossen hatten. Auch war ihre Art oft recht überheblich. Zum Glück fand ich später einen Freund, der auch im Wesen zu mir passte.

In unserem Betrieb in der Eichenstraße war viel los. Die heißen Sommertage wurden zum Dachteeren genutzt. Es gab in der Gegend viele Pappdächer, die nach Jahren immer wieder geteert werden mussten. Wenn das nicht rechtzeitig geschehen war, musste das ganze Dach neu mit Dachpappe gedeckt werden. Dazu wurde eine Klebemasse gebraucht, die auf einem Ofen gekocht wurde. Dabei musste man höllisch aufpassen, damit die Masse nicht überkochte. So langsam gewöhnte ich mich an die Höhenluft, denn man musste schon schwindelfrei sein. Die Dächer hatten nach hinten ausgebaute Mansarden, diese Schrägen mussten auch geteert werden. Nachdem nun feststand, dass ich schwindelfrei war, wurde ich ans Ende der Mansarde geschickt, um diese zu teeren. Dabei stand man in der Dachrinne und wenn die voll Klebemasse war, blieb man mit dem Schuh darin stecken und kam nur mit Mühe wieder frei. Eigentlich gab es eine Vorschrift, dass man diese Arbeit nur angebunden machen sollte, aber darunter litt die Beweglichkeit. Manchmal war es auf dem Dach so heiß, dass wir öfter Pausen einlegen mussten. Ich wurde dann zum Milchhändler geschickt, um mehrere Liter Buttermilch zu holen. Oft hatte man Sehnsucht nach Urlaub, aber während der guten und heißen Tage ging das nicht, nur die Fachschule hatte Sommerpause. Später bekam ich im Herbst mal 3 Tage frei und war darüber schon ganz froh.

Eines Tages, ich hatte schon Feierabend, bekamen wir Besuch. Durch meine viele Arbeit beim Lehrmeister, hatte ich den CVJM ganz vergessen. Nun war der Leiter, Hans Bock, persönlich erschienen, um mich zur Jugendabteilung, die immer Sonntagabend stattfand, einzuladen. Ich war ganz gerührt, dass er den weiten Weg meinetwillen gemacht hatte, um den vergesslichen Jungen zurückzuholen.

Von meinem ehemaligen Freund, Kurt Beisinger, war nichts mehr zu sehen. Der musste seine eigenen Wege gegangen sein. Später hörte ich, er sei bei der Fliegerei gelandet und im Krieg mit dem Flugzeug abgestürzt.

Nun, am Sonntag ging ich dann den Weg zu den Colonaden. Im Heim traf ich eine muntere Schar von jungen Leuten. Es wurde gespielt, erzählt und von Wanderungen berichtet, die schon stattgefunden hatten oder noch geplant wurden. Dann setzten wir uns rund ums Klavier und Hermann Schmidt begleitete die Fahrtenlieder, die wir aus voller Kehle sangen. Zum Schluss wurde uns Gottes Wort ausgelegt und mit in die Woche gegeben. Mir gefielen diese Sonntagsstunden sehr, und ich löste mich langsam von der Klicke aus der Knauerstraße.

Bald fand ich Freunde, die in der Frickestraße in Eppendorf wohnten. Es waren drei Brüder, der Hermann wurde mein besonderer Freund. Wir holten uns am Sonntag gegenseitig ab und marschierten zum CVJM.

Eines Sonntags wurde angekündigt, wir treffen uns am nächsten Sonnabend mit Übernachtungsgepäck, es geht zur Heideburg, einem Heim des Nordbundes. Es sollte eine Nachtwanderung gemacht werden. Am Sonnabend ging es dann mit der Bahn bis Harburg und dann mit der Straßenbahn bis zur „Goldenen Wiege“. Das war die Endstation an den Schwarzen Bergen. Es war schon dunkel geworden, die Gruppe musste dicht beieinander bleiben, damit keiner verloren ging. Hans Bock mit seinen Helfern führte uns plötzlich vom Weg ab, quer durchs Gelände. Wir mussten eine ausgewaschene Sandrinne durchklettern. Auf Händen und Füßen ging es durch dies Hindernis. Nach einer guten Stunde waren wir am Eingang zur Heideburg angelangt. Jetzt musste noch ein Berg genommen werden, denn die Heideburg lag hoch oben. Der Hausvater gab uns den Schlüssel zur Holzbaracke, die seitwärts im Wald lag. Es war ein großer Raum mit Doppelstockbetten. Die Bettsäcke waren mit Stroh gefüllt, zum Zudecken gab es zwei Wolldecken. Nach der anstrengenden Wanderung schliefen wir bald ein. Morgens ging es früh raus, Frühsport im Wald und dann im Waschraum mit kaltem Wasser frisch gemacht. Im Haupthaus wurde dann gefrühstückt. Beim Hausvater konnte man für 15 Pfennige einen Becher Heidetrank erstehen. Der Tag hatte ein volles Programm, Andacht, Waldspiele usw. Nachmittags ging es durch den Wald wieder zur Goldenen Wiege und von dort nach Hause. Zu Hause konnte ich dann meine Erlebnisse spannend erzählen. Es war ja meine erste Nachtwanderung. In der Firma ging der Betrieb abwechslungsreich weiter.

Die Heideburg sollte in meinem Leben noch eine große Rolle spielen. Der CVJM ließ dort verschiedene Tagungen abhalten. Da war einmal eine mit dem Missionsdirektor Freytag. Er machte uns schon damals klar, dass es einmal heißen würde, Afrika den Afrikanern, Asien den Asiaten.

Eines Tages lud mich unser Jugendleiter Hans Bock zur Bibelstunde ein, die jeden Dienstagabend stattfand. Wie dort Gottes Wort erklärt wurde, so hatte ich es noch nicht erlebt. Nach einigen Wochen meinte Hans Bock zu mir: „Komm doch am Sonnabendabend zu einem Gebetskreis.“ In dieser Gemeinschaft erlebte ich dann, ganz ungewollt und doch sehr bewusst, wie mir das Wort Gottes bis in die Seele drang. Glauben heißt ja, im Gewissen überwunden werden, durch Sein Wort, so dass man nicht anders konnte, als den eigenen Willen in Seinen Willen zu legen, im Vertrauen, Gehorsam und in Treue. Das Wort aus dem Psalm 42, V. 2, wo es heißt: „Meine Seele dürstet nach Gott“, wurde mir wichtig und sollte erst später zum Durchbruch kommen.

Es war an einem Sonntag, wir waren schon nachmittags im Vereinslokal, da spielte Hermann Schmidt am Klavier das Lied: „Welch Glück ist es, erlöst zu sein“, als sich in mir plötzlich etwas frei machte und ich mit großer inneren Freude in das Lied einstimmte. Später, es war im September 1926, kaufte ich mir eine Taschenbibel und las darin. Mir wurde mit einem Mal der Römerbrief, der ja oft schwer zu verstehen ist, verständlich und das, was Paulus schrieb konnte ich gut nachvollziehen. Von jetzt an ging es mit dem Verständnis langsam aber stetig voran. Wichtig war aber nun, in der Gemeinschaft zu bleiben, die sich um Sein Wort versammelte. Zu Hause spürte man wohl auch etwas von meiner inneren Umstellung. Vater war neugierig und inspizierte den Inhalt meiner Schublade, in der die Bibel und Schriften vom CVJM lagen. Zu Mutter sagte er nur: „Lass den Jungen mal.“ Vaters Wahlspruch lautete: „Tue recht und scheue niemand.“ Nur hat er sich nie gefragt, wie das eigentlich geht. Denn wie kann man das Recht Gottes tun, wenn man nicht vorher von seinem Unrecht vor Gott erlöst ist. Das Recht, das vor Gott gilt, kann einem nur klar werden, wenn man die Bindung an Jesus Christus erfahren hat. Alles andere ist das sogenannte Recht, das Menschen aufstellen.

In der Gemeinschaft der Gleichgesinnten im CVJM herrschte ein Miteinander, wie ich es noch nie erlebt hatte. Im Glauben ging es langsam voran, es gab auch Schwierigkeiten, aber das Lesen in der Bibel war schon eine Hilfe. Es gab eine Anleitung zur täglichen Morgenwache, für jeden Tag einen bestimmten Text.

Oft machten wir Fahrten durch die Nordheide, nachts schliefen wir beim Bauern im Stroh. In einer Herberge in Schätzendorf erlebten wir beim Singen andere Gruppen. Dort hörte ich zum ersten Mal das Lied: „Wilde Gesellen vom Sturmwind umweht...“ mit dem Refrain: „Uns geht die Sonne nicht unter.“ Eines Tages sagte mir unser Jugendleiter, auf der nächsten Fahrt solle ich die Andacht halten. So etwas hatte ich ja schon oft gehört, doch wenn man selbst vor der Gruppe steht, das ist schon etwas eigenartig.

Der Sonntag kam und es ging über die Holm-Seppenser Mühle, weiter zum Büsenbachtal. Unterwegs wurde Halt gemacht, und nun konnte ich meine vorbereitete Andacht vortragen. Es war bestimmt mit Zittern und Zagen, aber es ging ganz leidlich. Das Wort, das ich ausgesucht hatte, war aus dem Johannesevangelium, Jesus Christus spricht: „Ich lebe und ihr sollt auch leben.“ Das habe ich bis heute nicht vergessen.

Im Büsenbachtal machten wir Rast und tobten herum. Da kam einer auf den Gedanken, den Wimpel von dem Ger, das ist die Stange, an der er befestigt ist, abzulösen. Wir teilten uns in zwei Gruppen und dann wurde das Spiel „Treiben“ durchgeführt. Der Ger wurde geschleudert und von da, wo er die Erde berührte, musste die andere Gruppe den Ger schleudern. Zu Anfang ging das alles prima, bis einer der Jungen versuchte, den Ger aufzufangen und so zugriff, dass er ihm in den Handballen fuhr. Jetzt mussten wir mit ihm auf dem schnellsten Wege zum Arzt in der nächsten Ortschaft. Die Fahrt war durch diesen Unfall schnell zu Ende gekommen. Uns aber war klar geworden, das war eine Riesendummheit.

Bei unseren vielen Wanderfahrten waren wir immer eine große Schar und wenn wir in der Eisenbahn unsere Lieder sangen, gab es bei den Mitreisenden großes Staunen und viel Beifall.

Bei all dem Erleben durfte die Ausbildung nicht zu kurz kommen. Oft war es am Montagmorgen nicht so leicht, richtig in Schwung zu kommen. Die Glieder waren von den Wanderungen oft noch müde.

Die Weihnachtszeit kam heran, es gab viel zu tun. An der Ecke Eichenstraße gab es eine Apotheke. In dem Haus sollten wir beim Ausbau des Dachgeschosses zur Wohnung mitarbeiten. Das Schieferdach musste umgedeckt werden. Hier lernte ich, wie Schiefer eingebunden wird. Auch die Sanitäranlagen wurden neu eingebaut.

Dann kam von der Schule die Aufgabe: En Prüfungsstück musste angefertigt werden und bis zur Weihnachtsausstellung der Innung fertig sein. Der Meister meinte, ich solle eine Kaffeedose aus Weißblech herstellen. Diese Arbeit war gar nicht so einfach. Das Blech durfte keine Falten haben, und die Lötstellen mussten ganz glatt und sauber sein. Es durfte an den Nähten nicht geschabt werden. Die Dose wurde termingerecht fertig, und der Meister meinte, sie sei gut geworden und ich könnte sie abgeben. Wie immer, fand die Ausstellung der Innung mit allen Arbeiten der Lehrlinge und Gesellen statt. Mit meinem Vater besuchte ich die Ausstellung. Es wurden interessante Stücke aus den verschiedenen Lehrjahren gezeigt. Für uns war auch wichtig, zu entscheiden, welcher Art mein Gesellenstück werden sollte. Wir suchten natürlich auch meine jetzige Arbeit. Plötzlich fanden wir meine Kaffeedose, herausragend auf der Fensterbank. Daran steckte ein blauer Zettel mit dem Vermerk „Prämiert“ und die Zeugnisnote „Sehr gut“. Als Preis bekam ich einen Fachkalender. Natürlich war mein Vater stolz auf seinen Sprössling.

Am Sonntag vor unserer Jugendstunde gingen wir mit einer größeren Gruppe durch die Straßen, um andere junge Leute einzuladen, auch zum CVJM zu kommen. Zu diesem Dienst wurden wir eingeteilt, natürlich war das freiwillig. Auf einer Tafel am Eingang unseres Heims stand ein Wort Lord Williams, dem Begründer des CVJM: „Gerettet sein, gibt Rettersinn“. Dieser Lord Williams wurde in England später geadelt. Zuerst hatte es mit einer kleinen Gruppe in einer Gebetsgemeinschaft begonnen. Auch diese jungen Leute sind auf die Straße gegangen und haben eingeladen. Heute ist der CVJM eine weltweite Organisation mit vielen Vereinshäusern. Der Verein will keine Konkurrenz gegen die Kirche sein, doch bei der Amtskirche klaffte eine Lücke, die durch den CVJM ausgefüllt wurde.

Bevor wir jeweils auf die Straße gingen, wurde unser Handeln im Gebet unter die Hand des Herrn gestellt. Zum ersten Mal, mit den Einladungszetteln in der Hand, auf die Straße zu gehen, war schon ein Wagnis. Es war das Jahr 1927. Die Erwerbslosigkeit war schon groß. Viele Gruppen der verschiedensten Parteien trieben ihr Unwesen. Ohne Straßenschlachten ging es schon nicht mehr ab. Wir sprachen trotzdem junge Männer an und etliche folgten unserer Einladung. Im Verein waren verschiedene Berufsgruppen, die ihre Veranstaltungen hatten, so konnte sich jeder aussuchen, wohin er gehen wollte. Immer aber wurde das Evangelium, die frohe Botschaft verkündigt, damit der Mensch heraus kommt aus seinem Todeskreis zu einem Leben mit Jesus Christus.

Es tummelten sich ja draußen viele Weltanschauungsgruppen. Da waren nicht nur die Kommunisten, auch die SPD, die völkischen Gruppen, unter anderen die von Mathilde Ludendorff (am heiligen Quell der Germanen), eine gefährliche Gruppe. Auch die Nazis versuchten, durch diese Gruppe, politischen Boden zu gewinnen.

Bei meiner Arbeit in der Fruchtallee, im Zinshaus meines Meisters, wohnte eine Familie, die dieser Gruppe anhing. Ich versuchte mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Was da gegen die Bibel und Gottes Wort hervorgebracht wurde, war unglaublich. Es war überhaupt nicht an sie heran zu kommen. Man spürte, diese Leute hatten so etwas, wie ein Brett vor dem Kopf. Der Stadtmissionar Dr. Witte rief zu einer Versammlung bei Sagebiel auf, um mit den Ludendorffern zu diskutieren. Der Saal in der Nähe des Gänsemarkts war brechend voll. Auch ich saß auf der Empore und schaute auf die große Versammlung. Pastor Dr. Witte versuchte, ihre Angriffe auf die Bibel zu widerlegen, aber immer wieder kamen Redner von der Gegenseite und brachten Texte aus der Bibel, ganz aus dem Zusammenhang gerissen. Man konnte mit Engelszungen reden, es half nichts, hier war eine Sperre, die man nicht beiseite bringen konnte.

Eigenartig aber war, ich war oft froh, konnte abends in die Stille des Borsteler Waldes flüchten und in meiner Bibel lesen, um die Orientierung nicht zu verlieren. Später habe ich erkannt, wie wichtig es für das innere Wachsen des Glaubens war, denn was war noch alles in der Zukunft verborgen?! Nur einer, der alles in Händen hält, kann uns bewahren. So etwas von Bewahrung erlebte ich mehrere Male.