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Mark Twain, 1835-1910, ist heutzutage hauptsächlich als Autor der Abenteuer von Tom Sawyer und Huckleberry Finn, sowie durch seine Erzählung 'Leben auf dem Mississippi' bekannt. Seine humorvollen Erzählungen zeichnen sich vor allem durch die genaue Beobachtung des sozialen Verhaltens seiner Mitmenschen aus. Mit seinen humorvoll-überspitzten Darstellungen ihrer alltäglicher Dummheiten und Missgeschicke übt er zugleich eine scharfe Kritik an bestehenden Konventionen seiner Gesellschaft. Dieses E-Book enthält u. a. folgende Kurzgeschichten: - Der gestohlene weiße Elefant - Die 1.000.000 Pfund-Note - Die Schrecken der deutschen Sprache
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Seitenzahl: 384
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1. E-Book-Auflage, April 2013 E-Book: www.mach-mir-ein-ebook.de, Hamburg ISBN: 978-3-944309-20-0 Originalausgabe: Humoresken von Mark Twain, H. Fikentscher Verlag Leipzig, 1900. Übersetzt von Margarete Jacobi, Henny Koch und L. Ottmann
Cover: Digital kolorierte Fotografie von Napoleon Sarony, New York, 1895. Das Layout dieses E-Books beruht auf dem Design »Jost« von ePub Zen Garden. Dieses Design ist verfügbar unter der Lizenz Creative Commons Attribution 3.0 Unported.
Schrift: »Charis SIL« von SIL International, diese Schriftart ist unter der Open Font License verfügbar. »OpenSans« von Ascender Fonts, verfügbar unter der
Meine schöne neue Uhr ging nun schon anderthalb Jahre weder vor noch nach, sie war kein einziges Mal stehen geblieben und an dem Werk war nichts zerbrochen. Nunmehr galt mir ihr Urteil über die Tageszeit für völlig untrüglich, ihre Lebenskraft und ihr Knochenbau für unzerstörbar. Aber endlich ließ ich sie eines Abends doch ablaufen. Ich trauerte darüber, als sei dies Versehen ein Vorbote von kommendem Unheil und Missgeschick. Erst allmählich wurde meine Stimmung wieder heiterer, ich zog die Uhr auf, stellte sie nach Gutdünken und schlug mir alle abergläubischen Gedanken und trüben Ahnungen aus dem Sinn.
Am nächsten Morgen trat ich in den Laden des ersten Uhrmachers der Stadt, um meine Uhr genau nach richtiger Zeit zu stellen. Der Herr nahm sie mir aus der Hand, um dies Geschäft für mich zu besorgen.
»Sie geht vier Minuten nach«, sagte er dabei, »der Regulator muss vorgerückt werden.«
Ich versuchte ihn daran zu hindern, versuchte ihm begreiflich zu machen, dass der Gang der Uhr unübertrefflich sei. Vergebens – der Kahlkopf in Menschengestalt sah nur das eine: Die Uhr ging vier Minuten nach, und der Regulator musste vorgestellt werden. Ich bat und flehte, er solle es nicht tun, ich sprang in meiner Seelenpein um ihn herum, aber alles umsonst. Mit kaltblütiger Grausamkeit vollbrachte er die schändliche Tat.
Von da ab begann meine Uhr zu laufen – schneller und schneller, Tag für Tag. Innerhalb einer Woche geriet sie in ein wahres Fieber, ihr Puls stieg bis auf hundertfünfzig Grad im Schatten. Noch ehe zwei Monate zu Ende waren, hatte sie alle Uhren der Stadt weit hinter sich gelassen und war vierzehneinhalb Tage dem Kalender voraus. Noch hing das bunte Oktoberlaub an den Bäumen und sie tummelte sich schon mitten im Novemberschnee. Die Zahltage für die Hausmiete, für alle fälligen Rechnungen und sonstigen Schulden kamen in so wahnsinniger Hast näher, dass ich mir schier kaum mehr zu helfen wusste. So brachte ich sie denn zum Uhrmacher, um sie regulieren zu lassen. Dieser fragte mich, ob sie schon jemals repariert worden sei. Als ich das mit dem Bemerken verneinte, es sei noch nicht nötig gewesen, glitt ein boshaftes Lächeln über seine Züge. Gierig öffnete er die Uhr, guckte hinein, klemmte sich ein Ding ins Auge, das aussah wie ein kleiner Würfelbecher, und betrachtete das Räderwerk genau.
»Sie muss gereinigt und geölt werden«, sagte er, »und außerdem reguliert; – fragen Sie in einer Woche wieder nach.«
Gereinigt, geölt und reguliert war meine Uhr, aber nun ging sie schrecklich langsam, ihr Ticken klang wie Grabgeläute. Ich versäumte alle Eisenbahnzüge, hielt keine meiner Verabredungen ein und kam wegen Verspätung um mein Mittagessen. Allmählich machte meine Uhr aus drei Tagen vier; zuerst wurde es bei mir gestern, dann vorgestern, dann letzte Woche; ich geriet immer weiter ins Hintertreffen und konnte mich nicht mehr in die jetzige Welt finden.
Wieder begab ich mich zum Uhrmacher. Er nahm in meinem Beisein die Uhr ganz auseinander und sagte, der Zylinder sei ›gequollen‹, in drei Tagen könne er ihn aber wieder auf das richtige Maß bringen.
Hierauf ging die Uhr im Durchschnitt gut, aber auch nur im Durchschnitt. Den halben Tag lang raste sie wie im Donnerwetter unter fortwährendem Schnarren, Quieken, Schnauben und Schnaufen, so dass ich vor dem Lärm meine eigenen Gedanken nicht hören konnte. Keine Uhr im ganzen Land hätte vermocht, sie einzuholen in ihrem tollen Lauf. Den Rest des Tages blieb sie allmählich immer mehr zurück und trödelte derart, dass sie ihren ganzen Vorsprung einbüßte und sämtliche Uhren ihr wieder nachkamen. Einmal in vierundzwanzig Stunden war sie aber ganz auf dem richtigen Fleck und gab die Zeit genau an. Dies hielt sie pünktlich ein und niemand hätte daher behaupten können, sie tue weniger als ihre Pflicht und Schuldigkeit, oder mehr.
An die Tugend einer Uhr stellt man jedoch höhere Ansprüche, als dass sie nur im Großen und Ganzen richtig geht. Ich trug sie daher abermals zum Uhrmacher. Er sagte, der Hauptzapfen wäre zerbrochen, und ich sprach ihm meine Freude darüber aus, dass der Schaden nicht größer sei. Offen gestanden hatte ich noch nie etwas von einem Hauptzapfen gehört, aber ich wollte mich doch einem Fremden gegenüber nicht unwissend zeigen. Der Zapfen wurde ausgebessert, aber das half nur wenig. Die Uhr ging jetzt eine Weile und dann blieb sie wieder eine Weile stehen, ganz nach ihrem Belieben. Jedesmal, wenn sie losging, tat sie einen Rückschlag wie eine Muskete. Ein paar Tage lang wattierte ich mir die Brusttasche aus, schließlich trug ich die Uhr zu einem anderen Uhrmacher. Der zerpflückte sie in lauter einzelne Stücke, drehte die Trümmer vor seinem Vergrößerungsglas hin und her und meinte, es müsse an der Hemmung etwas nicht in Ordnung sein. Das besserte er aus und setzte die Uhr wieder zusammen. Nun ging sie gut – nur alle zehn Minuten schlossen sich die Zeiger wie eine Schere und machten die Runde gemeinsam weiter.
Der Weiseste unter den Menschenkindern würde von einer solchen Uhr nicht herauskriegen können, was die Glocke geschlagen hat. Ich ging also wieder hin, um dem Übelstand abhelfen zu lassen. Jetzt meinte der Mensch, der Kristall sei verbogen und die Spiralfeder krumm, auch müsse ein Teil des Werkes neu gefüttert werden. Alle diese Schäden beseitigte er und meine Uhr ließ nun nichts zu wünschen übrig, nur dann und wann, nachdem sie etwa acht Stunden regelmäßig gegangen war, geriet bei ihr inwendig alles in Bewegung, so dass sie zu summen begann wie eine Biene und die Zeiger sich stracks so flink im Kreis drehten, dass man sie nicht mehr unterscheiden konnte, sie sahen aus wie ein zartes Spinngewebe auf dem Zifferblatt. In sechs oder sieben Minuten hatte sie die ganzen nächsten vierundzwanzig Stunden durchwirbelt, dann gab es einen Krach und sie stand still. Mit schwerem Herzen ging ich wieder zu einem anderen Uhrmacher und sah, wie er das Werk auseinander nahm. Dabei rüstete ich mich, ein Kreuzverhör mit ihm anzustellen, denn das Ding ging mir jetzt über den Spaß. Ursprünglich hatte die Uhr zweihundert Dollar gekostet und ich musste jetzt für Reparaturen zweitausend bis dreitausend ausgegeben haben. Während ich so dastand und dem Mann zusah, kam er mir plötzlich bekannt vor. Nein, ich irrte mich nicht – der Uhrmacher war ein früherer Dampfbootmaschinist, und zwar nicht einmal ein guter. Er betrachtete alle Teile sorgfältig, gerade wie die anderen Uhrmacher auch, und fällte dann seinen Urteilsspruch mit derselben Zuversicht.
Er sagte: »Sie macht zu viel Dampf – wir müssen den stellbaren Schraubenschlüssel an das Sicherheitsventil hängen!«
Ich schlug ihm auf der Stelle den Schädel ein und ließ ihn auf meine Kosten beerdigen.
Mein Onkel William – Gott hab’ ihn selig! – pflegte zu sagen, ein gutes Pferd sei ein gutes Pferd, bis es einmal durchgegangen wäre, und eine gute Uhr eine gute Uhr, bis sie den Reparierern in die Hände fiele. Er zerbrach sich oftmals den Kopf, was denn eigentlich aus allen verdorbenen Kesselflickern, Büchsenmachern, Schustern, Grobschmieden und Maschinisten in der Welt schließlich würde – aber niemand konnte ihm je Auskunft geben. –
Alle Dinge sind dem Wechsel unterworfen, ausgenommen die Barbiere, die Gewohnheiten der Barbiere und die Umgebungen der Barbiere. Diese ändern sich nie. Was man erlebt und erfährt, wenn man zum erstenmal eine Barbierstube betritt, das erlebt und erfährt man später in allen anderen Barbierstuben, bis an das Ende seiner Tage.
Heute morgen ließ ich mich wie gewöhnlich barbieren. Ein Mann kam von der Jonesstraße auf die Tür zu, als ich auf der Hauptstraße herankam – so trifft sich das stets. Ich beschleunigte meine Schritte, aber umsonst; er war mir um eine Sekunde voraus, ich folgte ihm auf den Fersen und sah, wie er den einzigen unbesetzten Stuhl einnahm, wo der erste Barbier sein Amt versah. Das trifft sich immer so. Ich setzte mich mit der stillen Hoffnung nieder, Erbe des Stuhles zu werden, welcher dem besseren von den zwei übrigen Barbiergehilfen gehörte, denn dieser hatte schon angefangen, seinem Kunden das Haar zu kämmen, während sein Kamerad noch damit beschäftigt war, dem seinigen die Locken einzuölen und einzureiben. In großer Spannung beobachtete ich, was für Aussichten sich mir boten. Als ich sah, dass Nr. 2 drohte Nr. 1 einzuholen, verwandelte sich meine Spannung in Besorgnis. Als Nr. 1 einen Augenblick innehielt, um einem neuen Ankömmling, der ein Badebillett verlangte, Geld herauszugeben und dabei im Wettlauf zurückblieb, wurde meine Besorgnis zur Angst. Als Nr. 1 das Versäumte wieder nachholte und gleichzeitig mit seinem Kameraden dem Kunden das Handtuch abnahm und den Puder aus dem Gesicht wischte, so dass sich unmöglich voraussehen ließ, welcher von beiden zuerst »Der Nächste« rufen würde, stockte mir der Atem vor banger Erwartung. Als ich nun aber sah, wie sich Nr. 1 im entscheidenden Moment noch damit aufhielt, seinem Kunden ein paarmal mit dem Kamm durch die Augenbrauen zu fahren, da wusste ich, dass er den Wettlauf um dieses einzigen Augenblicks willen verloren habe. Entrüstet stand ich auf und verließ den Laden, um nicht Nr. 2 in die Hände zu fallen; denn jene beneidenswerte Festigkeit besitze ich nicht, die den Menschen in den Stand setzt, einem dienstbereiten Barbiergehilfen ruhig ins Angesicht zu sehen und ihm zu sagen, man wolle auf den Stuhl seines Kollegen warten.
Etwa fünfzehn Minuten blieb ich draußen und kam dann wieder zurück, in der Hoffnung, es werde mir besser glücken. Natürlich waren jetzt alle Stühle besetzt und vier Männer warteten schweigend, ungesellig, zerstreut und mit gelangweilten Mienen, wie das immer der Fall ist, wenn Leute in einer Barbierstube darauf passen, dass die Reihe an sie kommt.
Ich ließ mich auf einem steinharten alten Sofa nieder und vertrieb mir eine Weile die Zeit damit, die eingerahmten Anzeigen verschiedener Quacksalber zu lesen, die ihre Haarfärbemittel anpriesen. Dann las ich die fettigen Namen auf den Bayrumflaschen, welche einzelnen Kunden angehörten, und las auch die Namen und Zahlen auf den Barbierbecken, die als Privateigentum in den offenen Fächern des Schrankes standen, studierte die beschmutzten und schadhaften wohlfeilen Bilder an den Wänden, welche Schlachten darstellten, ehemalige Präsidenten, wollüstig zurückgelehnte Sultaninnen und das langweilige, ewig wiederkehrende Mädchen, das des Großvaters Brille aufsetzt. Auch verfluchte ich in meinem Herzen den lustigen Kanarienvogel und den unausstehlichen Papagei, die selten in einer Barbierstube fehlen. Zuletzt suchte ich mir aus den vorjährigen illustrierten Zeitungen, welche auf dem schmutzigen Mitteltisch herumlagen, die am wenigsten zerissene heraus und starrte die unerhört falschen Abbildungen alter, vergessener Ereignisse an, die sie enthielt.
Endlich kam ich an die Reihe. Eine Stimme rief: »Der Nächste!« und ich geriet natürlich in die Hände von – Nr. 2. So geht es immer. Ich äußerte schüchtern, dass ich Eile habe, was ihm einen gerade so tiefen Eindruck machte, als hätte er es nicht gehört. Er schob mir nun den Kopf in die Höhe und legte mir eine Serviette unters Kinn. Er fuhr mir mit den Fingern in den Halskragen und stopfte ein Handtuch hinein. Er grub seine Klauen in mein Haar und sagte, es müsse geschnitten werden. Ich erwiderte, ich wolle es nicht schneiden lassen. Nun wühlte et wieder darin und meinte, es sei für die jetzige Mode ziemlich lang, besonders hinten; es müsse durchaus unter die Schere. Ich sagte, es wäre erst vor einer Woche geschnitten worden. Darauf sann er einen Augenblick gedankenvoll nach und fragte dann mit verächtlicher Miene, wer es besorgt habe. »Sie!« antwortete ich schnell. Da war er in der Falle.
Nun fing er an den Seifenschaum zu rühren und sich dabei im Spiegel zu besehen. Von Zeit zu Zeit hielt er inne und trat näher heran, um sein Kinn in Augenschein zu nehmen und einen kleinen Pickel zu besichtigen. Dann seifte er mir eine Seite des Gesichts gründlich ein und wollte eben die andere in Angriff nehmen, als zwei sich beißende Hunde seine Aufmerksamkeit fesselten. Er lief ans Fenster, blieb da stehen bis der Kampf vorbei war und verlor beim Wetten über den Ausgang zwei Schillinge an die anderen Barbiergehilfen, was mir große Befriedigung gewährte. Nun strich er mir die Seife vollends mit dem Pinsel auf und begann sie mit der Hand einzureiben.
Dann schärfte er sein Rasiermesser auf einem alten Hosenträger, wobei ihn ein lebhaftes Gespräch über den öffentlichen Maskenball sehr aufhielt, bei dem er am Abend zuvor in rotem Kattun und falschem Hermelin eine Art König dargestellt hatte. Dass seine Kameraden ihn mit einem Dämchen aufzogen, welches er durch seine Reize erobert haben sollte, schmeichelte ihm sehr, und er trachtete die Unterhaltung auf jede Weise fortzusetzen, indem er sich stellte, als ärgere ihn die Neckerei. Dies trieb ihn auch zu einer abermaligen genauen Betrachtung seiner Person im Spiegel; er legte das Rasiermesser hin, bürstete sich das Haar mit großer Umständlichkeit, klebte sich eine kühne Locke vorn im Bogen auf die Stirn, machte sich hinten einen wundervollen Scheitel und strich sich beide Seitenflügel mit genauester Sorgfalt über die Ohren. Inzwischen trocknete mir der Seifenschaum im Gesicht und zehrte mir förmlich am Leben.
Nunmehr begann er mich zu rasieren. Er drückte mir mit den Fingern im Gesicht herum, um die Haut auszudehnen, und warf meinen Kopf hin und her, wie es ihm beim Barbieren bequem war. Solange er nur die weniger empfindlichen Stellen berührte, litt ich keine Schmerzen, als er aber an meinem Kinn herumzukratzen, zu scharren und zu schaben anfing, kam mir das Wasser in die Augen. Nun brauchte er meine Nase als Anfasser, um die Winkel meiner Oberlippe besser rasieren zu können. Bei diesem Anlass machte ich die Entdeckung, dass es zu seinen Obliegenheiten im Laden gehörte, die Petroleumlampen zu reinigen. Ich hatte mich oft schon aus Langeweile gefragt, ob das wohl der Geschäftsinhaber selber besorge oder die Barbiergehilfen.
Indessen vergnügte ich mich damit, mir auszudenken, wo er mich heute wohl schneiden werde. Ich hatte es jedoch hierüber noch zu keiner Entscheidung gebracht, als er mir zuvorkam und mir das Kinn aufritzte. Sogleich begann er sein Messer zu schärfen – das hätte er vorher tun sollen. Ich mag nicht zu dicht an der Haut rasiert sein, daher wollte ich ihn nicht zum zweitenmal an mich kommen lassen und versuchte ihn zu überreden, das Rasiermesser fortzulegen, aus Angst, er möchte an die Seite meines Kinns geraten, wo meine allerempfindlichste Stelle ist, die kein Messer zum zweitenmal berühren darf ohne Schaden anzurichten. Er sagte, er müsse nur noch einige Rauheiten glätten, aber ehe ich mich’s versah, fuhr er schon über den verbotenen Grund und Boden hin, und das gefürchtete Brennen und Prickeln meiner Haut begann sich, wie gerufen, bemerkbar zu machen. Nun tauchte er das Handtuch in Lorbeerbranntwein und klatschte mir damit ins Gesicht, bald hier, bald da – ein widerliches Gefühl! Hat sich wohl je ein menschliches Wesen auf solche Weise gewaschen? Dann nahm er das trockene Ende des Handtuchs und schlug mir auch dieses ins Gesicht, als ob ein Menschenkind sich jemals so abtrocknete! Aber ein Barbier reibt einen nur selten ordentlich ab wie ein Christenmensch. Dann goss er mir Branntwein auf die wunde Stelle, verklebte sie mit Stärkemehl, feuchtete sie wieder mit Branntwein an und würde gewiss in alle Ewigkeit mit Kleben und Anfeuchten fortgefahren haben, wenn ich mich nicht dagegen aufgelehnt und ihn ersucht hätte, es bleiben zu lassen.
Er puderte mir nun das ganze Gesicht ein, richtete mich in die Höhe, wühlte nachdenklich mit den Händen in meinem Haar und schlug vor, mir die Kopfhaut gründlich zu waschen, das sei ganz notwendig, ganz notwendig! Ich entgegnete, dass ich mir erst gestern im Bad das Haar tüchtig gereinigt hätte. Da war er wieder in der Falle.
Hierauf empfahl er mir »Smiths Haarverschönerungstinktur«und bot mir eine Flasche zum Kauf an. Das schlug ich aus. Nun pries er mir »Jones’ Wonne des Toilettentisches« und wollte mir von diesem neuen Wohlgeruch ein Gläschen verkaufen. Aber ich ging nicht darauf ein. Er drang endlich in mich, ein grässliches Mundwasser seiner eigenen Erfindung mitzunehmen.
Nachdem auch dieser letzte Versuch fehlgeschlagen war, ging er wieder an sein Geschäft, bestreute mich über und über mit Puder, mit Einschluss der Beine, fettete mir die Haare ein, obgleich ich Einspruch dagegen erhob, zog und riss mir dabei eine Menge mit der Wurzel aus, kämmte und bürstete dann den Rest, teilte mir hinten einen Scheitel ab und klebte mir die unvermeidliche, bogenförmige Haarlocke auf die Stirn. Während er mir dann meine dünnen Augenbrauen auskämmte und mit Pomade beschmierte, erging er sich über die Leistungen eines ihm gehörigen schwarz und braun gefleckten Dachshundes, bis ich das Pfeifen des Mittagszuges hörte und wusste, dass ich zu demselben fünf Minuten zu spät kommen würde. Nun nahm er mir das Handtuch ab, wischte mir damit noch einmal über das Gesicht, fuhr mir wieder mit dem Kamm durch die Augenbrauen und rief munter: »Der Nächste!«
Es ist zwar etwas Gutes, für die Unterhaltung des Publikums zu schreiben, aber etwas noch weit Höheres und Edleres ist es, wenn man zur Belehrung, zum Nutzen, zum wahren Wohl seiner Mitmenschen schreibt – und das ist der einzige Zweck der folgenden Abhandlung. Wenn es mir gelänge, dadurch auch nur einem Leidenden wieder zur Gesundheit zu verhelfen, das Feuer der Hoffnung und Freude in seinem matten Blick aufs neue zu entzünden und seinem erstorbenen Herzen den raschen, fröhlichen Pulsschlag vergangener Tage zurückzugeben, so wäre mir alle Mühe reichlich vergolten und jene heilige Wonne würde meine Seele durchströmen, welche der Christ fühlt, wenn er eine gute, selbstlose Tat vollbracht hat.
Da ich stets ein untadeliges Leben geführt habe, bin ich berechtigt zu glauben, dass niemand, der mich kennt, aus Furcht, ich hätte die Absicht, ihn zu täuschen, meine Ratschläge zurückweisen wird. Möge das Publikum sich die Ehre antun, meine hier niedergelegten Erfahrungen bei der Behandlung eines Schnupfens zu lesen – und dann meinem Beispiel folgen.
Als das weiße Haus in Virginia-City abbrannte, verlor ich meine Häuslichkeit, meine Behaglichkeit, meine Gesundheit und meinen Koffer. Der Verlust der beiden erstgenannten Artikel war leicht zu verschmerzen, denn eine Häuslichkeit ohne Mutter, eine Schwester oder eine entfernte junge Verwandte, welche uns die schmutzige Wäsche wegräumt, unsere Stiefel vom Kaminsims herunternimmt und uns so daran erinnert, dass jemand an uns denkt und für uns sorgt, ist nicht schwer zu finden. Und was meine Behaglichkeit betrifft, so war ich ja kein Dichter und brauchte der Schwermut über ihren Verlust nicht lange nachzuhängen. Aber eine gute Gesundheit zu verlieren und einen noch besseren Koffer, das waren ernstliche Unglücksfälle. Am Tag der Feuersbrunst zog ich mir nämlich infolge der übergroßen Anstrengung, mit welcher ich mich anschickte etwas zu tun, eine starke Erkältung zu.
Als ich das erste Mal zu niesen begann, riet mir ein Freund, ein warmes Fußbad zu nehmen und dann zu Bett zu gehen. Das tat ich. Gleich darauf meinte ein zweiter, ich solle aufstehen und ein kaltes Sturzbad nehmen. Eine Stunde später versicherte mir ein dritter, man müsse »einen Schnupfen füttern und ein Fieber aushungern«. Ich litt an beiden und hielt es daher für das beste, mich des Schnupfens wegen voll und satt zu essen, dann Hausarrest zu nehmen und das Fieber eine Weile hungern zu lassen.
Bei halben Maßregeln lasse ich es in solchen Fällen nie bewenden. Ich aß also nach Herzenslust und wandte meine Kundschaft einem Fremden zu, der an jenem Morgen gerade sein Speisehaus eröffnet hatte. Er stand in ehrerbietigem Schweigen dabei, bis ich meinen Schnupfen genug gefüttert hatte und fragte dann, ob die Leute in Virginia-City häufig vom Schnupfen befallen würden. Als ich erwiderte, das könne wohl möglich sein, ging er hinaus und nahm sein Wirtshausschild ab.
Ich begab mich nun zum Büro und begegnete unterwegs abermals einem vertrauten Freund, der mir sagte, dass es auf der Welt nichts wirksameres gäbe, um sich vom Schnupfen zu kurieren, als wenn man ein Quart warmes Salzwasser tränke. Ich zweifelte stark, dass ich noch Platz dafür haben könne, aber versuchen wollte ich es jedenfalls. Der Erfolg war überraschend. Mir war, als hätte ich meine unsterbliche Seele von mir gegeben.
Da ich meine Erfahrungen nur zum Nutzen derjenigen niederschreibe, welche von demselben Übel befallen sind wie ich, halte ich es für angemessen, sie vor den Mitteln zu warnen, die sich bei mir als unwirksam erwiesen haben. Aus vollster Überzeugung muss ich ihnen daher raten, sich vor warmem Salzwasser zu hüten. Wenn ich wieder den Schnupfen hätte und mir nur die Wahl bliebe, meine Zuflucht zu einem Erdbeben oder einem Quart Salzwasser zu nehmen, so würde ich mein Heil mit dem Erdbeben versuchen.
Nachdem der Sturm, der in meinem Inneren wütete, sich etwas gelegt hatte und da zufällig kein guter Samariter mehr zur Hand war, borgte ich mir wieder Taschentücher und zerschneuzte sie zu Atomen, wie ich es in den ersten Stadien meines Schnupfens getan hatte. Dies trieb ich so lange, bis ich einer Dame begegnete, die eben von jenseits der Prärie herkam. Sie hatte in einer Gegend gelebt, wo Mangel an Ärzten war und sagte, die Not habe sie gelehrt, einfache Alltagskrankheiten mit viel Geschick zu behandeln. Ich war überzeugt, dass sie eine lange Erfahrung hinter sich haben müsse, denn sie sah aus, als sei sie hundertfünfzig Jahre alt.
Sie mischte einen Trank aus Sirup, Scheidewasser, Terpentin und allerlei Kräutern zusammen und gab mir die Anweisung, alle Viertelstunde ein Weinglas voll davon zu nehmen. Ich ließ es jedoch bei der ersten Dosis bewenden; sie reichte aus, um mich aller moralischen Grundsätze zu berauben und die unwürdigsten Triebe in mir wachzurufen. Unter ihrem bösartigen Einfluss wälzte ich in meinem Hirn die ungeheuerlichsten und niederträchtigsten Pläne und Entwürfe, aber meine Hand war damals zu schwach, sie auszuführen. Hätten nicht die unfehlbaren Heilmittel für den Schnupfen durch wiederholte Angriffe meine Kräfte völlig erschöpft, ich wäre wahrlich imstande gewesen, auf Leichenraub auszugehen.
Wie die meisten anderen Leute habe ich zuweilen gemeine Regungen und handle danach, aber bis zu einem solchen Grad von unmenschlicher Ruchlosigkeit hatte ich es noch nie gebracht, bevor ich jene Arznei einnahm, und obendrein war ich noch stolz darauf. Nach Verlauf von zwei Tagen war ich wieder so weit, aufs neue an mir herumdoktern zu können. Ich wandte noch mehrere untrügliche Mittel an und trieb mir schließlich die Erkältung aus dem Kopf in die Lunge.
Nun bekam ich fortwährend Hustenanfälle und meine Stimme sank unter den Nullpunkt. Ich sprach mit den Leuten in einem grollenden Bass, zwei Oktaven unter meinem gewöhnlichen Tonfall. Eine regelmäßige Nachtruhe konnte ich nur dadurch erlangen, dass ich mich in einen Zustand gänzlicher Erschöpfung hineinhustete, sobald ich aber im Schlaf zu sprechen anfing, weckte mich der Misslaut meiner Stimme wieder auf.
Mein Fall verschlimmerte sich von Tag zu Tag. Man empfahl mir Wacholderschnaps. Den trank ich. Dann Schnaps mit Sirup. Ich trank auch den. Ferner Schnaps mit Zwiebeln. Die tat ich dazu und schluckte alle drei zusammen, jedoch ohne besonderes Ergebnis.
Ich sah mich jetzt genötigt, meiner Gesundheit durch Luftveränderung wieder aufzuhelfen und reiste mit meinem Kollegen, dem Zeitungsreporter Wilson, zum Bigler-See. Nicht ohne eine gewisse Befriedigung denke ich daran, dass wir auf ganz vornehme Weise reisten, wir benutzten nämlich die Pionierpost und mein Freund nahm sein ganzes Gepäck mit, welches aus zwei prachtvollen seidenen Halstüchern und dem Daguerrebild seiner Großmutter bestand. Dort machten wir den Tag über Segelfahrten, gingen auf die Jagd, auf den Fischfang und zum Tanz und die Nacht hindurch kurierte ich meine Erkältung. Durch diese Einrichtung gelang es mir, jede von den vierundzwanzig Stunden nutzbringend zu verwenden. Aber mein Übel wurde nur immer schlimmer.
Man riet mir nun zu einer nassen Wickelung. Bisher hatte ich kein einziges Heilmittel zurückgewiesen und es schien Torheit, jetzt noch damit anzufangen. So beschloss ich denn die Wickelung zu versuchen, obwohl ich keine Ahnung hatte, was das eigentlich für eine Veranstaltung sei. Sie wurde um Mitternacht vorgenommen und das Wasser war brennend kalt. Ein Leintuch, das mindestens tausend Meter lang zu sein schien, wurde in Eiswasser getaucht und mir um Brust und Rücken gewickelt, bis ich aussah wie der Wischer für eine der neuen Riesenkanonen.
Es ist ein grausames Verfahren. Wenn der kalte Lappen das warme Fleisch berührt, fährt man vor Schrecken zusammen und schnappt nach Atem wie ein Mensch in Todesnot. Mir erfror das Mark in den Knochen und mein Herzschlag schien stillzustehen. Ich glaubte, mein letztes Stündlein sei gekommen.
Ich warne hiermit jedermann vor kalten Wickelungen. Es gibt nichts unbehaglicheres in der Welt – außer vielleicht, einer Dame unserer Bekanntschaft zu begegnen, die aus Gründen, die sie selbst am besten weiß, über uns hinweg sieht, oder, wenn sie uns wirklich ansieht, uns nicht kennt.
Aber, was ich noch sagen wollte, – als mein Schnupfen nach der Wickelung nicht kuriert war, empfahl mir eine befreundete Dame, ein Senfpflaster auf die Brust zu legen. Das hätte mich, glaube ich, auch wirklich geheilt, wäre der junge Wilson nicht gewesen. Beim Zubettgehen legte ich mir das Senfpflaster, das ganz großartig war – es maß achtzehn Zoll im Quadrat – bequem zur Hand, wo ich es erreichen konnte. Aber Wilson bekam in der Nacht Hunger und – den Rest kann sich der Leser selber denken.
Nach einem achttägigen Aufenthalt am Bigler-See ging ich nach Steamboat-Springs, wo ich Dampfbäder nahm und noch eine Menge der erbärmlichsten Arzneien zu schlucken bekam, die je zusammengebraut worden sind. Sie würden mich ganz hergestellt haben, aber ich musste nach Virginia-City zurückkehren, wo ich es trotz der verschiedenartigsten Heilmittel, die ich jeden Tag verschlang, möglich machte, meine Krankheit durch Vernachlässigung und Ausgehen bei kalter Witterung sehr zu verschlimmern.
Endlich beschloss ich, nach San Francisco zu reisen. Am ersten Tag nach meiner Ankunft sagte mir eine Dame im Gasthaus, ich solle alle vierundzwanzig Stunden ein Quart Whisky trinken und ein Freund, der in der Stadt wohnte, gab mir denselben Rat. Das machte also zusammen zwei Quart oder eine halbe Gallone. Soviel trank ich und bin noch am Leben.
In obigem habe ich mit der allerbesten Absicht von der Welt die mannigfaltigen Heilverfahren geschildert, die ich kürzlich zur Kur meines Schnupfens durchzumachen hatte. Ich empfehle sie besonders allen, die an der Schwindsucht leiden. Wenn sie einen Versuch damit anstellen und nicht gesund werden, so kann es sie höchstens umbringen.
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