Hunger, Wohlstand und Moral - Peter Singer - E-Book

Hunger, Wohlstand und Moral E-Book

Peter Singer

0,0
12,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Humanitäre Katastrophen, Hungersnöte, Epidemien, Flüchtlingskrisen – warum wir helfen müssen und in welchem Maß: "Hunger, Wohlstand und Moral" ist einer der meistdiskutierten Essays der zeitgenössischen Moralphilosophie und in unseren Tagen aktueller denn je. Peter Singer macht deutlich, dass es unsere Pflicht ist, den Armen und Leidenden dieser Welt zu helfen, ganz gleich wo sie leben, ob vor unserer Haustür oder in fernen Regionen. Wer geben kann, gebe – und zwar viel. Singers Text ist radikal in seiner Unbedingtheit und sorgt seit seinem Erscheinen 1972 für heftige Kontroversen. Diese Neuausgabe, erweitert um eine Einleitung und zwei weitere Essays, zeigt, wie aktuell Singers Thesen noch heute sind, in Zeiten, in denen viele nichts wissen wollen vom Elend der Menschen, die ihr Leben riskieren, um zu uns zu gelangen, ins reiche Europa. Mit einem Vorwort von Bill und Melinda Gates.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 99

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Peter Singer

Hunger, Wohlstand und Moral

Mit einem Vorwort von Bill und Melinda Gates

Aus dem Englischen von Esther Imhof, Dunja Jaber und Elsbeth Ranke

Hoffmann und Campe

Vorwort

In den über vierzig Jahren seit der Veröffentlichung von Peter Singers Aufsatz Famine, Affluence, and Morality (Hunger, Wohlstand und Moral) ist in der Welt sehr vieles sehr viel besser geworden. Der Anteil der Weltbevölkerung, der in extremer Armut lebt, ist heute weniger als halb so groß wie damals, und der Anteil an Kindern, die vor ihrem fünften Geburtstag sterben, ist sogar noch stärker gesunken. 1960 starben fast 20 Prozent der unter Fünfjährigen. 1990 waren es etwa 10 Prozent, heute nähern wir uns schon den 5 Prozent.

Und doch sind 5 Prozent noch immer zu viel – wir sprechen hier von etwa 6,3 Millionen toten Kindern pro Jahr. Zurückzuführen ist dieses Kindersterben meist auf Erkrankungen wie Durchfall, Lungenentzündung oder Malaria, die wir verhindern oder heilen können. Dennoch ist der Rückgang der Kindersterblichkeit ermutigend. Er zeigt, dass Hilfe tatsächlich wirkt, und widerlegt den fatalen Mythos, Hilfe von außen würde ja doch nichts bringen.

Singers Arbeit unterstreicht mit Nachdruck, dass wir gemeinsam etwas tun können, um Schlimmes zu verhindern – etwa den Tod von Kindern. Diese Behauptung lässt sich heute viel schlüssiger untermauern als 1972. Zum Glück kommt das bei immer mehr Menschen an, und viele von ihnen werden selbst aktiv. Man könnte sagen, Singers Artikel war bei der ersten Veröffentlichung seiner Zeit voraus. Doch vielleicht hat die Zeit ihn inzwischen eingeholt.

Bill und Melinda Gates,Co-Vorsitzende der Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung

Einleitung

Hunger, Wohlstand und Moral entstand auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise, die eine Folge der Repression durch die Militärregierung im damaligen Ostpakistan war. Neun Millionen Menschen flohen über die Grenze nach Indien, wo sie in Flüchtlingslagern ums Überleben kämpften. Im Rückblick erkennen wir diese Krise als entscheidenden Moment in der Entstehung des unabhängigen Staates Bangladesch, doch damals schien dieses glückliche Ende unwahrscheinlich; offensichtlich war nur, wie viele Menschen in Gefahr waren. Ich nutzte die schreckliche Not als Aufhänger für mein Argument, die Menschen in Wohlstandsgesellschaften sollten viel mehr tun, um bedürftigen Menschen in viel ärmeren Teilen der Welt zu helfen; in seiner Anwendbarkeit ist dieses Argument freilich ziemlich allgemein, und die Herausforderung, die es darstellt, ist heute genauso groß wie 1971.

Ethik und politische Philosophie standen damals auf der Schwelle zu einer aufregenden neuen Entwicklung. In den vorausgehenden fünfundzwanzig Jahren hatte sich die Moralphilosophie auf die Bedeutungsanalyse moralischer Begriffe wie »das Gute« und »das Sollen« konzentriert; man ging dabei nicht davon aus, dass sich das auf substanzielle Fragen darüber, wie wir konkret leben sollen, auswirken würde. A.J. Ayer schrieb, es sei falsch, bei Moralphilosophen nach innerer Führung zu suchen, und Peter Laslett fasste offenbar eine weitverbreitete Meinung in seiner vielzitierten Diagnose zusammen: »Für den Augenblick … ist die politische Philosophie tot.«1 Dieser »Augenblick« dauerte an, bis die Studentenbewegung der sechziger Jahre Seminare einforderte, die für die wichtigsten aktuellen Probleme tatsächlich von Belang waren: Bürgerrechte, Rassendiskriminierung, Vietnamkrieg und ziviler Ungehorsam. Da erinnerten sich ein paar Philosophen, dass ihre Tradition in früheren Zeiten zu diesen Themen durchaus einiges zu sagen hatte. Die Gründung einer neuen Zeitschrift, Philosophy & Public Affairs, wurde angekündigt, und in deren »Zielsetzung« war davon die Rede, dass eine philosophische Untersuchung von Themen öffentlichen Belangs »zu ihrer Klärung und Lösung beitragen« könne. (Heute ist kaum zu glauben, dass eine so vorsichtig formulierte Aussage als radikal aufgefasst werden konnte.) Damit wurde der Forschungsbereich begründet oder eher wiederbelebt, der heute als »praktische« oder »angewandte« Ethik bezeichnet wird.

Als die neue Zeitschrift zur Einsendung von Beiträgen für ihre erste Aufgabe aufrief, war ich frischgebackener Oxford-Absolvent und hatte gerade meine erste Stelle als Universitätsdozent angetreten. Schon als Student in Australien hatte ich mich für die Reform des Abtreibungsgesetzes und gegen den Vietnamkrieg eingesetzt. Meine Dissertation in Oxford beschäftigte sich mit den Grundlagen für die Verpflichtung, in einer Demokratie das Gesetz zu befolgen.2 Meine Frau und ich spendeten 10 Prozent unseres Einkommens an Oxfam und waren unlängst zu Vegetariern geworden, nachdem wir erfahren hatten, wie Tiere behandelt werden, bevor man sie zu Fleisch verarbeitet.3 Ich wollte mit philosophischem Handwerkszeug die wichtigen ethischen Fragen in Angriff nehmen, mit denen ich mich in meinem eigenen Leben konfrontiert sah. Die neue Zeitschrift Philosophy & Public Affairs bot mir dafür die perfekte Plattform. Hunger, Wohlstand und Moral erschien im Frühjahr 1972, in der dritten Abteilung des ersten Bandes.

Der Artikel avancierte schon bald zum Seminarthema im Fach Ethik. Eine unvollständige Liste von Abdrucken in Aufsatzsammlungen kommt auf fünfzig Bücher. Jahr für Jahr lesen ihn Tausende Studierende und Abiturienten in vielen unterschiedlichen Ländern. Doch bis vor kurzem diente er wahrscheinlich häufiger dazu, eine kniffelige intellektuelle Fragestellung aufzuwerfen, als die Studierenden mit der Frage zu konfrontieren, ob sie nach moralischen Grundsätzen lebten. Professoren stellten den Text mit den Worten vor: »Hier ist ein Aufsatz mit einer scheinbar schlagenden Argumentation, aber die Schlussfolgerung ist unrealistisch in ihrem Anspruch. Finden Sie die Schwachstelle in der Argumentation.« Doch in den letzten zehn Jahren lasen immer mehr Studierende und wenigstens ein paar ihrer Professoren den Text anders. Sie fanden keinen Schwachpunkt in der Argumentation und wollten die Tragweite seiner moralischen Implikationen ausloten.4 Die aufstrebende Bewegung um den Begriff Effektiver Altruismus eint viele Menschen, die durch den Aufsatz oder die anderen Texte in diesem Buch dazu veranlasst wurden, ihr Leben zu verändern.5 Dazu ein paar Beispiele:

Toby Ord las den Aufsatz als Philosophie-Student. Er gründete daraufhin die Organisation Giving What We Can, die zu dem Versprechen aufruft, bis zur Rente 10 Prozent des eigenen Brutto-Einkommens zu spenden, und zwar an Hilfsorganisationen, die nach eigenem Dafürhalten am meisten Gutes tun. Bis heute haben die Mitglieder von Giving What We Can über acht Millionen Pfund gespendet, und die geleisteten Zusagen werden sich über ihre Lebenszeit auf geschätzte 457 Millionen Pfund belaufen.

Chris Croy las Hunger, Wohlstand und Moral für ein Seminar am St. Louis Community College in Meramec, Missouri. Im Kurs wurde auch ein Aufsatz behandelt, in dem der Philosoph John Arthur die gegensätzliche Meinung vertrat. Wäre meine Argumentation stichhaltig, so Arthur, so würde daraus folgen, dass wir anderen auch helfen sollten, indem wir Teile unseres Körpers hergäben, etwa eine Niere. Das aber könne nicht richtig sein: Aus der Tatsache, dass mittels einer solchen Spende mehr Gutes entstehen könne, sei nicht zu folgern, dass wir es auch tun sollten. Croy verstand das eher als Argument für eine Nierenspende als gegen Geldspenden an Menschen in extremer Armut. Er dachte intensiv darüber nach und diskutierte die Frage mit einem Freund; dann rief er beim örtlichen Krankenhaus an und spendete kurz darauf eine seiner Nieren an einen Fremden (der, wie sich herausstellte, ein 43-jähriger Lehrer an einer Schule mit überwiegend armen Schülern war).

Der schwedische Komponist Gustav Alexandrie wurde durch meine Texte dazu bewogen, an Organisationen zu spenden, die den ärmsten Menschen der Welt helfen. Er wollte dazu beitragen, diesen ihm so wichtigen Gedanken weiterzuverbreiten, und beschloss, dafür sein eigenes Können einzusetzen. Er schrieb ein Chorstück über das zentrale Bild des Artikels, das Kind, das im seichten Teich ertrinkt. Alexandries Komposition wurde 2014 in Stockholm vom Södra Latins Kammarkör unter der Leitung von Jan Risberg uraufgeführt.

Dean Spears promovierte 2013 in Wirtschaftswissenschaften. Ein Jahr zuvor hatten er und seine Frau Diane Coffey, ebenfalls Doktorandin in Princeton, in Indien eine Organisation gegründet: das Research Institute for Compassionate Economics oder r.i.c.e (www.riceinstitute.org). Nach seiner Promotion machte Dean die Arbeit bei r.i.c.e zum Vollzeitjob. In einer E-Mail schrieb er mir, seine Entscheidung beruhe »auf einem Prozess, der maßgeblich mit Hunger, Wohlstand und Moral begonnen« habe. Entscheidende Unterstützung erhielt die Argumentation in dem Artikel freilich durch Dianes langjähriges Engagement im Dienst an den Ärmsten. Dean und Diane leben heute in Indien und konzentrieren sich auf die Problematik, dass es zu wenig Toiletten gibt – ein Problem, das schmählich ignoriert wird, vielleicht weil es nicht ganz ohne Peinlichkeit zu diskutieren ist; dabei wirkt es sich ernstlich auf die Gesundheit von Kleinkindern aus und kann in der Folge auch ihr ganzes Erwachsenenleben schwer beeinträchtigen. Natürlich freut es mich, dass mein Artikel Dean und Diane womöglich zu einer so wichtigen Arbeit inspiriert hat. Am besten gefiel mir in Deans Nachricht allerdings eine Fußnote: »Wir haben an unserer Hochzeit aus dem Teichbeispiel vorgelesen.«

Im Januar 2015, ich saß gerade an dieser Einleitung, bekam ich eine E-Mail von David Bernard, Student an der schwedischen Universität Uppsala; er lud mich zu einem Vortrag im Rahmen einer Konferenz an seiner Universität ein, die die neu gegründete Gruppe Effective Altruism Uppsala organisieren wollte. Er fügte noch eine persönliche Bemerkung hinzu: »Hunger, Wohlstand und Moral war der erste Schritt auf meinem Weg hin zum effektiven Altruismus … Ihre Texte helfen mir immens, konkrete Aktionen zu starten, mit denen ich meinen alten, aber lange vage gebliebenen Wunsch umsetzen kann, Gutes zu tun; damit verhelfen sie meinem Leben zu sehr viel mehr Sinn.«

Und jetzt ist es an Ihnen, Hunger, Wohlstand und Moral zu lesen. Vielleicht verändert der Artikel ja auch Ihr Leben. Wenn Sie ihn überzeugend finden, überlegen Sie bitte, wie auch Sie den zentralen Gedanken weiterverbreiten können.

Gegen Hunger, Wohlstand und Moral hat es wirklich genug Einwände und Gegenargumente gegeben – vielleicht sogar mehr als genug, denn leider führt das zu der unbequemen Schlussfolgerung, dass nur sehr wenige von uns ganz und gar nach ethischen Grundsätzen leben. Ein Punkt, der eine Korrektur verlangt, bezieht sich auf die geschätzten Kosten für die Rettung eines Lebens durch eine Spende an eine Wohlfahrtsorganisation. Zwischen der Rettung des Kindes im Teich und der Rettung eines Kindes in einem Entwicklungsland, das aus armutsbedingten Gründen sterben würde, besteht die Analogie darin, dass man für das Geld, das der Ersatz der schmutzigen und nassen Kleider kostet, ein Leben retten kann. Im zweiten hier abgedruckten Aufsatz, Singers Antwort auf die Armut in der Welt, zitiere ich Peter Ungers grobe Berechnung, dass man für 200 Dollar ein Leben retten kann. Andernorts – zum Beispiel in Wie viel soll ein Milliardär spenden – und Sie?, stelle ich mir vor, dass Sie, wenn Sie in den Teich waten, um das Kind zu retten, Ihre Schuhe ruinieren, dass Sie also um den Preis eines teuren Paars Schuhe das Leben eines Kindes retten könnten.

Eine sehr zu begrüßende Entwicklung in der Wohltätigkeit seit der Veröffentlichung von Hunger, Wohlstand und Moral besteht darin, dass heute sehr viel intensiver evaluiert wird, was Hilfsorganisationen, die den Armen der Welt helfen wollen, tatsächlich bewirken. Die Effizienz einzelner Organisationen wurde umfassend untersucht, sodass die Menschen jetzt klarer über ihre Spenden entscheiden und also mit ihrem Geld mehr Gutes tun können. So zeigt diese Forschung etwa, dass viele der frühen Schätzungen, wie viel es kostet, ein Leben zu retten, nicht alle auftretenden Kosten berücksichtigten oder sich auf fehlerhafte Schätzungen gründeten, wie häufig eine bestimmte Form der Hilfe – etwa die Bereitstellung von Moskitonetzen zum Schutz vor Malaria – tatsächlich ein Leben rettete.6 GiveWell, die als Erste die Kosteneffizienz von Hilfsorganisationen nach strengen Maßstäben evaluierte, kommt zu folgender Berechnung: Zwar kostet es die Against Malaria Foundation nicht mehr als 7,50 Dollar, einer Familie in einer malariagefährdeten Region Afrikas ein Moskitonetz zuzuteilen und auszuliefern, doch um mit dieser Verteilung ein Leben zu retten, belaufen sich die Kosten trotzdem auf 3340 Dollar. Der Unterschied beruht auf der Tatsache, dass die meisten Moskitonetze gar kein Leben retten (obwohl manche durchaus vor stark schwächenden, aber nicht tödlichen Malariafällen sowie vor anderen durch Mücken übertragenen Krankheiten schützen). Insgesamt betrachtet GiveWell Kosten von unter 5000 Dollar pro gerettetes Leben als Indikator für hohe Kosteneffizienz bei einer Wohltätigkeitsorganisation.7 Dieser Betrag ist sehr viel höher als das, was die meisten von uns für unseren teuersten Anzug oder das teuerste Paar Schuhe ausgeben; es war also ein Fehler, diesen Preis mit der Höhe der Spende zu vergleichen, die nötig wäre, um das Leben eines Kindes zu retten, das durch seine Armut in Gefahr ist. Richtig bleibt aber, dass die meisten Menschen aus der Mittelklasse oder höheren Gesellschaftsschichten in den Wohlstandsgesellschaften viel mehr als 5000 Dollar